Freitag, 30. April 2021

KW 17, 2021: Die luserlounge selektiert

Bild: http://clipart-library.com
(ms/sb) Betreiben wir ein wenig Verklärung der Welt. Setzen wir die romantische Brille auf und auch wieder ab. Ich wollte immer schon ein Buch schreiben. Bereits in der Schule. Es sollte um einen Fahrkartenkontrolleur Namens Ulf gehen. Ich dachte mir in meinem kleinen Provinzköpfchen: Mensch, was für ein toller, entspannter Beruf! Man tapert durch den Zug, hilft Menschen weiter und verbreitet eine gute Stimmung. Menschen fragen nach dem Weg, ich gebe eine Antwort. Wohin mit dem Kinderwagen? Kein Problem, da drüben ist noch Platz. Spätestens seitdem längere Strecken zu dunkleren Uhrzeiten oder volleren Orten zum Lebensrepertoire gehören, weiß ich, dass das Gegenteil der Fall ist. Viele Kontrollierende arbeiten mit Pseudonym, weil sie ganz übel angegangen werden. Ähnlich ging es mir schon mal mit BriefträgerInnen. Da kam ein ähnlicher Gedanke auf: Ach, wie nett! Du bringst den Menschen gute Nachrichten und wirfst einen Gruß aus dem Urlaub ein? Achso... Usedom... wie schön! Tja, nix da. Was für ein brutaler Knochenjob! Bei Wind und Wetter raus mit dem Rad und an jeden noch so schlecht beschilderten Hinterhof. Sicher werden diese guten Menschen auch tagein und -aus angekackt. Verbal. Also: Zollen wir ihnen Respekt und danken wir ihnen. Ist nicht zu viel verlangt.

Doch der Auftrag lautet: Frische Musik zu selektieren. Gerne. Hier ist die luserlounge. Freitag. Bitte.
 
The Ghibertins
(sb) Ich hatte es an anderer Stelle ja bereits angedeutet, dass ich sehr gerne Musik aus Italien höre. Talco, NH3, Fo-Go und wie sie alle heißen. Sie alle singen in der Regel in ihrer Landessprache, heißt: Ich versteh leider sehr wenig, aber das Klangbild sagt mir sehr zu.
The Ghibertins aus Mailand gehen einen anderen Weg und fahren die internationale Schiene. Englisch ist angesagt beim Quintett aus der Lombardei. Macht aber nix, denn inspiriert von The National oder den Editors klingt das zu Beginn zwar sehr mainstreamig, driftet dann aber doch ein wenig ins Experimentelle ab und das steht der Single 20149 - Milano (VÖ: heute) unverschämt gut. Und was für ein geiler und präsenter Basslauf! Ich bin sehr gespannt aufs Album The Life & Death of John Doe, das allerdings leider erst im Januar 2022 folgen wird. Dort wird jeder Track ein Jahrzehnt des fiktionalen Charakters John Doe repräsentieren. Spannendes Konzept und definitiv ein ein Grund zur Vorfreude!
 

Loki
(sb) Wow! Einfach nur wow! Eine EP, fünf Tracks, die unterschiedlicher kaum sein könnten und das Gefühl, gerade was ganz Großes gehört zu haben, das auch international steil gehen kann. Das Einzige, was man Loki auf seiner Intimacy EP (VÖ: 21.05.) vorwerfen kann, ist wohl, dass er sich manchmal etwas zu sehr an bekannten Bands anlehnt. Sheppard könnte auch von Walking On Cars stammen, González von, naja, José González halt. Wie dem auch sei: Marc Grünhäuser und seine Mitmusiker haben eine herausragende Scheibe erschaffen, die ich mir in den kommenden Monaten noch sehr oft anhören werde, weil sie mich vom ersten Ton an anspricht, mich berührt, mitnimmt und am (viel zu frühen) Ende wieder ruhig und zufrieden entlässt. Die Macht der Musik. Großartig.
 

Fiddlehead
(sb) Wenn man Patrick Flynn so schreien hört, könnte man fast meinen, er sei wütend. Sehr wütend. Auf Gott, die Welt und das große Ganze. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn der Sänger von Fiddlehead holt thematisch auf Between The Richness (VÖ: 21.05.) noch deutlich weiter aus und löst sich vom Offensichtlichen. Leben, Tod, Freude, Schmerz - es liegt alles so nah beieinander und das hört man dem Album auch an. In einem Moment wird noch geknüppelt, im nächsten ist es schon herrlich melodiös und geradezu verspielt. In Sachen Songwriting hat das Quintett aus Boston auf jeden Fall einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht, sprengt die Ketten des Post-Hardcore und spielt mit im Konzert der Großen.
 

Die Buben Im Pelz
(sb) Ach, was hab ich die Neigungsgruppe Sex, Gewalt & Gute Laune gefeiert! Nicht, dass ich sie täglich hätte hören wollen oder können, aber das war schon etwas ganz Besonderes. Und genau da setzen Christian Fuchs und David Pfister auch mit ihrer neuen Band Die Buben Im Pelz wieder an und transformieren internationale Klassiker in moderne, grantige Wienerlieder mit dezent überheblichem Metropol-Charme. Sagen wir es, wie es ist: Das ist einfach nur geil, wie rotzig, mitunter böse, aber doch stets mit Liebe zum Detail die Musik hier zelebriert wird. Millionen Platten verkaufen? Drauf geschissen! Im Mainstream landen? Am Arsch, Oida! Danke, danke, danke, dass Ihr das so macht, wie Ihr es macht. Mit Geisterbahn (VÖ: 14.05.) übertreffen sich die sechs Herren aus Österreich mal wieder selbst - und das mag was heißen!
 

The Subways
(ms) Es gibt halt diese Band, auf die man zählen kann. Sie liefert solide ab. In regelmäßigen Abständen. Nein, ein ausgesprochen passionierter Fan von The Subways war ich nie. Aber sie waren halt immer da und halt auch immer gut. Eine typische Festival-Band, auf die sich alle einigen können und wo man ganz genau weiß, dass sie komplett abliefern und ausrasten werden! Geil, oder? Eben! Deshalb ist die Vorfreunde natürlich groß, dass Neues in den Startlöchern steht. Fight ist der erste Vorbote von einem neuen Album, dass wohl dieses Jahr noch erscheint. Name und Datum folgen dann. Vorerst also diese ausgesprochen politische Single. Ungewöhnlich. Doch wen lässt diese Zeit schon kalt?! Viel zu viele laute Idioten. Viel zu viele dumme Idioten auf großen, mächtigen Stühlen. Genau darum geht es! Fight them! Das ausgesprochen Bemerkenswerte: Der Track erscheint als 7"-Single und auf der B-Seite ist ein Interview zu hören mit dem Rock-Duo Nova Twins. Zudem liegt der Platte ein DIY zum (gewissermaßen) zivilen Ungehorsam bei! Genau das braucht es! Selten waren The Subways so wichtig!


Gaspard Augé
(ms) Eine Liebe zur Musik, eine Liebe zu den Tönen. Deshalb bin ich wahnsinnig oldschool und habe mp3-Dateien auf meinem Handy! Nix Spotify, einfach ganz normale, mehr oder weniger analoge Musikdateien auf dem internen Speicher. Das wird regelmäßig ausgetauscht, damit keine Langeweile herrscht. So kam zuletzt erneut Woman Woldwide von Justice aufs mobile Endgerät und begleitet mich erneut gerne und komplett aufgedreht durch den Tag. Was für eine irre Band, was für eine geil aufbereitete Platte! Die eine Hälfte der Franzosen, Gaspard Augé, veröffentlicht nun bald seine erste Solo-Platte! Der erste Hinhörer zeigt: Er bewegt sich in guten Alten Justice-Klangsphären und ballert schön nach vorne: Tanzbar und irre catchy! So mag ich es! Force Majeure kommt mit einem äußerst sehenswerten Video-Snippet daher (den ganzen Track gibt es hier zu hören). Es ist zu sehen wie in der Türkei Becken fürs Schlagzeug hergestellt werden. Alles Unikate, alle handgemacht. Eine Liebe zur Musik, eine Liebe zu den Tönen!


Alex Kranabetter
(ms) Vor einigen Jahren sah ich Hauschka live und war selbstredend total fasziniert. Das Klavier ist für Volker Bertelmann nicht nur ein reines Saiteninstrument der alten Schule. Für ihn ist es ein Spielzeug, ein Spielplatz, dessen Funktion und Größe genutzt werden wollen. Kein Wunder also, dass Tischtennisbälle bei seinen Konzerten dort hindurch fliegen und Töne erklingen lassen. Klar, das Klavier hat ordentlich Konjunktur, Neo-Klassik boomt. Ein anderes Instrument sorgt seit vielen Jahren bei mir auch für große Begeisterung: die Trompete. Der Klang, der durch sie (normalerweise) erzeugt wird, hat in meinen Ohren immer etwas Herrschaftliches, Königliches. Das innere Auge schmeißt die Flimmerkiste an und eine Burg mit Fanfarenspielenden ist zu sehen, die die KriegerInnen nach getaner Arbeit willkommen heißen. Best of both worlds: Alex Kranabetter. Der Wahlwiener reizt die Möglichkeiten der Trompetenklänge aufs absolut Extreme aus. Kommenden Freitag, am 7. Mai, erscheint sein erstes Album, das Textures heißt. Extrem bedeutet hier: Das ist keine leichte Kost. Hier ist kein Jazz zu hören, obwohl er es studiert hat. Und auch keine Klassik, kein Pop oder Rock. Kranabetter nutzt die Trompete nicht nur als Blechblasinstrument. Während des Aufnahmeprozesses befestigte er ein weiteres Mikrophon daran, das die Bewegungen der Tasten aufnimmt. Daraus filtriert er Töne, Klänge. Nein, keine Melodien. Vielmehr knarzt, kracht, dröhnt es an allen Ecken und Enden. Das ist anstrengend. Aber auch absolut faszinierend wie er ein Instrument nimmt und die Optionen der Musik vollkommen ausreizt. Dieses Album unterscheidet sich im Wesentlichen davon, wie man ihn eventuell kennt. Trompete spielte er beispielsweise schon mit/für Voodoo Jürgens oder Fuzzman. Beides große luserlunge-Lieblinge. Einen Tipp gibt es für dieses Stück: sich drauf einlassen!


