Foto: luserlounge |
Doch das neue Album Amen hat mich schlichtweg überfordert. In dem Moment, als ich es zum ersten Mal hörte, war ich schon total perplex. Es ist ein verdammtes Meisterwerk. Musikalisch extrem vielschichtig. Textlich ganz, ganz schwer einzuordnen zwischen tragischem Humor, therapeutischer Selbstreflexion und philosophischen Diskursen. Das habe ich alles überhaupt nicht begriffen. Immer wieder die Texte gelesen, versucht die einzelnen musikalischen Elemente rauszuhören, wieder zusammenzusetzen. Und jedes Mal gescheitert. Ja, ich habe es Konstantin Gropper auch komischerweise nicht mehr so sehr zugetraut, mich erneut vollständig vom Hocker zu hauen. In beeindruckender und scheinbar leichtfüßiger Manier hat er es geschafft.
Nein, einen Artikel zu Amen habe ich im Kopf zwar oft angefangen, aber nicht ein einziges Wort dazu vermocht aufzuschreiben. Ich fühlte mich dem einfach nicht gewachsen. Dies ist eine Herausforderung und ich bin präventiv gescheitert.
So genial ist diese Platte. So facettenreich. Voller Überraschungen. Enorm intensiv. Oft kaum zu glauben, dass immer noch die gleiche Band hier Musik macht. Erneut muss ich mich verneigen vor dem Talent Konstantin Groppers. Er ist ein Genie. Er hat verstanden und er lebt, was mit Musik möglich ist. Von skurrilem Humor bis völliger Ekstase. Alles machbar. Als ob er nach dem Aufnahmeprozess meinte: „So, hier ist das neue Album, macht damit, was ihr wollt.“
Gut, es hat mich stehend k.o. Geschlagen.
Dass ich die dazugehörige Tour besuchen muss, war immer klar. Bochum ist zwar nicht um die Ecke, aber das einzige, was am Wochenende dann doch gut erreichbar war. Schönes, hässliches, charmantes Ruhrgebiet. Auf mysteriöse Art und Weise habe ich mein Herz an dich verloren. Endich wieder stilecht Pils trinken. Ab zur Zeche. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal mit einem Bus zur Konzertlocation gefahren bin. Und Zack, gedanklich im Vorhinein die Zeche Bochum mit der Zeche Essen verwechselt. Trotzdem vor Jahren schon mal da gewesen und Nada Surf gesehen. Den Laden in bester Erinnerung behalten. Das war auch dieses Mal wieder der Fall. Super gemütlich, schön gestaltet, entspannte Größe und wieder zum Weizenbier übergegangen.
Um 19 Uhr bereits begann der Abend. Ohne Vorband direkt in die Ekstase. Natürlich fragte ich mich, was er denn so spielen würde. Doch das ist eine unlösbare Aufgabe. Denn Get Well Soon können aus einer schier unglaublichen Anzahl an Liedern schöpfen. Alle würden passen. Sie könnten auch vier Stunden spielen, es würde nicht langweilig werden. Ob das emotional aufgrund der hohen Intensität machbar wäre, auch als Zuschauer… die Frage sei dahin gestellt. Mit der Prelude vom ersten Album haben sie den frühen Abend begonnen, der in Erinnerung haften bleibt. Sehr geschickt natürlich. Was genau danach kam, weiß ich nicht mehr. Klar, es ist nicht verwunderlich, dass der Fokus auf der neuen Platte lag. Und dass sie das so sehr durchgezogen haben, sorgte nach dem Gig für Gesprächsstoff. Mein Favorit auf dem neuen Album ist I Love Humans, weil das Lied so eine schöne, sanfte und dennoch unterschwellig starke Melodieführung hat. Das haben sie live toll umgesetzt, obwohl die Trompete ein wenig lauter hätte sein können. Schön nach vorne ging es mit One For The Workout, sicher das griffigste neue Stück. Bei dieser Anzahl an Liedern ist dann immer auch die Frage, was an altem Material so gespielt wird. Unter anderem waren dabei Tick Tack Goes My Automatic Heart, Love oder auch You Cannot Cast Out The Demons You Might As Well Dance als Abschluss. Freudig überrascht war ich, dass er Funny Treats, den Titeltrack von How To Sell Drugs Online (Fast) spielte. Stark war der Einsatz der bunten Lichter zu diesem kleinen Drogenausflug. Auch The 3:4 Days von der The Lufthansa Heist EP von 2014 war eine hörenswerte Überraschung. Es muss noch mal gesagt werden: Es ist irre, aus was für einem Repertoire dieses Musikprojekt schöpfen kann.
Doch dann ist zwischendurch noch etwas passiert, das ich so nicht habe kommen sehen. Kinnlade runter, Herz spielt verrückt, nur noch Staunen. Dass sie tatsächlich Us vs. Evil live spielen, hätte ich nicht zwingend erwartet, da das Stück auf Amen auch schon so enorm komplex ist! Das lassen sich Gropper und Co. aber selbstredend nicht nehmen sondern tüfteln eher an der Frage: Wie schaffen wir das? Einfach: Auf der Bühne stehen sechs exzellente Musiker und Musikerinnen, die alle Instrumente, die sie bedienen, mit spielerischer Profession beherrschen. Da aber offensichtlich noch jemand für die Bongos fehlte, stülpte sich der Typ an den Reglern passend zur Zeile im Lied „You See Things That We Don‘t See“ ein weißes Geisterkostüm plus Maske über und trommelte drauf los. Völlig verrückte Minuten in Bochum. Überall irgendwelche Töne, Instrumente, Wechsel im Tempo, Intensität und und und. Oft habe ich diese Band live gesehen, auch in besonderen Atmosphären, aber das war eine gänzlich neue Erfahrung. Was sind das alles für überragende Musiker und Musikerinnen!!! Hut ab! Stehend k.o. Zum zweiten Mal!
So verlässt man perplex einen Abend, der durchaus hätte länger sein können. Aber die Frage stellt sich, wer das noch länger aushält. Ein Abend mit Get Well Soon ist eine Demonstration an musikalischer Klasse, reinem Rausch, hoher Dynamik und wundersamem Staunen.
Was mich in all den Jahren total freut: Lange war Konstantin Gropper die Rolle als Moderator des Abends suspekt. Das hat er abgelegt, agiert leichtfüßig, humorvoll und extrem sympathisch. Zudem muss festgehalten werden, wie stark diese sechs Menschen miteinander harmonieren. Wo Blicke ausgetauscht werden, wer wann selbst wie stark in der Musik versinkt. Das ist ein großer Spaß!
Ich freue mich auf die nächsten Abende, die mich fertig machen.
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