Montag, 30. Mai 2022

Live in Hamburg: Editors

Quelle: morgenpost.de (2020)
(ms) Ende Mai. Openair. Die Editors in Hamburg. Es gab viele Anzeichen dafür, dass das ein großartiges Ereignis werden kann. Endlich wieder mit vielen Leuten im Frühsommer draußen vor einer Bühne stehen und astreine Musik live hören, sich schön die Hörgänge durchballern lassen. Im besten Falle noch tanzen, jubeln und mit einem leichten Rausch durch den Abend ziehen.

Seit einigen Tagen habe ich mich auf diesen Samstag gefreut. Der Gedanke, draußen solche Musik zu hören, löste erste festivalähnliche Gefühle bei mir aus. Insbesondere bei dieser Band. Die Editors höre ich schon seit vielen, vielen Jahren. Von Munich bis Magazine habe ich ihre Alben und Lieder abgefeiert. Klar, manche Platten sind bewusster auf dem Schirm als andere. Aber so ist das, wenn man seit fast 20 Jahren im Geschäft ist. Die Stimme von Tom Smith plus ihre irre Energie in den Gitarrenriffs oder mittlerweile an den Synthies. Das zieht bei mir schon ordentlich. Das Potential für einen enormen Abend war hoch.

Dann kam jedoch die erste Enttäuschung: das Wetter. Ja, im Endeffekt war es jetzt kein großes Ding, dass es immer wieder geregnet hat. Was will man erwarten, wenn eine Band von der Insel an der Elbe zu Gast ist?! Doch bei sommerlicher Trockenheit hätte ich es sicher besser gefunden. Es folgte die zweite Enttäuschung: Vor Ort gab es KöPi zu trinken. Warum um alles in der Welt? Es gibt so viele tolle, kreative Brauereien in Hamburg. Doch Landgang oder ÜberQuell fehlt es sicher an wirtschaftlicher Zugkraft, um so ein Event ausstatten zu können.

Die nächste Enttäuschung stand fast den ganzen Abend vor mir: Ein Ticket für den Abend hat gut 50€ gekostet. Das ist beileibe nicht wenig Geld! Da haben bestimmt ein paar Kids und Teenies, die auch da waren, für sparen müssen. Und vor mir steht ein Typ, Ende vierzig vielleicht, der lange, lange mit seinem Freund gequatscht hat. Während des Konzerts. Ununterbrochen. Ich wies ihn dann darauf hin, das doch bitte woanders oder wann anders zu machen. Was soll das? Wie respektlos ist das den Menschen um einen herum? Und was ich noch schlimmer finde: Wie respektlos ist das der Kunst gegenüber? Ich gebe 50€ aus, um mich im Stadtpark Hamburg mit meinem Kumpel bei überteuertem Bier zu unterhalten?! Ich ralle es einfach nicht! Auf einem Festival wäre das eine grundsätzlich andere Sache, da herrscht ein wenig mehr Narrenfreiheit. Aber wieso stand der Typ da? Sicher nicht, um das Konzert zu genießen.

Und da sind wir bei der nächsten und leider auch größten Enttäuschung des Abends: Ein Genuss des Abends war nur bedingt möglich. Extrem komplex ist die Musik der Editors nicht zwingend. Würde eine Band wie Get Well Soon da stehen, müsste höllisch drauf aufgepasst werden, wann welches noch so kleine Instrument wie zu hören sein muss. Die Briten waren zu fünft. Ihre Musik lebt dadurch, dass sich die Gitarren wuchtig nach vorne spielen können oder ein Lied wie Racing Rats zu dominieren mit Lautstärke und Energie. Und das war das Problem: zum Einen war das Konzert leider viel zu leise. Zum Anderen war der Sound auch noch schlecht. Das hätte alles viel dichter sein müssen und vor allem die Gitarren viel, viel lauter und klarer. Der Ton war breiig und verschwommen. Nein, unglaublich schlecht war es auch nicht. Aber es fehlten einige Level, um diese Band wirklich wirksam machen zu können. Denn wenn man sich die fünf Typen auf der Bühne angesehen hat, sah man, was Spielfreude bedeutet. Sicher hat Tom Smith irgendwie seine Laune aufgeputscht, es sei ihm vergönnt, der war unglaublich tief in der Musik gefangen. Das war wirklich schön zu sehen. Leider kam so wenig beim Publikum an. Schuld daran ist eine völlig dämliche Regelung für den Schallschutz. Dämlich natürlich nicht für die Anwohnenden. Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Doch für das Booking und die Veranstaltenden ist das dämlich. Wenn ich einer Band, die Wumms braucht, um zu wirken, diesen Wumms im Vorhinein nehme, warum sollte ich sie einladen?! Wie gern wäre ich bei Smokers Outside The Hospital Door, Sugar, Papillon oder Frankenstein komplett eskaliert. Gefühlt 50 Dezibel zu wenig haben das verhindert.

So sind wir tatsächlich etwas bedröppelt nach dem Konzert gegangen. Und das lag nicht am aufgekommenen Dauerregen. Ob ich mir dort noch mal ein Konzert anschauen werde, bezweifle ich mal ganz, ganz stark. Schade drum.

Freitag, 27. Mai 2022

KW 21, 2022: Die luserlounge selektiert

Bild: 123rf.com

(ms/sb) Komplett im Arsch. Diesen Text schreibe ich am Montag, den 23. Mai. Nur angemerkt, falls es in den kommenden Tagen bis zur Veröffentlichung noch zu öffentlichen Vorfällen kommen sollte. Komplett im Arsch. Das ist die Kommunikation. Argh, wie kann man nur so schlecht in der Öffentlichkeit agieren? Ganz, ganz skurril und diffus war das, was sich in den letzten Tagen auf den Social Media-Accounts von Feine Sahne Fischfilet abspielte. Erst ein Statement, dass wohl bald etwas gegen sie veröffentlicht werden würde. Irgendwelche Vorwürfe. Dann, ein paar Tage später im Namen von Monchi weitere, sehr kryptische Aussagen verbunden mit der Absage einiger seiner Lesetermine. Es ist von "Anschuldigungen" die Rede und dass man mit einem Arwareness-Team zusammen arbeiten würde. Das lässt nur einen Schluss zu: Der Vorwurf der sexuellen Belästigung - oder härtere Straftaten - steht im Raum. Wie kann man nur im Vorhinein, wenn noch nichts öffentlich gemacht worden ist, so schlecht und schleierhaft agieren?! Denn es ist ja noch keine Reaktion. Vom Prinzip her ähnlich wie Kliemann, der sich auch selbst aus dem Dreck ziehen wollte. Hat ja super geklappt. Wenn diese Vorwürfe im Raum stehen und sie "eine Belastung für mein Umfeld" sind, dann halte ich doch erstmal den Mund, sage alles ab, bis sich das klärt. Meine Empfindung hier ist auch nur Spekulation, aber es lässt aus meiner Warte keinen anderen Schluss zu als der Vorwurf der sexuellen Belästigung oder halt Schlimmerem. Ekelig. Wie kann man nur präventiv und sehr, sehr schlecht versuchen, den eigenen Ruf zu erhalten?! Insbesondere, wenn man sich immer auf der "richtigen" moralischen Seite wähnt?! Wenn das zutreffen sollte, ist diese Band für mich gestorben. Aber sofort. Allein für diese kopflose Kimmunikation sollte ich meine Platten und Shirts vernichten. 

Bleakness
(sb) Nantes, Bretagne. Daher stammen Bleakness und halten die Fahnen der französischen Rockszene hoch. Sie selbst ordnen sich im Subgenre Post-Punk ein, aber auf sowas ist ja letztendlich gepfiffen, oder? Gefallen muss es - und das tut es. Sehr sogar! Auf sein neues Album Life Is A Standstill (VÖ: 17.06.) hat das Trio ordentlich Energie gepresst, dabei aber die melodische Komponente keineswegs außer Acht gelassen. Zehn Tracks lang balancieren die Franzosen zwischen Spannung und Empfindsamkeit und bleiben dabei erstaunlich abwechslungsreich.



