Freitag, 9. Mai 2025

Im Interview: Carsten Friedrichs, DLDGG

(Ms) Heute erscheint die neue Platte von Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen. Egg Benedict heißt sie, und sie ist sehr gut geworden, wie die Rezension auf dieser Seite zeigt. Dennoch sind im Text ein paar Fragen offen geblieben. Abhilfe schafft die Band zum Glück selbst und wir hatten die Möglichkeit, mit Carsten Friedrichs zu sprechen, der gerne ein bisschen aus dem Nähkästchen plauderte. Man muss sagen: Auch am Hörer ein wahnsinnig sympathischer Typ! 

„Es Ist Immer Sommer Irgendwo“, „Ferien Für Immer“. Diese und weitere Lieder der Liga schwelgen in die Ferne. Wie groß ist die Sehnsucht, das Fernweh? Bist du satt von Hamburg oder ist es einfach woanders auch sehr schön?

Man sagt ja, das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite. Aber ich habe relativ spät das Mittelmeer gesehen aus Flugangst und weil ich kein Geld hatte. Und dann war ich mal da und fand das dort so toll und dachte: Da kann man mal ein paar Songs drüber machen. Und tatsächlich ist das Wetter hier ja auch echt scheiße. Das Regnerische in Hamburg geht an die Substanz. Worüber soll man Songs schreiben?! Über das, was einen beschäftigt.

Bleiben wir draußen. “Ein Dienstag in Dur (Es ist Frühling)” behandelt eine ganz andere Jahreszeit. Der Frühling - unterschätzt als musikalisches Thema?

Ja, eigentlich schon. Es gibt sehr viele Sommerhits, von Frühlingshits habe ich noch nie gehört und da dachten wir: Mit einem Sommerhit hat es noch nicht geklappt, vielleicht klappt es mit einem Frühlingshit. Der Song entstand so, dass ich den Titel im Kopf hatte und dann fing bei uns zu Hause die Wand an zu schimmeln und im Büro stand ganz viel Flaschenpfand und daraus entstand dann irgendwann der Text. Die Musik mache ich dann mit Gunther zusammen, arrangieren tun wir das mit der ganzen Band, die dann noch den tollen Liga-Sound dazu bringt.

Zum Titel der Platte. Ich las, dass “Egg Benedict” keine größere Bedeutung mit sich trägt, sondern einfach gut klingt, für sich steht. Ist die Pop- und Rockmusik an anderen Stellen viel zu kompliziert?

Ich habe mir mal aus Spaß so eine Band ausgedacht, die Egg Benedict heißen sollte und die sollten Musik wie Zoot Woman machen. Und die erste Single sollte Adamskostüm heißen. Als wir dann als Band zusammen saßen und einen Titel für das Album zu suchen, da fiel mir der Name meiner imaginären Band ein und das war beschlossene Sache.

Ob Popmusik zu kompliziert geworden ist, weiß ich nicht. Vom früheren Label L’Age D’Or gab es einen Satz: Popmusik darf nicht dumm sein. Den habe ich nie verstanden und das widerspricht sich meiner Ansicht auch gar nicht. Kunst ist ja auch zu einem Selbstzweck da und soll Aufmerksamkeit generieren. Und der Titel ist so beknackt, dass Leuten das im Gedächtnis bleibt.

Auf jeder Liga-Platte gibt es ein, dies mal sogar zwei Instrumentals. Woher kommt die Tradition, immer ein Instrumental dabei zu haben?

Man muss Ohren und Gehirn mal eine Pause gönnen. Den Ohren von meiner Stimme und dem Gehirn von den anspruchsvollen Texten. Deshalb achten wir darauf, dass immer ein paar Instrumentals dabei sind. Wir sind auch alle große Fans von Soundtracks. Wir schreiben imaginäre Soundtracks für imaginäre Filme. Außerdem finde ich es gut, wenn man nicht die ganze Zeit vollgelabert wird, sondern auch die tolle Band mal im Vordergrund steht.

Auch das Thema Film kommt immer wieder in Liga-Songs vor. Ihr singt auf dieser Platte von Hedy Lamarr. Ich habe den Namen vorher noch nie gehört und ihre durchaus bewegende und spannende Geschichte kurz nachgelesen. Ist sie eine Figur, die ihr alle kennt und woher kommt die Idee, ihre Geschichte zu erzählen?

Ja, wir kannten sie alle. Der Song entstand so, dass Gunther und ich mit unserem Freund Andreas Dorau nach Wien gefahren sind. Er hat ja ein Konzeptalbum über die Stadt geschrieben, das dieses Frühjahr erschienen ist. Wir saßen zusammen im Heurigen und suchten nach der nächsten Idee und ich glaube es war Andreas, der dann meinte: Lasst uns mal was zu Hedy Lamarr machen. Dann ist der Song so gut geworden, dass wir Andreas angebettelt haben, dass der auf unsere Platte kommt. Außerdem ist das ein sehr großzügiger und netter Typ, der dann meinte: Ja, macht Jungs!

“Ist Gunther da” - wie entstand der Text? Standet ihr nur zu viert im Proberaum oder bist du tatsächlich, wie in den Zeilen, durch Hamburg gefahren, um deine neusten Ideen mit ihm auszutauschen?

Ne, es gibt einen Song der Band Deparment 5 und der heißt “Is Vic There”. Den fand ich schon immer gut und das wollte ich schon immer mal in einem eigenen Stück verwursten. Und da war ich mal auf dem Weg zu Gunther, um Musik zu machen und dann ist mir der restliche Text eingefallen. Man muss einfach nur die Antennen aufstellen und dann kommen die Ideen und Songs fast von alleine.

Die Liga und Fußball gehen stets einher. HSV und St. Pauli in einer Band. Gönnt man sich gerade gegenseitig den nahenden Aufstieg und den wahrscheinlichen Klassenerhalt? Wie groß ist die Vorfreude auf die nächste Stadtmeisterschaft?

