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Montag, 2. Juni 2025

Leselounge: Rike van Kleef - Billige Plätze

(Ms) Es läuft einiges schief.
Ein Beispiel vom vergangenen Wochenende: Ich machte ein paar Besorgungen, im Auto lief Radio21. Aber nicht besonders lang. Denn zuerst machten sich die Moderatoren darüber lustig, dass in Magdeburg ein Theaterstück von oder über Tokio Hotel lief. Danach wurde über prominente weibliche Groupies berichtet und mit welchen Männern sie denn alles Sex hatten. Der Tonfall eher salopp und völlig normal. 
Der schale Beigeschmack: Hier machen sich die Radioleute über eine Band lustig, die eine wichtige, laute Stimme für die queere Community ist und Frauen im Rockgeschäft werden komplett sexualisiert dargestellt. Was P. Diddy oder Til Lindemann tun ist denen aber hoffentlich bekannt. 
All das im Frühsommer 2025. Es läuft einiges schief.

Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Musikgeschäft hat irgendwie einen recht fortschrittlichen, liberalen Charakter was Gleichberechtigung angeht und irgendetwas suggeriert Offenheit gegenüber allen Geschlechtern. Dass das nicht so ist, zeigt Rike van Kleef sehr eindrucksvoll in ihrem neuen Buch Billige Plätze, das just im Ventil Verlag erschienen ist. Auf gut 300 Seiten fasst sie wahnsinnig umsichtig und sehr gründlich recherchiert zusammen, wo vor und insbesondere hinter der Bühne die Probleme der Gleichberechtigung liegen. Ob es um die Zusammenstellung von Teams geht, einer Konzert- und Festivalorganisation, die Eltern berücksichtigt, Livestätten, die sich auf Menstruation einstellen bis zu all den sexuellen Übergriffen und Machtverhältnissen, für die sich Männer verantworten müssen. Ja, es gibt mittlerweile viele Künstlerinnen, die groß, erfolgreich und als Vorbilder dienen. Aber wenn die Musikerinnen von Blond erzählen, dass sie lange die Dusche für Frauen auf einem Festival suchen mussten und die dann auf einem Parkplatz stand und nicht abgeschlossen werden konnte, wird klar, dass die Problemfelder tief sitzen. Sehr tief.

Rike van Kleef berichtet nicht nur sehr eindrucksvoll und erschütternd von eigenen Erfahrungen, sondern lässt zahlreiche AkteurInnen zu Wort kommen, die aus ihren Metiers berichten. So viele Jobs gibt es in der Musikbranche. BusfahrerInnen, LichtechnikerInnen, Menschen am Ton und im Bühnenbau. BookerInnen, JournalistInnen, PR-Agenturen und all die Menschen auf der Bühne. Als Fan, der auf Konzerte und Festivals geht, bekommt man von vielen dieser Jobs gar nicht so viel mit. Daher ist dieses Buch nicht nur eine sehr klare Auflistung all der Probleme, sondern beleuchtet auch eine Branche, bei der enorm viele Handgriffe im Hintergrund verlaufen und die uns erst all die schönen Live-Momente ermöglichen.

In wenigen Tagen habe ich dieses Buch gelesen, da ich aus dem Staunen gar nicht mehr rauskam, was denn alles schief läuft. Ich habe viel gelernt! Als Typ, der hier über Neues berichtet, auf Konzerte geht und darüber schreibt, hauptberuflich aber etwas ganz anderes macht, ist dies ein wahnsinnig wichtiges Buch. Denn es macht bekannt, was intern zu Teilen schon besprochen wird. Die Musikbranche ist eine große Kunst- und Unterhaltungsindustrie. Eine Branche, in der es schon einige Netzwerke gibt, die FLINTA-Stimmen lauter werden lässt und in der schon viel passiert. Und wo es noch viel zu tun gibt.

Billige Plätze ist nicht nur eine fundierte Zusammenstellung der Bereiche, in denen mehr getan werden muss. Dieses Buch steckt den Kopf nicht in den Sand - obwohl ich mir beim Lesen oft an den Kopf gefasst habe. Es zeigt zahlreiche Felder auf, an denen gearbeitet werden kann und muss - und das ganz undogmatisch, sondern positiv in die Zukunft schauend. Es ist eine Ermunterung auch an alle Männer, dass sie immer von Gleichberechtigung profitieren werden! Es nichts anderes als eine Pflichtlektüre für jede Person, der die Kunst wichtig ist und sie liebt.

Und was hat das Buch mit mir zu tun? Groß und besonders einflussreich ist dieser Blog nicht. Aber egal, er ein Mosaik des Geschäfts. Ich setze dieser Seite keine Quote für FLINTA-Artists, hoffe aber, recht ausgeglichen zu berichten. Ob das wirklich so ist, möchte ich in einem zweiten Schritt herausfinden mit einer Reflexion dessen, worüber hier eigentlich berichtet wird. Stay tuned und lest dieses Buch!

Montag, 14. April 2025

Leselounge: Rafael Schmauch - Battlerap

(Ms) In meiner Lieblingsbuchhandlung gibt es ein ganzes Regal nur für Bücher über Musik. Biographien, die KiWi-Reihe über Popmusik, Bildbände undundund. Tatsächlich finde ich sowas wenig interessant. Bücher über Musik, ihre geschichtliche Wirkung, Funktionsweisen müssen schon wirklich gut geschrieben sein, damit sie spannend sind, damit man beim Lesen etwas lernen kann, damit sie auch zu einem gewissen Grad Unterhaltung sein können. Klar, auf dieser Seite gibt es auch einige, richtig gute Bücher wie Electri_City oder Futuromania.

Doch das Buch über Musik, das ich in den letzten Tagen in meinen Händen hielt, schlägt ein gänzlich neues Kapitel in diesem literarischen Subgenre auf. Denn Battlerap von Rafael Schmauch ist nicht nur unsagbar gut geschrieben, toll recherchiert, sondern vielleicht auch etwas wie ein modernes Standardwerk für ein ganzes Genre. Zugegebenermaßen habe ich noch nie ein Buch über Rap gelesen oder gar die HipHop-Kultur außer Signifying Rappers von David Foster Wallace. Das, was Rafael Schmauch hier darbietet, ausbreitet, analysiert, ist schlicht und einfach genial. Und das liegt daran, dass er die Perspektive von innen und außen kennt. Rafael Schmauch ist Battlerapper und nennt sich dann Papi Schlauch und kennt die Szene ziemlich gut. Und genau das ist es auch, eine Szene. Battlerap, das habe ich auch dazu gelernt, hat wenig mit dem Studio-Rap zu tun, über den wir hier auch schreiben. Große Liebe an Waving The Guns, Juse Ju, Zugezogen Maskulin, Fatoni und auch die Altvorderen Fettes Brot. Die Texte, die die Battle-Kontrahenten schreiben, sind nur für diesen einen Moment, in dem sie sich gegenüber stehen. Wochen und Monate tüfteln sie an den richtigen Reimen und der richtigen, passenden, treffenden Form der Beleidigung.

