Freitag, 30. Juni 2023

Kapa Tult - Es Schmeckt Nicht

(Ms) Je länger ich Musik höre, desto mehr finde ich doof. Ich bin richtig gut im dooffinden. Das geht mitunter sehr, sehr schnell. Natürlich sind alle Bands und Lieder, die uns zugespielt werden, in den jeweiligen Mails großartig. Klar, sie sollen beworben werden, damit wir wiederum darüber berichten. Aber ganz unter uns: Da ist echt viel Schrott dabei. Dabei gibt es so viel gute Musik. Sogar sehr gute Musik. Sie muss halt nur gefunden werden. Und bei Kapa Tult kam richtig viel zusammen, was mich sofort begeistert hat. Das ist leider wichtig geworden. Das Sofort. Finde ich etwas sofort kacke, bleibt es für mich (erstmal) kacke. Finde ich etwas sofort super, dann sind die Chancen auch gut, dass das anhält. Folgendes finde ich bei Kapa Tult seit dem ersten Hören richtig stark: den Namen, die Stimme, die rotzige Art der Musik, die sehr klugen, witzigen, ehrlichen, wunderbaren Texte und die feine Ironie, die immer wieder durch schielt, auch wenn viele ernste Themen dabei sind. Heißt: Hier wird richtig fein getextet, sehr umsichtig. Und das finde ich beachtlich. Das ist ja auch die Krux an deutschsprachigen Texten: Wir verstehen sie sofort. Englische Texte können platt und grausam sein, vielleicht finde ich die Musik trotzdem gut, weil ich über den Text hinweghören kann. Das geht in der Muttersprache halt nur ganz schwer. Und bei Kapa Tult geht das so leicht, weil sie mich treffen mit ihrer Musik, ihren Zeilen!
Wird dann im Zuge einer Veröffentlichung mehr über eine Band geschrieben, kommt es zu Vergleichen. Normal. Stark finde ich, dass der Kultur-Highend-Newsletter vom ZeitMagazin über die Band geschrieben hat. Dort wurden sie mit Wir Sind Helden verglichen. Puh! Das passt leider gar nicht. Denn weder in der Musik, noch in den Texten sind Parallelen zu finden. Die Helden waren sehr poetisch, Kapa Tult sind wunderbar feministisch und ehrlich in ihren Texten und Forderungen. Es geht viel um das Verhältnis von Körper zur Gesellschaft. Von der eigenen zur anderen Lust. Und der knallharten Aufgabe, gesellschaftliche Konventionen nicht an sich heranzulassen. Mal packt man es, mal nicht. Und wenn in der PR-Nachricht vom (zugegeben hinkenden Vergleich) zu Die Ärzte gesprochen wird, ist es halt nur PR-Sprech.

Nein, Kapa Tult sind eine eigene Liga. Und eine ganz herausragende, die unglaublich viel Spaß macht. Auf ihrem Album Es Schmeckt Nicht, das vergangenen Freitag (23. Juni) herauskam, sind dreizehn Stücke zu finden. Die finde ich wirklich stark. Beispielhaft lege ich euch einige ans Herz. Lasst sie bitte in Eures hinein. Zum Beispiel das wunderbare Menschen (Denen Es Gut Geht). Ha, es hat mir direkt ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Zum Einen, weil sie im Refrain herrlich mit dem Zeilenbruch arbeiten und auf der anderen Seite möglicherweise die ganz schlimme Frage „Alles Gut?!“, über die ich mich hier auch schon zu recht aufgeregt habe, aufs Korn nehmen. Inklusive Ohrwurmgarantie. Oder es geht vielleicht um oberflächliche Fröhlichkeit. Und die Herzen im Hintergrund sind tief zerbrochen. Das fällt direkt auf: Einige Texte lassen keine weitere Interpretation zu. Andere schon. Ein toller Mix! Auf diesem Album geht es viel um Liebe. Die, die glänzt. Die, die nur von einem ausgeht. Die, die vielleicht nur im Kopf stattfindet. Oder es geht einfach nur um Sex, der Spaß macht. Und die eine will mehr, der andere weniger. Alle sind unglücklich. Wichtig ist, dass das Thema behandelt wird. Sex ist schön und macht Spaß. Und ein One Night Stand ist auch vollkommen in Ordnung. Wenn es allen klar ist. Denn dann passiert eventuell das, was in Kaffee Und Was Süßes vorkommt. Für den einen ist der Sex, die Nähe, das gute Gefühl alles. Für andere ein schöner Moment und mehr nicht. Ja, auf dieser Platte geht es um das Verhältnis zwischen uns Menschen. Um Beziehungen. Um Freundschaft. Die funktioniert zwischen Mädels und Jungs auch. Ohne Verliebtsein. Das klappt. Davon zeugt sehr der gitarrenlastige Track Ich Hab Einen Freund, Den Ich Von Einer Party Kenn. Diesen Track habe ich sofort, und bei allen unzähligen Durchläufen danach sehr laut gestellt!

