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Mittwoch, 23. Juli 2025

Wet Leg - Moisturizer

Foto: Alice Beckham
(Ms) Moisturizer von Wet Leg ist nun schon ein paar Tage draußen und die Band macht selbst die beste Werbung dafür. Platz 1 in Großbritannien, Auftritte beim Glastonbury oder Tiny Desk plus eine etwas schräge Diskussion im Netz über Körperbehaarung.
Rasend schnell ging der Aufstieg des ehemaligen Duos von der Isle Of Wight. Rhian Teasdale und Hester Chambers holten sich drei Typen dazu, die ihre Band nun vervollständigen. Henry Holmes am Schlagzeug, Ellis Durand am Bass und Josh Mobaraki an der Gitarre bilden mit den beiden Damen Wet Leg. Sie touren fleißig durch die Gegend und sind auf dem allerbesten Wege auch für die nächsten Jahre ein ganz großer Name zu werden. Doch in welchem Genre sind sie eigentlich beheimatet? Ist das Pop oder Rock oder ist das egal? In eine Schublade lässt sich Wet Leg nicht packen, dafür ist die neue Platte auch viel zu verschieden.
Abwechslungsreich ist nicht unbedingt das richtige Wort, denn das passt nicht ganz. Es gibt zwei Teile dieses Albums. Das nicht mal in der Reihenfolge der Lieder, sondern in ihrer Dynamik. Es gibt einen kleinen Teil, der richtig gut knallt und in dem sehr viel Energie steckt. Der andere Teil ist entspannter, kurzweiliger Gitarrenpop für laue, lange Sommernächte.

Die Platte beginnt direkt mit einem dieser Kracher. CPR ist ein sehr gut gewählter Opener. Mit lässigem Bass und Schlagzeug schleicht sich hier ein tolles Album an, bis Teasdales Stimme einsetzt und danach die E-Gitarren knallen. Unter drei Minuten scheppert dieser Track und macht unsagbar viel Lust auf mehr, was in diese Richtung geht. Das wird aber nichts, denn Liquidize schraubt den deftigen Gitarrenrockanteil zurück. Das ist nicht schlecht, aber es hätte gern so weiter gehen können. Das tut es zum Glück auch mit Catch These Fists, der Single, die schon weit vor Album-Veröffentlichung draußen war und mich ziemlich stark in den Bann gezogen hat, weil dieser Song einfach wahnsinnig gut arrangiert ist. Eine packende Gitarre-Hook und sauber aufgedrehte Dynamik. 

Anhand dieses Liedes haben sich auch meine Erwartungen an das Album gebildet. Daher ist diese Review auch ein wenig bedeckt in seiner Euphorie, da ich gehofft habe, es gäbe mehr von diesem Kaliber. Daher habe ich etwas länger gebraucht, um nicht enttäuscht zu sein von Moisturizer. Denn im Grunde genommen ist diese Platte ein richtig gutes Indiepop-Ding! Es hilft, den Fokus einmal zu drehen und die Erwartungen noch mal neu zu justieren. Denn auch ein Track wie Davina McCall ist ja total genial, weil er so wahnsinnig entspannt ist. Und wenn es über die ganzen 38 Minuten nur ballern würde, wäre es ja auch langweilig. Musikalisch erinnert mich ein Song wie Jennifer‘s Body durchaus an Nada Surf, die ich seit 20 Jahren verehre. Ehre gebührt also auch Wet Leg, die es clever verstehen, Indiepop im Jahr 2025 zu machen.

Zum Ende hin kommt dann doch noch ein weiterer derber Knaller. Pillow Talk wirkt dunkler, aggressiver, unnachgiebiger, knirschiger. Dabei geht es inhaltlich auf fast allen Liedern um die gute, alte Liebe. Doch man sollte diese Band auch nicht allzu ernst nehmen, die Kunst von Wet Leg hat mehrere Ebenen: Visuelle, Inhaltliche, Musikalische. Es ist gut und sehr sinnvoll, dass diese Platte nicht so ernst und verkopft ist, ich glaube, das tut uns in ernsten und sehr verkopften Zeiten sehr gut!

31.10. - Düsseldorf, New Fall Festival
07.11. - München, Theaterfabrik
09.11. - Berlin, Columbiahalle
10.11. - Hamburg, Docks



Donnerstag, 26. Juni 2025

Dota - Springbrunnen

Foto: Annika Weinthal
(Ms) Wie können wir moralisch integer diese Welt meistern? Wissen wir wirklich, was immer, in jedem Moment gut und richtig ist? Welcher Grad an Ernsthaftigkeit ist gerade so der richtige, sodass die Realität nicht allzu grau aussieht? Welche Positionen sind einem wichtig und kann ich sie immer verteidigen? Und wie schaffen wir es, genug Leichtigkeit dabei zu behalten?

Die Anforderungen sind hoch geworden, neue kommen immer wieder hinzu. Insbesondere Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, sehen sich bestimmt einem immer höheren Druck ausgesetzt, stets etwas Schlaues, Geistreiches, Kritisches zu sagen. Was sagen Sie zu Nahost? Was tun gegen den Klimawandel? Wie den Mietwahn bekämpfen? Ist Merz ein guter Bundeskanzler? Wie kann die Musikbranche geschlechtergerechter werden? Viele MusikerInnen spicken ihre Konzerte mit allerhand Ansagen, wie die Welt ein besserer Ort werden und man selbst in dieser bestehen kann. Jede dieser Ansagen ist gut und richtig - keine Frage! Doch meines Erachtens gibt es ein paar KünstlerInnen, die das richtig leben. Privat und in der Musik. Und die Künstlerin, die das in meinen Augen am aufrichtigsten hinbekommt, ist Dota. Ein paar Mal habe ich sie schon live sehen dürfen und dachte jedes Mal: Ja, das Lied über die steigenden Mieten, Ja, diese Leichtigkeit, Ja, dieses wahnsinnige Charisma, Ja, das was sie da gerade tut ist so aufrecht, so ehrlich, so rein und gut und schön - was für eine Künstlerin!

An diesem Freitag (27. Juni) erscheint ihr neues Album Springbrunnen und es ist wieder herrlich abwechslungsreich geworden. Ein Album, das uns in diesen Zeiten besonders gut tut, da es meines Erachtens den Fokus richtig setzt. Und, wie klingt das so?
Der Sound ist typisch Dota: Indie-Pop mit ein paar Keyboard-Spielereien und immer wieder überraschenden musikalischen Elementen wie mit ein paar Bläsern. Das ist der klassische Dota-Sound. Und er kommt daher mit einem klassischen Dota-Songwriting: aufmerksam, klug, unterhaltsam und scharfsinnig.

Der Frühling heißt das erste von 13 neuen Liedern, die Dota uns schenkt. Wie schon Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen versucht sich die Liedermacherin an dieser schönen Jahreszeit. Sanft, etwas melancholisch taucht man in dieses Lied, in dieses Album ein. Dota nimmt uns an die Hand zum Träumen, Schwelgen, Genießen. Hach, wie schön! Wenige Takte später zeigt sie ihre humoristisch-gesellschaftskritische Seite: Im Springbrunnen Baden Mit Nackten Milliardären. Dieser irre, kaum vorstellbare Reichtum einiger Menschen ist absurd und Dota hat hier einen guten Vorschlag, was sie mit diesen Menschen und ihrem Geld machen würde. Dass das mit der emotionalen und moralischen Stabilität oft nicht klappt, ist auch klar. Davon singt sie auf Das Wogende Meer. Der Text ist so wunderbar offen, dass wir ganz viel hinein interpretieren können - „Keiner kann immer nur Felsen sein.“ Vielen Dank für solche Zeilen! Wir müssen nicht immer alle stark sein, aber sollten für unsere Liebsten da sein.
Was das doofe Handy mit seinen doofen Apps mit uns macht, beschreibt sie ganz verzückend auf Einfach Zu Abgelenkt. Für mich persönlich ist das eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. Dieses kleine Ding mit dem schwarzen Bildschirm macht uns kaputt und wir lassen es geschehen. Nur richtig, dass dieses Thema im Pop Platz bekommt. Und statt den Kopf in den Sand zu stecken, bietet es sich an, zum Keyboard dieses Songs zu tanzen. Am eindrücklichsten zum obigen Absatz passt Wenn Dir Das Reicht. Denn oft lügen wir uns recht geschickt an, im Kleinen und im Großen. Doch dann ist „zu befürchten, dass alles so bleibt.“ Dota legt die Finger in genau die richtigen Wunden.
Musikalisch hochinteressant ist Die Andere Seite, wo Chor und Keyboard am Ende herrlich durch die Takte schweben und das auch in ungewohnten Tonlagen.

Springbrunnen ist insgesamt ein andächtiges Album, das durch einige melancholische Momente charakterisiert ist. Zum Glück ziehen sie nicht runter, weil der Mix auf der Platte so gut ist. Der absolute Höhepunkt kommt auf Alle Sind Zurück In der Stadt, das phasenweise schon an Moop Mama erinnert. Ein Lied über das Ende der Sommerferien, wenn Touris fleißig knipsen und wieder abhauen und die Abende schier endlos sind in ihrer Wärme und ihrem Glanz. Was für ein tolles Gefühl dieses Lied versprüht - Wahnsinn! 

Ja, ein dezent melancholischer Eindruck bleibt am Ende dieses Albums. Das ist weder gut noch schlecht. Es ist genau richtig so, weil die Essenz von Dotas Musik so angelegt ist, dass immer ein Gedanke haften bleibt, wenn die letzten Töne verstummen. 13 neue Lieder hat sie uns geschenkt und sie strahlen alle auf ihrer Weise, moralisch integer, unterhaltsam, wunderschön, verliebt und hoffnungsvoll. Der wahre Kern ihrer Musik sind aber ihre Konzerte. Und Dota ist eigentlich immer unterwegs, es ist kaum möglich, nicht hinzugehen. Und: das sollten alle tun, denn es lohnt so, so, so sehr!

