(ms) Ich war schon lange nicht mehr bei Ikea. Eigentlich finden ja alle den schwedischen Möbelriesen und Kötbullar-Verticker gleichermaßen gut wie schlimm. Am Ende des Tages geht man sowieso mit einer Monatspackung Hafer-Schoko-Kekse und 100 neuen Teelichtern nach Hause, die man ganz dringend benötigt. Stichwort Hamsterkäufe.
Einen großen, tollen Vorteil hat das Shoppingparadies allerdings nur Kindern vorbehalten: Das gute, alte Bällebad! "Der kleine Tobias möchte bitte aus dem Smaland abgeholt werden."
Jetzt kommt die entscheidende Frage: Warum gibt es das nicht für ausgewachsene Mädels und Jungs ab - sagen wir mal - 25? Während Freude und Familie sich durch Wohnzimmer und Bäder quetschen - es ist ja immer voll - kann man selbst ganz entspannt rutschen, mit Bauklötzen spielen oder ins sagenumwobene Bällebad abtauchen. Vielleicht kann man auch eine Erwachsenen-Version daraus bauen mit ein wenig mehr Spannung, Action und Bespaßung. Ich wäre jeden Tag bei Ikea.
Wie komme ich jetzt zu Sophia Exiner?
Phia, wie sie sich als Musikerin nennt, spielt den Soundtrack zu obrigem Szenario. Mit "The Ocean Of Everything" erscheint diesen Freitag über Labelship ihr Debutalbum. Die elf Songs sind so abwechslungsreich, wie verspielt und aufmunternd. Was das ganze noch spannender macht, ist, dass die junge Australierin live mit Kalimba und Loop-Pedal spielt. Insbesondere der Kalimba-Sound bestimmt den Klang des Albums.
Das durchweg freudvolle Klangbild spiegelt auch das Wesen von Exiner wieder. Vor fünf Jahren buchte sie sich ein One-Way-Ticket von Melbourne nach Berlin und verweilt seitdem in der Hauptstadt. Mit Joshua Teicher und Eli Crews formte sie die Tracks zu einem sehr runden, kurzweiligen Album. Es ist ein schönes Wechselspiel von einzelnen Instrumenten und ihrer weichen, klaren Stimme geworden.
Als Aushängeschild kann man die Songs "Open/Closed" und "Do You Ever?" nehmen. Beide wurden auch als Single ausgekoppelt und stehen repräsentativ für den eigens erzeugten Klang. Erwachsener geht es dann auf dem Schlussspurt zu. Der letzte Song, "End Of The Day", wirkt groß, etwas unheimlich, druckvoll. Er erdet das Album aber auch in ungewöhnlicher Weise.
"The Ocean Of Everything" ist ein wundervolles, leises, verspieltes Album geworden, das es sich lohnt anzuhören, wenn man dem stressigen Erwachsenen-Alltag etwas entfliehen will.
Wer sich vom Looping-Spiel von Phia live überzeugen will, kann das hier tun:
13.09. Köln, Blue Shell 14.09. Halle, Objekt 5 15.09. Magdeburg, Theater in der grünen Zitadelle 16.09. Berlin, Privatclub 17.09. Erfurt, Franz Mehlhose 20.09. Dresden, Ostpol 22.09. Leipzig, Noch Besser Leben 23.09. Saalfeld, Forty One 24.09. Radebeul, Herbst- und Weinfest
(sf) Eizi Eiz. Denyo. DJ Mad. Muss man noch mehr sagen? Die BEGINNER sind wieder da und am Freitag (26.08.) haben 13 ewig lange Jahre Warten endlich ein Ende. "Advanced Chemistry" heißt das neue Album und der Titel dient zum Einen als Reminiszenz an die Heidelberger Hip Hop-Pioniere um Torch und Toni L, zum Anderen weist er aber auch auf die Weiterentwicklung hin, die die Beginner während ihrer Karriere seit Anfang der 90er Jahre durchlaufen haben. Vom englischsprachigen(!) Rap-Act, über "Bambule" mit all seinen Hits, bis hin zu "Blast Action Heroes", das dem Genre seine erste Nummer 1 in den deutschen Charts bescherte. Nun gehts also weiter und die Herren um die 40 sind noch lange keine Rap-Rentner...
Aber wie geht man es an? Wie nimmt man
seine erste Platte nach einer gefühlten Ewigkeit auf, wenn man den deutschsprachigen Hip Hop geprägt
und darin mehr erreicht hat, als dafür überhaupt je vorgesehen war? Wenn man
die Hall of Fame von innen und seine Szene von außen kennt, weil
zwischenzeitlich andere Kleinigkeiten wie Familiegründen, kreative Versenkung und Soloprojekte mit Platinüberzug anstanden? Wenn da draußen
Leute warten, die dieser Musik nicht weniger als ihre
verdammte Jugend
verdanken, und dahinter bereits Massen von YouTube-Experten und andere
Wwwahnsinnigen mit den Hufen scharren? Die Beginner haben das getan, was
vermeintlich nahe liegt und dennoch so verdammt schwer sein kann: sie haben den
riesigen Sack mit den Erwartungen über Bord geworfen, sich kurz gestreckt und
einfach mal das gemacht, was sie am Besten können.
Um es gleich mal vorweg zu nehmen: nicht jeder der 12 Tracks ist ein Top-Hit, aber was solls? Ich hatte insgesamt nicht mit so viel Qualität, so fetten Beats, so aussagekräftigen Texten und so viel Wortwitz gerechnet. Ich hatte befürchtet, die Beginner würden sich auf ihrem Namen ausruhen, sich damit zufrieden geben, wieder da zu sein und durch ihre bloße Anwesenheit wieder in den Olymp einzuziehen. Aber davon keine Spur, denn schon das Comeback-Intro "Ahnma" lässt, äh ja, erahnen, in welche Richtung das Album gehen wird. Klar, man feiert sich ne Runde selber, ist sich der eigenen Bedeutung durchaus bewusst, lässt den bereits erwähnten Torch zu Wort kommen, schlägt doch die Brücke von den absoluten zu den überragenden Beginnern und baut mit Gentleman und Gzuz alte Weggefährten und neue Hip Hop-Heroen ein. Fast schon folgerichtig erschien die Single just an dem Tag, als Gzuz mit seinem Album die Top-Position der deutschen Charts stürmte.
