Freitag, 3. Mai 2019

KW 18, 2019: Die luserlounge selektiert

Bild: ostseefohlen.de
(ms/sb) Vergangenen Sonntag am Bremer Hauptbahnhof. Kenner wissen, dass es schönere Orte auf dieser Welt gibt. Selbst die Läden im Inneren haben ganz wenig zu bieten, wenig Charme insgesamt. Ich stieg um und auf dem Gleis sprach mit ein adrett gekleideter Mann um die sechzig auf englisch an, ob er dort richtig sei, um nach Hamburg zu fahren. Ich bejahte dies. Wir kamen nach und nach ins Gespräch, nachdem ich ihm versucht habe zu erklären, dass er mit dem Niedersachsenticket nicht IC fahren dürfe. Er, Vollprofi: Ohne meine Info wüsste er das nicht, er fährt dennoch. Es stellte sich heraus, dass er Manager verschiedener Jazz-Künstler sei und seine Aussprache hat ihn als irischen Iren enttarnt. Wir sprachen über einen Jazz-Song, der ICE heißt. Ich entgegnete mit Autobahn von Kraftwerk und dem Bezug der Deutschen zur Mobilität. Super Gespräch. Mich interessiert, ob er Strafe zahlen musste.
Doch es ist Freitag und wir haben das Musikuniversum selektiert!

Emotional Oranges
Es ist ja schon kurios: mit R&B kann ich traditionell mal so rein gar nix anfangen, aber The Juice: Vol. I (VÖ: 10.05.), das neue Album der New Yorker Band Emotional Oranges spricht mich dennoch an. Vermutlich ist es dieses unprätentiöse, ja fast schon anonyme Auftreten des Kollektivs, das so positiv in Erscheinung tritt und den Fokus umso mehr auf die Musik legt. Und die kann ordentlich was: eine Prise Jazz, ein Hauch Funk, eine Messerspitze 70s und fertig ist eine Scheibe, die man ideal im Hintergrund laufen lassen kann, mit der man sich gerne aber auch eingehender beschäftigen und dabei relaxen darf. Acht starke Songs, kein unnützer Füllstoff - so gefällt mir das! Dass ich so was mal über ein R&B-Album schreiben würde...


Schandmaul
Festival-Moment, Nr. 1: Letztes Jahr auf dem Open Flair. Nachts spielten Schandmaul. Ein Termin, den ich mit zwei Freunden dringend wahrnehmen mussten. Denn: Es gab in unserer Jugend eine Zeit, wo Mittelalterrock der heiße Scheiß war. Auch Subway to Sally und Bands Namens Corvus Corax. Und in der Tat war es ein super Konzert. Natürlich mussten wir auch eine Menge lachen, denn schon lange catcht mich diese Musik nicht mehr. Doch heute erscheint das neue Album Artus! Ich durfte schon reinhören und es hat mich direkt abgeholt. Da kommt doch eine kleine Schwäche für diese Heldengeschichten im Gitarren- und Dudelsacksound hervor.
Die sind zum großen Teil gar nicht übel, wie die Songs Meisterdieb, Froschkönig und Kapitän beweisen. Auf eine Tour werde ich nicht gehen, aber sollte ich sie mal wieder zufällig auf einem Festival sehen, dann gibt mir das neue Album tatsächlich genug Anlass, dort vorbei zu schauen!



MARBL
Wir zwei luserlounger sind ja beide berufstätig und die Freizeit ist entsprechend knapp bemessen, sprich: wir schaffen es tatsächlich nicht, alles anzuhören, was uns so zugeschickt wird und MARBL war etwas, was ich mir eigentlich gespart hätte, wäre der Promoter nicht so hartnäckig gewesen und käme der nicht des Öfteren mit echt hörenswerten Sachen um die Ecke. So auch diesmal! Die Israelin kann mit ihrer EP The Flight Of The Hawks (VÖ: heute) definitiv überzeugen und ich bin echt froh, dass ich mich habe breitschlagen lassen. Auf die Ohren gibt es fünf Geschichten, die die ganze philosophische Vielfältigkeit von MARBL abbilden - stark!


Von Wegen Lisbeth
Weiterer Live-Moment: Von Wegen Lisbeth habe ich das erste Mal vor drei Jahren als Support von Element of Crime gesehen. Da waren sie noch weitestgehend unbekannt. Wie wir alle wissen, sollte sich das danach schleunigst ändern. Und ihr Auftritt hat mich richtig abgeholt, das war feine Musik zum Tanzen. Doch danach haben sie den Annenmaykantereit-Weg eingeschlagen und sind beliebig geworden. Was der einen Band die Stimme ist, ist Von Wegen Lisbeth ein gewisser Groove. Aber das war es dann halt auch. Ansonsten tummeln sich auf den Songs des heute erschienenen Albums sweetlilly93@hotmail.com ein Haufen belangloser Lieder. Das kann man dem Albumtitel ja schon ablesen. Sicher werden sie hoch charten und eine enorm besuchte Tour spielen, hingehen werde ich nicht. Die Angst vor Kreischemädchen ist zu groß und neben dem schon angesprochenen Groove bietet die neue Platte wenig Abwechslung.



Vampire Weekend
Zwei Nummer 1-Alben in den USA haben Vampire Weekend bereits auf der Habenseite, Father Of The Bride (VÖ: heute) wird wohl für den Hattrick sorgen. Bleibt die Frage: warum? Was macht die Band so besonders, warum gehen die Leute so steil? Ehrliche Antwort: ich kanns Euch nicht sagen! Klar, die Herren Koenig, Baio und Tomson sind begnadete Songwriter, aber das sind andere auch. Das erste VW-Album seit sechs Jahren beinhaltet zweifellos tolle Popsongs, die obligatorischen Chöre sind auch wieder zu hören und die Band hat den Mut zum Pomp. Vielleicht ist es ja das, diese Melange aus Bescheidenheit, Experimentierfreudigkeit (Flamenco! Autotune!) und dem Hang zum Größenwahn, die Vampire Weekend aus der Masse abhebt. Ja, das ist ein starkes, weil abwechslungsreiches und über weite Strecken auf musikalisch hohem Niveau agierendes Album, aber Nummer 1 der Charts? Ernsthaft? Dafür sind mir dann doch zu viele Aussetzer wie Sunflower dabei...


Fettes Brot
Festival-Moment, Nr. 3: Deichbrand Festival 2019. An einem der Abende werden Fettes Brot spielen, ich werde auch da sein. Also auf dem Festival, aber ich überlege mir fünf Mal, ob ich mir das ansehen werde. Die beiden wesentliche Gründe: 1. spielen Fettes Brot schon seit vielen Jahren im deutschen Rap überhaupt keine Rolle mehr. Die Songs und Alben sind immer beliebiger und schlechter geworden und sie haben nicht den Absprung ins Pop-Radio geschafft wie zum Beispiel Fanta4. 2. erscheint heute ihr neues Album Lovestory. Und es ist ein Graus. Sind einige Beats tatsächlich ganz okay, kann man alle Texte in die Tonne kloppen. Geile Biester klingt sogar noch arg nach Michael Jackson irgendwie. Selbst das politische Du driftest nach rechts ist musikalisch zweifelhaft. In die gleiche Kerbe hauen andere Künstler wesentlich besser; beispielsweise Frittenbude mit Jörkk von Love A.
Erschreckend, wie irrelevant Fettes Brot geworden sind. Schön, wenn sie weiterhin Bock haben zu spielen und Musik zu machen, aber dann bitte mit etwas mehr Köpfchen und nicht so arg abgedroschen. Also: Keine Empfehlung!



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