(Ms) In den letzten Wochen habe ich American Psycho von Bret Easton Ellis gelesen. Und musste alle paar Kapitel fast zwischen die Seiten kotzen. Natürlich ist diese exzessive Art der Gewaltdarstellung ein großes Spiel und auch eine Analyse des American Dream, wenn auch sehr schräg und ekelhaft. Zwischendurch habe ich mich durchaus gefragt, warum ich das eigentlich noch weiterlese, denn so viel Handlung hat das Buch ja gar nicht. Es dreht sich ständig im Kreis: Ausführliche Schilderung von Kleidung und Markennamen, inhaltslose Smalltalkgespräche über die neusten Restaurants und den eigenen Wohlstand, eine völlige Abstumpfung, es geht um gar nichts mehr, weil man ja schon alles hat. Und dann halt als Gegenpol, als ultimative Spitze, das unendliche Massaker an meist jungen Frauen mit allerhand Werkzeugen und in einem irren Blutrausch. Puh, ich bin froh, dass das erstmal hinter mir liegt. Happy Advent!
Tunng
(Ms) Obacht, das hier ist richtig gut! Diese englische Band ist mir mit ihrem letzten Album zum ersten Mal über den Weg gelaufen und hat mich auf zauberhafte Weise mitgenommen. Die Musik von Tunng ist sehr klug. Aber nicht oberlehrerhaft oder unzugänglich. Im Gegenteil. Das Sextett macht zum Teil recht verschachtelte Musik, doch sie ist zugleich sehr eingängig. Das ist klug. Kluges Songwriting, in dem das Level des künstlerischen Schaffens gar nicht so offensichtlich ist, aber es dennoch auf sehr hohem Niveau geschieht. Nun veröffentlichen sie am 24. Januar ihr neues Album Love You All Over Again und es gibt schon diverse Singles. Everything Else kam diese Tage raus und es besteht aus vielen kleinen musikalischen Details, die sich übereinander legen und ein unglaublich wohlig, warmes Ganzes ergeben. Die Musik ist weich und umarmend, obwohl ein paar Geräusche gerne mal knarzen. Toll arrangiert! Dieses Album und diese muss man für das kommende Jahr auf jeden Fall auf dem Schirm haben - versprochen!
The Ocean & SIERRA
(Ms) Als ich Anfang September auf dem Hellseatic-Festival in Bremen war, wusste ich nicht, wie sehr mich dieses Wochenende nachhaltig beeindrucken würde. Natürlich kommt man auch mit ein paar Leuten ins Gespräch und so wurde mir The Ocean empfohlen. Tatsächlich habe ich diese Empfehlung ein klein wenig vergessen, bis mir eine Mail über die Band reinflatterte. Die Berliner Post-Metal (was auch immer das ist) Band arbeitet seit kurzer Zeit mit SIERRA zusammen, gegenseitig remixen sie ihre Songs und die Ergebnisse sind durchaus hörenswert! SIERRA hat sich dem Track Boreal angenommen und ihm eine satte, elektronische Tiefe verpasst! Klar, man könnte schnell an so Künstler wie Skrillex denken, aber das hier ist irgendwie weniger überbordend gemacht, sondern bleibt im Kern des ursprünglichen Liedes. Das ist richtig schlau gemacht, sehr feinfühlig und bedacht trotz (oder gerade wegen) aller Härte, die darin steckt!
Yann Thiersen
(Ms) Mal wieder auf der Suche nach Begriffen. Zahlreiche Male habe ich mich hier an Genre-Bezeichnungen aufgerieben. Zum Einen sind sie völlig wertlos, weil sie kaum eine Information mit sich bringen, zum Anderen helfen sie, Musik einzuordnen. Wenn dann ein Künstler in ein Genre eingeordnet ist, kann man ja einschätzen, ob das zu den eigenen Musikhörpräferenzen passt. Seit einigen Jahren lasse ich mich von allem mitreißen, was unter dem Namen Neo-Klassik erscheint. Die Klangpalette, die sich dahinter verbirgt, ist enorm! Es sind nicht nur einfach etwas modernere Etüden. Es ist ein Spiel. Oft ein Spiel mit dem Klavier und seinen Möglichkeiten. Hauschka zum Beispiel. Wie breit das Genre ist, zeigt Martin Kohlstedt auf beeindruckende Weise. Sind einige seiner Platten sehr ruhig, will ich live dazu tanzen, da es dann in Richtung Electro geht. Beides zusammen bringt jetzt Yann Thiersen. Und das auf ebenso eindrucksvolle Art - auf einem Album! Rathlin From A Distance | The Liquid Hour kommt am 4. April raus und ist ein zweigeteiltes Werk, wie der Titel schon vermuten lässt. Die eine Seite ist ein melodischer Ausflug auf den sanften Saiten (haha) des Klaviers, die Andere geht satt in die elektronische Tiefe und ist zum Teil etwas ungemütlicher. Beide Facetten auf einer Platte. Das bringt zusammen, was der Franzose seit vielen Jahren macht. Wieso nicht auf Platte?! Eben, wird die beeindruckende Antwort sein.
