Freitag, 1. November 2024

KW 44, 2024: Die luserlounge selektiert

Quelle: de.wikipedia.org
(Ms) Ein Blick in die Nachrichten lässt schon grauen. Dann noch Halloween, so ein riesiger Quatsch. Es lässt sich auch ganz anders gruseln, dafür muss nicht mal ein Kostüm oder ein Schockerfilm her. Manchmal reicht auch einfach ein richtig gutes Buch! Mir wurde von einem lieben Menschen Hundswut von Daniel Alvarenga geschenkt und ich las es schnell durch. Anders ist es auch gar nicht möglich. Dieses Buch beginnt schon auf einem unterdurchschnittlichen Fröhlichkeitslevel und es wird nicht ein Mal die Kurve nach oben nehmen. Doch die Lektüre ist lohnenswert, denn sie zeigt, wie grausam Menschen sein können. Wie wenig sie einlenken und wie stark - im schlimmsten Sinne - eine Dorfgemeinschaft sein kann. Ein bisschen sollte man Bayrisch lesen können. Und dann offenbart sich eine Geschichte, die stark aber auch schrecklich zugleich ist. Lesetipp an dieser Stelle!

Oehl
(Ms) Ach, Ariel Oehl! Ich bin deiner Musik so gern verfallen. Wie schön du textest! Manchmal ein wenig verschachtelt und kryptisch. Doch in ganz vielen Fällen sehr klar und singst doch nuschelig. Die Schönheit deiner gewählten Worte, fasziniert mich. Begeistert mich. Denn die große Schwierigkeit eines guten Textes ist ja, mit einfachen, einprägsamen Worten eine gute Geschichte zu erzählen. Ein starkes Gefühl hervorzurufen. Und das gelingt dir, lieber Ariel, seit vielen Jahren sehr zuverlässig. Manchmal mit tanzbarem Wumms, dann wieder mit leisem Zauber. So auch jetzt. In Diesem Jahr Reden Wir Nur Gut Voneinander. Was für ein schöner Titel, so klar und so positiv. Natürlich ist jedes Ende einer Beziehung schlimm und erschütternd. Man muss danach nicht befreundet bleiben, aber man muss sich auch nicht hassen. Denn es gab ja mal eine große Liebe und Zuneigung. Warum nicht auch im Nachhinein, nach dem Erdbeben, genau davon reden. Es spricht doch nichts dagegen. Vielen Dank für dieses schöne Lied!

 

Kat Frankie / B O D I E S
(Ms) Oh, Kunst! Oh, Kraft, die von dir aus geht. Ich gebe mich dir so gerne hin, lasse mich verzaubern, hinreißen, ummanteln, einhüllen, mitnehmen, forttragen. Und vor allem eines: faszinieren und staunen! Wenn das Staunen erstmal angefangen hat, wird es schwer, Worte für die Gefühle und Gedanken zu finden, die mich gerade durchströmen. Das geschieht im größten Moment des Staunens. Dieser Moment wird intensiver, je stärker die Kunst ist. Damit sind wir bei Kat Frankie und ihrem Projekt B O D I E S! Zusammen mit Albertine Sarges, Barbara Greshake, Erika Emerson, Fama M'Boup, Liza Wolowicz, Tara Nome Doyle und Trinidad Doherty ist sie dieses Superband! Sie singen a capella und da auf einem irren Niveau! Pure Gänsehaut, pures Staunen! Hier haben sich acht Künstlerinnen zusammen getan, die ohnehin schon solo unterwegs sind. Wissen also, wie sie performen. Wissen, worauf es ankommt. Zusammen heben sie sich auf ein erstaunliches Level an Kunst! Das gleichnamige Album zum Projekt erscheint am 6. Dezember und dann gehen sie nochmal auf Tour! Wer sich mitreißen lassen will in eine andere Welt, sollte da unbedingt hingehen!

11.01.2025 Bremen, Die Glocke
12.01.2025 Darmstadt, Staatstheater
14.01.2025 Nürnberg, Löwensaal
15.01.2025 Hannover, Pavillon
16.01.2025 Köln, Philharmonie
20.01.2025 Berlin Philharmonie
25.01.2025 Erfurt, Theater Erfurt
15.02.2025 Dresden, Kulturpalast
21.02.2025 Hamburg, Elbphilharmonie
22.02.2025 Osnabrück, Botschaft
28.02.2025 Leipzig, Gewandhaus
15.03.2025 Gütersloh, Theater Gütersloh
02.12.2025 München, Isarphilharmonie



AB Syndrom
(Ms) Verletzlichkeit zugeben ist eventuell eine der größten Rebellionen dieser Tage. Die großen Krakeler in den Medien schimpfen, brüllen, beleidigen, zeigen Härte und Ignoranz. Wer gibt schon einen Fehler zu?  Wer sagt schon, dass einem etwas wirklich leid tut? Wer sagt schon: Nein, dafür bin ich zu schwach, das traue ich mich einfach nicht. Diesen Satz, nein, den bringe ich nicht über die Lippen. Verletzlichkeit zugeben. Schwäche. Wunde Punkte. Es ist schwer, doch eines ist klar: Man wird danach immer mit erhobenem Kopf herausgehen. Das in Musik zu transformieren ist daher doppelt zu würdigende Kunst. Wenn es dann noch textlich und musikalisch so geschickt, wunderschön, sanft gemacht wird wie von AB Syndrom, dann kann ich nur noch staunen und sie zum Lied Stabil beglückwünschen! Denn das ist wirklich toll. Ich mag die Klarheit im Text und die Zärtlichkeit der Musik. On top gibt es noch ein Feature von Roger Rekless. Am Ende steht ein großartiger Track, der die Wartezeit auf ihr neues Album noch ein wenig weiter schwinden lässt! 


