Freitag, 11. Oktober 2013

Dave Hause - Devour. 11 Tracks müsst Ihr sein.

(mb) Selbst ein Spielmacher in der untersten Fußballliga hat mehr Übersicht über das Spielgeschehen als  Musikliebhaber über die hiesige Musiklandschaft. Das Dickicht an Indie Szenebands, aufstrebende Rapgötter die auf Club Bühnen reimen oder die nächste Berliner Hipster House Kombo Kommune - ist  schwerer zu überblicken als das Kreuz und Quer auf dem Dorfbolzplatz. Im besten Fall hat der Dorfplatz - Zehner aber auch das musikalische Geschehen ein wenig im Überblick und ist noch dazu dein Freund. Die Suche nach der perfekten Band, dem next big thing schlechthin wird mittlerweile von Musiknerds so masochistisch selbstzerstörerisch zelebriert, dass die ersten 30 Sekunden genug sein müssen, um einen Song als gut oder schlecht zu klassifizeren. Schluss damit! 

Also dieser bayrische Möchtegern Maradonna frägt dann eben beiläufig, ob ich das neue Dave Hause Album schon gehört habe, welches ja am 11.10.2013 erscheinen wird. Natüüüürlich nicht. What the fuck! Wie konnte ich das nicht auf dem Schirm haben?? Dave Hause, seines Zeichens Ex- The Loved Ones Frontsau und Punkgott, mittlerweile auf Solopfaden unterwegs, Institution auf der Revival Tour, hat 2010 seine Singer/ Songwriter Fähigkeiten mit seinem Debüt "Resolutions" eindrucksvoll und nachhaltig unter Beweis gestellt. Nachhaltig deshalb, weil die Platte seit drei Jahren einen Stammplatz auf meinen mp3 Player ergattert hat. Das muss der bayrische Regisseur sich erst noch mit fleißigen Trainingseinsatz erarbeiten...


Immer mehr Bands drängen auf dem Markt. Ich kann mich nicht zwischen "Gott sei Dank" und "Oh mein Gott" als passende Floskel entscheiden. Zu sehr schwanke ich irgendwo zwischen Gutheißung und Verteufelung. Gut, da jede noch so kleine Garagenband durch das Internet eine Plattform bekommen hat, auf welcher man sich relativ kostenfrei und leicht einer breiten Masse präsentieren kann. Schlecht, weil es den Niedergang der wahrhaftig großen Bands und herausragenden Musiker bedeutet, denn jeder der mal eine Saite gezupft hat und so schief wie der Turm von Pisa singt, stellt heutzutage schon ein "Bleeding Love" Cover auf Youtube. Fakt ist, dass die gezielte Selektion von Musik enorm schwierig geworden ist. Die Fülle macht es unmöglich den Überblick zu behalten. Denn ein weiterer Faktor kommt ins Spiel, den man nicht kalkulieren kann: der Zufall. Heute erst habe ich zufällig gelesen, dass "The Fratellis" nach sechs Jahren ihr drittes Album am 11.10.2013 veröffentlichen werden. Alle Fußballfans gröllen immer noch Chelsea Dagger, da gibts nach sechs Jahren eine neue Platte, ohne dass man es mitbekommen hat. Vor lauter Beinen sieht der Spielmacher die Lücke nicht mehr oder vor lauter Musik sieht der Zuhörer die Musikperlen nicht mehr.
Zurück zu Dave Hause. Der bayrische Maradonna brachte vor einer Woche eben das neue Dave Hause Album ins Spiel. Albumstream an. Nach einigen Durchläufen darf zwar bezweifelt werden, dass das Album wie der Vorgänger drei Jahre im iPod verweilen wird, aber ein Stammplatz fürs Erste wird es sich ergattern. "Autism Vaccine Blues" räumt vor der Abwehr sauber mit seinen Sing Along Bretter in bester Gaslight Anthem Manier ab, während "Fathers Son" und "Same Disease" gefährlich eingägig über die außen kommen, während  "Before" das Herzstück ist und elegant dirigiert. Vorne lauert der Star "We could be kings" darauf, Tore zu schießen und die Menge zum Brodeln zu bringen. Allen in allem eine Runde Sache, 11 Tracks sollt ihr sein. Der Name ist zugleich kämpferisch -  "Devour". Das Album frisst einen zwar buchstäblich nicht auf, lässt einem aber auch nicht so schnell  mehr los.