No Trigger
(sb) Kennt Ihr das? Ihr seht das Cover eines Albums und schließt daraus, ob die Musik, die Ihr bisher nicht gehört habt, was kann oder eben nicht? Bei einem richtg beschissenen Cover vermeidet Ihr es sogar tunlichst, Euch das gute Stück anzuhören? Genau das wäre im Fall der Acid Lord EP von No Trigger der Fall gewesen, hätte ich nicht zuletzt eine lange Fahrt vor der Nase gehabt. Was macht man da? Klar, man hört neue Musik! Und siehe da: Allen optischen Schwerverbrechen zum Trotz bietet die EP überraschend gute und mitreißende Musik, die mitunter an Green Day, Blink 182 und Reel Big Fish zu ihren jeweils besten Zeiten erinnert. Das klingt zwar zugegebenermaßen arg berufsjugendlich, aber was solls? Auf der Autobahn läuft das gut durch. #gasgem
 

Editors
(ms) Morgen ist es endlich soweit! Die Openairsaison geht für mich los. In Hamburg spielen die großartigen Editors. Eine Band, der ich seit vielen, vielen Jahren zu Füßen lege. Natürlich, Tom Smiths Stimme trägt ganz viel zu dieser Begeisterung bei. Doch für mich sind es die großen Gitarrenrocksongs mit ihrer Energie, die mich immer wieder packen. Ihr Album An End Has A Start läuft seit Erscheinen 2007 in einer frechen Regelmäßigkeit bei mir. Vor vier Jahren ist ihr letztes Album Violence erschienen, was sie nicht davon abhielt, weiter neues Material zu erschaffen und einfach ein paar Singles rauszuhauen. Finde ich gut. Was raus muss, muss. Erst kam Frankenstein, jetzt Heart Attac. Es kann also sein, dass das Konzert morgen unter Umständen zu einem wuchtigen Techno-Abend eskaliert. Da steckt ja derart viel Wumms und Druck hinter, dass die Boxen ordentlich zappeln werden. Das Schöne dabei: Die Editors haben schon vor so vielen Jahren angefangen, mit elektronischen Elementen zu spielen, dass dies keine Überraschung ist. Dennoch freue ich mich unter dem abendlichen Hamburger Himmel auf die alten, großen Indierocksongs!



MARBL
(sb) Die Israelin MARBL wusste schon vor drei Jahren mit ihrer EP The Flight Of The Hawks zu gefallen und auch jetzt enttäuscht sie nicht. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich ja immer noch auf Schweden als Herkunftsland tippen. Auch der Titel ihrer neuen EP (VÖ: heute!) legt diesen Verdacht nahe: The Sunsets and Dawns of Everything. Das Mini-Album erzählt die Geschichte der Sonnenuntergänge und der Morgendämmerung des Herzens und zeigt jede Phase dieses Übergangs. Das kommt persönlich rüber und berührt das Herz. Der Hoffnungsschimmer am Horizont ist allgegenwärtig und das ungemein gut...

Stars
(ms) Mein Berufswunsch ist professioneller Musikhörer. Dann könnte ich den ganzen, lieben, langen Tag nur Musik hören. Im besten Fall schreibe ich dann auch noch ein bisschen was dazu. Leider fehlt mir die Qualifikation und oder Mäzen dazu. So höre ich eine Band wie Stars halt nicht so regelmäßig, weil sie eher auf den äußeren Bahnen meiner Wahrnehmung schweben. Es ist immer wieder ein Fehler, wenn sie denn dann zu hören sind. Denn jedes Mal wird mir bewusst, was das für eine tolle Band ist. So gut kenne ich mich mit ihrem Werk noch nicht mal aus, aber jedes Mal komme ich auf das gleiche Ergebnis: Das ist extrem harmonisch und einfach sehr, sehr schön von den Melodien her. Zudem wechseln sie sich immer beim Singen ab, haben keine Angst, Bläser und Streicher opulent einzusetzen. Ihr Mut wird mit wundervollen Höreindrücken belohnt. So kommt es, dass sie heute ihr neues Album From Capelton Hill veröffentlichen und erneut zahlreiche wunderschöne Lieder präsentieren. Es ist ein reiner Genuss. In dieses Album muss man sich reinlegen. Es transportiert mich ganz weit weg, in eine Welt, die aus ein bisschen Herzschmerz und Sehnsucht besteht, aber im Vordergrund steht das große Staunen über so viel in Schönheit gepackte Musik!


Mittwoch, 25. Mai 2022

Therapy? - Live in München (20.05.2022)

(sb) Was lange währt, wird endlich gut. Kennt man den Spruch. Aber selten war es so zutreffend wie bei der aktuellen Tour der nordirischen Rocklegenden Therapy?, die im Jahr 2020 auf "So much for the 30 year plan"-Tour gehen wollten. Eigentlich. Dann kam Corona und das Zeitalter der Konzertverschiebungen brach an. Ganze vier Mal musste der Gig im Münchner Backstage verschoben werden, ehe das Trio am vergangenen Freitag endlich auf die Bühne gehen konnte - über zwei Jahre nach dem ursprünglich angedachten Termin wohlgemerkt...

Der Vorfreude auf das Konzert tat dies jedoch keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Zwar muss ich zugeben, dass ich zwischenzeitlich ein wenig den Überblick verloren hatte, wann es denn nun so weit sein würde, aber das Internet weiß alles. So brach ich am Freitag rechtzeitig auf, um die ca. 200 km nach München zu überbrücken und federte rechtzeitig im Backstage ein, um mich vor dem Konzert noch ein bisschen im Biergarten stärken zu können. Dort traf ich auch schon auf die ersten Dynamo- und FCK-Fans, die der ersten Begegnung der Releagtion auf Großbildleinwand entgegenfieberten und der Nervosität mit Augustiner entgegenwirkten.

Kurz nach 19 Uhr betrat ich dann das altbekannte Terrain des Backstage. Ich mag die Location einfach! Wie viele tolle Konzerte habe ich auf dem Gelände (ja, es ist ein paarmal umgezogen...) in den letzten 30 Jahren gesehen? Auch diesmal wurde ich nicht enttäuscht, denn bereits die belgische Vorband The Sore Losers legte eine fulminante Show hin und hätte es durchaus verdient, deutlich bekannter zu sein. Die perfekte Einstimmung auf Therapy?, die nach einer kurzen Umbauphase um 21 Uhr auf die Bühne kamen.

Inzwischen hatte ich mich mit alten Bekannten aus Nürnberg und Wien getroffen, die für das Konzert angereits waren. Überhaupt waren im Publikum einige bekannte Gesichter zu sehen. Klar, die großen Zeiten der Nordiren sind 25 Jahre her, junge Fans kommen kaum nach. Wie auch? Selbst bei Leuten meiner Generation sind Therapy? weitestgehend unbekannt und kennt sie doch mal jemand, ist die Standardantwort: "Was? Die gibts noch?" Ja, die gibts noch. Und wie!
 

 
 In den folgenden 90 Minuten lieferten Andy Cairns, Michael McKeegan und Neil Cooper eine überragende Show ab. Man merkte dem Trio in jeder Minute an, wie viel Spaß sie daran haben, endlich wieder auf der Bühne stehen und ihre Musik präsentieren zu können. Die Hits ihres Erfolgsalbums Troublegum wechselten sich mit Songs aus der Anfangszeit der Band aber auch neueren Tracks ab. Als Zuckerl gab es mit Joy sogar ein bisher unveröffentlichtes Stück zu hören, das sich aber nahtlos einfügte und zu gefallen wusste.

Eine Lanze möchte ich diesmal auch für das Publikum brechen, das extrem dankbar, aufmerksam und euphorisch auftrat und es Therapy? leicht machte, sich in München wohl zu fühlen. Ist dieser Respekt der auftretenden Band gegenüber vielleicht doch auch eine Altersfrage? Ich weiß es nicht.

Bei Tracks wie Teethgrinder, Nowhere, Isolation, Stories oder Screamager sprangen, pogten und tanzten dann aber auch Mitt- und Endvierziger wie junge Hüpfer und fühlten sich in die Mitte der 90er zurückversetzt. Leute, geil wars! Bitte mehr davon und das ganz bald.