Konstantin Gropper
(Ms) Vor über zwei Jahren erschien mit Amen das aktuelle Album von Get Well Soon, dazu gab es meines Wissens nur eine Tour. Seitdem hat sich Konstantin Gropper noch weiter aus dem Rampenlicht zurückgezogen als zuvor. Denn davor fiel er auch mit anderen Tätigkeiten und Projekten auf. Seit vielen, vielen Jahren schreibt er Musik für Filme und Serien. Und das wohl recht erfolgreich. How To Sell Drugs Online (Fast), Pauline oder Wir Können Nichts Anders. Überall ist er dabei. Oft im Boot: Alex Mayr oder Ziggy Has Ardeur. Letzterer ist auch wieder Groppers Kompagnon für den Titeltrack zu Achtsam Morden (bei Netflix zu sehen). Dazu hat er mit Psycho Killer natürlich einen tollen Titel gewählt und ja, es ist tatsächlich ein Cover von Miley Cyrus! Warum auch nicht?! Natürlich ist seine Handschrift dabei mehr als augenscheinlich. Sein Bariton, dieses ungeheure Gefühl für cineastische Musik… kein Wunder, dass er dafür engagiert wurde!


Herrenmagazin
(Ms) Vergesst die ganzen großen Wiedervereinigungen dieses Jahres. Oder auch das neue The Cure-Album! Das ist doch alles Quatsch! Oasis, Linkin Park… pff! Da hat sich doch etwas zusammen gebraut, was viel größer ist als das! Es begann in Hamburg und wird nun auch dort fortgesetzt! Vor neun Jahren erschien das letzte Herrenmagazin-Album, danach hieß es: Wir machen Pause. Und das haben sie dann auch gemacht. Lange. Zuletzt gab es ein paar vereinzelte Konzerte und ein paar Meldungen auf Social Media-Plattformen. Und ja: Das hatte doch alles schon etwas zu bedeuten, oder?! Ja, auf jeden Fall! Denn mit Pauken und Fanfaren hieß es nun: Herrenmagazin sind wieder da! Deniz Jaspersen, Rasmus Engler, König Wilhelmsburg und Paul Konopacka haben sogar eine neue Platte im Gepäck, die im März kommenden Jahres erscheint: Du Hast Hier Nichts Verloren! Was für ein genialer Titel! Das trifft auf dieses Quartett jedoch gar nicht zu. Denn ihre Lieder strotzen seit jeher von viel Aufrichtigkeit, Menschlichkeit und einer ordentlichen Portion Indierockwumms! Am 3. Oktober 2008 - also vor 16 Jahren! - sah ich sie zum ersten Mal live. In Bielefeld, auf den legendären Visions-Partys! Es war ein großes Fest, viel Rausch, viel Energie! Ich gehe davon aus, dass diese Band nichts davon verloren hat und mit genauso viel Kraft nächstes Jahr wieder spielen wird:

11.04.25 Frankfurt, Nachtleben
12.04.25 Stuttgart, JuHa West
01.05.25 Hamburg, Uebel & Gefährlich
02.05.25 Hannover, Bei Chéz Heinz
03.05.25 Berlin, Bi Nuu
17.10.25 Dresden, GrooveStation
18.10.25 München, Kranhalle
20.10.25 Leipizg, Naumanns
21.10.25 Kassel, Goldgrube
22.10.25 Essen, Zeche Carl
23.10.25 Köln, Gebäude 9
24.10.25 Bremen, Tower


Victor Solf
(Ms) Puh, in der heutigen Selektion ist viel Schwere dabei. So kann ich doch niemanden ins Wochenende entlassen. Zum Glück gibt es auch sehr, sehr beschwingte, ja, extrem sorglose Musik. Sie ist genauso wichtig wie die Zeilen, die weh tun. Denn ich kann auch nicht nur den ganzen Tag grübeln und mir Sorgen machen. Irgendwann muss man auch mal abschalten, tanzen, das Schöne genießen. Den Soundtrack genau dafür liefert Victor Solf. Und wie er es auf Que Le Coeur macht, grenzt fast schon an maßlose Frechheit! Tatsächlich habe ich gar keine Ahnung, worum es in dem Lied geht, dafür ist mein Französisch viel zu mies. Aber ganz ehrlich: Es interessiert mich auch nicht besonders, da die Stimmung des Songs mich viel stärker anfixt! Es ist soulig, poppig, ja gospelig! Und eine Regel gilt seit immer: Bläser machen alles besser! Dieser Track ist ein weiterer Beweis dafür. Victor Solf ist kein Unbekannter, er war eine Hälfte von Her und Teil der Band The Popopopops. Mehr von dieser beschwingten Leichtigkeit gibts am 25. Januar, dann erscheint sein zweites Album Tout Peut Durer. Ganz schön pfiffig, solch Musik im tiefsten Winter zu veröffentlichen!