Wir kennen uns nicht persönlich. Doch ich bin dir schon zahlreiche Male begegnet. Sowohl in deinen Liedern als auch live. Seit gut 30 Jahren machst du Musik, ich bin gerade mal 34 Jahre alt. Dennoch begleiten mich deine Texte seit einiger Zeit. Meistens tragen sie mich oder sie intensivieren einen bestimmten Moment. Dafür möchte ich dir hier, anlässlich zu deiner Werkschau, Danke sagen!
Einmal, nach einem Marcus Wiebusch-Konzert im Bürgerhaus Stollwerk, Köln, sprach ich dich an. Einfach nur so. Und du antwortest: „Bevor man sich duzt, muss man sich erstmal siezen.“ Das hat mich an diesem Abend ganz schön verwirrt, aber es ist auch so ein typischer Uhlmann-Satz: Es ist nicht ganz klar, ob das ernst gemeint ist oder ob danach ein keckes genial kommt. In dem Moment wirkte es aber schroff, ich war irgendwie perplex, konnte aber gut damit umgehen und siezte danach ein paar Künstler, mit denen ich sprach, bis ich merkte, dass der Satz völlig bescheuert ist. Das war am 3. Mai 2014, zehn Jahre her.
Am 1. Januar 2024 warst du auch im Knust als Gast bei Kettcars Neujahreskonzert. Wir standen schräg vor dir und ich munkelte, ob ich dich danach ansprechen könnte. Aber ich habe es gelassen. Nicht aus dem oben genannten Verwirr-Grund, sondern… ach, ich weiß es gar nicht so genau. Ich wollte doch nur Danke sagen. Danke für die schöne Musik, Danke für die tollen Texte. Dann hole ich das halt hier nach.
Zum Buchstaben Über Der Stadt-Album gab es schon ein Booklet anbei, das mit wunderbaren Geschichten und Gedanken zugedruckt war. Ich habe es damals in meinem Kinderzimmer gelesen und es hat mich sehr berührt. Jetzt darf ich als Hobby-Schreiber in deine Worte zu deiner Werkschau reinlesen, sitze im Eigenheim und merke, dass in der Zwischenzeit doch eine Menge geschehen ist. Damals habe ich mir alle Maxi-CDs gekauft, heute sind es Vinyl-Werkschauen, zwischendrin auch noch mp3-Downloads.
In all der Zeit war und ist deine Musik da. Recht früh hat mich Die Bastarde, Die Dich Jetzt Nach Hause Bringen gepackt. Fand ich direkt gut. Ein Lied über die Sehnsucht und das Ungewisse. Als Student, und heute auch noch, fuhr ich oft nach Hamburg. So drei, vier Mal pro Jahr. Entweder für Konzerte oder für St. Pauli-Spiele oder beides. Gerne hörte ich Wie Sieht‘s Aus In Hamburg, wenn der Metronom aus Bremen kommend in den Hamburger Hauptbahnhof einfährt. Ein schönes Gefühl.
Die Freundschaft zu Casper habe ich nie ganz verstanden, muss ich ja auch gar nicht. Er spielte mal bei einem Fest Van Cleef im Bielefelder Ringlokschuppen, ein Act der irgendwie nicht ins Line-Up passte, aber ihr passt zusammen und das ist doch genial! Übrigens kommt er nicht aus Bielefeld, sondern aus Bösingfeld, so viel Zeit muss sein!
Das erste Solo-Album habe ich noch sehr intensiv gehört, danach habe ich irgendwie den Anschluss verloren und ich weiß gar nicht warum. Vielleicht haben sich kurzzeitig meine Hörgewohnheiten geändert. Doch letztens, auf einer längeren Autofahrt lief dann dein Live-Album von 2022. Und da kam alles zusammen: Nicht nur deine wunderbaren Zeilen, die so voller Aufrichtigkeit, Liebe, Sehnsucht, Ehrlichkeit und Verletzlichkeit sind. Sondern auch deine Ansagen, deine Entertainer-Qualitäten! Da ist - ganz ohne Pathos und ungelogen - ein familiäres Gefühl. Tomte- und Solo-Lieder haben sich anscheinend so in mein Unterbewusstsein eingebrannt, dass sie ganz tiefliegende Gefühle bewegen. Das muss Musik ja auch erstmal schaffen. Vielen Dank!
29 Lieder aus deinem eigenen musikalischen Schaffen hast du nun zusammengestellt. Es ist eine großartige Zusammenstellung. Von den schief gesungenen, frühen Tomte-Songs bis heute. Und da lege ich mich mal ganz weit aus dem Fenster und behaupte, dass ich bei weitem nicht der einzige bin, dem es so geht mit deiner Musik. Lieder als Zuhause. Ich finde, dass kann ein ganz gewaltiges Kompliment sein! Vielen Dank für die Musik, lieber Thees Uhlmann! Ich freue mich auf alles, was da noch kommt!
Die Werkschau Sincerely, Thees Uhlmann - Das Beste Von Tomte Bis Heute erscheint am 6. Dezember 2024.