Ich kann da nur für mich sprechen (als HSVer), ich gönne St. Pauli das. Gunther gönne ich das auch, wie der das aber mit dem HSV sieht... da möchte ich jetzt meine Hand nicht für ins Feuer legen. Vielleicht würde er sich auch freuen, wenn der HSV den vierten Platz belegt.

Ihr seid dieses Jahr oft unterwegs, um das neue Album zu präsentieren. Nach Weihnachten seid ihr seit Jahren, und meines Wissens schon zu Superpunk-Zeiten, immer in Bremen, Hamburg und Berlin in den gleichen Läden unterwegs. Wie kam es zu dieser Tradition?

Das ist tatsächlich schon viele Monde her, da war noch zu Superpunkt-Zeiten. Da dachten wir: Zwischen Weihnachten und Neujahr ist so wenig los. Und es sind ja eh alle zu Hause, da sollten wir einfach mal spielen und dann kommen viele Leute und so war das dann auch. Inzwischen ist zu der Zeit mehr los, aber die Leute kommen immer noch gerne. Und das ist auch so ein Highlight des Jahres und da freue ich mich jetzt schon drauf.

Touren und Konzerte werden immer teurer aus vielerlei auch guten Gründen wie faire Löhne etc. Bleibt vom Touren was bei der Liga hängen oder seit ihr maximal kostendeckend unterwegs?

Ja, da bleibt schon immer was hängen aber reich wirst du dabei nicht. Ein normaler Mensch würde fragen: Warum macht ihr das?! Und ich würde ihm antworten: Weil es geil ist!

Dazu die nächste Frage: Im letzten Jahr fand das erste mal das “Treffen” im Hamburg statt - ein Gegenfestival zum Reeperbahn-Fesival. Ihr ward dabei: Was sind die Beweggründe und weißt du, ob es dieses Jahr einen Nachfolger gibt?

Es war kein Gegenfestival sondern viel mehr eine Ergänzung. Gerade Bands aus Hamburg haben gar nicht mehr beim Reeperbahn Festival stattgefunden. Und es machen ja auch lange nicht alle Läden mit beim Reeperbahn Festival. Außerdem ist es recht preiswert gewesen - ein 10er pro Konzert!

Seit vielen Jahren schreibst du unterhaltsame Lieder mit wunderbaren Geschichten. Sind sie ein bewusster Gegenpol gegen eine überhitzte Welt? Oder macht es einfach furchtbar viel Spaß Songs wie “Wenn du ein Problem hast” zu schreiben?

Ja, es macht Spaß und ich hoffe, dass sämtliche Songs von uns einen unterhaltenden Charakter haben. Zudem hat Popmusik ja immer was mit Eskapismus zu tun, der Alltag ist eine Tretmühle. Und was bringt einem da weiter?! Ein Abend mit guter, lauter Musik hilft aus der Mühsal des Alltags raus. Für mich ist Popmusik, dass man drei Minuten was Schönes hat.

Zudem möchten wir als Band Musik machen, die wir selber gerne hören, Wir möchten die Songs machen, dir wir selber gerne spielen wollen. Wir sind Dr. Jekyll und Dr. Jekyll in einer Band.

Welches ist denn dein Lieblingslied vom neuen Album?

Richtig gut finde ich „Ein Dienstag In Dur“. Den mag ich richtig gern und jedes Mal wenn ich den höre, bin ich richtig stolz ein Teil der Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen zu sein!

Vielen Dank für deine Zeit, für ein weiteres tolles Liga-Album und wir sehen uns in Bremen!


Mittwoch, 7. Mai 2025

Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen - Egg Benedict

Foto: Bernd Jonkmanns
(Ms) Herrje, neulich habe ich den Begriff Overthinking aufgeschnappt. Was soll das denn nun schon wieder?! Und wieso denn auf Englisch? Ich verstehe das manchmal alles nicht mehr. Und musste darüber nur kurz nachthinken, um zu diesem Ergebnis zu kommen. Ziel sollte es doch viel mehr sein, zum Underthinking zu kommen, oder? Singletasking. Oder halt gar nichts mehr tun. Die leichte Brise des frühen Sommers genießen, im Garten, im Park, am See, irgendwo und einfach mal die Seele baumeln lassen. Und bloß nicht so viel nachdenken - oft kommt man entweder gar nicht so weit, oder der Strudel nach unten rauscht in beträchtlichem Maße. Weniger denken und auf jeden Fall weniger nachhaken. Die Dinge nehmen, wie sie sind. Ich glaube, damit kann man ganz gut fahren.
Und wenn das neue Album von Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen dann Egg Benedict heißt, dass ist das halt so. Bloß keinen Gedankenkosmos aufmachen und nach der Bedeutung fragen. Nur weil die Amis nun keine Eier mehr haben!? Nur weil der nächste Papst nun von uns gegangen ist?! Ist da jemand aus der Band scharf auf das nächste Omlett? Oder Rührei? Oder klassisch mit Sollbruchstellenverursacher?! Nein, alles Quatsch! Egg Benedict ist einfach ein super Name für ein super Album und damit hat sich die Sache! Und für sonstige Probleme hat die Band auch noch einen guten Rat!

Die Liga also - sie hat wieder zugeschlagen. Nach den Gschichterln Aus Dem Park Café kommt jetzt also der nächste Kracher! Hat ja auch vier Jahre gedauert. Elf neue Tracks für die Ewigkeit bietet diese Platte und es ist eine ganz gewöhnliche Gentlemen-Platte geworden. Denn die fünf Herren aus Hamburg wissen einfach wie es geht - schmunzelige Unterhaltung mit zackigen Rhythmen und ohrwurmigen Melodien. Warum denn auch noch die musikalische Welt mindestens genauso kompliziert machen wie die, die da draußen lauert?! Und bei all den genialen Liedern, die die Liga seit vielen Jahren komponiert, dichtet und zum Besten gibt, muss ich eine ganz unironische Bemerkung fallen lassen: Auf jedem Album gibt es immer ein, zwei Lieder, in denen ich richtig was lerne. Diese Band erzählt Geschichten um wahre Begebenheiten, die richtig spannend sind! Musik hören und was dazu lernen - genial!