Donnerstag, 31. Oktober 2024

Live in Hamburg: Rookie Fest

Unprofessionelles Foto: luserlounge
(Ms) Herzlichen Glückwunsch, liebe Anne und lieber Jürgen! 28 Jahre Rookie Records! Das heißt: 28 Jahre zackiger Punkrock, viel Energie, umso mehr Leidenschaft und kein Ende in Sicht. Und das ist auch gut so. Kleine Labels sind wichtiger denn je und umso schöner sind deren Geschicke zu bestaunen, wenn die Bands, die sie im Portfolio haben, den Labelmachern von Herzen dankbar sind! So geschah es vergangenen Freitag im Knust, denn Rookie Records lud zur Geburtstagssause ein und mit von der Partie waren Wick Bambix, 100blumen und Pascow. 
Na klar, der letzte Name ist ein ordentliches Zugpferd und sorgte sicherlich auch mit dafür, dass der Abend recht schnell ausverkauft war. Die gut 550 Leute, die vor Ort waren, haben einen irren Abend erleben dürfen. Natürlich steht Rookie Records für Punk. Doch die lange Schlange beim Einlass sah erstaunlich uniformiert aus: Alle in schwarz! Herrlich. Zudem sind 6 Euro für ein großes Bier auch ein stattlicher Preis!

Gegen 21 Uhr ging der Abend los. Wick Bambix aus den Niederlanden eröffneten den Abend. Punk aber akustisch! Die Band kannte ich gar nicht, doch es war sehr unterhaltsam, das Publikum aber noch damit beschäftigt, sich über die Geschehnisse der Woche zu unterhalten. Die nächste Band, die ich auch nicht kannte, war 100blumen aus Düsseldorf. Und als die Jungs auf der Bühne standen, zitterten die Mauern des Knusts. Wow, was war das denn?! Erstens war die Band unfassbar sympathisch und sie bedankten sich auch bei Anne und Jürgen für die gute Labelzusammenarbeit. Musikalisch drehten sie das Energielevel reichlich hoch! War das Punk? War das Hardcore? War das Industrial? War das phasenweise auch schon Metal? Keine Ahnung und es ist mir auch egal. Denn eines war offensichtlich: Es war genial, sehr wuchtig, sehr dynamisch, die perfekte Musik, um eine anstrengende Woche im Nu zu vergessen!

Kurz durchatmen und die Glieder strecken, denn danach kamen Pascow! Für mich immer noch das Beeindruckendste, was Punkrock aus diesen Landen zu bieten hat. Insbesondere live. Und der Gig der Saarländer war erneut eine reine Offenbarung, was live an Gitarrenwucht möglich ist. Rasant, laut, dicht, dringlich. Dabei noch hochgradig sympathisch. Vor Himmelhunde meinte Alex, dass Ausgrenzung von LGBTIQ+-Menschen das Allerletzte sei. Und das sei nicht mal eine Meinung. Das ist einfach nur menschlich. Ja, Alex, so ist es! Und so bot die Band einen wilden Ritt durch ihre Diskographie. Einer der Höhepunkte war sicherlich Wenn Mila Schläft, wohl das Lied, dass Jürgen und die Band zusammen brachte.

Dieser Abend war wirklich ein großes Fest. Für alle Bands und insbesondere für die beiden Labelköpfe. Und wer ins Publikum blickte und die Tage drauf durchs Internet sah: Es haben sehr viele gute Freunde mitgefeiert. So soll es doch sein, oder?! Also: Auf die nächsten 28 Jahre! Punk on!



Donnerstag, 24. Oktober 2024

Amyl And The Sniffers - Cartoon Darkness

(Ms) Diese Band ist ein Phänomen und diese Platte ein kräftiger Tritt in den Arsch! Und während Rap und elektronische Acts zunehmend die großen Festivals anführt, ist dieser Gruppe aus Melbourne die Wiederbelebung der reinen Gitarrenwucht gelungen!

Dass es etwas wirklich Neues auf dem weiten Feld der Rockmusik gibt, ist in meinen Augen in den letzten ein, zwei Jahrzehnten nur Ghost gelungen - wenn auch ganz anders. Und die sind nun auch ganz weit oben unterwegs. Amyl And The Sniffers‘ Weg genau dorthin begann vor acht Jahren mit ungeheuer viel Bock. Heute ist dieser Spaßfaktor immer noch ein wesentliches Kennzeichen ihrer wuchtigen Musik. Innerhalb kürzester Zeit haben sie damals eine EP aufgenommen, ohne dass alle ihre Instrumente beherrschen konnten. Das hat sich geändert - und wie! Declan Martens holt sämtliche Kraft aus der Gitarre, die dem Instrument zur Verfügung steht. Fergus Romer rollt den Bass so gnadenlos wie kaum ein zweiter und Bryce Wilson lässt das Schlagzeug im Takt scheppern. Ganz ehrlich: Das sind doch auch Namen, die weit nach oben gehören und vor Zehntausenden spielen sollten. Die prägende und namengebenden Gestalt dieser Band ist allerdings Amy Taylor! Und sie… sie macht einfach was sie will. Ist jetzt schon ein Punkschwergewicht! Sie zieht sich knapp an und meint sinngemäß: Ja, sollen mich die Typen ruhig alle anfassen, dann habe ich endlich einen guten Grund, ihnen auf die Fresse zu schlagen! Punk! Punk! Punk!

