Foto mit freundlicher Genehmigung von: Simone Menthe
(ms) Paul, Jenny und Martin sind Reisegruppe Seltsam sind Fortuna Ehrenfeld sind - so würde Dittsche bestimmt sagen - Weltmenschen. Und sie haben sich Carpe Diem auf der Bühne zum Motto gemacht. Der intellektuelle Brainfuck hat das schöne Wort Authentizität ja völlig abgedroschen gemacht. Nimmt man aber den Kern dieses Begriffs - pur, ungeschminkt, ehrlich, nahbar, aufrecht -, so trifft es auf die drei Kölner mehr als zu. Was sie treibt ist Bock ohne Ende, Dankbarkeit, dass es aufgeht und viele Leute zu ihren Konzerten kommen und völlige Unbedarftheit. Konventionen?! Drauf gepfiffen; wer braucht die schon? Wäre ja irre langweilig. Selbstredend arbeiten sie auch mit Kalkül: Martin mit Federboa, Schlafanzugoutfit, Plüschschuhen und Pulle Rotwein ist die geborene Rampensau, der man seine Zweifel ansieht aber auch das Strahlen im Gesicht abnimmt, wenn zum Lüneburger Salon Hansen Besucher in mehrfacher Mannschaftsstärke kommen. Und wenn diese die Songs aller drei Platten plus EP aus voller Kehle und leidenschaftlich mitsingen, dann verschwindet die Distanz zwischen Band und Publikum rasch. So ist es auch überhaupt kein Problem, dass Martins Wünsche - Pulle Jever und ein Barhocker - stockend aber dann zügig umgesetzt werden. Diesen drei Menschen kauft man einfach alles ab, weil sie sich spürbar nicht verstellen. Jennys Geschichten aus dem Touralltag, ihr vorgetragenes Gedicht und die eigene Musik am Tasteninstrument... es harmoniert gewaltig. Dazu zählt auch: Frühstücksbrettchen, selbst kuratierter Wein und wieder mal eine Platte-gewordene Riesenüberraschung am Merchandise... alles kein Problem. Sie haben Bock, sie machen es.
Diese ganze bunte, verrückte Mischung geht natürlich auch in der Musik auf. Die Wiederholungstäter und die Live-Entjungferten lächeln während der Songs und gehen glücklich nach Hause, wenn die drei bei Hundeherz, Das Ist Punk Das Raffst Du Nie oder Tequila abgehen. Sie sind zum großen Teil innehaltend und still bei Zuweitwegmädchen, Zwei Himmel und skandieren leidenschaftlich Puff Von Barcelona.
Ach, Fortuna Ehrenfeld... dankedankedanke für solch großartige Abende!
PS: An die Arschgeigen aus der letzten Reihe: Bliebt doch einfach daheim oder geht in die Kneipe zum Quatschen.
(ms/sb) Zumindest in der Küche ist eine der größten Fragen: Wo kommen stets diese ganzen Fruchtfliegen her? Treffen die sich draußen vorm Fenster und wenn sie Mannschaftsstärke erreicht haben, ziehen sie mit Pauken und Trompeten Richtung Bio-Müll? Ja, ich traue es ihnen zu.
Und jetzt kommt ein ganz geschmeidiger Übergang zu Nada Surf. Denn: Auf dem Superalbum Let Go ist der Track Fruit Fly zu finden. Möglicherweise spielen sie diesen verträumt-schönen Song kommendes Jahr, wenn sie in Deutschland sind. Die berechtigte Folgefrage ist: Was, Nada Surf spielen eine Deutschland-Tour im April und man hat bislang gar nichts davon mitbekommen?! Aus Gründen. Denn sie sind nur Support bei einigen Shows der Band Madsen. Und hier muss ich mich undiplomatisch zeigen: Warum, zum Henker, läuft das nicht anders herum? Die drei Amerikaner sind die Könige des Indie-Lovesongs, sowas von sympathisch, aufrecht, schnörkellos, nahbar. Madsen und Nada Surf können sich ja gern an einem Abend die Bühne teilen, doch bitte so, dass Always Love der letzte Track des Abends wird!
Und nun ist es wieder soweit. Wir haben geschaut, was taugt. Das Ergebnis: die Selektion!
Great Red Silence
(sb) So schade ich es finde, dass The Boys You Know wohl Geschichte sind, umso mehr freue ich mich, dass daraus eine Band entstanden ist, die qualitativ nahtlos dort anknüpft und die entstandene Lücke schließt. Wobei: So ganz korrekt ist das gar nicht, denn Great Red Silence bestehen bereits seit 2015, treten nun aber aus dem Schatten heraus und können mit ihrem teilweise sehr düsteren Sound überzeugen. Mitunter ist das Ganze etwas psychedelisch angehaucht, die Story des Protagonisten, der im White Shark Café (VÖ: heute!) von seinen Reisen und Abenteuern erzählt und dabei in unentdeckte Welten eintaucht, erscheint dem Hörer jedoch trotz (oder wegen?) der metaphorischen Stärke der Texte recht eindeutig. Acht Songs auf konstant hohem Niveau, der künstlerische Aspekt kommt auch in den Videos der Österreicher nicht zu kurz. Starke Scheibe!
Sofie Winterson
(sb) Donnerstag Morgen, 6 Uhr, strömender Regen am Bodensee. Vier Songs, also eine EP, die nicht länger ist als mein Arbeitsweg und mir diesen dennoch sehr angenehm gestaltet hat. Sofie Winterson ist eine Künstlerin der eher leisen Töne. Ihre fragile und doch samtige Stimme erinnert phasenweise an Sade, der Sound hingegen ist zwar nicht unbedingt unique, aber in seiner Kombination aus atmosphärischen Synthies, elektronischen Drums und Gitarren ein wärmender Mantel - und das, obwohl die Lyrics dies nicht zwingend vorgeben. Wintersons Moral EP (VÖ: heute!) dürfte ihre stets wachsende Fanbase mühelos erweitern - verdient hätte sich die Niederländerin das allemal!
Thees Uhlmann
(sb) Waaaaaaaaaaaas? Schon wieder Thees Uhlmann? Klar, wieso nicht, denn es gibt einen guten Grund dafür! Das neue Album des Meisters hatten wir ja bereits ausführlich besprochen (klick mich!), nun liegen uns aber auch die Bonus Tracks aus der Deluxe Edition von Junkies und Scientologen vor und die haben es in sich. Unter dem Titel Gold werden acht deutschsprachige Coverversionen zusammengefasst, u.a. von Haiyti, 2raumwohnung, Judith Holofernes und Sophie Hunger. Absoluter Höhepunkt ist indes Uhlmanns Version des Nena-Klassikers Fragezeichen, der das Original (und das ist eh mit riesigem Abstand mein Lieblingslied von Frau Kerner) aber mal so was von easy in die Tasche steckt. Thees' Stimme und Attitüde passen da einfach wie Arsch auf Eimer.
Wie sagte Thees so schön: "Einen guten Song kriegt man nicht kaputt. Nicht mal wir." Ganz im Gegenteil! Gold alleine macht den Erwerb der Deluxe Box schon lohnenswert und entschädigt für so manche Länge im eigentlichen Album.
Krakow Loves Adana
(ms) Mighty Dendemann hat mal gesagt: "Hiphop schmeckt wie Pizza, besser selbst gemacht." Das trifft natürlich auch auf gänzlich andere Genres zu. Heutiges Beispiel: elektronische Basis, Gitarre, Synthies und eine unverwechselbare Stimme drüber. Schon sind wir bei Robert und Deniz von Krakow Loves Adana. Das Hamburger Pärchen befindet sich gerade für die nächste Platte zusammen mit Johnny Jewel im Studio, um im Frühjahr über das Label Italians Do It Better zu veröffentlichen. Follow The Voice ist der erste Höreindruck; angenehm düster, catchy, positiv eingängig und neugierig machend auf das kommende Album! Doch nicht nur die Musik machen die Wahl-Hamburger selbst, sondern auch das Video, das ihr hier sehen könnt. Außerdem spielen Robert und Deniz dieses Jahr noch ein paar Gigs mit den Bands Chromatics und Desire. Aus Erfahrung sagen wir: Unbedingt hingehen!
04.10. - Kopenhagen, Store Vega
05.10. - Stockholm, Berns Salonger
09.10. - Berlin, Astra Kulturhaus
12.10. - Warschau, Praga Centrum (Ausverkauft!)