Denn darum geht es. In der Szene und im Buch. Und wie Rafael Schmauch die unterschiedlichen Weisen der Beleidigungskunst seziert, ist nichts anderes als beeindruckend! Wichtig für das Verständnis ist, dass es immer nur um die Kunstfigur mit einem Alias auf der Bühne geht. Die Beleidigung soll clever, unterhaltsam, mitunter auch hart sein. Aber die Beteiligten des Wettkampfs geben auch zu Protokoll, dass sie sich dadurch nicht persönlich angegriffen fühlen. Das sind die unausgesprochenen Regeln. Wie viel Zeit in so einem Text stecken kann, wie viel Vorbereitung, Recherche zeigt der Autor in zahlreichen Beispielen. Was für eine Mühe! Denn die lassen sich nicht nachlesen. Rafael Schmauch muss also stundenlang Battles angesehen und transkribiert haben!
Und dann geht das Buch so richtig auf. Denn Papi Schlauch seziert einzelne Battles, dröselt Reimstrukturen auf, analysiert das Für und Wider einer gelungenen Punchline und geht dabei auch immer wieder mit sich ins Gericht, wenn er über Gelungenes auf der Bühne und Griffe ins Klo berichtet. Dabei portraitiert er unterschiedliche Protagonisten, von denen ich bislang noch nie gehört habe. Zudem gibt er eine Übersicht über die unterschiedlichen Battle-Ligen und deren Funktionsweise.

Beim Lesen dieses Buches habe ich mich auch gefragt, warum diese Szene so wenig künstlerische Aufmerksamkeit bekommt?! Das, was die Rapperinnen und Rapper immer wieder in der Crowd bieten, ist hohe Kunst. Die Leute, die sich dort gegenüber stehen, haben ein irres Gespür für Sprache, einen extrem ausgebauten Wortschatz, viel Sinn und (Bauern-)Schläue, mit Sprache umzugehen! Bis es soweit ist, dass diese Menschen den Grimmepreis bekommen, ist die Lektüre dieses Buchs angebracht! Das ist einfach nur genial und eine große, große Leseempfehlung.

Donnerstag, 4. April 2024

Leselounge: Sebastian Krumbiegel - Meine Stimme

(Ms) „Regen, Regen / Alle pflegen / Sich darüber / Aufzuregen / Regen, lass mich / Überlegen / Bin ich dafür / Oder bin ich dagegen.“
Diese Zeilen vom 2003er Album Monarchy In Germany ist das Erste, woran ich denken muss, wenn ich an Die Prinzen denke. Irgendwie pfiffig und unterhaltsam und vor gut zwanzig Jahren haben sich diese Worte anscheinend richtig doll in meine Hirnwindungen eingebrannt. Eine wesentlich größere Verbindung zu dieser Band bestand für mich aber nie. Aber an ihnen ging auch (zumindest eine zeitlang) kein Weg dran vorbei. Dafür waren sie zu präsent und auch zurecht erfolgreich. Dann erinnere ich mich noch daran, dass der Pastor aus meiner Heimatkirche in Lemgo die Gruppe mal in sein Gotteshaus eingeladen hat und der Andrang auf die Karten in der Kleinstadt sehr groß war. Die Leute wollten Sebastian Krumbiegel und Co sehen. Ich kann es gut verstehen.
Das ist der eine große Part im Leben des Gesichts dieser Band: Unterhaltung. Die Prinzen waren und sind große Entertainer, die für angenehme Kurzweil und gewissermaßen für generationenübergreifende Musik stehen.
Was Sebastian Krumbiegel jedoch noch viel mehr zu erzählen hat, war mir gar nicht klar, bis ich sein Buch Meine Stimme - Zwischen Haltung Und Unterhaltung las. Es erschien kürzlich im Ventil-Verlag und lässt sich angenehm schnell und gut lesen. Krumbiegel hat hier keine Autobiographie hingelegt und zugegeben auch keine literarische Meisterleistung (das wollte er auch gar nicht). Jedoch ist er eine Person des Öffentlichen Lebens und hat damit automatisch viel Reichweite. Und die nutzt er ziemlich gut, was mir gar nicht bekannt war. 
Die Episoden, über die er schreibt, sind schon chronologisch sortiert, da es so einfach am meisten Sinn ergibt. Allzu viel soll diese Rezension natürlich nicht vorweg nehmen, aber ich war überrascht, was er alles zu erzählen hat. Über die schöne, aber auch harte Zeit als Thomanerschüler. Über die Zeit als Punk in der DDR. Darüber wie es ist, zusammengeschlagen zu werden. Und insbesondere darüber, was es bedeutet, in der Öffentlichkeit für seine Haltung einzustehen. Denn genau das tut er seit vielen Jahren. Man kann Die Prinzen toll oder doof finden, dass Krumbiegel sich aber seit so vielen Jahren gegen alle Formen von Rechtsextremismus engagiert und viel auf die Beine stellt, um das auch möglichst laut zu tun, gebührt großer Anerkennung. Und er hört nicht damit auf. 
Durch die Lektüre ist mein jugendlicher Hang zu seiner Musik nicht wieder auferlebt. Aber ich fand es sehr spannend, zu lesen, was er alles zu berichten hat. Denn Sebastian Krumbiegel steht für das, was er sagt und er gibt viel, damit der ganze braune Dreck möglichst klein bleibt. Diese Geschichten sind es wert, gelesen zu werden, denn er ist ein tolles Beispiel dafür, was es heißt, aufrecht durchs Leben zu gehen. Seien wir alle ein wenig mehr Krumbiegel!

