Donnerstag, 22. September 2016

Ghost feiern sich selbst als "Popestar"

Quelle: nuclearblast.de
(ms) Sie haben wieder zugeschlagen. Aus den Untiefen des Hardes. Oder der Hölle. Egal, beides das gleiche. Die okkulten, maskierten und geschminkten Schweden haben von heut auf morgen eine neue EP auf den Markt geschmissen, die letzten Freitag über ihr Stammlabel Spinefarm veröffentlicht wurde. Dass aus Ghost eine Metal-poppige Spektakel-Show geworden ist, die ziemlich viel Bock macht  - insbesondere live - ist kein Geheimnis. Ihr Drittling "Meliora" ist ein Hammer geworden, nicht mehr so hart wie vorher, dafür aber brilliant produziert.
Nachdem sie anschließend fleißig für sich selbst Werbung gemacht haben und unbedingt den Grammy für den besten Metal-Song gewinnen wollten und schlussendlich auch gewonnen haben, macht es sie irgendwie sympathisch, weil das ganze so herrlich ironisch ist.
Ausverkaufte Shows auf Tour und hohe Slots bei namenhaften Festivals haben fleißig Geld in die Teufelskasse gespielt. Um die fleißig erworbene und gewachsene Fanschar (Ja, wir outen uns auch) an Bord zu halten, nun diese EP.
Wirklich viel Überraschendes kommt dabei nicht zutage. Es sind fünf kurzweilige Songs, die gut ins Ohr gehen. Dass der LP-Version kein Downloadcode beigelegt ist, ist etwas ärgerlich. Aber wer kann, der kann.




"Square Hammer" ist dabei der einzige eigene neue Song. Die Orgel gibt eine eingängige, aber gute Laune machende Hookline, in die die feine Gitarre einsteigt und Papa Emeritus poprockig dem Satan huldigt. Wem auch sonst?!
Es folgen vier Coverversionen, ähnlich der letzten EP "If You Have Ghost" von 2013.
"Noctural Me" von Echo & The Bunnymen wurde in ein launiges Metalrock-Gewand gezaubert und kommt dem Klang des eigenen Materials recht nahe. Dass danach eine Ghost-Version von "I Believe" der Simian Mobile Disco folgt, lässt aufhorchen. Das Dance-Stück findet sich wieder im düsteren Orgelsound. Nett, aber nichts außergewöhnliches. "Missionary Man" von Eurytmics" hat da schon mehr Wumms. "Bible" der schwedischen 80er-Jahre-Rocker Imperiet hätte man sich auch sparen können.

Ergo: Fünf flotte Songs, die vom eigenen, krachenden "Square Hammer" angeführt werden, machen Laune, sind aber in der Discographie der Band nichts weiter als ein Lückenfüller. Es darf zu hoffen sein, wenn ein neuer Long Player rauskommt, dass er wieder härter im Sound und noch düsterer wird. Das mögen wir doch so an den Nameless Ghouls.

Mittwoch, 21. September 2016

Hamilton Leithauser und Rostam: Die größte Ode an die Liebe

Rostam und Leithauser.. Foto: Josh Goleman.
(ms) Bitte tief durchatmen. Es kommt der Konjunktiv.
Man könnte erwähnen, wie großartig Vampire Weekend sind und ihr Bedeutung im 00er-Jahre Indie-Sound. Man könnte auch sagen, dass The Walkmen eine wirklich enorm starke Band sind. Man könnte große Augen bekommen, als bekannt wurde, dass Rostam (ehemals Vampire Weekend) und Hamilton Leithauser (Walkmen) jetzt zusammen Musik machen. Man könnte detailreich und hypegesteuert sagen, dass da etwas Supergroup-mäßiges um die Ecke kommt. Man könnte sich intensiv mit dem musikalischen Werdegang beider auseinandersetzen und vermuten, was dabei denn so herauskommen mag. Man könnte erstaunt gucken, warum die beiden sich nicht einen neuen Namen für diese brilliante Scheibe ausgesucht haben, keine Ahnung.
Dabei gibt es nur eine Sache, die man zwingend tun muss:
Am Freitag den Plattenhändler seines Vertrauens aufsuchen, ihn oder sie stark damit nerven, dass man ganz dringend das Album "I Had A Dream That You Were Mine" von den beiden oben Genannten haben muss, zurück nach Hause, CD einlegen, Platte auflegen, wahnsinnig laut drehen und dann eine der besten Scheiben dieses Jahres genießen.
Unter anderem deswegen:




Scheiße, noch eins, wo hat der Typ denn diese Stimme her?!
Dieser Song, diese Single, "1000 Times" - das muss man sagen - ist das erste und beste Lied vom diesen Freitag erscheinenden Album. Daran reihen sich jedoch noch weitere Perlen wie "Peaceful Morning" oder den letzten Track "1959".

Worum es aber eigentlich hier gehen soll.
Die zehn Songs auf "I Had A Dream That You Were Mine" erzählen einen wundervoll emotionale Geschichte einer Liebe, wie sie der Titel suggeriert. Und jeder kennt es! Man erblickt eine außergewöhnliche Schönheit (egal ob Männlein oder Weiblein), starrt ihr wie nicht gescheit hinterher, dann ist sie weg. Möglicherweise sieht man sie erneut und fängt an zu träumen: Was würde ich nicht alles geben, um ihr den Himmel auf Erden zu holen. Neue Frisur, schick kleiden, endlich lernen richtig gut zu kochen, Socken bügeln, jeden Tag frische Blumen (wie herrlich kitschig). Würde. Konjunktiv.
Aber entweder traut man sich nicht, weil die Schönheit ja - so angenommen - sowieso in festen Händen ist, den ersten oder irgendeinen Schritt zu machen oder man wird verrückt. Oder beides gleichzeitig. Dazu kommt dieser herrlich knarzig-kneipenartige Sound! Noch nie hat es ein Album geschafft, dieses Gefühl so herausragend auf den Punkt zu bringen.

Wir hoffen, dass die beiden in Bandbesetzung nach Deutschland, Österreich, Schweiz kommen, um diese Energie live darzubieten.

Man wird sich umgucken, ob bald etwas Vergleichbares kommt.
Wir zweifeln dran.

Sonntag, 18. September 2016

Weltmännische Töne mit Robert Carl Blank

Nachdenkliche Pose: Robert Carl Blank. Foto: Zimba Photography.
(ms) Robert Carl Blank.
Was für ein Name. Das klingt nach großen Taten, Verzeichnissen in der Weltgeschichte, einem Bewerber für den nächsten Präsidenten. Ein Mann, der abends nachdenklich mit einem Cognac und einer Zigarre am Fenster eines Hochhauses in seiner Penthousewohnung steht und den Tag revu passieren lässt. Am Tag hat er ein paar Heldentaten vollbracht, einem kleinen Hund das Leben gerettet, seinen Konzern erfolgreich Richtung Zukunft gelenkt, seine hübsche Frau zum Essen eingeladen und seinen beiden Kindern zärtlich gute Nacht gesagt.

Hm, das mag jetzt etwas kitschig klingen. Oder überheblich.
Aber: Bei dem (!) Namen...

Ganz so abwegig ist diese kleine Assoziation gar nicht.
Der wahre Robert Carl Blank ist in Frankfurt groß geworden, seine Eltern kommen auch Tschechien, er hat ein Jahr in England, eines in Chicago und eineinhalb in Australien verbracht. Da hat jemand Fernweh und keine Lust in Bad Salzuflen, Böblingen oder Bremerhaven zu verweilen.
Die Reiselust beeinflusst auch seinen musikalischen Werdegang. Wenig festgelegt ist sein Sound. Vielmehr klingen seine Songs offen, vergnügt, leichtfüßig, nach großen Soundtracks und sind insgeheim Episoden eines Reisetagebuches.