17.10. - München, Muffathalle
19.10. - Köln, Bürgerhaus Stollwerck
Deichkind
(ms) Okay, vor der Ankündigung fand ich die Bekanntmachung, dass Deichkind ein neues Album raus bringen ähnlich anachronistisch wie Neues von Fettes Brot oder den Fantastischen Vier: unnötig, wenig innovativ und tendenziell langweilig. Doch Wer Sagt Denn Das? ist ein Album gewordenes Brett, das heute (!) erscheint! Mit einer gewissen Finesse oszillieren sie zwischen Baller-Hymnen (1000 Jahre Bier) und einer produktiven Analyse der Gesellschaft (der Titeltrack). Meines Erachtens gelang ihnen das insbesondere auf dem letzten Album nicht so gut. Und um thematisch an die letzte Radiosendung von Juse Ju anzuknüpfen, ist das hier natürlich kein Rap. Sie untermauern viel mehr ihre Selbstzuschreibung der Eletric Super Dance Band. Und so werden die Shows der anstehenden Tour im Wesentlichen Shows, Entertainment, Eskalation mit ordentlich Pegel. Auf der Haben-Seite steht natürlich auch eine sehr raffinierte PR-Strategie, indem sie mighty Lars Eidinger für ihre Videos gewinnen konnten. Seltsamerweise ist er darin nie nackt zu sehen. Nun gut. Quintessenz: Deichkind 2019 funktioniert erstaunlich gut!
Smokey Brights
(ms) Man hat ein Lied im Ohr und denkt direkt: Das ist der ideale Soundtrack für einen vertrackten Kriminalfilm, der in dunklen Gassen, mit mysteriösen Figuren und einem sehr pfiffigen Detektivteam spielt. Kennt ihr in ähnlicher Weise mit Sicherheit auch. Heutiges Beispiel: Smokey Brights aus den USA. Vielleicht sollte man sich dazu das Video zu Different Windows beim ersten Hören nicht ansehen. Ehrlich gesagt: So spektakulär ist es auch gar nicht. Doch der Sound wirkt halt total. Es ist ein bisschen Disko, ein bisschen 60er und auf jeden Fall eine mitteilenswerte Kombination in der Band. Denn im Fokus steht das Ehepaar Ryan und Kim, die sich am Bass Luke und am Schlagwerk Nick dazugeholt haben. Das muss man auch erstmal durchstehen. Mitte Oktober kommt das Quartett zum ersten Mal nach Europa auf Tour. Vielleicht steht dann ja neben einem ein tanzender Typ mit Schiebermütze, Trenchcoat, Lupe und Notizblock... wer weiß?! Auf jeden Fall sollte man sich den jeweiligen Termin in der Nähe in den Kalender eintragen:
03.11. Hafen 2, Offenbach
05.11. Tsunami, Köln
06.11. Gastfeld, Bremen
07.11. Deichdiele, Hamburg
08.11. Hebebühne, Hamburg
09.11. Gramsci, Dachau
11.11. Fox Bar, München
12.11. Rhiz, Wien
De Press
(ms) Wie klingt nun Musik, deren Erschaffer aus Norwegen und Polen kommen? Ja, es könnte brachialer Metalkrach sein, dafür haben beide Nationen prominente Beispiele. Aber das ist nicht alles. In beiden Länden gibt es auch eine umfassende polkaähnliche Tradition. Paart man diese mit Strömungen aus New Wave und einer Stimme mit Wiedererkennungswert, so landet man bei De Press! Neben der normalen Bandbesetzung - Stimme, Gitarre, Bass, Schlagzeug, ist das Akkordeon wahnsinnig fein und schlau präsent. Nächste Woche (VÖ: 4. Oktober) erscheint ihr neues Album Body Manifest. Dass die 1981 von Sänger Andrej Nebb gegründete Band nicht müde wird, hört man im erfrischenden und ohrwurmartigen Song Agent Ego, der mit einem knallbunten und toll gemachten Video zu hören ist:
(ms) Die Band Wanda ist ein Phänomen, über das wir enorm dankbar sind. Sie sind pure Ekstase, die live angekündigte Vollverausgabung, Schöpfer von Hymnen, die beim Rausbrüllen die Lungenflügel beben und schmerzen lassen. Bei einigen Zeilen ist der tiefer gehende Grund der Skandalierung schleierhaft, aber es funktioniert und geht unglaublich auf. Wo andere auf der Bühne ein Handtuch und eine Flasche stilles Wasser stehen haben, da steht bei Wanda ein riesiger Aschenbecher und ein, zwei Kisten Bier. Das Phänomen hat natürlich auch mit Identifikation zu tun. Und selbstredend ist der Marco eine herrlich sympathische Rampensau. Ich kann mir vorstellen, dass die Fünf vom eigenen Hype stark überrascht waren, aber das Leben jetzt sehr zu genießen und schätzen wissen. Was ist Bologna für ein Überhit! Ebenso Schickt Mir Die Post, Luzia, Bussi Baby, Andi Und Die Spanischen Frauen, Lascia Mi Fare oder Ich Sterbe. Mit Wanda fällt es leicht, alles zu skandieren. Man muss es nicht mal verstehen.
Beim Album Niente war ich mir schon unsicher, ob das System Wanda noch aufgeht. Also: Hits am laufenden Band, schräg-schöne Texte, dieses Rotzfreche, Gescheite, diese unglaublich ewigen Texte. Und mit großer Wahrscheinlichkeit hätte das letzte Album mich nicht mehr so stark gepackt, doch das Kindheitsmotiv war fein gewählt und klug umgesetzt. Der heimliche Höhepunkt von Niente ist natürlich Ein Letztes Wienerlied: Was für eine phantastische (halbe) Cover-Nummer! Vom Inhalt und Stil ein unerwarteter, aber dennoch harmonischer Stilbruch und massiver punktueller Qualitätsschub nach oben.
Dass ein neues Album kommt, war absehbar. Mit Ciao Baby wurde im Sommer dann Ciao! angekündigt, die vierte Platte. Eine normalstarke, wandatypische Single mit viel Groove und Hooklines, die funktionieren. Doch so richtige Vorfreude auf das Ding kam nie auf. Und mit Nach Hause Gehen, der zweiten Single, wurde sie eher noch getrübt. Ich war jedoch angetan, dass sie sich musikalisch weiter entwickeln wollen, das hat die Band nötig, denn ewig kann das Patentrezept nicht abgespult werden. Nur ist die Frage, ob das den roten Wanda-Faden weiterspinnt. Und so sitze ich hier seit über zwei Wochen, lasse regelmäßig Ciao! laufen und es schwappt so gar nichts über. Kein einziger Funke, keine Begeisterung, noch nicht mal Ablehnung, nur riesengroßes Desinteresse. Es gibt nicht ein Lied auf dieser Platte, das mich ansatzweise catcht, mitzieht oder wenigstens verstört. Stattdessen nur große Ratlosigkeit. Was sollen Songs wie Ein Komischer Traum, Swing Shit Slide Show (der Titel ist schon wahnsinnig Banane) oder dem instrumentalen Outro Alma?!
Zum großen Teil sind es Trennungs- und Schmerzenslieder, doch diese emotionalen Augenblicke kommen nicht durch die Töne rüber. Liest man sich die Texte in Ruhe durch, steckt schon Potential drin. Doch man könnte aus zehn Ciao!-Songtexten drei richtig starke Wanda-Tracks machen, die zünden und nicht nur vorbei plätschern. Als jemand, der lang und eng mit NRW verbunden ist, und damit natürlich mit allen Formen des WDR sozialisiert wurde, ist Domian natürlich ein Song mit toller Absicht. Doch auch hier nur... puff. Und nicht ...BÄM!
Ganz viel Wanda-Zauber ist mit der neuen Platte (für mich) verloren gegangen.
Ich habe sie mir mehrmals angehört, um etwas drüber schreiben zu wollen.
Wahrscheinlich wird sie nun kaum noch laufen, da sie mich überhaupt nicht abholt.
Ich hab mir so sehr mehr letzte Wienerlieder gewünscht...
(ms/sb) Das Reeperbahn Festival ist in vollem Gange. Seit Mittwoch! Im September! Das schließt das Baller-Publikum im Vorhinein zu großen Teilen aus, sonst würde es im Sommer stattfinden. Dieser Tage macht das Stichwort Bodenfrost die Runde... brr... huch, abgedriftet!