Den Namen Hedy Lamarr habe ich vorher zum Beispiel noch nie gehört. Doch auf Hedy Lamarrs Siebter Mann singen sie zusammen mit Andreas Dorau ihre Geschichte. Sie hat nicht nur eine Funkfernbedienung für Torpedos erfunden und zahlreiche Filme in Österreich und den Staaten gedreht, sondern auch satte sieben Ehen geführt! Was für ein Leben. Und die Liga hält es hoch - genial! Auch die ALU sagte mir nichts, ist auch kein metallischer Begriff. Denn die Liga singt seit jeher auch Lieder über die, die eine starke Stimme brauchen. Zum Beispiel die Amazon Labour Union! Dass die großen Steuern-lieber-nicht-Zahler ungern eine Gewerkschaft haben wollten, war mir klar, doch hier ist der passende Track dazu: Song Für Die ALU. „Lasst uns organisier’n / Wir haben nichts zu verlier’n!“ Super genial! 

Doch fangen wir mal vorne an. Ganz optimistisch startet Egg Benedict mit einem von zwei Jahreszeitensongs! Wenn das Jahr so dahin scheidet, kommt die Trauer auf, alles wird trist und dunkel. Doch wieso nicht mit einer einfachen Erkenntnis wieder gute Laune haben: Es Ist Immer Sommer Irgendwo. Warum denn nicht?! „Ein schwacher Trost, doch auch wunderbar.“ Logisch - genial! Man könnte ja sagen, dass sowas wie Jahreszeiten ja ein billiges Thema seien, aber weit gefehlt - die Liga zeigt wie es geht! Bloß nicht so viel nachdenken. Dazu reiht sich auch noch Ein Dienstag In Dur (Es Ist Frühling) ein, sogar mit Mundharmonika - genial! Zwei Gute-Laune-Jahreszeiten-Lieder auf einer Platte - das ist Servicemusik!
Achja - ein Instrumental darf auf einer Liga-Platte auch nicht fehlen: Sonniges Süd Schwabing und Chez Delmonico’s erfüllen diese Aufgaben - zum Mittanzen! Warum, wieso, weshalb - besser nicht so viel thinken! Doch das philosophische Highlight kommt mit Wenn Du Ein Problem Hast daher. Auch hier musikalisch klassische Liga-Manier, auch wieder mit Saxophon am Start! Nicht nur, dass das Leben ein Selbstzweck ist, wird hier gelernt sondern auch eine Problemlösung im PeterLicht‘schen Sinne: „Wenn du ein Problem hast / Scheiß drauf!“ Genial! Danke dafür und liebe Grüße nach Rotterdam!
Am meisten interessiert mich jedoch die Hintergrundgeschichte von Ist Gunther Da? Standen vier Gentlemen eines Tages im Proberaum und der Keyboarder fehlte? Ein Streifzug durch die Nacht zum Labelchef, um ihm die neue Songidee zu präsentieren? Egal, nicht so viel denken - mit Off-Beat gehts hier weit nach vorne!

Wenn man Egg Benedict so hört könnte auch der Gedanke kommen: Mensch, hört sich doch an wie die anderen Liga-Alben, oder?! Ja, das musikalische Rad erfinden Carsten Friedrichs, Tim Jürgens, Fabio Papias, Heiko Franz und Gunther Buskies nicht neu. Und ganz ehrlich: Das müssen sie doch auch gar nicht. Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen liefert seit Jahren derart konstant ab - das haben sie gar nicht nötig. Genial! Geht zu den Konzerten - es lohnt enorm. Versprochen!

08.05.25 Hamburg – Goldener Salon
09.05.25 Münster – Gleis 22
10.05.25 Köln – Gebäude 9
28.05.25 Hannover – Lux
29.05.25 Dortmund – Ska im Westpark
12.06.25 Göttingen – Nörgelbuff
13.06.25 Stuttgart – Goldmarks
14.06.25 Mainz – Schon Schön
11.09.25 Karlsruhe – Kohi
12.09.25 München – Live/Evil
13.09.25 Nürnberg – Club Stereo
17.10.25 Flensburg – Volksbad
18.10.25 Kiel – Hansastraße
27.12.25 Bremen – Lagerhaus
28.12.25 Hamburg – Knust
29.12.25 Berlin – Bi Nuu


Dienstag, 6. Mai 2025

Alicia Edelweiss - Furie

Foto: Alex Gotter
(ms) Dies ist ein Versuch. Ein Versuch, ein enormes Album zu besprechen. Das ist im Fall von Alicia Edelweiss‘ Furie gar nicht so leicht - und das macht es äußerst spannend! 8 Tracks liefert die Österreicherin auf ihrer neuen Platte ab und das über eine Spieldauer von 50 Minuten. An diesem frühen Punkt wird schon klar, dass Alicia Edelweiss sich an keine Regeln hält. Und das auch gar nicht muss und schon gar nicht will. Das Allerschönste daran ist, dass sie selbst ihrer Musik gerecht werden möchte. In diesem lesenswerten Interview spricht sie von der „Natur der Lieder“. Exakt das ist der wichtigste Punkt, wenn Furie läuft. Ihre Musik entwickelt ein Eigenleben. Na klar: Das ist alles geplant, arrangiert, komponiert, getextet. Logisch: Hier steckt unglaublich viel Arbeit drin und bestimmt noch viel mehr Leidenschaft. Aber ihre Musik ist komplett frei. Ich stelle es mir so vor: Ihr kommt eine Idee, sie notiert Skizzen dazu, probiert, welche Instrumente Melodien, Dynamiken und passende Strukturen aufbauen können und haucht dem Lied dann Leben ein. Dann pulsiert es von allein. Dann kann es halt sein, dass ein Song mal 4 oder knapp 9 Minuten lang ist. Und das nicht aus Kalkül, sondern weil es das Lied so will. Da ist sie als Künstlerin quasi machtlos.