Sons Of Raphael
(ms) Für Easy Listening kann ich mich wirklich stark begeistern. Meines Erachtens ein Genre, das viel zu oft belächelt wird. Und ein Genre, das so irgendwie gar keins ist. Für mich ist es eher eine Haltung der Musik gegenüber. Es muss kein Hintergrundgeplatsche sein, sondern hat auch die Möglichkeit, bewusst genossen zu werden oder das Tanzbein zu schwingen. Da kommen Sons Of Raphael ins Spiel. Der Name klingt archaisch, ist aber irgendwie doch ganz süß, wenn man weiß, dass Loral und Ronnel halt Brüder sind und sich den gleichen Nachnamen teilen. Wenn am 21. Mai ihr Erstling Full Throated Messianic Homage erscheint, dringt poppiger Easy Listening in andere Sphären. Auf ihrem kurzweiligen, leicht futuristisch und psychedelischen Album sind sie meinem Ohr nach irgendwo zwischen MGMT, den Pet Shop Boys, Orph und einem damit einhergehenden passioniertem Hang zur pathetischen Dramatik zu finden. Sehr entspannt, mitunter cineastisch! Das klingt so:

 
Danger Dan
(sb) Eins vorweg: Dieses Album hätte eigentlich einen eigenen Artikel verdient, aber aktuell reicht mir die Zeit nicht, um weiter auszuholen. War die erste Single Lauf davon noch so lala, überstrahlt die zweite Auskopplung Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt natürlich alles. Für mich der mit Abstand beste und wichtigste Track des bisherigen Jahres. Auch Single Nummer 3 namens Eine gute Nachricht hält dieses Niveau, wenn auch auf einer thematisch völlig anderen Ebene. Aber wie schön ist das denn bitte?
Danger Dan von der Antilopen Gang zeigt auf seinem Piano-Album Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt (VÖ: heute!) eine völlig neue Seite von sich und seinem musikalischen Können. Klar, Solo-Scheiben hatte er vorher auch schon veröffentlicht und wusste da auch zu gefallen, aber diesmal überrascht er nicht nur, sondern überzeugt auch. Ernsthaftigkeit, Ironie, Humor, Boshaftigkeit, Politik und Absurdität - selten wurden so unterschiedliche Themen so konsequent in so ein unschuldiges Gewand gekleidet und präsentiert. Sehr, sehr stark! Und wer würde Penelope Cruz nicht helfen wollen, Sextouristen in Bangkok zu verprügeln? Count me in!


Oehl
(ms) Bei Alex Mayr sprach ich es letztens schon an: Wir hören viel, was uns zugespielt wird, wenig bleibt langfristig hängen, da wir im Endeffekt doch das hören, was wir immer schon hören. Und dann kommen die Abers! Dieses hier ist ganz, ganz groß! Oehl haben mich vor eineinhalb Jahren unglaublich begeistert und auf magische Weise berührt. Es begann mit Wolken, das Album Über Nacht folgte, anschließend die Cover-EP Im Spiegel. Denn sie haben Einzigartiges geschaffen: Einen eigenen, neuen Sound kreiert. Und wenn Ariel so herrlich daher nuschelt/singt, ist alles klar. Nun geht die Reise endlich weiter. Bereits die Ankündigung in den letzten Tagen hat mich hell aufhören lassen! Jetzt ist das neue Stück da: Arbeit. Das Duo drängt heraus aus dem heilsam persönlich Emotionalem und betritt die großen Themen eines Jeden, der Welt. Und bleiben genauso nah am Menschen, an der Seele dran. Das schaffen sie sehr geschickt. Zum Einen hat Ariel ein ungeheures Talent kleine, eindringliche Texte zu schreiben. Hjörtur arrangiert reine Musikmagie. Dazu servieren sie ein Video, was schöner kaum sein kann. Am 2. Juli erscheint die nächste EP: 100% Hoffnung. Musik kann heilsam sein, ja!

Donnerstag, 29. April 2021

Mine - Hinüber

Foto: Simon Hegenberg

(ms) Es ist die Sache mit den Erwartungen. Und diese Sache ist total schräg. Ja, bei mir zündet das neue Mine-Album Hinüber, das diesen Freitag (30. April) erscheint, nicht so richtig. Im Wesentlichen liegt es daran, dass ich mehr erwartet habe. Das finde ich selbst total erschreckend, denn: Wer bin ich denn, dass ich die Messlatte so hoch lege bei dieser fulminanten und enorm kreativen Musikerin? Oder ziehe ich aus ihrem Wirken ein Niveau, das ich in meiner Haltung ihrer Musik gegenüber verlange? Total vermessen. Aber ich komme aus diesem Gedankengang nicht raus. Mine ploppte auf meinem Radar tatsächlich erst mit dem unglaublichen und gemeinsamen Fatoni-Album Alle Liebe Nachträglich auf. Natürlich knallte da auch nicht jedes Stück, aber die Dichte an extremen Perlen ist nach wie vor frech! Zum Einen liegt es an den Texten, die unterhaltsam und einfühlsam sind und regelmäßig heftig in die emotionale Magengegend einprügeln. Das ist schon irre aufgebaut. Zum Anderen sind es die musikalischen Arrangements, die Mine allesamt selbst erschuf. So breit. So vielseitig. So fein! Klebstoff war dann genau die Knallerplatte, die danach kommen musste. 
Zudem sah ich sie glücklicherweise vor zwei Jahren auf dem Deichbrand und war hin und weg. Zum Einen von ihrem Auftritt, ihrer Präsenz auf der Bühne. Selten eine derartige Ausstrahlung erlebt. Der Mensch steht auf der Bühne und füllt den Raum mit der reinen Anwesenheit. Die Kinnlade klappte noch weiter hinunter, als mir zum Anderen klar wurde, wie extrem sie das Liveniveau mit ihrer unfassbar sympathischen Band halten kann.

Das sind die Punkte, die ich stets im Hinterkopf habe, wenn es um Mine geht. Alles sehr weit oben. Und dann ist (leider) klar, dass diese Erwartungen erfüllt werden wollen.

Woran liegt es also nun, dass Hinüber mich nicht so stark überzeugen kann? Schuld ist unter anderem ein weiterer paradoxer Eckpunkt: Ordert man Mine, wird eine Wundertüte geliefert. Völlig unberechenbar: textlich, musikalisch und zunehmend auch optisch. Und das aus einem überzeugenden Grund: Die Dame macht schlichtweg, was sie will und für gut befindet. Worauf sie Bock hat. Geil! Wenn sie Bock auf Weltphilosophie hat, macht sie das. Wenn sie Bock auf emotionale Kratzer hat, macht sie das. Wenn sie Bock auf seichte Unterhaltung hat, macht sie das. Wenn sie Bock auf unverschämt gute Features hat, holt sie sie sich ins Boot.
Ihr Bock versus meine Erwartung. Ist ja klar, was wichtiger ist. Dennoch möchte ich es erläutern.

Da sind die Lieder, die ich schlichtweg nicht verstehe. Das sind die Stücke, die mich in gewisser Weise stören, sodass die Platte entspannt im Hintergrund laufen kann, ohne dass ich irgendwie hinhören muss. Ist Eiscreme tatsächlich 'einfach' nur ein Lied darüber, wie sehr sie Eis mag? Okay, alles klar. Aber genauso: Hä?! Lambadaimlimbo geht in eine ähnliche Richtung. Ich verstehe es einfach nicht. Was soll das Lied? Ebenso Elefant. Klar, altbekannte Metapher für Unausgesprochenes. Aber weiter als die Thematisierung geht der Track nicht. Da fehlt mir absolut das Weiterführende.
Die nächste Kategorie Stücke: Emotional-melancholische Tracks auf persönlicher Ebene. Im Reflektieren ist Mine wirklich überragend. Im Fragenstellen auch. Das tut sie auf KDMH (Kannst du mich halten?), Bitte Bleib oder Mein Herz auf sehr harte und direkte Weise. Sie tut gerne weh, aber das muss auch mal sein. Insbesondere letzteres ist ein echter Hinhörer. Sie vertont ein weiteres Mal den ungeheuer schmerzvollen Verlust ihrer Mutter. Ich kenne auch Menschen aus dem nahen Kreis - alle um die dreißig - die vor Kurzem oder Längerem ein Elternteil verloren haben (drecksscheiß Krebs jedes Mal) und weiß mir nie zu helfen, wenn es darum geht. Nur verständlich, wenn sie dann in die Welt ruft: Wie kannst du mir das antun? Hier weiß Mine auf wundersame Art zu überzeugen. Die harten, bitteren Themen. Sie liegen ihr wohl.
Diese lässt sie nicht nur im persönlich-emotionalen Raum. Sondern sie erweitert ihn um eine globale Ebene. Wo stehe ich in der Welt? Welche Schuld trage ich am täglichen Leid anderer um den ganzen Globus? Das ist die dritte Kategorie an Liedern: Hinüber, Tier und Unfall. Insbesondere Unfall haut komplett rein. Ganz übel. Ganz stark! Sie zeigt sehr deutlich auf, was schief läuft. Und brilliert. Denn durch das Video bekommt der Text eine weitere Ebene. Sie stellt sich dem Thema und weiß ganz genau: Ich gehöre hier absolut zu den Privilegierten! Mein Teller ist voll, ich habe Glück, ich rede es mir schon irgendwie schön. Oh man,... man bleibt sprachlos zurück. Das ist Kunst.
Achja... da fehlt ja noch ein Lied. Audiot. Das ist so geil gaga, dass man es nur feiern kann. Hier mag ich gar nicht spoilern. Das muss laut genossen werden, so, dass man nur noch grinsen kann.

Hinüber ist mannigfaltig. Musikalisch auf extreme Art. Einige feel-good-Tracks, bei den härteren, schwereren Themen werden die Aussagen durch musikalische Dramatik unterstrichen. Doch mir fehlt oft der letzte Punch - lyrisch und musikalisch -, damit ich voll aus dem Häuschen bin. Glücklicherweise ist und bleibt Musik Geschmackssache. Meiner wird hier nicht 100%ig getroffen, bei vielen anderen hoffentlich schon!