"Es war einmal...", die zweite Auskopplung schlägt in die selbe Kerbe, zäumt das Pferd aber von hinten auf und erzählt die Bandgeschichte in knapp fünf Minuten. Ziemlich gechillt, das Ganze, aber zur vollen Entfaltung kommt der Track erst in Verbindung mit dem genialen All-Star-Video, das ich Euch unter dem Artikel angehängt habe. Amüsantes Detail am Rande: Eiz und Denyo lassen sowohl in diesem Song, als auch später im Album immer mal wieder bekannte Zeilen der Deutsch-Rap-Historie einfließen und zaubern so ein Schmunzeln auf die Lippen des geneigten Hörers.
Mit Samy Deluxe darf bei "Meine Posse" wieder ein Gast mitrappen, der die alte Schule des einheimischen Hip Hop repräsentiert. Der Track hakt an mancher Stelle ein bisschen, kommt mitunter ein bisschen sperrig rüber und ganz ehrlich: ich tu mir ein bisschen schwer, wenn Menschen in dem Alter den Posse-Gedanken hochleben lassen.
Auch "Schelle" reißt mich nicht gerade vom Hocker, wobei es schon ganz witzig ist, wie den
Möchtegern-Gangstern der Szene vorgehalten wird, dass es nicht immer gleich die Pumpgun sein muss. Mit "So schön" kehren die Beginner zusammen mit Dendemann jedoch zurück in die Erfolgsspur und legen textlich wieder eine Schippe zu. "Rambo No. 5" lässt anschießend zunächst Schlimmes befürchten und lässt den Hörer bei den ersten drei Hördurchgängen ratlos zurück, aber irgendwann ist der Shice dann doch sehr catchy und wird vor allem live wahnsinnig gut funktionieren.
"Kater" beschreibt das legendäre Jahrhundertbesäufnis und das böse Erwachen am nächsten Morgen. Wer kennt es nicht, dieses elende Gefühl, das auf den Rausch folgt? Für mich eins der Highlights des Albums und definitiv der Soundtrack so manch eines vergangenen Wochenendes. "Rap & fette Bässe" bietet genau das, was der Name verspricht, ehe das Intro zu "Spam" für Gänsehaut sorgt und sich der Text mit den Abgründen der schönen neuen digitalen Welt beschäftigt. Vielleicht der beste Track des Albums und in seiner Tiefgründigkeit sehr bedrückend.
Zusammen mit Megaloh strecken die Beginner mit “Thomas Anders” den stolz
gereckten Mittelfinger gegen die durchnormierte Langeweile der Selbstoptimierungsstreber
und Spießbürgerkings. Dann hat Haftbefehl seinen großen Auftritt und prollt durch "Macha Macha" - keine Ahnung, ob das sein muss, ob das Provokation sein soll oder einfach ein Statement, dass die Beginner sich alles leisten können, weil sie eben die Beginner sind? Wie dem auch sei: der Track funktioniert überraschenderweise sehr gut.
Und zum Abschluss des Albums beleuchten Eizi, Denyo und Professor Mad mit
dem ihnen eigenen schwarzen Hanseatenhumor die Greuel einer jeder Reise:
Woanders is’ auch scheiße, wo bitte gehts hier wieder “Nach Hause”?
Mein Fazit hatte ich ja ziemlich zu Beginn bereits einfließen lassen, aber nun nochmal: ich kann mir gut vorstellen, dass manch Zuhörer, der die
Beginner "damals" schon kannte und liebte, beim ein oder anderen Track
die Hände über dem Kopf zusammenschlagen wird. Mich hingegen hat "Advanced Chemistry" positiv überrascht, das Album klingt mit jedem Anhören noch besser und ich bin froh, dass die Beginner wieder da sind, zumal ich mit den Soloprojekten der Bandmitglieder nicht so arg viel anfangen konnte. Ich bin sehr angetan und gehe sogar so weit zu sagen, dass das Comeback über die ganze Spielzeit gesehen sogar das ausgeglichenste und beste Album der Bandgeschichte darstellt.
(ms) Ich muss ja sagen, dass ich lange Zeit rein elektronische Musik belächelt habe, gleichzeitig Kraftwerk verehre und die David Guetta-Ableger in Clubs und Discotheken mit ihren hässlichen Kopfhörern und Knöpfchendrücken aberwitzig finde. So paranoid ist das alles, wie immer also. Wer jedoch mal eine Band wie Rangleklods (heute Blondage) live gesehen hat, weiß wie mitreißend diese Musik sein kann. Es ist nicht nur hier mal auf Play und da auf Skip drücken. Da steckt richtig Arbeit drin! Mit kleinsten Samples und Soundschnipseln ein ganzes Album zu gestalten, würde ich nie schaffen, zwei linke Hände halt. Daher hier und heute: Zwei Rezensionen aus der Elektroecke!
Ira & Bernhard. Foto: Oliver Schweers.
Ira Atari war lange Zeit das Ein-Frau-Projekt von Ira Göbel. Nach dem knallig-schrill-tanzbaren "Shift" hat sie sich auch musikalisch mit ihrem Freund Bernhard zusammen getan, sodass seitdem ein Duo an den Synthies steht. Die "Heroes"-EP haben wir schon mit weiten Augen und Ohren besprochen. Am Freitag kommt nun das zweite Album: "Moment".
Ein hörbarer Wechsel im Sound hat sich schon bei der EP angekündigt. Die grellend-scharfen Sounds sind weit in den Hintergrund getreten, fast verschwunden, die Songs etwas langsamer - aber nicht langweiliger - geworden. Es zog ein Hauch von Disco in ihre Tracks ein, der auf "Moment" klar herauszuhören ist! Wenn man bei Elektro immer den Tanzbarkeitsfaktor betont, sollen hier genauso die Texte gelobt werden, es lohnt sich die Ohren zu spitzen, denn Ira Atari haben stets was zu sagen und wir wollen hier keine Zeilen vorweg nehmen. "Moment" ist ein Album, was ohne weiteres Songs wie "Monday", "Crocodiles" und "In Chains" die Tanzflächen füllen und abgehen lassen wird.