Therapy? haben mit an diesem Abend einmal mehr vor Augen geführt, warum sie seit 28 Jahren meine Lieblingsband sind. Eine Liebe, die unter die Haut geht. In meinem Fall sogar wortwörtlich...







Dienstag, 24. Mai 2022

Grillmaster Flash - Komplett Ready

Foto: Benjamin Eichler
(ms) Okay, reden wir über Humor in Musik. Denn das ist ein wirklich heikles Thema. Denn leider kann das bei allem guten Willen ganz schön schief gehen. Schlechtes Beispiel: die Sportfreunde Stiller fallen mir schnell ein, da sie wieder neues Material am Start haben. Retrospektiv betrachtet haben sie ganz schön viel Schrott zusammen gedichtet. Ich, Roque. Oh, mein Gott. Das kann weg. Das war auch damals schon nicht witzig. Auch diese ganzen Fußballlieder sollten einen unterhaltenden Charakter haben, doch es war schlichtweg peinlich. Sehr gutes Beispiel: Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen. Carsten Friedrichs und Band wissen einfach, wie es geht. Denn sie haben verstanden, wie ansprechender Humor funktioniert, der nicht platt ist. Mit einem einfachen Mittel: Sie beobachten die Realität und versehen sie mit dem passenden Blickwinkel fürs Absurde im Kleinen. Wenn es um den großen Kölner Pfandflaschenbetrug oder Männer mit schönen Haaren geht, entsteht ein wundervolles Grinsen auf meinem Gesicht. Eines, das sagt: Musikalische, humorvolle Unterhaltung ist gar kein Problem und kann sehr, sehr viel Spaß machen. Kurzweilig ist es obendrein.

Damit sind wir bei Grillmaster Flash und seinem neuen Album Komplett Ready, das am 20. Mai beim Grand Hotel Van Cleef erscheinen wird. Ein bisschen tief durchatmen muss ich immer bei dem Namen, der doch irgendwie ein bisschen bescheuert ist. Und da sind wir erneut beim Punkt 'Humor und Musik'. Mir ist das ein Stück zu flapsig und damit geht (für mich) auch immer ein Stück des ernst-genommen-Werdens einher mit der Grundfrage: Was kann ich von einem Künstler erwarten, der sich Grillmaster Flash nennt und sich in jedem Fall auf die Fahnen geschrieben hat, fluffige, kurzweilige, lustige Musik zu machen?!

Vor, während und nach dem Hören der Platte bin ich komplett ratlos statt ready. Ich weiß einfach nicht so richtig, was das soll. Damit kann ich ganz wenig anfangen. Die ganze Understatement-Geschichte finde ich ja schon sympathisch, aber es zieht null bei mir. Wo Ich Jetzt Bin will er uns erzählen. Ja, durch die Regionen des Landes tingeln und vor wenigen Menschen spielen. Das ist seine Geschichte; jetzt bei einem super Label und ein bisschen Erfolg kommt auch. Doch irgendwie fehlt mir die humorvolle Tragik in seinen Liedern, so ist es halt nur tragisch. Und leider auch etwas beliebig. Bei einigen Liedern frage ich mich auch, worum es denn nun wirklich geht. Exit Sandman zum Beispiel. Geht es echt nur darum, dass das Metallica-Lied ein wenig abgegriffen ist?! Puh, dafür ist mir die Geschichte im Lied aber doch ein wenig dünn.
Ich will das irgendwie gut finden. Aber es gelingt mir nicht. Ich wollte Grillmaster Flash auch einen kleinen Label-Bonus geben, weil ich dem GHvC so verfallen bin, der ist aber schnell verflogen.
Beispielhaft für die Ratlosigkeit meinerseits: Vivien. Ein Lied über eine Frau, die sich ihren Dialekt abtrainiert hat. Das ist auch tragisch, aber ich finde das Stück so wenig griffig. Mir fehlt die Geschichte dazu, es klingt viel mehr nach einer Schilderung. Ich wette, dass die Liga oder Bernd Begemann zum gleichen Thema einen unterhaltsamen, kurzweiligen Song machen könnten. Bei Grilli bin ich leider weiter nur ratlos. Actionfigur schlägt in die gleiche Kerbe. Das Gegenteil von gut ist halt nur gut gemeint. Klar, witzig, dass es tatsächlich eine Figur zu kaufen gab, aber das ist auch das einzig schmunzelige dabei. Und es geht so weiter. Was Macht Benni Jetzt wäre ein schönes Lied über Menschen, die man aus dem Auge verliert, aber übrig bleibt ein nerviger Refrain. Intellektuelligent ist einfach nur drüber, den Hass auf Autos konnten Juse Ju und Panik Panzer griffiger in Musik transferieren und Witze über Paderborn sind echt ganz, ganz übel. Null Witz, nur noch Tragik.

Ach, man. Irgendwie will ich das ja gar nicht so blöd finden. Den Ansatz und die Ideen verstehe ich ja alle vollkommen. Und nein, bessere Lieder kann ich auch nicht schreiben. Aber ich habe einfach nicht den blassesten Schimmer was dieses Album soll...


Freitag, 20. Mai 2022

KW 20, 2022: Die luserlounge selektiert

Quelle: dribbble.com
(ms/sb) Dass ich Fynn Kliemann doof finde, wusste ich schon ziemlich lange. Jetzt gibt es noch mehr Gründe dazu, danke Jan Böhmermann. Das, was da jetzt ans Tageslicht gekommen ist, ist das Bild eines skrupellosen, unmoralischen, raffgierigen Wannabes. Zugegebenermaßen hat er sich aber auch sehr gut verkauft. Sein Heimwerkerkram habe ich nie gesehen, bis auf eine Ausnahme. Denn irgendwann war mal Dittsche zu Gast und ließ mit F.K. ein Terrarium für einen würdigen Nachfolger vom verstorbenen Schildkröte bauen. Was ging der Schrauber mir da auf den Sack. Irre. Aber nun gut, man muss nicht alles mögen. Ja, er wurde da dadurch so beliebt und geschätzt, da er sich so viele Standbeine aufgebaut hat. Klar, kann man gut finden. Ich kann das sehr gut verstehen. Doch dann fing er auch noch an zu singen. Das waren zwei Alben, für die er zu dem Zeitpunkt eigentlich schon gechasst hätte werden müssen. Das war auch unmoralisch und skrupellos, so schlecht wie das war. Es bleibt zu hoffen, dass es nun ganz, ganz, ganz still um ihn wird. Hart, aber fair.

Jetzt gehts endlich um wirkliche Musik. Das ist unser Job. Es ist Freitag, wir haben selektiert.

Trixsi
(ms) Jörkk Mechenbier. Was ist das nur für ein abgefahrener Typ. Woher nimmt der das alles? Was geht in ihm vor? Woher die ganze lyrische Energie? Wie kriegt er das alles nur zusammen? Und das nun wirklich in einer heftigen Gleichzeitigkeit! Die neue Single von Love A hat mich schon dezent gesprengt. Letzte Woche gab es dann auch noch neue Töne von Schreng Schreng & La La und nun auch noch Trixsi. Das sind alle seine musikalischen Projekte. Und sicher wird er noch Ideen, Liederschnipsel und Melodien für fünf andere Bands auf Halde haben. Ich bin sehr beeindruckt. Da ich auch alle drei Formationen sehr gut finde. Nun dachte ich aber, bis ich Schlangenmann gehört habe, dass er bei jeder Band einen anderen Kanal bedient. Schreng eher fürs Gefühl, Love A für die Sturm und Drang und bei Trixsi ein kruder Mix aus Humor, Blödelei, Tiefgang, allen Ideen, die dann so übrig geblieben sind. Das neue Lied klingt ernst, hätte ich nicht erwartet. Danke für die Überraschung. Das eindrückliche Video unterstreicht diesen Eindruck. Das Lebens eines Menschen, der alles mit sich machen lässt und zu allem Ja und Amen sagt. Traurig. Doch dazu gibt es keinen Grund, denn die Allstar-Band bringt am 3. Juni ihr neues Album And You Will Know Us By The Greatful Dead raus. Hehe. Erstaunlicherweise dieses Mal bei Glitterhouse und nicht bei Rookie, aber das wird schon seine Gründe haben…