Diesen Freitag ist sein viertes Album in Eigenregie über a1 Records erschienen: "Fairground Distractions".
Legt man das schön in schwarz in Anlehnung an eine LP gestaltete CD in das entsprechende Abspielgerät, kommt einem der Klang von "Mysteriy Tour" irgendwie bekannt vor. Aber hier wird nicht gecovert. Es ist ein herrlicher Mix aus R.E.M., Calexico, der Swing-Platte von Robbie Williams (Bitte als Kompliment verstehen) und großen Jazz. Das muss Liebe auf den ersten Hörer sein!
Es ist nicht nur klassisch Gitarre, Stimme, Bass, Schlagzeug. Sondern eine tolle Abwechslung mit Banjo, Streichern, Piano, Trompete und Glockenspiel. Das macht das Album breit, groß, den Soundtrack zu einem Wiedersehen mit alten Freunden genauso wie einem romantisch-verliebtem Spaziergang durch den nahenden Herbst. Blanks großes Idol: Frank Zappa. Klar.
Bei "Move On" wird es etwas pathetischer, ohne kitschig zu werden, "Many Ways In" zeugt von Saloon-mäßiger Kulisse und mit "To Vincent" schafft es sogar eine Ballade auf das 12 Song langem, aber kurzweiligem Album.

"Fairground Distractions" ist ein wundervolles, ausgewogenes Album, das viel Spaß macht und keineswegs nur im Hintergrund laufen sollte.
Hier ist der Fallschirmspringer Robert Carl Blank bald live zu sehen:

02.11.2016 Hamburg, Birdland
03.11.2016 Bremen, MS Treue
04.11.2016 Greifswald, IKUWO
05.11.2016 Rostock, JAZ
06.11.2016 Celle, Buntes Haus
08.11.2016 Hannover, Lindwurm
09.11.2016 Duisburg, Zum Hübi
10.11.2016 Leipzig, Goldhorn
11.11.2016 Dresden, Kino im Kasten
12.11.2016 Berlin, Privatclub 

Mittwoch, 14. September 2016

Kobito will das Leben "Für einen Moment perfekt"

Kobito in s/w. Foto: Lorenz Koch
(ms) Er hat wieder zugeschlagen, eiskalt. Ganz heimlich hat er sich angeschlichen, sich in Ruhe Gedanken gemacht, sich etwas Neues überlegt, dabei den eigenen Weg nie aus dem Auge verloren, neue Freunde an Bord geholt und präsentiert uns diesen Freitag ein beinhartes Brett. "Blaupausen" hat uns vor zwei Jahren schon komplett aus den Socken gehauen und nun kommt Kobitos dritter eigener Streich über Audiolith in die Plattenregale: "Für einen Moment perfekt!"
Kobito: Kombination aus Bild und Ton.
Man merkt es ihm an. Seine Verwurzelung im Rap. Hip Hop wird seit Anbeginn von testosteronüberfluteten Muskelpaketen mit Tourette-Syndrom besetzt. Da wird alles gefickt und gedisst, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, haben keine Ideen, machen den anderen einfach nur fertig oder feiern sich selbst ab.
Kluger Rap, deren Texte auch mal wirklich nahe gehen können, reflektiert die Zeilen aufarbeiten und dem Hörer mehr bietet als nur dummes Männlichkeitsgehabe. Kobito ist Teil der TickTickBoom-Crew und früher bei Schlagzeiln aktiv. Doch spätestens seit "Augen zu" mit Sookee steht er auf eigenen Beinen. Diese Verortung wird so herrlich ironisch auf "Schlechter Scherz" mit Refpolk verarbeitet. Denn Zeckenrapstar heißt nun mal, dass niemand ihn kennt, Augenringe statt Goldketten, in jedes alternative Jugendzentrum fahren, Pfeffi trinken, niemals aufgeben, weiter machen!