Wenn jetzt jemand daher kommt uns sagt: Ach, die haben sich doch nur angepasst und sind schon voll mainstreamig geworden. Dem bleibt zu antworten: Nö! Das erste Album ist ja nicht weg und die Entwicklung ist wirklich gut.
Genießt den "Moment"!
Cut!
Außer jener despektierlichen klischeehaften Tanzbarkeit fällt mir keine Überleitung zu Roosevelt ein. Was, der Präsident ist doch seit Ewigkeiten tot, kann man denken. Oh, man.
Die Idee, genau diesen als Künstlernamen zu verwenden, hatte Marius Lauber aus Viersen, heute ansässig in Köln. Der Plan war so kongenial wie größenwahnsinnig. Aber es stimmt schon, wenn man hoch hinaus will, klingt Roosevelt besser als DJ Marius oder so. Seit Jahren hat er einzelne Songs online gestellt, wusste aber nie, ob das mal ein Album werden soll, das bei einem rennomierten Label erscheinen wird.
Foto: Marc Sethi
Und nun? Das selbstbetitelte Album ist am Freitag über City Slang erschienen, wo auch Naytronix oder die großen Caribou zuhause sind. Das Motto lautet also: From Viersen to the World. Und es funktioniert: The Guardian lobt ihn, die Intro widmet ihm die aktuelle Titelstory.
"Roosevelt" - also das Album - klingt nach Großstadt, sich treiben lassen, etwas Neonlicht, Clubs, die nicht zu groß oder klein sind, Sound, in dem man sich schnell verlieren kann und nie wieder raus will.
Dieser Typ, an dem man im Supermarkt im Müsliregal schnell mal vorbei läuft, hat ein unglaubliches Gespür dafür groovig-elektrische Hymnen zu schaffen. Dabei hört man Größen der Pop-Geschichte wie Pet Shop Boys genauso raus wie die einst abgefeierten MGMT.
Tracks wie "Sea", "Fever" oder "Hold On" sind dabei so einfach klingend, wie ohrwurmverdächtig. Dass seine Singles auch bei großen Radiosendern laufen, darf als Kompliment verstanden werden.
Ein starkes Debut und ein wahrer Hinhörer für alle Freunde elektrischer Musik!
Roosevelt kann man demnächst hier sehen:
31.08. Berlin - Pop-Kultur Festival
18.09. Darmstadt - Golden Leaves Festival
14.10. München - Strom
15.10. Leipzig - Werk 2
17.10. Köln - Stadtgarten
18.10. Hamburg - Übel & Gefährlich
29.10. Düsseldorf - New Fall Festival
(sf) Habe ich schonmal erwähnt, dass ich die heutige Musikszene ungerecht und in mancher Hinsicht furchtbar finde? Da darf ein Gabalier bei MTV Unplugged auftreten (Kurt Cobain würde sich auf der Stelle nochmal erschießen, wenn er das wüsste!), während talentierte und musikalisch einwandfreie Künstler kaum Beachtung finden und nicht mal auf Spartensendern die Airtime erhalten, die sie verdienen. Gute Beispiele hierfür sind THE BOYS YOU KNOW aus Österreich und die deutschen Newcomer KOMMANDO KANT, die hierzulande nur Insidern bekannt sein dürften, was sich aber hoffentlich bald ändert, denn beide Bands bringen dieser Tage Alben heraus, die zu überzeugen wissen.
"Gedanken rasen, Rest bleibt kühl, das Wartezimmer-Hassgefühl. Ein
Haufen unverbrauchter Energie” – mit der Freilassung ebendieser bahnen
sich Kommando Kant ruppig ihren Weg aus Hamburg durch den Stau des
Alltags. Musik als Druckablassventil in einer verwirrenden Zeit. Mit
„Ziehen Sie 'ne Nummer“ legt die Gruppe nun ihr Debütalbum vor.
Produziert wurde es von Hauke Albrecht, der schon Bands wie Captain
Planet und Findus dabei geholfen hat, ihren deutschsprachigen Indierock
mit den notwendigen Druckstellen des Punkrock zu versehen. Genau in
dieser diffusen Mitte haben sich Kommando Kant eingenistet und liefern
elf melodiös-schroffe Liedbotschaften in der Tradition von Bands wie
Turbostaat oder Muff Potter. Dabei richten sie mit ihren unbequemen
Texten den kritischen Blick in bester Hamburger-Schule-Manier genauso
sehr nach vorne wie über die eigene Schulter. Manchmal klingt das durchaus etwas rotzig, manchmal auch unausgereift, aber hey, das sind junge Burschen und so hat das halt einfach zu sein in dem Alter.
Für die Aufnahmen zu ihrem
Debütalbum mieteten sich Kommando Kant im renommierten Hamburger Rekorder-Studio ein, was sich in jeglicher Hinsicht als gelungener Schachzug herausstellt, denn Produktion und Sound spiegeln das wider, was Musik und Texte ausdrücken. Ein großes Dankeschön auch an Snowhite PR für die Preise zu unserem kürzlich durchgeführten Gewinnspiel; die Gewinner haben sich sehr gefreut und haben hoffentlich genau so viel Spaß an "Ziehen Sie 'ne Nummer" wie wir.
Nicht mehr ganz so neu im Business sind The Boys You Know - die Jungs, die Ihr kennt? Nie gehört? Ging mir ehrlich gesagt ebenso, aber das solltet Ihr wirklich dringend ändern, denn "Elephant Terrible" ist ein klasse Album und auch die früheren Releases der Österreicher sind absolut hörenswert. Zieht Euch die ruhig mal bei Spotify rein und dann nichts wie hin zum Plattenladen Eurer Wahl.