(Ms) Heute morgen habe ich mich gefreut! Es lag nicht am adventlichen Zauber (ja, doch, auch, aber darum geht es hier nicht) und auch nicht am schönen Frost draußen (ja, doch, auch, aber darum geht es hier nicht). Für ein gemütliches Frühstück wollte ich den Tisch decken, Kaffee kochen, was dazu gehört. Nun bin ich ein großer Freund von Stempelkannen (wer Frenchpress sagt, hat verloren). Daraus schmeckt mein Lieblingskaffee am besten. Stark, rund, wirkmächtig. Leider war aber die Spüle noch von Kram von gestern belegt und ich kam mit dem Wasserkocher nicht an den Hahn. Klar, den Kram wegräumen ginge auch. Wollte ich aber nicht. Und dann habe ich mich gefreut. Ich freut mich doll über diesen herausziehbaren Wasserhahn, damit ich das Wasser direkt in den Wasserkocher füllen konnte. Genial! Ein Moment purer Freude! Der Kaffee hat sehr gut geschmeckt, die Spüle ist aufgeräumt.
The Weather Station
(Ms) Mit ihrem Album Ignorance hat mich Tamara Lindemann recht kraftvoll in ihren Bann gezogen. Das ist nun auch ein paar Jahre her und die nächste Platte steht in den Startlöchern. Ihr musikalische Name ist The Weather Station und ich bewundere ihre Musik für diese sehr kunstvolle Art, ihre Lieder zu schreiben und zu arrangieren. Humanhood erscheint am 17. Januar und Window ist ihre neue Single aus diesem Werk. Es ist ganz ungewöhnlich, denn es ist erstens verhältnismäßig kurz, unter drei Minuten Spielzeit. Außerdem startet es direkt, es gibt keine Anlaufzeit, es wird nichts aufgebaut, es ist sehr unmittelbar. Und schlängelt sich so auch komplett durch das ganze Lied, das furios eingespielt wurde. Sie ließ ihre Band das Lied drei Mal übereinander spielen, nur einzelne Töne variierten, so entsteht viel Dichte. Es geht um Flucht, ums Entkommen und die Musik untermalt diese Gefühle auf grandiose Art! Hach, das kommende Album könnte wieder großartig werden!
26.02. Hamburg, Nochtspeicher 28.02. Berlin, Silent Green
Dope Lemon
(Ms) Das, was Angus Stone solo oder mit seiner Schwester Julia zusammen macht, ist immer etwas besonderes. In meinen Augen beherrschen beide eine sehr gute Technik des Musikschaffens. Oft sind ihre Tracks gar nicht mal so prägnant, stechen gar nicht mal so heraus. Oft entfalten sie über wunderschöne Melodien ihren Zauber. Bei seinem Solo-Projekt Dope Lemon kommt eine gewisser Kiffer-Lässigkeit dazu. Seine neue Single heißt Golden Wolf und ist viel mehr Indie als einige seiner vorherigen Tracks. Klar, auch diese Single besticht durch ihren Sog, durch die wundervolle Eingängigkeit. Und auch durch ihren Text. Denn Angus Stone fragt sich, wie viel von uns in einem möglichen weiteren Leben bleiben wird. Vielleicht gibt es ja doch einen Kern, an dem man sich irgendwie erinnern kann. Es ist ein toller, leichtfüßiger Track, der noch mehr Neues für das kommende Jahr ankündigt.
Herrenmagazin
(Ms) Wie gut, dass sie wieder da sind. Klar, es gibt viele deutschsprachige Indierockbands. Aber Herrenmagazin sind doch etwas Einzigartiges. Zum Einen sind sie wohl mit die sympathischste Band des Landes, zum Anderen liegt den Texten von Deniz Jaspersen doch eine ganz besondere Wucht inne. Er findet Worte für Situationen und Gefühle, die oft ganz klar sind. Oft geht es duster zu in seinen Geschichten, aber er schafft es immer wieder der ganzen Dunkelheit einen Schimmer Hoffnung zu verpassen. Und die brauchen wir doch ganz dringend, oder?! Eben! Auch im Privaten und darum geht es im neuen Track Fragment. Es ist die erste frische Musik nach zehn Jahren. Dass die Menschen hinter der Musik sich geändert haben, ist klar. Über die Veränderung geht es auch im Lied. Es ist besser, sie zu akzeptieren anstatt immer wieder dagegen an zu kämpfen. Das ist erschöpfend und wirklichkeitsverzerrend. Gut, dass diese Band wieder da ist, ihr neues Album Du Hast Hier Nichts Verloren erscheint am 28. März, anschließend sollte man sie hier live bestaunen:
11.04.25 Frankfurt, Nachtleben 12.04.25 Stuttgart, JuHa West 01.05.25 Hamburg, Uebel & Gefährlich 02.05.25 Hannover, Bei Chéz Heinz 03.05.25 Berlin, Bi Nuu 17.10.25 Dresden, GrooveStation 18.10.25 München, Kranhalle 20.10.25 Leipizg, Naumanns 21.10.25 Kassel, Goldgrube 22.10.25 Essen, Zeche Carl 23.10.25 Köln, Gebäude 9 24.10.25 Bremen, Tower
Oehl
(Ms) Die „Tour Der Guten Hoffnung“ sollte schon längst stattfinden. Jetzt, in diesen Wochen. Doch Ariel Oehl hat diese Konzerte ins Frühjahr 2025 verschoben. Das hat gute Gründe und sogar einen richtig Freudvollen! Zum Einen hat er am Theater Linz die Musik für das Stück Tom Auf Dem Lande geschrieben und vor Ort mitgewirkt. Zum Anderen ist in der Zwischenzeit viel neue Musik entstanden. Eine EP erschien, viele andere Lieder haben das Licht der Welt erblickt. Was tun?! Genau - ein neues Album veröffentlichen. Es wird Lieben Wir heißen und am 14. März bei Grönland Records erscheinen. Ich vermute, es wird viel ruhiger und reduzierter sein, dezenter im Klang. So erscheinen zumindest die letzten Stücke, die er veröffentlichte. Passend zur Albumankündigung erschien nun Ein Echtes Lachen über die Suche nach der Sprache, wie man sich denn aus einer Liebe verabschieden könnte. Was für eine große Herausforderung - Ari Oehl meistert sie wie immer sehr poetisch! Auch die anderen Stücke des Albums werden von der Liebe handeln. In all seinen Facetten. Ein spannendes Projekt, was schon oft gut gelungen ist - beispielsweise bei Love von Get Well Soon. Ich bin äußerst gespannt!