27.06. Dortmund – Junkyard Open Air (Springbrunnen Tour)
03.07. Regensburg – Thon-Dittmer-Palais (Springbrunnen Tour)
04.07. Reichertsheim – Fichters Biergarten in Ramsau (Springbrunnen Tour)
05.07. Halle (Saale) – Volkspark Open Air (Springbrunnen Tour)
10.07. Erfurt – Barfüßer Open Air @ Barfüßerruine (Duo)
17.09. Dresden – Alter Schlachthof (Springbrunnen Tour)
18.09. Leipzig - Felsenkeller (Springbrunnen Tour)
19.09. Berlin – Columbiahalle (Springbrunnen Tour)
20.09. Bremen – Modernes (Springbrunnen Tour)
21.09. Hamburg – Große Freiheit 36 (Springbrunnen Tour)
18.11. Erlangen - E-Werk (Springbrunnen Tour)
19.11. St. Wendel – Saalbau (Springbrunnen Tour)
20.11. Stuttgart - Im Wizemann (Springbrunnen Tour)
21.11. Karlsruhe - Tollhaus (Springbrunnen Tour)
22.11. Heidelberg - Karlstorbahnhof (Springbrunnen Tour)
23.11. Darmstadt – Centralstatio (Springbrunnen Tour)
17.12. Köln – Carlswerk Victoria (Springbrunnen Tour)
18.12. Oberhausen - Druckluft (Springbrunnen Tour)
19.12. Münster – Skaters Palace (Springbrunnen Tour)
15.01. München - Muffathalle (Springbrunnen Tour)
16.01. Wien - Arena (Springbrunnen Tour)


Dienstag, 24. Juni 2025

Jenny Thiele - Platz

Foto: Tom Hagemeier
(Ms) Nein, nein - mit dem Sound und den Texten der Band, in der Jenny Thiele vorher aktiv war, hat ihr Album Platz echt nichts zu tun. Wie wenig es damit zu tun hat, versuche ich in diesem Text darzulegen. Nur vorsichtshalber an alle, die das denken könnten: Kein Vergleich, kein Abklatsch, Platz ist zu 100% Thiele!

Kommen wir daher direkt zur nächsten Frage: Wie klingt denn 100% Thiele? Auch das lässt sich schnell und einfach beantworten: Völlig unvorhersehbar! Jenny Thieles Musik ist eine Wundertüte voller Überraschungen. Manche Parts in einem Lied kommen derart plötzlich und ohne musikalische Vorankündigung, dass diese Platte zum Staunen da ist. Doch nicht nur über die tollen, vielseitigen Arrangements. Ihre Texte sind ebenso breit aufgestellt. Mal persönlich (oder durch eine Ich-Erzählerin), mal ein tanzbarer Streifzug durch die Nacht oder auch ein wenig Nostalgie. Dabei ist der Name der Platte ja hochinteressant. Was hat Platz zu bedeuten? Macht sie sich welchen? Ist es ein Hunde-Befehl? Sucht sie welchen? Oder welchen der vielen in Köln könnte gemeint sein? Schön, dass Jenny Thiele uns Hörenden diese Interpretation lässt!

Super clever ist, wie sie uns in das Album eintauchen lässt! Nehmt Mich Mit ist der erste Track - gut ausgewählt. Ein smarter, weicher, entspannter Popsong übers Schafezählen in nicht-einschlafen-können-Momenten. Die Basis ihres Sounds liegt in allerhand Keyboard- und Synthie-Klängen, die die Lieder tragen. Als Hörender kann man der Sängerin nur ebenso entgegen bitten: Jenny Thiele, nimm mich mit auf dieser Platte. Nichts leichter als das!
Die Reise geht weiter in die gleiche Tageszeit, aber hellwach! Dancer In The Blue ist ein leicht verliebter, leicht flirtiger, leicht melancholischer Rausch durch die Nacht. Ob es wirklich ein Eintauchen ins Wasser ist oder das Tauchen sinnbildlich fürs sich-verlieren-im-Moment steht - die Interpretation lässt sie auch uns Hörenden. Ich mag diese unterschwellige Teilhabe an der Kunst! Für Radioempfang steht ihr Produzent millhope als Featuregast bereit, der sonst ihren Ideen und Aufnahmen den letzten Schliff gibt. Satter 80er-Bass trifft hier auf Autotune und Krautrock-Vibes - spannender Clash of Cultures, der aber komplett aufgeht, weil es richtig harmonisch ist, wie aus einem Guss klingt. Die ersten Takte von Frieden könnten auch komplett von Kraftwerk stammen. Und auch wenn kurz der Eindruck aufkommen mag, das Nicole hier mitgetextet hätte, nein! Dieses Lied klingt zwar poppig leicht und luftig, liegt aber echt schwer im Magen, weil es so stimmt. Dieser Gegensatz ist extrem clever gemacht, kickt aber auch echt stark rein!
Gibt es eigentlich ein Lied übers Kuscheln, über das wundersame Gefühl des nah- und vertraut-seins? Ich weiß es nicht genau, aber mit Wissn Muss kommt in jedem Fall eins dazu, was einen hohen Grad an Intensität mit sich bringt. Der Text ist wunderschön und knipst ganz viele Bilder an und wenn dann Gitarren und Bass noch eine Schippe drauflegen, gesellt sich neben das schöne Wohlgefühl noch diese phantastische musikalische Gänsehaut - wow! Ich weiß auch nicht genau, was Power Pop ist, aber Gar Keinen Platz würde ich als genau das beschreiben. Wie viel Energie steckt hier denn bitte drin?! Kaum zu glauben - doch auch das ist ein weiterer Verliebtheitstrack. Ob er übers Tanzen in der Nacht hinaus geht?! Auch hier bleibt die Interpretation bei uns. Ich mag es sehr, wie so ein großer Spielraum eröffnet wird, in dem Jenny Thieles Lieder zu meinen werden. Ein faszinierender Aspekt von großer Kunst - denn genau das ist hier zu hören! Den krassesten Bruch auf der gesamten Platte hat sie auf Burn On verankert. Ein Track, der erlebt werden will!

Platz ist ein kraftvolles Album. Anders vermag ich es gar nicht zu beschreiben. Diese 12 Tracks mit gut 36 Minuten Spielzeit haben alles zu bieten, was man unter Pop fassen kann. Sanfteste Gefühle und Zeilen. Einen irren Grad an Tanzbarkeit, viele Momente zum Schwelgen und Träumen, den ein oder anderen Augenblick, der im Hals stecken bleibt. Unterm Strich schenkt uns wohl eine der vielseitigsten und cleversten Musikerinnen des Landes ein immens beeindruckendes Werk auf vielen Ebenen. Wow!

26.06.25 Darmstadt – Campusfestival (Band)
30.06.25 Frankfurt, Romanfabrik (Duo-Tour mit Paul Sies)
01.07.25 München, Substanz (Duo-Tour mit Paul Sies)
12.07.25 Mönchengladbach, TiG (solo)
02.08.25 Dessau – Dessauer Sommer (Band)
18.09.25 Herne – Flottmann Halle (Band)
19.09.25 Langenberg – KGB (Band)
24.09.25 München - Milla (Band)
25.09.25 Waiblingen – Schwanen (Band)
10.10.25 Ulm, Aegis Café (Band)
12.10.25 Karlsruhe – Tollhaus (Band)
05.12.25 Oberhausen – Druckluft (Band)
06.12.25 Wolfsburg – Hallenbad (Band)


Mittwoch, 18. Juni 2025

GoGoPenguin - Necessary Fictions

Foto: Mark Gregson
(Ms) Es ergibt Sinn, für dieses Album beim letzten Track anzufangen. 
Dazu eine kleine Anmerkung von hinter den Kulissen. Wenn neue Musik erscheint, wird diese natürlich auch vermarktet, beworben. Für Rezensionen darf ich die Musik ein paar Wochen vor der Veröffentlichung hören. Und da gibt es ein spannendes Detail. Bei der Tracklist einer Platte kommt eine Info bei einzelnen Liedern hinzu. Focustrack nennt sich diese Information. Also die Lieder, die eine besondere Erwähnung haben sollen. Als ob ich das nicht selbst entscheiden könnte, was in meinen Ohren stark oder nicht so pralle ist. Diese kleine Info kommt regelmäßig vor.

Den Fokus gewollt auf das letzte Lied zu setzen, wäre eh etwas ungewöhnlich. Doch das letzte Stück auf GoGo Penuins neuem Album Necessary Fictions hat einen fantastischen Titel, der das Schaffen des modernen Jazz-Trios sehr gut zusammenfasst. Ein Fokus muss hier gar nicht vorgesehen sein, es ist das gesamte Album!
What We Are And What We Meant To Be heißt dieses letzte Stück. Wie genial ist es bitte, den Hörenden elf neue Lieder zu präsentieren, auf denen die Band durchaus ausprobiert und neue Wege geht, um am Ende eine eindeutige Message zu tätigen: Bei all dem, was es gerade zu entdecken gibt, ist dies hier, der zwölfte Track, die Essenz unseres Schaffens, so klingen wir im Kern. Kein gewollter Fokus, aber doch eine aussagekräftige Entscheidung.

Vor zwei Jahren kam erst die letzte Platte raus. An Kreativität mangelt es den drei Briten ohnehin nicht. GoGo Penguin sind 2025 Chris Illingworth am Piano, Nick Blacka am (Kontra-)Bass und neu Jon Scott an den Drums. Dies ist ja eine ziemlich klassische Jazz-Besetzung. Doch GoGo Penguin stehen fürs Experimentieren und Grenzen ausloten. Das zu hören macht seit vielen Jahren sehr viel Spaß! Das kann mal sehr melodiös aber auch im besten Sinne herausfordernd werden. Und auch verhältnismäßig poppig, wenn sie sich Gastsänger Daudi Matsiko für Forgive The Damages dazu holen. Hinter dem zarten Gesang tanzen die Saiten unterm Hammer und die dicken auf dem Kontrabass. Insbesondere der wunderbar weiche Klang vom großen Streichinstrument ist ein wahnsinniges Plus im Schaffen dieser Band!

Apropos Bass und Neues ausprobieren. Auf dieser Platte nutzt das Trio hörbar häufiger Synthie-Effekte. Wie der digitale Bass sich durch Living Bricks In Dead Mortar schleicht, ist großartig. Da sind die hohen Pianoklänge gar nicht mal so fröhlich, wenn zudem auch das Schlagzeug in dezente Hektik verfällt. Hier haben drei Instrumente drei Geschwindigkeiten und das Ergebnis ist umwerfend! Denn der ganze Track ist ein irres Crescendo, bis der Bass fast technomäßig überstrapaziert ist. Orientalisch-tanzbar geht es auf Luminous Giants daher. Ein sanftes Stück mit perfekt sitzender Melancholie, die ihren Charme nicht verliert. Über fünf Minuten verliert sich dieses Lied in purer Schönheit - was für ein phantastisches Arrangement! Der Trick ist, dass sie dabei mit weiteren Streichern und dezentem Gesang arbeiten - zusammen schlicht große Kunst!
Mit dem Manchester Collective, einem achtköpfigen Streicherensemble, spielen sie auch auf State Of Flux zusammen. Scheinbar nur im Hintergrund tauchen die feinen Instrumente auf, doch wenn sie gezupft die Klaviermelodie doppeln, dann entsteht ein ganz großartiger Sog an Musikgenuss, dem ich mich nur zu gern hingebe.

