Freitag, 28. September 2018

KW 39,2018: Die luserlounge selektiert

Quelle: twitter.com/39essexchambers
(sb/ms) Ist das jetzt also der Herbst? Möglicherweise. Temperaturfall von fünfzehn Grad innerhalb einer Woche. Als ich letztens nachts von der Arbeit kam, hörte ich noch Radio und für die etwas höher gelegenen Teile Nordrhein-Westfalens wurden dann tatsächlich Temperaturen um den Gefrierpunkt angekündigt. Schnell mal Mütze und Handschuhe aus der Mottenkiste geholt. Dann kann man wenigstens jetzt guten Gewissens Spekulatius und Dominosteine kaufen, ohne dass die traurig dahin schmelzen. Was aber so richtig traurig ist, ist, dass Scrabble umbenannt worden ist. Das geht prinzipiell klar, wenn der neue Name denn gut ist: Never change a winning game. Aber was kam dabei heraus? Buchstaben-Yolo. Heidewitzka. Da kann man sich ja nur noch eine riesige Kiste Bier kaufen und neue Musik entdecken:

108 Fahrenheit
Vor drei Jahren haben wir Euch mal die Leipzig-Dresdener Band 108 Fahrenheit präsentiert mit ihrem Debutalbum Mein Herz. Erstaunlich tiefe und berührende Texte, sanfte und direkte Musik, die das Leben mit seinen Ecken und Kanten beschreibt, wie es nun mal ist. Wir waren super angetan und hätten sie gerne live gesehen, doch sie spielen hauptsächlich im östlichen Deutschland. Wie auch immer... Jetzt sind sie mit neuem Material wieder da und es beweist ein weiteres Mal, wie viel Energie Musik haben kann, wenn man ihr Video zum Lied Wie Früher sieht. Nehmt Euch bitte die Zeit und schaut es an. Große Klasse, wunderbar berührend. Umso schöner, dass am 19. Oktober das zweite Werk Kein Herz erscheint. Dazu natürlich auch eine entsprechende Tour, schaut bitte vorbei wenn Kai Niemann und seine Mitmusiker wieder auf Reisen gehen:

02.11. - Chemnitz, Weltecho
03.11. - Gera, Kaiserwerke
04.11. - Berlin, Austerwerke
05.11. - Hamburg, Astrastube
06.11. - Köln, Kulturcafé Lichtung
07.11. - Mannheim, Capitol
08.11. - München, Zehner
11.11. - Leipzig, Neues Schauspiel
13.11. - Jena, Café Wagner
14.11. - Erfurt, Museumskeller



The Beatles
Wie jetzt? Neues von The Beatles? Nicht ganz, aber dennoch ein aufsehenerregender Release, der uns da bevorsteht, denn das legendäre White Album wird 50 und aus diesem Grund neu aufgelegt - und wie! Am 9. November 2018 veröffentlichen die Fab Four eine Reihe aufwendiger Packages (Vinyl- und CD-Varianten) auf Apple Corps Ltd./Capitol/UMe; die 30 Tracks des Albums wurden von Produzent Giles Martin und Mix-Engineer Sam Okell in Stereo und 5.1 Surround Audio neu gemischt. Zusätzlich enthält der Release 27 frühe Acoustic-Demos und 50 Studioaufnahmen, von denen die meisten bisher noch nicht erhältlich waren. Wow!



Charlotte Brandi
Ihre Mutter war Musikerin, sie ist es auch geworden und hat mit dem Duo Me And My Drummer zwei schöne Alben aufgenommen. Nun wurde diese Band aufgelöst und im gleichen Atemzug hat Charlotte Brandi ihr Solodebut bekannt gegeben: Anfang kommenden Jahres wird The Magician bei PIAS erscheinen. Das Klavier soll wieder in seinem puren Klang im Vordergrund stehen. Und das wird es auch tun, wie wir uns beim Reeperbahn Festival schon überzeugen lassen konnten. Einen Eindruck vom kommenden Werk gibt es mit dem herrlichen Song Two Rows, lasst euch bezaubern und mitnehmen:




The Run Up
So, wir geben nochmal ordentlich Gas, denn heute erscheint die Good Friends, Bad Luck-EP von The Run Up bei End Hits Records. Da wird ordentlich durchgeknüppelt - zum Arbeiten und Autofahren genau das Richtige! Es ist immer wieder schön, wenn man von Labels mit Bands versorgt wird, die einem auf Anhieb gefallen und von denen man sofort mehr hören möchte.




AnnenMayKantereit
Ach du liebe Güte. AnnenMayKantereit werden am 7. Dezember ein neues Album veröffentlichen. Ja klar, die sind immer noch extrem sympathisch und nette Jungs, denen man stets zugute halten muss, dass sie es von Straßenmusikern in die richtig großen Hallen und auf alle wichtigen Festivals geschafft haben. Doch die anfängliche Begeisterung, die wir auch vor einigen Jahren verspürt haben, verblasste extrem schnell, als klar wurde, dass die Band nur einen Trumpf haben: die Stimme. Das ist ganz egal, was Henning May singt, es kann eine Packungsbeilage sein, ein Protokoll vom letzten Elternabend oder die Saunachrichten. Alles würde ein Hit werden. So lahm ist auch der neue Song Marie aus dem Zweitling Schlagschatten, der dann wahrscheinlich ein riesiger Erfolg wird. Nun gut...