Kat Frankie
(ms) Sie ist schon ein Phänomen. Das möchte ich genauso hier festgehalten wissen. Nichts alles holt mich ab, doch vieles definitiv. Zudem stehe ich einfach unglaublich stark darauf, wenn zu spüren, sehen und vor allem zu hören ist, wenn wirkliches Talent und wirkliches Können am Start ist. Das trifft auf Kat Frankie so sehr zu. Sie hat einen starken, warmen, wunderschönen musikalischen Sinn und ist einfach toll in der Lage, all das so zum Ausdruck zu bringen. Sie kann laut und leise, melodisch und eingängig, wuchtig und zart. Und immer sehr, sehr gut. Nun hat sie ein neues Album draußen, für das ich leider noch gar keine Zeit hatte. Shiny Things ist letzte Woche raus gekommen und passend dazu gab es auch noch ein neues Video zu Spoiled Children. Das Lied packt mich gar nicht mal so sehr, aber das Video finde ich irgendwie schön. Es passiert nicht viel, und genau das ist der Clou. Als ob sie versucht, alle Stimmen im Kopf zu bändigen, es nicht schafft und diese jubeln, wenn die Herrin im Hause Ruhe gibt. Es wäre spannend zu sehen, was passieren würde, wenn sie wieder den Saal betritt. Das bleibt zum Glück uns Hörenden und Sehenden übrig, diese Geschichte weiter zu spinnen. Kat Frankie. Super! Immer schon!

 
Entropy
(sb) Im Juli 2020 hatten Entropy ihr Debütalbum veröffentlicht und ich vollmundig verkündet, mir das sicher noch öfter anzuhören. Pustekuchen. Aus den Ohren, aus dem Sinn. Warum eigentlich? Saudumm von mir! Allerdings hatte ich so die Möglichkeit, die Band aus Hamburg wieder völlig neu für mich zu entdecken und auf ihre Death Spell EP (VÖ: 29.07.) steil zu gehen. Leider umfasst diese nur drei Tracks, aber die gehen dafür ab wie Schmidts Katze. Da setzt Du Dich in Dein Auto, schaltest die Anlage ein und der Titeltrack pustet Dir erstmal ordentlich die Gehörgange durch. So muss das! Ich bin mit Mitte 40 ja ein bisschen Berufsjugendlicher, aber das passt perfekt dazu. Überragender Song ist m.E. übrigens Unrelenting und wer weiß: Vielleicht gibts da ja auch bald noch ein Video dazu! Diesmal gebe ich zwar kein Versprechen ab, aber, äh, ich geb mir Mühe, die Band auch in Zukunft nicht zu vergessen...
 


Sohn
(ms) Ja, es bietet sich mehr als an, diesen kleinen Abschnitt mit einem biblischen Wort einzuleiten. Aber das war mir dann doch zu doof. So lange war Sohn nicht mehr präsent. Bereits 2014 erschien sein erstes Album Tremors und derart elektronische Musik war zu diesem Zeitpunkt gar nicht auf meinem Schirm. Dennoch hat es mich auf zauberhafte Art und Weise überzeugt. Ja, ich mag den Drive, das leicht Poppige aber vor allem den Groove, der bei mir sofort in die Glieder übergegangen ist. Drei Jahre später erschien dann Rennen, es packte mich nicht mehr ganz so stark, aber Hard Liquer ist immer noch ein großartiger Track. Zu allem Überfluss nahm er vor zwei Jahren mit dem niederländischen Metropole Orkest einen immensen Konzertmitschnitt auf, der die Grenzen von analoger und digitaler Musik komplett aufgelöst hat. Ein eindrücklicher Beweis, was für ein sinnlicher und professioneller Musiker Christopher Taylor ist. Ja, hier geht es viel um die Vergangenheit. Denn als ich nun mitbekam, dass es endlich wieder neues Material gibt, war ich selbstredend sehr neugierig. Aber dann leider auch schnell enttäuscht. Denn sein neuer Track Figureskating, Neusiedlersee haut mich überhaupt nicht vom Hocker. Berührt mich gar nicht. Ist mir viel zu poppig-austauschbar, als ob das eine ganz andere Band wäre... Schade, schade. Aber es ist ja auch „nur“ der erste Eindruck des wahrscheinlich auf den Namen Trust hörenden Albums, das noch kommt. Denn immerhin gibt es unter dem gleichen Namen eine angekündigte Tour für den Herbst. Bis dahin hoffe ich ganz stark, dass in weiterem, neuen Hörmaterial wieder mehr Zug und Tiefe enthalten ist.


Enno Bunger
(Ms) Er hört einfach nicht damit auf. Er trifft immer wieder ins Schwarze. Ob es jetzt die ganze, eigene Gefühlswelt ist, die große Gabe, Empathie in Musik zu übertragen oder auch politischen Diskurs in Liedform zu bringen, Enno Bunger ist einer der großen Poeten hierzulande. Und ich dankbar, dass es ihn gibt. Dieses Mal trifft es mich noch ein kleines Stückchen mehr, wenn er Kein Mensch Startet Einen Krieg singt, ein Stück, das seit heute draußen ist. Es trifft mich auf vielen Ebenen. Denn nun oute ich mich hier mal als Grundschullehrer. Bei uns an der Schule gibt es derzeit ein paar Gruppen an aus der Ukraine geflüchteten Kindern, denen von engagierten Menschen aus der VHS Deutsch beigebracht wird. In den kommenden Tagen landen sie dann ganz normal in unseren Klassen. Wie damit umgehen mit der Klasse? Wie erzählt man Kindern davon? Das war eine wichtige Frage. Wir haben es gemacht und es gelingt sehr gut. Kinder verstehen gut. Nicht alles, nein, das müssen sie auch nicht. Auch wenn sie vieles noch nicht in den passenden Worten ausdrücken können, so haben sie doch ein immenses Gespür für andere und deren Schicksal. Das mag sich nun bizarr anhören, aber ich denke, dass ich verstanden werde: Vielleicht ist es ja sogar von irgendeiner Art von Vorteil, dass ich Kinder aus Syrien oder Afghanistan bei mir sitzen habe, die das verstehen, vielleicht ähnliches gesehen haben. Wer weiß… Ja, Enno Bunger singt mal wieder ein todtrauriges, aber irgendwie auch wunderschönes Lied über den Zustand der Zeit. Das muss man ihm hoch anrechnen. Denn vieles bleibt so unbegreiflich. Kurz nachdem Russland mit seiner völkerrechtswidrigen Invasion begann, saß ich mit einem meiner besten Freunde zusammen. Wir sind beide Anfang dreißig. Und ich sagte zu ihm: „Scheiße, wenn wir da jetzt wären, wir dürften nicht fliehen, sondern müssten kämpfen.“ Kein Mensch startet einen Krieg.


Sofia Portanet
(Ms) Ja, das ist einfach richtig gute Popmusik. Kann man nicht anders sagen. Und da darin so viel Pfiff und Drive zu hören und spüren ist, bin ich sofort immens empfänglich dafür. Sofia Portanet. Im Pressetext, dass sie eine der schillerndsten Gestalten der hiesigen Musikszene sei. ‚Schillernd‘ finde ich ziemlich unpassend. Eher talentiert, facettenreich und aufgeschlossen. Man muss nicht schillernd sein, wenn man mit Kreator und Chilly Gonzales gleichermaßen zusammen arbeitet. Aufgeschlossen ist Sofia Portanet. Zudem weiß sie genau, wie Musik haften bleiben kann. Mit Mi Amor hat sie es ein weiteres Mal geschafft. Schon nach den ersten Takten wusste ich, dass mir das Stück sehr gut gefallen wird. Ihre Art der Popmusik hat den Anschein, gleichermaßen einfach und ausgetüftelt zu sein. Genau das gefällt mir so sehr daran und steigert die Vorfreude auf ein neues Album, das sicher noch dieses Jahr erscheinen wird!