Freitag, 23. April 2021

KW 16, 2021: Die luserlounge selektiert

Bild: buhne16.de
(ms/sb) Jetzt wird gepöbelt! Wie ich bereits hier und da hab fallen lassen, bin ich passionierter Bahnfahrer, verweigere die Anschaffung eines Autos, mag das Fahren nicht und auch nicht derart viel Geld für einen großen Gegenstand ausgeben. Mit Rad und Bahn erreiche ich vieles. Klar, für das, was unerreichbar ist, brauche ich auch motorisierte Unterstützung. Wie Juse Ju jedoch sagt: Ich hasse Autos. Pro Bahn! Täglich pendle ich und letztens hatte der Zug Verspätung, kommt vor. Selten. Zwei Herren um die fünfzig vor mir regten sich schon furchtbar auf: "Der kommt zehn Minuten zu spät, ich habe um 8 Uhr einen Termin... das wird eng!" Junge, wenn du so schlecht organisiert bist, dann kann auch der Zug nichts dafür. Mit der Karre kannst du auch im Stau, an einer Ampel, hinter einem Trecker stecken. Doch dieser Tage ist mir ein Hinweis in der Bahn erst so recht aufgefallen, war baff und sah mich in meiner intoleranten Haltung bestätigt. An ein paar Türen oder Wänden ist eine Person am Handy abgebildet, dazu der Slogan: "Zeit zum Surfen". In der fucking Regionalbahn! Klar, Werbung für das vorhandene WLAN. Aber was soll die Animation?! Als ob das nicht eh 80% der Leute machen würden. Ich komplett ignoranter Snob lese währenddessen. Auf langen Strecken hänge ich auch am Handy, normal. Was soll aber der Hinweis, endlich surfen zu können?! Die Menschen wissen schon, wie Zeit totzuschlagen ist. Mein Vorschlag daher: "Zeit zum Lesen. Du kannst auch auf dein Handy glotzen. Deine Entscheidung."

Pöbelmodus aus. Hier ist die luserlounge. Wir sind freundlich und haben selektiert. Freitag. Bitte:
 
shatten
(sb) Ursprünglich, rotzig, dreckig, perfekt unperfekt - die Produktion des selbstbetitelten Debütalbums von shatten ist sicher nicht ganz typisch für die heutige Zeit. Dennoch möchte man sich die Scheibe gar nicht anders vorstellen. Sauber und glattgebügelt würde das nicht funktionieren. Dessen war sich das Quintett wohl auch bewusst und bildet die Energie und Dynamik einer Liveshow nahezu ideal innerhalb von 33 Minuten ab. Das versetzt den Hörer schon beim puren Konsum ins Schwitzen. Eine großartige Mischung aus hymnischem Pop, destruktivem Punk, Melancholie und schwindelerregendem Lärm. In manchen Passagen ist es fast ein bisschen verstörend, aber genau das macht shatten (VÖ: 30.04.) zu einem Ereignis. Lasst uns das bitte ganz bald auf den Bühnen der Republik erleben dürfen! Eins noch: Dieses Album erfordert die volle Aufmerksamkeit und Konzentration. Wenn man es nur so nebenher laufen lässt, geht es unter, weil man die Nuancen, Details und textlichen Feinheiten nicht ausreichend würdigen könnte.


Teenage Fanclub
(sb) Eins mal vorweg: Mit Teenage Fanclub macht man nichts falsch. Nie! Ich habe die Schotten musikalisch Mitte der 90er Jahre kennengelernt, kurz nachdem sie als Vorband von Nirvana auf Tour waren. Kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, wie das zusammenpassen soll. Aber ja, Teenage Fanclub haben nicht immer die lässig-folkige Mucke gemacht wie heutzutage...
Zugegebenermaßen bietet Endless Arcade (VÖ: 30.04.), das neue Album des Quartetts, wenig Überraschendes. In diesem Fall begrüße ich das jedoch sehr - erinnert Euch an meinen Einleitungssatz. Es gibt wirklich kaum etwas Beruhigenderes, Trostspendenderes und Mutzusprechenderes als die Musik der Fannies. Wenn gar nichts mehr geht, die gehen immer. Unaufgeregt, unaufdringlich und irgendwie immer angenehm heimelig.

Tourtermine gibt's auch schon, aber Achtung: Da müsst Ihr noch mehr als ein Jahr drauf warten.

27.04.2022 Hamburg – Knust
28.04.2022 Berlin – Columbia Theater
29.04.2022 Düsseldorf – Zakk
01.05.2022 München – Strom
02.05.2022 Mannheim – Alte Feuerwache


Bayuk
(ms) Hach, Treibenlassen. Hach, Entdecken. Ich mag euch sehr! Denn: Wo ich einst von Bayuk gehört habe, weiß ich gar nicht mehr so genau. Aber es gab den einen Hinhörer, der stark haften blieb! Im weitesten Sinne Popmusik mit catchy experimentellem Charakter, der voll auf geht! Beeindruckend. Frisch und unbefangen. Ein großes Glück, dass ich ihn vor zweieinhalb Jahren auf dem Reeperbahn Festival gesehen habe. Voller Inbrunst, Hingabe zur Musik und mit Tobias Siebert im Hintergrund hat er ein faszinierend druckvolles Konzert im kleinen Kreis gegeben. Ein paar Singles und Features später steht Ende August endlich der Nachfolger zu Rage Tapes bereit. You Won ist der erste Track, der daraus zu genießen ist. Hörbar eingängiger und poppiger ist es als zuvor. Schöne Schwermut, wenn man so sagen kann. Ich hoffe, das der beeindruckende Charakter vom Erstling sich auch auf dem zweiten Werk wiederfindet! Ohnehin: Bayuk ist ein wundervolles Beispiel dafür, wie viele gute, begabte MusikerInnen es hierzulande gibt!


Adrian Crowley
(ms) Faszination. Traum. Schweben. Eskapismus. Eintauchen. Entfliehen. Sich mitnehmen lassen. Ganz klar. Ganz leise. Ganz heimlich. Dicht. Eindringlich. Beeindruckend. So ging es mir, als ich das erste Mal The Watchful Eye Of The Stars von Adrian Crowley gehört habe. Das Album erscheint kommenden Freitag (30. April) und es bleibt mir leider viel zu wenig Zeit, um dieses kunstvolle Werk in all seiner Schönheit, Brillanz zu beschreiben. Es wird sein neuntes Album sein und es ist deutlich zu hören, mit welch Kenntnis und Geschick, mit welch Umsicht und scheinbar einfachen Mitteln er es schafft ein eigenes Universum zu erschaffen! Irgendwo zwischen Sivert Hoyem, Junip und der kunstvollen Arrangements von Get Well Soon ist diese Musik angesiedelt. Wenn die Gitarre im Hintergrund nur den Rhythmus vorgibt, tanzen allerlei Elemente im Vordergrund. Stimmen wechseln sich ab, Streicher knatschen wundervoll, Percussion ist wundervoll klug eingesetzt und erschaffen so einen Raum, der nur der Musik gestattet ist zu zaubern. Das ist schlichtweg genial. Und trotzdem/deshalb so wunderwunderschön! Was für eine heilsame Platte!


Tristan Brusch
(ms) Was muss ein guter Song schaffen? Was ist es, das man es nochmal anklickt? Was ist es, dass das Video mehrmals hintereinander läuft, weil es einen baff zurück lässt?! Was ist es, das so fasziniert? Ja, es ist das, was so schwer in Worte fassen ist. Das, was fast nur zu spüren ist. Tatsächlich ist es sehr lange her, dass mich ein deutschsprachiger Song derart gefesselt, beeindruckt und zum Teil auch schockiert hat wie Zwei Wunder An Einem Tag von Tristan Brusch. Irgendwo zwischen Gisbert zu Knyphausen, Love A und herrlich deftigem Sprachgebraucht wandelt er auf diesem wundersamen Lied. So sanft es beginnt, so stark bricht es aus. So sinnlich viele Momente aus dem Video, so verstörend wird es. Zwischen knallharter Gegenwartskritik und gefühlvoll melancholischer Introspektive bewegt sich dieses Lied. Haut dir mitten in die Magengrube und reißt einem doch die Augen auf. Wenn sehr umsichtiges und kluges Songwriting mit einer außergewöhnlichen Instrumentierung einher gehen, kommt so etwas Bleibendes dabei heraus! Album im Herbst. Massive Vorfreude!

 
Anna Mabo
(sb) Ach Österreich, Du verzauberst uns einfach immer wieder: touristisch, kulinarisch, musikalisch. Mit Anna Mabo schickt sich nun die nächste Künstlerin an, sich nachhaltig in meinen Gehörgang zu bohren. Es ist wirklich beeindruckend, wie nahe Genie und Wahnsinn bei der jungen Dame beieinander liegen. Wie kann man denn nur über die Banalitäten des Lebens solche grenzgenialen Texte verfassen und Lieder schreiben? Ein als Ode ans Fahrradschloss getarntes Trennungslied? Kein Problem! Anna Mabo hat das Herz auf der Zunge, singt, wie ihr der Schnabel gewachsen ist und das ist ungemein erfrischend und, ja, ursprünglich. Das klingt nicht gekünstelt, sondern einfach nur authentisch und wahrhaftig. Dabei nimmt sie (bewusst?) in Kauf, dass der ein oder andere Ton jetzt nicht unbedingt zu 100 % getroffen wird, aber hey: Drauf geschissen! So ist das Leben und das ist bekanntlich kein Ponyhof. Und in Wien schon zweimal nicht! Leute, holt Euch das Album Notre Dame (VÖ: 07.05.)! Da es leider noch kein aktuelles Video zur neuen Scheibe gibt, müsst Ihr hiermit Vorlieb nehmen...



Broilers
(sb) "Wir bleiben die, die wir waren: Jugendliche mit 40 Jahren!" Gleich im Auftakttrack Nicht alles endet irgendwann geben die Broilers die Richtung ihres neuen Albums Puro Amor (VÖ: heute!) vor. Ich verfolge die Düsseldorfer zwar "erst" seit gut zehn Jahren, aber zumindest in dieser Periode stellt die neue Scheibe durchaus einen Höhepunkt dar. Zwar erklommen sowohl Noir (2014) als auch (sic!) (2017) die Spitze der deutschen Albumcharts, mich konnten sie jedoch stets nur partiell überzeugen. Anders Puro Amor, das von Track 1 bis 14 keine Durchhänger und Lückenfüller aufweist, sondern aus einem Guss daherkommt. Klar, der Pathos kommt auch diesmal nicht zu kurz und Sammy Amara und seine Band zeigen einmal mehr ein Herz für die Außenseiter der Gesellschaft. Highlights: Porca Miseria, Diktatur der Lerchen und der Ska-Kracher Schwer verliebter Hooligan! Wenn das mal nicht die nächste Nummer 1 wird...