EAV
Ehre, wem Ehre gebührt und so findet sich auch die EAV in unserer Selektion wieder. Seit mehr als 40 Jahren besteht die Erste Allgemeine Verunsicherung nun schon, nächstes Jahr soll aber endgültig Schluss sein, die finale Tour ist terminiert und mit Alles ist erlaubt erscheint heute das vermutlich letzte reguläre Album der Bandgeschichte. Sage und schreibe 10 Nummer 1-Alben in Österreich (in Deutschland hat es maximal zu Platz 2 gereicht) haben Klaus Eberhartinger und seine Kollegen produziert, immerhin vier Singles schafften es in die deutschen Single-Top 10 - da dürfen sich die neuen Pop-Heroen aus der Alpenrepublik wie Wanda und Bilderbuch aber ordentlich strecken, um diese Erfolge auch nur annähernd zu wiederholen.

Was aber sucht die EAV denn nun in der sonst ach so coolen und hippen luserlounge? Ganz einfach: ich (sb) bin mit der Musik der Band aufgewachsen, ihre Kassetten (ja, Kassetten!) liefen in meiner Kindheit andauernd und noch heute kann ich die Texte ihrer größte Hits problemlos mitsingen, wie ich erst kürzlich auf der Heimfahrt aus dem Italien-Urlaub feststellen konnte. Damals waren es die witzigen Texte, die mir gefielen, erst viel später merkte ich, dass die EAV eine hochpolitische Band ist, die sich sehr stark gegen Rechtsextremismus engagiert und bei der Kirchen- und Gesellschaftskritik zu keiner Zeit zu kurz kommen. Auch auf Alles ist erlaubt holen die Österreicher nochmal zum Rundumschlag aus und manchmal bleibt einem das Lachen fast ein wenig im Hals stecken, wenn man sich vor Augen führt, wie treffend die Herren in gesetztem Alter die Zustände auf unserer Welt beobachten und schildern.

Wie dem auch sei: die EAV wird eine riesige Lücke in der Musiklandschaft hinterlassen und wer die Möglichkeit hat, sich nochmal live von deren Entertainment-Qualitäten überzeugen zu lassen, der sollte das dringend tun. HIER findet Ihr die Termine der Abschiedstour.

Donnerstag, 27. September 2018

Fynn Kliemann - nie

Foto: Nikita Teryoshin
(ms) Hat Fynn Kliemann jemals aufmerksam den Liedern von Tocotronic gelauscht? Aufgrund der Musik, die er selbst macht, kann man sicherlich davon ausgehen, dass von Lowtzow und Co. mal aus seinen (selbstgebauten?) Boxen geschallt sind.
Morgen (28. September) veröffentlicht Kliemann sein erstes richtiges Album, es heißt nie. Natürlich auf dem eigens dafür gegründeten Label twoFinger Records und natürlich nur in begrenzter Stückzahl. Alles eigenhändig eingespielt, alles mit Liebe zum Detail, alles unabhängig, alles in bester Heimwerkermanier. Man konnte es vorbestellen bis zu einem gewissen Datum und nur diese Anzahl der Vorbestellungen wurden produziert, als CD oder Schallplatte. nie wird zu keinem Zeitpunkt bei Saturn, Media Markt oder beim Musikhändler des Vertrauens zu finden sein, da der Tausendsassa nicht möchte, dass sein Album eines Tages auf dem Grabbeltisch beim Discounter landet. Ehrenvolle Einstellung. Bis zu einem gewissen Punkt. Denn über die gängigen Streamingdienste wird es verfügbar sein. Inkonsequent? Doch dem Markt ausgeliefert? Zugegebenermaßen nutze ich persönlich Spotify nicht. Doch durch Gespräche und Erfahrungen anderer schallt durch, dass mittlerweile eher Playlisten gehört werden und die Aufnahme eines Songs in so eine kuratierte Playliste scheint für viele Musiker eine Ehre zu sein, wenn sie sich über die sozialen Medien dafür bedanken. Ich wage die These, dass dies das Albumhören verändert oder sogar abschafft. Zumindest für den Kreis an Menschen, die es nutzen. Der Charakter des Gesamtkunstwerkes eines Albums nimmt damit ab, Bands produzieren durchschnittliche Alben, die darauf ausgelegt sind, zwei oder drei Songs auszukoppeln, die dann in Playlisten auftauchen. Okay, das mag sehr provokant klingen, ist es vielleicht auch. Alles nur These.

Zurück zu Tocotronic und Kliemann. Vor acht Jahren, kurz nachdem Kliemann begann seiner Kreativität freien Lauf zu lassen, wurde die Single Macht es nicht selbst veröffentlicht. Ein Manifest gegen das Heimwerken. Mit dem Album Schall und Wahn landeten sie auf Platz 1. Kliemann, 28 Jahre jung, erreicht mit seinen Videos unterschiedlichen Formats ein paar Millionen Leute. Heimwerken lohnt sich also. Er sieht zudem verdammt gut aus, hat bestechenden Humor, seine Slapstick-Einlagen machen ihn irre sympathisch und mit Dittsche hat er mal ein Terrarium für den verstorbenen Schildkröte gebaut. Super.