Klar, die herrliche Geschichte in Leck Mich ist großartig. Ironisch, ehrlich, bissig. Straßenbahn ist ein bitterer Einblick in den Alltag zwischen Menschen. Cigarettes After Sex ist kein Lied über eine Band. Undundund…
Kapa Tult haben nichts mit den Ärzten zu tun. Oder mit Wir Sind Helden. Vielleicht sind sie ein wenig verwandt mit Schnipo Schranke. Aber das sei auch alles wirklich egal. Denn was zählt, ist ein krachendes Debut, das auf unzähligen Ebenen Spaß macht. Es ist ein empowerndes Manifest. Es ist kompromissloser Indiepunkrock. Es ist eine ganz phantastische Platte, die sich jetzt schon zu dem besten gesellt, was ich dieses Jahr gehört habe!


Freitag, 23. Juni 2023

KW 25, 2023: Die luserlounge selektiert

Quelle: de.Wikipedia.org
(Sb/ms) Seit zwei, drei Wochen gibt es im Garten eine Gurkenpflanze. Sie wurde so eingepflanzt, dass sie schon eine kleine Furcht am Stiel hängen hatte. Leider schien diese zu nah am Boden zu sein oder zu viel Wasser am Anfang oderoderoder. Leider ist diese ganz kleine Gurke nicht weit gekommen. Aber an einer anderen, weiter oben verorteten Stelle geht diese Pflanze ziemlich ab. Fast jeden Tag mache ich ein Foto von der danach gewachsenen Gurke. Erst war es ein zartes kleines Ding. Dann wurde sie langsam so groß wie ein kleiner Finger. Doch mittlerweile ist sie gar nicht mehr zu halten, die massive Sonneneinstrahlung scheint ihr zu gefallen. Gurki, wie ich sie liebevoll nenne, setzt an, wird langsam fett! Es macht ungeheuer viel Freude, diesem kleinen Pflänzchen beim Wachsen zuzuschauen. Und ja, ich freue mich schon, wenn sie dann auf dem Teller liegt!

Buntspecht
(Ms) Spontan entdeckte Musik und direkt für gut empfunden. So geht es mir mit Buntspecht. Die österreichische Band spielte letztes Jahr auf dem Kultursommer in Oldenburg. Ich las nur etwas von unbeschwerter Musik zum Tanzen und ich erinnere mich, dass ich an dem Abend genau das brauchte. Und es ging komplett auf - welch Glück! Kurze Zeit später sah ich sie dann noch beim Appletree und hatte ein weiteres schönes Konzerterlebnis verbucht. Nun hat die Band einen neuen Track draußen. Mojo Rising ist locker, leicht, witzig und ein super Sommerhit, wenn es sowas überhaupt noch gibt. Immerhin sogar mit Tanz dazu, da kann sich also niemand beschweren! Das Lied ist eine Hymne auf die Führerscheinlosen und Mitfahrenden! Am 27. Oktober kommt das neue Album An Das Gestern, Das Nie Morgen Wurden Darfte. Ich Warte, das sicher genauso wunderbar wird wie die Sprachspieleri im Titel!


Casper
(sb) Mit Rap hat die neue Single von Casper nur noch wenig zu tun, aber vielleicht ist es gerade das, was sie so besonders macht. Seit Tagen läuft emma bei mir rauf und runter, berührt mich und lässt mich verzaubert zurück. Was für ein ergreifender Text, von dem sich wahrscheinlich einige von uns angesprochen fühlen dürften, oder? Nicht gekünstelt, aber ganz große Kunst, die durch das hervorragende Video auch noch gekonnt untermalt wird. Gänsehaut, Baby! Der beste Beweis, dass in Bielefeld nicht alles den Bach runter geht. Und ich glaube fest daran, dass auch die Arminia eines Tages wieder erstrahlen wird...


 
Die Zärtlichkeit
(Ms) Was bringen eigentlich Vergleiche in der Musik? Ich glaube, dass das relativ schnell beantwortet ist. Denn ein Vergleich kann über die Frage entscheiden, ob ich draufklicke oder eben nicht. Wenn man nun die Gruppe Die Zärtlichkeit vergleicht mit einer sehr romantischen Version von Tocotronic mit dem sanften Sound der 80er Jahre, dann könnte man halt abgeschreckt oder neugierig werden. Doch genau daran muss ich denken, wenn ich ihre neue Single Ein Kurzer Weg höre. Insbesondere die catchy Synthies-Töne und die ungeheuer leichte Schwingung, die durch das Lied strömen, packen mich. Der Text mag auch etwas kitschig daher kommen, aber ich finde es einfach nur schön, erinnert mich an einige Stücke, die in den 00er Jahren zu hören waren. Eine Zeit, die mich musikalisch sozialisiert hat. Hier kommt also einiges zusammen, das gut werden kann. Mehr davon gibt es am 8. September. Denn dann erscheint mit Heimweh Meisterwerke das erste Album der Kölner Platte auf dem sehr guten Label Tapete Records. Viele Gründe nun, um hier zu klicken:


Kaizers Orchestra
(Ms) Über das große Comeback von Kaizers Orchestra haben wir bereits berichtet. Würde man mich spontan nach einer großen norwegischen Rockband fragen, müsste ich neben dieser passen. Da fällt mir nichts ein (Google nennt mit A-Ha, Motorpsycho oder Kvelertak, aber das geht halt auch nur mit Hilfe). Zehn Jahre hat die Band pausiert. Das ist wahnsinnig lang. Vor zehn Jahren steckte ich in unbeschwerten Zeiten meines Studiums, wo die Nächte wichtiger als die Tage waren. Woher nimmt man dann die Energie, an einem beendeten Punkt weiter zu machen? Das ist doch eine große Herausforderung, oder? So stelle ich es mir zumindest vor. Und man läuft eventuell Gefahr, dass man nicht mehr so klingt, wie die Fans es sich wünschen oder erwarten. Doch sie sind halt Profis und haben es mit Dine Gamle Dager Er Nå reibungslos geschafft, am Kaizers-Sound anzuknüpfen, ihn fortzuführen. So, als ob man nie auf die Idee kommen würde, dass das letzte neue Material zehn Jahre her ist. Insbesondere die Bläser erschaffen in meinen Ohren eine ungeheuer spannende Dramatik. Da geht doch noch mehr, oder? Wenn die Band ihre 56 Shows in Norwegen gespielt hat, darf sie gerne hier wieder vorbeischauen!


Ernst Molden
(sb) Ich weiß nicht, ob der große Nick Cave seinen österreichischen Kollegen Ernst Molden kennt, aber wenn, dann würde er ihn vermutlich lieben. Dieses Düstere, Morbide, das die Musik des Wieners ohnehin schon begleitet, wird auf Möadanumman rein thematisch nochmal verstärkt. Für den Podcast Klenk + Reiter, in dem der Chefredakteur des FALTER,  Florian Klenk, mit dem Gerichtsmediziner Christian Reiter über Unfassbares aus der Welt der Gewaltverbrechen und der damit verbundenen Sterblichkeit spricht, schrieb der Künstler zwölf Lieder. Songs vom Seziertisch, aus der Unterwelt, vom Tatort und aus dem Versteck. Molden selbst beschreibt sein neues Album so:
 
"Es sind zwölf gesungene Krimis, wobei, eher von der melancholischen Sorte. Warum? Es hilft nichts: Am Ende noch so faszinierender Verbrechen bleiben die Scherben der Gewalt, das Leid, die Klage."
 
Unterhaltsamer wurde der Tod bislang selten präsentiert. Ganz, ganz stark!
 

 
YELKA
(Ms) So langsam fängt es an: Ich arbeite mich an dem Thema Krautrock ab. Aber nicht mit den ersten Ermüdungserscheinungen, sondern mit immer stärker werdender Neugier und Faszination. Bis vor Kurzem dachte ich auch, dass dieses Genre irgendwie abgeschlossen ist, dass es in seiner retrospektiven Hochphase populär genug war. Weit gefehlt! Es lebt weiter sozusagen. YELKA aus Berlin sind der lebende Beweis dafür und zeigen eine irre Produktivität. Zehn Alben in drei Jahren! Was für eine Schlagzahl und ich dachte Portugal. The Man oder Mandio Diao waren krass, als sie mal ein paar Jahre hintereinander Alben veröffentlichten. YELKA ist ein Trio, das auf ihrem neuen Album 1976 auch links und rechts von Krautrock geguckt haben. Ein wenig Beat und Jazz, ein bisschen Disco, aber im Grunde genommen bleibt es bei der guten, alten Krautmusik. Sie ist und bleibt reduziert und zeichnet sich durch ihre hypnotischen Wiederholungen aus und durch wenig bis gar keinen Gesang. Manchmal is Sängerin Yelka Wehmeier zu hören, ein erfrischendes Element. Was mich bei der Platte so fasziniert, ist, die wunderbare Wirkung dieser Musik scheinbar nicht nachlässt. Dem liegt eine wunderbare Mystik inne. Stundenlang könnte ich das hören, ohne dass es in seiner fabelhaften Einfachheit langweilig wird. Das ist Kunst, zweifelsohne!