Drangsal
(ms) Sich selbst als Kunstfigur inszenieren und das so wunderschön und konsequent. Dafür mag ich Drangsal sehr! Dieser irre Pathos, dieser wirklich eigenständige Sound aus viel Know-How und einer ewigen Hommage an die 80er. Null Angst vor Kitsch, kompletter Standhaftigkeit. Das muss man in der Form erstmal so abliefern. Ein paar Mal sah ich ihn live und es macht enorm Freude! Geil, dass Groupies da sind. Geil, wie er abliefert und unendlich gut seine Band ist. Wie geil er als recht junger Typ so eine Art von Schlager macht und das mit aufrechtem Kopf. Wie geil, dass nun ein neues Album in Aussicht ist: Exit Strategy erscheint zwar erst am 27. August, doch Vorfreude ist momentan doch ein noch geeigneteres Mittel, um die Zeit rum zu kriegen, richtig? Urlaub Von Mir ist die erste Auskopplung und er macht genau da weiter, wo er mit Zores aufgehört hat. Satter Bass, herrliche Texte voller Schmalz und Ehrlichkeit und Reflexion und Strahlkraft und Selbstfindung. Tanzbar, andächtig, für die Ewigkeit, für jetzt!

Freitag, 16. April 2021

KW 15, 2021: Die luserlounge selektiert

Bild: depositphotos.com
(ms/sb) Hier werden wegen C. demnächst auch wieder die Geschäfte geschlossen. War ja irgendwie vorhersehbar und irgendwie ist mir nun (leider) auch alles egal. Noch vor zwei Wochen schlenderte ich bei gutem Wetter durch die Innenstadt, erledigte dies und jenes bis mich eine Szenerie vollkommen lahm gelegt hat. Eher geistig statt körperlich. Denn an dem Bild wollte ich schnell vorbei, hatte meine Besorgungen eh alle schon parat. Erst vor Kurzem hat die Click-And-Meet-Zeit begonnen und ich war wirklich erschüttert, wo die Menschen in Schlangen gewartet haben, um endlich ihr hart erarbeitetes Geld zu verpulvern! Vor der Kleiderkette Zara standen wirklich viele Leute an. Ich war baff! Wieso um alles in der Welt?! Wieso begeistert Schrott kaufen für einen Kleiderschrank, der sicherlich mehr als voll ist. Gerne hätte ich die Anstehenden allesamt gefragt, was sie in der Hölle wollen?! Was treibt sie da hinein?! Haben sie nur noch ein zerrissenes Shirt? Was macht die Menschen so unfassbar scharf darauf, Klamotten zu shoppen? Und dann noch dort? Sicher ein Laden ohne jeglichen Fairtrade-Standard, weder bei den Mitarbeitenden und erst recht nicht bei den Produzierenden. Ja. C. hat auch Gutes. Dass der Laden wieder zu ist kommende Woche.

Glücklicherweise geht's hier nichts ums Aussehen - Eitelkeit steht mir nicht. Luserlounge. Musik!

Charlotte Adigéry
(ms) Musik einfach mal gut finden. Klingt unglaublich einfach, ist aber eine riesige Herausforderung. Klar, ich kann da nur für mich sprechen. Doch wenn irgendwo Pop oder R'n'B drauf steht, bin ich nicht zwingend zugeneigt. Doof, oder? Ja, total! Charlotte Adigéry zertrümmert alle meine Zweifel und meine bizarre Voreingenommenheit! Das gelingt ihr mit einem unfassbar cathcy Track, der nicht nur schnell den Kopf wackeln lässt sondern auch sehr tanzbar ist. Der private Dancefloor sollte also mal wieder gebohnert und die Anlage bitte fein im Bass aufgedreht werden. Das Geniale: Es ist nicht nur Pop und R'n'B, sondern hat diesen beneidenswert ansteckenden Effekt, den ich so nur von den Gorillaz kenne: Es ist groß aber auch unglaublich gut, sehr klug arrangiert und birgt einen Klang, der aus der Zukunft gegriffen klingt. Beat With Me (And I Stand Bare For You) ist auf dem kommenden (VÖ: 7. Mai) Album Foundations erhalten, das das Label DEEWEE veröffentlicht! Satte 27 Tracks gibt's zum Jubiläum der 50. Erscheinung! Gratulation! Was für ein Track!



Marquis
(ms) Diese Band fällt für mich in die Kategorie: Zu jung, um vorher schon mal bewusst etwas von gehört zu haben. Marquis war als Marquis De Sade von 1977 bis 1981 aktiv! Knapp zehn Jahre später wurde ich erst geboren. Nach Presse-Infos soll die Band um Philippe Pascal und Frank Darcel zwei tolle und einflussreiche Alben veröffentlicht haben; darauf folgte die Auflösung und 2017 (!) die Wiedervereinigung! Allein das ist schon irre. Noch irrer: Kommenden Freitag (VÖ: 23. April) erscheint ihr neues, drittes Album. Nach 40 Jahren. In Worten: Vierzig! Und es kommt noch irriger, aber leider auch trauriger, denn Pascal erlebt dies nicht mehr mit, starb während der Aufnahmen. Darcel besann sich, das Material war so gut wie fertig, andere MusikerInnen und Sänger wurden aquiriert und Aurora steht kommende Woche zum Hören bereit. Ein Gitarrenalbum vom Allerfeinsten: Vielseitig in jeglicher Hinsicht. Klanglich überzeugt es mich nicht auf volle Distanz, aber sprachlich überrascht die Platte immer wieder sehr originell. Es wird auf Englisch, Französisch und Deutsch gesungen! Find ich klasse! Wenn Nostalgie, Andenken und gute Musik zusammenfinden!

 
Jon Allen
(sb) Samstagsausflug nach Ulm, also endlich mal Zeit, im Auto in Ruhe Musik zu hören. A wie Allen wird als erstes abgespielt. Jon Allen, um genau zu sein, und zwar dessen neues Album ...meanwhile (VÖ: 21.05.). Nach zwei Tracks tendiere ich zum Skippen, hör mir aber doch noch Nummer 3 (Cruel World) an und bleibe dann hängen. Schon witzig, wenn ein Album Fahrt aufnimmt, indem es Fahrt rausnimmt. Je ruhiger Allen seine Songs gestaltet, desto besser sind sie. Der Engländer, entdeckt vom legendären Mark Knopfler (Dire Straits), überzeugt insbesondere durch seine Stimme, die natürlich umso besser zur Geltung kommt, je mehr sie durch zurückhaltende Instrumentierung in den Vordergrund gedrängt wird. Insgesamt ein sehr angenehmes, wenn auch unspektakuläres (aber das ist nicht negativ zu verstehen!) Album, das man bestens nebenher laufen lassen kann.
 

Baked Cat
(ms) Jede Diskussion und jeder Aufsatz darüber, wie wichtig es ist, mit Konventionen zu brechen ist gut, weil das Thema so dringend ist! Die Erwartungen, die an einen gestellt werden, sind oft kaum auszuhalten. Und ständig rufe ich mir die Frage ins Gedächtnis: Woher kommen sie eigentlich? Wer erwartet eigentlich genau was von mir und warum erwische ich mich dabei, dass ich den ganzen Quatsch auch noch mitmache?! Als weißer Kerl mit festem Job und ohne Kinder ist das eine wahnsinnig billige Aussage, das weiß ich auch. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es als benachteiligte Person ist. Die Facetten dazu sind irre. Irre beängstigend. Daher lese ich, um dem nahe zu kommen. Lese Stokowski, Abdollahi, Rekless, Bola, Gümüşay. Alles nur wärmstens zu empfehlen! Wie wunderbar, dass ein Quartett aus Hamburg nun genau das musikalisch zum Ausdruck gebracht hat. Baked Cat haben vor Kurzem ihre Single Say veröffentlicht! Ein temporeicher Gitarren-Indie-Track, der harmonisch gute Laune macht, sehr wahr ist und obendrein auch noch mit einem phantastischen, weil so eindrücklichen Video daher kommt! Weil es so gut, wahr, catchy ist, wünsche ich mir: Headliner 2022. Überall!

 
Dustin O'Halloran
(sb) Auch diesmal darf Klassik nicht fehlen! Mit Dustin O'Halloran stellen wir Euch einen Künstler vor, der in seiner Vita bereits eine Oscar-Nominierung für die Filmmusik zu Lion - Der Lange Weg nach Hause vorweisen kann. Kein unbeschriebenes Blatt also. Mit Silfur (VÖ: 11.06.) legt der amerikanische Pianist nun seinen ersten Release bei Deutsche Grammophon vor. Darauf enthalten sind zwei neue Stücke sowie Neueinspielungen einer Auswahl von O’Hallorans bisherigen Soloalben. Vier von ihnen wurden mit zusätzlichen Streicherarrangements gepimpt. Aufgenommen in O'Hallorans Wahlheimat Island, ließ er sich von der Abgeschiedenheit und der einzigartigen Atmosphäre der Insel inspirieren. Das klingt ungemein filigran und strebt doch nach emotionaler Klarheit in ihren Melodien. Einfach nur wunderschön!

 
Wie ein Fremder - Doku
(ms) Morgen ist Samstag! Ich bin ein extrem eingefahrener Mensch und brauche immer einen Plan für alles mögliche. Das geht beim Essen los, zieht sich über den ganzen Tag und wenn ich mir Dinge nicht aufschreibe, kann ich dafür garantieren, dass ich sie vergesse. Daraus kann man lernen. Und sich Folgendes notieren: Morgen ist Fernsehabend! Aber vom Allerfeinsten! Es geht um die sehr berührende Dokumentation von Aljoscha Pause Namens Wie Ein Fremder - Eine Deutsche Popmusik-Geschichte. Wir haben schon mal ausführlich darüber berichtet. Und weisen auf die TV-Ausstrahlung sehr gerne hin, denn es lohnt ungemein. Egal, ob man Roland Meyer de Voltaire kennt oder nicht, wer empathisch ist und wirklich fesselnde Einblicke in ein kreatives, oft heikles Leben und die Musikbranche gewinnen möchte, dem sei gesagt: Morgen läuft die gesamte Doku, also alle fünf Teile, nacheinander auf 3sat! Beginn ist natürlich um 20.15 Uhr! Noch nie war ein Abend besser geplant als morgen, oder?