Zum Album. Er ist kein Anfänger, spielt Schlagzeug, Gitarre und singt schon sehr lange. Er bezeichnet Musik als zweitwichtigste Sache in seinem Leben nach seiner Freundin. Gut. Vor vielen Jahren ist er schon im Bulli durch die Lande gezogen und hat mit Straßenmusik das Spritgeld zusammengespielt: DIY in den Genen.
Elf Lieder in 35 Minuten. Kurzweilig, melancholisch, von der Stimmungslage her weit von dem entfernt, was er unterhaltsam im Videoformat zusammenschraubt. Es erweckt den Eindruck, dass er sich hier von einer privateren, intimeren Seite zeigt. Das ist immer noch extrem sympathisch. Bis zu dem bleibenden Eindruck, dass die Scheibe nach Clueso, Selig und ein bisschen wie die anderen Vorname-Nachname-Jungs aus dem Radio klingt. Gitarren, Klavier und Stimme geben sich die Klinke der Melodie in die Hand. Kliemann singt nicht immer im klassischen Sinn, manchmal hat es den Anschein von Sprechgesang und es funktioniert gut. Insbesondere mit seiner knarzigen Stimme. Aber nicht, dass gleich jemand AnnenMayKantereit sagt, bitte nicht! Kliemann textet nicht so abgedroschen. Doch so richtig überzeugend wird es nicht in der halben Stunde. Auch die ausgekoppelten Singles Morgen, Bau mich auseinander und Zuhause haben Charme, doch ein wirklicher Kniff, eine klare Idee, etwas Neues, Berauschendes ist wenig griffbereit, um eine eigene Handschrift zu erkennen.
Das soll nicht heißen, dass das Album schlecht sei. Keineswegs. Es ist angenehm, klug und stimmungsreich. Doch hätte er hier und da noch mit dem Schweißgerät, dem Schrauber, der Stichsäge oder der Schleifmaschine für mehr Ecken und Kanten gesorgt, wäre das Hörerlebnis tiefer.

Derzeit möchte Fynn Kliemann nicht live spielen.
Man kann doch davon ausgehen, dass das noch kommen wird.





Mittwoch, 26. September 2018

unhappybirthday - Schaum


Foto: Anh Thu Vu
(ms) Letztens hatte ich Geburtstag. Und ich freue mich tatsächlich über jedes Jahr, das ich hinzugewinne, ich habe den etwas schrägen Eindruck, dass ich langsam in das Alter hineinwachse, in dem ich schon länger zu schweben scheine. Zum Glück habe ich bei meinem Facebook-Konto die Funktion des an die Pinnwand-Schreibens deaktiviert. Denn die meisten kurzen, unehrlich gemeinten "Alles Gute"-Nachrichten können die Absender und man selbst als Leser sich getrost sparen. Wer versucht da einem nicht alles zu gratulieren?! Längst vergessene Menschen, alte Freunde aus der Schule, eine Wochenendbekanntschaft, alte Kollegen etcetcpp. Da lasse ich mir doch lieber von wesentlich weniger Menschen gratulieren und erhoffe mir dann, dass die Worte ehrlich gemeint sind. Vielleicht war so eine Begebenheit ja der Grund, warum Gitarrist Tobias Rutkowski, Bassistin Diana Kim und Sänger und Keyboarder Daniel Jahn sich unhappybirthday nennen. Es wäre immerhin eine gute Spekulation.

Letzte Woche, am 21. September, hat das Trio ihr drittes Album Schaum auf dem hervorragenden Label Tapete veröffentlicht. Nur konsequent, wenn die Vorgänger Sirup und Schauer hießen. Ein stringentes Konzept, worin auch die Einworttitel der Songs passen. Acht Stück versammeln sich auf dem neuen Werk und bilden eine entspannte Spielzeit von gut 35 Minuten.
Zu hören sind viele instrumentale Klangwelten, die im elektronischen Shoegaze zu klassifizieren sind. Begleitet werden sie meist von einem eingängigen Beat, der sich jedoch eher im Hintergrund aufhält. Auch der Gesang ist spärlich gesät. Und wenn Daniel Jahn seine Stimme erhebt, dann sind das warme, angenehme Momente, denn es ist ein selbstbewusstes Flüstern statt, dass richtig gesungen wird und der Klang der Stimme ist relativ nah an Dirk von Lowtzow. Bassistin Diana Kim ist erst seit letztem Jahr dabei, doch sie übernimmt häufig Melodielinien, wenn die diversen Synthie- und Keyboardklänge nicht im Vordergrund stehen.
Die Eingängigkeit der Lieder ist faszinierend und wird zu keiner Sekunde langweilig. Man könnte meinen, dass ein relativ melancholischer Schleier auf der Platte liegt. Doch das täuscht und dieser Eindruck verschwindet, wenn man sich das Album mehrere Male anhört. Vielmehr entpuppen sich mystische, geheimnisvolle Welten, die dann wahrzunehmen sind. Daher bringt es auch nicht viel, einzelne Lieder hier hervorzuheben, denn Schaum ist ein Gesamtwerk, in dem die Lieder teils ineinander über gehen. Daher sollte man diese Platte auch nicht einfach so nebenbei hören, sondern sich ausreichen Zeit nehmen, dann lohnt es sich richtig. Dann entpuppt sich ein hochwertiges Hörerlebnis.