Am 25. Oktober (heute!) erscheint ihr neues Album Cartoon Darkness und es ist völlig gerechtfertigt, dies als einen ganz heißen Anwärter für das Gitarrenrockalbum des Jahres anzupreisen! Seitdem ich die Platte hören darf, komme ich nicht davon los und suche immer wieder nach Vergleichen. Finde aber keine. Das ist eigen, das ist markant, das ist saustark! Und das sind 33 Minuten, die voller Dynamik, Energie, Rohheit und Kraft stecken. Zudem gibt es nicht einen langweiligen Moment! 13 Tracks heißt auch, die Songs ballern richtig gut durch, oft nur um die zweieinhalb Minuten sind sie lang. In der Zeit wird alles abgerissen, die Saiten weggeprügelt, die Snare durchtrommelt, die Stimme strapaziert!

Jerkin‘ ist der Beginn dieser Platte und dauert gerade mal zwei Minuten und acht Sekunden! Wow! Es ist hochgradig rasant, was auf diesem Album passiert! Im Text direkt eine Standortbestimmung. Zum Einen: Miss dich nicht mit uns. Zum Anderen: Dass soll einfach eine Menge Spaß machen! Chewing Gum danach ist tatsächlich ein klassischer Rocksong und in seiner Einfachheit genial. Außerdem ist zu hören, dass es nicht super glatt abgemischt ist. Das rotzige und leicht unperfekte Gefühl hat die Band richtig gut auf Platte gebracht. Big Dreams wird im Pressetext tatsächlich als Ballade tituliert, was natürlich ziemlicher Quatsch ist. Klar, dieses Stück ist wesentlich andächtiger und ernster als einige andere Tracks, aber eine Ballade ist das nicht - viel mehr wird man als Hörer bei einem wilden Ritt mal eben geerdet. Direkt danach ballert nämlich It‘s Mine schrammelnd und knarzig für eineinhalb Minuten gnadenlos durch die Boxen! Yes, knallt gut! Vom musikalischen Aufbau gefällt mir Doing In Me Head sehr gut, da Stimmlage und Gitarrenriff parallel gehen und somit viel Dichte erzeugen! Zum Ende hin kommt noch mal ein richtiger Brecher. Denn U Should Not Be Doing That ist der Kern dieser Band - textlich und musikalisch! Dies ist Amy Taylors Antwort auf all die dämlichen Kommentare, die ihr Auftreten und ihr Wesen und vielleicht auch die Musik ihrer Band betreffen. Hier reckt sich ein aggressiver Mittelfinger in die Gegenrichtung hoch und reißt diesen Track mit einer bestechenden Basslinie ab!

Ja, Cartoon Darkness ist eine Ansage! Es ist ein reines Gitarrenrockbrett, das ungeheuer viel Spaß macht. Amyl And The Sniffers sind mit ihrem dritten Album schon dort angelangt, wo viele andere schon lange hin wollten. Scheinbar spielend leicht sind sie dort hingekommen und man darf gespannt sein, wo diese Reise noch hingeht! Die Tourstops hier sind schon ausverkauft, in London werden sie vor 40.000 Leuten spielen… und ich kann es absolut verstehen, bin dem Hype verfallen! Rock on!

19.11.2024 Köln - Carlswerk
22.11.2024 Hamburg - Große Freiheit 36
23.11.2024 Berlin - Columbiahalle
25.11.2024 München - Tonhalle
25.06.2025 Berlin - Zitadelle


Freitag, 18. Oktober 2024

Porridge Radio - Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me

Bild: Steve Gullick
(Ms) Vor einigen Wochen hörte ich zum ersten Mal ein Lied von Porridge Radio. Es heißt Sick Of The Blues und es reißt mich bis heute immer wieder in den Bann. Ich wollte meinen Ohren gar nicht trauen. Was passiert hier in diesen knapp dreieinhalb Minuten? Warum bricht die Stimme der Sängerin immer wieder? Warum berührt mich das auf so erschütternde Art?
Viele Fragen stellen sich gleichzeitig und mit jeder Frage steigt meine Faszination dieses Songs gegenüber. Wie bricht dieses Lied aus. Wie drehen die Gitarren auf. Wie kompromisslos ist das denn bitte?! Am Text kann es nicht zwingend liegen, denn der dreht sich weitestgehend immer wieder. Nein, es ist viel mehr, was dahinter steht. Das geht tief und das tut weh! Dana Margolin heißt die Sängerin dieser Band, die mir aus schleierhaften bislang Gründen verborgen blieb, und Dana Margolin war das Musikbusiness satt - sick of it! Die hat damit gebrochen, um wieder zu sich selbst zu finden. Und das besingt sie auf diesem unglaublichen Track: „I‘m sick of the Blues / I‘m in love with my life again:“ Und wieder hat ein großes persönliches Tief dafür gesorgt, dass große Kunst entsteht (siehe hier).