Doch wie klingen GoGo Penguin nun auf dem neuen Album? Was ist die Essenz der Band neben ihre Mut Neues in ihre Songs einzuweben? Läuft der letzte Track, ist direkt klar, dass das Neue schon zur DNA des Trios gehört. Wieder eine herrliche Portion an waberndem Synthie-Bass, über den sich der Analoge legt. In höhere Sphären erhebt sich das Klavier. Das Schlagzeug bewegt sich sehr geschickt zwischen dominanter bis zu kaum wahrnehmbarer Rolle. Zusammen erschaffen sie kraftvolle Rhythmen, die immer wieder fein und andächtig die Melodien scheinen lassen. GoGo Penguins Necessary Fictions wartet nicht mit dem einen großen Knall daher, es ist ein Album, da erlebt werden will.


Donnerstag, 29. Mai 2025

Ain‘t Ur Enn - Languish

Foto: Jessica Christ
(Ms) Vor einigen Wochen, zum neuen Album von Yann Tiersen, schrieb ich an dieser Stelle, wie schön es ist, sich einem sehr langen Album hinzugeben. 83 Minuten dauert sein neues Werk, fast die Länge eines Spielfilms. Ja, hat durchaus seinen Reiz. Wenn man denn die Zeit dazu hat.

Manchmal ist es auch richtig geil, wenn es über einen kurzen Zeitraum, aber dann auch richtig geballt und intensiv und abwechslungsreich ballert. Ein Glück, dass es Ennio De Caro aus der Schweiz gibt. Der 19-jährige Musiker nennt sein Alter Ego Ain‘t Ur Enn und veröffentlicht am 30. Mai seine erste Platte namens Languish. Die 9 Tracks haben eine Spieldauer von 18 Minuten und 30 Sekunden. Also eher die Länge einer Serienfolge. Ennio De Caros Musik basiert auf Synthies, E-Gitarren, zahlreichen Effekten, Stimmverzerrern und sehr dichten Arrangements.
Es ist ein Album, das sich wie ein unscharfer Rausch anfühlt, auf wackligen Beinen, aber mit enorm viel Kraft. Ein Album, das ab der ersten Sekunde einen wahnhaften Sog entstehen lässt, aus dem man ebenso unvermittelt am Ende wieder rausgeschmissen wird.

Key Puncher heißt das erste Stück und hat so viel Kraft, wie 69 Sekunden denn auch gerade hergeben können! Hier sind alle Regler weit aufgedreht, hier gibt es keine Kompromisse, hier heißt es nur: Haltet euch fest für das, was jetzt noch kommt. Okay! Hug Me And It‘s Gonna Be Okay schraubt das Gewitter unmittelbar zurück, Akustikgitarre, unverzerrte Stimme. Stark wie daraus ein herrlich psychedelischer Track wird! 74 Sekunden dauert danach I Still Blame Myself Fot Things I Couldn‘t Coltrol und ich finde den Titel dieses Krachers unglaublich genial. Einige Ideen und Aussagen müssen ja auch nicht in den 3-Minuten-Track eingepfercht werden, wenn es auch schneller geht. Warum das ganze ausschmücken, wenn schon weit vorher alles gesagt ist?! Eben! Eine richtig coole Nummer ist Japanese Rockbands in der es halt drum geht, wie cool es denn wäre, in eben so einer zu spielen. Mit 2 Minuten und 37 Sekunden der längste Track des Albums! Whore ist ein richtig starker 00er-Jahre Skate-Punk-Track mit leichten Emo-Allüren. Manchmal muss auch die ganze Wut, die sich angestaut hat, raus. Das passiert in diesem Track und zwar auf sehr eindrückliche Weise! Und dass ein Song Namens Cat nicht ohne Katzengeräusche auskommt, ist auch klar. 

So ist Languish ist qua natura ein sehr dichtes Erlebnis. Vielleicht ist es die Platte, die am besten in unsere Zeit passt. Viele Emotionen in kurzen Abständen und das von einem jungen Musiker, der auf diesem Album viel Freiheit genießt, weil es keine Zwänge gibt. Geschrieben und eingespielt hat er alles allein und sein Label Tomatenplatten gibt da auch keine Vorgaben. So soll Kunst doch funktionieren, oder? Eben! 

Man darf sehr gespannt sein, wie lang seine Auftritte sein werden:
05.06. - Kriens, Miles
07.06. - Berlin, Schokoladenladen
21.06. - Herford, SZ Flafla
03.07. - Brugg, tba
05.07. - Luzern, tba


Mittwoch, 7. Mai 2025

Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen - Egg Benedict

Foto: Bernd Jonkmanns
(Ms) Herrje, neulich habe ich den Begriff Overthinking aufgeschnappt. Was soll das denn nun schon wieder?! Und wieso denn auf Englisch? Ich verstehe das manchmal alles nicht mehr. Und musste darüber nur kurz nachthinken, um zu diesem Ergebnis zu kommen. Ziel sollte es doch viel mehr sein, zum Underthinking zu kommen, oder? Singletasking. Oder halt gar nichts mehr tun. Die leichte Brise des frühen Sommers genießen, im Garten, im Park, am See, irgendwo und einfach mal die Seele baumeln lassen. Und bloß nicht so viel nachdenken - oft kommt man entweder gar nicht so weit, oder der Strudel nach unten rauscht in beträchtlichem Maße. Weniger denken und auf jeden Fall weniger nachhaken. Die Dinge nehmen, wie sie sind. Ich glaube, damit kann man ganz gut fahren.
Und wenn das neue Album von Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen dann Egg Benedict heißt, dass ist das halt so. Bloß keinen Gedankenkosmos aufmachen und nach der Bedeutung fragen. Nur weil die Amis nun keine Eier mehr haben!? Nur weil der nächste Papst nun von uns gegangen ist?! Ist da jemand aus der Band scharf auf das nächste Omlett? Oder Rührei? Oder klassisch mit Sollbruchstellenverursacher?! Nein, alles Quatsch! Egg Benedict ist einfach ein super Name für ein super Album und damit hat sich die Sache! Und für sonstige Probleme hat die Band auch noch einen guten Rat!

Die Liga also - sie hat wieder zugeschlagen. Nach den Gschichterln Aus Dem Park Café kommt jetzt also der nächste Kracher! Hat ja auch vier Jahre gedauert. Elf neue Tracks für die Ewigkeit bietet diese Platte und es ist eine ganz gewöhnliche Gentlemen-Platte geworden. Denn die fünf Herren aus Hamburg wissen einfach wie es geht - schmunzelige Unterhaltung mit zackigen Rhythmen und ohrwurmigen Melodien. Warum denn auch noch die musikalische Welt mindestens genauso kompliziert machen wie die, die da draußen lauert?! Und bei all den genialen Liedern, die die Liga seit vielen Jahren komponiert, dichtet und zum Besten gibt, muss ich eine ganz unironische Bemerkung fallen lassen: Auf jedem Album gibt es immer ein, zwei Lieder, in denen ich richtig was lerne. Diese Band erzählt Geschichten um wahre Begebenheiten, die richtig spannend sind! Musik hören und was dazu lernen - genial!

Den Namen Hedy Lamarr habe ich vorher zum Beispiel noch nie gehört. Doch auf Hedy Lamarrs Siebter Mann singen sie zusammen mit Andreas Dorau ihre Geschichte. Sie hat nicht nur eine Funkfernbedienung für Torpedos erfunden und zahlreiche Filme in Österreich und den Staaten gedreht, sondern auch satte sieben Ehen geführt! Was für ein Leben. Und die Liga hält es hoch - genial! Auch die ALU sagte mir nichts, ist auch kein metallischer Begriff. Denn die Liga singt seit jeher auch Lieder über die, die eine starke Stimme brauchen. Zum Beispiel die Amazon Labour Union! Dass die großen Steuern-lieber-nicht-Zahler ungern eine Gewerkschaft haben wollten, war mir klar, doch hier ist der passende Track dazu: Song Für Die ALU. „Lasst uns organisier’n / Wir haben nichts zu verlier’n!“ Super genial! 

Doch fangen wir mal vorne an. Ganz optimistisch startet Egg Benedict mit einem von zwei Jahreszeitensongs! Wenn das Jahr so dahin scheidet, kommt die Trauer auf, alles wird trist und dunkel. Doch wieso nicht mit einer einfachen Erkenntnis wieder gute Laune haben: Es Ist Immer Sommer Irgendwo. Warum denn nicht?! „Ein schwacher Trost, doch auch wunderbar.“ Logisch - genial! Man könnte ja sagen, dass sowas wie Jahreszeiten ja ein billiges Thema seien, aber weit gefehlt - die Liga zeigt wie es geht! Bloß nicht so viel nachdenken. Dazu reiht sich auch noch Ein Dienstag In Dur (Es Ist Frühling) ein, sogar mit Mundharmonika - genial! Zwei Gute-Laune-Jahreszeiten-Lieder auf einer Platte - das ist Servicemusik!
Achja - ein Instrumental darf auf einer Liga-Platte auch nicht fehlen: Sonniges Süd Schwabing und Chez Delmonico’s erfüllen diese Aufgaben - zum Mittanzen! Warum, wieso, weshalb - besser nicht so viel thinken! Doch das philosophische Highlight kommt mit Wenn Du Ein Problem Hast daher. Auch hier musikalisch klassische Liga-Manier, auch wieder mit Saxophon am Start! Nicht nur, dass das Leben ein Selbstzweck ist, wird hier gelernt sondern auch eine Problemlösung im PeterLicht‘schen Sinne: „Wenn du ein Problem hast / Scheiß drauf!“ Genial! Danke dafür und liebe Grüße nach Rotterdam!
Am meisten interessiert mich jedoch die Hintergrundgeschichte von Ist Gunther Da? Standen vier Gentlemen eines Tages im Proberaum und der Keyboarder fehlte? Ein Streifzug durch die Nacht zum Labelchef, um ihm die neue Songidee zu präsentieren? Egal, nicht so viel denken - mit Off-Beat gehts hier weit nach vorne!

Wenn man Egg Benedict so hört könnte auch der Gedanke kommen: Mensch, hört sich doch an wie die anderen Liga-Alben, oder?! Ja, das musikalische Rad erfinden Carsten Friedrichs, Tim Jürgens, Fabio Papias, Heiko Franz und Gunther Buskies nicht neu. Und ganz ehrlich: Das müssen sie doch auch gar nicht. Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen liefert seit Jahren derart konstant ab - das haben sie gar nicht nötig. Genial! Geht zu den Konzerten - es lohnt enorm. Versprochen!