Mittwoch, 18. Oktober 2023

Leselounge: Simon Reynolds - Futuromania

(Ms) Das nur zu Erspürende in Worte zu fassen. Das ist Aufgabe und Herausforderung von Menschen, die über Musik schreiben. Wir versuchen uns auch daran, aber es gibt Menschen, die das halt wesentlich besser können und vor denen man halt auch den Hut ziehen muss. Dazu gehört Simon Reynolds, der seit vielen, vielen Jahren für unterschiedliche Magazine und Zeitungen schreibt. Zugegebenermaßen sagte mir sein Name bis vor Kurzem nichts, dann hatte ich sein Buch Futuromania in der Hand und las es begeistert durch.
Das Buch ist eine Sammlung an unterschiedlichen langen Texten und Essays über Musik, die zu ihrer Entstehungszeit neu war und unbekanntes Terrain betrat. Reynolds bezieht sich bei seinen Beobachtungen und Schilderungen auf elektronische (Tanz-)Musik. Dabei ist das Cover des Buches etwas in die Irre führend. Denn das abgewandelte Autobahnschild lässt zu sehr an Kraftwerk denken. Um die geht es aber gar nicht so sehr. Nur ein kurzes Kapitel behandelt die Arbeit von Florian Schneider. Doch diese auffallende Graphik ist natürlich ein Hingucker!

Mit elektronischer Musik an sich habe ich recht wenig am Hut. Doch Reynolds schreibt so frech genial und gut und begeistert darüber, dass mit jedem Kapitel die Neugier wächst. Die Texte sind chronologisch geordnet, also der Erscheinung der Musik nach. Direkt zu Beginn fiel mir sein bestechender Schreibstil auf. Ja, ich bin im Laufe des Lesens ganz schön neidisch geworden. Wie gut, präzise, manchmal vulgär, aber immer super gut recherchiert er über Musik schreibt. Alles, was er über Donna Summer und Giorgio Moroder schreibt, ist faszinierend. Nicht nur das Wegweisende ihrer gemeinsamen Musik schildert er packend, sondern auch wie zum Beispiel I Feel Love entstanden ist. Das macht richtig Freude! Vom frühen Disco und den neuen Klängen des Krautrock arbeitet er sich vor. Gewissenhaft, detailverliebt und in Sphären, die mir völlig fremd waren. Es ist ein großes Vergnügen, wie er die verschiedenen Spielarten der elektronischen Musik voneinander unterscheiden kann. Hier spielen Begrifflichkeiten für Genres eine ganz wichtige Rolle, sie sind notwendig, um die Entwicklung von dieser Musik zu verstehen. Was genau 2-Step oder Jungle ist. Das wusste ich vorher nicht. Hardstep, Grime. Keine Ahnung. Nach der Lektüre umso mehr. Auch wenn mir 95% der Musikerinnen und Künstler in diesem Buch überhaupt nichts sagten, schafft es Simon Reynolds mit seiner eigenen großen Begeisterung und Überzeugung, dass elektronische Tanzmusik ein ganz eigener, faszinierender, erlebenswerter Kosmos ist, dass die Freude beim Lesen nie abreißt, auch wenn ich die Musik, um die es geht, gar nicht höre. Mit aufgerissenen Augen las ich über seine genaue Recherche über Drogenkonsum und das Wesen des Raggae. Am meisten hat er mich mitgerissen, wenn er fast 30 Seiten über Auto-Tune schreibt. Wie genau, passioniert, begeistert und überzeugt muss man sein, wenn man das so genau beschreiben kann wie Reynolds?! Das schwappt aus jeder Seite über und schwächt viele Vorurteile ab! Auch sein Plädoyer über elektronische Dance Music hat es mir wahnsinnig angetan, auch wenn ich eher ein Freund der Gitarrenmusik bin. Mit dem Wissen, dem Feeling, das er durch seine Texte und seinen energiegeladenen Schreibstil vermittelt, fällt es mir sehr leicht, mich darauf einzulassen!

Genau das wünsche ich auch allen anderen Lesenden bei dieser Lektüre! Die gut 360 dicht beschriebenen Seiten des Buches, das im Ventil Verlag erschien, sind sehr, sehr lohnenswert. Für Freaks, Bekloppte, Neugierige und alle, die am laufenden Band erleben möchten, wie genau man über Musik schreiben kann. Das ist sehr beeindruckend und macht unsagbar viel Spaß - große Empfehlung!!!

Dienstag, 13. Dezember 2022

Leselounge: Dave Grohl - Der Storyteller

Quelle: Ullstein.de
 (Ms) Das Wichtigste vorweg: Ich kenne mich mit Scream nicht aus. Ich kenne mit mit Nirvana nicht aus. Ich kenne mich mit Queens Of The Stoneage nicht aus. Ich kenne mich mit Them Crooked Vultures nicht aus. Ich kenne mich mit den Foo Fighters nicht aus.
Die Musik all dieser Bands interessiert mich überhaupt nicht. Nichts davon spricht mich nur in irgendeiner Art und Weise an.

Dave Grohl kennt aber dennoch jeder. Und während Corona so vor sich hin coronisierte, brauchte dieser nimmermüde Kerl eine Beschäftigung. Keine seiner Bands durfte spielen. Die ganze Welt stand still. Dass die Ideen nur so aus ihm raus sprudeln, zeigt ja schon, dass er mehrgliedrig im Musikgeschäft unterwegs ist. Und das schon seit wirklich vielen Jahren. Die Zeit war also reif, dass er all seine Erlebnisse aus einer zweifelsohne umtriebigen und sehr erfolgreichen Zeit als Musiker mal aufschreibt.
Dieses Buch habe ich geschenkt bekommen und aus den oben genannten Gründen war ich erstmal ein wenig distanziert. Dann dachte ich mir aber: Hey, auch wenn mir die Musik von Dave Grohl relativ egal ist, dann wird er ja sicher einiges zu erzählen haben. Seine Eindrücke aus der Zeit mit Kurt Cobain - sicher super interessant! Seine Eindrücke als Leader einer großen Rockband - sicher super lesenswert! Seine Eindrücke aus dem Zusammensein mit vielen großen Namen der Musik - sicher super unterhaltsam.