Love A
(Ms) Gut Ding hat Weile. Und Geduld zahlt sich aus. Die Zeit heilt alle Wunden. Ja, ja. Ich höre ja schon auf. Aber: In all dem steckt immer ein Funken Wahrheit, das lässt sich auch nicht leugnen. Insbesondere der dritte Kalenderspruch ist bei Love A leider wahr geworden. Letztes Jahr wollte die Band zu ihrem tollen aktuellen Album Meisenstaat eine Tour spielen, aber die Gesundheit wollte nicht so recht. Nun gibt es Gewissheit: Alle sind fit und die Termine stehen. Endlich kann die Platte aus dem letzten Jahr auf die Bühne. Endlich kann diese herausragende Band live wieder zeigen, was sie kann. Ich persönlich bin großer Fan von Jörkk Mechenbiers Texten. Die Geschichten, die er vertont, sind so nah am Herzen. Sie geben ganz viel Raum, um sie sich anzueignen. Das schafft eine hohe Identifizierung mit dem, was dann auf den Bühnen stattfinden wird. Und meines Erachtens kommt es ganz stark darauf an! Live will ich eins werden mit dem, was mir die Band gibt, spielt, zubrüllt. Ich will es fühlen, spüren, leben. Und genau das schafft Love A mit ihren Liedern. Boah, hab ich Bock, den Herbst kann ich kaum noch abwarten!

15.09.23 Berlin, SO36
28.09.23 Stuttgart, clubCANN
29.09.23 CH-Zürich, Dynamo
06.10.23 Köln, Gebäude 9
28.10.23 Essen, Zeche Carl
17.11.23 Hannover, Faust
18.11.23 Nürnberg, zBau
01.12.23 Hamburg, Uebel & Gefährlich

Mittwoch, 21. Juni 2023

Brandt Brauer Frick - Multi Faith Prayer Room

Foto: Felix Basser
(Ms) Ab und an muss ich daran denken, wie ich mich selbst auf irgendwelchen Portalen beschreibe oder beschrieben habe. Insbesondere in einer Zeit, in der man irgendwie cool sein wollte, bestand man ja schon darauf, gewisse Fahnen hochzuhalten. Was habe ich einige Jahre lang gepredigt, dass für mich an Indierock kein Weg dran vorbei geht. Voll borniert und tunnelblickartig aber es sollte das persönliche Aushängeschild sein.

Ein Glück, dass ich nicht mehr 16, 18 oder 21 bin. Ein Glück, dass Neugier ein ganz wichtiger Bestandteil meines Musikhörens geworden ist. Klar, Indierock finde ich immer noch geil. Aber halt auch ganz viele andere Sachen. Jazz. Krautrock. Neoklassik. Und zunehmend elektronische Musik, die mich lange Zeit gar nicht so sehr gepackt hat. Doch als ich schon vor ein paar Jahren das erste Mal Brandt Brauer Frick gehört habe, war es um mich geschehen. Ja, sie packen mich. Zum Einen ist es ihr theoretischer Ansatz, zum Anderen der Groove, der in ihrer Musik steckt. Und auch, dass sie wenig festgelegt sind. Ja, die Experimentierfreude steht dem Trio in den Namen geschrieben. Die drei klassisch ausgebildeten Musiker spielen Techno. In ihrem Studio sind sie zu dritt, auf der Bühne holen sie sich teils zehnköpfige Unterstützung dazu. Will sagen: Diese Band spielt Techno mit Instrumenten live! Wie genial ist das denn?! Und das noch mit so viel Know-How! Das beeindruckt mich! Und es geht voll auf!

Anfang des Monats ist ihr neues Album Multi Faith Prayer Room erschienen. Wenn ich richtig informiert bin, eine Räumlichkeit, die vor allem an Flughäfen zu finden ist. Auch dort kommt viel zusammen. Erwartungen, Konventionen, Tradition, Praktik. Ja, dafür stehen die drei Herren auch mit ihrer Musik! Vielfalt. Das scheint der Wegweiser für diese Platte zu sein. Kaum zu glauben, wie abwechslungsreich dieses Album ist. Instrumentale Stücke geben sich denen mit Gesang die Klinke in die Hand. Und es geht richtig gut auf. In seiner ganzen Mannigfaltigkeit ist dieses Album sehr, sehr rund. Mal kommt mehr Tempo, dann nimmt es sich wieder zurück. Das bleibende Element ist, dass dies hier wahnsinnig tanzbar ist. Und das sogar in seiner Komplexität. Also, das hier ist bei weitem kein 90er Techno; ich glaube, von dieser Vorstellung sollte man sich schleunigst verabschieden. Hier wird viel ausprobiert und nicht verworfen, sondern daran festgehalten. Das macht sich sehr gut in Liedern wie Soba bemerkbar, wo der Gesang von Kim_I eher Rhythmus ist als dass sie eine Geschichte erzählt, zumindest nicht mit Worten. Auch andere Gäste bekommen Raum. Sophie Hunger zum Beispiel, die auf This Feeling dem Album einen wunderbar poppigen Anstrich gibt, ohne austauschbar zu klingen. In meinen Ohren sind die instrumentalen Stücke jedoch diejenigen, die am besten knallen, die Spaß machen, die die Neugier zum brodeln bringen, wie das ganze denn wohl live erklingen wird. Perpetuate ist ein gutes Beispiel. Es mäandert, wird immer enger, dichter. Man fragt sich, wann es aufgelöst wird, das Lied spannt die Zuhörenden auf die Folter! Aber halt in geil. Das sollte dringend laut gestellt werden. Dieses Lied zieht mich mit seiner Einfachheit in den Bann und ich verliere mich darin. Dann hat Musik doch ganz viel erreicht, oder? Wenn ich dazu die Augen schließe, darin aufgehe, es genieße, Raum und Zeit vergesse. Das schaffen Brandt Brauer Frick auf ihrem neuen Album an unzähligen Stellen! Klassischer Techno, vielleicht schreibe ich das bald in meine Profile…