unhappybirthday sind demnächst hier unterwegs. Lasst es euch nicht entgehen:

23.10.2018 - Hamburg, Hafenklang
24.10.2018 - Berlin, Acud macht neu
25.10.2018 - Köln, Acephale
26.10.2018 - Groningen, Vera
27.10.2018 - Brüssel, Le Chaff
28.10.2018 - Paris, Le Klub
29.10.2018 - Dijon, Café Chez Nous
30.10.2018 - Lyon, Le Trokson
31.10.2018 - Luzern, Kegelbahn
01.11.2018 - Frankfurt, Cave
02.11.2018 - Hannover, Hafven
06.02.2019 - Dresden, Ostpol
07.02.2019 - Stuttgart, Merlin
08.02.2019 - Trier, Exhaus
09.02.2019 - Freiburg, Slowclub



Montag, 24. September 2018

Live: Reeperbahn Festival, Freitag & Samstag

Umwerfend: Bayuk im Mojo Jazz Café! Foto: luserlounge
(ms) Das war es. Ein irres Fest. Ein massiver Zeitplan. 40.000 Menschen, 900 Konzerte, vier Tage, unzählige Veranstaltungsorte, viel Treiben, beinahe Stress, viel Warten in Schlangen, viel Begeisterung, enorme Überraschungen, ein Musikfest.

An vier Tagen sind alle Spielstätten an und um die Reeperbahn in einem kompletten Ausnahmezustand. Viele wurden ab mittags bespielt, andere haben erst später aufgemacht. Schnell hat man gelernt, dass nur durch langes, geduldiges Warten ein Konzertwunsch in Erfüllung gehen kann und man für Alternativen im Programm aufgeschlossen sein muss. Denn dies ist kein gewöhnliches Festival, dafür ist die Jahreszeit mit originalem Hamburger Wetter natürlich auch unpassend. Es ist in erster Linie ein riesiges Event von und für die Musikbranche. Tagsüber werden Deals ausgehandelt, Menschen kennengelernt, Visitenkarten zugesteckt, Neues entdeckt. Dabei scheinen die Organisatoren und Labels den Bands einiges abzuverlangen. Einige kleinere Künstler haben zwei Gigs an einem Tag gespielt oder drei an drei Tagen. Das ist anstrengend und hat den faden Beigeschmack, dass das Programm enorm aufgebläht wird, Auftritte werden zur Beliebigkeit, austauschbar. Live gespielte Musik wird der magische Faktor abgenommen und durch eine ökonomische Brille gesehen.
Eine Handhabung war dabei von entscheidendem Faktor für die Besucher, die für die Musik da waren und keinerlei Verbindung in die Branche haben, am Wochenende haben wir auch dazu gehört. Die Clubs wurden jeweils eine halbe Stunde vor der ersten Band geöffnet, danach blieben sie offen und zwischendurch nicht geräumt. Das hatte zum Nachteil, das bei der durchaus sehr engen Taktung am fortgeschrittenen Tag kaum noch neue Leute in die kleineren Läden passten. Es war stetig alles voll. Insbesondere am Klubhaus St. Pauli hat man das gemerkt. Statt davon eingeschüchtert zu sein, birgt es natürlich auch die Möglichkeit Neues auf sich wirken zu lassen.

Wir waren ab Freitag da, schauten schnell beim Garage Sale am Knust vorbei, als es schon ordentlich am regnen war. Doch das ist nebensächlich, das erste Astra schmeckt, die Spannung steigt und Hamburg hat sich chic gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war schon bekannt, dass als Überraschung abends Muse in den Docks spielen. Das ist natürlich ein irrer Clou und ordentlich vom Label Warner in Szene gesetzt durch Graffitis auf dem Boden, allerhand Werbegeschichten und so weiter. Das Venue wurde erst um 21h geöffnet, Muse spielten ab elf. Bereits um 18h hatte sich eine ordentliche Schlange gebildet. Wahrscheinlich wurden die Geduldigen entlohnt.
Wir starteten mit Ocean Alley im Molotow-Hinterhof, die im Rahmen eines Australien-Mottotages spielten und zu überzeugen wussten. Der Moderator hat nicht umsonst danach festgestellt, dass sich nun alle ein bisschen sexier fühlen würden. UNS brüllten unterhaltend von der Astra-Bühne am Spielbudenplatz. Später spielte Das Paradies in der Großen Freiheit: absolut sympathisch und musikalisch gewandt. Florian Sievers, der Mensch hinter dem tollen Namen, hat einfach mit seinen beiden Mitmusikern sein schönes Album Goldene Zukunft komplett gespielt. Danach kurz bei Bayuk im Mojo Jazz Café vorbeigeschaut. Wir haben zwar nur drei Lieder gehört, der Beginn hat sich leider stark verzögert. Diese drei Songs waren jedoch eine enorme Wucht. Mit u.a. Tobias Siebert (And The Golden Choir) in der Band war es ein intensives Crescendo und eine tiefere Beschäftigung mit der Band ist unerlässlich!
Dann zum Michel. Denn da wartete ein irres Highlight, das auch den kommenden Tag überstrahlt hat. Get Well Soon haben mit Big Band und Gästen vom Aktuellen Horror-Album fast zwei Stunden gespielt. Es war eine Machtdemonstration. Ein wundervolles Spektakel, Avantgarde in Reinform. Pure Musik, gefühlvolle Leidenschaft. Ich habe Konstantin Gropper schon oft vorher gesehen, doch dieser Auftritt war schier unglaublich. So nah und dicht und konzentriert und fein und perfekt. Es war laut und leise, klassisch und modern. Sein Vater hat Orgel gespielt, Sam Vance-Law, Kat Frankie und Ghalia Benali haben gesungen. Die Standing Ovations und der lang anhaltende Applaus war mehr als verdient. Damit ließ sich der Tag guten Gewissens beenden.