Das Wohnzimmer Label steht dank Bands wie Kreisky und Velojet ohnehin für gute Pop- &
Rockmusik, doch mit The Boys You Know haben sie ein Aushängeschild, das auch über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen sorgt. Besonders in Japan hat sich die Band mittlerweile einen Namen gemacht und kann auf eine treue Fanbasis bauen.
https://www.facebook.com/theboysyouknow/
"Elephant Terrible" vereint neben den aus früheren Releases bekannten Einflüssen wie Pavement, Dinosaur Jr oder den Smashing Pumpkins auch Elemente von Neil Young oder Fleetwood Mac - eine alles in allem sehr interessante und anregende Melange, die nicht zuletzt auf die kürzlich zur Band gestoßenen Musiker zurückzuführen ist, die dem Sound durch die Ergänzung von Trompeten und Keyboards eine neue Dimension verleihen. Mein persönliches Lieblingslied ist ja "Indifferent", das es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch auf meine Best Of des Jahres 2016 schaffen wird. Von Anfang bis Ende ein herausragender Track, doch auch die anderen acht Lieder des Albums brauchen sich nicht zu verstecken und müssen den Vergleich mit Genre-Größen wie Nada Surf keineswegs scheuen. Ganz klare Kaufempfehlung!
Messer aus Münster hinter Jalousie. Foto: Katja Ruge
(ms) Messer. Was für ein einschneidender Name.
Diesen Freitag kommt mit "Jalousie" ihr drittes Album heraus, dieses Mal über Trocadero. Darauf warten 11 Songs, für die sich die Band aus Münster mehr Zeit genommen hat als für die ersten beiden Werke. Gut drei Jahre sind seit "Die Unsichtbaren" vergangen.
Das Bandmember-Karussell hat sich seitdem auch gedreht und der Sound ist breiter geworden, wie wir schon zur "Kachelbad"-EP berichtet haben.
Insbesondere die zusätzlichen Percussion-Klänge schlagen sich direkt nieder und beleben die Klangfarben des Albums. Alle Tracks spielen mit düsterem Sound, der nicht melancholisch, sondern teils bedrückend, direkt und finster klingen. Dazu steht die Stimme von Sänger Hendrik Otremba im Kontrast, die markant den roten Faden webt. Wenn die Visions schreibt, dass genau diese Stimme auch manchmal nerven kann, ist es nachvollziehbar. Man kann sich aber auch sehr gut in diesem Klang verlieren. Dieser wird durch zahlreiche Gäste verfeinert. Micha Archer (The Notwist) oder Jochen Arbeit (Einstürzende Neubauten, Die Haut) geben sich die Ehre.
Es geht um Schmerz, gebrochene Liebe, Abgründe, Kriminalität. Wenn man Messer mit einem wilden Mix aus den frühen Tocotronic, Die Sterne, Kante, Sport und einer großen Portion eigener Kreativität beschreibt, hat man einen ungefähren Eindruck, was auf den Hörer wartet.
Beginnen tut das Album mit einem wahrhaften Intro. "So sollte es sein" spricht von entfernter Liebe und einem großen Wunschtraum. "Der Mann, der zweimal lebte" war schon der Höhepunkt der EP und sticht auch auf dem Longplayer positiv heraus, genauso eigenwillig - teils nervig - kommt "Detektive" daher. In "Die Hölle" haben sie sich mit elektronischen Klängen umwoben, das herrlich zum verstörend-packenden Text passt. "Schwarzer Qualm" ist ein kleiner Lichtblick im mechanisch-dunklen Klang und "Schaumbergs Vermächtnis" bildet den epochalen Schlusspunkt des neuen Albums.
Für diese Platte braucht der Hörer Zeit.
Zeit, die Wechsel zwischen Pop, Punk und Postrock zu erkennen und die komplette Fülle des Klangs einzusaugen. Zeit auch, das Album zu verstehen. Es wirkt groß und bedrückend und wahrscheinlich wollen die fünf Westfalen genau das. Man könnte seit Jahren den Begriff "Diskursrock" wieder aus der verstaubten Kiste graben und liegt damit vielleicht nicht ganz falsch.
"Jalousie" werden nicht alle mögen, da es so eigenwillig ist.
Andere kann es aber überzeugen, für die genau das das Richtige ist.
Am besten ist es wohl, sich davon her live zu überzeugen:
28.10. Essen - Zeche Carl
29.10. Bremen - Kulturzentrum Lagerhaus
30.10. Bielefeld - Forum
31.10. Kaiserslautern - Kammgarn
01.11. Wiesbaden - Schlachthof
02.11. Köln - Gebäude 9
03.11. Berlin - Frannz Club
04.11. Gießen - MUK
05.11. Stuttgart - Club Zwölfzehn
06.11. Wien - B72
07.11. München - Kranhalle
08.11. Dresden - Groovestation
09.11. Leipzig - Felsenkeller
10.11. Jena - Kassablanca
11.11. Hannover - Cafe Glocksee
12.11. Hamburg - Molotow
03.12. Münster - Gleis 22
(ms) Gibt es etwas wie Liebe auf den ersten Blick?
Nach zwei Tagen auf dem A Summer's Tale Festival in der Lüneburger Heide ist die Antwort: Ja! Dabei standen die Vorzeichen nicht gut. Statt wie gewohnt zum Open Flair zu fahren, stand dieses Jahr etwas anderes an. Zudem war es klug, Schal und Mütze einzupacken. Im August.
Betritt man das Gelände des familiären Festivals, muss man sich zunächst orientieren. Denn es gibt zahlreiche Veranstaltungsorte. Das ausgefallene Musikprogramm war nur ein Teil davon, es reihten sich Lesungen an Yoga, Workshops, Bastelarbeiten, Kinderbetreuung, einem eigens aufgebauten Restaurant und vielen leckeren Essensständen. Zudem war das ganze Gelände so liebevoll und detailverliebt gestaltet, dass man gar nicht mehr weg wollte. Nachdem man sich zurecht gefunden hat, was dann sehr einfach ging, war es schlau, alles genießen zu können, was die Veranstalter sich ausgedacht haben, denn das war eine Menge. Zwischen einzelnen Programmpunkten musste man stets abwiegen, denn viel fand parallel statt und die beliebten Workshops wie Woodworking, Kalligraphie oder Käserei waren schnell ausgebucht.