Man mag aus diesen Zeilen schon herauslesen, dass ich mit dem Buch nicht viel anfangen kann. Und das hat nichts damit zu tun, dass es beispielsweise schlecht geschrieben sei. Nicht jeder Songschreiber ist auch ein guter Schriftsteller, bei weitem nicht. Da gibt es große Unterschiede. Der Stil ist locker, es lässt sich sehr einfach lesen. Und ja, seine Anfänge sind wirklich spannend, die erschütternden Tiefs und die vielen Hochs sind enorm. Genügend Stoff für mehrere Leben und sicher für alle Fans ein nettes Buch zum Schmökern. Das ging mir in den ersten 150 der ca. 450 Seiten auch so. Es hat irgendwie Spaß gemacht, ich war neugierig. Doch dann kippte der Gesamteindruck massiv. Bis dahin schien mir Dave Grohl nämlich ein total angenehmer, sympathischer Kerl zu sein.
Doch dieses Buch dreht sich irgendwann zu einer Hymne auf sich selbst. Er stellt sich derart als unzerstörbarer Hulk da, dass es mir tierisch auf die Nerven ging. Er ist schmerzresistent, robust im Trinken, braucht eigentlich keinen Schlaf, ist der perfekte Vater, die ideale Rampensau, ein wahnsinnig erfolgreicher Typ. Dave Grohl ist perfekt. Und er ist der ideale Mann, hart, cool, kann alles selbst. Boah, ist das langweilig! Es folgt eine Heldengeschichte auf die nächste. Gähn!
Zu dieser Selbstdarstellung gesellt sich ein Understatement, das ich ihm nicht abkaufe. Klar, er hat viele Menschen großer Bekanntheit getroffen, war im weißen Haus, hat mit Paul McCartney eine Freundschaft undundund… unermüdlich wiederholt er, dass das alles nicht selbstverständlich für ihn ist. Okay, ja, glaube ich ihm zum Teil. Auf der anderen Seite muss aber auch gesagt werden: Das hier ist Dave Grohl. Der ist seit 30 Jahren ein großer Name im Rockgeschäft, massiv erfolgreich, macht mit den Foo Fighters Stadien voll! Spielt fast immer vor mehreren zehntausend Menschen. Ist doch klar, dass man dann in gewisse Kreise rein rutscht. Diese Underdog-Rolle kaufe ich ihm einfach nicht ab. Sorry.

Daher ist dieses Buch doch eine im Grunde genommen langweilige Angelegenheit. Die Sensationen sind keine mehr, weil sie sich so stark aneinanderreihen und die Darstellung des Understatement-Kerls ist für mich einfach unglaubwürdig.

Das ist jedoch nur mein Eindruck. So ist das beim Lesen halt.
Vielleicht mag es bei anderen anders sein.
Daher eventuell: Viel Spaß bei der Lektüre!

Dienstag, 21. Juni 2022

Leselounge: Negativ-dekadent - Punk in der DDR

Quelle: ventil-verlag.de
(ms) Buch, Inhalt, Rezipient. In welchem Verhältnis sollten sie im Idealfall stehen, um ein rundes Bild abzugeben? Auch, um dem Geschriebenen gerecht zu werden. Muss ich als Rezipient gewisse Eigenschaften oder Erfahrungen aufweisen, um ein 'Recht' zu haben darüber zu schreiben? Diese Frage stelle ich mir schon seit ein paar Wochen. Im Grunde genommen seitdem ich die erste Seite von negativ-dekadent - Punk in der DDR aufgeschlagen habe. Denn ich war nie Punk, bin kein Punk und werde wahrscheinlich auch kein mehr Punk werden. Mit dem Kern der Punkmusik hierzulande kenne ich mich auch nicht aus. Hören tue ich ihn ab und an, würde mich aber niemals dieser Szene als zugehörig erklären. Das ist die erste Schwachstelle. Die zweite ist mein Alter und mein fehlendes Wissen. Ich bin Anfang dreißig und in Ostwestfalen groß geworden. Es gab geographisch, biographisch und soziologisch keinen Berührungspunkt mit der DDR. Erst in letzter Zeit steigt meine Neugier, erfahren zu wollen, wie es dort war. Wie es sich anfühlte. Was gut war und was nicht. Erfahrungen zwischen Folklore, Ostalgie, Überwachung, Manipulation und Schandtaten der Treuhand.
Da alles das bei mir fehlt, hatte ich lange den Eindruck, dass ich nicht das 'Recht' habe, darüber zu schreiben. Dass das Quatsch ist, wurde mir erst später bewusst. Auch beim Lesen dieses sehr guten und vielseitigen Sammelbandes von Anne Hahn und Frank Willmann. Beide Herausgebenden haben große Expertise auf dem Feld des Punks aus der DDR. Sie waren mit dabei und schreiben seit vielen Jahren darüber. Die allerbesten Voraussetzungen also mir als absoluten Laien dieses sehr, sehr spannende, erschütternde und unterhaltsame Kapitel der DDR-Historie nahezubringen. 48 kleine Kapitel versammeln sich auf 259 Seiten. Da es so viele kleine Episoden sind, lässt sich dieses Buch extrem gut weglesen. Durch diese vielen, so unterschiedlichen Blickwinkel wird das Untergrundphänomen Punk in der DDR aus mannigfaltigen Perspektiven beschrieben, die immer wieder klarmachen: wir scheißen auf alles, wir haben Bock, wir machen einfach, wir waren eine sehr kleine Szene, wir wurden von Anfang an infiltriert. 

Es gibt so viel, was ich durch dieses Buch gelernt habe. Maßgeblich dafür verantwortlich ist die Art und Weise der Beiträge. Denn sie sind derart authentisch (auch wenn dieses Wort ein wenig verbraucht klingen mag, es passt leider so gut hier), dass diese aufregende Zeit sehr gut aus den Seiten schwappt. Ja, die Punks aus der DDR waren eine sehr kleine Gruppe. Von wenigen Hundert Menschen kann man ausgehen, die das wirklich gelebt haben. Und sie waren auf Strukturen angewiesen, die sie selbst qua Staatsräson nicht aufbauen konnten. So gingen sie vielerorts eine Liaison mit den Kirchen ein, die Räume bereitstellen konnten, die nicht staatlich kontrolliert wurden. Dass Bands wie Schleim-Keim, Wutanfall, Namenlos und Unerwünscht dort aufgrund ihres Punkerdaseins nicht viel Gegenliebe erfahren haben, sollte nicht verwundern. Dennoch ein bemerkenswerter Zusammenschluss.
Was mir auch haften blieb, ist, dass die Szene nicht nur sehr klein war. Daraus ergibt sich automatisch, dass es wenige Veranstaltungen und Treffpunkte gab, wo sie sich treffen konnten. Oft waren es nur zwei, drei, vier Gigs pro Jahr, wo Menschen aus Zwickau, Erfurt und sonst wo dann angetingelt kamen. Allzu romantisch darf man sich das nicht vorstellen.
Doch was dieses Buch am allerbesten transportiert, ist, dass Punk immer schon weit mehr als Musik war und ist. Das weiß selbst ich als Punk-Laie. Es war immer Lebenskonzept und Einstellung, die nicht verhandelbar gewesen ist. Daher auch der Titel des Sammelbandes. Als negativ-dekadent wurden die Punks bezeichnet, um dann in den Knast oder zumindest ins Verhör zu gelangen. Selbstverständlich wurde diese kleine Szene auch beobachtet und unterwandert. Doch als Punk erkannt zu werden, war in der DDR gar nicht so leicht. Und das lag an ganz praktischen Gründen. Woher eine Lederkluft bekommen?! Woher die Schuhe?! Und wenn man diese wichtigen Utensilien anschaffen konnte, konnte man sich ebenso sicher sein, dass man massiv damit auffiel. Klar, das war beabsichtigt, bleibt aber nicht selten ohne Konsequenzen.