Freitag, 16. Juni 2023

KW 24, 2023: Die luserlounge selektiert

Quelle: de.Wikipedia.org
(Sb/ms) Ruhe am Morgen ist wirklich essentiell. Ist sie nicht vorhanden, kann man den Rest des Tages auch in die Tonne kloppen. Das geht los beim entspannten Kaffee und auch der Arbeitsweg ist entscheidend. Er startet durch ein leises Wohngebiet, 30er Zone und einige Einfamilienhäuser und ich radel da so durch. Die Sonne strahlt um sieben Uhr schon hell und plötzlich hupt mich von hinten jemand aus dem Weg. Was um alles in der Welt soll das?! Brettert diese Idiotin sicher mit mehr als dreißig Stundenkilometer durch die morgendliche Ruhe und stört sicher auch den ein oder anderen Vogel, der noch pennt. Genauso wie meine linke Hirnhälfte. Dreist ist es obendrein. Und an der nächsten Ampel hatte ich sie eh wieder eingeholt. Natürlich schüttelte ich mit dem Kopf nach der frühen Ruhestörung, natürlich gestikulierte sie auch wild in ihrer Blechschüssel. Oh je. Was ist da nur los am Morgen. Ich will doch nur entspannt durch die Gegend fahren. Vielleicht hilft ihr ja ein wenig gute Musik: 

Sigur Rós
(Ms) PENG! Diese Überraschung ist wirklich gelungen! Ja, damit habe ich nicht gerechnet. Es gab keine Anhaltspunkte, außer eine ausgedehnte Tour durch Europa und Nordamerika. Aber das haben sie ja letztes Jahr auch schon gemacht. Fassen wir es kurz: Heute (!) haben Sigur Rós ein neues Album veröffentlicht. Ohne Ankündigung, ohne Werbung, ohne PR, ohne alles. Zack - ÁTTA ist draußen. Nach zehn Jahren ist es ihr erstes Album. Zwischenzeitlich sind erste Gerüchte aufgekommen, dass die Band nicht mehr existiert, zu viele Komplikationen in der Besetzung. Doch dann nahm das Ganze letztes Jahr erstaunliche Geschwindigkeit an. Erst im Frühjahr die Ankündigung einer Weltrournee, auf der erste neue Lieder zu hören waren. Auf zwei der Konzerte war ich und war auch etwas skeptisch, was das neue Material anbelangt, denn es war äußerst sphärisch, ganz weit am Rande des Schaffens der isländischen Band. Am Mittwoch erschien mit Blóðberg der erste neue Song als Studioversion. Und siehe da: Es klingt ganz nach Valtari-Zeiten. Sehr zurückgenommen, sehr klar, sehr sanft, sehr reduziert. Im Grunde genommen ist nur Jónsis Stimme und Musik von Streichern zu vernehmen. Zu dem recht langen Lied ist ein bedrückendes Video zu sehen. So münden die ersten Eindrücke in großem Weltschmerz, Überforderung zwischen Klimakrise, Kriegen, wirtschaftlicher Unsicherheit im Globalen und eventuellem Schmerz im Privaten. Das ist natürlich nur Spekulation, aber möglich. In das ganze Album habe ich noch nicht rein gehört, aber eine ausführliche Review erscheint hier in den kommenden Tagen!


