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Schlechtes Bild, toller Abend! |
(Ms) Einen besseren Ort und eine bessere Zeit hätte man sich für diesen Abend nicht ausdenken können. Winterliche Kälte. Vorweihnachtliche Ruhe. Kirchliche Andacht. Bedauerliches Ende. Herrliche Bescheuertheit.
Doch nach und nach mal kurz die Rahmenbedingungen geklärt. Ein weiteres unaufhaltsames Jahr für Fortuna Ehrenfeld geht zu Ende. Die Band, die fast immer und fast überall unterwegs ist, sich für keinen Rahmen, für keinen Ort zu schade ist, weil sie halt so unsagbar viel Bock hat, macht eine (kleine) Pause. Sicherlich geht es kommendes Jahr zeitig wieder los, doch die Wunden müssen erstmal geleckt werden. Hinter der Band liegen nicht nur erneut einige Wochen Tour, sondern auch der bedeutsamste Einschnitt der noch so jungen Geschichte. Mit dem Ausstieg von Jenny Thiele verliert die Band nicht nur ein markantes, prägendes Gesicht. Sondern Martin Bechler verliert damit sicher auch einen Menschen in dieser Band, der ihn verstanden hat. Ich glaube, dass Jenny Thiele Bechlers Wahn, seine Genialität, seinen Exzess, seine Zerbrechlichkeit, seine Demut und sein ungeheures Gespür für Worte und Melodien verstanden hat. Erlebt man beide zusammen auf der Bühne, harmoniert das extrem. Da reicht oft ein Augenkontakt und der nächste Einsatz, das nächste Lied, die nächste Konfettikanone, die nächste Schweigeminute ist klar.
Dass Jenny Fortuna Ehrenfeld verlässt, kann ich nur bedingt verstehen. Nur aus dem Grund, dass sie weiterziehen will, selbst mehr Zeit für ihre eigenen Lieder braucht. Ich will hier gar nicht spekulieren, daher lasse ich es auch. Und selbstredend wünsche ich ihr nur das Beste für ihre Solo-Zukunft. Doch meine Bedenken sind da. Nämlich, dass das nicht so dolle knallt. Einige Lieder von ihr sind nun zu hören, am Samstag spielte sie auch solo zu Eröffnung, doch packen tut mich das überhaupt nicht. Dennoch: Alles Gute, Jenny!
Das ist die eine Seite des Samstags. Fortuna Ehrenfeld spielte in der Kulturkirche Köln. Ein toller Ort, um Musik zu erfahren. Vor vielen Jahren sah ich dort Lambchop live, die wundervolle Atmosphäre und die Möglichkeit, in der Kirche Bier zu trinken, blieben haften. Einen besseren Ort für einen Jahresabschluss konnte es nicht geben. Die Stadt, das Ambiente, der Zeitpunkt: ideal!
Doch pochte in mir ein weiterer Zweifel ob der Stimmung an dem Abend. Vor fünf Wochen erst sah ich die Band als Trio in Bremen und war mäßig begeistert. Denn irgendwas stimmte nicht. Und das war etwas auf der Bühne. Martin Bechler ist eine irre Rampensau, er gehört auf die Bühne. Doch manchmal sind seine Auftritte ein bisschen zu ausufernd, ein bisschen drüber, es hat den Anschein, dass er sich verzettelt in den Stimmungen, Ansagen voller Abbiegungen, zwischen dankbarer Demut und Selbstabfeierei. Häufig sah ich die Band schon. Das Bremen-Konzert wollte ich schnell abhaken.
Doch das Köln-Konzert stand unter einem guten Stern. Und es war ein ereignisreicher, toller Abend. Dafür war nicht nur der Ort verantwortlich, sondern auch das Programm. Denn Martin Bechler hat dieses Jahr im Bandkosmos seine erste Solo-Platte veröffentlicht. Nur Stimme und Klavier. Und der Samstag war der Tag, als dies zum ersten Mal so richtig zur Geltung kommen konnte. Das E-Piano stand auf dem Altar bereit und logischerweise trat er aus der Sakristei in Schlafanzug und Federboa! Stil muss sein. Und auch ein paar Fortuni-Eigenarten müssen sein. Zum Beispiel auf die Bühne kommen, einen Timer stellen, warten bis er bimmelt und dann mit einem Instrumental loslegen. Eine besondere Eigenart, und dazu eine wirklich tolle Eigenart ist die Schweigeminute mitten im Programm, sodass der Krieg gegen die Ukraine niemals selbstverständlich wird.
Ja, unter dem Motto „Stillste Nacht“ wurde dieser Abend gestaltet. Und es war ungeheuer atmosphärisch, so dicht, so nah, geprägt durch die tollen, berührenden Texte und die einzigartige Kirchenstimmung. Dass Martin Bechler sich etwas einfallen lassen würde, war klar für diesen Abend. Nur das Was blieb Spekulation. Gemündet ist es in zwei Gästen, die dem Abend eine hör- und sehbare Humorebene verschafften. Leider habe ich beide Namen nicht herausgefunden. Gästin Nummer eins kam als Engel verkleidet auf die Kanzel und sang von dort Puff Von Barcelona. Herrlich. Was für eine urkomische Situation. Gast Nummer zwei kam auch auf die Kanzel, aber sprach mehrere Absätze ganz, ganz hervorragend. Sprechen als Kunst. Absätze aus Bechlers Roman Kork. Was für ein dynamischer, abwechslungsreicher, inniger Abend. Nach diesen Besuchen und den eindringlichen Solo I-Stücken am Klavier gab es selbstredend noch eine Zugabe mit Jenny, der den Abend nach etwas mehr als zwei Stunden beenden ließ.
Sehr habe ich mich gefreut, dass ich Teil des Abends sein konnte. Auch um die eigenartige Stimmung aus dem Bremen-Konzert zu tilgen. Und diese wundervolle Atmosphäre genießen zu können! Das tat gut und hat unsagbar viel Freude bereitet. Martin Bechler kann wirklich an allen Orten sein Werk so formen, dass sie immer zur Geltung kommt. So vielseitig und wenig festgelegt ist er. Das ist Kunst!
Wie es genau nun weitergeht, bleibt abzuwarten.
Für den kommenden Herbst gibt es allerdings schon Tourtermine.
Man darf neugierig sein, wer dann mit ihm auf der Bühne steht.
28.09. - Berlin, Lido
29.09. - Leipzig, Kupfersaal
30.09. - Dresden, Beatpol
12.10. - Bremen, Tower
13.10. - Hamburg, Knust
14.10. - Hannover, Musikzentrum
15.10. - Köln, Gloria
19.10. - Nürnberg, Z-Bau
20.10. - Stuttgart, Club Cann
21.10. - München, Ampere
22.10. - Frankfurt, Brotfabrik