Der Samstag zeigte sich von seiner herbstlichen Seite. Es stürmte, regnete. Teilweise musste an den Tagen das draußen stattfindende Programm unterbrochen werden. Wenn es ruhig war, lohnte sich ein Besuch auf dem sogenannten Festival Village auf dem Heiligengeistfeld. Denn dort ließ sich eine Ausstellung von Klaus Voormann besichtigen, der Künstler war auch zugegen und signierte allerhand Kram. Sehenswert war es allemal und eine schöne Alternative zum trubeligen Musiktreiben. Hörenswert hingegen war eines der Konzerte von Charlotte Brandi, unter anderem im Molotow-Hinterhof am Samstag. Sie spielte Songs ihres bald erscheinenden Debut-Albums, erstmals nicht als Me And My Drummer. Eine rotierende Lüftung störte hörbar, doch die drei Musikerinnen ließen sich davon nicht abbringen.
Shotgun Sisters. Foto: luserlounge
Später folgte dann ein weiterer Höhepunkt. Getarnt als Shoutgun Sisters spielten Friska Viljor nach drei Jahren ihr erstes Konzert im sehr schönen Nochtspeicher. Vor zehn Jahren zum ersten Mal gesehen war es ein Treffen alter Bekannter. Doch die Ankündigung "This will not be a party, this is a funderal" haben sie eingehalten. Laut eigener Aussage hat Sänger Joakim seitdem sein schlimmstes persönliches Tief durchlitten, wollte gar nie wieder spielen. Diesen großen Mann mit den liebevollen Augen so zerbrechlich zu sehen, tat einem echt leid. Doch zum Glück haben sie es geschafft Musik draus zu machen und Daniel hat ihm sichtlich dabei geholfen, ein Freund und Held. So haben sie als Duo ausschließlich neues Material gespielt, das sich noch im Entstehungsprozess befindet. Bedrückt aber irgendwie auch glücklich, dass es die Band noch gibt, ging es weiter. Slenderbodies im Kukuun (nicht schön, aber modern) brachten die Stimmung wieder nach oben und die Menschen zum Tanzen, auch wenn sie Britney Spears gecovert haben. Oder deswegen. Die Schlange danach zu Metronomy war zu lang. Daher weiter in den Gruenspan zu Darwin Deez. Bis auf die einfallsreichen und artistischen Tanzeinlagen und Entertaineransagen leider ein recht dürftiger und langweiliger Auftritt.
So ging das Reeperbahn Festival dennoch glücklich und beschwingt zu Ende.

Die Füße und Beine dankten für die anschließende Pause, der Körper dürstete nach Schlaf. Der Kopf hingegen wandelt immer noch zwischen den wunderschönen Orten und vielschichtigen Konzerten herum. Ein bisschen weniger BlingBling und ein reineres Programm täten dem Festival gut.







Freitag, 21. September 2018

KW 38, 2018: Die luserlounge selektiert

Quelle: dribble.com
(ms/sb) Alltag ist gut. Das Regelmäßige, Vertraute. Doch Urlaub ist doch viel besser. Und den haben wir jetzt hinter uns. Der eine mit Familie in Italien, der andere mit Partnerin in Portugal. Beides können wir Euch nur ans Herz legen. Massiver Sonnenschein, gutes Bier abseits von der großen Industrieplörre, phantastische Landschaften, herzliche Einheimische und ganz, ganz weit weg sein, auch mit dem Kopf. Zudem noch feinste Strände, unrealistisch blaues Wasser und dieses super frische und leckere Essen ist ja kaum zu glauben. Doch was freut uns daheim am meisten? Genau, die Boxen wieder aufdrehen. Bitte sehr:

Adam Naas
Manch einer fühlt sich bei Adam Naas ja sowohl optisch als auch musikalisch an den jungen Prince erinnert, zu dessen Weltkarriere fehlen dem Franzosen aber noch einige Hits und Jährchen. Was nicht ist, kann ja noch werden und er arbeitet dran. The Love Album erscheint heute digital, am 05.10. dann physisch und sprüht nur so vor Laszivität. Zugegebenermaßen nicht so mein Musikgeschmack, aber halt schon unverschämt sexy.