Monta
(Ms) Ja, er ist wieder da. Nein, das stimmt so ja gar nicht. Tobias Kuhn war nie weg, vielleicht war er in den letzten Jahren präsenter als je zu vor, aber nur halt in einer neuen Rolle. Seine Rolle als aktiver Musiker, Texter, Sänger auf der Bühne, wie er sie zu Miles oder bei Monta einige Jahre praktiziert hat, pausierte. Stattdessen stand er viel in Studios. Mit Thees Uhlmann, den Toten Hosen, The Kooks. Doch Monta war nie ein abgeschlossenes Kapitel, auch wenn es jahrelang keine neuen Lieder gab. Nun ist es soweit. Nach Dragonfly ist jetzt Julia zu hören. Und damit auch ganz deutlich, dass er sich vom früheren Monta-Sound weg bewegt hat. Die krasse, schwere Melancholie ist verschwunden, die Langsamkeit, die Schwelgerei. Das finde ich persönlich ziemlich schade, da genau diese Art der Interpretation sehr charakteristisch war. Nun ist viel Akustikgitarre zu hören, kaum Rhythmus oder Bass. Und alles ist leichter, einfacher, schwereloser. Anlass für die neuen Lieder war ein Haufen alter Filme aus Kuhns Kindheit, die über einen alten Freund wieder aufgetaucht sind. Wunderbar, eine wirklich schöne Geschichte. Toll auch, dass es weitergeht mit Monta. Im Herbst soll ein neues Album kommen. Das erste nach 15 Jahren! Die Freude ist groß!


Dope Lemon
(Ms) Zugegebener Weise catcht mich die Musik von Dope Lemon gar nicht mal so sehr. Aber ich muss doch den Hut davor ziehen. Denn wie unfassbar entspannt kann man eigentlich sein?! Das ist kaum auszuhalten. Und das macht Angus Stone schon eine ganze Weile so. Im Grunde genommen gibt es wenig Abwechslung in seinen Liedern. Aber das muss man auch erstmal hinbekommen. Erst letztes Jahr gab es ein neues Album. Rose Pink Cadillac war schon enorm zurück gelehnt. Und er knüpft genau an diesem Sound und dieser Gelassenheit an. Kimosabè ist nicht nur der Titel der neuen Platte, sondern auch der der ersten Single. Am ersten September erscheint es und bring am Spätsommer nochmal herrlich urlaubige Musik!


Alex Lahey
(Ms) Ist die große Zeit des Indierock eigentlich vorbei? Ich weiß es gar nicht so genau. Wenn ich neue Musik anhöre, dann wünsche ich mir oftmals, dass es wuchtig zugeht. Und zwar ab dem ersten Takt. Es soll direkt elektrisieren. Eher habe ich das Gefühl, dass einiges an neuer Musik sehr kompliziert gemacht wird oder das packende Etwas nicht dabei ist. Nun bin ich zufällig über Alex Lahey gestolpert und das macht direkt richtig Bock! Ich kannte die Musikerin vorher nicht, aber nun ist alles klar. Alle Instrumente bitte kraftvoll spielen, keine unnötigen Schnörkel hinein arrangieren, sondern schön geradlinig und mit Power. Das Ergebnis ist unter anderem On The Way Down, ein Track, der drei Minuten und vierundvierzig Sekunden zwischen Indierock und Skatepunk oszilliert. Bitte mehr davon!


Erobique
(Ms) Im Fußball würde man sagen, er ist ein Allrounder. In der Kunst, in der wir uns hier befinden, ist er ein Tausendsassa. Ja, ein Genie. Carsten Meyer ist nicht nur ein super Soundtracklieferant, sondern auch Hitmaschine und Entertainer. Stromberg, Tatortreiniger, Urlaub in Italien, alles ist dabei. Und mit seiner augenzwinkernden Musik macht er als Erobique kompromisslos weiter. Ebenso konsequent ist er in einem gewissen Grad der Unkompliziertheit deiner Musik. Verkackt ist natürlich nicht nur ein super Name für ein Musikstück, sondern auch herrlich simpel. Und schaut man sich die vielen ernüchternden Überschriften der Nachrichten an, ist dieses Lied leider auch sehr wahr. „Wir haben alles in den Sand gesetzt.“

Montag, 12. Juni 2023

dicht & ergreifend: Es werde Dicht

Foto: Leon Zarbock
(sb) Es gibt ja so Bands, die ein wahnsinnig gutes Gespür dafür haben, die besten Songs ihrer Alben als Single auszukoppeln und so geschickt zu übertünchen, dass der Rest nix Gscheids is. Bilderbuch ist so eine Band, ebenso die Red Hot Chili Peppers. dicht & ergreifend hingegen drehen den Spieß um, denn wie schon beim Vorgängeralbum Ghetto mi nix o (2018) wurden im Vorfeld von Es werde Dicht (VÖ: 16.06.) gerade die Tracks released, die mich eher abgeschreckt haben. Aber huift ja nix - Album ganz angehört, zweimal, dreimal und da schau her: Sauguad is!