08.05.25 Hamburg – Goldener Salon
09.05.25 Münster – Gleis 22
10.05.25 Köln – Gebäude 9
28.05.25 Hannover – Lux
29.05.25 Dortmund – Ska im Westpark
12.06.25 Göttingen – Nörgelbuff
13.06.25 Stuttgart – Goldmarks
14.06.25 Mainz – Schon Schön
11.09.25 Karlsruhe – Kohi
12.09.25 München – Live/Evil
13.09.25 Nürnberg – Club Stereo
17.10.25 Flensburg – Volksbad
18.10.25 Kiel – Hansastraße
27.12.25 Bremen – Lagerhaus
28.12.25 Hamburg – Knust
29.12.25 Berlin – Bi Nuu


Dienstag, 6. Mai 2025

Alicia Edelweiss - Furie

Foto: Alex Gotter
(ms) Dies ist ein Versuch. Ein Versuch, ein enormes Album zu besprechen. Das ist im Fall von Alicia Edelweiss‘ Furie gar nicht so leicht - und das macht es äußerst spannend! 8 Tracks liefert die Österreicherin auf ihrer neuen Platte ab und das über eine Spieldauer von 50 Minuten. An diesem frühen Punkt wird schon klar, dass Alicia Edelweiss sich an keine Regeln hält. Und das auch gar nicht muss und schon gar nicht will. Das Allerschönste daran ist, dass sie selbst ihrer Musik gerecht werden möchte. In diesem lesenswerten Interview spricht sie von der „Natur der Lieder“. Exakt das ist der wichtigste Punkt, wenn Furie läuft. Ihre Musik entwickelt ein Eigenleben. Na klar: Das ist alles geplant, arrangiert, komponiert, getextet. Logisch: Hier steckt unglaublich viel Arbeit drin und bestimmt noch viel mehr Leidenschaft. Aber ihre Musik ist komplett frei. Ich stelle es mir so vor: Ihr kommt eine Idee, sie notiert Skizzen dazu, probiert, welche Instrumente Melodien, Dynamiken und passende Strukturen aufbauen können und haucht dem Lied dann Leben ein. Dann pulsiert es von allein. Dann kann es halt sein, dass ein Song mal 4 oder knapp 9 Minuten lang ist. Und das nicht aus Kalkül, sondern weil es das Lied so will. Da ist sie als Künstlerin quasi machtlos.

Ja, Alicia Edelweiss als Musikerin zu bezeichnen wäre zu wenig. Und das nicht mal, weil sie nun Performance studiert. Man hört es ihren Liedern an - das ist Kunst! Das zeigt sich in der Länge und Intensität ihrer Texte und auch im Aufbau der Stücke. Strophe - Refrain - Strophe - Refrain - Bridge - Refrain. Sowas sucht man auf Furie vergeblich und das ist auch sehr gut so. Alicia Edelweiss hat die meisten Teile dieser Platte alleine eingespielt - was für ein Kraftakt! Neben den großartigen Texten ist die Instrumentierung und ihre Arrangements auf den Stücken das Herzstück dieses Albums. Cello, Glocken, Akkordeon, Fieldrecordings. Sie zeigt, das ist kein Pop, das ist nicht mal Avantgarde - das ist wahre, besessene Kunst! Und die strahlt enorm!

Worum geht es aber auf ihren Liedern?! Die Texte von Alicia Edelweiss haben einen klaren feministischen Anspruch, das wird auf der großartigen Single Feminist Girlfriend sehr deutlich. Ein melancholisches Lied, das auf tragisch-wunderbare Weise das Dilemma um diese wichtige gesellschaftliche Errungenschaft aufgreift. Im Grunde genommen heißt Feminismus ja nicht viel anderes als eine krasse, durchdringende Gleichberechtigung. Nur wird dies von ein paar lauten Spinnern und Sexisten (gendern sinnlos) ad absurdum geführt. In den letzten sechs Textteilen - denn Strophen sind es nicht - sagt sie das ganz klar: Wie für sie eine gleichberechtigte, sich unterstützende Beziehung aussehen kann. Denn wenn beide Feministen sind, haben alle gewonnen. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet sie das Thema auch auf dem phantastischen The Shiny Ones, das ganz famos an frühe Kate Nash-Tracks erinnert. So verspielt und genial ist dieser Song! Zudem geht es in dem beschwingten, schmunzeligen Song darum, dass Gleichgesinnte sich genauso anziehen wie vermeintliche AußenseiterInnen.  
Gänsehaut beschert in jedem Fall Untold Hights! Dieses Stück, dieses Lied, dieses Werk ist große Kunst, wahnsinnig schön, unglaublich breit gefächert ohne überbordend zu wirken. Diese Künstlerin hier weiß ganz genau, wie Musik funktioniert und zuzuhören ist ein umfassender Genuss! Dieser Song ist eine Ode an die Schönheit der Welt und das ganz großartig arrangiert dargeboten! Nach vier Minuten denkt man, das Lied sei vorbei. Doch weit gefehlt. Das, was auf der zweiten Hälfte geschieht ist… einfach nur ganz groß! Sie fährt da nochmal richtig auf, singt und spielt sich in einen Strudel. Hier ist es zu hören, dass ihre Lieder ein Eigenleben führen!

Logisch, die anderen Stücke sind auch alle großartig, das soll hier nur nicht den lesbaren Rahmen sprengen. Furie von Alicia Edelweiss ist eine Platte, wie ich sie lange, lange nicht gehört habe. Das liegt nicht mal daran, dass sie sich nicht an die Pop-Regeln hält, das ist mir egal. Vor allem liegt es daran, dass sie wunderbare, kluge Texte schreibt und wunderwunderwunderschöne Arrangements erschaffen hat, die einfach nur wahnsinnig viel Freude bereiten zu hören! So ein schönes Album! So vielschichtig! So kunstvoll! Im oben erwähnten Interview sagt sie: „Ich weiß eigentlich, dass ich ur viel drauf habe.“ Das eigentlich muss dringend gestrichen werden!

08.05. Graz (AT) - Postgarage
10.05. Wien (AT) – Konzerthaus Wien
16.05. Burghausen (DE) – Ankersaal
14.06. Stadt Haag (AT) – Verein ENT
05.07. Krems (AT) - Walking Concert
17.07. Rankweil (AT) - Musik im Park
18.07. Waiblingen (DE) – Kulturhaus Schwanen
19.07. Koblenz (DE) - Horizonte Festival
20.07. Dresden (DE) - Palais Sommer am Neumarkt
30.08. Lindau (DE) - Zeughaus
17.10. Ebensee (AT) - Kino Ebensee
18.10. München (DE) - Milla


Freitag, 25. April 2025

Die Anteile - Pelzwerk

Foto: Kelly McKay
(Ms) Seit ein paar Wochen gibt es von der luserlounge tatsächlich auch eine Playlist. Kaum zu glauben aber wahr! Musik über Playlisten hören ist natürlich ganz cool, weil es den großen Mixtape-Charakter hat. Man stößt auf alte, fast vergessene Perlen oder entdeckt Neues. Reiz- und sinnvoll! Doch es gibt für mich ein gewichtiges Argument, warum die Playlist nicht das Non-Plus-Ultra ist. Denn in meinen Augen untergräbt sie die Kunst hinter einem Album. Klar, Playlist und Album schließen sich nicht aus, keineswegs, aber die Playlist suggeriert mehr Abwechslung und einen höheren Überraschungseffekt.

Doch ein ganzes Album ist immer ein Kunstwerk. Eine Playlist nicht. Und in so einem Kunstwerk steckt viel Liebe. Viel Zeit. Viele verworfene Ideen. Viel Für und Wider. Und oft erzählt es eine ganze Geschichte, hat eine eigene Dynamik, offenbart Schönheit, spielt mit Motiven, die auftauchen und sich verändern. Manchmal ist es auch gar nicht so leicht, eine Platte am Stück zu hören. Es braucht Zeit, manche gute Werke dauern 70 oder 80 Minuten. Und manch Album hat nur ein paar geile Tracks für die Playlist und der Rest wird übersprungen.

Überraschungsmomente sind also keine unwichtigen Details. Genau die gibt es auf dem Erstling vom Berliner Duo Die Anteile im genau richtigen Maß! Pelzwerk erscheint am 25. April bei Tapete Records, bringt 10 Stücke mit sich und hat eine angenehme Spielzeit von 34 Minuten. Im Grunde genommen machen Die Anteile elektronische, tanzbare Musik. Dabei schwingt aber eine gewaltige Portion Gesellschaftskritik dabei, was im Endeffekt eine grandiose Mixtur für Hirn und Hüfte ist!

Wie Geht Der Tanz ist der Opener und direkt ein wahnsinniges Stück! Satter Bass, knarzige Sounds, das macht ab dem ersten Takt richtig viel Spaß - wenn nur die bittere Verbrauchermessage nicht wäre. Versuchungen, Verführungen, Manipulationen ohne Ende am Regal oder im Markt, Hauptsache unser Portemonnaire wird dünner. Der Song lief bislang schon zigfach bei mir.
Und wenn dieses Album dann voranschreitet, wird eines klar: Diese Band ist enorm variabel in ihrem Sound! Sie bedienen sich viel vielen, vielen Sounds, Genres, Spielarten. Der Titeltrack klingt erst so wie Krautrock, entpuppt sich als hochpulsierende Elektronummer. Der Text ist ein vernebelte Streifzug durch die Nacht: „Der Abend neig sich / Neigung entsteht.“ Doch diese Abenderfahrung ist brüchig, keine klare Amour Fou. Es ist nicht alles wie es scheint bei Die Anteile. Reizvoll! Und wo ist es eigentlich besser? Hier oder in der Ferne und wer macht einem nun was vor? Auf welches Werbeversprechen fallen wir rein? Als Duo singen sie davon auf Volksmund - und es ballert richtig gut!
Dann: Die nächste Überraschung - Bushwick. Plötzlich verändert sich der Sound, es klingt nach Chanson, Pop, ein Cembalo erklingt, Dramatik entsteht, es wird ernst. Diese Band stellt unangenehme Fragen, verpacken die aber so elegant in packende Melodien und durchdringende Rhythmen, das die Botschaft schön unbewusst knallt! Auf Voyage mischen sie Spoken Word mit breitgefächertem Elektropop. Hier das gleiche Schema: Wahnsinnig gut arrangiert, leichtfüßig und clever. Dazu Kritik im Umgang mit all den elektronischen Geräten, die uns 24/7 umgeben, und bestimmen, leiten, süchtig machen (so zumindest meine Interpretation).

Pelzwerk von Die Anteile ist ein schier unglaubliches Album! Der Sound ist so vielfältig und verliert dennoch nicht den roten Faden. Das ist große Kunst! Sie haben hier eine Platte geschaffen, die kluges Texten mit satten Arrangements verbindet und damit einen Volltreffer landet! Das hier klingt wie eine gut ausgewählte Playlist und ist dennoch das große Können des Gesamtwerks. Hut ab.

29.04.2025 - Hannover, Nordstadtbraut
30.04.2025 - Konstanz, Kantine Konstanz
28.05.2025 - Hannover, Lux (mit DLDGG)
29.05.2025 - Oldenburg, Polyester
17.07.2025 - Hamburg, Deichdiele
27.11.2025 - Bochum, Goldkante
28.11.2025 - Leipzig, Noch Besser Leben


Dienstag, 22. April 2025

Die Zärtlichkeit - Popsongs

Foto: Maike Preckel
(Ms) Hey Popmusik, wo stehst du eigentlich? Wie klingst du eigentlich gerade?