Da fragt man sich, wer so ein Festival, das fernab von allen Rock'n'Roll-Mythen ist, besucht. Die Antwort ist so einfach wie schwer. Es sind finanzstarke Akademiker ab Mitte dreißig, manche ohne, viele mit Kindern, Studenten, Alt-68er und hauptsächlich verliebte Pärchen. Immerhin hat ein 2-Tages-Ticket schon 120€ gekostet, dabei war es jeden Cent wert!
Nachts: DJ-Programm mit träumerischen Lichtinstallationen
Das taktgebende Musikprogramm war am Mittwoch sehr ausgewogen. Wo Heather Nova und José Golzales eher langweilig und ermüdend waren, konnte man bei Jeremy Loops im großen Zelt richtig abgehen. Die Band - bis dato hier eher unbekannt - war dabei von der guten Laune im Publikum ebenso angefixt wie die Zuhörer selbst, große Stimmung! Den Abschluss bildeten an einem wirklich kalten, aber trockenen Abend Garbage. Druckvoller Sound, minimalistisches Bühnenbild, aber ein starkes Konzert.
All dies wurde am Donnerstag noch getoppt. Vermutlich habe ich noch nie einen Festival-Tag erlebt mit so vielen Künstlern, die mich seit Jahren begleiten und alle erinnerungswürdige Gigs ablieferten. Friska Viljor hatten sichtlich Probleme mit der Technik und ihren Gitarrengurten (Jesus-Tape hat geholfen), doch ihre gute Laune lassen sich die Schweden nie nehmen. Thees Uhlmann war sichtlich angetrunken, hat aber den "A-Summer's-Tale-Gefangenenchor" zum singen gebracht, obwohl es durchgehend geregnet hat, glücklicherweise war es nicht mehr so kalt. Bei Caravan Palace konnte man sich tanzwütig wieder aufwärmen, was für ein geiles Konzert! Dann kam der erste Höhepunkt: Glen Hansard mit Band, Streichern und Bläsern. Wie inbrünstig und leidenschaftlich er gespielt hat, war bemerkenswert. Ob orchestral mit gesamter Besetzung oder passioniert schreiend nur mit Gitarre und Kontrabass war egal. Da hat selbst der Regen kurz ausgesetzt. Und wenn es eine Band gibt, die auch zu unterhalten weiß und seit Jahrzehnten beinhart gute Musik abliefert, dann sind es Nada Surf. Sie betreten die Bühne und machen einfach nur Spaß! Großes Kino.
All das wurde dann aber noch gesteigert.
Denn als Headliner haben Sigur Rós ihr einziges Deutschlandkonzert gegeben.
Allein das fulminante Bühnenbild wusste zu erstaunen. Denn die Isländer spielen ihre aktuelle Welttour zu dritt, statt wie sonst mit großer Besetzung. So war die Bühne dreigeteilt für Bass, Gesang und Schlagzeug/Keyboard. Dahinter erstreckte sich eine riesige LED-Wand, davor eine zweite, die hoch und runter fahren konnte. Hinter dieser haben die drei Isländer angefangen mit zwei Songs und waren nur schemenhaft zu erkennen. Von Beginn an ein Konzert für alle Sinne, großartig. Den Rest der Show haben sie vorne gespielt, Jonsi mit Bogen an der Gitarre und der gewohnt hohen Stimme. Die bauten Klangwelten auf, waren laut, dann wieder minimal leise und verträumt. Songs wie "Vaka", "Festival" oder "Kveikur" wussten zu begeistern. Dazu wunderschöne Projektionen!
Die Band, die ausschlaggebend für den Besuch des A Summer's Tale war, hat alle Erwartungen erfüllt. Was für eine würdige Band für ein brilliantes Festival!
Die Organisatoren haben sogar am Donnerstag auf das miese Wetter reagiert, Feuerkörbe aufgestellt und Glühwein ausgeschenkt. Das Festivalgetränk 2016!
(mm) Sigmaringen. August. Summernights. Vorher noch nichts davon
gehört, aber dank der luserlounge doch mit vor Ort. Geniales Festival. Ich
möchte aber gar nicht mit den Einzelheiten zu allen Bands langweilen, denn
einen wunderbar treffenden Bericht gibt es hier
schon. Mein Fokus gilt heute meinem persönlichen Überraschungsgig: RAZZ
Von zwei Bands wusste ich, dass es großartig wird, zwei weitere
kannte ich vom Namen, hatte aber noch nichts von ihnen angehört. Was allerdings RAZZ
da auf die Bühne legten, hab ich so nie und nimmer erwartet. Bis dato eine für
mich vollkommen unbekannte Band, weder der Name geschweige denn ihre Musik
sagte mir was. Aber wie so oft durfte ich mich eines Besseren belehren lassen.
Was die vier Emsländer da auf die Bühne legen, ist
faszinierend. 2011 gegründet, stehen sie 5 Jahre später schon auf zahlreichen
Festival-Bühnen wie zum Beispiel beim Hurricane, Southside, Kosmonaut oder dem
Deichbrand Festival - und das nicht zu unrecht. Man sieht sie beim Soundcheck
und denkt sich „Joah, Schulband mit Talent, kann gut werden“. Dann aber geht‘s
los. Niklas Keiser hat eine Stimme, die viele in den Schatten stellt und wenn
man ihn nicht sieht, glaubt man nicht, dass da ein 18-Jähriger steht. Eine
beeindruckende Stimme, die entfernt erinnert an...ja, an wen eigentlich...? Spontan fällt mir 30
Seconds to Mars ein, aber durch das leicht rauchige auch irgendwie Kurt Cobain.
Jedenfalls klingt sie nach jahrelanger Musikerfahrung und macht Lust auf mehr
Songs. Dazu kommen noch die Gitarren- und Bassklänge von Christian Knippen und
Lukas Bruns, sowie ein kräftiges Schlagzeug aus dem Background, an dem man Steffen
Pott finden kann. Fertig ist eine Mischung aus Indie, Alternative und ein klein
wenig Grunge. Man kann es nicht richtig festmachen oder einen Stil festlegen.