"Für einen Moment perfekt" führt 15 Tracks inklusive drei Skits aus und hat eine nahezu perfekte Laufzeit von 44 Minuten. Für die Produktion verließ er sich nicht nur auf den Weggefährten MisterMo, sondern holten noch Riffsn dazu, bekannt von Großstadtgeflüster.
Die Songs zieren Texte, die mal poetisch, humorvoll oder auch reflektierend sind: eine herrliche Mischung. Dabei gehen die Beats so schön ineinander über, dass es nie öde wird. Die Platte ist enorm gut abgerundet. Auf den Songs helfen mal Amewu, Spezial-K oder Hazscara aus.
Einer der absoluten Ohrwürmer und Anspieltipp ist "Warten auf die Sonne" mit Amewu. Und Mitte September diesen Jahres kann man eben doch noch einen Sommerhit brauchen.
Schon lange bevor das Album nun rauskommt, wurde schon "The Walking Deutsch" ausgekoppelt passend zum traurigen Jubiläum der Pegida-Bewegung, die in Zeiten von erschütternden Wahlergebnissen der AfD halb ins Vergessen geraten ist. Die klare Haltung gegen Rechts, kein Wunder als "Zeckenrapstar", aber der Track ist Wahnsinn!



Das neue Album ist noch besser abgestimmt als der Vorgänger.
Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit und Verkäufe kann man auch einem TickTickBoom-Künstler wünschen!
Hier tourt Kobito im Herbst. Hingehen wird empfohlen:

27.10.16 Nürnberg - z-bau
28.10.16 Chemnitz - Atomino
03.11.16 Marburg - Trauma
04.11.16 Essen - Weststadthalle
05.11.16 Landau - Fatal
10.11.16 Mainz - Schon Schön (+ Finna)
11.11.16 Karlsruhe - Kohi (+ Finna)
12.11.16 Konstanz - Kulturladen
17.11.16 Flensburg - Kühlhaus (+ Finna)
18.11.16 Rostock - Zwischenbau (+ Finna)
19.11.16 Kiel - Hansa 48 (+ Finna)
24.11.16 Münster - Skaters Palace (+ Finna)
25.11.16 Braunschweig - Nexus (+ Finna)
26.11.16 Bremen - Schlachthof (+ Neonschwarz, Waving The Guns & Finna)
02.12.16 Kassel - Schlachthof
03.12.16 Lübeck - Treibsand
08.12.16 München - Feierwerk (+ Haszcara)
09.12.16 Würzburg - Café Kairo (+ Haszcara)
10.12.16 Göttingen - T-Keller (+ Haszcara)
15.12.16 Dresden - Ostpol
16.12.16 Hamburg - Molotow (+ Finna)
17.12.16 Berlin - Privatclub

Samstag, 10. September 2016

Pünktlich zum September: Und wieder Oktober...

www.undwiederoktober.de
(sf) In der Tradition der Münchner Wiesn, die ja entgegen ihres Namens bereits im September beginnt, wollen wir Euch heute - also praktisch viel zu früh - die Band UND WIEDER OKTOBER näherbringen, die am 14. Oktober (tadaaaa!) ihr durch Crowdfunding finanziertes Album "Könige der Stadt" veröffentlichen wird. Sie selber beschreiben ihre Musik als "Herbst-Pop", doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn die Jahreszeit markiert ja den Übergang zum kalten, dunklen Winter. Die Kölner hingegen transportieren zwar mitunter durchaus die Melancholie, die dem Herbst innewohnt, dennoch schwingt auch stets ein Hauch pathetische Fröhlichkeit mit, die lebensbejahender nicht sein könnte.