Some Sprouts
Wir hatten Euch Some Sprouts kürzlich schon mal vorgestellt, wollen unsere Begeisterung heute aber nochmal bekräftigen. Lasst Euch die Tour der Oberpfälzer, die zuletzt u.a. auch als Support der großartigen We Are Scientists zu sehen waren, nicht entgehen. Die Daten findet Ihr: HIER!
Die EP IMMT folgt dann am 19.10. und dürfte sehr stark werden. Wir freuen uns schon drauf.



Schraubenyeti & Das Mammut
Klingt erstmal ähnlich abgefahren wie Käpt'n Peng & Die Tentakel von Delphi oder Olli Schulz und der Hund Marie oder Swiss & Die Andern, entpuppt sich dann aber als deutlich bodenständiger und ruhiger - und das ist nicht nur gut so, sondern wirklich sehr hörenswert. Keinen Hip Hop, keinen Punk, sondern gefühlvolle Popmusik findet man auf heute. gestern. (VÖ: 12.10.), dem neuen Album von Schraubenyeti & Das Mammut; neben melancholischen Liebesliedern befasst sich der Künstler auch mit ernsteren Themen wie Populismus und Depression und macht Lust auf die bevorstehende Tour.



Neonschwarz
Wir mögen die Hamburger Neonschwarz. Und das nicht nur, weil sie live so irre gut sind. Und das nicht nur, weil ihre bisherigen Alben ganz großartig waren. Und das nicht nur, dass ein Neues in den Startlöchern steht. Und das nicht nur, weil sie bei den Helden von Audiolith unter Vertrag stehen. Sondern hauptsächlich weil sie klug, gewandt und sehr aufmerksam sind. Zum Stand der politischen und gesellschaftlichen Dinge haben sie mit 2014 und 2015 schon ausführlich Stellung genommen. Und was sind das bitte für irre Wochen? Ein wilder Nazi-Mob in Chemnitz, ein riesiger Polizeieinsatz gegen einen Wald zwischen Aachen und Köln und dann der nicht mehr zu verstehende Umgang mit Herrn Maaßen. Bitte Neonschwarz, ihr habt das Wort zu 2018:



Jerry Paper
Wir haben heute mit einem extrem sexy Typen angefangen und hören mit einem extrem sexy Typen auf: Jerry Paper. Na gut, das ist eher der Name, hinter dem sich Lucas Nathan verbirgt, der allerhand Instrumente spielt und irre Musik macht. Alle, die Easy Listening lieben, werden hier auf Wolke 7 schweben. Denn dies ist eine Musikrichtung, die zu Unrecht als langweilig charakterisiert wirst. Der funkige Schwenk besticht, die Melodien beflügeln und entspannen. Zudem ist das Video zu My God eines der witzigsten seit Langem. Denn darin werden wesentliche Fragen beantwortet: Wird man nach dem Tod wiedergeboren? Lohnt es sich, alle Belege und Quittungen aufzuheben? Und: Was macht Gott eigentlich den ganzen Tag und wie sieht er aus? Sein Album Like A Baby erscheint am 12. Oktober und könnte wirklich ganz, ganz groß werden:



Dienstag, 18. September 2018

William Fitzsimmons - Mission Bell


(sb) Stell Dir vor, Du nimmst zusammen mit einem langjährigen Freund ein Album auf, steckst da all Deine Emotionen rein, arbeitest über Monate hinweg alles auf, was Dich bewegt, öffnest Dein Herz und bist quasi fertig und ready für den Release. Und dann stell Dir vor, dass Dir just in diesem Moment Deine Frau eröffnet, dass sie Dich nicht mehr liebt, dass sie die Ehe beenden will und zu allem Überfluss auch noch seit Monaten eine Affäre mit oben genanntem langjährigen Freund hat. Kannste Dir nicht ausdenken, oder?

„Während wir tagsüber zusammen an der Musik arbeiteten, verbrachte sie nachts die Zeit mit ihm. Im Laufe einer einzigen Unterhaltung hatte das Leben, das ich zu haben glaubte, aufgehört zu existieren. Das galt auch für das Album, das ich gerade vollendet hatte.“ So nüchtern analysiert William Fitzsimmons eine Situation, in die man niemals kommen möchte und die doch so gut zum Meister der Folk-Melancholie passt, der es noch nie so arg leicht im Leben hatte.

Doch Gott sei Dank schaffte es Fitzsimmons auch dieses Mal wieder, sich selbst aus dem Sumpf zu ziehen und traf den aus Nashville stammenden Produzenten Adam Landry, der überzeugt davon war, dass er das Albumprojekt nicht nur retten, sondern es besser machen könne, als der Sänger es vielleicht jemals für möglich gehalten hatte.

Klar, ich kenne das ursprünglich geplante Album nicht, aber ja: Mission Bell ist ein verdammtes Meisterwerk! Ich höre William Fitzsimmons ja schon seit Jahren sehr gerne, war aber häufig von den Studioaufnahmen etwas enttäuscht, weil sie einfach nicht mal ansatzweise an die Intensität der Liveauftritte des Amerikaners heranreichten. Dies ändert sich nun eindrucksvoll: schon der Opener Second Hand Smoke jagt dem Hörer eine Gänsehaut über den Rücken und das zieht sich 40 Minuten lang durch.