(Ms) Die Spatzen pfiffen es von den Dächern - es gibt eine neue Platte von Waving The Guns! Eine große Überraschung war das nun nicht mehr, immerhin wurden vor Wochen schon neue Tourdaten veröffentlicht, dann mit Klebrig eine neue Single und nun ist auch bekannt, wie die Scheibe heißen wird: Zwischen Wand Und Tapete erscheint am 28. Februar natürlich bei Autiolith Records! Passend dazu gibt es auch noch einen neuen Track. Bigotterie ist seit ein paar Tagen draußen und der Beat ist mal wieder überragend. Der Text knallhart, wach, auf den Punkt! Tatsächlich musste ich auch einmal kurz nachschauen, was das überhaupt bedeutet. Hier die Aufklärung: Scheinheiligkeit! Ja, so geht es da draußen zu. Milli Dance hat es sich zur Aufgabe gemacht, in seinen Liedern den Kapitalismus immer wieder zu sezieren und den Kampf anzusagen. Es ist ein weiteres Mal gelungen! Das ist immer auch ganz schön bitter, aber das muss es auch sein. Für offene Augen braucht es auch den Schmerz - den gibt es hier! Und live dann auf all diesen Bühnen:
13.03.2025 Rostock - M.A.U. Club (Zusatzshow) 15.03.2025 Rostock - M.A.U. Club (Ausverkauft) 20.03.2025 Dresden - Tante Ju 21.03.2025 Wien (AT) - Flex 22.03.2025 Graz (AT) - p.p.c. 23.03.2025 Innsbruck (AT) - P.M.K 25.03.2025 Zürich (CH) - Dynamo 26.03.2025 Stuttgart - Lehmann Club 27.03.2025 München - Strom 28.03.2025 Nürnberg - Z-Bau 29.03.2025 Jena - Kassablanca 03.04.2025 Dortmund - Junkyard 04.04.2025 Frankfurt - Das Bett 05.04.2025 Heidelberg - Karlstorbahnhof 10.04.2025 Hannover - Kulturzentrum Faust 11.04.2025 Köln - Stollwerck 12.04.2025 Bremen - Schlachthof 17.04.2025 Hamburg - Markthalle 25.04.2025 Leipzig - Werk2 26.04.2025 Berlin - Huxleys neue Welt
(Ms) Eineinhalb Stunden Auszeit in einer wuseligen Zeit, deren Nachrichten und Entwicklungen einen oft in die Enge treiben. Eineinhalb Stunden einfach mal rauskommen. Zuhören. Mitgenommen und unterhalten werden. Eineinhalb Stunden träumen und schwelgen in Bildern, die mit ganz wenigen Worten erzeugt werden. Eineinhalb Stunden Niels Frevert und seinen Liedern zuhören.
Das ist derzeit möglich, denn er befindet sich auf kleiner Trio-Tour. Kein Schlagzeug, alles ein wenig heruntergefahren, leiser, direkter, unmittelbarer. Wenn dann noch der Rahmen passt, stehen alle Ampeln auf grün, dass das ein toller Abend wird. So gestern in Oldenburg. Bis auf die Umbaubar hat Oldenburg in meinen Augen kaum eine richtig schöne Konzertlocation für einen kleinen Abend. Also einen Ort, wo es auch gemütlich werden kann, zum Wohlfühlen gewissermaßen. Da muss man schon ein wenig nach links und rechts gucken. Und das tat Niels Frevert wohl schon seit vier, fünf Jahren. So lange wollte er schon im Theater Laboratorium spielen. Eine ausgezeichnete Wahl - ein kleines, privates Theater, das für seine exzellenten (und hier spreche ich aus Erfahrung) Puppenthaterstücke bekannt ist. Ein urgemütliches Gebäude, bestuhlt. Eineinhalb Stunden Auszeit.