Das Reeperbahn Festival ist ein Branchentreffen mit knallharten Auflagen. Für das Sehen und Gesehen-werden müssen Künstler zwei Gigs an einem Tag spielen oder drei Gigs an drei Tagen oder ein einzigartiges Ensemble aufbieten. Das RBF (wie man so schön abkürzt) will mit solchen Angeboten natürlich auch seinen Standort festigen. Zwischen Millerntor, dem Clochard und viel Viertelpolitik (Esso-Häuser, Mietpreise etc.) lauert natürlich auch eine Menge Folklore, das dem Festival einen unprätentiösen Rahmen gibt. Es ist das wichtigste Treffen für die Branche hierzulande, dort werden Deals, Tourneen oder Verträge verhandelt und unterzeichnet. So kommen einige Manager und Booker erst gegen Abend dazu, sich Bands anzugucken, daher knubbelt sich das Programm auch massiv ab 18 Uhr. Daher muss man für alle Konzerte früh da sein, eine halbe Stunde reicht oft nicht aus. Außerdem werden die Clubs nach den Konzerten nicht geräumt, in den Augen eines einfachen Festivalbesuchers natürlich eine Frechheit. Dennoch werde ich morgen wieder da sein und freue mich - hoffentlich - Stars und Dagobert zu sehen und mich viel treiben zu lassen. Es wird berichtet.
Doch heute... heute ist Freitag. Ihr wisst, was das bedeutet: Luserlounge. Selektion. Bitte:
Muse
(sb) Pünktlich zum 25-jährigen Jubiläum veröffentlichen Muse am 06.12.2019 eine umfangreiche Chronik ihres Frühwerks mit dem Titel Origin Of Muse. Bei Hardcore-Fans setzt an dieser Stelle wohl die Schnappatmung ein, doch auch für normale Sympathisanten der Briten dürfte die Deluxe Box etliche positive Überraschungen bieten: 9 CDs, 4 Vinyl-Alben, ein 48-seitiges Buch samt ausführlichem Interview, 40 bisher unveröffentlichte Songs und insgesamt 113 Tracks sorgen für einen fantastischen Einblick in das Schaffen von Matthew Bellamy und Konsorten.
Ganz günstig dürfte der Spaß vermutlich nicht werden, aber wann bekommt man schon mal die ersten paar Jahre einer derart erfolgreichen Band (über 20 Millionen verkaufte Alben weltweit!) so detailliert präsentiert?
Spermbirds
(sb) Es war der 17.12.1994, der Tag an dem ich meine Lieblingsband Therapy? zum ersten Mal live sah. Neben den großartigen Terrorvision und Pet Lamb waren auch die Spermbirds als Support dabei und brannten sich nicht zuletzt aufgrund des Namens ins Gedächtnis. Musikalisch kann mich nur dran erinnern, dass es laut war - und das ist ja schon mal ein guter Anfang.
Es folgten zig Jahre, in denen ich quasi nichts mehr von der Band aus Kaiserslautern hörte, bis plötzlich eine Email im luserlounge-Postfach landete und ein neues Album samt Tour ankündigte. Holla, die Waldfee! Dass ich das noch erleben darf! Go To Hell Then Turn Left wurde schließlich vergangenen Freitag (13.09.) veröffentlicht und ist, nun ja, größtenteils laut. Die Spermbirds gelten nicht umsonst seit ca. 35 Jahren als maßgebliche Band der europäischen Hardcore- und Punkszene. Ja, sie können es immer noch und man merkt ihnen förmlich an, dass sie den Spaß an der Musik noch lange nicht verloren haben.
23.10. Essen, Zeche Carl
24.10. Jena, Kassablanca
25.10. Berlin, Clash
26.10. Hamburg, Knust
13.11. Köln, Gebäude 9
14.11. Karlsruhe, Alte Hackerei (ausverkauft!)
15.11. Kaiserslautern, Kammgarn
16.11. Schrobenhausen, GreenHaus
Sedlmeir
(sb) Und gleich noch einer von der alten Schule: Sedlmeir hat die 50 auch schon geknackt, denkt aber nicht im Entferntesten daran, sich musikalisch irgendwie anzupassen. Herrlich ist das! Sein neues Album Senioren gegen Faschismus pendelt zwischen Chanson, Trash, Elektro und Punk und ist textlich mitunter so abgedreht, dass man unweigerlich an den Kollegen Heinz Strunk denkt. Erstaunlicherweise greifen da viele Räder ineinander und das Ergebnis ist absolut stimmig. Eine überaus positive Überraschung, die man sich auch live reinziehen sollte:
20.09. Plauen, Malzhaus
27.09. Berlin, Cortina Bob (Record Release Party)
03.10. Tübingen, Blauer Salon
04.10. Bamberg, Pizzini
25.10. Saarbrücken, Theaterschiff Maria-Helena
07.11. Unna, Spatz & Wal
08.11. Mönchengladbach, Blu Box Studio
09.11. Celle, MS Loretta
22.11. Altötting, Festsaal MKT
05.12. Basel (CH), Hirscheneck
06.12. Zürich (CH), Helsinki Klub
07.12. Freiburg, Slow Club
Rainhard Fendrich
(sb) Ich wurde in den 80ern musikalisch sozialisiert und durch die räumliche Nähe zu Österreich und die alljährlichen Urlaube in der Alpenrepublik habe ich seit jeher ein Faible für Land, Musik und Leute. Klar, dass Künstler wie die EAV, Peter Cornelius, Wolfgang Ambros, STS oder Georg Danzer da in der Gunst ganz oben stehen. Der liebste war mir aber immer Rainhard Fendrich, mit dessen Songs ich quasi aufwuchs. Waren es einst die eher lustigen Lieder wie Es lebe der Sport, Strada del Sole oder Oben Ohne, die mir gefielen, wurden es später die gefühlvollen á la Weus'd a Herz hast wia a Bergwerk oder Es tuat so weh, wenn ma verliert - ganz zu schweigen von der inoffiziellen österreichischen Hymne I am from Austria, die Fendrich 2016 dem Grünen-Kandidaten Alexander van der Bellen im Bundespräsidenten-Wahlkampf gegen den bräunlich angehauchten Norbert Hofer zur Verfügung stellte.
Mittlerweile zählt Rainhard Fendrich stolze 64 Lenze und präsentiert sich politischer denn je. In Zeiten wie diesen wohl eine absolute Notwendigkeit und in seiner Tiefgründigkeit und Intensität sehr beeindruckend. Fendrich ist ein hervorragender Beobachter des Weltgeschehens und seit jeher in der Lage, dies in Worte und Melodien zu verpacken, die Herz, Hirn und Verstand ansprechen. Auf Starkregen (VÖ: heute!) steht der zwischenmenschliche Klimawandel ebenso im Fokus wie intime Gedanken zum Leben im Alter oder die eigene Vergänglichkeit. Vor allem textlich sehr hörenswert!
Kaltenkirchen
(ms) Philip Maria Stoeckenius hat sein Musikprojekt nach dem Heimatort seines Vaters benannt: Kaltenkirchen. Insbesondere mit dem zweiten Vornamen, sagte mir mein Bauch als erstes, dass diese Ortschaft mit großer Sicherheit im tiefsten Bayern liegt. Doch: Massiv falsch gedacht! Kaltenkirchen liegt etwas nördlich von Hamburg, zwischen Itzehoe und Lübeck. Kurz vor Silvester - am 27.12. - veröffentlicht er sein erstes Album Namens Antischlager. Das ist zudem die Programmatik der Musik. Breite Synthie-Flächen, elektronisches Schlagzeug à la 80er und Texten, die ganz bewusst mit derbem Kitsch spielen. Zwischen Drangsal, Dagobert und ganz viel NDW bewegt sich Stoeckenius und weiß damit stark zu irritieren. Auch die Presse-Informationen sprechen von einem Mix aus Nena und Rammstein. Dem füge man noch eine selbstbewusste Portion Modern Talking hinzu und die Verstörung ist komplett. Dass das aufgeht und halt nicht mies klingt, mag in dem Zauber dieser Zutaten liegen. Am besten überzeugt man sich selbst davon:
Snøffeltøffs
(ms) Ja, außergewöhnliche Namen machen immer noch einen gewissen Reiz aus. Dass das bei der Gruppe Snøffeltøffs aus Berlin auch so ist, liegt auf der Hand. Sie machen nicht nur einen bestechenden LoFi-Gitarren-Rock, sondern geben dem Format Video einen schönen Drive. Denn im Bewegtbild der brandneuen Single Frohnau passiert eigentlich nichts. Gar nichts. Und das ist beinahe dramatisch. Denn der Protagonist liegt rücklings im Wasser, die Arme ausgebreitet, die Augen geschlossen, doch er singt als wäre er - vermutlich - nie gestorben. Und so hundertprozentig aufgelöst wird das Ganze am Ende auch nicht. Sehr pfiffig gemacht. Doch: Keine Single ohne Album! Und so erscheint die zweite Platte der aufs Trio angewachsenen Band am Nikolaustag. Es trägt den gleichen Namen wie die Single und irgendwo zwischen den frühen Tocotronic, einem urbanen Sound und einer sympathischen Unkonventionalität.