Dieses sehr gute Buch ist nicht nur etwas für Nostalgiker, Altpunks und Soziologiestudenten. Sondern auch für Menschen, die sich für die Geschichte dieses Landes, Menschen an sich und die wunderbare Kraft der Musik interessieren, die oft so viel stärker ist als jede einschränkende Propaganda.

Montag, 28. März 2022

Leselounge: Hendrik Bolz - Nullerjahre

Quelle: kiwi-verlag.de
(ms) MusikerInnen, die Bücher schreiben. Ein ganz heikles Thema. Man könnte ja meinen: Wer Lieder schreiben kann, sollte auch ein gutes Buch schreiben können. Dieser vom Zweifel begleitete Gedanke schleicht sich bei mir immer ein, wenn ein MusikerInnen-Buch erscheint. Bei Frank Spilker war ich vor einigen Jahren stark enttäuscht. Thees Uhlmann hat mich positiv überrascht. Sven Regener spielt in einer eigenen Liga. Thorsten Nagelschmidt kann das auch sehr gut. Bei Flake würde ich intuitiv Abstand nehmen. Till Lindemann hat mal einen Gedichtband veröffentlicht. Oh weh! Die Texte von Rammstein sind ja schon übertrieben schlecht, da will ich gar keine Gedichte lesen.

Also: Heikles Thema.
Nun erscheinen nah beieinander zwei Musiker-Bücher. Der eine Autor: Monchi, Sänger von Feine Sahne Fischfilet. Der andere: Testo, eine Hälfte von Zugezogen Maskulin. Monchi schreibt über seinen Kampf gegen sein Übergewicht im Rausch des Erfolgs und wie er Joggen für sich entdeckt hat. Bei aller Liebe zu der Band, die ich einige Male live gesehen habe: Das will ich nicht lesen, interessiert mich null. Es ist bestimmt ein ehrliches, schönes Buch. Doch als der große Texter ist Monchi sicher noch nicht aufgefallen. Feine Sahne Fischfilet stehen eher für wuchtige Aktionen, deutliche Worte, große Eskalation und sehr, sehr großes Herz! Das kann man ihnen nicht absprechen. Dafür werden sie zurecht verehrt. Auch von mir.

Nun also ein Buch von Testo, bürgerlich Hendrik Bolz. Nullerjahre - Jugend in blühenden Landschaften heißt es. Zwei Gründe waren ausschlaggebend, warum ich es mir umgehend besorgt habe. Zum Einen traue ich ihm wesentlich mehr literarische Kompetenz zu als Monchi. Mein Gefühl sagt mir: Einen kohärenten Raptext (dass wir hier nicht von Capital Bra oder so einem Schrott reden, ist hoffentlich klar) zu schreiben braucht mehr sprachliches Gefühl als bei einem lauten Punkrocktrack. Zum Anderen berichtet Bolz auf den 330 Seiten über seine Kindheit und Jugend in den 00er Jahren in Stralsund. Ich bin nur zwei Jahre jünger als er und wollte unbedingt wissen, wie er großgeworden ist. Wir sind eine Generation und scheinbar in zwei gänzlich unterschiedlichen Welten großgeworden. Was dieses Buch so unfassbar stark ist: Es ist knallhart schonungslos. Hier wird kein Blatt vor den Mund genommen. Nie. Nichts beschönigt. Gar nichts. Ich wuchs in einer nordrhein-westfälischen Kleinstadt auf. Heile Welt, viel Natur, Musikunterricht, Fußballverein, später CVJM, in der Schule alles stabil, gutes Abi und weg. Was Hendrik Bolz aus seiner Kindheit und Jugend schildert ist der reinste maßlose Exzess. Großgeworden im Stralsunder Plattenbau. Überall Hoffnungslosigkeit, Arbeitslosigkeit, Gewalt, völliger identitärer Irrweg nach der Angliederung der DDR. Entweder herrscht in organisierten Kinder- und Jugendgruppen alte Schule mit "Iss deinen Teller auf" oder einer der Gruppenleiter ist ein waschechter Nazi. Ach, nee... die gab es in der DDR ja nicht. Diese paranoide Selbstanlügerei auf staatlicher Ebene rächte sich unmittelbar.
Hendrik Bolz wuchs also genau dort auf. In dieser Welt war es (wohl) selbstverständlich, sich ganz schnell behaupten zu müssen. Mit markigen Sprüchen, Abgrenzung, Härte, viel roher Gewalt, den richtigen Klamotten und ziemlich frühem, maßlosem Alkohol- und Drogenkonsum. Der junge Hendrik mittendrin. Statt selber zu kassieren, die richtige Kleidung tragen und fleißig austeilen. 
Diese Kindheit und Jugend beschreibt er in irrem Tempo. Ein Schreibstil, der sehr nah an seiner Art des Rap ist: schnell, vulgär, direkt, klar, hart. Regelmäßig dachte ich beim Lesen: "Scheiße, wie kann es nur so weit kommen?! Wie eklatant unterschiedlich können zwei Kindheiten 440km voneinander entfernt nur sein?!" und "Was war mit seinen Eltern?!" Von denen ist nie die Rede. Die andere Frage lässt sich sozialisatorisch erklären, ist aber dennoch unglaublich hart. Ein kleines Fünkchen Hoffnung keimt immer wieder: Dezente Verliebtheit erdet ihn immer wieder für kurze Zeit.

Ohne es überhöhen zu wollen: Das sollte in den Schulen gelesen werden. Standardlektüre, um mal klar zu kommen. Ein erschreckendes, schonungsloses, temporeiches, extrem lesenswertes Buch.
Hört man danach/dabei nochmal genau auf Testos Parts bei Zugezogen Maskulin, erscheinen seine Worte in ganz neuem Gewandt.
Das hier ist sehr gelungen!