Dafür sind seine Texte wie gemacht! Oft braucht er nur ganz wenige Worte, um die Situation einer Geschichte sofort zu eröffnen. Dazu passt auch oft die Harmonie und man befindet sich entweder direkt am Abgrund oder auf den höchsten Höhen. Mit Rachmaninow ging es los, eine Autofahrt mit entsprechender musikalischer Untermalung. Die zarte Instrumentierung des Abends machte sich direkt bezahlt - es klang ganz wunderbar! Weitere Stücke seines aktuellen Albums Pseudopoesie folgten: Weite Landschaft, Waschbeckenrand, Klappern Von Geschirr, später auch das tolle Fremd In Der Welt. Doch auch „Klassiker“ waren dabei wie Wann Kommst Du Vorbei, Du Kannst Mich An Der Ecke Rauslassen oder Ich Würde Dir Helfen Eine Leiche Zu Verscharren. Für den Genuss des Abends hat auch das Publikum gesorgt, das sehr aufmerksam war, sehr still. Ich saß ganz vorne und so hörte man das Anschlagen des Plektrums, das Klackern der Pedale, den Anschlag des Keyboards. Das war schon sehr nah, sehr direkt. Niels Frevert selbst war gut drauf, erzählte ein paar kleine Geschichten, die Stimmung war gut. Eineinhalb Stunden Auszeit. Sie tat richtig gut. Wunderbar sanfte Musik an einem wunderbar gemütlichen Ort. Vielen Dank!
PS: Ich hoffe, dass die Keyboardsoundprobleme an den kommenden Abenden nicht mehr auftreten!
(Ms) Sind Zuhause und Heimat das Gleiche? Das hängt meines Erachtens ganz davon ab, ob man immer noch in dem Ort wohnt, wo man groß geworden ist oder halt nicht. Für mich ist die Heimat der Ort, wo ich als Kind war, wo ich zur Schule gegangen bin, meine Jugend verbracht habe. An unterschiedlichen anderen Orten war ich schon zu Hause. Da bleibt eine ganz sonderbare Verbindung. Zum Einen bin ich sehr froh, nicht mehr dort zu leben. Dort war halt nie so viel los. Zum Anderen ist es halt die Gegend meiner Kindheit. Wie prägend sie ist, wissen wir alle. Also: Seltsames Verhältnis. Meistens lässt sie sich so zusammenfassen: Ich bin gerne da, aber auch gerne wieder weg. Ich unterstelle jetzt einfach mal ganz vielen Menschen, dass es denen ähnlich geht. Da bleibt ein ganz starkes, oft bizarres emotionales Band.
Wie genau es Ben Lukas Boysen in Altrip ging, weiß ich natürlich nicht. Ob er Berlin nun als Heimat oder auch „nur“ als Zuhause sieht, weiß ich auch nicht. Aber es scheint ein wenig ähnlich zu sein. Denn dem Ort, in dem er aufgewachsen ist, widmet er seine neue Platte. Sie trägt den alten, lateinischen Namen Alta Ripa. Altrip liegt südlich von Mannheim, direkt am Rhein und ist von viel Wasser umgeben. Knapp 8000 Menschen wohnen da, also auch nicht besonders viel los. Doch Ben Lukas Boysen erinnert sich an eine Jugend, die elektronisch geprägt war. Sampler- und Synthie-Musik war damals schon ein enormer Bestandteil seiner Jugendkultur. Heute ist es ihm möglich, die Musik zu machen, die er damals gerne gehört hätte. Was für eine unglaubliche Entwicklung. Was für eine tolle Aussage! Die zehn neuen Tracks haben eine Spielzeit von einer Dreiviertelstunde und sind diesem Ort gewidmet.
Um diesen Text zu schreiben, hörte ich Alta Ripa auf einem Spaziergang durch den Ort. Und es ploppten direkt viele Bilder und Assoziationen auf. Klar, was der Künstler selbst damit meint, bleibt im Verborgenen. Aber ich kann mir dieses Album aneignen und meine eigene Geschichte damit weben. Und das hat unglaublich viel Spaß gemacht! Im Gegensatz zu seinen vorherigen Projekten schrieb und spielte Ben Lukas Boysen alle Tracks alleine ein, keine Gäste, ganz pur. Ours, so heißt der erste Track. Könnte eine Musik sein, die im Elternhaus lief, oder? Eine satte Bassfläche, ein paar tänzelnde Töne darüber, es klingt sehr rund, sehr ausgewogen, harmonisch. Was lief wohl damals im Hause Boysen? Kraftwerk? Cluster? Can? Die Stärke dieses Tracks ist, dass die Töne immer intensiver werden, ein sehr kräftiges Crescendo, ein toller Start in diese Platte. Mass ist viel schneller, viel verwobener, antreibender. Sofort ist eine Bewegung da. Altrips Sportverein? Eine Tartanbahn? Ein hektischer Lauf aus Mannheim zurück nach Hause? Zwischendurch wird kurz durchgeatmet und dann geht‘s weiter! Abends rasen die Lichter an einem vorbei. Der Titeltrack ist sehr ausdrucksstark und untermauert eventuell meine Annahmen. Denn Alta Ripa ist sehr ruhig, sehr bedächtig, fast ein bisschen düster. Die Straßen sind leer, ein bisschen Sehnsucht liegt in den Menschen, aber es ist auch alles gut so wie es ist. Wie ein warmer Mantel umhüllt einen dieser Song. Aber nur so lange, bis Nox erklingt. Die Nacht. Sie ist wuchtig, dunkel, aber auch voller Energie. Ein Track, den ich sofort lauter stelle, da die Dynamik ansteckend ist. Hier wird getanzt, vielleicht ist es auch ein bisschen rau. Satter Bass donnert durch die Boxen. Vielleicht geht da doch was in dem kleinen Ort?! Ein tolles Stück! Vineta klingt sehr weltraumig. Es erinnert stark an die elektronischen Spielereien der 70er und 80er Jahre. Ist es ein Blick in die Sterne? Es klingt sehr offen, sehr freundlich, obwohl etwas Unbekanntes in den Melodien liegt. Wer mit solchen Tönen solche Bilder erzeugen kann, ist ein ausdrucksstarker Künstler. Auf der Hälfte des Tracks ist tatsächlich auch ein Summen zu hören. Herrlich mystisch, großartig arrangiert! Fama hingegen arbeitet mit vielen verschiedenen Klangebenen. Es ist viel direkter, griffiger, präsenter, unaufhaltsamer. Nach knapp fünf Minuten ist eine Pause zum Innehalten da. Sie tut gut, doch der Track könnte auch endlos weiter gehen, so viel Schönheit liegt darin.