Folgende Quintessenz: Das Gesamtwerk Album muss wieder in den Mittelpunkt geraten wie der Ball zum Anpfiff. Man muss sich einfach (wieder) die Zeit nehmen, Platten zu hören. Denn fragmentierter Musikkonsum ist wie SMS tippen während dem Autofahren - einfach unverantwortlich und Scheiße. Musik fordert die Müßigkeit, sich Zeit zu nehmen, den diese eben künstlerisch berechtigterweise vereinahmt und auch nur dann seine Erhabenheit entfalten kann. Die musikalische Besenkammer fördert nur Halbwissen und Schund zu Tage, den zwei Mitleids Likes auf Facebook vortrefflich statuieren. Keiner kann alles kennen Für die musikalischen Perlen sind dann die Faktoren Zufall, Interesse, Freunde und die luserlounge verantwortlich. Und wenn der bayrische Maradonna selbst mal den Überblick verliert und zwischen dem Beinemeer keine Lücke mehr findet und sein Trainer sich gezwungen fühlt, ihn auswechseln, stehe ich am Spielfeldrand und überreiche ihm einen Kompass. Damit er den Weg zur Kabine findet. Denn Freunde sind ja nicht nur für den musikalischen Support da.

Albumstream Devour hier

Dave Hause - Devour (7/10)
For my homeboy MK with much love.

Sonntag, 6. Oktober 2013

Erdmöbel besingen Kung Fu Fighting. Jetzt echt?!

(ms) "Wir arbeiten so lange an einem Lied, bis es allen aus der Band gefällt." Das ist eine ehrenwerte Aufgabe und man hört von vielen Bands und Musikern, dass sie nach einigen Jahren Abstand von eigenen Liedern nehmen, da sie sie nicht mehr gut finden oder sie einfach nicht mehr passen. Eine harte Aufgabe also, die sehr viel Zeit, Geduld und musikalisches Know-How fordert. Die Kölner Band Erdmöbel haben sich dieses Motto auf ihre Fahnen geschrieben und ernten seit Jahren höchste, allerhöchste Loblieder nicht nur aus den gängigen Musikfachzeitschriften sondern in einer gefühlt noch höheren Anzahl aus den etablierten Feuilletons der ZEIT, Welt, FAZ und, und, und...

Quelle: erdmoebel.de
Nun gibt es ein neues Album von Wolfgang Proppe, Ekimas, Markus Berges und Christian Wübben. Es hört auf den Namen "Kung Fu Fighting". Was soll das denn? Eine Hymne auf Carl Douglas? Ist das denn mit ihm abgestimmt? Doch wer die gleichnamige Single kennt, weiß, dass es damit überhaupt nichts zu tun hat. Nachdem sie vor einigen Jahren ein Album mit Coversongs rausbrachten, hätte man dies zumindest vermuten können.
Aber jetzt mal von vorne.
Fangen wir beim Klang an. Und hier kommt die erste von vielen Schwierigkeiten, die diese Band ans Tageslicht bringt. Diese vier Musiker sind nämlich so unsagbar gut und mischen diverse Sounds aus unterschiedlichen Stilen miteinander, dass es unmöglich scheint, den Erdmöbel-Klang in ein Wort zu packen. Pop ist zu wenig. Easy Listening, Sixties, Boogie oder doch schon am Schlager angeeckt? Nein, alles nicht. Und doch alles zugleich eventuell. Man muss es hören und dann begreifen, dass Erdmöbel etwas Eigenes geschaffen haben, das so gut ist, dass es sich zum Glück in keine Schublade stecken lässt. Neben der klassischen Besetzung Schlagzeug, Gitarre, Bass, Klavier, Gesang nehmen die Posaune und seit diesem Album die Querflöte einen großen Teil an. Und es passt hervorragend.

Quelle: egofm.de
Schwierigkeit Nr. 2: Die Texte. Hier schafft es Markus Berges doch tatsächlich in zeitgenössische Musik und ihre Texte Vokabeln à la "Schiffsschraubenschaum", "Batmans Prothesen", "Hauhechelbläulinge", "Ypsiloneulen", Kaffeesatzversicherung", "Glutamatcracker" und, und, und, einzubauen. Wahnsinn! Da die Musik sehr gut ins Ohr geht und gerne auch mal dort bleibt, braucht man einige ruhige Momente, um sich die Texte durchzulesen. Wenn man sie dann noch versteht: Hut ab! Berges nimmt den Höhrer nicht nur mit auf eine Reise an unterschiedliche Orte, wie nach Oer-Erkenschwick, Emsdetten oder Guangzhou, sondern er fordert auch viel vom Höhrer. Für das Lied "Vivian Maier" sollte man eben schon wissen, wer das ist. Und dass es sich dabei um eine amerikanische Underground-Fotographin handelt, deren Werk erst posthum  bekannt wurde, ist der nächste Schritt.
Hier sei angemerkt, dass es Zeit braucht, um irgendwann mal die Lieder mitzusingen. Das ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch der Grund, warum die Band von Intellektuellen mehr wahrgenommen wird als vom Indie-Kid.