Fest steht, dass hier etwas ganz Großes lauert.
Quelle: www.razz-music.com
Das im Oktober 2015 erschienene Debüt-Album „With your Hands
we’ll Conquer“ ist ein durchwegs
gelungenes Werk mit Stücken, die einen
mitreißen. Den Einstieg macht „Black Feathers“. Dieses Lied hat mich schon auf
dem Summernights Festival am meisten begeistert und ist auch jetzt mein
absoluter Favorit, da es zwischen ruhigen Passagen und ordentlichen Krachern
hin- und herschwenkt. „Youth & Enjoyment“, heißbegehrt auf Youtube und in
den Amazon Rankings, geht ebenso gut runter und bietet ein super Sprungbrett
über „Broken Gold“ zu „Postlude“ - einem weiteren Juwel auf der Platte.
Insgesamt kann ich mich gar nicht weiter auf Highlights einschießen, es ist
einfach in sich so rund und toll, dass ich einfach nur jedem empfehlen kann,
sich das gute Stück einfach mal anzuhören und zu genießen.
Ich jedenfalls freue mich darauf, auch in Zukunft von den
Jungs zu hören und sie hoffentlich auch bald mal wieder live zu sehen - dann
hoffentlich aber mit einer längeren Bühnenzeit als 30 Minuten. Die waren
nämlich für meinen Geschmack viel zu kurz.
(ms) Wer sich einen Eindruck davon machen will, wie innovativ, abwechslungsreich, klug, politisch, unpolitisch, witzig oder oldschool deutscher Hip Hop oder Rap ist, sollte das Spektrum Festival in Hamburg besuchen. Von alten Hasen (Umse), neuen Stars (SSIO), Cloud-Rap (LGoony, Yung Hurn) zu linkem auf-die-Fresse-Rap (Waving the Guns) ist wirklich alles dabei.
Dazu ist das Gelände ein Teil vom Dockville Festival und dem Artville. Insbesondere abends ein Hingucker, es ist sehr schön gestaltet.
Auf Festivalgeländen werden dieser Tage Food Trucks nur so herbei gesehnt. Diese haben dann teils mittelmäßiges und total überteuertes Essen (mit gut 40 Minuten Wartezeit). Wo ist die gute, alte Frittenbude oder ein Pizza-Stand? Naja, egal, wird sind ja kein Food-Blog, zum Glück!
Wir halten hier mal die wichtigsten Erkenntnisse des Samstags fest, wie gewohnt subjektiv:
Trotz der schieren Massen, die mit Bus und Bahn Richtung Wilhelmsburg gepilgert sind, muss man sagen, dass die An- und Abfahrt sehr gut organisiert war. Klar ist, dass man mal auf einen Bus warten muss, wenn ca. 7000 Leute das gleiche Ziel haben, das nimmt man gern in Kauf.
Hier ein etwas dämlicher Dank an Umse. Danke, dass Du im Stau gestanden hast. Damit hast Du Fatoni ermöglicht, dass er seinen 40 Minuten-Slot um eine halbe Stunde erweitern konnte. Wertvolle Zeit bei einem Festival. Und wie er es dann genutzt hat: Wahnsinn! Wahrscheinlich ist Fatoni derzeit wirklich einer der besten Sprachgesangskünstler. Von Freestyle über Entertainment-Qualitäten bis starken Songs wie "Mike Skinner" oder "Vorurteile" ist alles dabei. Es war ein Genuss, das erleben zu können.
Man muss es einmal so deutlich und subjektiv festhalten: Cloud-Rap ist der allerletzte Rotz. Wenn man bei einigen Musikstilen etwas Schönes im bewusst schlecht Dargestellten sieht, kann ich das verstehen. Nicht nachvollziehbar, ist dieser anscheinende Trend, den Juicy Gay, Crack Ignaz, Yung Hurn oder LGoony repräsentieren. Es ist nur zu sagen, dass diese halbstarken "Künstler" unerträglich sind.
Money Boy ist der wirklich letzte Scheiß, den man sich nur antun kann. Das ist objektiv!
Noch eine Erkenntnis: Vielleicht sind Zugezogen Maskulin auf Platte besser als live. Na gut, das ist eher eine Vermutung.
Das erste Mal Waving The Guns live gesehen und total begeistert. Milli Dance und Doktor Damage haben um 18 Uhr einen starken Slot bekommen und ihn bestens bedient. Pöbel MC war auch mit am Start. Zu zweit und dritt haben sie bewiesen, wie provokant, politisch, textdicht und auch unterhaltsam Rap sein kann. Dieser Auftritt wird in Erinnerung bleiben!
Bei Celo & Abdi hatte GZUZ einen Gastauftritt. Nicht nur bekannt aus dem neuen Beginner-Song, sondern auch von der 187 Straßenbande und einem über dreijährigen Knastaufenthalt. Dass er die Leute in so kurzer Zeit zum Ausflippen bringen kann, war beachtlich.
SSIO ist stark. Wirklich stark. Herrlich, wie wenig ernst er sich nimmt; ganz fern von Gangsta-Rap-Attitüde. Zwar nur wenig vom Gig gesehen, das hat aber sehr gefallen. Es war zum angenehmen mitlachen und die Beats haben astrein gesessen.
Wenn einige Bands in ihren Heimatstädten spielen, sieht man den Protagonisten oft im Gesicht eine gewisse Freude darüber an. Das kann man auch über Neonschwarz behaupten. Mit dem Slot um kurz vor zehn waren sie bestens ins Programm integriert und haben die nahende Dunkelheit perfekt genutzt. Die Lichtshow war stark, die Pyros haben schön geleuchtet im Hamburger Abendhimmel, das Paddelboot mit maskierter Besatzung ist nicht untergegangen. Die Masse ist nicht nur bei "Eskalation" ausgerastet.
Fazit: Der Besuch hat sich wirklich gelohnt. Die schwachen Auftritte waren halt richtig mies, die Starken umso besser.