Dameer
(ms) Es ist ja bekanntlich immer eine Frage der Einstellung. Ich verkehre bei Twitter und Instagram nicht, weil ich darin keinen nennenswerten Mehrwert sehe. Wenn ich mich informieren will, reicht mir meist mein Facebook-Feed aus und noch häufiger der direkte Besuch der Internetauftritte meiner favorisierten Medien und natürlich wird auch Zeitung gelesen! Doch wenn es mal wieder Informationen, Debatten, Berichte über Querulanten, Krisen, Wahlen und Fußballergebnissen gibt, bei denen man gar nicht mehr zurecht kommt, braucht man eine Pause. Dafür eignet sich die Musikrichtung Easy Listening. Wer Hintergrundmusik sagt, verliert! Ich liebe zum Beispiel Lambchop. Dameer hingegen kommt nicht aus Nashville, sondern aus Bangladesh. Was überhaupt nichts zur Sache tut. Was jedoch wirklich erstaunlich ist: er ist erst 17 Jahr jung und macht so eine wahnsinnig entspannte, groovige, catchy Musik... das ist irre. Sun ist der zweite Track des jungen Herren und weiß unheimlich schnell zu gefallen; in Ansätzen vergleichbar mit Roosevelt. Lieber Dameer, bewahr dir deine Leichtigkeit und bring bitte bald so ein Album raus!
(sb) Er hat fünf Jahre nicht gesungen, eine halbe Dekade. Eine gefühlte Ewigkeit also, obwohl er ja nie so richtig weg war. Und ja, es war so, dass er irgendwie fehlte. Mit seinem neuen, mittlerweile dritten Soloalbum Junkies und Scientologen meldet sich Thees Uhlmann am 20.09. endlich zurück und möchte wieder die ihm eigene Atmosphäre der berührenden Distanzlosigkeit schaffen, die man so sehr an seiner Musik, an seinen Text, eigentlich an seiner ganzen Art schätzt. In der Theorie klingt das gut, die Praxis hingegen sieht ein bisschen anders aus.
Oft ist es ja so, dass man eine Band in erster Linie über ein einzelnes Mitglied, meist den Sänger definiert und die anderen Musiker komplett untergehen und oft genug sogar namentlich nicht mal bekannt sind. Wie heißen nochmal die anderen Bloc Party-Leute neben Kele Okereke? Oder die Mit-Musiker von Paul Smith bei Maximo Park? Auch hierzulande funktioniert das so: Tomte = Thees Uhlmann! Und das, obwohl die Band eigentlich aus namhaften Musikern (z.B. Max Schröder, Nikolai Potthoff und Dennis Becker) bestand. Sicher waren Tomte nicht nur für mich die Gruppe von Thees, in der er seine Ideen umsetzen und ausleben konnte.
Als wir Mitte Juli die Nachricht bekamen, dass der GHvC-Gründer demnächst ein neues Album veröffentlichen würde, war ich sofort Feuer und Flamme. Zu positiv und intensiv waren die Erinnerungen an die besuchten Konzerte, die vielen Stunden mit seiner Musik, als dass mich diese News kaltlassen hätten können. Also alle Alben durchgehört und festgestellt: Tomte berühren mich deutlich mehr als die Solo-Sachen! War mir damals gar nicht so aufgefallen, zeigt aber doch, dass die Musiker im Hintergrund scheinbar deutlich mehr Einfluss auf den Output haben als man so denkt. Vergleicht ruhig auch mal die oben genannten Musiker solo und mit Band - es ist erstaunlich!
Aber zurück zu Thees: Seit jeher hat der mittlerweile 45-Jährige ein herausragendes Talent dafür, mit der ersten Single eine riesige Euphorie bezüglich des folgenden Albums zu entfachen. Das war zu Tomte-Zeiten schon so (Schreit den Namen meiner Mutter, Ich sang die ganze Zeit von Dir) und auch solo zieht sich das dank großartiger und bewegender Tracks à la Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf und Am 7. März wie ein roter Faden durch. Der große Unterschied: bei Tomte wurden die geweckten Erwartungen zumeist erfüllt und gerade ihr letztes Album Heureka beinhaltet ein paar Perlen (Das Orchester spielt einen Walzer!), die ich immer und immer wieder hören möchte. Solo hingegen packts mich nicht so wirklich. Wie geschrieben: Damals, zu den jeweiligen Releases war mir das gar nicht so bewusst, jetzt jedoch ist es schon arg auffällig.
Nun also Junkies und Scientologen - kryptischer Titel, oder? Mit Fünf Jahre nicht gesungen wurde die obligatorische Hymne als Vorab-Single veröffentlicht. Und ja, es hat mich wieder extrem neugierig gemacht. Man kann es nicht anders sagen: ein unfassbar toller Song, sicherlich einer der besten, die Uhlmann je geschrieben hat. Somit lag die Messlatte fürs Album aber auch wieder extrem hoch und - da muss ich leider vorgreifen - das Niveau kann er nicht halten.
Schon die zweite Single Avicii, eine Hommage an den 2018 verstorbenen schwedischen DJ fällt deutlich ab und kann (zumindest mich) textlich nicht überzeugen, obwohl die Zeile "Elektronische Musik kann man sich so selten schön trinken" natürlich kaum wahrer sein könnte und schon jetzt als Lebensweisheit adaptiert wurde. Insgesamt erscheint mir das Album als Sammelsurium von Anekdoten, Geschichten, Erinnerungen und Witzen, die Thees zwar persönlich berühren, die Dritte aber nur schwer erreichen und außerhalb seines Circles of Trust auf wenig Verständnis treffen dürften - auch wenns vermutlich kaum jemand zugeben wird...
Insofern bleibt Uhlmann sich treu, bewahrt sich seine Authentizität, schreibt für sich und nicht für andere. Das kann bzw. muss man ihm hoch anrechnen, nach zwei Top 5-Alben stellt dieses Vorgehen aber ein kalkulierbares Risiko dar und alles andere als ein Einstieg auf Platz 1 der Album-Charts würde mich nach all dem medialem Tamtam um sein Comeback doch arg überraschen.
Es ist ja nun auch nicht so, dass Junkies und Scientologen ein schlechtes Album ist, nein, das ist es beileibe nicht. Danke für die Angst, das er direkt an Stephen King adressiert, ist beispielsweise ein richtig guter Song, steht aber auch exemplarisch für etwas, was mich tatsächlich stört. Thees bedient sich auffällig oft externer Referenzen, sei es nun der amerikanische Autor, Avicii, Katy Perry, Fury in the Slaughterhouse, Grayson Perry, die Scorpions, Jürgen Klopp oder Marcus Wiebusch. Das kann man witzig oder originell finden - ich persönlich empfinde es als zu bemüht und nervig.
Wie dem auch sei: Thees Uhlmann hat eine Scheibe abgeliefert, die kommerziell erfolgreich sein wird, sich das auch verdient hat und vermutlich genau für das steht, was der Künstler verkörpert. Er ist ein Geschichtenerzähler, der gerne auch mal etwas weiter ausholt und der seine Zuhörer dadurch auffordert, bei der Sache zu bleiben und auf die Pointe zu warten. Bei manchen Songs klappts, bei anderen nicht. So ist das Leben. So ist Thees Uhlmann.
(ms) Man kommt ja zu gar nichts. Zum Beispiel: Einen Konzertbericht schreiben zu einem irren Ereignis, das genau vor einer Woche stattgefunden hat. Letzten Freitag spielte die Punkrock-Band Pascow ein Konzert in Osnabrück. Ich war da und es war der absolute Wahnsinn. Seit diesem Jahr erst ist diese Band auf meinem Radar und ihr Album Jade gehört seit dem Frühjahr zu den Platten, die wirklich auf Heavy Rotation bei mir laufen. Seitdem hören meine Nachbarn auch mehr lauten Punkrock. Die Erwartungen waren hoch und wurden noch getoppt. Mit dem ersten Gitarrenriff ging eine enorme Energie von der Bühne auf das unglaublich textsichere Publikum über. Mehr will ich nicht sagen, außer: Wer Pascow nicht live sah, hat wirklich was verpasst.