Porridge Radio heißt ihre Band, sie kommt aus Brighton (liebe Grüße an Fabian Hürzeler!). Am 18. Oktober (heute!) veröffentlichte die Gruppe ihr neues Album mit dem sagenhaften Titel Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me. Elf Songs sind darauf enthalten und sie schlagen allesamt richtig übel zu. Das Markanteste ist dabei nicht mal die Instrumentierung oder die sehr persönlichen Texte von Dana Margolin. Es ist, wie bereits beschrieben, dass ihre Stimme immer mal wieder bricht, sich überschlägt. Sie nutzt diese Emotionalität als Stilmittel. Das ist sehr spannend. Die meisten SängerInnen würden solche Aufnahmen sicher nicht auf Platte pressen, sondern es glatter, reiner singen. Doch genau das ist hier der Clou! Margolin öffnet sich hier immer wieder so krass, es wird so privat, sie gibt einen sehr klaren, mitunter recht harten Einblick in ihr Seelenleben, dass es nur logisch erscheint, dass bei den Tiefs auch der Körper - oder hier: die Stimme - bricht. Zum Glück hat sie die Beziehungs- und Arbeitstiefs, von denen sie singt, überstanden. Doch die harten Eisichten verlieren ja nicht an Dramatik. Daher ist ihr Entschluss, ihre zerbrochenen Seiten musikalisch zu zeigen, mutig und sehr nachvollziehbar. Davon lebt diese Platte!

Die elf Lieder behandeln zwei große Themen aus Dana Margolins Leben. Zum Einen war sie nach dem Erfolg des vorherigen Albums und den dazugehörigen Konzerten einfach leer. Kaputt. Müde. Erschöpft. Ausgebrannt. Dieses Burnout klang irgendwann aus und genau danach brach ihre Beziehung zusammen und die Düsternis kehrte direkt zurück. Was für eine furchtbare Abfolge! Dass diese Gefühle, diese große Ratlosigkeit, die Hilfegesuche und Verzweiflung irgendwo hinmüssen, ist klar. Lavender Raspberries ist so ein Stück, auf dem viel Dramatik herrscht, so viel Dringlichkeit, so viel, das einfach raus muss. God Of Everything ist der Kern der emotionalen Verarbeitung des Beziehungszusammenbruchs. Der andere hatte die Macht, ihr die schlimmsten Gefühle fühlen zu lassen. Ausgelaugt, wertlos, ohne Selbstbewusstsein. Doch dagegen wehrt sich Dana Margolin: Du hast mir das angetan, doch ich herrsche über alles andere. 

Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me ist ein unglaubliches Album. Voller Tragik, voller Tiefen, voller Dramatik und Intensität. Aber es ist auch ein Zeugnis großer Kunst und dafür bewundere ich die Sängerin und ihre Band. Es ist die perfekte Herbstplatte und ich wünsche insbesondere Dana Margolin, dass sie unter den kommenden Konzerten, Interviews, Touren nicht so leiden wird wie zuvor.

09. Dezember 2024 - Hamburg - Knust
10. Dezember 2024 - Berlin - Columbia Theater
14. Dezember 2024 - Schorndorf - Manufaktur
18. Dezember 2024 - Wiesbaden - Schlachthof
19. Dezember 2024 - Köln - Artheater


KW 42, 2024: Die luserlounge selektiert

Quelle: de.wikipedia.org
(ms/sb) Gleichheit als Ziel. Das wäre doch was, oder?! Letztens wurde ich Zeuge. Saß im sehr gut gefüllten Zug und mein Gegenüber, ein großer, sportlicher Typ, holte eine kleine, runde Mandarine raus. Insgeheim habe ich mich auf den Duft, der dann durch die RE9 weht, gefreut. Doch es war auch schön, wie die Mandarinenschalenstruktur ihn fast zur Verzweiflung trieb. Immer riss nur ein kleines Stück ab. Und noch eins. Und noch eins. Wer kennt es nicht?! Herrlich! Klar, er konnte danach die süße Frucht genießen. Doch an diesem Punkt wären wir alle gleich. Mandarine sei Dank!
 
Erland Cooper
(sb) Zum Einstieg gleich mal eine Wahnsinsstory: Stellt Euch vor, Ihr nehmt ein Album auf und geht dann völlig bewusst das Risiko ein, Euch die ganze Arbeit völlig umsonst gemacht zu haben. Klingt crazy, oder? Wieso sollte man das tun? Fragt Erland Cooper, denn der hats durchgezogen!
 
Drei Jahre lang lag die einzige Aufnahme des ungehörten Albums Carve The Runes Then Be Content With Silence in der torfigen Erde Orkneys. Ein gewagtes Experiment des schottischen Komponisten, ein einzigartiger Versuch, mit der Natur zusammenzuarbeiten. Wird das Band stumm auftauchen, und spielt es eine Rolle, ob es das tut?
 