Ja, Alicia Edelweiss als Musikerin zu bezeichnen wäre zu wenig. Und das nicht mal, weil sie nun Performance studiert. Man hört es ihren Liedern an - das ist Kunst! Das zeigt sich in der Länge und Intensität ihrer Texte und auch im Aufbau der Stücke. Strophe - Refrain - Strophe - Refrain - Bridge - Refrain. Sowas sucht man auf Furie vergeblich und das ist auch sehr gut so. Alicia Edelweiss hat die meisten Teile dieser Platte alleine eingespielt - was für ein Kraftakt! Neben den großartigen Texten ist die Instrumentierung und ihre Arrangements auf den Stücken das Herzstück dieses Albums. Cello, Glocken, Akkordeon, Fieldrecordings. Sie zeigt, das ist kein Pop, das ist nicht mal Avantgarde - das ist wahre, besessene Kunst! Und die strahlt enorm!

Worum geht es aber auf ihren Liedern?! Die Texte von Alicia Edelweiss haben einen klaren feministischen Anspruch, das wird auf der großartigen Single Feminist Girlfriend sehr deutlich. Ein melancholisches Lied, das auf tragisch-wunderbare Weise das Dilemma um diese wichtige gesellschaftliche Errungenschaft aufgreift. Im Grunde genommen heißt Feminismus ja nicht viel anderes als eine krasse, durchdringende Gleichberechtigung. Nur wird dies von ein paar lauten Spinnern und Sexisten (gendern sinnlos) ad absurdum geführt. In den letzten sechs Textteilen - denn Strophen sind es nicht - sagt sie das ganz klar: Wie für sie eine gleichberechtigte, sich unterstützende Beziehung aussehen kann. Denn wenn beide Feministen sind, haben alle gewonnen. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet sie das Thema auch auf dem phantastischen The Shiny Ones, das ganz famos an frühe Kate Nash-Tracks erinnert. So verspielt und genial ist dieser Song! Zudem geht es in dem beschwingten, schmunzeligen Song darum, dass Gleichgesinnte sich genauso anziehen wie vermeintliche AußenseiterInnen.  
Gänsehaut beschert in jedem Fall Untold Hights! Dieses Stück, dieses Lied, dieses Werk ist große Kunst, wahnsinnig schön, unglaublich breit gefächert ohne überbordend zu wirken. Diese Künstlerin hier weiß ganz genau, wie Musik funktioniert und zuzuhören ist ein umfassender Genuss! Dieser Song ist eine Ode an die Schönheit der Welt und das ganz großartig arrangiert dargeboten! Nach vier Minuten denkt man, das Lied sei vorbei. Doch weit gefehlt. Das, was auf der zweiten Hälfte geschieht ist… einfach nur ganz groß! Sie fährt da nochmal richtig auf, singt und spielt sich in einen Strudel. Hier ist es zu hören, dass ihre Lieder ein Eigenleben führen!

Logisch, die anderen Stücke sind auch alle großartig, das soll hier nur nicht den lesbaren Rahmen sprengen. Furie von Alicia Edelweiss ist eine Platte, wie ich sie lange, lange nicht gehört habe. Das liegt nicht mal daran, dass sie sich nicht an die Pop-Regeln hält, das ist mir egal. Vor allem liegt es daran, dass sie wunderbare, kluge Texte schreibt und wunderwunderwunderschöne Arrangements erschaffen hat, die einfach nur wahnsinnig viel Freude bereiten zu hören! So ein schönes Album! So vielschichtig! So kunstvoll! Im oben erwähnten Interview sagt sie: „Ich weiß eigentlich, dass ich ur viel drauf habe.“ Das eigentlich muss dringend gestrichen werden!

08.05. Graz (AT) - Postgarage
10.05. Wien (AT) – Konzerthaus Wien
16.05. Burghausen (DE) – Ankersaal
14.06. Stadt Haag (AT) – Verein ENT
05.07. Krems (AT) - Walking Concert
17.07. Rankweil (AT) - Musik im Park
18.07. Waiblingen (DE) – Kulturhaus Schwanen
19.07. Koblenz (DE) - Horizonte Festival
20.07. Dresden (DE) - Palais Sommer am Neumarkt
30.08. Lindau (DE) - Zeughaus
17.10. Ebensee (AT) - Kino Ebensee
18.10. München (DE) - Milla


Samstag, 3. Mai 2025

KW 18, 2025: Die luserlounge selektiert

Quelle: de.wikipedia.org
(Ms) Da saß ich dieser Tage entspannt morgens beim Frühstück, genoss frischen, heißen Kaffee, ein Toast mit Pfirsichmarmelade und den Blick in den Garten da machte es PENG und ich bin hellwach. Ach, du blöde, liebe Taube! Hast dich leider von den Spiegelungen im Fenster irritieren lassen und bist volle Kanne dagegen geflogen. Was musst du für eine Geschwindigkeit drauf gehabt haben, dass das so immens kracht! Und dann saßt du da auf der Terrasse ganz alleine, warst völlig durch den Wind, dein Kopf muss ja auch irre gebrummt haben. Dass du das überhaupt überlebt hast, ist ja schon ein Wunder. Aber du sahst wirklich nicht gut aus hast mit dem Kopf gewackelt, die Augen gingen unregelmäßig auf und zu und es war deutlich erkennbar, wie du kämpfst. Erstmal abwarten, dachte ich mir. Entweder schaffst du es oder halt nicht. Lange saßt du da. Da dachte ich: ein bisschen Wasser kann helfen, füllte dir welches ab und wollte es dir hinstellen. Ich muss dich erschreckt haben und das tut mir leid, ich wollte wirklich nur helfen, doch der Fluchtinstinkt muss stark ausgeprägt sein. Zumindest bist du dann davon geflogen. Ich hoffe, es geht dir gut und du hast diesen lauten Unfall irgendwie überstanden. Wenn nicht, komm einfach vorbei.