Punkt. Freitag. Luserlounge. #selektiert.
Blindzeile
(ms) Zuerst wenige Sekunden spielerisch-holperndes Schlagzeug, das jedoch im Takt ist. Dann setzt ein sehr konkreter Basslauf ein, der hoch und runter tanzt. Dieser wird durch ein Klavier-Stakkato ergänzt. So fügt sich langsam ein Soundgewand zusammen. Ab der 30. Sekunde setzt der Gesang ein. Bis dato könnte es auch ein modernes Kinderlied sein, so beschwingt und frisch kommt es daher - hier bitte als Kompliment zu verstehen! Doch die Zeile "Die Sonne scheint schlecht gelaunt zu sein" kann auch Erwachsenen taugen. Und das ist dann auch die Zielgruppe von David Pümpin und seiner Band Blindzeile. Der Song heißt Im Süden und ist Teil des heute (13.09) erscheinenden, zweiten Albums Bewegung. Im Refrain macht sich eine ganz sanfte Melancholie breit, wenn der Protagonist wiederholend singt "Ich wünschte du wärst..." und der Hörer darf den Satz vollenden. Zugegebenermaßen kenne ich mich in der Schweizer Bandkultur nicht aus. Gar nicht. Doch ich vermute aus dem Bauch heraus, dass es eher ungewöhnlich ist, hochdeutsch zu singen. Pümpin tut es doch. Seine Stimme kommt auf besten, andächtigen Synthie-Pop-Melodien daher, die an sich schon eine tolle Atmosphäre zwischen Leicht und Schwer erzeugen. Es ist ein anspruchsvolles, persönliches Album, das mit textlichen Fragmenten arbeitet. Schön, um sich hineinzudenken und sie fortzuführen. In der Schweiz gehen Blindzeile demnächst hier auf Tour:
Hopo Pongo
(ms) Versteh mal einer die musikalischen Hypes und ihre dazugehörigen Genres. Ganz, ganz grob würde ich Parcels und Rikas - die ja beide in höchstem Maße gehyped sind - in eine ähnliche musikalische Richtung einordnen: beschwingter, sorgenfreier, funkiger, tanzbarer Pop mit Finesse. Und es gut, wenn sich da andere hinzu gesellen. Man kann ja nicht immer zu den gleichen Songs tanzen. Hier kommen Hopo Pongo ins Spiel. Denn locker, beschwingte Musik, die so gut in den sich gerade verabschiedenden Sommer passt, braucht einen super Namen. Und ein hervorragendes, gewissermaßen ulkiges Video. Das bieten sie zu One Armed Scissor: ein liebenswerter, alter Mini, ein Alpaka, eine wirklich schöne Landschaft und vier ursympathische MusikerInnnen. Mathea, Henry, Tubbs und Moritz bringen alles mit, um auch bald in Eurem Ohr einen Wurm entstehen zu lassen. Am 18.10 erscheint ihre EP I Don't Like The Sound. Hey, hey, hey... ich mag den Sound wirklich super gern! Überzeugt Euch:
Berge
(ms) Ich wette, Ihr kennt das auch: Kommt in etwa die gleiche Botschaft aus zwei ganz unterschiedlichen Mündern, nimmt man sie ein Mal an und stößt sie ein Mal ab. Man bewertet unterschiedlich. Aus dem Bauch heraus. Bei Musik ist das nicht anders. Den Radio-Bubis glaube ich einfach nicht, was sie singen. Das ist mir zu viel Kalkül und Berechenbarkeit. Der Gruppe Berge glaube ich, wenn sie mir singen, dass ich mich trauen soll. Das tut man halt so selten. Beispielsweise habe ich mal gelesen, dass meine Generation - die um 1990 Geborenen - eine Gruppe sind, die extrem auf Sicherheit angelegt sind. Im Job, in der Beziehung, mit den Finanzen. Wertkonservativ nennt man das, glaube ich. Langweilig, könnte man auch sagen. Also, liebe Gruppe Berge, vielen Dank für den Mutmacher Trau Dich, dem man anhört, dass er von Herzen kommt!
Ich glaube, am Wochenende mache ich mal was Verrücktes!
Und: Die Band ist mir ihrem aktuellen Album Für Die Liebe auf Tour, geht da hin!
Gina Été
(ms) Hey, lieber Leser, liebe Luserin. Heute ist ja bekanntlich Freitag und da wird gestreikt. Also die Schülerinnen und Schüler tun dies. Aus einem guten Grund. Das ist wichtig und gut. Go on, Greta! Und nicht vergessen: Haters gonna hate, weil sie nun mal beschränkt sind. Und hey, wohin geht der nächste Urlaub? Eben noch das Auto für das Wochenende vollgetankt? Doch noch die in Plastik eingeschweißte Gurke gekauft? Ja, Mist. Geht mir ja nicht anders; aber wir sollten nienienie aufhören es zu probieren und an unserem Konsumverhalten zu arbeiten. Und mit diesem kleinen Einschub sind wir direkt bei Gina Été! Die Künstlerin hat das Dilemma, in dem wir links-grün Versifften uns befinden in ein Lied gepackt. Es heißt Windmill. Die zwei Damen von "Fux & Fix Films" haben dazu ein herrliches Video gedreht, zu dem ihr sicher als erstes "Oh, süß!" und dann "Oh, Backe!" denken könntet. Eine feine, filigrane Stimme mit direktem Text und einer Horde Pinguine. Ein toller Song, ein bitteres Video, eine kluge Botschaft: „You might not understand why it‘s up to us to set the end / Why can we set the end to what is yours?“
20.09. - Basel, Trinationaler Klimastreik
27.09. - St. Gallen, Sankt Lauter
25.10. - Zürich, Gemeinsam Znacht Jubiläum
10.11. - Immendingen, Lichtspielhaus Gloria
11.11. - Stuttgart, Club Cann
13.11. - Köln, Festival in den Häusern der Stadt Köln
24.11. - Köln, Uraniatheater, Gina Été orchestra
Skáld
(ms) Es muss gut zwei Jahre her sein. Ort der Handlung: die alte, geliebte WG, Studienzeiten. Einer der Verrückten rief mich - wir waren eventuell schon etwas bierselig - in sein Zimmer; er habe da etwas geiles, musikalisches entdeckt. Ich bin natürlich sofort rübergehechtet. Auf dem Weg hörte ich schon schamanenhafte Musik, zu der ein Opfer aufgebahrt werden könnte. Es war die Gruppe Heilung. Trommeln, bisschen nordischer Quatsch und eine Menge Show. Super Spektakel. In dieselbe Kerbe schlagen auch Skáld aus .... Frankreich! Hört man beispielsweise den Song Rún, ist die frankophone Herkunft nicht ansatzweise erkennbar. Spricht natürlich für die Band, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Woher der Hand kommt mit nordischen Mythologien und dem martialischen Auftreten zu koketieren, spielt ja auch gar keine Rolle. Natürlich hat das Drive und nimmt einen mit. Aber ernst nehmen kann man es halt nicht. Und ich vermute, dass die MusikerInnen das auch nicht tun. Ein bisschen Nordic Horror Picutre Show und eine Rune im Gesicht; fertig ist die irgendwie catchy Musik. Funktioniert. Ist super. Das dazugehörige Album Viking Chant (musste ja sein...) erscheint kommende Woche (VÖ: 20.09). Legt Eure Fakeln und Forken bereit, erhitzt den Met, dann gehts odinmäßig ab!
Angel Olsen
(ms) "It’s easy to promise the world to those we love, but what about when our dreams change and values split?" Das sagt Angel Olsen zu ihrem neuen Track Lark, der als zweiter Vorbote zu ihrem vierten Album All Mirrors (VÖ: 4.10.) diese Woche samt Video erschien. Und Recht hat sie, wenn man den gut sechseinhalb Minuten aufmerksam lauscht. Es liegt zum einen natürlich am teils hypnotisierenden Text und Gesang, aber noch viel stärker am dramatischen Sound, der sanft und aufbrausend ist. Die Dauer des Tracks versetzt das Gemüt in viele unterschiedliche Stimmungen, meist dramatisch-ergreifend. Lark steigert sich ganz hervorragend, beinahe lehrbuchmäßig. Vom ruhigen Beginn, über den ersten stimmlichen Ausbruch bis hin zum Höhepunkt samt treibender Percussion, eindringlichen Streichern und ihrer sehr kräftigen Stimme. Heidewitzka... Wenn das gesamte Album so vielseitig, qualitativ überragend und überraschend ist, haben wir hier noch ein ganz heißes Release vor uns!