Kurz nach Weihnachten haben Freunde ein Spiel auf den Tisch gestellt, das ich derart gut finde, dass ich es mir letztens auch zugelegt habe. Es heißt Hitster und macht richtig viel Spaß. Man soll Lieder, die man via QR-Code und Spotify abspielt, nach Erscheinungsjahr sortieren. Das umfasst Musik über gut 100 Jahre und ist knifflig! Die Standard-Version umfasst Popmusik oder das, was in der jeweiligen Zeit halt modern war. Da ist richtig viel Gutes dabei - das muss man so sagen. Und dies ist keine Werbung.
Doch für meinen Geschmack ist Popmusik in den letzten zehn Jahren ein bisschen platt geworden. Zwischen elektronischer Überdrehung, aufgewärmten Klassikern und Forster-Bourani-Poisel-Giesinger-Gemisch.
Popmusik ist ja immer schön leicht, geht immer gut ins Ohr, ist nicht so kompliziert und verdreht. Sie macht den Moment entspannt und viele Menschen können sich drauf einigen. Das ist toll!

Und eine richtig gute Band aus Köln veröffentlicht am Freitag leicht programmatisch, aber hauptsächlich sanft, aufrecht, menschlich und kurzweilig ein Album, das den guten Titel Popsongs trägt. Soweit der programmatische Teil. Die Band dahinter heißt Die Zärtlichkeit und hat sich selbst damit einen hervorragenden Namen gegeben. Kennengelernt habe ich sie 2023, da sind sie bei den Zwischen-den-Jahren-Konzerten mit Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen mitgetourt. Und sie haben Eindruck hinterlassen bei mir. Ihr bis dato aktuelles Album Heimweh Meisterwerke ist so entspannt, gut getextet und leichtfüßig arrangiert, dass die Vorfreude auf diese Platte groß war.

Und sie hat sich gelohnt. Das Allerschönste bei den zehn neuen Stücken ist eine gewisse Art der Verletzlichkeit, die die Texte kennzeichnet. Hier muss niemand etwas schaffen, hier darf man Fehler machen, hier muss keine Show gespielt und keine Erwartungen erfüllt werden. Doch es beginnt mit einer Ode an eine wunderschöne Stadt - Vienna. Streifzüge durch die Nacht, ein bisschen verliebt sein vielleicht und kurz vorm Überfordertsein. Aber vor allem zum Tanzen, die Musik dieser Band strotzt vor Leichtigkeit. Und sie ist Pop - Schlagzeug, Gitarre, Bass, Gesang. Die vier Grundzutaten, die es immer schon gebraucht hat. Popmusik heißt auch immer ein wenig Nostalgie, oder? Genau wie der Inhalt auf Mixtape. Allein dieses Wort sagt Kindern und Jugendlichen heute sicher nichts mehr. Ein Lied wie ein Streifzug durchs Älterwerden, Auseinanderleben, Schwelgen in Erinnerungen, die auf dem Dachboden lauern. Pop darf auch ein bisschen mit der E-Gitarre spielen. Und das tut Die Zärtlichkeit wie nie vorher auf Angst, meines Erachtens dem Schlüsselstück dieses Albums. So viel Spielfreude! So viel Aufrichtigkeit! „Manchmal ist da Angst, doch meistens ist es Liebe, die mich treibt.“ Im Text ganz präsent, ein leiser Humor: Die kleinen Ängste des Alltags - vor den Snacks im Supermarkt zum Beispiel. Genial! Der generelle Geist dieser Band und ihrer Art zu Texten macht sich am besten bemerkbar auf Mach Dich Frei. Denn es sind gute Ratschläge, die die Kölner dort geben ohne kitschig oder dramatisch zu werden oder allzu kalenderspruchmäßig. Das, was sie singen, klingt ganz leicht, ist aber unfassbar schwer. Frühlingshaft ist nicht nur eines der sehr seltenen Lieder über die schönste Jahreszeit, sondern hat einen ganz tollen coming-of-age-Charakter. Immer wieder beweist das Quartett richtig gutes Songwriting, das schwer Auszudrückende leicht zu verpacken! Pop heißt auch immer, ein bisschen in die Seele blicken lassen. Ob die Geschichte aus Schlechtes Vorbild genauso passiert ist, bleibt künstlerische Freiheit, aber das Thema ist wichtig. Wer war früher wichtig und ist es diese Person heute immer noch oder hat sich das Bild in der Zwischenzeit verändert?!

10 Popsongs schenken uns Die Zärtlichkeit. Die Platte erscheint bei Kleine Untergrund Schallplatten auf tollem orangenen Vinyl. Es ist ein Album, das die Leichtigkeit feiert, die gute Laune nicht versteckt, das Sanfte und Zerbrechliche zulassen und uns ausmachen. Das ist ihre Stärke!

02.05.2025 - Hamburg
04.05.2025 - Köln
23.05.2025 - Hannover
06.09.2025 - Kassel
27.09.2025 - Berlin


Donnerstag, 3. April 2025

Yann Tiersen - Rathlin from a Distance | The Liquid Hour

Foto: Aurélie Scouarnec
(Ms) Vielleicht ist Neo-Klassik das spannendste Genre überhaupt! Bis auf Jazz ist mir keine Musikrichtung mit so einer groben Zuschreibung bekannt, die derart vielfältig ist. Zudem glaube ich auch, dass es keine Free, Hard, Latin oder XYZ-Neo-Klassik gibt. Es ist eine Spielart, die für sich steht. Ihr Selbstverständnis zeugt von Mannigfaltigkeit. Leise, meditativ, entspannend geht ebenso wie laut, intensiv, berauschend. Analog geht ebenso wie digital. Verträumt neben wuchtig. Zarte Klaviersaiten neben durchdringendem Bass.

In den meisten Fällen geschieht das getrennt voneinander. Künstlerin X ist wuchtig, Künstler Y zart. Dann gibt es ein paar große Namen, die beides machen, aber auch separiert voneinander. Martin Kohlstedt ist auf seinen Alben recht zart, live ist es enorm zum mittanzen. Olafur Arnalds macht solo wunderschönste, sphärische Klaviermusik, mit Kiasmos geht es auch auf die Tanzfläche. Also: Beides geht, auch wenn es manchmal hauchzart aneinander vorbeigeht.

Bis jetzt. Bis zum 4. April diesen Jahres. Vor dem nächsten Satz muss ich gestehen, dass ich kein superguter Kenner der Szene bin. An diesem Freitag erscheint ein Album, das beide Pole zum ersten Mal vereint. Mit Rathlin from a Distance | The Liquid Hour gelingt dies dem Altmeister Yann Tiersen. Graphisch ist das schon mal ganz klar festgehalten in zwei Parts einer Platte. Und klar, so ist dieses Werk auch aufgebaut. Von leise zu doll. Dieses wahnsinnige Album ist ein einziges Crescendo! Es ist unglaublich gut gelungen. Doch könnte man ja auch behaupten: Warum nicht zwei Alben draus machen bei sage und schreibe 83 Minuten Spieldauer?! Weil es einen roten Faden gibt! Weil man die HörerInnen auch mal etwas herausfordern kann. Weil es so wunderschön ist, sich der Kunst hinzugeben. Wer hört schon mal knapp eineinhalb Stunden Musik einfach so, ohne etwas anderes dabei zu tun?! Wir sollten dringend damit anfangen.

Der erste Teil ist enorm heilsam. Wunderschön. Filigran. Harmonisch. Insbesondere beim sanften Tórshavn fallen mir Worte wie tröstlich, ummantelnd ein. Eine einfache, wiederholende Grundmelodie trägt durch das Lied, darüber tanzen, leicht melancholisch angehaucht, verträumte Passagen. Etwas umtriebiger, verspielt und locker-leicht kommt hingegen Norðragøta daher. Die Titel scheinen skandinavisch angehaucht beim französischen Klangkünstler. Auf letzterem kommen Bilder von zwei Menschen in den Sinn, die sich im wuseligen Treiben finden oder wiederfinden. In ähnlicher Weise ist auch Bigton komponiert und erinnert an den großen Soundtrack, dessen Namen wir hier mal nicht nennen - das verfälscht den Gesamteindruck.

Und dann wird es so richtig spannend. Denn dieses Album folgt einem glasklaren Plan und ich bin völlig hin und weg, wie gut er aufgeht! Caledonian Canal ist mit seinen nur zwei Minuten Spielzeit der Beginn des Wandels. Langsam klingen die reinen, zarten, Klaviertöne aus, von denen man mitunter die mechanischen Geräusche hört. Ein eher funktionales Stück. Das auf das Folgende vorbereitet. Das nächste Lied heißt Stourm und ist in meinen Augen der Schlüsseltrack der ganzen Platte. Auch wenn es später noch wesentlich deftiger zugeht, ist dieser Song der Wendepunkt. Und es wird sich 11 Minuten und 23 Sekunden gewendet. Auf einmal sind Streicher zu vernehmen. Langsam schleichen sich einzelne Synthie-Töne dazu. Nach drei Minuten eine Andeutung von Bass. Und dann kommt eine Sequenz, die mich beim ersten, zweiten und x-Ten Hören aus den Schuhen kippt. An dieser Stelle muss ich mich als kompletter Sigur Rós-Fan kenntlich machen. Das, was auf diesem Stück von Yann Tiersen geschieht, ist so nah an der isländischen Band dran, wie ich es noch nie gehört habe. Das ist kein Ritterschlag, das ist eine Vergoldung! Die Bläser, das Verspielte, das dennoch ganz viel Fläche hat und Raum für einen Beat lässt. Das ist genial! Nach sechseinhalb Minuten wippt man automatisch mit, da der Klang satter, markanter wird. Französischer Gesang setzt ein (der Sigur Rós-Moment ist vorbei), eine Clubatmosphäre entsteht, man dreht den Track automatisch lauter und beginnt zu tanzen! Dieses Stück repräsentiert das ganze Album!

Dann kommt der rote Faden! Ninnog At Sea verbindet thematisch beide Teile des Albums. Denn es ist die erweiterte, elektronische Version von Ninnog, das zu Beginn der Platte zu hören war. Clever gemacht! Die letzten drei Stücke knüpfen an diesem Geist an. Es ist sehr beachtlich, wie sich zum Beispiel The Liquid Hour über knapp elf Minuten entwickelt!

Mit Rathlin from a Distance | The Liquid Hour erschafft Yann Tiersen ein unglaubliches Werk. Die Spielarten eines ganzen Genres auf eine klug zweigeteilte Platte zu verschmelzen, ist sinnvoll und in außergewöhnlichem Maße gut gelungen! Ich weiß, dass es eh fast niemand macht, aber: 83 Minuten Musik am Stück zu hören ohne etwas anderes zu tun - nie war es sinnvoller!