DKSBE
(Ms) Am meisten Eindruck von den vielen mir unbekannten Bands, die ich letztes Jahr auf dem Hellseatic in Bremen sah, machten 24/7 Diva Heaven. Was die drei Damen da im Magazinkeller abgerissen haben, war irre! Rock in purer, nach vorne preschender Form, der die Verausgabung sucht und sie auch findet. Sängerin Kat Ott-Alavi zeigt ihre unbändige Energie auch in einer anderen Konstellation: Das Kat Schellenbach Experiment - kurz DKSBE. Warum sich nicht mal wieder eine knackige Abkürzung merken?! Sie spielt zusammen mit Sophie Labrey, Selma Juhran, Bernd Kurtzke und Thorsten Scholz. Seit vier Jahren veröffentlichen sie immer wieder mal Singles und EPs und treten hin und wieder auf. Wenn alle umtriebigen MusikerInnen Zeit haben. Ihr neuster Streich ist Share My Misery - ein Cover der Band InsideOut aus Detroit. 34 Jahre ist dieses Original alt, ein Track aus der Riot Girl-Bewegung der auch nun wuchtig knallt. Damit ist dieser Track ein lautes, krachendes Zeichen, dass diese Stimmen immer noch laut sein müssen - es muss sich noch einiges tun!


Karwendel
(Ms) Singer/Songwriter ist ja auch eine ganz eigene Kategorie. In meinen Augen steht dieses Begriffspaar für eine künstlerische Dopplung. Songwriting als Kunst des guten Textens und das Singen als die passende Umsetzung. Und das alles aus einer Hand. Schaut man sich manch Credits an, ist es doch erstaunlich, wie viele Menschen auch an den Texten manchmal basteln. Der eine macht den Refrain, die eine eine Strophe, ein Dritter den Rest. Bei Sebastian Król und seiner Band Karwendel ist alles Handwerkskunst. Die Hamburger Gruppe spielt sehr reduzierte Popmusik: leichte Percussion, Akustikgitarrenbegleitung, Kontrabass - wunderschön! Diesen Freitag erschien ihre neue Single Landkrank, die vom Buch des dänischen Soziologen Nikolaj Schultz inspiriert ist. Das Klima und damit unsere Landschaft, die Tiere und wir Menschen ändern sich. Müssen es, sind oft ausgeliefert und nicht streng genug. Es ist ein eher melancholischer Blick auf die Misere, die Hoffnung ist klein. Aber sie ist da - und dafür öffnet uns dieser Track die Augen! 


Jenny Thiele
(Ms) Der Begriff des kunstschaffenden Menschen wird eventuell ein bisschen inflationär gebraucht, wenn es um MusikerInnen geht. Sind alle MusikerInnen auch KünstlerInnen?! Ich bezweifle das an dieser Stelle. Vieles scheint mir viel zu platt, zu eindimensional, zu geplant, zu gesteuert, zu sehr auf den Algorithmus gerichtet. Kunst heißt auch Vielseitigkeit, heißt Überraschung, heißt oft auch Verletzlichkeit zulassen. Damit sind wie bei Jenny Thiele und ihrer neuen Single Nehmt Mich Mit, der schönsten der nun drei Tracks, die aus ihrem Album Platz schon zu hören sind. Weil es so rein ist, so pur und voller Schönheit glänzt. Weil sie den wunderbaren Kosmos aufmacht, wohin denn die Schafe, die wir beim Einschlafen fleißig zählen, ziehen?! Und ob wir nicht vielleicht eine Runde mitdrehen können. Ja, sagt Jenny Thiele und träumt mit, fliegt mit. Nicht nur dieses Lied ist Kunst, sondern auch das Video dazu - so etwas schönes habe ich lange nicht gesehen. Kunst halt!

19.05.25 Köln, die wohngemeinschaft (Duo-Tour mit Paul Sies)
20.05.25 Hamburg, Nochtwache (Duo-Tour mit Paul Sies)
22.05.25 Mannheim, Casino (solo)
23.05.25 Blaubeuren, Zum Fröhlichen Nix (solo)
31.05.25 Wesel, Eselrock (Solo)
26.06.25 Darmstadt, Campusfestival (Band)
30.06.25 Frankfurt, Romanfabrik (Duo-Tour mit Paul Sies)
01.07.25 München, Substanz (Duo-Tour mit Paul Sies)
12.07.25 Mönchengladbach, TiG (solo)
02.08.25 Dessau, Dessauer Sommer (Band)
18.09.25 Herne, Flottmann Halle (Band)
19.09.25 Langenberg, KGB (Band)
24.09.25 München, Milla (Band)
25.09.25 Waiblingen, Schwanen (Band)
27.09.25 Berlin, Privatclub (Band)
29.09.25 Köln, Bumann&Sohn (Band)
10.10.25 Ulm, Aegis Café (Band)
11.10.25 Donaueschingen, KuBa (Band)
12.10.25 Karlsruhe, Tollhaus (Band)
25.10.25 Moers, Bollwerk107 (Band)
05.12.25 Oberhausen, Druckluft (Band)
06.12.25 Wolfsburg, Hallenbad (Band)
13.05.26 Lindau, Zeughaus (Band)
14.05.26 Reutlingen, franz.K (Band)
15.05.26 Bielefeld, Bunker Ulmenwall (Band)
16.05.26 Kassel, Kulturzentrum Schlachthof (Band)
17.05.26 Soest, Alter Schlachthof (Band)


Berliner Doom
(Ms) Moden kehren alle paar Jahrzehnte zurück. Verrückt, aber ist ja so. Man muss nur Glück haben, dass sich Bands auch das richtige Genre aussuchen, um ihre Musik neugierig erscheinen zu lassen. NDW war ja damals schon so richtig geil. Logisch, dass es das heute auch noch ist, wenn man noch ein paar Zutaten hinzu fügt! So agiere jedenfalls Berliner Doom, wenn sie musizieren. Wenn am 19. September ihr Album Notre Doom (genialer Titel!) erscheint, erklingt NDW mit noch mehr Wumms, mit ein paar mehr Details und vielleicht nicht ganz so programmatisch. Mit Mehringdamm erscheint heute die zweite Single und nachdem die erste auf Französisch erschallte, singt das Trio hier Deutsch. 1 Minute und 47 Sekunden auf einem Streifzug durch die nächtliche Hauptstadt. Düster, mysteriös, der Kopf nickt automatisch mit. Hier lauert eine Band, die zum großen Knall ausholt!