Es gibt auch schon Tourdaten für das kommende Frühjahr:
29.01.2020 - Munich, Kammerspiele
30.01.2020 - Berlin, Huxleys Neue Welt
05.02.2020 - Hamburg, Gruenspan
Luca Vasta
(ms) Wenn ich hier über eine Band berichte, die ich irgendwann mal zufällig live gesehen habe und mir nun wieder über den Weg läuft, dann fand die Live-Begegnung meistens auf dem Traumzeit Festival in Duisburg statt (wiederholend: große Empfehlung!). So auch mit Luca Vasta. Eine Bekannte meinte damals: "Lass uns doch noch Luca Vasta anhören." Ich: "Gerne, was macht der denn für Musik?" Oh man, da musste ich schnell raus aus dem eingefahrenen Assoziationskosmos! Was wir sahen: Einen leidenschaftlichen, energiegeladenen Auftritt. Dass die Dame mit italienischen Wurzeln genau diese immer wieder in ihren Texten behandelt, verarbeitet und ihnen hinterher sehnt ist deutlich auf ihrem neuen Album zu hören. Bereits letzte Woche erschien Stella. Und nicht nur Old Italien Songs ist ein offensichtlicher Beleg dafür, sondern auch interessanter Weise der Song American Dreams. Jeglicher Eros Ramazotti-Kitsch hat natürlich und zum Glück überhaupt nichts mit diesem teils folkloristischen Pop zu tun, der wunderbar ins Ohr geht. Und unter Umständen genau da bleibt. Live kann man sich solche Würmer auch einfangen, und zwar hier:
Kettcar
(ms) Möglicherweise habt Ihr mitbekommen, dass ich hier in regelmäßigen Abständen große Lobeshymnen auf die Band Kettcar verfasst habe. Das ist richtig. Und ich kann nicht anders. Seit vielen Jahren bin ihrer Musik, ihren Texten, Alben, Auftritten völlig verfallen. Im Kern ist es die enorme Qualität im Songwriting, die mich tief berührt, auch wenn das jeweilige Lied wenig mit meinem Leben zu tun hat, dann schlagen Reimer Bustorff und Marcus Wiebusch genau diese Brücke. Gelacht und geweint, geknutscht und in Erinnerungen versunken bei ihren Konzerten. Dass eine Pause kommt, war klar. Nun ist es offiziell. Und alle fünf haben sie sich verdient. Im Presse-Statement heißt es "Pause auf unbestimmte Zeit". Das hoffe und glaube ich nicht. Sollen sie sich gerne ein, zwei Jahre eine Auszeit aus dem Trubel nehmen. Alles okay. Aber so werden sie nicht verschwinden. Auch wenn die Ankündigung der Live-Platte ...Und Das Geht So! (VÖ: 8.11 / 29.11) darauf hindeuten mag. In erster Linie ist es eine großartige Erinnerung an pausenlose Touren innerhalb der letzten beiden Jahre. Denn für die nächsten Wochen und Monate wird im Grand Hotel van Cleef-Kosmos wieder die Uhlmann-Flagge geschwungen.
Kettcar gehen kommendes Frühjahr mit Bläsern auf Pause-Tour. Darf man sich also nicht entgehen lassen. Und: Ich verspreche hiermit einen umfangreichen Konzertbericht Ende Januar!
(sb/ms) Kaum muss man dieser Tage morgens eine Jacke anziehen, um am Bahnsteig nicht zu bibbern, hat man vergessen, wie heiß es doch am letzten Wochenende war. Und wie sehr man bei weit über dreißig Grad gebrutzelt werden kann. Das war beim wundervollen Müssen Alle Mit Festival in Stade (zwischen Hamburg und Cuxhaven) der Fall. Kaum Schatten, derbe Sonne ab mittags. Aber die Organisatoren waren gut zu den Menschen: es gab kostenlose Abkühlung unter sprühenden Sprenklern und Leitungswasser ohne Ende. Sehr gut! Der krasse Gegensatz kam zu später Stunde: ein plötzliches und sehr heftiges Gewitter hat dazu geführt, dass der Auftritt von Frittenbude abgebrochen und damit das gesamte Festival früher beendet wurde (da war es gar nicht so unschlau schon etwas früher Heim zu fahren).
Doch vorher gab es ein astreines Programm. Botschaft haben die Indie-Herzen (auch wenn der Tapete-Pressetext etwas anderes sagt) höher schlagen lassen: Wenn Die Sterne auf Kante treffen; nur in jung. Gurr haben die Bestimmung für ihren Hitze-Hit Hot Summer gefunden. Zoot Woman haben aus einer grünen Wiese eine irre Tanzfläche gemacht; und das nur zu zweit. So geht großer Synthie-Pop! Bernd Begemann hat charmant wie immer durch das Programm geführt. Juse Ju weiß solo brutal zu überzeugen, doch ein Stückchen geiler wird es halt, wenn spontan Fatoni mit auf der Bühne steht. Und Turbostaat haben erneut bewiesen, dass sie eine der besten Punkrockbands des Landes sind, große Liebe nach Flensburg.
Doch nun genug in der jüngsten Vergangenheit geschwelgt. Es ist Freitag. Wir sind die luserlounge. Das ist die Selektion!
Love Fame Tragedy
(sb) Oida, is des funky! Nach ein paar Takten schon bestens im Ohr eingefedert und dann diese Stimme - hä, die kennt man doch, oder? Und ja: das ist Matthew Murphy, Leadsänger und Gitarrist von The Wombats. Immer wieder gerne gehört und einfach großartig! Love Fame Tragedy ist das Solo-Projekt von "Murph" und auf diesem versammelt er zahlreiche illustre Freunde und Kollegen: Gitarrist Joey Santiago von den Pixies ist ebenso vertreten wie Gus Unger-Hamilton von Alt-J oder Drummer Matt Chamberlain (Pearl Jam, Soundgarden). Ganz großes Kino also.
Murphy klingt auf seiner EP I Don't Want To Play The Victim, But I'm Really Good At It (äußert gschmeidige Referenz an Picasso übrigens), die am 27.09. erscheinen wird, deutlich atmosphärischer und synthetischer als mit seiner eigentlichen Band, der Qualität der leider nur vier Songs tut dies jedoch keinen Abbruch - ganz im Gegenteil! Ein Meister der einprägsamen Melodien ist Murphy ohnehin und die neuen Gewänder tun seinem Sound hörbar gut. Genau das Richtige für den ausfadenden Sommer und jede neu zu erstellende Playlist.
Lysistrata
(sb) So wirklich viele Bands aus Frankreich, die ich über einen längeren Zeitraum hinweg gerne gehört habe, gibts nicht. The Teenagers vielleicht und natürlich Phoenix. Aber sonst? Lysistrata schicken sich nun an, dies nachhaltig zu ändern und wenn sie das Niveau von Different Creatures, der zweiten Single ihres neuen Albums Breathe In/Out (VÖ: 18.10.) halten können, wird das gelingen.
Straighter Indie-Sound, der stellenweise ein wenig an die großartigen PUP erinnert und live sicher abgeht wie Schmidts Katze. Natürlich werden wir auch über den Longplayer berichten, sobald er uns vorliegt!
Live gibts die Franzosen hierzulande zwar erst Anfang 2020 zu bewundern, hier aber schon mal die Termine inkl. Schweiz und Österreich:
Solstorm
(sb) Vor drei Wochen hatten wir Euch die Band bereits angeteasert, nun liegt uns das komplette Album vor und wir kommen nicht umhin, Euch nochmal darauf hinzuweisen:
Nach acht Jahren im Winterschlaf ist das mehrköpfige Monster namens Solstorm wieder erwacht. Die Norweger zeichnen dabei einen krassen Kontrast zwischen Dunkelheit und Licht, dem Schönen und dem Hässlichen, dem Zarten und dem Schweren. Sie kombinieren schwere Riffs, harte Trommeln und Geräuschwände mit zarten Melodien und hochfliegenden Instrumentalpassagen. Das Endergebnis sind 55 Minuten beeindruckende Musik, aufgeteilt in fünf Songs, mit einem organischen und massiven, stetig wachsenden Sound. Gebrechliche Melodien, gepaart mit harten Riffs, riesigen Instrumentalparts und unkonventionellen Songstrukturen. Vom Hörer fordert das Album II (VÖ: 04.10.) vor allem eins ein: Geduld, um sich wirklich ausführlich und konzentriert mit diesem Brett auseinanderzusetzen. Aber es lohnt sich!