Wie schön, dass der letzte Track Ours Forever heißt und die Melodie vom Anfang wieder aufnimmt. Das rahmt dieses großartige Album auf ganz phantastische, wenn auch einfache Weise. Alta Ripa ist ein umwerfendes Werk, es spricht mich enorm an. Die Arrangements sind zum großen Teil sehr weich, ja, gefühlvoll. Ben Lukas Boysen kann enorm gut mit Energie und Dynamik umgehen und diese Platte ist ein beeindruckendes Zeugnis davon!
(ms) Jeden Tag eine gute Tat - das Motto der Pfadfinder.
Freitagmorgen, 7.20 Uhr auf der Arbeit. Auf dem Weg mir einen Tee zu kochen, vernahm ich ein ungewöhnliches Geräusch auf den Fluren. Es flatterte und raschelte: Ein Rotkehlchen saß dort. Wie es dahin kam, ist nicht klar, aber nun war es da. Es versuchte wohl schon öfter, raus zu kommen, landete aber immer wieder vor Fenster und Türen, es gab kein Entkommen. Also versuchte ich dem armen, kleinen Ding zu helfen. Doch keins der Fester auf den Fluren ließ sich komplett öffnen, Brandschutz sei dank. Also: Wo kann es raus? Ganz am Ende, da war es! Das einzige Fenster, das sich komplett öffnen ließ. Aber der Vogel muss da ja auch erstmal hin. Also trieb ich ihn ein wenig, ein Kollege hielt das Fenster offen. Das Rotkehlchen folgte unserem Plan und saß dann, schon total erschöpft und mehrmals leidvoll gegen Glasscheiben geknallt, auf der richtigen Fensterbank. Es schaute raus, ganz romantisch stelle ich mir vor, dass es sich kurz bei uns bedankt. Dann flog es in den dunklen Morgen. Hinein in die Freiheit. Gute Reiser, kleiner Federfreund.
KMT
(Ms) Kunst, du große Faszination! Wie unterschiedlich wir doch auf den gleichen Text blicken können. Hier ein kraftvolles Beispiel. Die Welt Ist Weit ist ein Gedicht von Ingeborg Bachmann, das sie 1952 geschrieben hat. Vor über siebzig Jahren. Letztes Jahr war ihr fünfzigster Todestag. Katarina Maria Trenk, die sich einfach nur KMT nennt, hat dieses Gedicht vertont und mit einem tollen Video gestalten lassen. Dabei ist ihre und meine Sicht auf Bachmanns Zeilen ganz unterschiedlich. Ist es nicht schön, welche Gedanken Kunst freisetzen kann, wie viele Blickwinkel sie ermöglicht?! Ich sehe in Ingeborg Bachmanns Zeilen eine Vorbereitung auf den Tod, ein Abschluss des Lebens. Sie blickt zurück und schaut, wo sie war, wie die Welt sie durchaus bereichert hat, aber auch viel Energie gekostet hat, überall ist ein Stück von ihr geblieben. Und nun, als letzter Blick voraus, steht dort ein Baum „hinter der Welt“. Nun ist die Frage, wie man diesen Text anschaut. Als abgeschlossen oder vielleicht ist ja auch ein Schritt in den Text möglich, sodass man den Prozess des Weltentdeckens einnimmt. Darum geht es (so sehe ich das zumindest) Katarina Maria Trenk. Sie sieht den Text als Möglichkeit, die Welt zu erweitern - auch mit den Folgekosten. Das fasziniert mich. Und noch eindrücklicher ist die Vertonung des Ganzen. Viel Synthies-Fläche, tolle Bläser und eine kräftige Stimme. Das hier ist Kunst auf einem ganz neuen Level. Sehr beeindruckend, wunderschön und leicht düster. Film ab:
Squid
(Ms) Bleiben wir beim Thema Musik und Literatur. Und auch dieses Beispiel ist gar nicht mal so erhellend, so hoffnungsbringend. Im Gegenteil. Die britische Band Squid bringt am 7. Februar ihr neues Album raus, es wird Cowards heißen. Neun Geschichten des Bösen sind darauf enthalten. Zum Teil gibt es Adaptionen aus Büchern, manche Lieder erzählen über Sekten. Harter Stoff also. Die erste Single Crispy Skin klingt musikalisch gar nicht mal so gruselig, aber mir ist beim Textlesen und darüber nachdenken fast schlecht geworden. Es geht darum, dass Sänger Ollie Judge ein Buch las, in dem Kannibalismus normal ist. So könne man darin Menschenteile ganz einfach im Supermarkt kaufen. Bah, ist das ekelig! Aber halt auch irgendwie Kunst. Sie darf durchaus verstörend sein. Tanzende Keyboardparts im ersten Teil des Liedes strahlen sogar eine gewisse Fröhlichkeit aus, später ufert der Track aber immer mehr aus. Inhaltlich nur mehr als verständlich. Man darf sehr gespannt sein, wie die anderen acht Songs so drauf sind.