(sf) Sigmaringen ist ein beschauliches Städtchen im schönen Oberschwaben und für sein prunkvolles Schloss bekannt, doch in Sachen Konzerte herrscht weitestgehend tote Hose. Umso größer war die Vorfreude, als das Line-Up des diesjährigen Summernight Festivals bekanntgegeben wurde: neben den Emsländer Newcomern von RAZZ wurden die nordirischen Veteranen ASH, Österreichs Pop-Export Nr. 1 WANDA, Chartsstürmer BOSSE und die SPORTFREUNDE STILLER engagiert. Für Entertainment war also gesorgt...
Freitag Nachmittag, 15.30 Uhr, Ankunft in Sigmaringen. Die ersten Besucher trudeln im Donaupark ein, selbst auf den nahen Parkplätzen ist es kein Problem, noch ein Plätzchen zu finden und so sind wir bereits zum Soundcheck von Razz vor Ort und freuen uns auf das Konzert der Emsländer, von denen ich bislang nur ein paar Lieder auf Spotify gehört habe, doch die fand ich richtig gut. Der erste Weg führte uns aber zum Merch-Stand, wo uns meine langjährige Bekannte Chris schon erwartete und Unterschlupf gewährte, als der Himmel das erste Mal seine Schleusen öffnete. Was für ein fieser Schauer und richtig bitter für die erste Band des Tages, da ohnehin erst knapp 200 Leute da waren und sich die Hälfte davon fluchtartig unter alle verfügbaren Dächer flüchtete. Aber auch aus der Entfernung klangen Razz klasse - von denen hören wir hoffentlich ganz bald mehr, denn die sind wirklich vielversprechend und vermittelten richtig viel Spaß.
Nächster Programmpunkt: ASH! Seit 20 Jahren gehören die Nordiren zu meinen Lieblingsbands, doch es ist geschlagene 15 Jahre her, dass ich Mark Hamilton, Rick McMurray und Sänger Tim Wheeler auf ihrer "Free All Angels"-Tour zuletzt live gesehen habe. Ich war also richtig aufgeregt, doch schon die ersten Töne des Openers "A Life Less Ordinary" verwandelten die Aufregung in Enthusiasmus und neben ein paar neuen Tracks wussten vor allem die Klassiker "Girl From Mars", "Kung Fu", "Burn Baby Burn" und "Shining Light" zu gefallen und so ernteten die Nordiren mehr als nur Höflichkeitsapplaus. Pünktlich zu ASH schien erstmals auch die Sonne, die Reihen vor der Bühne füllten sich und den ein oder anderen neuen Fan dürften die langjährigen Wegbegleiter der Sportfreunde durchaus gewonnen haben. Es wird Zeit für eine ausgiebige Deutschlandtour als Headliner, Jungs!
Für mich persönlich war dieser Auftritt auch schon der emotionale Höhepunkt des Tages, auch wenn er nur ca. 40 Minuten dauerte. Alles andere sollte Zugabe sein, aber mit drei solchen Hochkarätern vor Augen klingt das fast ein bisschen vermessen, oder?
Nach einer erneuten Umbauphase enternten Wanda die Bühne, wobei Sänger Michael Marco Wanda erstmal einen Umweg in Richtung Publikum einlegte, um sein Tütchen an einen durchaus nicht abgeneigten Zuschauer abgab. Fanbindung mal etwas anders. Es folgte ein Auftritt ohne große Überraschungen, der aber durchaus zu gefallen wusste. Der Wiener Schmäh zog auch in Sigmaringen, es wurde ordentlich Amore versprüht, "Bologna" als Hymne ist kaum schlagbar, "Bussi Baby" klingt auch akustisch geil, "Luzia" und "Auseinander gehen ist schwer" dürfen bitte niemals aus dem Set verschwinden und "1 2 3 4" als Abschluss ist sowas von grenzgenial, dass es kracht. Nur eine Bitte hätte ich: "Ich will Schnaps" muss nicht zwingend 13 Minuten dauern; das ärgert mich jedes Mal wieder, dass das so aufgebläht wird.
Sonne, Sommer! Als Bosse die Bühne betreten, macht das Wetter dem Festivalnamen endlich alle Ehre und Aki liefert mit seiner Band eine geile Show ab. Schon bei "Du federst" geht das Publikum ab und es reiht sich Hit an Hit. Bei den Tanzeinlagen ist zwar noch deutlich Luft nach oben zu erkennen, aber das schieben wir mal auf die alten Hochzeitsschuhe, in denen Axel auftreten musste, weil er zuhause die falsche Tasche eingepackt hatte. Alte Hymnen ("3 Millionen", "Alter Strand", "Frankfurt Oder") wechselten sich mit den Hits seines aktuellen Nummer 1-Albums "Engtanz" ab (z. B. "Dein
Hurra", "Steine" und "Krumme Symphonie", bei dem Herr Spiegelei, bekannt von Deichkind, den Casper-Part übernahm) und bei "Schönste Zeit" schwang auch der größte Tanzmuffel die morschen Knochen und sang aus voller Kehle mit. So toll, wie Aki auf das Publikum einging, zu geben bereit war und für seinen Einsatz mit ganz viel Wärme und Zuneigung belohnt wurde. Ganz großartig auch sein Ausflug ins Publikum, wo er mit einem Fan sang, durch die Reihen streifte und zurück auf der Bühne leicht resigniert fragte, ob es in Oberschwaben normal sei, während eines Konzerts Kässpätzle zu essen? Leider geil. Bosse, das war ganz großer Sport!