Textlich liefert Fitzsimmons sein (über die gesamte Spielzeit betrachtet) mit Abstand bestes Album ab, die Arrangements sitzen perfekt, die karge Instrumentierung unterstützt die melancholische Stimmung zusätzlich und in den letzten Sekunden der Scheibe wird’s doch tatsächlich mal laut.

Foto: Shervin Lainez (GroenlandRecords)
Doch lassen wir den Künstler selbst zu Wort kommen: „Mission Bell ist nicht nur das Resultat der Asche eines gescheiterten Albums und einer gescheiterten Phase meines Lebens, sondern auch die Wiedergeburt des Wunsches und des Ziels, etwas zu schaffen, was zutiefst ehrlich, auf höchst unbequeme Weise persönlich und vollkommen leidenschaftlich sein würde. Es entstand mit absoluter Hingabe, ohne Rücksicht darauf, was ich jemals vorher gemacht hatte oder was noch in Zukunft kommen würde. Entstanden in einem Moment, wo ich so verletzlich und angreifbar war wie nie zuvor. Das ist der Grund, warum ich bis heute auf diese Arbeit so besonders stolz bin. Ich wollte diese Platte eigentlich nicht machen, aber sie ist das Beste, was mir je gelungen ist. Das Album beschäftigt sich mit dem Auge des Sturms, mit der Erkenntnis, dass das Leben, wie du es kanntest, mit einem Mal verschwunden ist. Es ist der Moment, bevor, während und gleich nachdem alles über dich einstürzt, und du dich im nächsten Augenblick verloren, einsam und jeglicher Hoffnung beraubt wiederfindest. Ein Album voller Schmerz, aber paradoxerweise auch voller Freude. Ich teile dieses Album mit Dankbarkeit im Herzen und mit dem Wissen, dass durch das Leiden auch die Möglichkeit entsteht, neue Lebensfreude zu gewinnen.“

Der Dank ist ganz meinerseits für dieses wundervolle Album und dafür, dass der Künstler uns Hörer einmal mehr an seinem Leben, seinen Gefühlen, seinen Ängsten und Hoffnungen teilhaben lässt. Es würde mich nicht wundern, wenn Mission Bell (VÖ: 21.09.) am Ende des Jahres unter meinen Top 5-Alben 2018 landen würde.

Wer die Möglichkeit hat, William Fitzsimmons live erleben zu können, der sollte sich diese Chance nicht entgehen lassen. Ich war bisher jedes Mal schwerstens beeindruckt und tief berührt von seiner Performance. Hier die Termine:

02.10.  Dresden, Beatpol
04.10.  München, Technikum
08.10.  Stuttgart, Im Wizemann
17.10.  Hamburg, Grünspan
24.10.  Berlin, Heimathafen






Freitag, 7. September 2018

KW 36, 2018: Die luserlounge selektiert

Bild: fictionaltvstations.wikia.com
(sb) Freitag wird selektiert - zumindest in dieser Woche noch, denn nächste Woche sind wir beide im Urlaub und so darf sich auch die Selektion eine Verschnaufpause gönnen. Doch schon heute wird es eine extrem abgespeckte Version unserer ge- und beliebten Rubrik geben, denn vor lauter Arbeit und Packen kommen wir gar nicht groß dazu, uns mit den musikalischen Neuheiten der Woche zu beschäftigen. Lange Rede, kurzer Sinn: Einfach auf die Videos klicken und sich selber ein Bild machen!

Lässing
Es war nicht alles schlecht! Oder doch? „Gib mir diese Pizza und ich fahr sie dir da hin!“ Mit diesem Satz beginnt Lässings dritte Single „I Was A Teenage Aushilfskraft“. Top motiviert, 3er Golf Variant, Fenster runter, Sommernacht, Hitradio auf Anschlag und mit beschlagenen Scheiben auf dem Weg zu jemandem, der einen freudig erwartet - das ist Erfüllung im Job! Aber seien wir mal ehrlich, egal ob als Pizzafahrer, im Baumarkt, an der Tanke oder auf dem Bau, rückblickend werden diese unschuldigen Jahre doch oft stark romantisiert, oder?
 
 
Metric
Metric haben kürzlich mit "Dark Saturday", "Dressed To Suppress" und "Now Or Never Now" gleich drei Songs aus ihrem neuen Album "Art Of Doubt" veröffentlicht, das am 21.09.2018 das Licht der Welt erblicken wird. Nach einer ausgedehnten US-Tour mit den Smashing Pumpkins kommen Metric demnächst auch zu uns:
 
30.10. Hamburg, Knust
31.10. Berlin, Kesselhaus
05.11. München, Technikum
14.11. Frankfurt, Gibson
 
 
 
Moop Mama
Sollte man eh kaufen, weil Moop Mama. Live überragend und auch von der Scheibe seeeeeeeeeeeeehr nice! "Ich" erscheint heute und bringt der Menschheit mal wieder feinsten Brass-Sound gepaart mit großartigen Texten.
 
