Freitag, 27. August 2021

KW 34, 2021: Die luserlounge selektiert

Foto: linkedin.com/company/34-degrees-ad-agency
(sb/ms) Einen Fernseher habe ich nicht. Klingt nach so einer unfassbar bescheuerten Selbstpositionierung, die heißt: Nein, berieseln tu ich mich nicht, ich bin besser als das, ich brauche das nicht, da läuft doch nur plumpes Zeug, das mich abstumpft, ich lese nur die Zeit und brandeins und denke über Hegel nach. Oder: Nein, lineares Fernsehen schaue ich nicht mehr. Ich schaue nur noch die 3sat Mediathek leer und genieße mein Abo der Weltkunst. Jaja, so ein Quatsch halt. Dabei kann die gleiche Aussage auch aus einem ganz anderen Blickwinkel stattfinden. Meiner ist eine Sache der Bequemlichkeit und Faulheit. Ein Fernseher passt irgendwie nicht in das Wohnzimmer und irgendwie will ich da auch kein Geld für ausgeben. Ich bilde mir lieber was ein auf das Bücher-, CD- und Vinyl-Regal. Da waber ich lieber durch meinen eigenen dämlichen Standpunkt. Klar, Streaming etc. ist hier auch an der Tagesordnung, macht ja auch Spaß. Was ich sagen will: Im Urlaub war ein Fernseher auf dem Zimmer und irgendwie war es geil, dem ganzen mal wieder ausgeliefert zu sein (Stichwort: Entscheidungsfindung beim Streaminganbieter wegen Überangebot). Einfach mal Schrott gucken. Es gibt offensichtlich eine Sendung die Grill Den Henssler heißt. So so. Oder eine total misslungene Neuauflage von MacGyver. Oder einen schlechten Trash-Film Namens Attac Of The Killer Donuts. Hätte ich vorher nicht gewusst. 

Kulturschmelztiegel luserlounge. Hier wird alles durchlaufen, alles mitgenommen. Abfahrt:

Juse Ju
(ms) Er ist einer der ganz großen Lieblinge des Blogs hier. Zum Einen ist Juse Ju halt unfassbar sympathisch. Man muss sich nur mal seine Auftritte beim Punchline-Quiz anschauen, super Typ. Zum Anderen ist quasi live mitzuerleben, wie er immer besser wird, reifer, genauer, härter, präziser, gewandter. Seit einiger Zeit veröffentlicht er monatlich einen neuen Track. Am 1. Oktober erscheint diese Sammlung auf dem neuen Album JuNi, das sicherlich sehr, sehr gut sein wird. Der neuste Beweis lautet Gargoyle zusammen mit MilliDance. Als großer WTG-Fan hätte ich vorher nie gedacht, dass diese Kollaboration so derart gut aufgeht, es ist schon der zweite gemeinsame Track. Nach dem politischen Edgelord nun ein eher biographisch, brüchiger Track, der mal wieder nahe geht. Er zeigt auch Milli von einer neuen, dieses Mal eher singenden Seite. Noch eine starke Entwicklung: Das Stück zeigt erneut, wie gut Juse als sein eigener Beatproduzent funktioniert. Wie geil ist das denn eigentlich?! 36 Tage noch warten, dann kommt das Ding!

WolfWolf
(ms) Angst. Ängste. Ihr kennt sicher auch diese lustigen, langen Wörter, die dann 'Angst vor dem leeren Bierglas' oder so bedeuten. Schöne Sprachspielerei. Banale Ängste. Auf der anderen Seite solche, die uns einfrieren lassen, bewegungslos, erschüttert zurücklassen. Ich habe zum Beispiel Angst vorm Schwimmen. Ich kann das auch nicht, ich bekomme Panik, wenn mir das Wasser zu hoch steigt. Vor zwei Jahren war ich seit vielen, vielen Jahren mal wieder in einem Schwimmbad und war wirklich besorgt vor dem Besuch. Menschen haben aber auch sicher Angst vor Schwarzen Löchern. Es gibt sie, sie sind ein gruseliges Mysterium mit der Frage im Kern: Was ist dahinter? Wo gelangt das Zeug hin, das verschluckt wurde? WolfWolf aus der Schweiz behandeln diese Frage in ihrem neuen, sinnigerweise Black Hole genannten Stück. Was für eine elektrisierende Nummer. Ich finde es geschickt arrangiert, sowohl wuchtig als auch reduziert auf zwei Instrumente plus Gesang. Und nennt mich nostalgisch: Aber der Gitarrenriff hätte in den 00er Jahren ja eine irre heiße Nummer werden können! Achja: Das Video ist auch top!

Palace
(ms) Hörgewohnheiten und die eigene Entwicklung, ich mag mich dabei selbst gern beobachten. Sicherlich hätte ich zu vor ein paar Jahren und in einer anderen als einer entspannten Situation auf dem Sofa bei Palace schnell geskippt. Doch ihre neuste Single Gravity finde ich ganz gut. Vor allem spricht mich diese ungeheure Zurückgelehntheit im Klang an, wenn ich selbst diese Position halb liegend gefunden habe. Das passt doch ganz hervorragend. Langsamkeit in Musik muss man erstmal aushalten, um sie bloß nicht langweilig zu finden. Ein paar gut eingesetzte Synthie-Klänge, eine schleppend schöne Gitarre, hoher Gesang und ein gewisser Grad an Coolness machen dieses Stück Musik sehr rund und weich. Das Londoner Quartett kündigt hiermit ihr neues, noch unbetiteltes Album an, das Anfang des kommenden Jahres erscheint. Und wie glücklich macht es mich, endlich wieder regelmäßig Konzerte anzukündigen:

19.02.22 Köln - Luxor
25.02.22 München - Strom
02.03.22 Berlin - Heimathafen
05.03.22 Hamburg - Mojo

The Blue Butter Pot
(ms) Wenn es hier um französische Bands geht, spielen sie oft elektronische Musik. Faszinierend, dass dort so eine erfolgreiche und sehr gute Szene lebt und regelmäßig große, gute, tanzbare Hits über die Grenzen spült! The Blue Butter Pot haben nun mit derartig elektronischen Effekten überhaupt nichts zu tun, davon sind sie kilometerweit entfernt. Ein anderes Instrument spielt bei denen die Hauptrolle: Die Gitarre! Und wie! Am 1. Oktober erscheint ihr neues Album Jewels & Glory! Darauf wird zu hören sein, wie die Gitarre perfekt in einem rauen Bandsound in Szene gesetzt wird. Mr Painkiller ist die erste Auskopplung und macht sehr viel Spaß. Von der technischen Seite des Gitarrenspiels habe ich keine große Ahnung, ist mir auch egal. Doch ich kann es sehr genießen, wie schwer und tief sich dieser sehr klare, markante Sound durch das Stück fräst und zusätzlich dem sehenswerten Video die genau passige, cineastische Atmosphäre verleiht! Sitzt, passt, wackelt, hat Luft!

rokotak
(ms) Wir tun jetzt so, als wenn wir hier den Namen Gisbert zu Knyphausen nicht als Referenz angeben, denn das wäre wirklich zu heftig. rokotak also. Das ist Milan Greulich, der es versteht gute, wirklich gute Texte auf deutsch zu schreiben. Denn da bin ich ganz ehrlich: Bei deutschsprachigen Liedern werte ich oft den Text wesentlich stärker als die Musik (die hier auch ganz sanft und harmonisch ist). Emma heißt das Lied, welches uns auf sein Solo-Erstling hinweist, das am 24. September erscheinen wird und den wunderwunderschönen Namen Riech An Blumen (Und Merk Dir Ihre Namen) heißt. Ich ziehe den Hut, was für ein toller, unkitschiger Name. Ich bin ein schlechter Blumenkenner ohne grünen Daumen und dieser Tage erst wurde ich strahlend auf die Nachtkerze hingewiesen. Gerochen und gemerkt. Emma wiederum ist die Begegnung im Leben, die uns Fragen stellt und die wir manchmal selbst gern sein würden, wenn wir mal wieder nicht wissen, wer wir eigentlich sein wollen. Super getextet, schön geschrieben und HIER gibt es das Lied noch samt Bandsound zu hören! Lektion 1: Nachtkerze!

Kiefer
(ms) Ein Genre, dem wir uns länger nicht gewidmet haben, ist der gute, alte Jazz. Stop! Das Wort 'alt' hat hier überhaupt nichts zu suchen. Das, was der Musiker Kiefer Shackelford, der sich für die Kunst einfach beim Vornamen nennen lässt, macht, ist ja nicht alt. Klar, sein neustes Album kommt heute (!) raus, ist also auf profane Weise aktuell. Doch es geht mir viel mehr um den Sound, das Gefühl und die Geschichten, die er mit seinem Klang erzählt. Die Platte heißt When There's Love Around und erzählt von sich selbst. Das Werk hat zwei erzählerische Hälften: Die erste erzählt zum Teil von seiner Jugend, deren Fotos er heute betrachtet und sich in Nostalgie wiederfindet, aber auch von seiner Position in der Welt, die er mitunter als klein und unbedeutend empfindet. Die zweite Hälfte wiederum ist ein spiritueller Ausflug, ein Betrachten von Trauer und Schicksal, das ihn ereilte, als seine Großmutter starb. Solch Gedanken auf instrumentaler Musik zu verwirklichen, finde ich großartig. Als Hörer nur oft schwer wiederzufinden. Da mache ich es mir oft leichter und will meine eigene Geschichte auf die Platte legen, träumen, vielleicht auch fliehen. Das fällt mir leicht bei einem sanften, sehr entspannten Klang, der stark Richtung Easy Listening geht. Das funktioniert sehr gut im Hintergrund oder bei geschlossenen Augen via Kopfhörer!

Donnerstag, 19. August 2021

The Joy Formidable - Into The Blue

Foto: Timothy Hiatt
 (ms) Es gibt nicht das eine Genre, für das ich meine Hand ins Feuer legen, das ich uneingeschränkt verfechten würde. Das wäre ja auch Quatsch. Lange Zeit dachte ich, dass das Indierock/-pop sei, lag doch damit vollkommen daneben, weil ich mich vielem anderen geöffnet habe. Dennoch bleibt der gute, alte 00er-Jahre-Indie für mich die beste Musik zum Tanzen! Worauf ich hinaus will: Es gibt ein paar Bands, die mich ungeheuer berühren. Ihr Klang geht mir derart nah, dass es mich schon oft zu Tränen gerührt habt - insbesondere live. Oft kamen dann auch noch einzelne Zeilen dazu, dich mich auf heftigste Weise in meinem Inneren gepackt haben, dass ich es kaum ausgehalten habe. Drei Bands zählen dazu, wo Klang und zum Teil der Text überwältigende Effekte auf mich ausstrahlen (die Herzensband Kettcar taucht dabei nicht auf, dafür ist ihr Klang nicht ausgefuchst genug): Get Well Soon, Tall Ships und Sigur Rós. Get Well Soon mir dem extrem feinen Art Rock und der wahninnigen Livedynamik, Tall Ships als Inbegriff konzentrierter Gitarrenwucht, Sigur Rós als die Definition perfekter, unbeschreiblicher Musik. Ich gehe nun so weit zu behaupten, dass sie eines eint: Energie, Wucht, Dramatik, Dynamik, Dichte. Man möge mir hier gerne widersprechen.

Diese sehr kleine Liste hat sich über viele Jahre gefunden. Nun steht ein Anwärter vor der Tür, den ich so nicht habe kommen sehen: The Joy Formidable aus Wales. Zugegeben: Ich kannte die Band nicht, bevor ich darauf aufmerksam gemacht worden bin. Anlauf brauchte ich kaum, sie hatten mich direkt mit ein paar Liedern komplett im Griff. Ihre Musik ist als physisches Exemplar hier teils schwer zu bekommen, sodass ich letztens das Vergnügen hatte bei meiner Postfiliale Zollgebühren für die Vinyl-Einfuhr zu zahlen. Why not?! Am 20. August erscheint ihr neues Album Into The Blue. Doch bevor ich darauf eingehe, noch ein kleiner Ausflug zur Gruppe und ihrem Klang.