Montag, 20. Dezember 2021

Luserlounge Adventskalender, Türchen 20: Leselounge - Awesome HipHop Humans

Quelle: ventil-verlag.de
(ms) Guten Menschen schenken wir Dinge unabhängig von religiösen Festen oder dem Tag, als sie das Licht der Welt erblickten. Dieses Buch sollte dringend verschenkt/gekauft und danach gelesen/studiert werden. Gazal und sookee haben über den Ventil Verlag den Sammelband Awesome HipHop Humans herausgebracht und damit Einzigartiges geschaffen. Lange Zeit habe ich mich gefragt, wie man dieses Buch am besten bezeichnen könnte. Es ist nicht wissenschaftlich, auch nicht populärwissenschaftlich. Es ist kein Sachbuch und erst Recht kein Roman. Schließlich habe ich mich an das Wort Portrait herangewagt und finde es sehr passend.
Also: Worum geht es?
In dutzenden Beiträgen beschreiben ProtagonistInnen aus dem queer-feministischen Rap im deutschsprachigen Raum ihr Dasein. Jeder Beitrag ist einzigartig. Das nicht nur dadurch, dass natürlich alle Schreibenden Unikate sind, sondern auch völlig frei stand, wie sie sich einbringen wollen. Es gibt bis auf dieses sehr grobe Thema keinen roten Faden. Alle können so wie sie wollen. Und alle sind so wie sie sein wollen. Ob es nun ein Songtext von Babsi Tollwut, ein Interview zwischen sookee und Kreosin95, ein Brief von Sir Mantis oder die Geschichte von FaulenzA ist... dieses Buch ist genauso vielfältig wie queer-feministischer Rap an sich. Oder queerer Feminismus. Alle definieren es so, wie es am besten passt. Auch wenn es an einigen Stellen so scheint, hier widerspricht sich nichts. Nein. Vielmehr ergänzen sich die Beiträge zu einem großen Bild. Ein Ganzes ist es nicht immer. Schwer zu sagen, ob alle Schreibenden sich kennen. Viele sind miteinander vernetzt. Es geht (aus meiner Sicht nach der Lektüre) eher um Sichtbarmachung. Denn eines ist ja klar: Rap hierzulande ist ein brutal männlich dominiertes Genre. Hasserfüllt und aggressiv obendrein. Oft gegen Frauen und Geschlechter, die nicht klar zu benennen sind. Ekelhaft.
Eine der wichtigsten Aussagen des Buches ist also: Wir sind hier. Und wir sind viele. Wir sind reflektiert und klug. Und wir werden immer lauter und werden niemals nachgeben!
Dieses Sichtbarmachen und Lautsein findet auf vielen verschiedenen Ebenen statt. Viele sind als AktivistInnen am Start, andere organisieren im Hintergrund und viele stehen wiederum auf der Bühne und zeigen sich und ihre Kunst. Dass es nur zum Teil eine einheitliche Szene ist, zeigt am eindrücklichsten der Beitrag von That Fucking Sara. Das muss am besten selbst gelesen werden, da ich es nicht passend wiedergeben kann.
Zwischendurch beim Lesen dachte ich: Puuhh, das zieht sich aber ganz schön. Dann musste ich das Hirn lüften und die Augen öffnen, um mich zu besinnen, wie falsch dieser Eindruck ist. Er entstand sicher durch die hohe Anzahl an (zum Teil recht kurzen) Beiträgen. Spannend ist das Buch dennoch - oder deswegen. Denn jeder Beitrag ist ein weiteres Steinchen, das ein riesiges Mosaik zusammensetzt. Und dieses Bild ist noch lange nicht fertig. Super spannend wäre es, in beispielsweise fünf Jahren einen weiteren Band erscheinen zu lassen mit den Fragen: Was hat sich geändert? Wie laut sind wir? Sind die ganzen Macker immer noch am Start, so sichtbar, tonangebend und erfolgreich?
Dies ist also mehr als lesenswert. Für mich war es erlebenswert. Ab und zu mag ich behaupten, mich mit Musik einigermaßen gut auszukennen. Mit Rap aber nicht. Mit queer-feministischem Rap also schon gar nicht. Das hat sich nun wenigstens ein bisschen geändert. Und Musik bleibt ja auch immer Geschmackssache. Durchgehört habe ich mich bei vielen der AutorInnen. Am stärksten hängen geblieben für mich ist Yasmo - das finde ich ganz hervorragend. Auch eindringlichem Rap wie von Lena Stoehrfaktor kann ich einiges abgewinnen.
Also: Holt euch dieses Buch, lest es, verschenkt es, studiert es, seid bitte bitte begeistert!



Mittwoch, 20. Oktober 2021

Leselounge: Davide Bortot und Jan Wehn - Könnt ihr uns hören?

Quelle: weltbild.de

(ms) Was in diesem Buch wirklich überzeugt, ist die Art und Weise des Schreibstils. Dies ist eine sogenannte Oral History (so wie hier und dort). Das heißt, die ProtagonistInnen, um die es geht, sprechen selbst ohne inhaltliche redaktionelle Bearbeitung. Was für ein irrer Aufwand!
Den haben sich Jan Wehn und Davide Bortot aber gerne gemacht für ihr Buch Könnt Ihr Uns Hören? Es ist bereits in der Unterüberschrift zu lesen, dass es eine Abhandlung über die Geschichte des deutschsprachigen Rap geht. Das klingt so simpel, so gut überschaubar. Ist es mitnichten! Diese Wirrungen, Wege, Keimzellen, Bewegungen, Motivationen haben die Autoren so gut durch ihre Beteiligten klar werden lassen, dass es beinahe frech ist! So gut ist dieses Buch! Es liest sich tatsächlich wie ein Krimi, es ist richtig spannend! Denn die Frage, wie sich Rap hier entwickelt hat, geht immer mit der Frage her: Warum genau so und nicht anders! Das wird so gut aufgeschlüsselt und geklärt, dass ich als Außenstehender einen erstklassigen Überblick bekomme. Was für ein Verdienst der Autoren und was für eine Offenheit der MusikerInnen.
Das hier ist keine Nischenliteratur. Hören tue ich Rap sehr gerne, aber halt auch super ausgewählt, ist ja klar. WTG, Fatoni, Juse Ju, Audio88, Yassin, sookee, Mädness, Döll. Diese Ecke. Als Jugendlicher habe ich selbstredend auch Aggro Berlin, Massive Töne und Fettes Brot gehört. Die Zeiten ändern sich.
Dieses Werk entknotet ein ziemlich großes Wollknäuel an Musikgeschichte und -kultur. Es geht zum einen immer wieder um die großen Wegbereiter und deren unangefochtenes Können am Mikrophon. Cora E., Samy Deluxe, Stieber Twins, Torch, Kool Savas.