Rita Tekeyan
(ms) Aus den eigenen Fehlern lernen. Schwer, aber möglich. Letzte Woche wies ich mich selbst darauf hin, dass meine musikalischen Hörweiten recht eingeschränkt, eingegrenzt sind. Also werfen wir einen Blick in den Libanon, beziehungsweise nach Armenien. Im ersten Land ist Rita Tekeyan aufgewachsen, im zweiten lebt sie nun. Tatsächlich: Aus dem Libanon kenne ich keine Band, aus Armenien nur System of a Down und die zählen ja nicht so wirklich. Tekeyan spielt dunkle, leicht getragene Musik, in der ihre Stimme und das Klavier im Vordergrund stehen. Der Bandsound rundet das Klangbild ab, die Gitarrenlinien ergänzen es und geben den Tönen einen mäandernden Charakter. Zwischen Nick Cave, Nina Hagen und finsteren Balladen und einem sehr sympathischen Hang zum Bösen musiziert sie. Kommende Woche erscheint ihr zweites Album Green Line. Devil's OB ist der perfekte Reinhör-Track, den man am besten mit geschlossenen Augen genießen sollte, damit er seine ganze finstere Kraft entwickeln kann!

 
iconAclass
(sb) Normalerweise höre ich so gut wie gar keinen englischsprachigen Hip Hop. Als dann vergangene Woche die Promo zu Changing Culture With Revolvers von iconAclass eintrudelte, war ich also völlig unbeleckt. Also rein damit in den CD-Player und Start. Und wow, was für ein geiles Ding! Also doch mal kurz recherchieren, was es damit auf sich hat... Hinter dem Projekt steckt Will Brooks aka MC dälek und den kennt man dann halt doch wieder. Zudem ist das Album keineswegs neu, sondern aus dem Jahr 2015 und wird am 07.05. erstmals auf Vinyl veröffentlicht. Ganz ehrlich: Wenn amerikanischer Hip Hop öfter so klingen würde wie das, dann könnte ich mich doch noch damit anfreunden. Da passen Beats und Lyrics, da kommt alles aus einem Guss. So aktuell kann also sechs Jahre alte Musik klingen!


Remember Sports
(sb) Remember Sports - klingt beim Blick auf die wachsende Wampe zunächst nach einer verschwimmenden Erinnerung daran, dass man einst ja mal zwanzig Jahre lang Fußball gespielt hat und das gar nicht schlecht. Wenn man die Wehmut dann aber beiseite lässt und sich auf die Musik konzentriert, handelt es sich aber um eine vierköpfige Indie-Band aus Philadelphia. Ihr neues Album Like A Stone (VÖ: 23.04.) beinhaltet einige richtige Perlen (v.a. Pinky Ring), verströmt aber über weite Strecken - wenn es lauter wird - auch das Gefühl einer Grunge-Schülerband. Kein Wunder, denn die vier Bandmitglieder kennen sich bereits seit gemeinsamen Collegezeiten. Auch auf ihrer neuen Scheibe verfolgen sie einen multiinstrumentalen Ansatz und tauschen die Instrumente durchgängig aus. Das spricht für die Band und macht die Sache spannend. Hörts Euch am besten selber mal an.
 

Rantanplan
(sb) Zarte 26 Jahre haben Rantanplan mittlerweile auf dem Buckel, von Altersmüdigkeit jedoch keine Spur. Das neue Album ist zwar erst für 2022 angedacht, bereits heute gibts jedoch eine neue Single. Nüchtern betrachtet ist ein typischer Track der Hamburger, auch wenn der politische Ansatz diesmal gänzlich der Erkenntnis weicht, dass Alkohol manchmal halt doch eine Lösung ist. Zwar nicht für die Probleme der Welt, aber durchaus für die Gestaltung eines schönen Abends. Deshalb: Nicht lang schnacken, Kopf in'n Nacken! 



Alex Mayr
(ms) Eine (bittere) Erkenntnis der Schreiberei über Musik: Wir konsumieren unfassbar viel, lauschen in ganz viel rein und versuchen darüber ein Urteil zu fällen. Neben einem kräftezehrenden Job (und bei sb Familie) ein durchaus manchmal anstrengendes, aber immer schönes Unterfangen. Nun die Erkenntnis: Wenig davon dehnt sich langwierig auf die persönliche Höragenda aus. Würde ich aus dem Stehgreif gefragt werden, über wen wir freitags vor zwei, drei Monaten berichtet haben.... keine Ahnung. So viel bleibt leider oft nicht. Denn - Hand aufs Herz: Man hört doch den gleichen Kram wie vor 5, 10 oder 15 Jahren. Doch dann passiert es! Und es passiert nicht oft! Dann schaffen es Bands und KünstlerInnen wirklich anzudocken und auf wundersame Art und Weise da zu bleiben! Ein tolles, weil sehr gutes und schönes Beispiel aus dem letzten Jahr für mich ist Alex Mayr. Irgendwo drüber gestolpert, neugierig geworden, hinein vertieft, begeistert gewesen! Vor fünfzehn Monaten erschien Wann Fangen Wir An und ich bin immer noch in diese Platte verliebt! Umso besser, dass es im Juli Nachschub gibt! Am 9. Juli erscheint ihr neues Album Park. Und: Never change a winning team - erneut mit Konrad Henkelüdeke und Konstantin Gropper (ewige Bewunderung!) produziert! Breit, laut, fein und bestechend sind die ersten Eindrücke mit Eingang, das ab heute zu hören ist! Juhuuu!

Donnerstag, 15. April 2021

Eydis Evensen - Bylur

Foto: Einar Egils

(ms) Ach Island, du Traum- und Sehnsuchtswinkel auf dieser Erde. Ja, bei allen Musizierenden, die dort her kommen und über die ich berichte, muss ich erwähnen, wie sehr mich dieses Land fasziniert hat. Wer einst dort war, kann verstehen, woher Asgeir oder Sigur Rós ihren Zauber nehmen. Diese Natur macht mich fertig. Und sie dient (klar, mit allerhand Folklore und maßloser Anbetung wie in diesem Ansatz) der Inspiration und als kreative Muse. Nicht umsonst hat Jónsi (auf einem Auge blind) mal gesagt, dass er durchdrehen würde, sähe er stereo. Da es aber wie so oft und leider leider viel zu viele Kerle sind, die Aufmerksamkeit bekommen, bin ich so froh, dass nun Eydis Evensen ein ungeheuer mannigfaltiges Album komponiert und eingespielt hat. Bylur erscheint am 23. April und sollte dringend erworben und nicht nur gestreamt werden.

Sanfte, leichte Klaviermelodien sind zu Beginn hörbar, ein einsetzendes Cello (und sicher noch andere Streicher) ändern diese Atmosphäre jedoch recht schnell ins Dramatisch-Andächtige, denn sie übernehmen das Kommando und die Harmonien. Bei diesem Neo-Piano-Stück ändert sich rasch die Laufrichtung hin zu einem kammerorchestralen Klang. Trauer, Abschied und Schmerz sind die Assoziationen. Auch im Klavier wird es mitunter tiefer, rasanter, eindringlicher, dichter. Trotz der leicht düsteren Stimmung, die Evensen hier heraufbeschwört, ist Deep Under extrem rund, beweist ein ausgeklügelt dichtes Arrangement.
Ja, auf diesem Album gehen Piano und Streicher Hand in Hand. Mal wechseln sie sich ab in ihrem Dasein der Hauptrolle, doch sie tauchen fast immer gemeinsam auf. Wenn das Klavier auf Dagdraumur in den ersten Takten die grobe Richtung vorgibt und beinahe froh und leicht klingt, übernimmt doch erneut die dezent melancholische Stimmung. So soll es auf dem ganzen, warmen, schönen Album bleiben. Die Harmonie, das Zusammenspiel ist auch auf The Northern Sky gut wahrnehmbar: Während die Streicher lange Töne halten, die hoch im Vordergrund erklingen, spielt das Klavier ruhigere, aber sehr eindringliche Melodien mit nur wenigen Tönen die Oktave rauf und runter und gemeinsam ziehen sie die Hörenden in ihren dichten, berauschenden, oft dunklen Klang, der ohne Highlight stets zu überzeugen weiß. Ja, hier gibt es nicht die zwei, drei Stücke, die haften bleiben. Bylur ist ein Gesamtwerk, das in sich unglaublich stimmig ist.


Es sind die enorm tiefen Cello-Töne auf Wandering I, die Gänsehaut erzeugen. Es sind die kleinen Überraschungen wie ein extrem spärlich und darum umso fulminanter wirkender Einsatz der Trompete auf Wandering II - ja, es sind nur ein paar Töne, doch sie wirken Wunder.
Auffällig ist: Es wird nie ausladend, überbordend, riesig. Es bewegt sich alles in ähnlichen Linien, doch es wird nie (!) langweilig. Insbesondere die Variationen im Kleinen machen dieses Kunstwerk so fein, besonders, überzeugend. Das Mystische, Verzauberte, Elfenhafte von Asgeir oder Sigur Rós findet sich auf diesem Album nicht. Muss auch gar nicht, da die Musik ohne dieses Dramatisch-Große seine volle Wirkung entfaltet.
Die Klänge und Arrangements bekommen auf Circulation etwas Fürstliches, als ob am Hofe gespielt wird für einen fröhlichen..., nein, aber durchaus festlich-ernsten Anlass. Auf Midnight Moon bricht Eydis Evensen doch für ein Stück aus diesen Bahnen aus. Fast revolutionär! Hier wird gesungen - ihre Landsfrau GDRN ist zu hören. Ja, es sind diese kleinen, sehr feinen Hinhörer, die auch in der Reihenfolge der Lieder schön weit auseinander liegen, auftauchen und dadurch umso stärker, schöner erklingen. Das hier ist wirklich klug angelegt und sehr durchdacht. Ob es den Gesang auf dieser sonst instrumentalen Platte braucht... keine Ahnung, aber es passt hervorragend.
Diese Musik möchte ich in einer warmen, mit Kerzenschein ausgeleuchteten Holzkirche hören, mich hinein vertiefen, es genießen, die Augen schließen und nur ab und an blinzeln, um die Inbrunst der Musikerin zu bestaunen. Was für ein Werk!

Freitag, 9. April 2021

KW 14, 2021: Die luserlounge selektiert

Quelle: twitter.com/documenta__14

(sb/ms) Schön langsam nervts. Und doch verstehe ich all die Maßnahmen und denke, dass man vermutlich sogar noch etwas strikter und rigoroser vorgehen müsste. Wir haben in der Familie nun zur Selbsthilfe gegriffen und unseren Sohn erstmal aus dem Kindergarten genommen. Warum? Die Einschläge nähern sich. In den letzten Wochen gab es einfach zu viele Coronafälle im Freundes- und Bekanntenkreis und auch im Kindergarten waren bereits alle Gruppen mal betroffen. Wir hatten letztes Jahr Glück, da der Fall just dann auftrat, als wir im Urlaub waren. 