The Joy Formidable ist ein Trio, das seit 2008 fünf Alben veröffentlicht hat. Matt sitzt am Schlagzeug, Rhydian (diese geilen walisischen Namen...) bedient den Bass und das Keyboard, Ritzy singt und spielt Gitarre. Hört man nun ihre Musik, ist kaum zu glauben, dass drei Menschen dahinter stehen. Zehn müssten es sein. Liveauftritte zeigen, dass sie selbstredend mit Effekten und Klängen aus dem Off arbeiten, aber eins ist absolut charakteristisch für die Gruppe: Rhydian spielt den Bass derart heftig, ausgiebig und aufgedreht, dass er stets für eine satte Basis sorgt. Ritzy wuchtet oft noch mit ordentlich Riff oder tänzelt darauf. Ad hoc sind mir kaum Gruppen bekannt, die zu dritt einen derartigen Klang generieren (können). Ah, doch... Sigur Rós...
Absoluter Höhepunkt für mich ist ihre Platte Wolf's Law. Das ist einfach nur ein krasses Brett. Eine Platte, die quasi keine Schwächen zeigt. Der Höhepunkt des Höhepunkts: The Leopard And The Lung. Das habe ich noch nicht gehört. Dieser Track verlangt mir alles ab. Das passiert nicht oft. Stark!

Into The Blue kommt an diese Platte nicht ran. Muss sie aber auch gar nicht. Ich denke, dass Wolf's Law eine Scheibe ist, die eine Band nur ein Mal macht (machen kann). Und: Wieso das gleiche nochmal machen (richtig, Konstantin Gropper)?

Elf Lieder erstrecken sich über 50 Minuten.  Und es beginnt direkt mit dem titelgebenden Stück. Der Bass wabert, das Schlagzeug schleppt, darüber das Gitarrenriff und nach gut 20 Sekunden Ritzys klare Stimme. Es ist die Energie, die in der Bridge steckt, wo sich die Gitarren überlagern und schillern. Das ist das Charakteristikum des Trios. Rhydian singt auf dieser Scheibe wesentlich mehr als zuvor, eine tolle Abwechslung. Es ist fast schon dreist, wie die Drums sich durch den Track schleppen und selbiger dennoch völlig stimmig ist.
Es folgt Chimes. Hier horche ich richtig auf. Klar, es ist Gitarrenrock, doch dieser entzieht sich dem üblichen Songwritingschema. Dominant ist das Gitarrenriff, das jedoch nie komplett in einen Bandsound aufgeht, sondern immer wieder begleitet und allein gelassen wird. Stark ist, dass diese Phasen vollkommen unvorhersehbar sind. Sevier wiederum knallt direkt ab der ersten Minute, durchaus störend, und genau das macht den Reiz aus! Es ist an dieser Stelle absolut geboten, die Boxen richtig aufzudrehen, denn dieser harmonische Krach macht sehr viel Spaß! Ich genieße es enorm, diesem Tempo und den schrillen Gitarrentönen ausgeliefert zu sein. Interval dient da fast schon als kleine Hörpause auf extrem hohem Niveau. Auch wenn Farrago mich nicht so sehr umhaut, bin ich bei den Gitarrenwänden, die ganz stark nach den Editors klingen, extrem neugierig, wie sich das wohl live anfühlen wird. Es ist durchaus vorstellbar, das man als andere Person den Abend verlassen wird. Vielleicht mit einem Gehörschaden, vielleicht aber auch mit genau dem Glück im Körper, das nur Musik darbieten kann.
Und wenn Ritzy zu Beginn auf Gotta Feed My Dog geheimnisvoll flüstert, kann eine Gänsehaut die direkte Folge sein. Die Härte des Liedes gefällt mir so derart, ich kann es selbst kaum fassen. Das Stück ist dicht, leicht mystisch angehaucht und mir idealen Klavier- oder Orgel-ähnlichen Tönen garniert. Inklusive Wendung zu einem überraschenden Zeitpunkt! Die drei haben es einfach raus! Punkt! 

Somewhere New ist eine Zäsur auf der Platte. Rhydian singt solo zu ruhigen Akustikgitarrenklängen. Ist auch ein Statement der Band: Ja, wir machen das einfach. Wir müssen hier nicht durchgehend zeigen, wie krass wir Postrock (oder was auch immer) perfektioniert haben!
Nein, Into The Blue plätschert danach keineswegs aus. Nur mir fehlen langsam die Worte für Stücke wie Bring It To The Front oder Back To Nothing. Krach, Wucht und Harmonie sind hier dicht aneinander gedrängt und gehen wunderbar auf! Left To Soon ist dann genau der Track, den dieses Album zum Schluss verdient hat. Über sechs Minuten erstreckt sich ein komprimiertes Stück Musik, das mit Lautstärke, Dynamik und Kraft nur so strotzt!

Diese Band macht mich fertig. Und ich lasse mich gerne von The Joy Formidable fertig machen. Hoffentlich kommen sie in absehbarer Zeit in unsere Gefilde. Ich kann es kaum erwarten, mich ihrem energiegeladenen Klang live ausliefern zu lassen! Was für ein Album, was für eine Band, was für ein irrer Sound!

Freitag, 13. August 2021

KW 32, 2021: Die luserlounge selektiert!