Was mich jedoch so begeistert hat, ist, dass klar wurde, warum welche Kreise wie gerappt haben. Die RapperInnen aus Stuttgart, Hamburg und insbesondere Berlin hatten grundsätzlich unterschiedliche Gründe, genauso zu rappen, wie sie es taten. Da ging mir echt ein Licht auf. Allein das ist schon extrem lesenswert! Zudem werden hier selbstredend auch einzelne Stücke ausreichend gewürdigt, die heute immer noch Klassiker sind.
Rap war lange Zeit die absolute Nische, kommerziell unbedeutend. Heute sieht es gänzlich anders aus. Schaut man sich insbesondere Abrufzahlen bei Streamingdiensten an, ist es Rap, der dominiert. Rap ist Mainstream, die vorherrschende musikalische Kultur geworden. Doch eine Krux fällt mir dabei ein. Werden seit Jahren Fettes Brot und noch viel stärker Die Fantastischen Vier dafür gerüffelt, whack zu sein, kann man nicht zwingend behaupten, dass die Autotune-Fraktion true ist. Auch Marteria würde ich nicht mehr als hundertprozentigen Rapper titulieren. Das ist auch Pop mit Sprechgesang. Nun gut...

Dies ist also ein herausragendes Buch, in dem immer wieder zu spüren ist, wie viel Arbeit und Herzblut darin steckt. Eine Sache nur ist als Rap-Außenseiter gewöhnungsbedürftig. Wichtig: Das hier ist keine Wertung. Die Sprache im Rap ist eine andere, als die ich gewohnt bin. Worte wie true oder whack befinden sich nicht in meinem aktiven Wortschatz. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Daran muss man sich gewöhnen, dann steht einem eine neue Welt offen.

Sonntag, 8. August 2021

Leselounge: Christopf Dallach - Future Sounds

 

Quelle: suhrkamp.de
(ms) Als ich das Buch in der Hand hielt, dachte ich: 'Das habe ich doch letztes Jahr erst gelesen.' Ob Christoph Dallach vorher Rüdiger Esch gefragt hat oder ob es die Idee des gemeinsamen Verlags Suhrkamp war, weiß ich nicht. Im Grunde genommen ist es mir auch egal. Verwundert hat es mich dennoch. Beide Bücher behandeln das große, weite Thema Krautrock und sind im absolut identischen Stil verfasst. Geschrieben im klassischen Sinne sind sie nur so halb. Die beiden Werke bestehen aus sehr geschickt und gut geordneten Zitaten eben der ProtagonistInnen, die diesen Sound, der alles andere als einheitlich war, geprägt, gemacht, erdacht haben.

Eigentlich gibt es auch nur einen Unterschied zwischen Future Sounds und Electri_City, könnte man provokant in den Raum werfen. Esch hat sich radikal auf den Düsseldorfer Raum beschränkt und somit ein sehr klares Bild aus einem sehr kleinen Raum erschaffen. Bestechend dabei, wie einzelne Straßennamen und Clubs wichtig wurden.
Christoph Dallach, der unter anderem für die ZEIT schreibt, spannte den Bogen wesentlich weiter, warf den Blick auf die ganze BRD, England, Frankreich. Daher stehen beide Bücher überhaupt nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sie ergänzen sich in hervorragender Weise! Future Sounds ist ein Buch, das die unterschiedlichen Bewegungen des Krautrock ins Visier nimmt. Den Krautrock gibt es nicht. Das kann eine der wesentlichen Thesen sein, die immer wieder durchleuchten. Viele Bands kannten sich untereinander gar nicht, die heute, viele Jahre später in einen Topf geworfen werden. Und das ging mir bei den gut 500 Seiten beim Umblättern ständig so.

Ich bin viel zu jung, um irgendeine Verbindung zum Krautrock zu haben. Dass dieses Genre nun wiederentdeckt wird, würde ich für meine Generation auch überhaupt nicht behaupten. Die um-die-30-Jährigen aus meinen Kreisen kennen, wenn es gut läuft, Kraftwerk. Punkt. Klar, die Düsseldorfer waren auch mein Ausgangspunkt. Doch nun, nach der Lektüre beider Werke, ist mir eines total klar: Die waren immer unglaublich verschroben. Genial, aber auch irgendwie autistisch. Die wollten mit dem Rest auch gar nichts zu tun haben. Sicherlich waren sie ab den 70ern auch wesentlich zugänglicher als manch andere. Ein großer Pluspunkt an Future Sounds ist eben, dass Kraftwerk hier nur gestreift werden (und ein Minuspunkt dieses Textes, dass ich das erwähne).
Andere Bands haben eine wesentlich bessere Geschichte zu erzählen. Ihre Namen und Mitglieder waren mir vorher auch vollkommen unbekannt. Dallach hat mir hier eine Wissenslücke gefüllt. Vielen Dank an dieser Stelle. Logisch, von Can habe ich auch gehört, aber mich nie so wirklich mit der Gruppe beschäftigt. Tangerine Dream, Faust, Amon Düül oder gar Amon Düül II sagten mir vorher nichts. Jetzt bin ich schlauer und ziemlich angefixt. Hört man beispielsweise Faust, wird schnell klar, dass deren Musik mit Kraftwerk nichts zu tun hat. Nochmal: Der Begriff Krautrock vereinheitlicht nicht zu Vereinheitlichendes. 

Genau wie bei Esch sind es hier die Menschen, die ihre Geschichten erzählen. Genau das macht diese Lektüre so unglaublich einnehmend. Viele ProtagonistInnen sind vollkommen durchgeknallte Leute. Klangnerds ohne Ende. Pioniere auch oft. Das Wunderbare an diesem Buch geschieht gleich zu Anfang. Da spannt Christoph Dallach den Bogen sehr gut: Von der Musik, wie es sie vor dem zweiten Weltkrieg gab und welche Sehnsucht und welches Selbstverständnis danach hierzulande herrschte. Wo es noch Anknüpfungspunkte gab, was sich nicht schickte und wo radikal gedacht wurde, gedacht werden musste. Phantastisch.
Sehr unterhaltsam ist dieses Buch. Und ehrlich. Einige Menschen widersprechen sich in ihren Meinungen, Anschauungen. Dass das genau so stehen gelassen wird, ohne jeglichen Kommentar oder redaktionellen Eingriff, ist so einfach wie mutig. 