Aber es ist schon seltsam: Auf der einen Seite reibt man sich verwundert die Augen, wenn man sieht, dass manch ein Künstler seine Tour bereits jetzt auf Ende 2022 schiebt. Auf der anderen Seite gehts aber wahrscheinlich gar nicht anders, oder? Pläne sind derzeit ja kaum das Papier wert, auf dem sie ausgedruckt werden. Wie gerne würde ich mich auf den Sommer freuen und darauf, mit meiner Familie was zu unternehmen. Klar, kann man zuhause auch, zumal, wenn man in einer der Urlaubsregionen Deutschlands lebt und in einer Viertelstunde mit dem Rad am Bodensee ist. Aber Ihr wisst schon, was ich meine. Der Kleine redet fast täglich von Italien oder Tirol und das Gras ist auf der anderen Seite generell grüner. Und, äh, ja, ich würde auch gerne mal wieder ins (Grünwalder) Stadion. Aber das nur so am Rande. Schön langsam nervts. Aber das hatten wir ja schon...

So, genug rumgemosert. Wir sind die luserlounge. Es ist Freitag. Es wird selektiert. Und so abwechslungsreich waren wir selten...

Pöbel MC
(ms) Die Tracks des gleichen Künstlers laufen schon seit einiger Zeit regelmäßig daheim und unterwegs und er wurde schon ab und an live bestaunt. Dann kommt auf einmal die Frage aus irgendeinem Hirnwinkel: Warum finde ich das gut? Eine scheinbar simple Frage, oder? Klar. Schwieriger ist immer die Antwort. Die Frage stellt sich momentan bei Pöbel MC. Sein letztes Album fand ich eher so medium, doch es gibt reichlich Lieder, die derart geil ballern und gleichzeitig erschrocken zurücklassen, dass er ganz stark haften bleibt. Heute erscheint seine neue EP Stress & Raugln und auf den 8 Stücken, die nicht mal 25 Minuten Spielzeit haben, ist sein Können kulminiert. Zugleich zeigt er darauf auch die Seiten, wo ich einfach nur den Kopf schütteln muss. Überzeugend ist er immer dann, wenn er breitbeinig pöbelt und wirklich schlau die prägnantesten Zeilen rappt. Ob es nun politisch oder gesellschaftskritisch ist oder halt beides, er trifft das Problem exakt und packt es wohlüberlegt und reflektiert in seine Zeilen. Hut ab für Würde In Zahlen oder Pumpe Auf Stress. Überhaupt nicht verstehen und feiern kann ich Tracks wie Raugln (what?!) oder Söhnlein Brillant - ist schon okay wenn ausschließlich HGich.T solche Beats machen trotz den umwerfenden Textes... Die EP, die selbstredend bei Audiolith erscheint, hat also genauso viel Licht wie Schatten. Laut das Licht, skipp den Schatten.

 
Les Mamans Du Congo & Rrobin
(ms) Zwei Erkenntnisse aus dem eigenen Musikhören (Nr. 2 gibt's unten). Nummer eins: Warum bin ich so borniert? Warum bin ich so unfassbar eingefahren und verschlossen Tönen gegenüber, die hier selten laufen? Woran liegt es? Gewöhnung ist mir ein viel zu plumpes und auch gefährliches Argument. Wer für Les Mamans Du Congo & Rrobin das Wort exotisch verwenden möchte, sollte dringend vorher Alice Hasters lesen! Es ist überhaupt nichts Fremdes an diesen wunderbaren Melodien, die zum Tanzen und Träumen bewegen. Das einzig Fremde wohnt in mir selbst und ärgert mich, dass ich es so schwer nur überwinden kann. Die fünf Damen aus dem Kongo um Gladys Samba arbeiteten für dieses hörenswerte Album mit dem französischen Produzenten Rrobin zusammen und haben neun kurzweilige Stücke zwischen Klängen ihrer Heimat, elektronischem Bass und HipHop kreiert. Kommende Woche erscheint ihr Debutalbum und ich wünsche Gladys Samba, Odette Valdemar, Argéa Déodalsy Kimbembe, Jeanny Chance Mbette-Vouala und Nadège Esprérance Miassouamana dass ihre genüssliche Musik laut durch die Straßen und Clubs ballert und genau die Freude auslösen, die in jedem einzelnen Takt zu spüren ist!

 
Hiraki
(sb) Ich wusste ja gar nicht, was mich erwartet und plötzlich schreit mich dieser Mann an. Von der PR-Agentur war ich bislang eher leisere Töne gewöhnt... Nochmal checken. Nee, stimmt schon. Ist tatsächlich Hiraki. Klingt japanisch, stammt aber aus Dänemark. Als Teil der dortigen Underground-Szene im Bereich der düster angehauchten Musik entwickelt das Trio einen aggressiven Stil progressiven Synthpunks. Man gewinnt den Eindruck, der Abgrund sei nah. Die Band präsentiert diesen klanglichen Angriff namens Stumpling Through The Walls (VÖ: heute!), um klarzustellen, dass unsere Welt krank ist und wir alle daran beteiligt sind, die abgefuckten systematischen Strukturen aufrechtzuerhalten. Klar, klingt dramatisch und übertrieben, triffts aber doch auf den Punkt. Auch wenn mich nicht jeder der acht Tracks gepackt hat, so war ich doch sehr positiv von der Energie überrascht, die das Album transportiert.
 
 
Portico Quartet
(sb) 3 Tracks, 40 Minuten Dauer. Zeit spielt für das Portico Quartet wahrlich keine Rolle. Auf die Qualität kommt es an, die Intensität. Auf Terrain (VÖ: 28.05.) lassen Duncan Bellamy, Jack Wyllie und ihre Bandkollegen einmal mehr Jazz und elektronische Elemente zu einer stillen und subtil doch sehr beunruhigenden Einheit verschmelzen.
Terrain I, II & III sind durchaus unterschiedlich, aber ein kurzes rhythmisches Motiv, das sich wiederholt, stellt den Ausgangspunkt in allen drei Sätzen dar. Es gibt ein Gefühl einer gemeinsamen Reise zu all diesen Stücken, sie bewegen sich durch verschiedene Welten, mit einem Gefühl der horizontalen Bewegung, die der Musik echten Schwung verleiht. Terrain I war das erste Stück, an dem die Band arbeitete, beginnend einem hängenden Schlagzeugmuster, das von Bellamy improvisiert wurde, der später auch Becken und Synthesizer hinzufügte. Von da an wuchs es, Wyllie fügte Saxophon, eine weitere Synthesizer-Sektion und Streicher hinzu. Ein Hauch von Soundtrack-Feeling und dennoch so wunderbar eigenständig.
 

Sinoptik
(ms) Erneut erwische ich mich dabei, wie mein eigener Musikkosmos relativ klar gezeichnete Grenzen hat. Nein, von Genregrenzen versuche ich mich zu befreien, aber Ländergrenzen (s.o.) fallen mir aus unterschiedlichsten Gründen schwer zu überschreiten. Klar, die Altbekannten sind an Bord, aber darüber hinaus wird es dünn bei mir. Memo an mich: Mehr Neugier! Heute also Rockmusik aus der Ukraine! Sinoptik heißt die Gruppe, die daheim einige Erfolge zu verzeichnen hat, hier stehen sie noch aus. Der recht klare Rocksound steht der Gruppe gut, doch das Video zu Sell God's Number ist noch etwas besser. Denn einzelne SchülerInnen haben Kontakt zur Band aufgenommen und gefragt, ob sie sie besuchen könnten. Gesagt - getan - Video vor Ort gedreht. Auf Englisch wird den Kindern dieser Schule das Attribut special needs zugeschrieben, hier würde man umständlich von sonderpädagogischem Förderbedarf sprechen. Gähn! Die Kids, die die Korostyshev Boarding School besuchen, haben unterschiedlichste Probleme oder Traumata hinter such, die Hälfte der Kinder wohnt vor Ort, weil sie keine Eltern mehr haben. Was für eine enorme Geste der Band, ihnen so ein schönes Denkmal zu errichten!

 
Bite The Bullet
(ms) Kann man Pop und psychedelischen Sound miteinander verbinden? Ja, klar. Das reine Zusammenführen ist nur ein 1+1. Die Frage, die sich stellt, ist doch viel mehr, ob es aufgeht, harmonisch ist, rund klingt, zugänglich ist?! Genau das machen die Dänen von Bite The Bullet. Sie vereinen Pop mit durchaus psychedelischen Melodien und einer pfiffigen Tanzbarkeit. Heute erscheint ihre nächste Single Let Go Of My Body: funky, im besten Sinne eingängig, gute Laune verbreitend. Das Trio aus dem Norden wird zwar erst im August ihr neues, viertes Album in den Äther blasen, doch so geht die Zeit der Vorfreude noch schneller rum! Zugegeben ist dieser Track schon beinahe melancholisch für ihre sonstigen Verhältnisse. Man sollte es nicht missen auch Lose Myself zu hören - laut!

 
Balmorhea
(sb) Funkhaus Berlin, Saal 3 - Homebase des großartigen Nils Frahm. Ein gutes Pflaster also und genau der richtige Ort, um ein herausragendes Album aufzunehmen. Das dachten sich wohl auch Robert Lowe und Michael A. Muller und so nisteten sich die beiden Texaner in der deutschen Hauptstadt ein, um The Wind (VÖ: heute!) einzuspielen. Was für ein wunderschönes Stück Musik! Balmorhea treffen mit ihren zwölf fantastisch arrangierten Tracks genau meinen Nerv. Die Ruhe, der Bezug zur Natur, dieses Unaufgeregte - welch Wohltat in Zeiten wie diesen. Bitte mehr davon!