Turbostaat
(Ms) Die Energie bei Turbostaat-Konzerten ist enorm. Dort herrscht eine irre Verbundenheit zwischen Band und Publikum. Jan Windmeier müsste nicht mal singen, das übernehmen die Menschen vor der Bühne. Seit 25 Jahren sind sie enorm textsicher, das ist sehr beeindruckend. Dabei sind die Verse der Flensburger oft gar nicht mal so leicht zu verstehen. Doch genau darin liegt auch ganz viel Reiz. Andere Stücke sind aber viel klarer. Nicht unbedingt beim ersten Hören, aber beim dritten oder vierten. Scheissauge ist die neue Single vom kommenden Album Alter Zorn. Ein Lied, das eine Szenerie der Verbitterung und des Stillstandes malt. Musikalisch ist es ein klassischer Turbostaat-Track, der gut ist aber wenig Überraschungen in sich birgt. Eindrücklicher ist der Text. Ich lese ihn so: Es wird viel gemeckert, an vielen Orten tut sich nichts, einer erzählt eine Geschichte, die die anderen glauben. Was daraus wird, sagt das Lied nicht. Es ist eine Momentaufnahme. Es geht nicht um so etwas wie Wahlverhalten oder Gesellschaftsanalyse. Viel mehr es ist es unglaublich empathisch. Ja, so geht es vielen Menschen. Hören wir lieber hin als uns vorschnell ein Urteil zu erlauben. Die Platte kommt am 17. Januar!
26.02.2025 Münster, Sputnikhalle 27.02.2025 Wolfsburg, Hallenbad 28.02.2025 Marburg, KFZ 01.03.2025 Magdeburg, Factory 02.03.2025 Rostock, Peter Weiss Haus 12.03.2025 Köln, Kantine 13.03.2025 Hannover, Faust 14.03.2025 Leer, Zollhaus 15.03.2025 Wiesbaden, Schlachthof 16.03.2025 Bochum, Bahnhof Langendreer 02.04.2025 Dresden, Tante Ju 03.04.2025 AT-Wien, Das Werk 04.04.2025 Erlangen, E-Werk 05.04.2025 Leipzig, Conne Island 16.04.2025 Jena, Kassablanca 17.04.2025 CH-Winterthur, Salzhaus 18.04.2025 CH-Bern, ISC 19.04.2025 München, Feierwerk 20.04.2025 Karlsruhe, P8 15.05.2025 Berlin, SO36 22.05.2025 Hamburg, Markthalle
Kettcar
(Ms) Kommen wir nochmal zum Thema Literatur zurück. Werk und Autor trennen - diese Diskussion ist mir im Frühjahr erst so richtig bewusst geworden, als Kettcar ihr neues Album veröffentlicht haben. Kanye In Bayreuth war anfangs ein Stück, das ich gar nicht mal so gut verstanden habe. Dann las ich mich durch unterschiedliche Berichte und habe sogar mal einen Podcast gehört (was sonst nie vorkommt). Die Auseinandersetzung ist wichtig und sollte stets im Bewusstsein sein. Kann ich beide trennen? Kann ein Kunstwerk größer sein als der Künstler? Auch wenn er noch so antisemitisch, sexistisch, vorbestraft, rassistisch oder sonst wie große Grenzen überschreitet?! Wenn ich das für mich trenne, muss ich mich auf die Konfrontation einlassen. Wenn ich sie beisammen lasse, muss ich Bücher, Filme, Serien und Alben aussortieren. Was ist glaubwürdig? Was tut weh? Kettcar gehen diesem Prozess im Lied durch und kommen zu dem Schluss: „Werk und Autor bleiben schön zusammen.“ Also, den harten Weg gehen. Dazu gibt es jetzt ein Video. Dunkel ist es, ist ja auch kein fröhliches Thema. Mal wieder arbeitet die Band mit der Hochschule OWL zusammen, wie schon zu Sommer `89. Liebe Grüße in die lippische Heimat, das ist gut geworden! Kettcar gehen im Januar wieder auf Tour. Wir sehen uns, oder?!