Dienstag, 17. Mai 2022

Endlich wieder live: Eine kleine Reise

Foto: luserlounge

(ms) Letztens bei einem Umzug geholfen. Da trifft man immer auf fremde Menschen. Neben pseudofachlichen Unterhaltungen über den genauen Aufbau einer IKEA-Kommode ist selbstredend auch allerhand Small Talk dabei. Nebenan lief Radio, ich schraubte irgendwas zusammen, kam mal rüber, um zu quatschen und dann die Frage, die mich zerstört: „Was hörst du denn so für Musik?“ Eine Antwort auf diese Frage fällt mir so schwer, wenn sie unter 30 Minuten sein soll. Vielleicht werde ich stattdessen demnächst einfach von den letzten drei Konzerten erzählen, die ich innerhalb von fünf Tagen gesehen habe. Sie fassen ganz gut zusammen, was alles in einem Herzen möglich ist, denn es kennt keine Grenzen.

Mittwoch, 11.05 - Bremen, Lagerhaus: Bodi Bill
Dies war ein Abend, der im Vorhinein schon der Leitlinie entsprach: Es gibt so ungeheuer viel gute Musik auf dieser Welt. Schade, dass ich nicht alles hören kann. Von Bodi Bill habe ich vorher noch nie gehört, wurde aber überzeugt für diesen Abend in feiner Begleitung. Es war luftig im Lagerhaus mitten in der Woche. Schade, denn das war ein enormer Abend! Den Auftakt machte das Ein-Mann-Projekt Flawless Issues, das stark an Dark Wave à la Drangsal erinnerte mit vielen spielerischen Elementen dabei. Bodi Bill wiederum sind zu viert. Neben dem Schlagzeug waren zwei Tische aufgebaut, auf denen sich allerhand elektronische Spielereien befanden. Mit diesen Knöpfen, Effektgeräten und kleinen Keyboards gelang es der Band spielerisch aus dem Abend ein musikalisches Crescendo zu machen. Der Grundstein ihrer Musik bilden diese ganzen Synthie-Spielzeuge. Was sie damit machen, ist irre. Es wurde von Lied zu Lied dichter, intensiver, tanzbarer. Und das war das, was mir an dem Abend so gut gefallen hat. Endlich mal wieder tanzend unter tanzenden Menschen sein und einfach nur den Moment genießen. Es fühlte sich an wie ein großer Rausch, ein kleiner Rave, ein ziemlich dichtes Erlebnis, das die Band verschwitzt und glücklich zurück gelassen hat. Stark!

Freitag, 13.05 - Oldenburg, Kulturetage: Alin Coen
Ein Abend mit Alin Coen auf der Bühne spricht ganz andere Emotionen und Hirnwindungen an, als das noch wenige Tage zuvor der Fall war. Wie schön, dass sie ihren musikalischen Sinn wiedergefunden hat, nachdem er scheinbar abhanden kam. Ein Glück, dass es eine Poetin hierzulande gibt, die mit so einfachen, klaren, schönen Worten die ganze Tragik und das ganze Glück des menschlichen Daseins beschreiben kann. Vielleicht ist das der Grund, weshalb sie ein recht heterogenes Publikum anzieht. Schön, so viele unterschiedliche Menschen an einem Ort zu sehen, die das Gleiche genießen wollen. Begonnen hat WIM den Abend, eine Woche bevor ihr tolles Album Boxer erscheinen wird. Sie spielte allein am Keyboard ihre Stücke, was ich etwas schade fand. Ins Album durfte ich schon reinhören und denke, dass es von den tollen Rhythmen getragen wird, die so leider nicht zur Geltung kam. Dann muss sie halt mit Band nochmal wieder kommen.
Auf der sehr luftigen Bühne machte es sich danach die Hauptperson mit ihrer dreiköpfigen Band gemütlich. Was strahlt diese Frau nur aus?! Es ist irre. Sie singt tieftraurige Lieder und lacht dabei voller Güte und tiefem, menschlichem Gefühl. Das ist einzigartig und wunderschön. Besondere musikalische Anerkennung gebührt Liv Solveig an diesem Abend, die nicht nur toll sang, sondern auch exzellent Gitarre, Keyboard und Geige (!) spielte. Das bereicherte viele Lieder. Schnell ging der Abend rum. Viele menschliche Regungen wurden angesprochen und trotz vieler schwerer Themen war das ein erstaunlich gelassener und fröhlicher Abend. Diese Gelassenheit und gute Laune wurde auch durch allzu Menschliches hervorgerufen. Klar, Alin Coen und ihre Band sind richtig gut an den Instrumenten. Doch auch Fehler passieren. Wie die jedoch weggelächelt worden sind, war einfach nur schön anzusehen. Herrlich. Immer gerne wieder!

Samstag, 14.05 - Osnabrück, Maiwoche: Turbostaat
Ein Abend danach wieder eine komplett andere Stimmung und Atmosphäre. Obwohl ich lange in Münster gelebt habe, war ich noch nie auf der Osnabrücker Maiwoche, die allerhand kulturelles Programm zu bieten hat. Für lau! Dass das viele Menschen anzieht, ist klar. Zudem spielte der VfL Osnabrück auch an diesem Tag sein letztes Ligaspiel, sodass sich in den Straßen Fußballfans, normales Samstagspublikum und MusikpilgerInnen mischten. Herrlich. Viel Rausch war in den Straßen zu sehen. An der feinen, grünen Wallanlage war eine große Bühne aufgebaut, an der es abends scheppern sollte. Leider wurde da Herforder ausgeschenkt, gruselige Erinnerungen der Jugend kommen hervor…
Wir schlenderten zur Bühne, als uns aus dieser Richtung schon eine ordentliche, musikalische Krawallwand entgegen ballerte. Duesenjäger standen auf der Bühne und haben mal gezeigt, was man mit E-Gitarren so machen kann. Beispielsweise ziemlich kompromisslosen Punkrock, der es in sich hatte. Leider war von den Texten kaum etwas zu verstehen, doch die Menge tobte und war sichtlich angetan. Ich kann es verstehen. Das ging gut ab! Gegen halb zehn stand dann die Band auf der Bühne, die zahlreiche Menschen angelockt hat. Klar, so eine Umsonstveranstaltung zieht ein recht gemischtes Publikum ab, doch jeder auf dieser Welt sollte halt auch mal Turbostaat live gesehen haben. Und sie taten das, was sie am besten können: Live ihre Kraft, ihre Dynamik, ihr volles Potential ausschöpfen und beweisen, dass sie eine der ganz wichtigen Gruppen hierzulande sind, was starke Texte und Wucht anbelangt. Ganz bis zum Ende konnten wir uns das leider nicht anschauen, aber die mehr als 60 Minuten, die wir mitbekommen haben, waren herausragend. Bei Turbostaat weiß ich aber eine Sache oft nicht ganz so richtig: Strahlen sie auf der Bühne Sympathie aus oder doch eine gewisse Distanz zum Publikum. Ich denke, dass da Tour- und solch Festivaltermine stark unterschiedlich sind. Während ihres Auftritts haben sie einen beeindruckenden Ritt durch ihre eigene Diskographie veranstaltet. Von Vormann Leiss, über Abalonia hin zu Meisengeige. Das hat schon extrem viel Spaß gemacht. Sie bringen einfach eine unverwechselbare Dichte an Klang auf die Bühne, die mich direkt packt. Eine Band, die ich verhältnismäßig spät kennen- aber dann anzubeten gelernt hab. Geil!

Ja, so sieht es aus. Das ist die Musik, die ich höre in drei Paradebeispielen was alles möglich ist. Ende.

Sonntag, 15. Mai 2022

Live in Bochum: Get Well Soon

Foto: luserlounge
(ms) Es war ein Ding der Unmöglichkeit. Es hat mich einfach nur überfordert. Und es gab - auch jetzt noch - nicht einen Moment, in dem ich dachte, dass ich dem Ganzen gewachsen wäre. Musikalisch und intellektuell. Dabei würde ich mich - selbstbewusst, aber nicht arrogant - als kompetent bezeichnen, wenn es ums Schreiben über Musik geht. Zudem kommt erschreckend hinzu, dass ich diese Band seit geraumer Zeit intensiv verfolge und höre. Seit gut 14 Jahren. Das ist lang. Dabei ist das nun das sechste reguläre Studioalbum und das 15. Mal, dass ich Get Well Soon live gesehen habe.