School Of X
(sb) And now for something completely different! Recht viel größer könnte der Unterschied zwischen den brachialen Solstorm und der fragilen School Of X kaum sein. Das Multitalent Rasmus Littauer ist bisher bekannt als Drummer bei MØ und Major Lazer, bei seinem Soloprojekt hingegen konzentriert er sich voll und ganz auf sich selber. In seiner Heimat Dänemark konnte der Künstler mit seiner emotionalen und experimentellen Musik bereits beachtliche Erfolge feiern, hierzulande wartet er hingegen noch auf den Durchbruch. Mit Destiny ist School of X näher am geneigten Hörer als je zuvor. Direkt und intim wird eine Lebensentscheidung, die wir wohl alle schon mal erlebt haben, in Worte gefasst: das Ende einer Beziehung und die Reflexionen über Vor- und Nachteile, die folgen. Wir sind gespannt auf die gleichnamige EP, die am 15.11. veröffentlicht werden wird.
Sam Fender
(ms) Folgendes Phänomen: Man hat als Toursupport oder auf einem Festival eine tolle und bis dato unbekannte Band gesehen und möchte sich das im Nachhinein nochmal genauer anhören. Ich gehe davon aus, dass das kein seltenes Phänomen ist. Letztes Jahr auf dem wunderbaren Traumzeit Festival sah ich zufällig Sam Fender. Und der junge Mann brachte mächtig Energie und astreine Gitarrenmusik auf die Bühne. Das wusste sehr schnell sehr gut zu gefallen.
Nun bringt er sein erstes Album auf den Markt. Kommende Woche erscheint Hypersonic Missiles (VÖ: 13. September). Was mich nun allerdings ein wenig abschreckt: Warum in alles in der Welt klingt der in den Studioaufnahmen wie Bono von U2?! Und das ist keineswegs als Kompliment gemeint! Äußerst mysteriöse Angelegenheit...
08.11.2019 Wiesbaden, Schlachthof
09.11.2019 Köln, Live Music Hall (ausverkauft)
11.11.2019 Hamburg, Docks (ausverkauft)
12.11.2019 Berlin, Astra
13.11.2019 München, Backstage Werk
Tour Of Tours
(ms) "Hurra, es geht auf Tour / Also ich hab' das Privileg /Etwas Geld zu verdie'n /Von der Welt was zu seh'n / Und mit Freunden zu steh'n auf der Stage." Das haben Waving The Guns gedichtet. Und das gilt sicher für enorm viele andere Musiker, die genau das genießen dürfen. Ein Konglomerat aus Bands, die wir verehren, hat sich vor Jahren schon zusammen geschlossen und sich dazu entschlossen eine Mega-Tour zu machen. Fünf Bands durchweg zusammen auf der Bühne: Ian Fisher, Honig, Tim Neuhaus, Jonas David und Town Of Saints. Zehn (in Zahlen: 10) Musiker. Wir haben euch von ihren irren Konzerten und herzerwärmenden Songs berichtet. Und da wir uns auch der Informationsweitergabe verpflichtet fühlen, Folgendes: Die Damen und Herren der sogenannten Tour Of Tours haben beschlossen ein gemeinsames Album zu veröffentlichen. Das ist eine sehr gute Idee. Farbiges Doppel-Vinyl. Da geht einem doch das Herz auf! Sie sammeln dafür via Crowdfunding Geld, und es gibt tolle Dinge zum Mitmachen: Violinen-Stunden, Schlagzeug-Unterricht, die Platte an sich und ganz viel Liebe. Rafft Euch auf, gebt den Leuten ein wenig Geld und werdet mit tollen Tönen belohnt!
Das hört sich unter anderem so an:
AB Syndrom
(ms) Wie die Kreise sich nun mal ziehen, in denen man Bands und Künstler kennen lernt. Fatoni. Mine. AB Syndrom. Das ist dieses Mal die Kette. AB Syndrom haben zwar einen etwas eigenartigen Namen, haben jedoch bei Mines Spiegelbild extrem brilliert. Und nun gibt es frisches, eigenes Material des Duos. Klar, an die gepitchte Stimme muss man sich gewöhnen, aber es passt hervorragend zu den basslastigen Synthie-Sounds. Zur Single Somnambul gibt es ein eindrucksvolles, künstlerisches Video, das es lohnt aufmerksam anzuschauen. Obwohl der Beat sehr poppig und tanzbar ist, weiß der Text zu überzeugen. Unser Auftrag also an Euch: Bedacht zuhören und -schauen. Die beiden spielen dieses Jahr noch einen Gig in Deutschland, bevor es kommendes Jahr ein neues Album gibt. Wir werden Euch auf jeden Fall auf dem Laufenden halten!
26.09.19 Mannheim Alte Feuerwache
Editors
(ms) Oh, wie ich diese Band liebe. Die Editors wissen genau, wie man Dynamiken, Stimmungen und Energie aufbaut, zusammenfallen lässt und erneut noch höher türmt. Die Konzerte, die ich vom Quintett gesehen haben, waren stets eine Wucht. Tom Smiths Stimme ist natürlich maßgeblich für den Erfolg der Band verantwortlich, ich bin ihr auch verfallen. Nun bringen sie am 25. Oktober ein Best Of raus, das da Black Gold heißt. Dazu gibt es auch eine passende, neue Single (s.u.). 13 alte und 3 neue Tracks sind darauf enthalten. Ich weiß gar nicht, ob das reicht bei einer Band wie den Editors. 13 Songs von sechs Alben auszusuchen muss ja unglaublich schwierig sein und ich hätte der Liste sicher noch ein paar Lieder hinzugefügt. Ob sich eine Anschaffung lohnt? Schwer einzuschätzen! Als Fan: Natürlich. Allein der Sammlung wegen. Ansonsten sind Best Ofs ja meist nur dazu da, um die Bandkasse aufzufüllen. Wie dem auch sei... Immerhin ist es ein feiner Anlass für eine ausgiebige Tour im kommenden Jahr, die sie auch in unsere Gefilde spülen:
31.01. Düsseldorf - Mitsubishi Electric Halle 03.02. Berlin - Velodrom 22.06. Hamburg - Stadtpark 07.02. Wien - Gasometer
Man sieht ihm die Sorge an. Foto: Benedikt Schnermann
(ms) Um die neue, extrem gute Platte von Niels Frevert zu verstehen, sollte man wissen, wer Philipp Steinke ist. Das ist der Mensch, der dem Album Putzlicht seine Gestalt gegeben hat, der Produzent. Und er ist nicht irgendein Dahergelaufener, sondern ein Namhafter. Lassen wir mal bei Seite, dass er auch für Andreas Bourani oder Revolverheld gearbeitet hat, wichtiger ist eine offensichtlich andere Qualität von ihm. Er holt eine irre Kraft, Kreativität und Qualität aus Bands oder Musikern, die mit sich selbst so sehr am hadern sind. Das hat er zuletzt eindrucksvoll auf der Kettcar-Platte Ich vs. Wir bewiesen. Kettcar, die nach Zwischen den Runden kurz davor waren, die Band aufzulösen. Vergleicht man die beiden Alben miteinander, weiß man auch warum. Und nun hat Steinke bei Niels Frevert etwas Ähnliches bewirkt. Schaut man sich die letzten Alben des Hamburgers an, so ist - zumindest in meinen Augen - die letzte Platte, Paradies Der Gefälschten Dinge, ein wirklich schweres, teils sperriges Album, das an die Vorgänger nur bedingt rankommt. Insbesondere Zettel Auf dem Boden von 2011 ist ein unglaublich schönes, starkes, wortgewandtes Werk. Was genau bei Niels Frevert in den fünf Jahren seitdem passiert ist, wissen wir natürlich nicht. Man kann es jedoch erahnen. So ist nachzulesen, dass er längere Zeit gar keine Musik gemacht hat und auch auf den Texten des neuen Albums kann man Anhaltspunkte finden, was ihm zu schaffen machte.
Nach fünf Jahren Pause schätzen wir uns also mehr als glücklich, dass an diesem Freitag (6. September) Putzlicht über Grönland Records erscheint. Die zarten, sanften, schweren, sehr melancholischen Seiten hat Frevert gänzlich abgelegt. Auf der Platte ist eine satte, leichtfüßige Band zu hören, die keine Angst davor hat, die Regler aufzudrehen und die Saiten schwingen zu lassen, samt Rückkopplung. Das gab es vorher bei Niels Frevert nicht. Revolution. Die tief hängenden Streicher sind zum großen Teil passé; hier ist jemand, der aufrecht und frohen Mutes in die Zukunft strahlt.