Dienstag, 1. April 2025

Herrenmagazin - Du Hast Hier Nichts Verloren

Foto: Lucja Romanowska
(ms) Kleiner Sprung in der Zeit zurück. Hinein ins Jahr 2010. In dem Jahr habe ich Abi gemacht, noch zu Hause gewohnt, war aber auf dem Absprung in ein Freiwilliges Soziales Jahr. Eine gewisse Unsicherheit lag in der Luft aber auch viel Neugier auf alles was kommt. In jenem Jahr ist Das Alles Wird Einmal Dir Gehören von Herrenmagazin erschienen, es war ihr zweites Album und mein erstes, das ich je auf Vinyl gekauft habe. Paradoxerweise ohne einen Plattenspieler zu besitzen. Aber irgendwie wollte ich dieses große Medium in den Händen halten. An dieser Stelle geht ein Dank raus an meinen Papa, der seinen alten Plattenspieler wieder aktiviert hat, sodass dies die erste 12“ war, die ich gehört habe. Ein Meilenstein in der eigenen Musikhörbiografie. 

Herrenmagazin ist eine Band, die mich zum Ende der Schulzeit und Beginn des Studiums wirklich viel begleitet haben. Ich sah sie öfter live, ihre Musik lief laut bei mir zu Hause. In ihren Texten fühlte ich mich wohl. Immer ein dezentes Zweifeln an allem und an sich selbst. Das Scheitern im Sein wurde irgendwie sympathisch und humorvoll aufgegriffen. Bei Herrenmagazin überwiegt das Unperfekte mit einem Storytelling, in dem ich mich schnell wiederfinde.

Und dann waren sie weg. Ab 2016 haben sie Pause gemacht. Obwohl das nicht ganz stimmt. Zumindest haben sie keine neue Musik veröffentlicht. Einzelne Konzerte spielten sie hier und da. Im November 2019 sah ich sie im Tower, Bremen. Dort werden sie im Herbst wieder spielen. Denn Herrenmagazin sind wieder da. Nach gut zehn Jahren ohne neue Töne erscheint nun Du Hast Hier Nichts Verloren, ein typischer Albumtitel für diese Band. Ein Album, das am früheren Schaffen beinahe nahtlos anschließt, als ob nichts wäre. Der alte Sound ist zurück, die gleiche Haltung in den Texten zwischen Beinaheaufgabe, Hoffnung, Menschsein: Wir sind halt unperfekt.

Alter Debütant ist der Startschuss in die neue Platte und ein wunderbarer obendrein! Wie bekomme ich diesen Alltag auf die Kette? Die ganzen kleinen Hindernisse und Unwegbarkeiten. Sie sind alle bekannt, und dennoch bleibt es so. Die guten Tipps und Kalendersprüche - bleiben zwecklos. Und das ist irgendwie okay so. Wenn Deniz Jaspersen singt, geht es nie drum, irgendetwas besser zu machen oder zwanghaft zu reflektieren. Es ist erstmal so wie es ist. Und das darf durchaus mit einem Schmunzeln beobachtet werden. Fragment haut in die gleiche Kerbe. Man könnte ja eine andere, bessere Version von sich und so auch besser für andere da sein. Manchmal ist man sich fremd und dann kommt die Einsicht: „Was uns früher mal vereint hat / wird zu etwas das uns trennt.“ Das ist bitter, aber auch normal. Keine Angst, liebe Leute. Und manchmal hilft dann auch nur die Einsicht, dass das Gröbste überstanden ist. Das, was war, war Mist, aber es ist vorbei. Darum geht es in Letzte Ausfahrt. Diese Art zu texten ist so wunderbar. Heilsam gar, weil es so unaufdringlich ist: Ja, ist manchmal alles etwas kompliziert und oft auch ganz schön dunkel - aber schon okay.
Ja, manchmal ist das alles im Ungleichgewicht. Oft nimmt man mehr, als man gibt. Ja, es gibt so Phasen. Davon erzählt Unvollständig. Und der Titel sagt ja schon: Ist nicht super, und sicher auch nicht ganz richtig aber in diesem Moment bin ich so durchs Tal gekommen. All diese Lieder sind im alten, bekannten Herrenmagazinsound eingebettet. Es ist Gitarrenindierock. Und ich freue mich schon rauf, wenn sie auf der Bühne stehen. Wenn Deniz Jaspersen trotz aller Hoffnungslosigkeit strahlt. Wenn Rasmus Engler den Takt vorgibt, wenn Paul Konopacka den Bass bedient und König Wilhelmsburg so sehr beim Gitarrespielen auf den Zehenspitzen steht, sodass man immer etwas die Sorge hat, dass er gleich von der Bühne fällt.
Das Lied, was diese ganzen Themen am stärksten zusammenbringt ist Mit Halbleeren Worten. Hier ist nicht nur die Gitarre etwas markanter und koppelt zum Teil auch gut zurück. Zum Anderen steckt hier der Albumtitel in den Zeilen: „Wo du allen was beweisen möchtest / da hast du nichts verloren.“ Ja, man kann auch gut auf das, was die anderen sagen, raten, wollen nichts geben! Und: „Du möchtest Menschen was bedeuten / die deine Liebe nicht verdienen.“ Bäm! Was für starke Aussagen! Was für eine starke Band!

Ja, Herrenmagazin sind wieder da und das ist sehr gut so. Ihre Stimme hat gefehlt in der deutschsprachigen Musiklandschaft. Es ist nicht verkrampft, es ist alles schon okay so wie es ist, auch wenn die Wolken richtig dunkel sind. Sie sind unaufdringlich und wunderbar in genau diesem Sein. Zudem haben sie sich nicht krampfhaft neu erfunden. Sie klingen so, wie sie eben schon immer klangen: Du Hast Hier Nichts Verloren ist nichts anderen als großartig!

11.04.2025 Frankfurt, Nachtleben
12.04.2025 Stuttgart, clubCann
01.05.2025 Hamburg, Markthalle
02.05.2025 Hannover, Bei Chéz Heinz
03.05.2025 Berlin, Bi Nuu
04.05.2025 Berlin, Bi Nuu
17.10.2025 Dresden, Groove Station
18.10.2025 München, Kranhalle
20.10.2025 Leipzig, Naumanns
21.10.2025 Kassel, Goldgrube
22.10.2025 Essen, Zeche Carl
23.10.2025 Köln, Gebäude 9
24.10.2025 Bremen, Tower


Dienstag, 25. März 2025

AB Syndrom - Implosion

Foto: Anne Ludwig
(Ms) Ein Text über Erwartungen an Musik. Wer erwartet was, wenn eine neue Platte entsteht oder erscheint? Ganz vorne ist logischerweise die Band selbst, die sich Gedanken macht, Zeilen und Melodien sammelt. Was wollen sie aussagen, welche Gefühle wecken, welche Geschichten erzählen?! Dann sind die HörerInnen, die die MusikerInnen länger kennen, sich ein Bild gemacht haben, einen gewissen Sound erwarten, bestimmte Zeilen, die sich ins Herz brennen. Einige Male las ich auch schon von klaren Erwartungen der Labels. Sicher sind schon mal Lieder von Alben verschwunden, die irgendwelche Bosse da so nicht unbedingt sehen wollten oder der Kunst der Band nicht so viel Potential zugeschrieben haben, um sie bestmöglich zu vermarkten.

Wie es genau hinter den Kulissen von AB Syndrom läuft, weiß ich natürlich nicht. Ich spekuliere ein wenig mit der Hoffnung, ein kleines bisschen Recht zu haben. Ab Spiegelbild, dem gemeinsamen Track mit Mine, bin ich auf Bennet Seuss und Anton Bruch aufmerksam geworden. Und haften geblieben. Ein Mal sah ich sie live und es war enorm. Sehr beeindruckend. Denn die Kunst, die sie auf Platte präsentieren und live darbieten, wirkt für mich enorm frei. Völlig ohne Zwänge. Ohne ein erkennbares äußeres Korsett. Das ist für mich das erste, ganz wichtige Erkennungsmerkmal von AB Syndrom: Viel künstlerische Freiheit! Hinzu kommen richtig viele Emotionen. Die Texte strotzen nur so vom nackt-machen, also dem ungefilterten Dasein zwischen Texter und lyrischem Ich. Folgende Vermutung: Zwischen den Texten und Musikern bei dieser Band gibt es keinen Unterschied, kein Storytelling, sondern Verse aus dem eigenen Sein. Das zweite Erkennungsmerkmal.

Am 28. März erscheint ihr nächstes Album: Implosion. Rein von der Musik ist es überhaupt keine Platte, die mich je packen würde. Auf den ersten Blick. Es ist elektronischer Pop. Das schon. Aber es fehlt (mir) jegliche Referenz. Genau das finde ich spannend. Wo es keine (oder sehr wenige) Ähnlichkeiten gibt, ploppt viel Können und enorm viel Wissen um musikalische Funktionsweisen auf. Bei AB Syndrom steckt nicht nur viel Know-How im Texten, sondern auch im Musikmachen. Die beiden wissen ganz genau, wie Stimmungen, Dynamiken aufgebaut und aufgelöst werden können und machen sich dieses Wissen zu eigen. Genial!

11 neue Songs sind auf Implosion zu hören. Elf Stücke, die alle ihre eigenen Schwingungen haben, ihre eigenen Akzente setzen. Kein Stück ist überflüssig, kaum Schwächen, richtig gut! Die Platte startet mit hochgradig emotionalem Gesang im Refrain von Warum Bist Du Immer So. Direkte Gänsehaut. „Ich weiß keine Antwort auf die Fragen, die du mir stellst“ gestehen sie auf Verlier Mich Selbst, auf dem Mine ein tolles Feature hat. Dazu gibt es ein reichlich verspieltes elektronisches Arrangement, das den Kopf automatisch wippen lässt. Zum Ende hin ballert der Bass ziemlich satt - oh ja! Eine gewisse Lockerheit und Witz zeigen sie auf Zeit Zurück, wenn Versicherungen alles ersetzen können. Ja, ist ja oft so. Nur eines ist unersetzbar, das war im Titel steckt: die Zeit. Das wertvollste, was wir Menschen haben. Ein nahegehender Track mit einem großartigen Beat - ein klares Highlight, musikalisch und textlich, das live bestimmt toll knallen wird! Was ich mit nackt-machen meine, zeigen sie auf Stabil: „Du denkst ich bin stabil, aber ich bin es nicht.“ Eine Lied gewordene Offenbarung, Verletzlichkeit zu zeigen, Schwäche zuzugeben. Und dass das okay ist. Der Part von Roger Rekless auf diesem Track ist überragend! Lowkey ist ein wilder Mix aus englischen und deutschen Vokabeln, eigentlich ein Stilmittel, das ich furchtbar finde, aber hier juckt es mich gar nicht. Ich weiß nicht woran es liegt und das gefällt mir gut, dass AB Syndrom das so spielerisch gelingt. Blindflug zusammen mit Trille ist noch so ein emotionales Highlight! Ein Song, in dem es unklare Phasen geht, wenn man sich zu schnell mitreißen lässt. Wenn die Kontrolle und das Bewusstsein abnimmt, wie in einem negativen Rausch „bis es nicht mehr geht“.