Die fünf Musikerinnen und Musiker schaffen es vom ersten Ton an, den Fokus ihrer Songs auf die sehr beeindruckenden Texte zu lenken, die durch die eindringliche Stimme von Mark Frensch überaus intensiv vorgetragen werden. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen deutschsprachige Künstler so gute Chancen haben wie selten zuvor, wäre es doch gelacht, wenn "Könige der Stadt" nicht große Aufmerksamkeit erregen würde, zumal auch Gesangskollegin Sarah Kulawik über eine bezaubernde Stimme verfügt, die sich bestens einfügt und in manchen Passagen sogar für das gewisse Etwas sorgt.

www.undwiederoktober.de
Ein weiteres Plus der Newcomer, die bislang eine selbstbetitelte EP und das Debüt-Album "Tag X" veröffentlicht hatten, ist die außergewöhnliche Instrumentierung, u. a. mit Geige, Cello, Piano und Ukulele, die dem Sound von UND WIEDER OKTOBER eine ungewohnte Tiefe verleiht.

„Könige der Stadt“ beschreibt ein Lebensgefühl, das alle Ups und Downs mitnimmt und das die Band selbst so beschreibt:

"Die frühen Morgenstunden. Der Tag befindet sich im Aufbruch. Die ersten Sonnenstrahlen gleiten durch Schluchten der Stadt und setzen den Gebäuden eine Krone auf. Für einen Moment sind wir die Könige der Stadt, wir stehen auf den Dächern, bestimmen mit dem Echolot die Tiefe vor und in uns und riechen den Regen, der noch in der Luft liegt. Der Höhenrausch hat uns im Griff, wir sehen die Schneekönigin tanzen, sie dreht tausend Pirouetten vor tausend Lichtern. Wir wagen den Kopfsprung in die Tiefe unserer Heimatstadt, halten kurz still, atmen tief ein und sind auf und davon. ‘Könige der Stadt’ erzählt eine Geschichte, vom Verlassen und Finden, von dem, was Zuhause ist. Von Wegen, die sich kreuzen und aus denen Freundschaft und Leidenschaft entsteht. Weg von dort, wo man herkommt, doch immer ein Stück der Heimatstadt im Herzen, hin zu neuen und unbekannten Ufern. Der Weg in die Zukunft liegt vor uns, wohin er genau führt ist unklar. Die Karte hat noch viele graue Stellen, doch die Reise hat begonnen und dies ist unser Soundtrack dazu."


www.undwiederoktober.de
Wenn es nach uns geht, darf der angesprochene Weg in die Zukunft ruhig ein erfolgreicher sein, denn UND WIEDER OKTOBER schaffen das Spagat, auf der einen Seite zeitweise durchaus radiotauglich zu sein, auf der anderen Seite aber so independent zu klingen, dass man fest daran glauben mag, niveauvolle Pop-Musik solle doch bitte auch weiterhin vom öffentlich-rechtlichen Mainstream verschont bleiben. Dass die Band ähnlich wie die Kollegen AnnenMayKantereit einst als Straßenkünstler anfingen, gerät dabei fast schon zur Randnotiz.


Wer sich selbst ein Bild von den fünf Kölnern machen möchte, dem sei natürlich zum Einen der Erwerb des Albums ans Herz gelegt, zum Anderen aber auch der Besuch eines der bevorstehenden Konzerte:

18.09. Horremer Cityfest, Marktplatz Horrem, Kerpen (NRW)
24.09. Bergisches Herbstfest, Lindlar (NRW)
08.10. Albumrelease-Feier, YUCA, Köln (NRW)

Weitere Termine findet Ihr sicher bald auf der bezaubernden Homepage der Band.







Mittwoch, 7. September 2016

Matthias Arfmann - "Ballet Jeunesse"


(ms)  Jetzt mal ganz ehrlich, und ich versuche für alle zwischen 18 und 35 zu sprechen: Die wenigsten von uns waren je im Ballet, Oper oder Tanztheater oder gehen dort regelmäßig hin. Okay, ins Theater gehe ich ab und an. Es ist zugegeben auch keine wiederkehrende Freizeitbeschäftigung von denen, die mit Blur, Oasis, Tomte oder Tocotronic aufgewachsen sind. Einige dieser Bands hat es schon hin und wieder ins Theater gezogen, um bei einigen Inszenierung musikalisch mitzuwirken. Wenn es dann ausverkauft war, sind die Zugpferde vermutlich auch die Musiker und nicht das Stück dahinter.
Dabei gibt es so viele ästhetische und musikalische Schätze der klassischen Musik oder des Ballet, die es wirklich in sich haben und jeden - wirklich jeden - im Nu mitreißen können.