Quelle: facebook.com/radio32ag
(sb/ms) Behandeln wir eine gängige Floskel, die meines Erachtens falsch und inflationär gebraucht wird. Sie lautet: Alles Gut. Nun kann dies als Frage oder auch als Aussage getätigt werden. Nehmen wir den ersten Fall, die Frage: Die fragende Person geht also schon durch den reinen Wortgebrauch davon aus, dass zumindest gut Teil der Antwort sein wird. Ob nun wirklich alles gut sei oder nur ein gewisser Teil, steht auf einem anderen Blatt. Gut ist die Ausgangslage. Zum Einen ist das natürlich löblich und spräche für eine grundsätzlich positive Haltung der fragenden Person. Zum Anderen kann es aber auch sein, dass alles andere gar nicht zulässig ist. Im Hochglanzzeitalter des Digitalen und dem durchaus matten analogen Gegenentwurf ein Widerspruch. Die aufpolierte Erscheinung im Telefon ist immer gut, da ist alles gut. Ob es dahinter brüchig oder gar schlecht ist, darüber wissen wir nichts oder zumindest zu wenig. Das ist also der Wortgebrauch in der Frage, äußerst fragil und mit einer ganz eigentümlichen Anspruchshaltung. Nun also zur Aussage. Meist ist dieses Alles Gut etwas Nachgeschobenes. Vorher gab es irgendetwas zu besprechen, bereden, vielleicht lag sogar ein Problem in der Luft, jemand wollte etwas und bekam vielleicht nur eine unzureichende Antwort, geht in den Dialog und sagt dann später dennoch: Alles Gut. Offensichtlich ist es das ja nicht, denn vorher war etwas nicht in Ordnung und dieses Alles Gut ist noch keine Aufhebung in die vollkommene Zufriedenheit. Die Aussage in dieser Situation zieht auch immer einen Auftrag hinter die Person, die es zu hören bekommt - so ganz perfide unter einem scheinbar freundlichen Gesichtszug.
Wo liegt nun also das Problem? Ganz klar: In der schwachen sprachlichen Ausformulierung. Sie kann Angst beinhalten, Scheu vor Konfrontation oder gar Desinteresse (insbesondere bei der Frage). Forderung: Konkreter sprechen!

Sehr gut wiederum ist, dass wir erneut selektiert haben. Wie jeden Freitag. Luserlounge hier. Kulturhölle.

Bayuk
(ms) Musik und wie sie zu bewerten ist. Das ist durchaus der Gegenstand dieses Blogs. Und damit oft eine ziemlich heikle Angelegenheit. Zunehmend ist mir meine eigene Erwartungshaltung an Musik völlig fremd. Wer bin ich, dass ich mir ein Urteil erlaube? Nun gut, zum Teil nehme ich es mir einfach raus, zum Anderen glaube ich auch, dass ich das gut kann. Doch das Problem bleibt. Nehmen wir Bayuk. Sein Album Rage Tapes finde ich umwerfend. Es ist eine ganz eigene Art der sanften, eindringlichen Popmusik. Am 27. August erscheint der Nachfolger mit dem wunderbaren Titel Exactly The Amount Of Steps From My Bed To Your Door. Wie hochromantisch und irgendwie schon direkt brüchig. Warum zählt die Person? Weil sie es nicht abwarten kann, sich freut oder gar fürchtet? Irgendwie wollte ich lange Zeit, dass Bayuk mich exakt mir einer gleichen Platte, wie er sie schon gemacht hat, umhaut. Aber wieso sollte er das tun? Wieso etwas nochmal machen? Eben! Ich vermute, dass er auf der neuen Scheibe ein wenig poppig zugänglicher sein wird und seine Fähigkeiten im lyrischen Bereich stark ausgebaut hat. Dafür spricht auch, dass er das Album auf Monchique herausbringt, das Labes des hier sehr verehrten Tobias Kuhn (Miles, Monta!). 200 Miles ist die nächste Auskopplung. So sanft und furchtbar direkt. Erneut zeigt Bayuk zudem, dass er ein ganz feines Händchen für tolle, sehenswerte Musikvideos hat! Bitte sehr: 
 
 
We Are Scientists
(ms) They never disappoint! Das ist eine absolute Wahrheit bei dieser Gruppe. Auch wenn sie nicht mehr in dem Scheinwerferlicht stehen, woher sie kommen. Zahlreiche Faktoren sind da sicherlich am Werke: Streaming, lange im Geschäft und vielleicht das kleine bisschen zu unter dem Radar, dass es eben nicht für die großen Shows und späten Slots auf Festivals reicht. Doch We Are Scientists sind immer noch ziemlich super und beweisen auf ihrer neuen Single eine Menge Humor. Reaction-Videos sind so eine Sache, habe ich mir mal angesehen, kann durchaus unterhaltsam sein! Genauso ist Handshake Agreement gestaltet mit einem Host, der die Band genauso abfeiert als sie auch während des Songs grillt. Erdreisten sich die Musiker wirklich leicht pathetisch zu tanzen?! Ja, es bringt den Sprecher auf die Palme. Schmunzelnd ist dieses Video zu genießen, der Song tritt dabei tatsächlich ein wenig in den Hintergrund, aber egal. Für den kleinen Spaß geht das absolut klar. Das Album Huffy erscheint am 8. Oktober und könnte ziemlich gut werden!

 
Akne Kid Joe 
(sb) Sie sind ja schon ein Phänomen. Sie können nicht gut singen. Irgendwie hat man auch den Eindruck, dass mitunter eher die Instrumente die Bandmitglieder beherrschen als andersrum. Und dennoch: Wie gut, dass es Akne Kid Joe gibt, denn die Franken sind so ungemein unterhaltsam, dass man nicht mehr auf sie verzichten möchte. Und auch wenn, sie im Pressetext vehement auf humoristische Art und Weise bestreiten, sich in Pandemiezeiten weiterentwickelt zu haben, so haben sie gerade textlich doch nochmal eine Schippe draufgelegt. Für die Frechheit, zweimal das exakt gleiche Lied (mit Ausnahme von zwei Wörtern) aufs Album Die Jungs von AKJ (VÖ: 27.08.) sollte man dem Quartett jedoch die Löffel langziehen - oder sie halt feiern. Ach, was solls, weil Freitag ist: Wir feiern sie! Schließlich sind RaR und RiP nur einmal im Jahr. Zwar nicht für uns, weil wir beide Groß-Festivals ablehnen, aber egal. Im übrigen lohnt es sich, das Album bis zum Ende anzuhören, denn der eigentliche Höhepunkt der Scheibe ist der Bonus-Track.