Implosion ist ein großartiges Album! Ja, Fröhlichkeit, Heiterkeit und Leichtigkeit sucht man hier vergebens. Aber es ist emotional nicht anstrengend oder belastbar. Dafür sorgen stets die tolles Beats und Arrangements, sodass die ehrlichen, manchmal harten Zeilen nicht runter ziehen. Das ist phantastischer, freier, genialer, ehrlicher Pop, der so keinen Vergleich hierzulande findet und jegliche Erwartungen übertrifft!

22.04.2025 - Leipzig, Naumanns
23.04.2025 - Dresden, Beatpol
24.04.2025 - Berlin, Hole 44
25.04.2025 - Hamburg, Bahnhof Pauli
26.04.2025 - Nürnberg, Club Stereo
27.04.2025 - München, Milla
29.04.2025 - Stuttgart, Im Wizemann
30.04.2025 - Mainz, Schon Schön
02.05.2025 - Köln, Jaki
03.05.2025 - Aarau, Kiff
04.05.2025 - Winterthur, Albani


Mittwoch, 12. März 2025

Oehl - Lieben Wir


Foto: Tim Cavadin
 (Ms) Im November 2019 habe ich an dieser Stelle das erste Mal von Oehl berichtet. Damals noch als Duo und über die wunderbare Single Wolken, die immer noch regelmäßig bei mir läuft. Viel ist in der Zwischenzeit passiert! Vom Duo ging es ins Solo-Projekt. Ein Album, eine EP und viele Kollaborationen später schreiben wir das Jahr 2025 und ein weiteres Oehl-Album wird erscheinen. Es heißt Lieben Wir und eröffnet ein weiteres neues Kapitel. Nein, der Gesang bleibt gleich und unverwechselbar, bewusst verwaschen. Zu Beginn des Oehl-Projekts war ein eindeutiger Band-Sound zu hören, das änderte sich, als Hjörtur ausstieg, da hat Ariel mehr experimentiert, mehr Synthies und Effekte genutzt und ein zweiter, eigener Klang entwickelte sich. Tanzbar, verträumt, oft voller spielerischer Leichtigkeit. Nun geht es quasi zurück zu den Wurzeln. Lieben Wir hat einen ganz neuen Sound, das wird direkt zu Beginn im instrumentalen Intro klar, das macht diese Platte wahnsinnig spannend und zeigt auf, dass Ariel Oehl ein unglaublich vielseitiger Musiker ist. Klare Akustikgitarren, klares Schlagzeug, wenig Effekte, die nebenbei erklingen. Dies ist nicht nur ein Konzeptalbum über die Liebe, sondern eines, das frischer klingt als alles zuvor. Es klingt leicht, enorm zugänglich, wenig verkopft. So, als ob dort jemand noch mehr zu sich gefunden hat - als Mensch, Musiker, Künstler, Texter.

Lieben Wir. Aber die Liebe ist kein neues Thema auf Ariel Oehls Liedern. Doch baut er hier ein Album aus diesem Thema, das sich nie erschöpfen wird. Ein Konzeptalbum darüber zu erschaffen - damit ist er natürlich nicht der erste, der auf diese Idee kommt. Mir fällt dabei direkt Love von Get Well Soon ein, eine hintergründige Platte, die die Liebe aus jeglichen Winkeln betrachtet. Auch Ariel Oehl belässt es auf den neuen Tracks nicht bei einer romantischen Sichtweise. Das tut dem Thema auch sehr gut, sonst laufen KünstlerInnen schnell Gefahr berechenbar und langweilig zu werden. Zwei Adjektive, die bei diesem Musiker wohl nie auftauchen werden.
Seit jeher gibt es bei Oehl keinen klaren Gesang. Das ist Teil des Projekts, Identität dieser Band. Doch auf diesem Album ist die Nuschelei noch ein Grad derber geworden und tut den Liedern keinen Gefallen. Auf seinen Konzerten lässt er ja schon den Text mitlaufen, um mitsingen und verstehen zu können. Das Verstehen fällt auf Lieben Wir oft schwer. Und das ist sehr schade, denn das Texten und Dichten ist doch seine große Stärke. Mir ist kein Künstler im deutschsprachigen Raum bekannt, der ähnlich schreibt. Oft mit so feinen, gefühlvollen, ehrlichen, bitteren, aufrichtigen Zeilen, die mal weh tun und mal wärmend ihre Hände um einen legen. Schade, dass dieses Talent nicht immer zu hören ist.

Die Blickwinkel auf die Liebe. Sie machen dieses Album spannend. Es ist nicht nur die romantische Liebe zu einem anderen Erwachsenen gemeint. Er blickt auch auf seinen Sohn. Oder gar auf die Zeit, wenn eine Liebe vorbei ist. Auch das passiert und wir kennen diese bitteren Tage, Wochen und Monate. In Diesem Jahr Reden Wir Nur Gut Voneinander ist genau der passende Song dazu. Verspielte Gitarren, ein verspielter Beat ab der Mitte gepaart mit Bläsern und ganz aufrechte Zeilen, die man sich nur wünschen kann, selbst sagen zu können, sollte es mal soweit kommen. Im Nachhinein gut voneinander zu reden ist die größte Aufgabe und die menschlichste. Hut ab!
Hut auch ab für einen Künstler, der zwischen sich und der Person, die auf der Bühne steht, keinen Unterschied macht. I Love You ist eine Hymne an seinen Sohn. Komplett kitschig, komplett toll, weil so ehrlich! Das Allerschönste an diesem wundervollen Lied, das so frech gut ins Ohr geht, sind die Zeilen, zu denen man tanzen möchte. Denn sie stammen aus einem kleinen, süßen Kinderlied. Ich sehe schon die Gäste auf der Tour vergnügt Auf Der Mauer Auf Der Lauer singen! Nur Liebe dafür!
Über die Liebe zu singen, heißt auch, die richtigen Worte dafür zu finden. Auf dieser Suche ist Ariel Oehl schon seit Beginn seines textenden Daseins. Feuchte Augen Für Alle ist das passende Lied dazu! Auch auf Ein Echtes Lachen geht es darum. Ich finde es schön, wie Ariel Oehl diese Schwierigkeit ganz unumwunden preisgibt: „Wir haben sie gesucht / Die Sprache, in der wir Tschüss sagen können.“ Wow! Was für tolle Worte für diesen tonnenschweren Schritt. Ja, manchmal klappt es halt nicht, da hat man sich verrannt, verguckt, verträumt. Dann muss das aufgeräumt und gerade gebogen werden. Gut, dass es solche Lieder gibt!
Nicht nur das Thema wird auf diesem Album differenziert betrachtet, auch der Sound ist, wie gesagt, neu. An einigen Stellen ist er angenehm poppig und seicht. An Anderen wiederum cineastisch-schwer wie auf Nett Hier, Aber Waren Sie Schon Mal In Therapie. Ein Zustand, den man niemandem aufgrund einer Liebe (ob aktuell oder vergangen oder nie erfüllt) wünscht, aber oft mehr als notwendig wäre. Dafür wäre ein breiteres Netz an Praxen und niedrigschwelligere Zugänge wichtig. Egal ob in Wien, Heidelberg, Jena oder Osnabrück. Gut, dass Ariel Oehl (indirekt) darüber singt!

Ein Lied wie Ich Weiß Nicht, Wie Man Jemand Bittet Zu Bleiben möchte ich gern verstehen und zum Verstehen nicht erst nachlesen müssen. Es ist ein so schönes Stück, das wieder toll mit dem Sound spielt, der plötzlich kräftiger wird. Auch Willi verstehe ich nicht, ohne die Zeilen vor mir zu haben. So ein wundervolles Lied über einen Zigarettenautomaten, der von heute auf morgen nicht mehr dort steht, wo er jahrelang gefristet hat. Ja, Gewohnheit und Liebe sind nicht weit voneinander entfernt. Ganz ungewohnt kommt zum Ende noch Eine Umarmung. Ungewohnt, weil auf einmal ein elektronischer Oehl-Sound aufploppt. Zusammen mit Eva Briegel von Juli singt Ariel Oehl hier ein herrliches Lied: „Ich mal dir eine Karte, wo du mich dann findest.“ 

Lieben Wir ist definitiv ein schönes Album. Eines, das ein neues Oehl-Kapitel aufschlägt. Der neue Sound ist schön und entspricht dem Thema. Doch ein wenig fehlen die Highlights, die zum mitschwingen einladen, da reichen ein, zwei Tracks nicht aus. Ja, die Verständlichkeit der Texte ist dieses Mal schon ein Hindernis für mich, einen Zugang zu diesen Liedern zu schaffen. Das ist schade. Klar, ich habe für diesen Text die Verse nachgelesen. Doch ist das der künstlerische Anspruch? Ja, eine intensive Beschäftigung ist dann eher möglich, doch ich stehe dem zwiegespalten gegenüber.
Doch dieser Punkt wird meiner Beziehung zu Oehl keinen Abbruch tun. Seit 2019 bin ich in diese Musik verliebt. Und dieses Album über die Liebe ist ein toller, neuer Schritt.

20.03.2025 Köln, Gebäude 9
21.03.2025 Frankfurt, Brotfabrik
22.03.2025 Stuttgart, Schräglage
23.03.2025 München, Ampere
26.03.2025 AT-Graz, PPC
27.03.2025 AT-Salzburg, Rockhouse
28.03.2025 AT-Villach, Kulturhof
29.03.2015 AT-Innsbruck, Treibhaus
02.04.2025 Leipzig, Moritzbastei
03.04.2025 Hannover, LUX
04.04.2025 Hamburg, Bahnhof Pauli
05.04.2025 Berlin, Säälchen
11.04.2025 CH-Zürich, Exil
12.04.2025 AT-Dornbirn, Spielboden




Montag, 17. Februar 2025

Shirley Holmes - Mein Bestes Selbst

Foto: Christoph Mangler
(Ms) Folgende Frage stellt sich mir seit Monaten und Jahren in immer regelmäßigen Abständen. Mitunter täglich, je weiter die Zeit voran schreitet. Die Frage: Wie begegne ich den allgemeinen globalen, nationalen, lokalen Negativtrends? Mittlerweile erstarre ich nur noch, wenn ich lese, wie der amerikanische Staat derzeit abgebaut wird. Wenn ich lese, dass es Bestrebungen in der CDU gibt, eine Minderheitsregierung unter Mitarbeit der AfD zu tolerieren. Wenn ich lese, wie Übergriffe instrumentalisiert werden und das Thema Migration völlig aufgepumpt wird, obwohl es (in meinen Augen) ein Männlichkeitsproblem ist. Denn in Dortmund, Bremen, Ratingen gab es auch Messerangriffe, aber halt von „Deutschen“ ausgeübt. Oft hat die Polizei die Schusswaffe dann gebraucht. In weiten Teilen der Medien und Politik tauchen diese Fälle kaum auf.