Masayoshi Fujita
(ms) Trotz dass ich eineinhalb Instrumente ganz passabel beherrsche und einige Zeit in jedem Fall behaupten konnte auch ganz gut zu singen, gibt es zwei andere Instrumente neben Saxophon und Ukulele, die mich ganz stark begeistern durch ihren reinen Klang. Das eine ist der Kontrabass. Zwar habe ich ihn selten live gehört, doch sein warmer Sound ummantelt mich. Ähnlich zu charakterisieren ist das Vibraphon. Zu eigenen Musikschülerzeiten habe ich es ab und an gehört und war immer fasziniert, wie Menschen mit vier Klöppeln in zwei Händen daran musizieren und es soo gut klingt. Masayoshi Fujita spielt selbstredend in einer eigenen Klasse und fernab der kleinstädtischen Biederkeit. Ende Mai erscheint sein neues Album Bird Ambience, dessen gleichnamige Single nun zu hören, nein, zu genießen ist. Diese unendliche Ruhe. Dieser wohlig warme, tiefe, holzig-organische Klang dieses Wahnsinnsinstruments. Es ist keine Hektik da. Schnell spielen kann jedeR. Wer solch einen Raum einnehmen und ausfüllen kann, sodass man vergnügt die Augen schließt und sich entführen lässt, hat wahrlich Großes geschaffen. Das ist hier der Fall! Bitte. Hören.

Dienstag, 6. April 2021

Mädness - Mäd Love

Foto: Robert Winter
(ms) Nein, ein Experte in Sachen Rap bin ich bei Weitem nicht. Zu viel Gitarrenmusik läuft daheim, um mich wirklich auszukennen und in die Tiefe zu blicken. Hören tu ich jedoch extrem gern, wenn es politisch, ironisch oder provokant ist, bin ich dabei. Doch eine Voraussetzung gibt es immer: Irgendwie originell, klug soll es sein, sonst dümpelt es nur so daher. Dabei laufen dann oft ganz bestimmte Tracks, die ich einfach nicht verstehe. Nein, nicht inhaltlich, sondern von der Intention her: Diese Diss-Tracks. Ich weiß nicht, was das soll. Oft weiß ich auch überhaupt nicht, an wen das geht. Der Ursprung mag in den Battlerap-Sessions liegen, da ist es dann noch vonnöten, wenn man sich gegenüber steht. Aber so auf einer Platte?! Hä?! Klar, man kann sich ständig als der Geilste abfeiern, aber was soll das? Und wen juckt das?

Umso besser, das wir es nun mit einem Album zu tun haben, wo nicht eine Zeile davon auftaucht. Nicht ein Wort. Und dieses fehlende Rumgehacke auf einem nicht anwesenden Gegenüber ist nur eine der vielen Stärken auf Mäd Love, der neuen Platte von Mädness, die am 16. April erscheinen wird.
Ein Album, das sich nur um ihn dreht. Ein Album, das furchtbar ehrlich ist. Ein Album, das jede ach-so-verständliche Schwäche zulässt und offen legt. Ein Album, das nur im ersten Moment spießig und egozentrisch klingen mag, dessen Reife und Mut aber alles überschatten. Man liest von Vorwürfen, wenn KünstlerInnen sich erstmal mit sich selbst beschäftigen. Was für ein irrer Quatsch und wer verlangt hier eigentlich was?! Eben.

Zu Beginn auf 2 Cent wird direkt klar, dass es nur um ihn geht, den Guden. Wird direkt klar, auf welcher Seite er steht: Humanist mit offenen Armen. Wird direkt klar, dass es rein um Rap geht, Passion, Bestimmung und Berufung mit allen Lastern, die es mit sich bringt. Wird direkt klar, dass es reichlich guten Rap gibt, nur leider stehen Capital Bra etc so hoch in den Charts.
Wenn eine Platte sich so um den Schreiber dreht, kommen logischerweise auch tiefe Täler, böse Dämonen hervor. Auf Endlich spricht er von Depression? Auf jeden Fall um Sucht! Natürlich ganz bitter, natürlich richtig gut mit der Erkenntnis, dass jedes Blasinstrument jedes Lied einfach besser macht, richtig starker Beat! Und noch mehr Erkenntnisse: Man muss nicht immer überall am Start sein, es geht auch ohne einen weiter. Man darf sich mal raus nehmen, das Tempo drosseln, eben die Handbremse ziehen. Sehr reif, sehr klug: "Ich möchte nicht arbeiten um Geld zu haben um zu entschleunigen." Bäm!
Einige sehr gute Alben kommen meines Erachtens auch ohne Kooperationen aus. Oft machen sie die Platte aber noch runder, reifer, besser. Wer wäre dazu besser geeignet als Mine?! Eben! Boot ist ein extrem kluger, harter Track. Ja, es gibt eine Menge guter Tipps zum Bestehen einer Beziehung/Liebe, und auch wenn man sie kennt, hält man sich oft nicht dran: "Gemeinsam alleine in einem Boot."
Hier wird sehr gut klar, worum es auf dem Album geht. Nicht inhaltlich, sondern strukturell. Die Beats sind alle sehr gut, fein, ausgewogen. Doch sie drängen sich niemals auf. Man bekommt eher von Zeilen einen Ohrwurm als vom Beat. Der Text steht immer (!) im Vordergrund!
Seine offensichtliche Suchtproblematik wird auf dem nächsten Feature mit Knixx nochmal Klar: Kiffen, Saufen aber nicht zum Spaß, sondern um sich zu betäuben. Hart! Man kann nur den Hut davor ziehen, wie nackt sich Mädness auf diesem Album macht! Das ist die große Stärke eines extrem guten Albums! "Ich komme nicht klar, wenn ich klar bin", heißt ja auch, wie sehr er in der Sucht gehangen hat oder immer noch hängt. Jede einzelne Zeile aus seinem Leben mit seinen wirklichen, existentiellen Problemen ist so viel mehr wert, als jeder billige, nicht nachvollziehbare Diss-Track!

Zum Ende dieses Rapdenkmals gibt's deutliche Mittelfinger für alle Deppen, EkelhAFDen, Solidaritätsfeinden. Klar, kleines Manko: Die Adressaten erreicht so ein Lied niemals. Darf hier egal sein. Dafür ist Mäd Love - schönes Wortspiel übrigens - viel zu stark. Hut ab. Aufdrehen!



Freitag, 2. April 2021

KW 13, 2021: Die luserlounge selektiert

Quelle: br.de
(sb/ms) Bashing ist immer so billig. Aber es macht halt echt Spaß. Also wird jetzt gebasht: Podcasts! Jetzt mal ganz ehrlich! Butter bei die Fische. Wer hört sich das denn alles an? Jeder Depp und jede Deppin macht einen Podcast über alles Mögliche. Was soll das denn?! Ich verstehe es einfach nicht. Und wann soll man sich das alles anhören? Ich komme ja kaum dazu die ganzen Bücher zu lesen, die auf meinem Wunschzettel stehen. Auch wenn die aktuelle C.-Situation ein guter Start dafür wäre, sich dem maßlos hinzugeben, komme ich in diese Welt nicht rein. Es ist ein dichter Urwald geworden, in dem man pausenlos zugelabert wird. Ätzend. Daher fordere ich: Eine Obergrenze für Podcasts, die einzig und allein an Qualität gekoppelt ist. Ist es Schrott, kann es weg. Gibt es das schon mal in ähnlicher Weise, kann es weg. Ganz groß bei diesem Schwachsinn ist die ZEIT mit all ihren Ausläufern. Da gibt's jede Woche aus irgendeinem Ressort gefühlt zehn neue Podcasts. Argh, übel! Weg damit!

Da höre ich doch lieber Musik. Gute Musik. Da ist auch oft viel kürzer. Eben. Luserlounge hier.

The Corrupting Sea
(ms) Ein Album, das tatsächlich nur aus einem einzigen Track besteht?! Ja! Dies ist kein von gestern aufgewärmter Aprilscherz, sondern die objektive Beschreibung. Sight von The Corrupting Sea erscheint am 28. April. Ganz ehrlich: Ich musste mich auch überwinden, längere Zeit zuzuhören. Denn: Es passiert eigentlich überhaupt nichts. Das Album/der Track besteht im Grunde genommen aus einem lang anhaltenden, breiten Grundton, der leicht wabert, ganz leichte Änderungen in der Höhe aufweist. Über diesem Grundnebel schweben verschiedene Klangwolken, die langsam hineinfliegen und dann wieder verschwinden. Sie klingen mal nach Streichern, dann wieder nach Aufnahmen aus dem All. Ja, man könnte das schnell langweilig und irgendwie unkreativ finden. Doch da steckt etwas drin, was sonderbar verlockend ist. Jason T. Lamoreaux, der Mensch hinter dem Projekt, wird sich dabei schon etwas gedacht haben. Durch seinen breiten Drone-Sound soll Sight die Hörenden dazu bewegen sich mit den immer größeren Schwierigkeiten der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Hm, das schafft Musik doch nur selten. Und noch seltener welche, die derart minimalistisch ist. Wie dem auch sei: Ja, man muss sich verdammt noch mal drauf einlassen. Dann ist es durchaus genießbar, insbesondere ohne pseudointellektuelle Ebene!
Da in das Album bislang nicht reinzuhören ist (ist ja auch nur dieses eine Lied), hier etwas Vergleichbares von Lamoreaux, wobei hier verhältnismäßig viel los ist!


Johanna Amelie & Moritz Krämer
(ms) Wenn Text, Intention und Klang zusammen komplett aufgehen, dann ist Musik nicht nur schön, sondern auch sehr klug. Das haben Johanna Amelie und Moritz Krämer zusammen geschafft mit nur einem einzigen Lied: Bunt Hier heißt es. Worum geht es?! Maßlose Sorglosigkeit, Geld im Überfluss und dem Gedanken, dass alles möglich ist. Und genau das wird dann auch gemacht. Goldene Jahre des unhinterfragten wirtschaftlichen Aufschwungs, während man sich nie darum Gedanken gemacht hat, was dem folgen könnte. Die Krise spielt in dem Lied noch gar keine Rolle, sie wird nur ganz zum Schluss in wenigen Worten von Christian Bursch (Tristan Brusch) angedacht, dass das alles auch bald mal vorbei sein muss. Schönes Treibenlassen hört man oft in Liedern. Gekoppelt mit einer gesellschaftlichen Lebenseinstellung habe ich es nur äußerst selten mal vernommen! Daher: Wunderbar, sehr sehr gut! Das Stück ist Teil auf der bald erscheinenden Re-Works EP von Johanna Amelie (VÖ unbekannt). 