Wie angedeutet stehen die Vorab-Singles Es werde Dicht und Bauernschach Gott sei Dank nicht exemplarisch für den Longplayer, lediglich Duadaso weckte in mir eine gewisse Vorfreude. Vergangene Woche folgte dann noch Viva La Vagina, sicher eins der Highlights des Albums, das textlich so ziemlich alles in den Schatten stellt, was die Dichtis bislang produziert hatten. Ein wunderbares Manifest gegen Sexismus, das sich die Männerwelt unbedingt hinter die Ohren schreiben sollte.


Überhaupt hat man den Eindruck, dass dicht & ergreifend hinsichtlich der Lyrics nochmal einen Schritt nach vorne gemacht haben. Einiges klingt erwachsener, doch auch die berufsjugendlichen Lausbuam-Gschichtn wie Monopoli oder Zoid Dafia kommen nicht zu kurz. Mit Liquid, Maniac, Hannes Ringlstetter etc. sind auch wieder illustre Gäste zugegen, die die niederbayerische Melange weiter verfeinern.

Live sind Lef Dutti und George Urkwell samt Band und DJ-Team auch jederzeit einen Besuch wert, deshalb hin da:

17.06.23 - München - Muffathalle - Album Release Show - SOLD OUT
30.06.23 - Penzberg - Berghalde
07.07.23 - Mühldorf a. Inn - Sommerfestival
08.07.23 - Linz - Posthof
09.07.23 - Burglengenfeld - Steinbruch Arena
13.07.23 - Würzburg - Gut Wöllried
14.07.23 - Immenstadt - Klostergarten
15.07.23 - Freiburg - E-Werk Open Air
20.07.23 - Hamburg - Knust
21.07.23 - Berlin - Astra
04.08.23 - Aldersbach - Brauerei Open Air
05.08.23 - Eching - Brass Wiesn
11.08.23 - Regensburg - Schlossgarten
12.08.23 - Rothenburg - Taubertal Festival
25.08.23 - Übersee - Kulturtage
31.08.23 - Altusried - Freilichtbühne
15.09.23 - Nürnberg - Löwensaal
16.09.23 - Landshut - SPK Arena
02.10.23 - Augsburg - Kongresshalle
03.10.23 - Ulm - Roxy
05.10.23 - Frankfurt - Nachtleben
06.10.23 - Köln - Luxor
07.10.23 - Bremen - Lagerhaus
08.10.23 - Hannover - Faust
10.10.23 - Leipzig - Werk 2
12.10.23 - Dresden - Tante Ju
21.10.23 - Wien - Arena
04.11.23 - München Zirkus Krone



Freitag, 9. Juni 2023

KW 23, 2023: Die luserlounge selektiert!

Quelle: blog.derbund.ch
(Sb/ms) Wenn immer alles gleich ist, fallen Dinge umso mehr auf, wenn sie sich ändern. So geschah es in den letzten Tagen auf dem Weg zur Arbeit. Immer die gleichen Autos an den gleichen Kurven, die gleichen Menschen an den gleichen Bushaltestellen, die gleichen roten Ampeln, wo sie immer stehen und das gleiche wartende Kinder in der Innenstadt. Auch vorher geht immer eine Frau ihren Weg. Sie trägt immer, wirklich immer einen BTS-Sportbeutel. Ich habe sie deshalb der Einfachheit halber ‚die BTS-Frau‘ genannt. Sie ist eher langsam unterwegs, mit trägen Schritten, aber mit erstaunlicher Beharrlichkeit. Nun war sie mehrere Tage nicht an dem Straßenabschnitt, den ich auch passieren muss. Doch heute gab es die große Erleichterung, sie ist wieder da. Ich war kurz davor, mir Sorgen zu machen. Denn auch, wenn man mit Erscheinungen, die wir jeden Tag sehen, erstmal nichts zu tun hat, so gehören sie doch irgendwie dazu. Nun geht sie morgens wieder zielstrebig ihren Weg. Wir hier auch:

John Carroll Kirby
(Ms) Vor acht Jahren war ich bei einem Kraftwerk-Konzert in Essen. Mitten in der Stadt ist die Lichtburg, ein wunderschönes, prachtvolles Kino, in dem der Auftritt stattfand. Auf dem Weg dorthin habe ich mich enorm gefreut und gedacht: Ja, es gibt sie noch, ein Glück! Denn in der Essener Innenstadt stand eine Gruppe Peruanischer Panflötenspieler, ich dachte, die gibt es nicht mehr, sind irgendwie weg. Und auch in Costa Rica wird Panflöte gespielt. Genau dort hat sich John Carroll Kirby vor zwei Jahren aufgehalten und sich musikalisch inspirieren lassen. An und für sich ist die Panflöte ja ein schönes Instrument, wurde aber ein wenig missbraucht. Vielleicht bringt Kirby sie ja wieder zurück. Immerhin nimmt sie auf seinem neuen Album Blowout einen prominenten Platz ein. Ende des Monats erscheint die Platte und bringt nicht nur sommerliches Urlaubsgefühl mit sich, sondern auch taktweise Entspannung. Dabei macht sich das Für und Wider instrumentaler Musik bemerkbar: Entweder es plätschert so vor sich hin oder man schließt die Augen, fliegt in Gedanken schon mal an den Strand und vergisst alles um sich herum. Ich präferiere Nummer zwei! Tolles Ding!