Wie damit umgehen? Reicht es, auf die großen Demos zu gehen? Dass man dahin muss, ist klar. Muss ein humanes Engagement, das die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigen will, noch anders aussehen? Wer Ideen für mich hat: Meldet euch gerne!

Wut ist dabei definitiv ein Gefühl, das sicher nicht nur mich erwischt. Doch wenn die Wut alleine bleibt, bekommt sie Schaum vorm Mund, trampelt auf der Stelle oder führt zu falschen Entscheidungen. Eine Prise Ironie darf dabei nicht fehlen. Ein bisschen Erdung. Eine Möglichkeit, um nicht völlig durchzudrehen. An dieser Stelle kommen Shirley Holmes aus Berlin ins Spiel. Am 14. Februar haben sie ihr neues Album Mein Bestes Selbst veröffentlicht und es ist großartig geworden! Wie das Trio hier Wirklichkeit und Ironie verbindet, ist phantastisch. Denn es ist genau das richtige Maß: Der Witz bleibt so lange lustig, wie die Nervenbahn ihn ans Hirn gesendet hat und dann wiederum im Hals stecken bleibt. Puh! 

Es sind 11 Tracks, die etwas über eine halbe Stunde Spieldauer haben. Es ist Punkrock. Es ist schnell. Es ist laut. Es ist wild. Es ist kompromisslos. Es ist selbstgemacht. Am besten beschreibt die Band ihren Sound auf dem Track Aggressive Musik, denn es ist die, die ihrer Stimmung entspricht. Und wenn man sie woanders nicht findet, dann muss man sie halt selbst machen. Wow, das geht enorm gut auf. Die Band behandelt nicht nur die großen Probleme, sondern auch die Privaten. Auf Übermorgen geht es um die gute alte Prokrastination und manchmal aufflackernde Überforderung bei all den To Dos, die sich sammeln. Manchmal nervt dieses Erwachsenenleben total ab - hier kommt die Erlösung! Die aufkommende Wut lähmt auch manchmal, schlägt mitunter in Furcht um. Darum gehts in Angst & Hobbys. Diese Angst muss mich nicht einfrieren, ab und an ist sie auch gut, um zu schauen, was denn überhaupt los ist. Sie ermöglicht auch einen Blick auf die Realität und wie damit umzugehen ist. Aus der Angst muss immer eine Aktion folgen, sonst gewinnen die anderen. 

Ein paar Songs singen Shirley Holmes auch auf Englisch. So einen Sprachwechsel finde ich manchmal etwas schräg, ist aber nur meine persönliche Empfindung. Ich kann es nicht genau erklären, wieso, aber es geht auf dieser Platte richtig gut auf, wenn Tracks wie Wanna Fck Your Reflection durch die Boxen scheppern. Die ganze Angst, die Wut, die Lähmung, das Versteinern wäre nichts, wenn es nicht auf aufgelöst wird. Sommerstadt (Recharge Me) ist dabei nicht nur der poppigste Track von Mein Bestes Selbst, sondern auch der Positivste. So ist diese Platte wahnsinnig ausgewogen, voller Emotionen, klug getextet, wuchtig arrangiert, inhaltlich super wichtig und live bestimmt enorm!

07.03.25 Dresden, Chemiefabrik (+ Riot Spears / One Hit Rüdiger)
08.03.25 Erfurt, Museumskeller (+ POLL3)
14.03.25 Hamburg, Nochtwache (+ Surreal Fatal)
15.03.25 Bremen, Lagerhaus
27.03.25 Hannover, Lux
28.03.25 Essen, Don't Panic (+ The Destruents)
29.03.25 Würzburg, Immerhin
05.04.25 Berlin, SO36 (+ Fil)
09.10.25 Nürnberg, Z-Bau
10.10.25 Graz (AT), tba
11.10.25 München, Milla
07.11.25 Bielefeld, Forum (+ SAFI)
08.11.25 Köln, Blue Shell
06.06.25 Beverungen, Orange Blossom Special
07.06.25 Merkers, Rock am Berg Open Air
28.06.25 Hergensweiler, Woodstockenweiler Festival
05.07.25 Remchingen, Steinbruch Benefiz Open Air

Mittwoch, 12. Februar 2025

Tocotronic - Golden Years

Foto: Noel Richter
(Ms) Wenn Golden Years an diesem Freitag (14. Februar) erscheinen wird, ist es das 14. Album in 33 Jahren Bandgeschichte von Tocotronic. Was für eine Zeit! In den letzten zwanzig Jahren war Rick McPhail maßgeblich am Sound der Band beteiligt. Ihn live spielen zu sehen, ist ein Genuss. Wie sehr er in das Gitarrenspiel versunken sein kann, wundervoll! Auf der kommenden Tour wird er nicht dabei sein, da er aus persönlichen und gesundheitlichen Gründen vorerst aus der Band ausgestiegen ist. Alles Gute auf diesem Wege! Live wird Felix Gebhard von Muff Potter seine Rolle einnehmen - ein extrem würdiger Ersatz!

Golden Years!
Ja, wenn Tocotronic für eins bekannt ist, dann sind es die großen Gesten. Textlich und auch visuell. Insbesondere Dirk von Lowtzow kann wirklich allem mit seinem Körper, seiner Gestik, Mimik, seinem Sein viel Bedeutung verleihen. Viel Pathos. Viel Ernsthaftigkeit. Vielleicht ist es nach all den Jahren mal Zeit, einen etwas anderen Blick auf diese Band zu werden. Können Tocotronic lustig sein? Hat diese Band Humor? Könnte in den Texten etwas zum Schmunzeln drin stecken? Nehmen sie sich vielleicht doch gar nicht mal so ernst?

Wenn die neuen Stücke der Platte laufen, fällt direkt auf: Musikalisch werden wir hier nicht überrascht! Das ist Tocotronic-Gitarrenrock, wie man ihn seit langer Zeit kennt. Wenn nun ein eventueller humoristischer Zug in ihrem Texten erkennbar sein sollte, müssen die Erwartungen dafür klar sein. Hier spielen nicht Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen, die witzige, kurzweilige Geschichten erzählen. Tocotronics Humor funktioniert anders. Auch bei weitem nicht auf jedem Stück, das wäre ja auch falsch. Aber er lässt sich finden und tut dem Bild dieser Band mal ganz gut. Es müssen nicht immer die großen Gesten und die große Bedeutungsaufladung sein. 

Das Titelstück ist zum Beispiel so eins, wo man schmunzeln kann. Ein Rückblick auf zahlreiche Zugreisen und Konzerte, die die Band gespielt hat. Freilichtbühne Recklinghausen, Motel One, Schlafmittel. Dazu beinahe eine Musik, zu der man schunkeln kann. Dass es hier Verse gibt, die mal ein wenig profaner sind, ist schön und nicht einfallslos. Mein Unfreiwillig Asoziales Jahr ist ja per Titel schon unterhaltsam. Worum es genau geht, bleibt im Unklaren. Doch es kann sein, dass es um massiven Handykonsum geht - sitzen und starren auf den tiefblauen Bildschirm. Dazu Dirk von Lowtzows herrlicher Bariton - tolle Kombination! Nach all den Jahren darf man auch definitiv über mäßig gut gelungene Zeilen amüsieren. Zum Beispiel: „Vergiss die Finsternis / Finsternis ist Mist.“ Puh, da gilt es mal eben durchzuatmen. Zum Schmunzeln ist auch Bye Bye Berlin mit all seinen Kischees, um die es im Text geht. Insbesondere von außen darf man ja Berlin als Stadt, als Lebenskonzept gar nicht so ernst nehmen, das tun die BewohnerInnen der Stadt schon zu Genüge. Doch: Schließen Tocotronic hier ihre Berlin-Jahre? Keine Ahnung. Schöne Ungewissheit.

Und dann sind Tocotronic zurecht für gute, wahre, dringend benötigte Parolen bekannt. Dafür brauchen wir diese Band unbedingt. Denn Sie Wissen Was Sie Tun ist die erste Singleauskopplung gewesen und seitdem läuft das Lied immer wieder bei mir, weil es so einfach, so klar, so klug, so wahr ist. Insbesondere die Entwicklungen in den letzten Wochen in Österreich, den USA oder hier Bundestag zeigen, dass es viele recht Hardliner gibt, denen alles vollkommen egal ist. Außer die Superreichen werden noch superreicher. Neben den ganzen faschistischen Einstellungen ist und bleibt die AfD eine Partei der Bestverdienenden, die schonungslos den Staat abschaffen will. Diese Menschen sind gefährlich.
Doch mein ganz persönliches Highlight von Golden Years ist Wie Ich Mir Selbst Entkam. Es ist ein typisches Tocotronic-Lied, das ein Szenario eröffnet, das unklar ist. Ein Lied, das in einem philosophischen Metastadium funktioniert. Das erzählende Ich findet sich im „Asyl für Tagediebe“ ein und findet dort Erlösung. Ein Sanatorium, um sich selbst zu finden. Oder sich zu entkommen. Vielleicht ist beides ja das gleiche, je nachdem, woher man kommt. Die Liebe dieser Erde und die Veränderung begegnen sich dort und beobachten sich. Ein schwer zu greifendes Lied, das mich aber ganz enorm berührt. Mystisch, wundervoll!

Golden Years! Die 14. Platte von Tocotronic kommt ohne einen großen Knall daher. Damit muss diese Band auch gar nicht aufwarten. Wer so lange unterwegs ist und so erfolgreich ist und stets kreativ bleibt, der muss niemandem etwas beweisen. Es ist ein tolles Album zum Schmunzeln, Skandieren und Träumen. Wenn die Band demnächst auf Tour ist, bin ich extrem gespannt, wie sie als „neues“ Quartett funktionieren. Bestimmt gut!

19.03.25 Leipzig, Felsenkeller
20.03.25 Stuttgart, Im Wizemann
21.03.25 Nürnberg, Z-Bau
22.03.25 Wien, Konzerthaus
26.03.25 München, Tonhalle
27.03.25 Freiburg, E-Werk
28.03.25 Zürich, X-tra
29.03.25 Wiesbaden, Schlachthof
09.04.25 Bremen, Schlachthof
10.04.25 Dortmund, FZW
11.04.25 Hannover, Capitol
12.04.25 Köln, E-Werk
20.04.25 Berlin, Columbiahalle
26.04.25 Hamburg, Große Freiheit