Umwerfend: Bayuk im Mojo Jazz Café! Foto: luserlounge |
An vier Tagen sind alle Spielstätten an und um die Reeperbahn in einem kompletten Ausnahmezustand. Viele wurden ab mittags bespielt, andere haben erst später aufgemacht. Schnell hat man gelernt, dass nur durch langes, geduldiges Warten ein Konzertwunsch in Erfüllung gehen kann und man für Alternativen im Programm aufgeschlossen sein muss. Denn dies ist kein gewöhnliches Festival, dafür ist die Jahreszeit mit originalem Hamburger Wetter natürlich auch unpassend. Es ist in erster Linie ein riesiges Event von und für die Musikbranche. Tagsüber werden Deals ausgehandelt, Menschen kennengelernt, Visitenkarten zugesteckt, Neues entdeckt. Dabei scheinen die Organisatoren und Labels den Bands einiges abzuverlangen. Einige kleinere Künstler haben zwei Gigs an einem Tag gespielt oder drei an drei Tagen. Das ist anstrengend und hat den faden Beigeschmack, dass das Programm enorm aufgebläht wird, Auftritte werden zur Beliebigkeit, austauschbar. Live gespielte Musik wird der magische Faktor abgenommen und durch eine ökonomische Brille gesehen.
Eine Handhabung war dabei von entscheidendem Faktor für die Besucher, die für die Musik da waren und keinerlei Verbindung in die Branche haben, am Wochenende haben wir auch dazu gehört. Die Clubs wurden jeweils eine halbe Stunde vor der ersten Band geöffnet, danach blieben sie offen und zwischendurch nicht geräumt. Das hatte zum Nachteil, das bei der durchaus sehr engen Taktung am fortgeschrittenen Tag kaum noch neue Leute in die kleineren Läden passten. Es war stetig alles voll. Insbesondere am Klubhaus St. Pauli hat man das gemerkt. Statt davon eingeschüchtert zu sein, birgt es natürlich auch die Möglichkeit Neues auf sich wirken zu lassen.
Wir waren ab Freitag da, schauten schnell beim Garage Sale am Knust vorbei, als es schon ordentlich am regnen war. Doch das ist nebensächlich, das erste Astra schmeckt, die Spannung steigt und Hamburg hat sich chic gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war schon bekannt, dass als Überraschung abends Muse in den Docks spielen. Das ist natürlich ein irrer Clou und ordentlich vom Label Warner in Szene gesetzt durch Graffitis auf dem Boden, allerhand Werbegeschichten und so weiter. Das Venue wurde erst um 21h geöffnet, Muse spielten ab elf. Bereits um 18h hatte sich eine ordentliche Schlange gebildet. Wahrscheinlich wurden die Geduldigen entlohnt.
Wir starteten mit Ocean Alley im Molotow-Hinterhof, die im Rahmen eines Australien-Mottotages spielten und zu überzeugen wussten. Der Moderator hat nicht umsonst danach festgestellt, dass sich nun alle ein bisschen sexier fühlen würden. UNS brüllten unterhaltend von der Astra-Bühne am Spielbudenplatz. Später spielte Das Paradies in der Großen Freiheit: absolut sympathisch und musikalisch gewandt. Florian Sievers, der Mensch hinter dem tollen Namen, hat einfach mit seinen beiden Mitmusikern sein schönes Album Goldene Zukunft komplett gespielt. Danach kurz bei Bayuk im Mojo Jazz Café vorbeigeschaut. Wir haben zwar nur drei Lieder gehört, der Beginn hat sich leider stark verzögert. Diese drei Songs waren jedoch eine enorme Wucht. Mit u.a. Tobias Siebert (And The Golden Choir) in der Band war es ein intensives Crescendo und eine tiefere Beschäftigung mit der Band ist unerlässlich!
Dann zum Michel. Denn da wartete ein irres Highlight, das auch den kommenden Tag überstrahlt hat. Get Well Soon haben mit Big Band und Gästen vom Aktuellen Horror-Album fast zwei Stunden gespielt. Es war eine Machtdemonstration. Ein wundervolles Spektakel, Avantgarde in Reinform. Pure Musik, gefühlvolle Leidenschaft. Ich habe Konstantin Gropper schon oft vorher gesehen, doch dieser Auftritt war schier unglaublich. So nah und dicht und konzentriert und fein und perfekt. Es war laut und leise, klassisch und modern. Sein Vater hat Orgel gespielt, Sam Vance-Law, Kat Frankie und Ghalia Benali haben gesungen. Die Standing Ovations und der lang anhaltende Applaus war mehr als verdient. Damit ließ sich der Tag guten Gewissens beenden.
Der Samstag zeigte sich von seiner herbstlichen Seite. Es stürmte, regnete. Teilweise musste an den Tagen das draußen stattfindende Programm unterbrochen werden. Wenn es ruhig war, lohnte sich ein Besuch auf dem sogenannten Festival Village auf dem Heiligengeistfeld. Denn dort ließ sich eine Ausstellung von Klaus Voormann besichtigen, der Künstler war auch zugegen und signierte allerhand Kram. Sehenswert war es allemal und eine schöne Alternative zum trubeligen Musiktreiben. Hörenswert hingegen war eines der Konzerte von Charlotte Brandi, unter anderem im Molotow-Hinterhof am Samstag. Sie spielte Songs ihres bald erscheinenden Debut-Albums, erstmals nicht als Me And My Drummer. Eine rotierende Lüftung störte hörbar, doch die drei Musikerinnen ließen sich davon nicht abbringen.
Shotgun Sisters. Foto: luserlounge |
So ging das Reeperbahn Festival dennoch glücklich und beschwingt zu Ende.
Die Füße und Beine dankten für die anschließende Pause, der Körper dürstete nach Schlaf. Der Kopf hingegen wandelt immer noch zwischen den wunderschönen Orten und vielschichtigen Konzerten herum. Ein bisschen weniger BlingBling und ein reineres Programm täten dem Festival gut.
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