Wie genau Matthias Arfmanns Gedankengang war, weiß ich nicht. Vielleicht war er ähnlich, angeblich war eine Grundlage, wie man es heute schaffen kann, Klassiker von Prokofiev oder Tschaikovsky in die Spotiy-Playlisten neben aktuelle Pop-Größen zu platzieren. In den 90ern produzierte Arfmann noch Blumfeld und die Absoluten Beginner, jetzt will er das Ballet reanimieren und gewissermaßen hip machen. Dazu holte er sich unter anderem Jan Delay und Kele Okerke (Block Party) ins Boot. Das Ergebnis: "Ballet Jeunesse", ein Album mit 17 Tracks, davon vier mit mehr oder weniger viel Gesang und 13 instrumental.




Die Verbindung Ballet und im weitesten Sinne Popmusik. Was für eine Mammutaufgabe. Es verwundert nicht, dass der Produzent und Mastermind dahinter sieben (in Zahlen: 7!) Jahre daran gearbeitet hat. Dass das allein nicht funktioniert, ist klar. So hat er für die Arrangements David Achinger, Sebastian Maier, Peter Imig und Milan Meyer-Kaya engagiert. Alle zusammen haben mit dem Filmorchester Babelsberg die Neuarrangements eingespielt.

Wie klingt das nun, und gehört es wirklich auf unsere Playlist?
Aus einem opulenten Werk wie "Der Nussknacker" von Tschaikovsky muss eine Essenz gewonnen werden, um den Kern plus das Neuartige in dreieinhalb Minuten zu packen. Ähnlich verhält es sich mit "Carmen" oder "Der Schwanensee". Von all den Klassikern hat man von der eigenen Tante oder in der Schule mal etwas mitbekommen, sie sind bekannt.
Der Klang ist am besten auf dem ersten Stück, beim "Nussknacker" zu hören. Leise fängt der Evergreen an, das Thema kommt einem bekannt vor. Dann setzt sanft ein Bass ein, verschwindet wieder, taucht wieder auf, wird dominanter, andere Effekte steigen ein, bis das Werk fast entfremdet wird.
Das vielleicht stärkste und prägnanteste Werk auf "Ballet Jeunesse" ist allerdings "The Lure". Das Original stammt von dem eher unbekannten Komponisten Gustav Holst und sucht auf dem Projektalbum was Dramatik und Opulenz anbelangt seinesgleichen. Es hilft möglicherweise sich das Original zu Gemüte zu führen:



Doch insbesondere in den Tracks mit Gesang, die ja nun in unsere Playlist sollen, steckt der Knackpunkt. Sie sind zum Teil durch Effekte, Synthie-Klängen, Soundschnipseln und zu guter Letzt mit dem Gesang an sich soweit vom Original entfernt, dass es nur noch selten herausblickt. Jan Delay und Schorsch Kamerun sprechen nur bei ihren Songs, singen nicht einmal, es kommt einem Hörspiel gleich.

Das eigentlich Beachtenswerte sind also die 13 Instrumentals.
Und ja, sie haben teils Ohrwurmcharakter, lassen aber nicht das Tanzbein schwingen, wollen es sicherlich auch gar nicht.
Am 21. September wird "Ballet Jeunesse" auf dem Reeperbahn Festival uraufgeführt. Wie der Plan danach ist, ob es eine Tour gibt oder es Einzug erhält in die Theater der Republik... wir verfolgen dieses vielseitige Projekt aufmerksam.
"Ballet Jeunesse" ist nichts für jeden. Die, die schon einen Einblick in die Klassik haben, tun sich bestimmt leichter daran, einen Zugang zu finden. An alle anderen: Traut Euch!