Doch das neue Album Amen hat mich schlichtweg überfordert. In dem Moment, als ich es zum ersten Mal hörte, war ich schon total perplex. Es ist ein verdammtes Meisterwerk. Musikalisch extrem vielschichtig. Textlich ganz, ganz schwer einzuordnen zwischen tragischem Humor, therapeutischer Selbstreflexion und philosophischen Diskursen. Das habe ich alles überhaupt nicht begriffen. Immer wieder die Texte gelesen, versucht die einzelnen musikalischen Elemente rauszuhören, wieder zusammenzusetzen. Und jedes Mal gescheitert. Ja, ich habe es Konstantin Gropper auch komischerweise nicht mehr so sehr zugetraut, mich erneut vollständig vom Hocker zu hauen. In beeindruckender und scheinbar leichtfüßiger Manier hat er es geschafft.

Nein, einen Artikel zu Amen habe ich im Kopf zwar oft angefangen, aber nicht ein einziges Wort dazu vermocht aufzuschreiben. Ich fühlte mich dem einfach nicht gewachsen. Dies ist eine Herausforderung und ich bin präventiv gescheitert.
So genial ist diese Platte. So facettenreich. Voller Überraschungen. Enorm intensiv. Oft kaum zu glauben, dass immer noch die gleiche Band hier Musik macht. Erneut muss ich mich verneigen vor dem Talent Konstantin Groppers. Er ist ein Genie. Er hat verstanden und er lebt, was mit Musik möglich ist. Von skurrilem Humor bis völliger Ekstase. Alles machbar. Als ob er nach dem Aufnahmeprozess meinte: „So, hier ist das neue Album, macht damit, was ihr wollt.“
Gut, es hat mich stehend k.o. Geschlagen.

Dass ich die dazugehörige Tour besuchen muss, war immer klar. Bochum ist zwar nicht um die Ecke, aber das einzige, was am Wochenende dann doch gut erreichbar war. Schönes, hässliches, charmantes Ruhrgebiet. Auf mysteriöse Art und Weise habe ich mein Herz an dich verloren. Endich wieder stilecht Pils trinken. Ab zur Zeche. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal mit einem Bus zur Konzertlocation gefahren bin. Und Zack, gedanklich im Vorhinein die Zeche Bochum mit der Zeche Essen verwechselt. Trotzdem vor Jahren schon mal da gewesen und Nada Surf gesehen. Den Laden in bester Erinnerung behalten. Das war auch dieses Mal wieder der Fall. Super gemütlich, schön gestaltet, entspannte Größe und wieder zum Weizenbier übergegangen. 

Um 19 Uhr bereits begann der Abend. Ohne Vorband direkt in die Ekstase. Natürlich fragte ich mich, was er denn so spielen würde. Doch das ist eine unlösbare Aufgabe. Denn Get Well Soon können aus einer schier unglaublichen Anzahl an Liedern schöpfen. Alle würden passen. Sie könnten auch vier Stunden spielen, es würde nicht langweilig werden. Ob das emotional aufgrund der hohen Intensität machbar wäre, auch als Zuschauer… die Frage sei dahin gestellt. Mit der Prelude vom ersten Album haben sie den frühen Abend begonnen, der in Erinnerung haften bleibt. Sehr geschickt natürlich. Was genau danach kam, weiß ich nicht mehr. Klar, es ist nicht verwunderlich, dass der Fokus auf der neuen Platte lag. Und dass sie das so sehr durchgezogen haben, sorgte nach dem Gig für Gesprächsstoff. Mein Favorit auf dem neuen Album ist I Love Humans, weil das Lied so eine schöne, sanfte und dennoch unterschwellig starke Melodieführung hat. Das haben sie live toll umgesetzt, obwohl die Trompete ein wenig lauter hätte sein können. Schön nach vorne ging es mit One For The Workout, sicher das griffigste neue Stück. Bei dieser Anzahl an Liedern ist dann immer auch die Frage, was an altem Material so gespielt wird. Unter anderem waren dabei Tick Tack Goes My Automatic Heart, Love oder auch You Cannot Cast Out The Demons You Might As Well Dance als Abschluss. Freudig überrascht war ich, dass er Funny Treats, den Titeltrack von How To Sell Drugs Online (Fast) spielte. Stark war der Einsatz der bunten Lichter zu diesem kleinen Drogenausflug. Auch The 3:4 Days von der The Lufthansa Heist EP von 2014 war eine hörenswerte Überraschung. Es muss noch mal gesagt werden: Es ist irre, aus was für einem Repertoire dieses Musikprojekt schöpfen kann.
Doch dann ist zwischendurch noch etwas passiert, das ich so nicht habe kommen sehen. Kinnlade runter, Herz spielt verrückt, nur noch Staunen. Dass sie tatsächlich Us vs. Evil live spielen, hätte ich nicht zwingend erwartet, da das Stück auf Amen auch schon so enorm komplex ist! Das lassen sich Gropper und Co. aber selbstredend nicht nehmen sondern tüfteln eher an der Frage: Wie schaffen wir das? Einfach: Auf der Bühne stehen sechs exzellente Musiker und Musikerinnen, die alle Instrumente, die sie bedienen, mit spielerischer Profession beherrschen. Da aber offensichtlich noch jemand für die Bongos fehlte, stülpte sich der Typ an den Reglern passend zur Zeile im Lied „You See Things That We Don‘t See“ ein weißes Geisterkostüm plus Maske über und trommelte drauf los. Völlig verrückte Minuten in Bochum. Überall irgendwelche Töne, Instrumente, Wechsel im Tempo, Intensität und und und. Oft habe ich diese Band live gesehen, auch in besonderen Atmosphären, aber das war eine gänzlich neue Erfahrung. Was sind das alles für überragende Musiker und Musikerinnen!!! Hut ab! Stehend k.o. Zum zweiten Mal!

So verlässt man perplex einen Abend, der durchaus hätte länger sein können. Aber die Frage stellt sich, wer das noch länger aushält. Ein Abend mit Get Well Soon ist eine Demonstration an musikalischer Klasse, reinem Rausch, hoher Dynamik und wundersamem Staunen.
Was mich in all den Jahren total freut: Lange war Konstantin Gropper die Rolle als Moderator des Abends suspekt. Das hat er abgelegt, agiert leichtfüßig, humorvoll und extrem sympathisch. Zudem muss festgehalten werden, wie stark diese sechs Menschen miteinander harmonieren. Wo Blicke ausgetauscht werden, wer wann selbst wie stark in der Musik versinkt. Das ist ein großer Spaß!

Ich freue mich auf die nächsten Abende, die mich fertig machen.

Freitag, 13. Mai 2022

KW 192022: Die luserlounge selektiert

Quelle: commons.wikimedia.org
(ms/sb) Alte Schule. Finde ich bei Rollenbildern beispielsweise total dämlich. Doch in einem Punkt der alltäglichen Begegnungen finde ich dieses Konzept sehr, sehr charmant. Ja, ich stehe voll drauf. Da lasse ich mich komplett einlullen und verliere meine rationalen Überzeugungen, die eh rar gesät sind. Es hat so gut wie immer mit Geld zu tun. Ja, es geht um guten Service. Beispiel: Dieser Tage war ich ein wenig ziellos in Bekleidungsgeschäften unterwegs. In Geschäft A wusste ich sofort, dass das nichts wird. Eine Verkaufsperson stand extrem gelangweilt hinter einer Kasse und hat sich um keinen der KundInnen im Geschäft gekümmert. Da ist mir fast egal, wie toll die Klamotten dort sind, da fühle ich mich nicht willkommen oder gar wohl. Gegenüber das genaue Gegenteil. Der Laden war aber auch ansprechender eingerichtet, heller und besser strukturiert. Ich stöberte und dann kam jemand auf mich zu, es war ein zwangloses Gespräch und wenige Minuten später habe ich gezahlt. Unkompliziert, freundlich und nett. Noch mehr stehe ich auf guten Service, wenn es um Handwerk geht. Bei Schneiderarbeiten zum Beispiel. Letztes Jahr war der Reißverschluss kaputt, in dem Laden habe ich mich extrem wohl gefühlt. Und beneide die Menschen, die einfach gut in dem sind, was sie tun. Bestes Beispiel: Die Menschen aus der Radwerkstatt meines Vertrauens. Die sind so leidenschaftlich dabei, voller Know-How und machen ihre Sache echt exzellent. Da gehe ich doch gerne hin. Da lasse ich mir doch gern weiterhelfen. Denen gebe ich auch einfach gern mein Geld. So einfach ist das.