Swutscher
(ms) Natürlich hat mich dieser Song schon mit den ersten Worten komplett gepackt. Und das liegt nicht am Inhalt, sondern an der herrlich rauen Stimme des Sängers von Swutscher. Wie Sascha selbstbewusst unperfekt ins Mikrophon 'singt', das muss direkt sympathisch sein. Dazu kommen die Klavierklänge, die dem Lied Daheim direkt eine etwas melancholisch-pathetische Ebene geben und dort schön glänzen. Natürlich wirkt der kleine Text mit diesem Video umso besser. Einfach mal eine Single raushauen, ziemlich guter Schachzug. Immer raus mit dem, was raus muss, sich aufdrängt, einen kreativen Kanal braucht. Im Zuge dieses Liedes fällt mir auf: Seit ein paar Jahren spielt das Thema 'Heimat', das ja sonst komplett von rechten Spinnern besetzt ist, auch in musikalisch liberalen oder linken Kreisen eine nicht unwesentliche Rolle. Wie Thees Uhlmann sich auf Hemmoor bezieht, ist krass. Auch Feine Sahne Fischfilet legen großen Wert darauf, immer wieder zu betonen, woher sie kommen. Sollte es nicht gerade denen egal sein?! Oder ist das generell gesagt nicht komplett Wurst?! Wahrscheinlich eher letzteres. Denn die Heimat, das Zuhause ist auch immer ein romantischer Ort. Davon singen Swutscher hier sehr eindringlich.


Indigo De Souza
(ms) Am 27. August wird ein Album erscheinen, das... naja, das auf jeden Fall sehr schwer zu beschreiben ist. Ursprünglich wollte ich das Wort spannend benutzen, doch alle die Captain Fantastic gesehen haben, wissen dass dieses Wort verschwinden muss. Vielschichtig, unerwartet, gewissermaßen herausfordernd ist das, was Indigo De Souza hier auf Any Shape You Take vollbracht hat. Salopp nach dem ersten Hören dachte ich, das sei recht belangloser Radiopop. Doch mal wieder wurde ich eines Besseren belehrt, ließ mich drauf ein, habe weiter gehört und war ganz verwundert. Pop ist schon, klar. Aber es ist auch Indie, Soul, R'n'B und immer verdammt unvorhersehbar und klug gemacht. Ihre Texte scheinen einfach, doch gerade diese Schlichtheit macht es so ungeheuer eindrück- und zugänglich. Zudem sind ihre Videos absolut sehenswert, bunt und laut sind sie, zum Teil ein Kontrast zu ihrer Musik. Sowohl bei Hold U als auch auf Kill Me spielt sie in hervorragender Weise mit der Darstellung sexueller Identitäten, löst sie auf, mischt sie, macht sie egal, so wie es sein soll. Hauptsache wohlfühlen. Das ist schlau und verdammt catchy produziert. Gutes Ding!


Neonschwarz
(ms) Zugegeben: Dieser Name tauchte hier für sehr lange Zeit nicht mehr auf. Der Pressetext spricht von drei Jahren Pause für Neonschwarz! Zum Glück nicht lang genug, um irgendwen auch nur annährend zu vergessen. Seit zehn Jahren steht das Quartett für Leichtigkeit, Party, klare, linke, politische Ansage und Eskalation auf der Bühne. Salto Mortale ist nun der Track, mit dem sie sich in dieser Woche zurückmelden. Unverschämt, wie locker der Beat wummert, das macht einfach wieder unglaublich viel Spaß. Neonschwarz haben eh ein Alleinstellungsmerkmal: Derartigen Rap - Party, Jogginghose, Haltung - findet sich in dieser Kombination wohl kaum woanders. Daher füllen sie erneut die von ihnen still zurück gelassene Lücke: Molli, Hitze auf der Bühne, neonschwarzer Blockpartysound in der Stadt, Zirkusnummer und selbstredend sich selbst als die Geilsten feiern. Das ist klar. Gut, dass sie wieder da sind! Kommendes Jahr geht es wieder auf Tour. Ich gehe davon aus, dass passend dazu ein neues Album da sein wird. Flirrende Luft inklusive!

25.03.2022 Jena - Kassablanca
26.03.2022 München - Technikum
08.04.2022 Hannover - Pavillon
09.04.2022 Mannheim - Feuerwache
22.04.2022 Leipzig - Werk2
23.04.2022 Stuttgart - Im Wizemann
06.05.2022 Hamburg - Uebel & Gefährlich
07.05.2022 Hamburg - Uebel & Gefährlich
20.05.2022 Berlin - Festsaal Kreuzberg
21.05.2022 Düsseldorf - zakk

Montag, 9. August 2021

Konzertbericht: Ein Abend in der und mit PROVINZ!

(sb) Unfassbar! Am 05.08. besuchte ich zum ersten Mal seit Januar 2020 wieder ein Konzert. Über 1 1/2 Jahre ohne Live-Musik... Und was hätte es Schöneres geben können als ein Open Air mit einer geliebten Band direkt am Ufer des Bodensees? PROVINZ gaben sich in der oberschwäbischen Heimat die Ehre und bestanden auf einen Auftritt unter freiem Himmel - und das, obwohl es in den vergangenen Tagen des Öfteren wie aus Eimern geschüttet hatte. Selbst am Nachmittag des Konzerts kam noch der ein oder andere Schauer runter, aber was solls? 

Im Rahmen des Programms "Kultur am Ufer" hatte das Kulturbüro Friedrichshafen ganze Arbeit in Sachen Booking geleistet: Steiner & Madlaina, Oehl, Enno Bunger, Provinz und einige mehr mach(t)en einen Abstecher an den Bodensee. Große Begeisterung!

Leider war das Marketing im Vorfeld etwas, äh, ausbaufähig, sodass ich vom Auftritt von Provinz erst
erfuhr, als es schon zu spät war. Ausverkauft. Scheiße! Aber hey, a bisserl was geht immer und so hatte ich diesmal Glück in Person einer Freundin meiner Frau, die eine Karte übrig hatte. Und mal ganz ehrlich: Wie oft sieht man schon ein Konzert in der Location, in der man auch geheiratet hat? Zur Erklärung: Im Graf-Zeppelin-Haus befindet sich auch das Standesamt der Stadt Friedrichshafen...