Eine weitere Devise der Kölner ist, dass das nächste Album immer besser sein soll, als das vorherige. Nun war "Krokus" von 2010 ein unfassbar geniales Album. Kann "Kung Fu Fighting" da mithalten?! Eine gute Frage. Für ein abschließendes Fazit kann man für das Album als allein stehendes sagen: Ein weiteres großes Album, das der deutschsprachigen Popmusik voranläuft und als Maßstab gelten sollte.

Anspieltipps: "Blinker", "Kung Fu Fighting", "Zollstockbad"

Die luserlounge meint: 9/10!


Dienstag, 1. Oktober 2013

Casper & Harry G über das Hinterland & die Wiesn.

(mb) Wenns Wasser kocht, miassn de Gnedl nei. Man sagt, ein guter Mann trinkt nicht. Sagt Casper. Auf der jährlichen Wiesn, für die Preißn: Oktoberfest, kommt man als Einheimischer nur schwer vorbei. Es sei denn, man steigt über die Berge kotzenden Australier, die den Wegesrand säumen. Ein Spießrutenlauf, welcher aus der Vogelperspektive betrachtet, schon lange nicht mehr allzu viel mit Folklore und Brauchtum zu tun hat. Die wahre Utopie besteht darin, für sich auf der Festwiese zu bleiben. Es findet sich immer a Australier, der einen fragt "how´s it going", jemand für küchenpsychologische Gespräche beim Legebatterie Brunzen und als Stütze, wenn man wieder über den Tisch der Blondinen in den Ausschnitt speibt.  Manchmal läuft einem auch a Preiß einfach so mit seinem Schädl in den Maßkrug nei, ach Gottchen die sind aber auch immer so unachtsam.
juice.de

Harry G stilisiert momentan den alljährlichen Wiesnfasching vortrefflich und wenn man nicht gerade seinen Schimpftiraden lauscht, Humtata Beats oder schief gesungene "Hey Baby"-Hooks in den Ohren hat – dann eben das neue Casper Album – auch mit schief gesungen Hooks. Dieser ist mit seiner Dohlenstimme definitiv gesanglich limitiert, gleicht aber seine Tiefen mit den Höhen der rhetorischen Ausdruckskraft aus, denn "man gibt uns gut zu verstehen: Die leeren Gläser der Theken sind beste Lupen aufs Leben." Oder bringt es vortrefflich auf den Punkt, indem er die größte Angst eines in westlichen Gefilden ansässigen Mittelklassehipsters mit Hornbrille und MacBook bennent: die Mittelmäßigkeit.


Das neue Album ist poppiger, fröhlicher, folkiger. Der junge Herr aus Bielefeld hat mit „Hinterland“ aber vor allem eines geschaffen: ein Facettenreichtum, das seines gleichen in der Hip-Hop-Kultur finden muss. Oder kann man da überhaupt noch von Hip Hop sprechen? So viel Abwechslung verschlägt einem direkt die Sprache wie sonst nur nach fünf Maß Bier oder Australier nach zwei. „Jambalaya“ haut richtig derbe in die Bassspur alá „ich hab die dickste Hose an“ –  während „Ariel“ verblüffend ehrlich um die Ecke kommt  und „20qm“ die Magengegend einschnürt, so poetisch zutreffend ist das Stück. „Ganz schön okay“ ist eine wahre Liebeserklärung an das Aufrechterhalten und Zusammentreffen alter Freundschaften. Mit Bier. Wie Wiesn, Oida. 

Und jetzt auf die Wiesn. Australier fliegen nackert über die Bänke, alte Freunde liegen sich in den Armen. Die Münchner Schickeria zieht weiter ins 1er. Bevor ich sehe, wie sich die Lackaffen mit Nepukadnezar Flaschen für 2.1k vor meiner Nase zuprosten, die alle ein neckisches Halstuch umhaben, hau ich lieber Richtung Bahnhof ab und warte auf den Zug ins bayrische Hinterland. Geliebtes, verdammtes Hinterland. Am Heimatbahnhof angekommen sagen sich Hund & Katz noch gute Nacht, die Zeit vergeht anscheinend nicht. „Wir kommen mit dem allerletzten (Zug). Schnick schnack Schnuck, wer zur Tankstelle muss“. Die Dudes sind auch alle am Start. Ganz schön okay. Man sagt ein guter Mann trinkt nicht. Stimmt nicht. Wenigstens mit einer Sache hat Casper unrecht.

Mehr als nur ganz schön ok. Casper - Hinterland Album: 9/10 

Highlights: alles bis auf „Alles endet (aber nie die Musik)“ und „Nach der Demo gings bergab“