Donnerstag, 27. September 2018

Fynn Kliemann - nie

Foto: Nikita Teryoshin
(ms) Hat Fynn Kliemann jemals aufmerksam den Liedern von Tocotronic gelauscht? Aufgrund der Musik, die er selbst macht, kann man sicherlich davon ausgehen, dass von Lowtzow und Co. mal aus seinen (selbstgebauten?) Boxen geschallt sind.
Morgen (28. September) veröffentlicht Kliemann sein erstes richtiges Album, es heißt nie. Natürlich auf dem eigens dafür gegründeten Label twoFinger Records und natürlich nur in begrenzter Stückzahl. Alles eigenhändig eingespielt, alles mit Liebe zum Detail, alles unabhängig, alles in bester Heimwerkermanier. Man konnte es vorbestellen bis zu einem gewissen Datum und nur diese Anzahl der Vorbestellungen wurden produziert, als CD oder Schallplatte. nie wird zu keinem Zeitpunkt bei Saturn, Media Markt oder beim Musikhändler des Vertrauens zu finden sein, da der Tausendsassa nicht möchte, dass sein Album eines Tages auf dem Grabbeltisch beim Discounter landet. Ehrenvolle Einstellung. Bis zu einem gewissen Punkt. Denn über die gängigen Streamingdienste wird es verfügbar sein. Inkonsequent? Doch dem Markt ausgeliefert? Zugegebenermaßen nutze ich persönlich Spotify nicht. Doch durch Gespräche und Erfahrungen anderer schallt durch, dass mittlerweile eher Playlisten gehört werden und die Aufnahme eines Songs in so eine kuratierte Playliste scheint für viele Musiker eine Ehre zu sein, wenn sie sich über die sozialen Medien dafür bedanken. Ich wage die These, dass dies das Albumhören verändert oder sogar abschafft. Zumindest für den Kreis an Menschen, die es nutzen. Der Charakter des Gesamtkunstwerkes eines Albums nimmt damit ab, Bands produzieren durchschnittliche Alben, die darauf ausgelegt sind, zwei oder drei Songs auszukoppeln, die dann in Playlisten auftauchen. Okay, das mag sehr provokant klingen, ist es vielleicht auch. Alles nur These.

Zurück zu Tocotronic und Kliemann. Vor acht Jahren, kurz nachdem Kliemann begann seiner Kreativität freien Lauf zu lassen, wurde die Single Macht es nicht selbst veröffentlicht. Ein Manifest gegen das Heimwerken. Mit dem Album Schall und Wahn landeten sie auf Platz 1. Kliemann, 28 Jahre jung, erreicht mit seinen Videos unterschiedlichen Formats ein paar Millionen Leute. Heimwerken lohnt sich also. Er sieht zudem verdammt gut aus, hat bestechenden Humor, seine Slapstick-Einlagen machen ihn irre sympathisch und mit Dittsche hat er mal ein Terrarium für den verstorbenen Schildkröte gebaut. Super.

Zum Album. Er ist kein Anfänger, spielt Schlagzeug, Gitarre und singt schon sehr lange. Er bezeichnet Musik als zweitwichtigste Sache in seinem Leben nach seiner Freundin. Gut. Vor vielen Jahren ist er schon im Bulli durch die Lande gezogen und hat mit Straßenmusik das Spritgeld zusammengespielt: DIY in den Genen.
Elf Lieder in 35 Minuten. Kurzweilig, melancholisch, von der Stimmungslage her weit von dem entfernt, was er unterhaltsam im Videoformat zusammenschraubt. Es erweckt den Eindruck, dass er sich hier von einer privateren, intimeren Seite zeigt. Das ist immer noch extrem sympathisch. Bis zu dem bleibenden Eindruck, dass die Scheibe nach Clueso, Selig und ein bisschen wie die anderen Vorname-Nachname-Jungs aus dem Radio klingt. Gitarren, Klavier und Stimme geben sich die Klinke der Melodie in die Hand. Kliemann singt nicht immer im klassischen Sinn, manchmal hat es den Anschein von Sprechgesang und es funktioniert gut. Insbesondere mit seiner knarzigen Stimme. Aber nicht, dass gleich jemand AnnenMayKantereit sagt, bitte nicht! Kliemann textet nicht so abgedroschen. Doch so richtig überzeugend wird es nicht in der halben Stunde. Auch die ausgekoppelten Singles Morgen, Bau mich auseinander und Zuhause haben Charme, doch ein wirklicher Kniff, eine klare Idee, etwas Neues, Berauschendes ist wenig griffbereit, um eine eigene Handschrift zu erkennen.
Das soll nicht heißen, dass das Album schlecht sei. Keineswegs. Es ist angenehm, klug und stimmungsreich. Doch hätte er hier und da noch mit dem Schweißgerät, dem Schrauber, der Stichsäge oder der Schleifmaschine für mehr Ecken und Kanten gesorgt, wäre das Hörerlebnis tiefer.

Derzeit möchte Fynn Kliemann nicht live spielen.
Man kann doch davon ausgehen, dass das noch kommen wird.





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