Crow Baby
(Ms) „Formed a band, wie formed a band!“ Das singen nicht nur Art Brut laut und mit Überzeugung, sondern sicher auch zig andere Menschen in ihren Proberäumen, wenn sie ein neues Projekt starten. Crow Baby ist so eins, dass es noch gar nicht so lange gibt. Und beim Hören war ich mächtig überrascht. Denn Teil von der Gruppe ist Cherilyn MacNeil, Kopf und Stimme der wunderbaren Dear Reader. Die sanften, zarten Klänge dieser Band haben nichts mit denen von Crow Baby gemein. Auf ihrem ersten Song, der zu hören ist, schleppen sich knarzende Gitarren hindurch so wie bei Gurr in etwa, nur etwas langsamer. Umso schöner ist die Überraschung und mich persönlich freut es ungemein für Cherilyn, dass sie (wieder/weiter) Musik macht, denn von Dear Reader gab es lange keine Neuigkeiten. Dann halt in einem anderen Gewand. Ich freue mich außerordentlich doll auf mehr! Robot Gunshot macht Bock!

 
Crucchi Gang
(sb) Das erste Album der Crucchi Gang war eine der positivsten Überraschungen des Jahres 2020. Deutschsprachige Künstler*innen, die ihre (oder fremde) Tracks auf Italienisch einsingen und ihnen eine völlig neue Bedeutung geben. Das war (und ist) wahnsinnig charmant und läuft im Auto meiner Frau noch immer auf Heavy Rotation. Selbst unser fünfjähriger Sohn wünscht sich immer wieder diese CD und summt dann bei Il mio bungalow oder La ragazza della cassa no 2 mit. Erst am Wochenende auf der Heimreise vom Comer See erlebt...
 
Nun also der zweite Streich des Ensembles um Mastermind Francesco Wilking (Tele, Die Höchste Eisenbahn). Fellini heißt das gute Stück und knüpft nahtlos da an, wo der Vorgänger aufgehört hatte. Wunderbare Popmusik, die einen gedanklich jenseits des Brenners beamt und träumen lässt. Zu hören sind diesmal u.a. Tocotronic, Liny Maly, Tristan Brusch, Antje Schomaker und Dota. Etwas weniger Hitpotential, aber danke seiner Luftigkeit fast noch ein bisschen authentischer als das Debüt.

Eine klasse Zusammenstellung, bei der sich nur eine Frage stellt: Wie konnte man Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys vergessen? Aber die Frage hatte ich ja bereits beim ersten Album gestellt...
 


Grim104 & Dissy
(Ms) Die Wege des Herrn sind unergründlich. Ja, auch die Musik ist oft verworren. Unter anderem dann, wenn man einen Weg zu einem Lied nachgeht. Von einem Cover zum Original zum Cover beispielsweise. Dies ist so eine Geschichte. Born Slippy habe ich tatsächlich zuerst bei Get Well Soon kennen und lieben gelernt, verehre es bis heute. Erst ein paar Jahre später bin ich auf das Original von Underworld gestoßen, das mich dann in seiner Intensität und Länge nochmal umgehauen hat. Von Alternative zurück zum Techno nimmt das Lied jetzt den Schwenk zum Rap. Also weitestgehend, denn die Interpretation von Grim104 und Dissy ist eher elektronisch als rapbeatlastig. Knallen tut der Track, den sie Risse genannt haben, dennoch, könnte gut spät abends auf dem Weg nach Hause laufen, wenn ein lang durchzechter Abend in den Knochen steckt. Musik, du wunderbares Wunder!


Calman
(sb) Calman fliegt in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch unter dem Radar. In Sachen Erwartungshaltung sicher nicht die schlechetste Voraussetzung, zumal das die künstlerische Freiheit nicht einschränkt. Andererseits natürlich bitter, wenn man bedenkt, mit was für einem akustischen Müll andere Millionen scheffeln. Zugegebenermaßen packt mich die neue Single nur so semi, aber da sind wir halt auch wieder bei der Erwartungshaltung: Mit seinem überragenden Album Kann Grad Nich aus dem Jahr 2020 hat Calman die Latte halt extrem hoch gelegt und daran messe ich Mensch aus Fleisch (VÖ: 25.08.). Schwierige Aufgabe, aber der Berliner Rapper ist sowas von bereit. Textlich eh stark, der Flow, die Stimme - der Mann sollte deutlich erfolgreicher und bekannter sein!