Wir sind wieder da und machen es schnörkellos. Wir haben selektiert:
 
Jochen Distelmeyer 
(ms) Über die Zugänglichkeit von Musik. Wann bleibt ein Lied im Kopf hängen? Es geht mir nicht mal zwingend um die Ohrwurmtauglichkeit, sondern um das Mitschwingen beim Hören. Was braucht ein Lied, damit es mich irgendwie packt und auch hängen bleibt? Kann ein Lied für mich auch gut sein, wenn es das nicht zwingend schafft? Das frage ich mich beim Hören von Ich Sing Für Dich, dem neuen Lied von Jochen Distelmeyer. Klar, er muss niemandem hier etwas beweisen, dafür hat er mit Blumfeld Geschichte geschrieben. Darum geht es auch gar nicht. Es geht um den für mich als sperrig wahrgenommenen Text dieses Liedes. Er singt halt nicht, so wie im Titel versprochen, sondern er trägt den Text eher mit einer dem Gesang ähnlichen Melodie vor. Selbstverständlich ist das ein sehr schöner, tröstender Text, der gut tut. Aber das liederhafte Gewand fehlt mir beim Hören. Und diese Diskrepanz liegt zu hundert Prozent bei mir. Ich bin es halt viel zu sehr gewohnt, Strophe-Reim-Refrain-Lieder im Gitarrenpop- oder Rapgewandt zu hören, die irgendwie nach einem recht vorhersehbaren Schema funktionieren. Jetzt kommt einer der Großen der Musik hierzulande und lässt mich ganz klein wirken. Finde ich gut, so kann ich ein wenig hinterfragen, was mir beim Musikhören wichtig ist. Um dem noch ein bisschen näher zu kommen, freue ich mich auf sein neues Album Gefühlte Wahrheiten, das am 1. Juli erscheinen wird.


Echo Mountain
(sb) Wir hören hier im Großraumbüro ja Radio. Oft unerträglich. Das reicht von stündlich Ed Sheeran und Miley Cyrus über Michael Patrick Kelly bis hin zu Udo Lindenberg. Zwischendrin trällert dann immer mal wieder Pop-Sternchen Gayle ihr ach so rebellisches ABCDEFU aus den Boxen. Puh, schwierig, das alles. Gott sei Dank haben sich nun Echo Mountain dieser akustischen Frechheit angenommen und das Stück endlich mal in ein erträgliches Gewand verpackt. Jetzt klingt das Ganze nach feinem California Punk im Stile von Blink182 und Konsorten. Passt. Die niederländische Band hat sich auf die Fahnen geschrieben, aktuellen Charts-Hits einen Punk-Anstrich zu verleihen. Sehr löblich und wir freuen uns auf Zugabe. Der Vorteil: Es kann in den meisten Fällen ja nur besser werden...
 
 
Sportfreunde Stiller
(ms) Am liebsten würde ich gar nicht drüber schreiben. So gruselig ist es. Und genauso erwartbar war es leider auch. Die ganz bittere Wahrheit lautet: Wer braucht heute noch neue Musik der Sportfreunde Stiller? Ich glaube, da gehen nicht so viele Finger hoch derjenigen, die sie in den letzten Jahren arg vermisst haben. Man muss aber auch erwähnen, dass sie irgendwie immer ein ziemlich schweres Standing hatten. Zum Teil irre schöne Lieder, die eigentlich für die Ewigkeit gemacht sind. Und dann wieder so eine riesige Portion Schrott, der getrost verstauben kann. Kein Problem. Ihnen fehlte immer eine gewisse Zuordnung in der deutschsprachigen Musikwelt. Weder kritisch, noch intellektuell noch politisch noch provokant. Dann doch halt Radio. Ich schreibe das nicht aus argwöhnischem Spott. Rüde, Flo und Peter sind die Band, die mir die Tür zu der ganzen Gitarrenrockwelt als jugendlicher Pimpf geöffnet haben. Alles andere kam danach. Aber was man so mit 14 gut fand, ist halt etwas anderes als mit Anfang zwanzig später oder jetzt mit Anfang dreißig. I'm Alright heißt die neue, leider doch schlechte Single der Münchener. Zwei Mal habe ich es mir angehört. Zwei Mal zu viel. Es kommt auch noch ein Album irgendwann. Ich wünsche den drei Sympathieträgern, die sie immer noch sind, wirklich von Herzen großen Erfolg und gut besuchte Konzerte. Doch ich werde nicht da sein. Das ist einfach überhaupt keine Musik mehr, die mir nur ansatzweise etwas gibt.


Fragments - Erik Satie
(sb) Ach, Neo Klassik, Du geile Sau! Was hast Du uns nicht schon für geniale Künstler und Alben beschert. Ob Ludovico Einaudi, Ólafur Arnalds, Hania Rani, Max Richter oder Nils Frahm - wir sind Fans! In der Reihe Fragments werden elektronische Künstler eingeladen, einen ganz neuen Blickwinkel auf die Werke eines renommierten Komponisten zu werfen. Den Auftakt dazu macht Erik Satie (VÖ: heute!), ein französischer Komponist des frühen 20. Jahrhunderts und Pionier der "Minimal Music". Unterschiedliche Künstler wie Grandbrothers, Dominik Eulberg, Henrik Schwarz, Pantha du Prince, French 79, Sascha Braemer, Monolink, Christian Löffler, Moritz Fasbender, Two Lanes und Snorri Hallgrímsson haben sich an ihre Instrumente gesetzt und Reworks von Saties Musik vorgestellt. Das Ergebnis lässt sich hören und macht neugierig auf die nächsten Teile. Lasst Euch das nicht entgehen.


 
Portugal. The Man
(ms) Ja, ich finde es schade, dass Portugal. The Man nicht mehr so heftig unvorhersehbare Musik machen wie auf frühen Alben wie Church Mouth, aber ich gönne ihnen echt den Erfolg. Klar, Feel It Still ist ein abgefuckt starker Popsong, der sein Ziel ziemlich gut erreicht hat. Catchy ist er obendrein. Vielleicht hat die Band nun in ihrem 18-jährigen Bestehen einen Weg des musikalischen Ausdrucks gefunden, der für sie super cool ist, ihnen gefällt, zu dem sie sich hin entwickelt haben, das 'jugendliche', wilde Treiben abgelegt haben, aber immer noch den Groove der alten Tage sehr gut verstehen und abliefern können. So lange muss man auch erst mal im Geschäft und von Belang sein. So ehrlich muss man sein. Einen neuen Track gab es vor wenigen Wochen mit What, Me Worry? Es ist klar zu hören, auf welche musikalische Ebene sich die Alaskans eingespielt haben: Großer Gitarrenpop mit Pfiff und ziemlich viel Drive. So sehr packt mich das nicht mehr, weil die Gitarren nicht mehr so krass ausbrechen. Ist aber cool, macht Spaß, läutet einen hoffentlich sehr beschwingten Sommer ein! Vielleicht kommt ja sogar eine neue Platte.


