Mittwoch, 1. Mai 2019

Fortuna Ehrenfeld - Helm ab zum Gebet

Die drei von der Tankstelle: Jenny, Martin, Paul. Foto: Sebastian Kolodzeijczyk
(ms) Liest man eine Rezension zu einem Album, dann bemüht sich der Schreiberling manchmal implizit am Stil des Künstlers zu orientieren. Bei Rap kann man das relativ gut sehen und tatsächlich auch schreiben. Komisch nur: So redet ja keiner.
Im Feuilleton geht das ähnlich. Alle paar Jahre veröffentlichen Tocotronic ein neues Album und dann gibt es einen ganzseitigen Beitrag in der ZEIT. Da tritt dann der Autor gegen Dirk von Lowtzow an ohne es auch nur zu wollen. Das passiert einfach. Das wird natürlich immer eine Lobeshymne auf die deutschsprachige Gitarrenmusik und die Kunst der Hamburger, bisschen langweilig und berechenbar.

Ein vergleichbarer Wettbewerb könnte nun mit/gegen Fortuna Ehrenfeld vom Zaun brechen. Das ist keine Fingerkloppe auf das Feuilleton, sondern eine Verneigung vor der Sprachgewalt des besten Schlafanzugträgers des Landes: Martin Bechler. Der leidenschaftliche Rotweintrinker sprach schon zu den letzten Alben davon, dass er mit Worten Tetris spielen würde. Das ist richtig. Und da kommt man als Schreiber nicht gegen an. Denn wenn man nur die großen roten, und die quadratischen blauen Dinger im Repertoire hat, muss man nicht gegen ein Tetrisprofi antreten.

So hört man die wunderbaren dreizehn Lieder vom neuen Album Helm Ab Zum Gebet, das diesen Freitag beim Grand Hotel Van Cleef erscheinen wird, und versteht beim ersten Durchgang überhaupt nichts. Es ist so verschachtelt, aber dennoch von purer Schönheit. Bei Die Sterne fehlt beispielsweise der zweite Punkt, da ist es in erster Linie nur verschachtelt.
Seitdem ich Fortuna Ehrenfeld beim großen Knust-Geburtstag vor drei Jahren in Hamburg zum ersten Mal sah, war ich sofort begeistert. Es ist natürlich das exzentrische, herrliche Auftreten von Bechler mit Rotweinpulle, Püschelschuhen, Federboa und Pyjama. Aber es sind doch die Texte, die begeistern. Und die Musik, die man manchmal nicht erwartet. Mittlerweile denke ich, dass er im Grunde genommen zum großen Teil Liebeslieder schreibt, die so gar nicht danach klingen (wollen).

Cover vom Album
Zur großen Kunstform, Sprache zu leben und auf diese Art verwursten zu können, kommt noch hinzu, dass drei Alben in vier Jahren ein enormer Output sind. Vermutung: Bechler kann nicht anders. Und: Nun hat er auch auf dem Album das erste Mal mit Paul am Schlagzeug und Jenny an den Tasten als Band gespielt. Wie unterschiedlich die drei sind und dennoch gut zusammen passen, sieht man insbesondere auf der Bühne. Aus dem Ein-Mann-Projekt ist nun weitestgehend eine Band geworden.

Hört man sich die gut vierzig Minuten neuer Musik der Kölner an, so ist es schwer, ein Genre zu finden. Heiliges Fernweh ist wunderbar vertonte Lyrik mit dem grandiosen Bruch, wenn im melancholischen Albumanfang "Und jetzt tanz' mit mir, du Sau" mehr gesprochen als gesungen wird. Da kommen sie langsam raus: die Fortuna Ehrenfeld-zaubern-ein-Lächeln-ins-Gesicht-Momente. Generell die Wortwahl: von extrem feinen und hochgradig klugen Formulierungen bis zu schön vulgären Phrasen ist alles dabei. Und wer jetzt David Foster Wallace sagt, der hat verloren, der mochte nämlich eher Rap. Stichwort Genre: Hör endlich auf zu jammern und Tequila arbeiten mit sauber verzerrten Synthies. Es kommt der Eindruck auf, dass es gar keinen roten, musikalischen Faden geben soll.
Auf der ersten Single, gleichnamig mit Albumtitel, singt auch Jenny das erste Mal auf Platte, was sie live ja eh tut und zeigt einmal mehr, was für eine wunderschöne Stimme sie hat. Sauberer Kontrast zu Bechlers Stimme! Und dann kommt so eine Zeile (Bad Hair Day): "Wenn die Frösche immer alle nur tanzen wollen, bummst halt keiner mehr den albernen Prinz." Das ist so genial, wunderbar!
Das Thema Antihaltung wird dann in Das ist Punk das raffst du nie durchexerziert. Erinnert von der Aussage her stark an den ersten Track vom aktuellen Adam Angst-Album, da wird der Punk mit den eigenen Mitteln auseinandergenommen, das kann man dann geil und scheiße finden.
Und ohne eine irgendwie geartete Hymne auf die Heimat am Rhein kommt kein Fortuna-Album aus: Guten Morgen, Ehrenfeld scheint Hassliebe in Perfektion zu sein. In den In- und Wohlfühlvierteln fühlt man sich halt wohl, aber diese heile Welt nervt auch gewaltig. Das kommt hier gut zum Ausdruck. Und wenn man denkt, zum Ende hin plätschert die Platte etwas aus: weit gefehlt! Auf Die Umarmung der Magneten singt Enno Bunger mit und der Rausschmeißer Herbstmeister der Herzen kann man nur als große Liebeserklärung Martin Bechlers an seine Mitstreiter Jenny Thiele und Paul Weißert deuten.

Helm ab zum Gebet, übrigens eine Formulierung aus dem Zapfenstreich, ist ein wunderbares, schräges, vielschichtiges, teils verschwurbeltes Album, das man jedoch schnell ins Herz schließt. Verstecktes Highlight: das zweiminütige Welt in Teile. Einfach anhören.
Martin Bechler schafft eine eigene Kategorie deutschsprachiger Musik zwischen großer Tragik, dem Beweis, Sprache an die Kette zu legen, und Augenzwinkern ohne Ende, weil es halt auch gar nicht perfekt und rund sein will.

Diese herrliche und skurrile Mischung kann man sich dann demnächst hier antun. Wir raten dazu!

16.05. - Aachen, Musikbunker
17.05. - Münster, Sputnikhalle
18.05. - Rostock, Helgas Stadtpalast
19.05. - Berlin, BiNuu
21.05. - Wiesbaden, Schlachthof
22.05. - Stuttgart, Club Cann
23.05. - Graz, Orpheum extra
24.05. - Wien, Donaukanaltreiben
25.05. - Oslip, C’est La Mü
26.05. - München, Ampere
28.05. - Bremen, Tower
29.05. - Hamburg, Grünspan
30.05. - Paderborn, Kulturwerkstatt
31.05. - Köln, Gloria
12.07. - Düsseldorf. GoldMucke Sommeropenair
26.07. - Würzburg, Hafensommer (Kettcar Support)
17.07. - Hamburg, Slamville (Solo)
03.08. - Böblingen, Songtage
23.08. - Essen, Zeche Carl Open Air (Thees Uhlmann Support)
24.08. - Erfurt, Wipfelrauschen


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