Doch natürlich kann man sein "altes" Ich nicht gänzlich ablegen. Und so beginnt die Platte ungewohnter Weise mit einem Intro, einer Prelude, auf der die Streicher gut eineinhalb Minuten nochmal zu Geltung kommen.
Und dann kommen Lieder, die unerwartet persönlich sind. Oder sein können. Je nach Interpretation. Immer Noch Die Musik ist natürlich ein Mutmacher, der aufzeigt, dass die schönen Klänge stets ein Ausweg sind, wenn man mal wieder kurz vorm Heulkrampf steht. Vielleicht ist es auch eine Notiz des Interpreten an sich selbst. Doch Musik kann genau das auch schaffen: das Herz "in Schutt und Asche" legen. Jüngstes, eindrucksvollstes Beispiel: die neue Platte von Enno Bunger. Der Text legt sich über ein zügiges Schlagzeug, im Refrain erstrahlen Chöre, es ist gitarrenpoppig, man hört, dass Philipp Steinke am Werk war. Dazu passt der folgende Track mit dem irren Namen Ich Suchte Nach Worten Für Etwas Das Nicht An Der Straße Der Worte Lag. Eindeutig interpretierbar wie er hier über den schwierigen Songwritingprozess schreibt, Ideen entwickelt, verwirft, neu schafft.
Die große Stärke von Niels Frevert liegt natürlich im Formulieren. So schafft er es Zeilen, Strophen und Refrains zu dichten, die eventuell auch bei den von uns so verabscheuten Radio-Bubis zu finden sein könnten, aber halt nicht kitschig und berechenbar klingen, sondern aufrecht, gefühlsecht und mit einer ganz, ganz sanften Portion Ironie, die es zu entdecken lohnt.
Zum Sound: Einen Track wie Leguane hätte es vorher bei Frevert nienienie gegeben. Breitere Keyboard-Sounds, satte Bassläufe und richtig gitarrig.
Und nun noch mal zu den Texten. Ein großartiger Rezensent schrieb vor Jahren sinngemäß, dass Niels Frevert es schafft mit seinen Liedern Dreieinhalbminutenromane zu dichten. Das wäre mir selber gerne eingefallen. Der Anteil dieser Songs ist auf Putzlicht eher gering, aber sie sind da. Zum Glück. Zwei Beispiele. Erstens: Wind In Deinem Haar. Der Song besteht fast nur aus Satzfragmenten, aus denen jedoch ein schlüssiger roter Faden entsteht. Seit Jahren liegt der zweite Teil von Der Mann Ohne Eigenschaften in meinem Bücherregal. Ich stelle fest: Fragmente lieber hören als lesen. Freverts Charme-Plus, seine manchmal brüchig klingende Stimme, kommt dabei wunderbar heraus.
Zweites Beispiel: Brückengeländer. Oh, das hat mich gepackt! Richtig tief in der Seele. Ein Dreieinhalbminutenroman (okay, bisschen über vier). Zum Einen ist es vielleicht die Gemütslage, die er auch auf Ich Suchte Nach Worten... besang. Zum Anderen ist es ein toller, großer Song, der eine Parallele zum eigenen Leben zieht: ein im Nachhinein gebrauchtes Jahr, aus dem man lernen muss, dass alles hätte-wenn-und-aber nichts nützt, es ist: "Vergangenheit, vorüber und vergessen." Ja, das muss man lernen. Danke dafür. Da ist ein gewisser Pathos völlig angemessen!
Mensch, Niels Frevert. Ich habe mich wirklich auf dieses Album gefreut. Ich hätte nicht gedacht, dass es so phantastisch ist und mich so berührt. Dafür ist die Musik da.
Der neue Sound, die feinen, klugen Texte. Es passt hervorragend.
Das sollte man sich demnächst hier anschauen:
09.10. Essen - Zeche Carl
10.10. Köln - Club Bahnhof Ehrenfeld
11.10. Frankfurt - Nachtleben
12.10. Münster - Gleis 22
16.10. München - Orangehouse
17.10. Dresden - Scheune
18.10. Berlin - Heimathafen
19.10. Hamburg - Mojo Club
02.12. Freiburg - Jazzhaus
03.12. Stuttgart - Im Wizemann Studio
04.12. Augsburg - Soho Stage
05.12. Ulm - ROXY
06.12. Mannheim - Alte Feuerwache
07.12. Hannover - Pavillon
08.12. Oldenburg - Wilhelm13
09.12. Leipzig - die naTo
12.12. Rostock - Helgas Stadtpalast
13.12. Magdeburg - Moritzhof
(ms) Hiermit versuche ich ein lange gehegtes Vorhaben zu realisieren: Eine Reihe über Spotify, Streamingdienste und wie sie sukzessive Hörgewohnheiten ändern, ändern können oder es bereits getan haben. Das wird einseitig und populistisch, da ich selbst keinen einzigen Streaming-Dienst nutze, außer Videos bei YouTube zu schauen. Und ich sträube mich auch dagegen. Die Gründe dafür versuche ich hier nach und nach aufzuzeigen. Teils mit guten Argumenten, teils mit reiner Emotion. Ich bin selbst ganz gespannt.
Vor Kurzem war ich auf einem klassischen Konzert. Der Kantor der Gemeinde veranstaltet eine ganz tolle Reihe, die da Musik am Ersten heißt. Das heißt: Jeden ersten Tag des Monats gibt es abends ein Konzert für umsonst. Vorletztes Mal war es reine Orgelmusik, unter anderem von Max Reger. Totaler Wahnsinn!
Nun spielte ein Saxophon-Quartett mit Orgelbegleitung. Sie spielten keinen Jazz, was bei dem Instrument nahe liegt, sondern Klassik. Bach. "Die Kunst der Fuge".
Kurz und knapp erklärt, worum es dabei geht: Das Grundgerüst - die Fuge - des gesamten Abends besteht aus fünf Takten. Diese werden pro Stimme und Durchgang immer weiter variiert, bis sie sich mehr oder weniger unverkennbar verselbstständigt hat. Über 80 Minuten war die Fuge mit Gegenfuge, Doppelfuge oder Spiegelfuge zu hören. Dabei änderten sich Tempo, Lautstärke, Länge, Intonation etc. Es ist wie ein Baukastensystem aus dem immer gleichen Steinchen. Wer gern Lego spielte, weiß wovon ich spreche. Die Holzbläser und die Orgel wechselten sich stetig ab. Das Thema wurde geändert, umgedreht und variiert, bis ein Neues hinzu kommt.
Das Ergebnis: Zuerst schien es recht eingängig zu sein, weil sich so wenig getan hat. Die Veränderung geschah dann so implizit, dass der letzte Contrapunct (so die Bezeichnung Bachs über die Variationen) kaum noch mit dem Ausgangsmaterial zu vergleichen war. Diese Entfremdung ließ sich aber beim aufmerksamen Zuhören nachzeichnen. Immer wieder erschien das Hauptthema oder Teile dessen. Es lag auch daran, dass das Quartett Art Of Sax ein irres Niveau an den Tag gelegt hat.
Was hat das denn nun mit Spotify zu tun?
Ganz einfach. Für diese 80 Minuten Hörgenuss braucht es Muße und Bereitschaft sich darauf einzulassen. Es macht zudem Spaß, wenn man merkt, was sich gerade tut, was sich ändert und wie die innere Systematik funktioniert. Muße auch deshalb, weil man sich - um belohnt zu werden - auf eine Sache konzentrieren muss. Klassische Musik in seiner Länge und Darbietungsform ist ein guter Gegensatz zu Spotify. Die Stücke sind ab und an recht lang. Es lässt sich nicht nach vorn und hinten spulen oder skippen, es gibt keine 30-sekündige Vorschau oder Werbung. Die Reihenfolge ist wichtig und muss durchgezogen werden, um den Kern des Ganzen zu verstehen. Außerdem: Wenn man sich das ganze live ansieht, dann meist in einer Kirche. So auch hier. Die Möglichkeiten der Ablenkung sind also gegebenenfalls sehr, sehr niedrig. Und es schickt sich nicht, währenddessen aufs Handy zu gucken. Einfach mal still sein, und sich komplett auf die Musik konzentrieren. Ohne Gesang, ohne Show. Pur. Rein. Das tut der Seele gut und sie dankt es einem, wenn man danach mit einem Lächeln im Gesicht nach Hause geht.