Für den Künstler hat sich das Risiko jedenfalls gelohnt, denn das Album erreichte Platz 1 der britischen Klassik-Charts und die Aktion rief - wie sollte es auch anders sein - ein gehöriges mediales Echo hervor. Fast schon schade finde ich persönlich, dass die Story drumherum die Musik in den Hintergrund drängt. Denn das, was man da zu hören bekommt, ist durchaus erwähnenswert und hätte auch so den erreichten Erfolg verdient.
 
Apropos Erfolg: Der Official Charts Company No.1 Award aus recyceltem Acryl (in einen Stoffbeutel eingewickelt, um jegliche direkte Interaktion mit dem Boden zu verhindern) wurde nun ebenfalls vergraben, wird jedoch nicht länger als einen Monat in der Erde verbleiben, um jegliche schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt vollständig zu vermeiden. Sollte jemand das gute Stück vorher finden, darf er es behalten. Echt jetzt, kein Scheiß. Ist das nicht abgefahren?
 
Live gibts Erland Cooper demnächst hier zu bewundern:
 
24.10. Hannover, Feinkost Lampe
26.10. Berlin, Fotografiska Ballroom
27.10. Büsum, Lighthouse Hotel & Spa
 

 
 
Talco
(sb)  Die Ska-Punk-Band aus Marghera poppt hier ja immer wieder mal auf und das aus guten Grund, weil geil. Vor allem live. Was liegt also näher, die Best Of-Scheibe quasi direkt auf der Bühne aufzunehmen, sich die Rosinen einer Tour rauszupicken, zu komplilieren und die Fans glücklich zu machen? Natürlich fehlt das optische Erlebnis, dieses unmittelbare Dabeisein, Schwitzen, Tanzen und Fühlen, aber Talco gelingt es auf ihrem 20 Years Live Album dennoch sehr authentisch, die Energie zu transportieren, die die Auftritte der Italiener so besonders machen. Reinhören, feiern und ab zum nächsten Konzert - und zwar hier im Frühjahr 2025:

10/01 || DE - München @ Backstage
11/01 || CH - Zürich @ Dynamo
31/01 || DE - Köln @ Live Music Hall
01/02 || DE - Wiesbaden @ Schlachthof
07/02 || DE - Berlin @ SO36
08/02 || DE - Berlin @ SO36
14/02 || DE - Hamburg @ Markthalle
15/02 || DE - Hamburg @ Markthalle
21/03 || CZ - Prag @ Futurum Music Bar
22/03 || AT - Wien @ Arena Wien


 
Das Format
(Ms) Seit jeher, seit dem ersten bewussten Musikhören als Teenager ist sie da: Die nie enden wollende Suche nach guten, deutschsprachigen Texten. Egal, in welche Richtung sie gehen. Unterhaltsam, tiefsinnig, brachial, politisch, emotional, alles davon. Eine Suche, die von vielen Enttäuschungen geprägt ist. Aber mindestens von genauso vielen Lichtblicken. Und hier ist der nächste: Das Format! Ein Name nach… nunja… Format. Doch es sind nicht nur die Texte des Trios, die richtig schnell das Herz und den Verstand zum scheppern bringen, sondern es ist auch eine geradlinige Art von Druck in der Instrumentierung, der sehr viel Spaß macht. Am 22. November erscheint ihre erste, nach sich selbst benannte Platte. Bruno Tenschert, Maximilian Wörle und Maximilian Stephan sind keine neuen Akteure auf der hiesigen Musikbühne, doch so zusammen verschmolzen, holen sie eventuell die beste Energie ihres musikalischen Schaffens raus. Das wird eine ganz spannende Platte! Versprochen!


Thees Uhlmann
(Ms) Vor zwei Wochen berichteten wir hier an dieser Stelle schon über die ausverkaufen Hamburg-Abende von Thees Uhlmann im Januar. Es hat nicht lange gedauert, bis alle Tickets weg waren. Aber es war ein langer Weg, bis dieser Musiker so etwas erst erreicht hat. Was muss alles passieren, damit man als Musiker solch Taten vollbringen kann. Dass das ausverkauft sein wird, wird sicher auch Thees Uhlmann klar gewesen sein, sonst hätte. Man ja nicht mehrere Abend nacheinander gebucht. Aber wie schnell das ging… da kippt einem nach gut dreißig Jahren Musikerdasein die Kinnlade runter. Demut ist angesagt. Natürlich werden die St. Pauli-Abende große Unterhaltung werden und auch gespickt von tollen Anekdoten. Doch viel emotionaler werden die Lieder reinhauen, die er darbieten wird. Denn, da sind wir uns ja alle einig, erst Tomte und dann seine Solo-Platten… die haben das Herz schon in Beschlag genommen. Oft waren es die ganz einfachen Zeilen, die so frappierend ehrlich und dadurch hart waren. Oder die großen Geschichten, die er sang. Zeit, zurück zu blicken, sich auch ein wenig zu verneigen. Hier ist das Ergebnis: Sincerly, Thees Uhlmann heißt die 29-Track-starke Werkschau, die am 6. Dezember passend zum Schuhe-vor-die-Tür-stellen-Tag erscheint. Lieder von 1998 bis 2023. Ein Vierteljahrhundert. Wahnsinn. Diese Sammlung sollte nirgends fehlen. Punkt.