 
 
L'aupaire
Gerade erst Papa geworden und schon wieder ne neue Single am Start: bei L'aupaire läuft's gerade ordentlich rund, wie es scheint. Sein letztes Cover "Dancing In The Moonlight" wurde bereits über 2,5 Millionen mal gestreamt, das dazugehörige Video verzeichnet bei YT mittlerweile über 18 Millionen Klicks. Nun hat er sich also "Cool Kids" von Echosmith vorgenommen - wieder mal außerordentlich gut gelungen!
 

KW 37, 2018: Die luserlounge selektiert

primenumbermagazine.com
(ms/sb) Die luserlounge ist im Urlaub, selektiert aber trotzdem. Da uns neben der Musik und dem Fußball noch ein weiteres Hobby verbindet, wollen wir Euch nicht vorenthalten, was unsere Urlaubsziele so zu bieten haben. Von der Industrieplörre bis hin zum feinen Craftbier ist da so einiges am Start - obwohl wir eigentlich durchaus wählerisch sind (Selektion halt!), lassen wir uns bei entsprechenden Angeboten in der Sonne des Südens nicht zweimal bitten und erfrischen uns mit Hopfensmoothies aller Art. Es müssen ja nicht immer Augustiner, Tegernseer, Giesinger oder ähnliche Spezialitäten, nein, die luserlounge ist anpassungsfähig und die Braumeister Italiens und Portugals machen das ja auch nicht zum ersten Mal.

So, in diesem Sinne: Prost! Ab nächster Woche beschäftigen wir uns dann auch wieder mit Musik. Versprochen! Echt jetzt!


pintsandpubs.wordpress.com

 
bodecall.com

thisdrinkinglife.com

tripadvisor.co.uk

amobrewing.pt

ameblo.jp

dinheirovivo.pt

portal.kuemmerle.eu

Dienstag, 4. September 2018

Therapy? - Cleave

https://www.facebook.com/Therapyofficial/
(sb) Es ist doch immer das Selbe mit Lieblingsbands, oder? Wenn die ein neues Album veröffentlichen, sind die Erwartungen ganz besonders hoch. In den meisten Fällen werden die Hoffnungen erfüllt, gelegentlich sogar übertroffen (klar, sonst wärs ja keine Lieblingsband), manchmal aber sitzt man nach dem ersten Anhören der Scheibe da und hofft, man möge sich doch recht bald an das Gehörte gewöhnen und es doch noch super finden, wenn man ihm noch eine zweite, dritte, vierte, fünfte oder wasweißichwievielte Chance gibt. Cleave von Therapy? ist so ein Album - nach dreimaligem Anhören bin ich noch nicht so weit, mich mit der mittlerweile 15. Studioproduktion der Nordiren angefreundet zu haben, aber ja: das Ding ist ein verdammter Grower!

War ich beim Vorgängeralbum Disquiet von Beginn an gefesselt und begeistert, musste ich diesmal nach dem ersten Anhören doch gewaltig schlucken, da ich anhand der Singleauskopplung Callow etwas komplett anderes erwartet hatte. Ich hatte mich ehrlich gesagt auf ein recht poppiges Album eingestellt, das an Disquiet und das 1994er Erfolgsalbum Troublegum (Nowhere, Screamager, Die Laughing etc.) anknüpft, aber weit gefehlt: Cleave lebt von griffigen Basslines und vermittelt sehr viel Wut und Ohnmacht. Schon der Opener Wreck It Like Beckett gibt den Weg vor, das folgende Kakistrocacy führt diesen konsequent fort.

https://www.facebook.com/Therapyofficial/
Erst Callow als dritter Track wird deutlich melodischer, aber das bleibt ein kurzer Ausreißer. Es ist ganz komisch: ich glaube ja, dass ich Cleave richtig geil fände, wenn ich nicht mit einer komplett konträren Erwartungshaltung rangegangen wäre, tue mir nun aber verdammt schwer, den Schalter umzulegen. Dabei hätte ich es durchaus wissen können, denn Therapy? veröffentlichen in den seltensten Fällen die Alben, die zu erwarten und logisch gewesen wären.

Auf Troublegum, das die Tür zum Rock-Olymp ein gutes Stück aufgestoßen hatte, folgte damals mit Infernal Love ein melancholisches Album - kommerzieller Suizid fast schon! Aber so sind Therapy? halt und genau deswegen sind seit mittlerweile 25 Jahren meine Lieblingsband...

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Aber zurück zu Cleave: es geht zornig weiter, eine positive Grundstimmung kommt auf dem Album recht selten auf und die Nordiren ziehen diese Linie konsequent durch. Ja, man muss sich darauf einlassen und ja, man muss in einer gewissen Stimmung sein, um das nicht nur zu ertragen, sondern mitgehen und sich reinfühlen zu können. Dann aber fühlt man sich zuhause, verstanden und findet sich in den Lyrics von Andy Cairns wieder. Michael McKeegan malträtiert seinen Bass vom Feinsten und Drummer Neil Cooper beweist einmal mehr, dass er zu den Besten seines Faches gehört.

Im Endeffekt ist es dann doch nur ein Track, mit dem ich so gar nicht warm werde (Dumbdown), der Rest wird mit jedem Hören besser und zugänglicher. Cleave schafft es dennoch nicht mal ansatzweise in meine persönliche Top 3 der Therapy?-Alben, die anfängliche Enttäuschung ist jedoch verflogen.