So, genug gequatscht, wir sind ja schließlich die luserlounge und kein Boulevardmagazin! Wir schlugen also um 19.15 Uhr am GZH auf, setzten unsere Masken auf, ließen die 3G-Prüfung über uns ergehen und rein aufs Konzertgelände. Ein Konzertgedeck (Pommes & Bier) später betraten die vier Oberschwaben auch schon die Bühne und wurden herzlich empfangen. Kein Wunder, denn Vogt, der Heimatort von Provinz, ist gerade mal gut 30 Kilometer von Friedrichshafen entfernt. Entsprechend viele Freunde und Verwandte der vier Musiker waren unter den rund 500 Zuschauern und sorgten für eine fast schon heimelige und intime Atmosphäre.


 

Überhaupt: Wie traumhaft war denn dieses Panorama bitte? Wie erhebend muss es sein, auf der Bühne zu stehen, auf das Publikum und dahinter auf den See und die Schweizer Alpen zu blicken? Der Stimmung tat es definitiv keinen Abbruch, dass sich das Regenwetter verabschiedet hatte und das Konezert unter freiem Himmel stattfand. Selbstverständlich leisteten auch Provinz ihren nicht unerheblichen Beitrag, dass minütlich mehr strahlende Gesichter am Ufer des Bodensees zu sehen waren. Die Stimme von Sänger Vincent Waizenegger zog die Besucher vom ersten Ton an ihren Bann und ließ sie nicht mehr los. Ganz besonders in den Passagen, wenn er alleine auf der Bühne performte, sorgte er für ordentlich Gänsehaut. Highlight war vermutlich das gesungene Dankeschön an seine Eltern namens "22 Jahre". Wow, was für ein großartiger Song! Und live halt nochmal so viel intensiver als auf CD...

Auch das Tanzbein durfte ordentlich geschwungen werden, und bei "Tanz für mich" (sic!) folgten selbst die älteren Semester der Aufforderung von der Bühne. Es war einfach ein unheimlich harmonischer Abend am Abend des Bodensees, gepaart mit emotionalen Höhepunkten ("Augen sind rot", "Großstadt", "Du wirst schon sehen") und "Diego Maradona" zum Ausrasten. Als Abschluss wählten Provinz dann "Reicht Dir das", einen ihrer besten Songs, der gleichzeitig auch als Downer zur Geltung kam.

Ganz, ganz großartig wars!


Sonntag, 8. August 2021

Leselounge: Christopf Dallach - Future Sounds

 

Quelle: suhrkamp.de
(ms) Als ich das Buch in der Hand hielt, dachte ich: 'Das habe ich doch letztes Jahr erst gelesen.' Ob Christoph Dallach vorher Rüdiger Esch gefragt hat oder ob es die Idee des gemeinsamen Verlags Suhrkamp war, weiß ich nicht. Im Grunde genommen ist es mir auch egal. Verwundert hat es mich dennoch. Beide Bücher behandeln das große, weite Thema Krautrock und sind im absolut identischen Stil verfasst. Geschrieben im klassischen Sinne sind sie nur so halb. Die beiden Werke bestehen aus sehr geschickt und gut geordneten Zitaten eben der ProtagonistInnen, die diesen Sound, der alles andere als einheitlich war, geprägt, gemacht, erdacht haben.

Eigentlich gibt es auch nur einen Unterschied zwischen Future Sounds und Electri_City, könnte man provokant in den Raum werfen. Esch hat sich radikal auf den Düsseldorfer Raum beschränkt und somit ein sehr klares Bild aus einem sehr kleinen Raum erschaffen. Bestechend dabei, wie einzelne Straßennamen und Clubs wichtig wurden.
Christoph Dallach, der unter anderem für die ZEIT schreibt, spannte den Bogen wesentlich weiter, warf den Blick auf die ganze BRD, England, Frankreich. Daher stehen beide Bücher überhaupt nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sie ergänzen sich in hervorragender Weise! Future Sounds ist ein Buch, das die unterschiedlichen Bewegungen des Krautrock ins Visier nimmt. Den Krautrock gibt es nicht. Das kann eine der wesentlichen Thesen sein, die immer wieder durchleuchten. Viele Bands kannten sich untereinander gar nicht, die heute, viele Jahre später in einen Topf geworfen werden. Und das ging mir bei den gut 500 Seiten beim Umblättern ständig so.

Ich bin viel zu jung, um irgendeine Verbindung zum Krautrock zu haben. Dass dieses Genre nun wiederentdeckt wird, würde ich für meine Generation auch überhaupt nicht behaupten. Die um-die-30-Jährigen aus meinen Kreisen kennen, wenn es gut läuft, Kraftwerk. Punkt. Klar, die Düsseldorfer waren auch mein Ausgangspunkt. Doch nun, nach der Lektüre beider Werke, ist mir eines total klar: Die waren immer unglaublich verschroben. Genial, aber auch irgendwie autistisch. Die wollten mit dem Rest auch gar nichts zu tun haben. Sicherlich waren sie ab den 70ern auch wesentlich zugänglicher als manch andere. Ein großer Pluspunkt an Future Sounds ist eben, dass Kraftwerk hier nur gestreift werden (und ein Minuspunkt dieses Textes, dass ich das erwähne).
Andere Bands haben eine wesentlich bessere Geschichte zu erzählen. Ihre Namen und Mitglieder waren mir vorher auch vollkommen unbekannt. Dallach hat mir hier eine Wissenslücke gefüllt. Vielen Dank an dieser Stelle. Logisch, von Can habe ich auch gehört, aber mich nie so wirklich mit der Gruppe beschäftigt. Tangerine Dream, Faust, Amon Düül oder gar Amon Düül II sagten mir vorher nichts. Jetzt bin ich schlauer und ziemlich angefixt. Hört man beispielsweise Faust, wird schnell klar, dass deren Musik mit Kraftwerk nichts zu tun hat. Nochmal: Der Begriff Krautrock vereinheitlicht nicht zu Vereinheitlichendes. 