We Are Alva
(Ms) Seit Tagen scheint hier die Sonne, ich bin viel draußen, alles blüht, die Laune steigt und steigt, Vitamin D und Dopamin machen den Rest - es geht einem doch automatisch gut bei diesem satten Frühsommer, oder? Dann noch die zahlreichen langen Wochenenden, die vor der Tür stehen. Hier kommt die passende Hymne dazu. Das, was We Are Alva auf All I Really Want machen, ist richtig pfiffig! Das Quintett macht herrlich verspielte und leichtfüßige GItarrenpopmusik. Die gute Laune steigt. Hört man jedoch auf die Strophen, die Jan und Jannike zusammen singen, wird es einem beinahe schwer ums Herz, wenn sie um die Art und Weise singen, wie Menschen Beziehungen führen und das bekanntlich nicht so oft so gut schaffen. Doch der Refrain schafft Abhilfe mit Chorgesang, Marimbas und im Hintergrund verzerrten Gitarren - da hüpft nicht nur das Herz auf und ab. Dieser Track ist richtig gut arrangiert und macht eine Menge Spaß. Und schärft die Vorfreude auf ihr Album Proud Snail, das am 19. September erscheinen wird.

Samstag, 26. April 2025

KW 17, 2025: Die luserlounge selektiert

Quelle: de.wikipedia.org
(Ms) Es ist gar nicht so lange her, dass eine nationalkonservative, in weiten Teilen als gesichert rechtsextremistisch geltende Partei mit gut jeder fünften gültigen Stimme in den neuen Bundestag gezogen ist. Es gruselt mich jedes Mal, wenn mir das klar wird. Diese Menge an Hetzern, Lügnern, Faschisten, die nun in unserem Parlament sitzen.
Diese bittere Erkenntnis bringt mich dazu, hier ein Danke zu schreiben an eine unbekannte Person. Bei mir in den ländlichen Kreisen Niedersachsens gibt es eine lange Tradition tiefschwarz oder braun zu wählen. Da ist blau nur die schickere Visage. Irgendjemand sprühte vor der Wahl „AFD“ an ein kleines Häuschen am Bahnhof. Jedes Mal, wenn ich das sah, dachte ich mir: Ich muss mir dringend eine Spühdose besorgen. Zum Glück hatte auch wer anders diese Idee! Denn als ich vergangenes Wochenende dort entlang geradelt bin: War das weg! Vielen Dank, Unbekannte/r! Wir halten hier zusammen, okay?! Egal, was alles noch so kommen wird, okay!? Wir machen den Nazi-Dreck weg! 

Sharktank
(Ms) Spannend wird es, wenn man Dinge nicht so genau einschätzen kann. Wenn die Kategorie, in die das Hirn sonst neue Musik automatisch rein packt, noch nicht vorhanden ist. Oder doch… es ist aber eine sehr große Schublade, die mein Hirn für die neue Single von Sharktank öffnet: Nostalgischer, verspielter Pop. Diesen Freitag ist mit Blade On Me die neuste Single des österreichischen Trios erschienen. Die Basis bilden hüpfende Synthies, die schnell gute Laune verbreiten. Darüber legt sich Gesang und Text, der sich zwischen Festhalten und Loslassen, schwankt. Natürlich besonders toll dargestellt durch Wechselgesang. So entsteht schnell ein toller Höreffekt! Das klingt so locker und leichtfüßig, dass ich mich erstmal eine Runde auf die Terrasse setze, die Augen schließe und einfach lächle! 


Rahel
(Ms) Bleiben wir bei unseren Freunden im Süden, spannen aber andere musikalische Gefilde auf. Denn bei diesem Track herrscht so eine derart sympathische DIY-Attitüde zwischen den Zeilen und Takten, dass man gar nicht weghören kann. Es erinnert ein wenig an Wir Sind Helden, aber mit einem anderen Blickwinkel. Rahel stellt in Mondsong so wahnsinnig entspannt, fröhlich und mit dem Kopf in den Wolken - oder noch darüber hinaus - die gute, alte Sinnfrage. Und vielleicht hängt sie ja da oben, zwischen den Sternen: Die Antwort auf all die Fragen, die wir uns stetig stellen, wenn wir mal wieder nicht die Augen zu machen können. Denn wenn uns mal wieder der Boden unter den Füßen wegsackt, dann gilt dies: „Sicher ist nur der Mond und der Stern, der vor deinem Zimmer wohnt.“ Wie schön ist das denn bitte?! Und wie toll ist denn dieser 2-Minuten-Track?! Eben!