Tocotronic
(Ms) Letzte Woche schrieb ich an dieser Stelle schon etwas über Tocotronic und die Ankündigungsstrategien, um neue Musik zu präsentieren. Erst der kleine Schnipsel des neuen Refrains. Nun ist die neue Single da: Denn Sie Wissen, Was Sie Tun. Ein Track, der textlich und musikalisch recht einfach gehalten ist, aber auch ganz klar. Zwei wichtige Erkenntnisse liefert das Lied. Erstens muss uns klar sein, dass viel Grauen da draußen so gewollt ist. Auch das Wählen rechtsextremer Parteien ist ein bewusster Akt, hier und anderswo. Sie wissen, was sie tun. Die Politiker, die Wähler, die Menschen mit dem Knopf in der Hand. Zum Anderen liefert das Stück die Strategie, um dagegen anzugehen. Sie ist so einfach wie schwer: es ist die Liebe! Ein Kuss auf ihre Münder kann entwaffnender sein als alles andere! Tocotronic! Musikalisch setzen sie mit diesem Song kein Ausrufezeichen, textlich aber sehr wohl. Dafür sind sie da. Ich bin froh, dass dann bald eine neue Platte kommt. Interessanter Fakt zum Video: Nachdem Rick MacPhail seine Bandpause angekündigt hat, ist er auf dem Video auch nicht mehr zu sehen. Die Band ist also wieder ein Trio. Daher wiederhole ich mich gern an dieser Stelle: Alles Gute, lieber Rick MacPhail!

 

Montag, 14. Oktober 2024

Live in Bremen: PeterLicht

Foto: luserlounge
(Ms) Am Freitag hielt der Wahn Einzug in Bremen! Er kam als Duo zu zweit aus Köln und dehnte sich über zwei Stunden im Lagerhaus aus. Wobei es lange Zeit gar nicht danach aussah…

Vor einer Woche erst hat PeterLicht sein neues Album Alles Klar veröffentlicht und uns neun wunderschöne, sanfte Lieder geschenkt! Natürlich gibt es auch aus seinem ganzen Schaffen wesentlich mehr zu besingen! Das zeigt er momentan auf seiner Tour und am Freitag machte er Halt in Bremen. Das Lagerhaus war gut gefüllt, nicht ausverkauft, genau so, dass es nicht zu eng war. Tiptop! Seit vielen Jahren geht PeterLicht als Duo auf Tour, Benedikt Filleböck ist live die geniale Person an seiner Seite, die für viel musikalische Tiefe sorgt. 

Das Konzert war zweigeteilt und das war für die Emotion, mit der man später nach Hause gegangen ist, von entscheidender Bedeutung! Die erste Dreiviertelstunde war sanft, sinnlich, bedacht, zum Teil sogar ernst und mit kleinen Stichen ins Herz versehen. Mit den ruhigen Songs startete der Kölner Musiker in den Abend. Ein entspanntes Candy Käsemann, ein humanes Dämonen, ein aufrechtes Lied Vom Ende Des Kapitalismus, Das Absolute Glück. Da steckt viel Herz drin, viel Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit. Doch in ein paar Versen auch ein wenig Verzweiflung. Die sprach mich besonders bei Wir Schulden Euch Nichts an. Der Opener der aktuellen Platte ist hart in einem weichen Klangkostüm. Wenn PeterLicht singt „Ihr habt euch alles genommen / gebt sie (die Welt) uns wieder“ dann ist das ein klarer Ausruf, eine klare Aufforderung. Doch im Publikum ist halt kein Adressat. Das ist ja normal bei solchen Liedern und Konzerten, doch irgendwie fand ich das bitter. Da steht jemand, der großartige Kunst erschafft, sie singt und nur wenig Wirkung erzielt. Das meinte Marcus Wiebusch auch schon mal bei einem Kettcar-Konzert, dass Musik nichts ändert, sondern allerhöchstens ein ummantelndes Zusammengehörigkeitsgefühl schaffen kann. So auch am Freitag in Bremen.

Eine andächtige Stimmung war eindeutig zu erfühlen. Und sie wurde gekonnt in große Unterhaltung transformiert mit all den Liedern, die PeterLicht zum Schmunzeln bereithält. Eine lange und sehr lustige Ankündigung zu Benimmunterricht inklusive ausführlichem Mitmachteil leitete den zweiten Konzertteil ein. Denn es folgten einige mitunter sehr tanzbare Klassiker wie Safarinachmittag, Sonnendeck, Wettentspannen, Gerader Weg, Problemlöser oder Kontolied. Es lässt sich recht einfach zusammenfassen: Das hat sehr, sehr viel Spaß gemacht! Wie er dort tanzt, ankündigt, spielt. Auf der großen Akustik- oder den kleinen E-Gitarren! Wie er mit Benedikt Filleböck ein richtig gutes Team ist, das Freude bereitet, phantastische Unterhaltung darbietet, große Kunst, oft um Ecken denkt (und hoffentlich ankommt).