Genau wie bei Esch sind es hier die Menschen, die ihre Geschichten erzählen. Genau das macht diese Lektüre so unglaublich einnehmend. Viele ProtagonistInnen sind vollkommen durchgeknallte Leute. Klangnerds ohne Ende. Pioniere auch oft. Das Wunderbare an diesem Buch geschieht gleich zu Anfang. Da spannt Christoph Dallach den Bogen sehr gut: Von der Musik, wie es sie vor dem zweiten Weltkrieg gab und welche Sehnsucht und welches Selbstverständnis danach hierzulande herrschte. Wo es noch Anknüpfungspunkte gab, was sich nicht schickte und wo radikal gedacht wurde, gedacht werden musste. Phantastisch.
Sehr unterhaltsam ist dieses Buch. Und ehrlich. Einige Menschen widersprechen sich in ihren Meinungen, Anschauungen. Dass das genau so stehen gelassen wird, ohne jeglichen Kommentar oder redaktionellen Eingriff, ist so einfach wie mutig. 

Wer also etwas über eine sehr kleine Szene wissen will, die erst viel, viel später Anerkennung bekommen hat, nie erfolgreich und dennoch so unglaublich prägend war, sei dieses Buch an die Hand gelegt. Ich fand mich eines Abends wieder und sah mir eine Doku über Karlheinz Stockhausen an. Hätte ich vorher auch nicht gedacht.

Freitag, 6. August 2021

KW 31, 2021: Die luserlounge selektiert

Bild: https://de.123rf.com
(ms/sb) Dass Urlaub eine phantastische Sache ist, muss hier nicht weiter ausgeführt werden. Das ist genauso ideenlos, wie übers Wetter zu palavern. Aber ich mache es trotzdem, einfach weil es geht! Wo ich war und was ich da gemacht habe, gehört hier nicht hin. Für einen Zwischenstop waren wir in einer Jugendherberge, die derart weit weg von der Zivilisation war, dass es nicht mal sauberen Handyempfang gegeben hat. Klar, auch ich schaue im Urlaub regelmäßig auf das kleine schwarze Ding mit dem leuchtenden Bildschirm. Sicher auch mehr, als es gut wäre. Das weiß ich alles. Doch erst, wenn die äußeren Bedingungen nichts anderes zulassen, kann ich es genießen. Es einfach hinnehmen, dass dort nichts auf der Mattscheibe ankam, tat gut. Mehr in die Wolken gucken, einfach mal den Moment genießen ohne ein pseudomodernes Wort wie Entschleunigung, Achtsamkeit oder Selfcare zu nutzen. Das hebt einen schönen, leisen Moment viel zu sehr in ein ach-so-wichtige Ebene, die es nicht braucht. Einfach mal genießen. Punkt. Manchmal auch erst mit Zwang.

Es ist Freitag. Wir zwingen alle, die Selektion zu genießen! Neue Musik, alles mal wieder sehr gut!
 
Jack In Water
(sb) Pop as pop should be! Jack In Water war mir vor Erhalt der Promo-Mail gänzlich unbekannt und dass ich mir sein Album You Don't Feel Like Home (VÖ: 27.08.) komplett anhören konnte, war eher Zufall. Wie dem auch sei: Klasse Ding! Manchmal ein wenig Coldplay-esk, aber insgesamt etwas gedämpfter und (genau deswegen?) deutlich angenehmer. Beim Briten ist nicht alles Friede Freude Eierkuchen, auch sexueller Missbrauch, Alkoholismus und der Tod werden thematisiert. Besonders berührt haben mich der Titeltrack des Albums sowie der Song Just Smile. Würde mich sehr freuen, wenn Will Clapson (so der bürgerliche Name des Künstlers) nicht als Geheimtipp endet, sondern eine breitere Masse mit seiner Musik erreicht.


Max Richter
(sb) Bei der englischen Vokabel Exiles kam mir bisher folgende Textzeile meiner Lieblingsband Therapy? in den Sinn: These exiles that we are / Isolated on a distant dying star! 
Dies ändert sich nun nachhaltig, denn Max Richter veröffentlicht heute ein gleichnamiges Album, das mich vom ersten Hören an in seinen Bann gezogen hat. Ich kann noch nicht mal näher definieren, was genau mich so fasziniert, doch gelingt dem deutsch-britischen Komponisten das Kunststück, gleichzeitig ungemein beruhigend als auch aufwühlend auf den Hörer einzuwirken. Das Baltic Sea Philharmonic spielte das 33-minütige Werk unter der Leitung von Kristjan Järvi in Tallinn ein und verleiht der Musik die den Motiven der Stücke angemessene Intensität.
Exiles nahm seinen Anfang vor zehn Jahren, mit der Hoffnung, die der Arabische Frühling brachte. Erschüttert von der Not von Millionen, die bis heute fern der Heimat Zuflucht suchen, wurde die Arbeit des renommierten Komponisten und Aktivisten zu einer langen musikalischen Auseinandersetzung mit der Tragödie der "Migrantenkrise".
Für mich bisher eins der stärksten Alben des Jahres 2021 - lasst Euch das nicht entgehen, wenn Ihr ein Faible für Klassik habt!


Swiss + Die Andern & Diggen
(ms) Der Ausflug zum Linksradikalen Schlager von Swiss war genauso genial wie abgrundtief grauenvoll. Die Idee war natürlich super, aber hörte sich dann doch einfach nur furchtbar an. Gut, dass das nur eine Episode war und er sich nun wieder dem Punkrock widmet. Was ich an Swiss + Die Andern so mag ist die kompromisslose Härte und Provokation. Längst würde ich nicht jeder Aussage aus seinen texten zustimmen, aber sie packen mich dennoch. Zwei Mal habe ich sie live gesehen und sie bringen eine Energie auf die Bühne, die kaum zu fassen ist. Sehr geil! Nun also (endlich) wieder harter Punkrock und nicht allein das. Zusammen mit Diggen von Slime bringen Swiss + Die Andern am 1. Oktober eine EP namens Keine Gewalt Ist Auch Keine Lösung raus. Sie greifen gemeinsam an gegen laute Krakeeler, rechte Deppen, Fehler im System und Polizeigewalt! Ab heute ist die Doppelsingle Keine Gewalt / Plenum zu hören und sie hält, was sie verspricht! Voll auf die Zwölf! Endlich wieder!


