Sonntag, 8. August 2021

Leselounge: Christopf Dallach - Future Sounds

 

Quelle: suhrkamp.de
(ms) Als ich das Buch in der Hand hielt, dachte ich: 'Das habe ich doch letztes Jahr erst gelesen.' Ob Christoph Dallach vorher Rüdiger Esch gefragt hat oder ob es die Idee des gemeinsamen Verlags Suhrkamp war, weiß ich nicht. Im Grunde genommen ist es mir auch egal. Verwundert hat es mich dennoch. Beide Bücher behandeln das große, weite Thema Krautrock und sind im absolut identischen Stil verfasst. Geschrieben im klassischen Sinne sind sie nur so halb. Die beiden Werke bestehen aus sehr geschickt und gut geordneten Zitaten eben der ProtagonistInnen, die diesen Sound, der alles andere als einheitlich war, geprägt, gemacht, erdacht haben.

Eigentlich gibt es auch nur einen Unterschied zwischen Future Sounds und Electri_City, könnte man provokant in den Raum werfen. Esch hat sich radikal auf den Düsseldorfer Raum beschränkt und somit ein sehr klares Bild aus einem sehr kleinen Raum erschaffen. Bestechend dabei, wie einzelne Straßennamen und Clubs wichtig wurden.
Christoph Dallach, der unter anderem für die ZEIT schreibt, spannte den Bogen wesentlich weiter, warf den Blick auf die ganze BRD, England, Frankreich. Daher stehen beide Bücher überhaupt nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sie ergänzen sich in hervorragender Weise! Future Sounds ist ein Buch, das die unterschiedlichen Bewegungen des Krautrock ins Visier nimmt. Den Krautrock gibt es nicht. Das kann eine der wesentlichen Thesen sein, die immer wieder durchleuchten. Viele Bands kannten sich untereinander gar nicht, die heute, viele Jahre später in einen Topf geworfen werden. Und das ging mir bei den gut 500 Seiten beim Umblättern ständig so.

Ich bin viel zu jung, um irgendeine Verbindung zum Krautrock zu haben. Dass dieses Genre nun wiederentdeckt wird, würde ich für meine Generation auch überhaupt nicht behaupten. Die um-die-30-Jährigen aus meinen Kreisen kennen, wenn es gut läuft, Kraftwerk. Punkt. Klar, die Düsseldorfer waren auch mein Ausgangspunkt. Doch nun, nach der Lektüre beider Werke, ist mir eines total klar: Die waren immer unglaublich verschroben. Genial, aber auch irgendwie autistisch. Die wollten mit dem Rest auch gar nichts zu tun haben. Sicherlich waren sie ab den 70ern auch wesentlich zugänglicher als manch andere. Ein großer Pluspunkt an Future Sounds ist eben, dass Kraftwerk hier nur gestreift werden (und ein Minuspunkt dieses Textes, dass ich das erwähne).
Andere Bands haben eine wesentlich bessere Geschichte zu erzählen. Ihre Namen und Mitglieder waren mir vorher auch vollkommen unbekannt. Dallach hat mir hier eine Wissenslücke gefüllt. Vielen Dank an dieser Stelle. Logisch, von Can habe ich auch gehört, aber mich nie so wirklich mit der Gruppe beschäftigt. Tangerine Dream, Faust, Amon Düül oder gar Amon Düül II sagten mir vorher nichts. Jetzt bin ich schlauer und ziemlich angefixt. Hört man beispielsweise Faust, wird schnell klar, dass deren Musik mit Kraftwerk nichts zu tun hat. Nochmal: Der Begriff Krautrock vereinheitlicht nicht zu Vereinheitlichendes. 

Genau wie bei Esch sind es hier die Menschen, die ihre Geschichten erzählen. Genau das macht diese Lektüre so unglaublich einnehmend. Viele ProtagonistInnen sind vollkommen durchgeknallte Leute. Klangnerds ohne Ende. Pioniere auch oft. Das Wunderbare an diesem Buch geschieht gleich zu Anfang. Da spannt Christoph Dallach den Bogen sehr gut: Von der Musik, wie es sie vor dem zweiten Weltkrieg gab und welche Sehnsucht und welches Selbstverständnis danach hierzulande herrschte. Wo es noch Anknüpfungspunkte gab, was sich nicht schickte und wo radikal gedacht wurde, gedacht werden musste. Phantastisch.
Sehr unterhaltsam ist dieses Buch. Und ehrlich. Einige Menschen widersprechen sich in ihren Meinungen, Anschauungen. Dass das genau so stehen gelassen wird, ohne jeglichen Kommentar oder redaktionellen Eingriff, ist so einfach wie mutig. 

Wer also etwas über eine sehr kleine Szene wissen will, die erst viel, viel später Anerkennung bekommen hat, nie erfolgreich und dennoch so unglaublich prägend war, sei dieses Buch an die Hand gelegt. Ich fand mich eines Abends wieder und sah mir eine Doku über Karlheinz Stockhausen an. Hätte ich vorher auch nicht gedacht.

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