Oehl
(ms) These: Wenn wir zwischen 18 und 25 sind, prägen wir uns unseren eigenen Musikgeschmack. Da passiert viel. Plus/minus halt. Ende der Schulzeit, Auszug von daheim, Start in die Ausbildung oder das Studium, den Beruf, irgendwie versuchen diesem Wust an Erwachsenwerdendingen Stand zu halten. Später wird es schwer, dass da noch Bands kommen, die von Gewicht dominieren. Oder liege ich da so falsch? In meinen Kosmos der wichtigen, viel gehörten Bands, an die ich mein Herz verloren habe, ist vor zwei Jahren Oehl eingestiegen und bleibt da voller Schönheit. Denn es ist vollkommen neue Musik. Klanglich ist es ziemlich raffinierter Pop, der mit unerwarteten Instrumenten wie Bassblockflöte oder Harfe arbeitet. Textlich ist mir etwas Vergleichbares noch nicht untergekommen. Ariel Oehl ist ein wahrer Poet, der es meisterhaft versteht komplexe, emotionale Geschehnisse auf den Punkt zu bringen oder ein Bild, eine Situation dafür zu finden. Zum Beispiel mit dem neuen Lied Keine Blumen. Es ist tieftraurig und wunderschön, wenn er vom Totenbett eines geliebten Menschen singt, der kurz vorm Ableben sagt, dass Blumen nicht weiter erwünscht sind, sie zahlen sich nicht mehr aus. Bitter. Dass daraus ein so feines, wundervolles und rundes Lied entstehen kann, muss man seinem kreativen Gespür zugute halten. Das ist stark. Und vor allem außergewöhnlich! Die gleichnamige Platte erscheint am 26. August!

Mittwoch, 4. Mai 2022

Sam Vance-Law - Goodbye

Foto: Alexander Coggin
(ms) Zeitsprung in den Januar 2019. Sam Vance-Law ist mit seinem großartigen Album Homotopia auf Tour und das Gleis 22 in Münster ist gut gefüllt und beschwingt während eines sehr kurzweiligen und tollen Abends. Sam Vance-Law weiß ziemlich gut, wie er das Publikum auf seine Seite zieht. Zum Einen macht er extrem gute und sehr zugängliche Musik, zum Anderen ist er einfach irre charmant und humorvoll. Eine feine Mischung. Sein Erstling ist eine ziemlich programmatische Platte, die ein Dasein als homosexuelle Person thematisiert, unterhaltsam und eindringlich. Damals meinte er schon, dass die nächste Platte, an der er in jenem Winter schon arbeitete eine Trennungsplatte wird. 

Zeitsprung in den Mai, 2013. Gleicher Ort. Dear Reader waren auf Tour mit dem ebenfalls programmatischen Album Rivonia, auf dem es um die südafrikanischen Wurzeln von Sängerin Cherilyn MacNeil geht und einer Auseinandersetzung ihrer Herkunft. Auch auf der Bühne: Sam Vance-Law. Sowohl als Hälfte der Vorband Traded Pilots, die es nicht mehr gibt, als auch als Teil von MacNeils Band danach. Damals blieb er als singender Geigenspieler in Erinnerung, der damals schon mit seiner charakteristischen Stimme auffiel. Umtriebig war der nun in Berlin lebender Kanadier immer schon. Und immer schon auffällig gut an all seinen Instrumenten.

Zeitsprung in den Mai 2022. Sam Vance-Law hat mittlerweile einen Vertrag bei Virgin Records und bringt am 6.05.2022 sein zweites Solo-Album raus. Alles, wofür er steht und was er angekündigt hat, trifft auf Goodbye (erneut) vollkommen zu. Der Titel sagt ja alles. Wieder ist es ein konzeptionelles Album, das inhaltlich oft sehr hart und musikalisch oft sehr schwungvoll und beinahe optimistisch anmutet. Ja, es ist genau die Trennungsplatte geworden. Doch es ist kein Herzschmerzalbum, zu dem man alleine, rotweintrinkend in verschwindenden Erinnerungen suhlt und weint. Es ist ein Album, das einen klaren Schlussstrich zieht, selbstbewusst 'Hau ab!' ruft, aber natürlich auch die schweren Seiten zulässt.

Ein Klavierintro Namens 2, passend zur Anzahl seiner Alben, eröffnet sanft und recht entspannt diese Platte. Einzelne Motive des Stücks werden wieder auftauchen. Und dann eröffnet sich ein musikalisch sehr zugängliches und textlich sehr geschicktes Album mit dem Track Kiss Me. Wie er auf diese eine gewichtige Beziehung zurück schaut, ist das Motiv. Mit all den ernüchternden Erkenntnissen und nicht in Erfüllung gegangenen Wünschen. Ja, auch so scheinbar simple, selbstverständliche Dinge wie ein Kuss. Klar, Liebeskummer ist ein unschönes Gefühl. Macht schwer. Zieht runter. Verdunkelt die Freude und Perspektive. So könnte dies ein enorm melancholisches Album sein. Klar, die Texte sind schonungslos, aber auch nicht frei von Humor. Icarus ist so ein etwas betrübtes Lied übers Schlussmachen, scheiß Momente. Das Lied zeigt auch, wie fein Sam Vance-Law als Musiker arbeitet: seine prägnante Stimme brilliert, Bläser und Streicher sind genau richtig eingesetzt, unterstreichen die ernste Atmosphäre, ohne kitschig zu sein. Ja, locker sind die Arrangements auf diesem Album, und gleichzeitig ziemlich clever, wenn Someone Else mit einem tollen, kurzen Chorpart startet, der im Refrain wiederkommt. Ein Lied, das einen tollen Drive entwickelt!
Dann einer der poppigen Kracher des Albums: Klar, es geht darum, dass die mittlerweile ungeliebte Person sich verdammt nochmal verpissen soll, und genau so klar wird es auf Get Out auch gesungen. Synhies, 'Whoo-hooo' und catchy Gitarren machen dies zu einem kurzweiligen Vergnügen, logisch, dass dies als erster Part einer Doppelsingle ausgesucht worden ist. Das später auf dem Album kommende Been Drinking ist halt die verkaterte Seite, des poppig-luftigen Get Out - sowohl musikalisch als auch inhaltlich.
Ach, Liebeskummer, du elendiger Hund. Es ist ja der komplette emotionale Breakdown samt sämtlich möglicher Zweifel an sich und der Sinnhaftigkeit des Lebens. No Love ist das passende Stück dazu. Bedrückte Melancholie und hoffnungsvolle Streicherarrangements geben sich hier die Klinke in die Hand. Mit Blissful Times macht sich der Kanadier sogar an eine moderne Form des französischen Chanson ran, was wunderbar aufgeht. Ja, bei aller Monothematik von Goodbye, ist es musikalisch sehr abwechslungsreich. Es ist eindrücklich zu hören, dass hier jemand mit viel klanglichem Gefühl am Werke ist. Auf Cause I Know ist eine Sologeige zu hören, die repetitiv spielt. Später kommen noch gezupfte Elemente hinzu und ich komme ins Träumen und Wünschen für seine Liveauftritte, dass er das selbst spielt. Das wäre echt großartig! Die textliche Erkenntnis 'Cause I know that you don't love me' ist ja in dem ganzen Trennungsprozess die schlimmste, die ganze Enttäuschung kommt im Stück gut heraus. Grob zum Ende hin zeigt er mit Here You Go Again erneut großes poppiges Gespür - hach, das macht echt Spaß zu hören, wie gut die Lieder auf dieser Platte angeordnet sind. Es wird nicht langweilig! Der nächste Beweis: Too Soon weißt einige extrem lässige, beinahe abgebrühte Jazzpassagen auf!
Goodbye endet mit Thanks Again, das mit gezupfter Gitarre startet. Ja, so vehement zwischendurch 'Verpiss dich' gerufen wurde, kommt am Ende ein Dank. Ein Dank, der von Herzen kommt, so sanft und bedacht er ist. Bedanken tut sich Sam Vance-Law nicht nur bei der erloschenen Liebe, sondern auch bei seiner Familie, Freunden und unbekannten Hörenden. Fürs Zuhören.

Zeitsprung ins Jetzt: Lieber Sam Vance-Law, gerne habe ich zugehört. Das zweite Album ist extrem rund, sehr ausgewogen, facettenreich. Ja, es gibt zwar 'nur' ein Thema, doch das ist so groß und stark, dass es darüber viel zu erzählen und singen gibt. Das hat hier hervorragend geklappt! Danke.