Point Mort
(Ms) Benutzt man heutzutage noch den Begriff Crossover im Musikgeschäft?! In den hinteren Winkeln meines Hirns pochert, dass das ein Wort aus den 00er-Jahren ist oder für diese wahnsinnig geile Zusammenarbeit von Jay-Z mit Linkin Park. Ich schweife ab. Worum es hier geht: Zwei, drei Genres werden auf extrem raffinierte Weise miteinander verbunden, dass sie keine Gegensätze mehr bilden, sondern sich richtig gut ergänzen. Das Quintett Point Mort aus Paris verbindet Pop, Metal und Screamo. Das klingt kaum machbar, doch wenn ihr just veröffentlichtes Album Le Point De Non-Retour läuft, wird recht schnell klar, wie gut das aufgeht! Der Popaspekt liegt in einigen Melodien, die die Sängerin mitunter extrem gefühlvoll darbieten kann, bevor sie dann mit Doubble-Bass-Untermalung aus voller Kehle schreit und richtig anheizt! Diese Kombination macht absolut Sinn, wenn die neuen acht Stücke laufen. Hier entsteht eine volle Ladung Wucht, Dynamiken an allen Ecken und Enden und das wunderbare Gefühl der Katharsis macht sich breit: Wo sie schreien, muss ich es nicht tun - perfekte Alltagsbewältigung. Und eine große, große, laute Empfehlung! 


Plaiins
(Ms) Erster Gedanke: Geil! Zweiter Gedanke: Richig geil! Die Band Plaiins spielen einen hochspannenden Mix aus schnellem Indierock und Punk. Beides ist ja nicht weit voneinander entfernt. Cousins, könnte man sagen. Doch wenn ihre neue Single Sports Bar läuft, wird schnell klar: Es ist weder das eine noch das andere, sondern ein herausragender Mix. Hüpfende Gitarrenriffs, nicht ganz Rap aber auch kein klarer Gesang und dann der leise Gedanke, dass Skate Punk so ähnlich war. Das macht schnell Spaß, geht unumwunden nach vorn und ist zudem herrlich unterhaltsam: Denn die Band nimmt sich zum Glück nicht ganz so ernst, wenn sie über Sportfanatismus singen. Das machte sich laut Sänger Chris Randon schon im Schreibprozess bemerkbar: Einfach raushauen, gerne auch ein paar Lacher einbauen, eine gute Zeit haben, nicht so viel über alles nachdenken. Fertig! Gut so! Im Sommer erscheint das Debut der Band - Stay tuned!

Freitag, 25. April 2025

Die Anteile - Pelzwerk

Foto: Kelly McKay
(Ms) Seit ein paar Wochen gibt es von der luserlounge tatsächlich auch eine Playlist. Kaum zu glauben aber wahr! Musik über Playlisten hören ist natürlich ganz cool, weil es den großen Mixtape-Charakter hat. Man stößt auf alte, fast vergessene Perlen oder entdeckt Neues. Reiz- und sinnvoll! Doch es gibt für mich ein gewichtiges Argument, warum die Playlist nicht das Non-Plus-Ultra ist. Denn in meinen Augen untergräbt sie die Kunst hinter einem Album. Klar, Playlist und Album schließen sich nicht aus, keineswegs, aber die Playlist suggeriert mehr Abwechslung und einen höheren Überraschungseffekt.

Doch ein ganzes Album ist immer ein Kunstwerk. Eine Playlist nicht. Und in so einem Kunstwerk steckt viel Liebe. Viel Zeit. Viele verworfene Ideen. Viel Für und Wider. Und oft erzählt es eine ganze Geschichte, hat eine eigene Dynamik, offenbart Schönheit, spielt mit Motiven, die auftauchen und sich verändern. Manchmal ist es auch gar nicht so leicht, eine Platte am Stück zu hören. Es braucht Zeit, manche gute Werke dauern 70 oder 80 Minuten. Und manch Album hat nur ein paar geile Tracks für die Playlist und der Rest wird übersprungen.

Überraschungsmomente sind also keine unwichtigen Details. Genau die gibt es auf dem Erstling vom Berliner Duo Die Anteile im genau richtigen Maß! Pelzwerk erscheint am 25. April bei Tapete Records, bringt 10 Stücke mit sich und hat eine angenehme Spielzeit von 34 Minuten. Im Grunde genommen machen Die Anteile elektronische, tanzbare Musik. Dabei schwingt aber eine gewaltige Portion Gesellschaftskritik dabei, was im Endeffekt eine grandiose Mixtur für Hirn und Hüfte ist!

Wie Geht Der Tanz ist der Opener und direkt ein wahnsinniges Stück! Satter Bass, knarzige Sounds, das macht ab dem ersten Takt richtig viel Spaß - wenn nur die bittere Verbrauchermessage nicht wäre. Versuchungen, Verführungen, Manipulationen ohne Ende am Regal oder im Markt, Hauptsache unser Portemonnaire wird dünner. Der Song lief bislang schon zigfach bei mir.
Und wenn dieses Album dann voranschreitet, wird eines klar: Diese Band ist enorm variabel in ihrem Sound! Sie bedienen sich viel vielen, vielen Sounds, Genres, Spielarten. Der Titeltrack klingt erst so wie Krautrock, entpuppt sich als hochpulsierende Elektronummer. Der Text ist ein vernebelte Streifzug durch die Nacht: „Der Abend neig sich / Neigung entsteht.“ Doch diese Abenderfahrung ist brüchig, keine klare Amour Fou. Es ist nicht alles wie es scheint bei Die Anteile. Reizvoll! Und wo ist es eigentlich besser? Hier oder in der Ferne und wer macht einem nun was vor? Auf welches Werbeversprechen fallen wir rein? Als Duo singen sie davon auf Volksmund - und es ballert richtig gut!
Dann: Die nächste Überraschung - Bushwick. Plötzlich verändert sich der Sound, es klingt nach Chanson, Pop, ein Cembalo erklingt, Dramatik entsteht, es wird ernst. Diese Band stellt unangenehme Fragen, verpacken die aber so elegant in packende Melodien und durchdringende Rhythmen, das die Botschaft schön unbewusst knallt! Auf Voyage mischen sie Spoken Word mit breitgefächertem Elektropop. Hier das gleiche Schema: Wahnsinnig gut arrangiert, leichtfüßig und clever. Dazu Kritik im Umgang mit all den elektronischen Geräten, die uns 24/7 umgeben, und bestimmen, leiten, süchtig machen (so zumindest meine Interpretation).