 
Krang
(sb) Die Älteren (und Nerdingeren) unter Euch kennen Krang vielleicht noch als Bösewicht bei den Teenage Mutant Ninja Turtles. Wenn das nicht der Fall ist, habt Ihr auch nicht arg viel verpasst und dürft Krang nun völlig unvoreingenommen als tschechische Skatepunk-Band kennenlernen. Herzlichen Glückwunsch! Eins vorweg: Leider singt das Quartett aus Valašské Meziříčí nicht in seiner Heimatsprache, sondern weicht auf Englisch aus, was zwar deutlich besser verständlich ist, dem Ganzen aber etwas den Charme nimmt. Aber das hatte ich ja letzte Woche erst bei CRIM erörtert...
Egal: Musikalisch geht Make Arcade Great Again (VÖ: 16.04.) ordentlich ab und macht Spaß, auch wenn die Texte nicht nur die sonnigen Seiten des Lebens behandeln. Wer auf Bands wie Millencollin oder No Fun At All steht, der wird auch mit Krang seine Freude haben. Anmerkung für alle Nicht-Skater: Die Scheibe macht sich auch beim Autofahren richtig gut, ist aber leider viel zu schnell wieder vorbei.
 

Matze Rossi
(sb) Juhu, Matze Rossi ist wieder da - und wie! Zu Beginn seiner neuen Single Die Vögel fliegen himmelwärts wird's erstmal ordentlich laut und erinnert sogar ein wenig an seine ehemalige Band Tagtraum. Ich muss zwar gestehen, dass mir die Musik des Schweinfurters dann am liebsten ist, wenn sie ruhig daherkommt und man sich besser auf die Texte fokussieren kann, aber auch so steigt die Vorfreude aufs bevorstehende Album Wofür schlägt Dein Herz (VÖ im Juni) ins Unermessliche. Er gehört einfach zu den Guten, der Matze. Als Zuckerl liegt den Deluxe Boxen des Albums drei Golden Tickets bei, mit dem man einen ganz besonderen Preis gewinnen kann. Die Glücklichen dürfen sich auf ein exklusives Online-Konzert, einen extra nach den Wünschen des Gewinners geschriebenen Song oder ein Video des Lieblingsliedes mit persönlicher Widmung freuen. Na wenn das mal kein Anreiz ist, die Box zu kaufen!


Skindred
(ms) Ein paar Mal auf Festivals live gesehen, sodass mit Fug und Recht zu behaupten ist: Niemand sagt so häufig Fuck oder Motherfucker auf der Bühne wie Benji Webbe! Mit seiner Band Skindred weiß er die pogowütige Masse nach allen Regeln der Ansagekunst bestens zu unterhalten! Man kann von so Re-Releases ja halten was man will, daher bewerte ich das jetzt auch gar nicht. Aber: Am 23. April erscheint ihr zweites Album Roots Rock Riot in einer überarbeiteten und erweiterten Version! Vor 14 Jahren erschien die Platte und war der zweite Beweis wie gut das Experimen,t sehr harten Rock mit Gesangselementen aus dem Reggae zu kombinieren, aufgeht. Zum Album, das nun erstmalig auf Vinyl erscheint, kommen drei neue Tracks hinzu. Struggle ist dabei musikalisch natürlich nicht das unbedingte Aushängeschild der Band, aber ein schöner Fingerzeig, dass es auch nicht immer voll auf die Zwölf gehen muss.



Husten
(ms) Ein Herz für verschrobene Projekte! Die Idee war für einige Jahre nur EPs zu veröffentlichen und nie live aufzutreten, stets eine Studioband zu bleiben. Das haben Husten 'leider' nicht geschafft. Der dünne Mann, Gisbert zu Knyphausen und Moses Schneider haben Livetermine angekündigt, die im Nu ausverkauft waren. Schräge Ironie: Sie fanden aufgrund von C. nie statt; Hoffnung gibt es für das kommende Jahr. Bis dahin wieder gute Musik frisch aus den drei kreativen Köpfen. Weit Leuchten Die Felder lässt einen Sound erklingen, der so noch nicht zu hören war, und dennoch (trotzdem?) unfassbar bestechend ist. Ich hadere immer stark damit, wenn im weitesten Sinne GitarrenmusikerInnen stärker auf elektronische Elemente setzen. Doch dieses Trio hat es geschafft, es ist famos geworden! Man muss darin eintauchen, dann kommt man so schnell nicht mehr raus. Das Stück ist garniert mit einem leicht psychedelischen Video, das sehr gut mit der Musik harmoniert!


Eydís Evensen
(ms) Nein, derzeit ist nicht alles unmöglich. Leider ist wieder vieles möglich, das nicht gut und richtig ist, aber das ist ein anderes, politisches Thema. Wir widmen uns hier ja lieber der Kultur. Und auch wenn Konzerte, Releasepartys und Festivals erstmal wie gewohnt nicht stattfinden können, können jedoch all die tollen Ideen und kreativen Ergüsse freien Lauf gelassen werden. So auch die Isländerin
Eydís Evensen, die heute ein neues Lied ihres Albums Bylur, das in zwei Wochen erscheinen wird, veröffentlicht. Ich bin immer schnell ganz angetan, wenn aus einem Musikstück ein Gesamterlebnis wird. Und nicht nur durch die wundervolle, leicht dunkle, zart zerbrechliche Atmosphäre, die es auf Midnight Moon zu hören gibt. Das Stück erscheint samt Video, so weit so normal. Doch die herrliche, langsame, wunderschöne Tanzperformance in schwarz/weiß ist eine gute Einstiegsdroge für alle Eskapisten! Die Pianistin hat ihren Sound auch etwas erweitert, Streicher sind unter anderem zu hören und auch eine Stimme! Ihre Landsfrau GDRN singt dazu - so wunderbar sanft und klar und mit leichtem Weltschmerz. Das ist Kunst!

 

Donnerstag, 1. April 2021

Nils Frahm - Graz

(ms) Still, leise und melancholisch klingt der Sound aus der Vergangenheit. Die Takte und Harmonien mit denen es so richtig angefangen hat. Und dann wiederum doch nicht: 12 Jahre nachdem es eingespielt war, erscheint nun mit Graz das allererste Album von Nils Frahm! Es scheint verrückt zu sein, doch die Platte, die auf dem geschmackvollen Label Erased Tapes erscheinen sollte (und es jetzt auch tut), tat dies nie. Erklärung unbekannt. Es ist bei weitem nicht so breit und tief im Klang und in der Atmosphäre wie seine späteren Werke. Aber irgendwo muss man ja mal anfangen. Dass dieses Album so 'spät' raus kommt, ist ja auch wahnsinnig spannend und zeichnet seinen musikalischen Werdegang rückwärts auf. Und beschert den Hörenden sofort einen Fingerzeig, wie er sich entwickelt hat.

Auch 'damals' schon stach kein Lied besonders heraus (Gegenbeweis folgt gleich). Vielmehr beweist es, dass ihm (wobei ich hier nur spekuliere) die Platte als Ganzes, als lang zu genießende Kunst, wichtig(er) ist. Zum Meditieren oder Entspannen ist es dann doch insgesamt betrachtet zu finster, düster, hoffnungslos. Was aber der Qualität der Platte nichts abtut. Man sieht sich ihr ausgeliefert, ganz langsam und im besten Sinne zäh, schleichend zieht sie mich in einen tiefen, dunklen Wald. Dort ist es lauwarm, aber es lauern dezente Gefahren, von denen ich weiß. Aber von denen ich auch weiß, dass sie mir nichts abhaben werden. Denn die nötige Sicherheit bringen dann doch die ein oder anderen, spärlich aber klug gesetzten Töne aus der rechten Hand. Immer wieder schimmert auch ein kalter Schmerz hindurch, wie eine alte Narbe, die nicht aufhören will zu pochern, wenn die Temperaturen sinken.

Graz ist Teil seiner Abschlussarbeit an der dortigen Kunstuniversität. Sein Produzent Thomas Geiger erhielt in New York sogar einen Preis für diese Aufnahme. Das macht umso stutziger, dass es so lange unter Verschluss blieb. 
Kaum auszudenken, dass aus dem gleichen Musiker später jemand geworden ist, der durchaus leidenschaftlich elektronische Elemente noch und nöcher einsetzt, um ein dichtes Netz aus Klang und Musik zu schaffen. Denn diese seine erste Platte ist enorm pur und sehr klar. Bewahrt sich eigentümlich und kaum in Worte zu fassen davor kalt zu wirken.
Nein, von Fröhlichkeit, und wenn sie noch so klein und unscheinbar wäre, ist hier keine Spur. Es gibt Phasen, Takte da werden die tiefen, linken Tasten des Klaviers passioniert dunkel bearbeitet. Aber es gewittert nie. Es scheppert nicht. Hier haut niemand planlos drauf. Es bleibt immer - immer! - melodiös. So entsteht in den hoffnungszerschmetterten Liedern doch ein rundes, kunstvolles Ganzes. 

Doch auf dem nicht mal zweiminütigen Hammer ist etwas wahrlich aufregendes, neues (auch im Rückspiegel betrachtend) zu hören! Es lässt einen die Augen weit aufreißen und fragen: Warum, warum hat er diese Art zu komponieren, poetisch zu agieren nicht weiter verfolgt?! Denn es bleibt auch auf dieser Veröffentlichung ein Unikat: Seine Stimme ist zu hören. Rasant geloopt und phantastisch in Szene gesetzt! Dicht, pulsierend, einvernehmend! Das muss gehört werden! Sticht vollkommen aus Graz heraus. Setzt sich in ganz neue Sphären ab! "Nils", möchte man ihm zurufen, "mach sowas bitte erneut!" Während beispielsweise Hania Rani später anfing zum Klavier zu singen, so höre Frahm wohl früh auf. So bleibt auf dem Album das nachdrücklichste Lied jenes, auf dem das Saiteninstrument nicht im Vordergrund steht, sondern seine Stimme.
Beim zweiten Hören des Liedes dachte ich tatsächlich, das die Stimmen weg sind. Dass der Zauber hier so groß ist, dass das Lied sich bei einmaligem Hören von selbst auflöst. Zum Glück habe ich mich geirrt. Und zum Glück bringt er es immer wieder auf die Bühne.
Ja, es ist ein gutes Album. Doch so sehr packt sie mich nicht. Auch nicht, wenn es von wem anders ein Debut wäre. Da fehlt mir der Drive, die Spannung, das Dramatische. Nicht für Ungut...

Die Platte erschien bereits am Montag. Ungewöhnlicher Zeitpunkt. Nachvollziehbar dann, wenn man hinzufügt, dass dies der internationale Piano Day ist. Ja, gibt es wohl. Ja, an der Initiierung war Frahm wohl auch selbst beteiligt. Am 21. Mai erscheint das Album dann auch als CD und LP. Jetzt ist es erstmal nur digital zu hören.