Wer also etwas über eine sehr kleine Szene wissen will, die erst viel, viel später Anerkennung bekommen hat, nie erfolgreich und dennoch so unglaublich prägend war, sei dieses Buch an die Hand gelegt. Ich fand mich eines Abends wieder und sah mir eine Doku über Karlheinz Stockhausen an. Hätte ich vorher auch nicht gedacht.

Samstag, 19. Dezember 2020

Leselounge: Rüdiger Esch - Electri_City

Quelle: jpc.de
(ms) Über Musik zu schreiben ist der Grundpfeiler, warum es diese Seite hier gibt. Zum Einen, weil wir unbändige Fans vom aufmerksamen Lauschen sind, zum Anderen, weil das Schreiben so große Freude bereitet. Aber auch immer Anlass für Herausforderungen ist. Klang, Atmosphäre und Dynamiken zu verschriftlichen ist oft eine heikle Aufgabe. Wie soll man das beschreiben, was einem gefällt, um es so auszudrücken, dass Andere daran auch Gefallen finden können?! Diese Frage stellt man sich jedes Mal neu. Die Lösung des Ganzen ist eine schöne, knifflige Hirnarbeit.

Über Musik wird viel geschrieben. Das ist klar. Biographien ohne Ende, viel populär- aber auch wirklich wissenschaftliche Literatur. Da wird dann über andere gesprochen und die Protagonisten kommen selbst nur aus Zitaten der Vergangenheit vor.
Ob das Gegenteil davon die Motivation von Rüdiger Esch gewesen ist, kann ich nicht sagen. Von Haus aus ist Esch kein Autor und auch nicht Journalist, sondern Musiker. Er spielt seit unzähligen Jahren bei Die Krupps und Male. Hat also seit Jahrzehnten einen phantastischen Einblick in die Entwicklung der Branche, des Klangs, der Menschen. 
Das ist der erste einer Vielzahl an Gründen, warum man als Interessierter, Nerd, Neugieriger Electri_City - Elektronische Musik Aus Düsseldorf lesen sollte: Der Autor kennt sich aus. Wobei Autor im klassischen Sinne hier nicht das richtige Wort ist. Denn Esch schreibt keine Geschichte, keine Chronik der Geschehnisse vom Rhein aus den 70/80er Jahren, er beurteilt nichts, gibt keine Interpretation vor, lässt die Lesenden im besten Sinne allein, ungefiltert. Das lesenswerte Buch besteht nämlich ausschließlich aus Zitaten der Personen, die zur großen elektronischen Zeit mitgewirkt haben oder unmittelbar damit verbunden sind. Unter anderem: Eberhard Kranemann (Fritz Müller Rock und Künstler), Jäki Eldorado (Manager und erster Punk Deutschlands), Kurt Dahlke (DAF, Der Plan), Robert Görl (Deutsch-Amerikanische Freundschaft) oder Tina Schenkenburger (Die Krupps).

All diese Beteiligten, MusikerInnen, Zeitzeugen berichten über die große Zeit der elektronischen Musik aus Düsseldorf. Und da kommen wir zu einem kleinen - wahrscheinlich dem einzigen - Problem dieses Buches. So oft wird wiederholt, dass Kraftwerk zwar stets das große Aushängeschild waren, Hütter und Co. aber auch wirklich verschrobene Leute waren und sehr viel außerhalb des KlingKlangStudios passiert ist. Dass Kraftwerk selbst immer wieder erwähnt werden ist daher logischer, dennoch wird sich aber genauso oft davon abgegrenzt. Innerhalb der 'Szene' (ein Begriff um den oft gestritten wird, ob es wirklich eine gab) waren bald nicht mehr so wichtig; ab Ende der 70er Jahre in etwa. Außerdem spricht nur Wolfgang Flür als ehemaliges Mitglied des Ensembles im Buch. Und dennoch ziert das Autobahn-Logo das Cover des Buches. Das bräuchte es gar nicht. Klar, es ist der absolute Hingucker und ein auffälliger ikonischer Repräsentant der Zeit. Doch der Schriftzug von NEU! oder der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft wären im Verhältnis zum Buch ebenso würdig gewesen.

Als ich das Buch aufschlug, war ich verwundert ob der ganzen Zitate. Es sind auch keine zusammenhängenden Interviews. Die Leitlinie ist nur: Chronologie. Ist das lesbar, habe ich mich gefragt? Kann ich das genießen? Bekomme ich so als jemand, der ein großes Interesse an Musik hat aber viel (!) später geboren wurde, einen adäquaten Eindruck von dieser Zeit? Und wie! Auf jeden Fall! Das liegt vor allem daran, dass Rüdiger Esch die Zitate so gut aneinander geheftet hat, dass es wie eine irgendwie gemeinsame Erzählung ausschaut. Außerdem kennt er natürlich haargenau die Personen, die man fragen muss, um eine gute Auskunft zu erhalten. Eberhard Kranemann strotzt vor Wissen und extrem guten Antworten, die oft herrlich verrückt sind. Genauso wie Werner Lambertz, vielleicht einer der schrägsten Akteure, die im Buch auftauchen. Da will ich gar nichts vorweg nehmen: Aber was der wohl so getrieben und getüftelt haben soll, ist allerhand! Oft kommt man aus dem Staunen gar nicht raus.
Ja, Eletri_City gewährt einen wunderbaren Einblick in die Zeit der großen Bewegungen in und um Düsseldorf. Insbesondere die tollen Würdigungen zu Conny Planks Werk sind dort genau an der richtigen Stelle. Denn man lernt eine Menge Leute kennen, die im Hintergrund agierten und dennoch unverzichtbar für den Klang, die Experimente, die Umsetzung gewesen sind.
Große Empfehlung! Man sollte nebenbei auch immer wieder nachhören, worum es momentan geht, dann ist das Buch umso runder! Wie schön, dass es mittlerweile gleich zwei Sampler passend dazu gibt!

Gerne wollte ich auch noch die Band erwähnen, die mich auf die Lektüre aufmerksam gemacht haben. Leider komme ich nicht mehr auf den Namen. Irgendwann im Frühsommer haben sie teilgenommen beim morgendlichen Newsletter vom ZEITmagazin. Ich glaube es war eine Jazz-Kombo aus dem Rheinland... Daher: Ein großes, unbekanntes Dankeschön für diesen herrlichen Lesetipp!