Pelzwerk von Die Anteile ist ein schier unglaubliches Album! Der Sound ist so vielfältig und verliert dennoch nicht den roten Faden. Das ist große Kunst! Sie haben hier eine Platte geschaffen, die kluges Texten mit satten Arrangements verbindet und damit einen Volltreffer landet! Das hier klingt wie eine gut ausgewählte Playlist und ist dennoch das große Können des Gesamtwerks. Hut ab.

29.04.2025 - Hannover, Nordstadtbraut
30.04.2025 - Konstanz, Kantine Konstanz
28.05.2025 - Hannover, Lux (mit DLDGG)
29.05.2025 - Oldenburg, Polyester
17.07.2025 - Hamburg, Deichdiele
27.11.2025 - Bochum, Goldkante
28.11.2025 - Leipzig, Noch Besser Leben


Dienstag, 22. April 2025

Die Zärtlichkeit - Popsongs

Foto: Maike Preckel
(Ms) Hey Popmusik, wo stehst du eigentlich? Wie klingst du eigentlich gerade?

Kurz nach Weihnachten haben Freunde ein Spiel auf den Tisch gestellt, das ich derart gut finde, dass ich es mir letztens auch zugelegt habe. Es heißt Hitster und macht richtig viel Spaß. Man soll Lieder, die man via QR-Code und Spotify abspielt, nach Erscheinungsjahr sortieren. Das umfasst Musik über gut 100 Jahre und ist knifflig! Die Standard-Version umfasst Popmusik oder das, was in der jeweiligen Zeit halt modern war. Da ist richtig viel Gutes dabei - das muss man so sagen. Und dies ist keine Werbung.
Doch für meinen Geschmack ist Popmusik in den letzten zehn Jahren ein bisschen platt geworden. Zwischen elektronischer Überdrehung, aufgewärmten Klassikern und Forster-Bourani-Poisel-Giesinger-Gemisch.
Popmusik ist ja immer schön leicht, geht immer gut ins Ohr, ist nicht so kompliziert und verdreht. Sie macht den Moment entspannt und viele Menschen können sich drauf einigen. Das ist toll!

Und eine richtig gute Band aus Köln veröffentlicht am Freitag leicht programmatisch, aber hauptsächlich sanft, aufrecht, menschlich und kurzweilig ein Album, das den guten Titel Popsongs trägt. Soweit der programmatische Teil. Die Band dahinter heißt Die Zärtlichkeit und hat sich selbst damit einen hervorragenden Namen gegeben. Kennengelernt habe ich sie 2023, da sind sie bei den Zwischen-den-Jahren-Konzerten mit Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen mitgetourt. Und sie haben Eindruck hinterlassen bei mir. Ihr bis dato aktuelles Album Heimweh Meisterwerke ist so entspannt, gut getextet und leichtfüßig arrangiert, dass die Vorfreude auf diese Platte groß war.

Und sie hat sich gelohnt. Das Allerschönste bei den zehn neuen Stücken ist eine gewisse Art der Verletzlichkeit, die die Texte kennzeichnet. Hier muss niemand etwas schaffen, hier darf man Fehler machen, hier muss keine Show gespielt und keine Erwartungen erfüllt werden. Doch es beginnt mit einer Ode an eine wunderschöne Stadt - Vienna. Streifzüge durch die Nacht, ein bisschen verliebt sein vielleicht und kurz vorm Überfordertsein. Aber vor allem zum Tanzen, die Musik dieser Band strotzt vor Leichtigkeit. Und sie ist Pop - Schlagzeug, Gitarre, Bass, Gesang. Die vier Grundzutaten, die es immer schon gebraucht hat. Popmusik heißt auch immer ein wenig Nostalgie, oder? Genau wie der Inhalt auf Mixtape. Allein dieses Wort sagt Kindern und Jugendlichen heute sicher nichts mehr. Ein Lied wie ein Streifzug durchs Älterwerden, Auseinanderleben, Schwelgen in Erinnerungen, die auf dem Dachboden lauern. Pop darf auch ein bisschen mit der E-Gitarre spielen. Und das tut Die Zärtlichkeit wie nie vorher auf Angst, meines Erachtens dem Schlüsselstück dieses Albums. So viel Spielfreude! So viel Aufrichtigkeit! „Manchmal ist da Angst, doch meistens ist es Liebe, die mich treibt.“ Im Text ganz präsent, ein leiser Humor: Die kleinen Ängste des Alltags - vor den Snacks im Supermarkt zum Beispiel. Genial! Der generelle Geist dieser Band und ihrer Art zu Texten macht sich am besten bemerkbar auf Mach Dich Frei. Denn es sind gute Ratschläge, die die Kölner dort geben ohne kitschig oder dramatisch zu werden oder allzu kalenderspruchmäßig. Das, was sie singen, klingt ganz leicht, ist aber unfassbar schwer. Frühlingshaft ist nicht nur eines der sehr seltenen Lieder über die schönste Jahreszeit, sondern hat einen ganz tollen coming-of-age-Charakter. Immer wieder beweist das Quartett richtig gutes Songwriting, das schwer Auszudrückende leicht zu verpacken! Pop heißt auch immer, ein bisschen in die Seele blicken lassen. Ob die Geschichte aus Schlechtes Vorbild genauso passiert ist, bleibt künstlerische Freiheit, aber das Thema ist wichtig. Wer war früher wichtig und ist es diese Person heute immer noch oder hat sich das Bild in der Zwischenzeit verändert?!

10 Popsongs schenken uns Die Zärtlichkeit. Die Platte erscheint bei Kleine Untergrund Schallplatten auf tollem orangenen Vinyl. Es ist ein Album, das die Leichtigkeit feiert, die gute Laune nicht versteckt, das Sanfte und Zerbrechliche zulassen und uns ausmachen. Das ist ihre Stärke!

02.05.2025 - Hamburg
04.05.2025 - Köln
23.05.2025 - Hannover
06.09.2025 - Kassel
27.09.2025 - Berlin