Und, äh, ja, das war dann auch die gleich die Überleitung zum Main Act des Abends: Sportfreunde Stiller! Mit "Raus in den Rausch" fiel der große Vorhang, der Werbung für das im Oktober erscheinende Album machte und die Vorabsingle macht durchaus Lust auf mehr. Mit "New York,
Rio, Rosenheim" haben die Münchner die Messlatte zwar hoch gelegt, aber besonders das ebenfalls dargebotene "Zwischen den Welten" lässt erahnen, dass die Sporties da wieder was Großes raushauen könnten. In Sigmaringen aber war der Beginn eher verhalten: "Let's did it" war eher ein Stimmungskiller und just als Peter sich freute, dass das Wetter sich zum Guten geändert hat, setzte der Regen erneut ein, wurde minütlich stärker und irgendwann goss es aus allen Kübeln, wir standen knöcheltief im Wasser, waren nass bis zur Unterwäsche, aber egal: Feiern war angesagt! Erstaunlicherweise übertrug sich diese Euphorie vom Publikum auf die Band (meist ist es ja umgekehrt), die es offensichtlich zu schätzen wusste, dass man sich den äußeren Umständen nicht ergeben wollte und so fingen die Sportfreunde nach und nach an, nicht nur ihr Programm runterzuspielen, sondern wirklich auf die Zuschauer einzugehen und auch von der Bühne aus Spaß zu verbreiten. Endlich war es so, wie sich das alle vorgestellt hatten und es entwickelte sich eine große Party im Regen. "Wellenreiten", "Ein Kompliment", "Applaus Applaus", der geniale Flo-Auftritt bei "Es muss was Wunderbares sein (von mir geliebt zu werden)" und "Ich Roque" bereiteten den Weg für den würdigen Abschluss: bei der letzten Zugabe "Auf der guten Seite" sprang Peter oben ohne in die klatschnasse Menschenmenge, ließ sich durch den Regen tragen und dann war ein wunderschöner Konzerttag mit ganz vielen Höhepunkten leider viel zu früh zu Ende.
Vielen Dank an die Organisatoren dieses megaentspannten Festivals, bei dem sogar die Ordner freundlich und zuvorkommend waren, die Getränkepreise absolut human und das geradezu nach einer Wiederholung im nächsten Jahr schreit.
In 15 Minuten viele neue Fans: Der Hamburger Kneipenchor
(ms) Liebes Knust,
In Zeiten, wo das Molotow umziehen musste und der Golden Pudel Club zum Großteil abgebrannt ist, ist es wirklich angebracht den eigenen Geburtstag ausgiebig zu feiern. Daher: Herzlichen Glückwunsch. Vor 40 Jahren war ich nicht mal auf der Welt und Du beglückst heute Leute von nah und fern mit einem außergewöhnlich guten Booking. Aus Hamburg komme ich auch nicht, war nur ein Mal im Knust (Tributabend für Nils Koppruch) und habe den Freitag bei Dir sehr genossen.
Schon vor dem Beginn um 17 Uhr tummelten sich Besucher, Bekannte und Musiker auf dem Lattenplatz, es herrschte eine sehr familiäre Stimmung. Dass der Tag ausverkauft war lag auch an Kettcar, die für dieses Jahr ihre bislang einzige Show gespielt haben.
Fangen wir aber bei Liza & Kay an: Die beiden haben auf dem locker gefüllten Platz schnell gute Laune verbreitet. Mit ihren feinen, ruhigen und schön getexteten Pop-Songs war es ihnen eine große Ehre den Tag eröffnen zu können. Und spätestens am Ende bei "Sandburgen" - was für ein schönes Lied - wurde fleißig mitgesungen.
Etwas anders ging es dann bei Fortuna Ehrenfeld zu. Das Trio um Martin Bechler aus Köln ist musikalisch schwer einzuordnen, wahrscheinlich wollen sie das gar nicht, so wie ihnen auch viele andere Dinge aus den Sack gehen. Sympathisch. Sound-Schnipsel, Gitarre, Keyboard und Schlagwerk; daraus entstehen kleine Episoden, große Geschichten, humorvolle Einlagen, beste Unterhaltung also. Wirklich stark. Spätestens bei "Pizzablitz, bring Bier" waren alle Herzen erobert, um mal etwas pathetisch zu wirken.
Mit Symapthieproblemen hatte Adam Angst keine Auseinandersetzungen. Die lauteste und härteste Band des Abends wusste um ihr Kontrastprogramm, aber das Grand Hotel van Cleef - ihr Label - ist ja nur zwanzig, dreißig Meter entfernt.. Felix Schönfuss und Co. ließen die Leute tanzen, rissen die Besucher mit "Professoren" oder "Ja, Ja, ich weiß" mit. Das auch vollkommen zurecht. Sogar neues Material wurde präsentiert. Nach der Ankündigung, den neuen Track als Probe vorzustellen, haben sie weiter komplett abgerissen und Hoffnungen auf ein zweites, starkes Album gemacht.
Kettcar. Wenn wir ein professioneller Blog wären, gäbe es auch bessere Fotos.
Kurz vor dem eigentlichen Höhepunkt, gab es einen Auftritt, der lange in Erinnerung bleiben wird: Der Hamburger Kneipenchor betrat die Bühne. Sichtlich aufgeregt waren die Mädels und Jungs, hatten aber keinen Grund dazu. Der Auftakt mit "God Knows" gelang wunderbar und anschließend durften sie den massiven Applaus genießen! Die Idee einfach so Indie-Klassiker als Chor zu singen ist so genial wie einfach. Und sie funktioniert stark. Im Gedächtnis geblieben: Das Hamburger Medley mit "Ahnma", "Landungsbrücken raus" bis zu Shanty-Oldies.
Dann: Kettcar.
Kleine persönliche Anmerkung: Sie sind meines Erachtens die größte Band, ihretwegen bin ich gekommen und wieder einmal belohnt geworden. Das Motto des Abends war eigentlich 4 x 40 Minuten als Zeiten für die Bands. Das ist so nicht aufgegangen, Kettcar haben gut eine Stunde gespielt, zur Beglückung aller Anwesenden. Gespielt wurde ein kleines Best-Of von "Deiche" bis "Rettung" und als Sahnehäubchen am Ende noch "Mein Skateboard kriegt mein Zahnarzt", das gibt es nicht alle Tage. Als Bonmot haben sie noch verkünden lassen, dass die Band gerade an neuem Material arbeitet. Das haben sie letztes Jahr in Bremen auch schon, stimmen wird es trotzdem; gut Ding will Weile haben. Sie sind halt eine sichere Bank, was gute Konzerte anbelangt. Das will bestimmt keine Band über sich lesen, stimmen tut es trotzdem.
Knust, macht weiter so.
Der Weg aus Westfalen lohnt sich!
Danke für einen feinen Tag mit guten Menschen.