(Ms) Druck. Energiefreisetzung. Brodelnde Dynamiken. Einen neuralgischen Punkt erreichen. Explosion. Wucht. Das geplante Chaos.
Das sind Faktoren, die, wenn Musik sie erschafft, richtig viel Wumms haben. Wenn der Krach so gut geplant ist, dass es zwar ungeheuer laut ist, aber den Genuss nicht verdrängt. Da ist auf der einen Seite die Musik, die nach vorne treibt. Das ist völlig genreunabhängig. Der Rausch kann auch beim Techno entstehen. Doch wird sind hier ja seit jeher der Gitarrenmusik verfallen. Und so sind es wieder Schlagzeug, Bass, Stimme und Gitarre, die hier in ungeahntem Maße und in ungeheurer Intensität zuschlagen. Denn neben den sehr gut arrangierten Melodien und Riffs agieren hier auch noch Texte, die den Rausch noch weiter intensivieren. Die dazugehörigen Gruppe heißt Das Format und am Freitag (22. November) veröffentlichen sie ihr selbstbetiteltes Debütalbum! Es sind 34 Minuten und 34 Sekunden, die nur eine Richtung kennen: Im wilden Wirbel nach vorn, vorn, vorn!
Die drei Herren sind dabei keine Neulinge auf diesem Gebiet. Bruno Tenschert ist als Der Herr Polaris bekannt, Maximilian Stephan ist Sänger und Gitarrist von Carpet, Maximilian Wörle ist unter anderem Produzent. Ich mag es sehr, wenn so viel Know-How mit im Spiel ist. Denn die Explosionen, die ihre neun Tracks immer wieder abfeuern, können ja musikalisch geplant werden. Auch wenn es oft schrammelt und zerrt, hier gibt es sicher wenig Zufälle.
Dieses Album hat zwei Kerne. Der eine ist auf jeden Fall der satte Sound. Intensive Rockgitarren, tiefer Bass und hämmerndes Schlagzeug haben hier das Sagen. Der andere Kern sind die Texte. Denn sie sind Kunst. Oft sind sie so unkonkret, dass den doppelten Böden der Interpretation freies Spiel gelassen wird. Dann gibt es wieder Verse, die in dem geordneten Krach die Faust heben lässt und die mitgegrölt werden wollen.
Liegen Lernen ist das erste Stück dieser Platte, startet mit dominantem Bass. In den übersichtlichen Versen - nicht wertend gemeint - ist sofort zu sehen und hören, dass Sprache hier auch ein Spielzeug ist. Wenn Worte verschoben werden, verschiebt sich auch die Bedeutung. Mal nur um wenige Plätze im Satz. „Die Kunst einfach zu sein und einfach einfach zu bleiben.“ Ja, Recht haben sie! Der Satz, der der Seele gut tut, scheppert mit ordentlich Wumms! Deine Mutter ist keine Aneinanderreihung dämlicher Sprüche, sondern eine kleine Geschichte, die davon erzählt, wer denn die Verantwortung haben soll und sie nicht erfüllt. Wir Wären Nicht Wir ist einfach nur ein Brecher, 1:16 Minute Vollgas! Bäm! Lichtmaschine verhandelt mit wiederholenden Versen und aufgedrehten Boxen, wem wir was noch glauben können. Uns oder jemand anderem? Und war das nicht mal alles anders als und versprochen wurde?! Ja, oder?
14:30 ist eine textliche und musikalische Pause in der Mitte. Einmal kurz hinsetzen und den Hut vor Rio Reiser ziehen. Den Kern der Doppeldeutigkeiten bietet Unzufrieden mit einem einfachen, aber so vielfältig einsetzbaren Satz: „Ich bin unzufrieden mit meiner Zufriedenheit.“ Tja, wann sind wir denn endlich satt?! Und wann sollten wir es nicht sein?! Spannende Zeiten! Therapiestunden tut weh und ich denke, dass soll der Song auch! Er ist großartig arrangiert. Ich mag diese mäandernden Teile, die sich langsam aufbauen und ergänzen. Insbesondere der Bass sticht auf dieser Platte immer wieder als ungeheuer gut eingesetzt heraus!
Am Ende knallt dieses Album nochmal in all seiner Stärke. Die Stücke bis hierher waren schon wirklich genial. Musikalisch, textlich, offen und schroff. Das letzte Lied heißt Lösung und zeigt nochmal eine ganz andere Herangehensweise ans Texteschreiben. Auch hier mangelt es nicht an Wiederholungen und ihrer Varianz aber die inhaltliche Ebene wird extrem gut damit zugespitzt! Es geht um die Probleme einer Beziehung (so mein Deutungsansatz) und dass das schnelle Infragestellen eben dieser eine plumpe, feige Strategie ist. Denn wenn das Gegenüber gar nicht erst gefragt wird, ist dieser Satz mehr als gerechtfertigt: „Wenn das deine Lösung ist, will ich mein Problem zurück.“
Ja, auf deutsch zu texten ist eine große Herausforderung, wenn die Sprache kunstvoll sein soll. Das ist hier überaus gut gelungen. Die mächtige, mitunter krachende Musik ist die perfekte Begleitung dafür. Das Format! Was für eine Band, was für ein Album! Wow!