PeterLicht ist ein vielschichtiger, großartiger Künstler. Wer die Möglichkeit hat, ihn live zu sehen, sollte das dringend tun! Leicht nachdenklich, aber auch mit großem künstlerischem Genuss aufgeladen, geht es Heim!

18.10.24 - Köln / Gebäude 9
22.10.24 - Weinheim / Cafe Central
23.10.24 - Winterthur / Albani
24.10.24 - Luzern / Schüür
30.10.24 - Jena / Trafo
31.10.24 - Berlin / Festsaal Kreuzberg
01.11.24 - Leipzig / NAUMANNs im Felsenkeller
02.11.24 - Dresden / Beatpol

Samstag, 12. Oktober 2024

Famous - Party Album

Foto: Jack Lovekin
(Ms) Folgende These: Große Krisen können große Kunst hervorbringen.

Wenn wir dieser These einfach mal ohne Einspruch folgen, ploppen einige Nachfolgefragen auf. Auch aus ethischer Sicht im weitesten Sinne. Denn wenn ein Mensch eine schlimme Episode seines Lebens durchschreitet und auch wirklich leidet - ist es dann okay, das Ergebnis eines kreativen Schaffensprozesses, der sich diesem Leid anschließt oder aus ihm entspringt, gut zu finden?!
Das ist natürlich schwer zu beantworten, da ich als Hörer einer mir fremden Person nicht helfen kann. Habe ich überhaupt Einfluss darauf? Sicherlich nicht. Und es ist ja auch nicht so, dass ich mich an dem Leid eines anderen laben würde, so weit kommt es ja nicht.
Doch viele großartige Alben entspringen ja aus einem dunklen Tief der Person, die sie geschaffen hat. Heikel, heikel. Und leider gehen ja auch viele Personen an dem öffentlichen Rummel oder den abgründigen Seiten des Musikbusiness zugrunde.

Warum ich überhaupt diese schweren Fragen aufwerfe, hat einen recht einfachen Grund: Jack Merrett hat am Freitag (11. Oktober) mit seiner Band Famous sein erstes Album veröffentlicht. Und der Weg dahin war dunkel und krisengezeichnet. Seine Kunst verarbeitet das und ich hoffe inständig, dass es ihm hilft. Denn so viel steht fest: Party Album ist eine unglaubliche Platte! Wie viel Dringlichkeit, Energie und Härte stecken denn in diesen 31 Minuten?!
Jack Merrett kommt aus London und ich liebe diesen Akzent, der immer wieder in seiner Stimme zu hören ist. Apropos Stimme: sie ist ein wahnsinniges Alleinstellungsmerkmal. Tief, sonor, eindringlich und dennoch bricht sie immer wieder, wenn er über seine Krisen als Endzwanziger singt, brüllt, flüstert. Die neun Tracks der Platte sind gezeichnet von einem recht rohen Sound, an dem wenig glatt geschliffen wurde. Wenn das Klavier klingt, dann als ob es direkt neben mir stehen würde. Wenn die Gitarren, der Bass und die Drums scheppern, dann so, dass ich in diese wilde Szenerie am liebsten eintauchen möchte und auch ausrasten will.
What … The Rest Of Your Live ist ein herrlich pulsierender Alternative-Rock-Track, der mit einer richtig guten Keyboard-Hook glänzt und spätestens auf der zweiten Hälfte zeigt, was Merrett alles mit seiner Stimme anstellen kann - beeindruckend! 2004 setzt dem nochmal die Krone auf. Denn wie dieses Stück sich entwickelt, ist einfach richtig gut arrangiert. Ich verfalle sehr schnell Songs, die wie ein großes Crescendo aufgebaut sind und dies hier ist ein Paradebeispiel, durch das sich ein markantes Gitarrenriff zieht. In der Mitte des Tracks kommt der Eindruck auf, dass es dann so bleibt, aber bei weitem nicht - hinten lauert die Explosion! Richtig knarzig, wild, ruppig geht es auf God Hold You zu! Ein Lied wie dieses kann doch nur aus einem persönlichen Abgrund entstehen. Irre! Doch am Ende kommt die große Einsicht: Love Will Find A Way heißt das letzte Stück, hat einige sanfte Phasen. Doch auch eine Menge Verzweiflung mischt da mit.

So ist Party Album die bittere Einsicht, dass die Party vorbei ist. Die Zeit der durchzechten Nächte da acta gelegt. Da kommt ein bisschen Wehmut auf, doch eines ist viel wichtiger: Diese Platte strahlt vor heilenden Momenten, denn auf den neun Liedern bricht alles heraus, was sich bei Jack Merrett angestaut hat. Und ich wünsche ihm nur das beste, dass er seine Musik als Kanal nutzen kann, um seine Krisen wirklich verarbeitet zu haben. Und so bleibt die bittere Erkenntnis: Ja, ich kann das gut finden oder sogar brillant, wofür jemand anders gelitten hat.