Montreal
(ms) Am 14. März 2008 war ich im Bielefelder Jugendzentrum Kamp, um Montreal zu sehen. Ich meine, dass es zwischendurch finanziell sehr knapp um das Kamp aussah. Es war und ist eine wichtige Institution der Bielefelder Kultur und ein astreiner Laden. Die Hütte damals war ziemlich gut besucht, sehr warm, sehr geil. Es war eine der ersten Berührungspunkt mit Montreal für mich und sicher auch der Bleibendste, als wir Drummer Max Power mit drei, vier Leuten durch den Raum getragen haben, damit er an der Bar einen Schnaps trinken kann. Stark, dass sich die Band immer noch so gut behaupten kann und unermüdlich tourt, Songs aufnimmt, Alben veröffentlicht. 2003 hat sich die Gruppe gegründet, Zeit also für einen kleinen Blick zurück, die gute, alte Werkschau. Am 24. September erscheint Bestandsaufnahme 2003 - 2021! Schon der Prozess dahin zeigt, was die Musizierenden auszeichnet: Ein wichtiger Draht zu den Hörenden. Die konnten abstimmen, welche Lieder auf dem Best Of zu hören sind. Oben drauf gibt es drei neue Tracks. Einer davon, Danke Für Die Nase, ist seit dieser Woche zu hören! Drücken wir die Daumen, dass auch alle kommenden Konzerte genauso stattfinden können, dass Max Power nicht durstig nach Hause gehen muss!

06.08.21 Eschwege, Insel Flair
07.08.21 Elend, Rocken am Brocken
08.08.21 Koblenz, Kulturfabrik
10.08.21 Köln, Kantine Open Air
11.08.21 Osnabrück, Hafen Sommer (Ausverkauft)
12.08.21 Hannover, Komm Raus
13.08.21 Georgsmarienhütte, Hütte Rockt (Ausverkauft)
14.08.21 Stemwede, Stemwede Open Air
21.08.21 Rietberg, Getöse Festival
27.08.21 Hamburg, Lattenplatz
28.08.21 Meppen, Picknick Festival
04.09.21 Geesthacht, Pegasus Waterkant
18.09.21 Leipzig, Dreck & Glitzer Open Air


Zahn
(ms) Seit einiger Zeit lassen mich viele Musikvideos absolut ratlos zurück. Sie sind mit einer ganz bewussten schlechten Optik garniert. Was soll das? Alles ist retro geworden, Schlaghosen und Bauchfrei wieder in und nun auch die optische Untermalung eines wirklich knallharten Stücks Musik? Das muss echt nicht sein. Logisch, ein Lyric Video würde für Zahn nicht passen, da das Trio ausschließlich instrumentale Musik macht. Und was für welche! Hier empfehle ich mal wieder das Hören über Kopfhörer. Die Wirkung ist sehr gut, schnürt einem die Atemwege zu und dröhnt ordentlich durchs Oberstübchen! Aykroyd ist nicht nur ein kryptischer Name, sondern auch die erste Auskopplung der kommenden Platte (VÖ 20. August), die auf den Bandnamen hört. Druckvolle Gitarrenmusik, die mit Schwere glänzt und dazu absolut hypnotisch, psychedelisch wirkt! Richtig gut!


Hippo Campus
(ms) Auch das folgende Video zeichnet sich durch eine miese Optik aus. Aber es scheint modern zu sein und zum Glück ist Kunst ja immer noch Geschmackssache. Mein Geschmack wird hier von Hippo Campus musikalisch in jedem Fall angesprochen, da sie unverschämt lässige Gute-Laune-Musik machen, bei der man an gar nichts denken, sondern ausschließlich genießen muss. Heute erscheint die neue EP Good Dog, Bad Dream der Band aus Minnesota. Die Gruppe besticht halt durch eine Musik gewordene Coolness und Leichtigkeit, die so selten zu vernehmen ist. Bei Indiepop ist natürlich das goldene 00er-Jahrzehnt die absolute Leitlinie. Hier greifen die Fünf direkt an, ein Gesang, der auch mal in Spoken Word-Manier daher kommt und irre catchy packt. Gitarren, die sich durch die Takte schlängeln ohne als allzu virtuos rüber kommen zu müssen, sondern einfach nur im Hier und Jetzt stattfindet. Richtig, richtig gut!


Goldroger
(ms) Sehr sympathisch, Teil 1: Wenn ein Track aus einem Album ausgekoppelt wird, das schon längst erschienen ist. Sehr sympathisch, Teil 2: Wenn Musik als Eigentherapie genutzt wird und knallhart ehrlich ist, allen und vor allem sich selbst gegenüber. Sehr sympathisch, insgesamt: Goldroger! Brandlöcher ist schon längst auf seinem aktuellen Album zu hören und nun mit Video zu sehen. Viele Rapper texten über ihre Drogenerfahrungen, von Zugezogen Maskulin bis sookee. Nun auch Goldroger, der über seinen exessiven Graskonsum berichtet. Eine Droge, die lange Zeit sein gesamtes Dasein bestimmt hat, den Tagesablauf und gar den Sex. Natürlich ist das traurig, auch wenn der Rausch noch so schön ist. Der Droge hat er nun den Rücken gekehrt. Ich denke, dass Musik nie den Anspruch haben muss, moralisch zu sein. Auch dieses Stück nicht. Musik muss nicht belehren. Aber sie kann helfen. Und wenn sie dem Interpreten hilft, ist das immer eine gute Sache. Sehr mutig, sehr gut!