Donnerstag, 9. Oktober 2025

HAAi - HUMANiSE

Foto: Sophie Webster
(Ms) Die kleinen und großen Bildschirme machen uns über Kurz oder Lang kaputt. Das ist ja nicht nur recht eindrücklich zu sehen, wenn Menschen zusammen kommen - beim Essen zum Beispiel - und erstmal alle ihr Handy auf den Tisch legen. Ja, mit wem wollen sie denn gemeinsam die Zeit verbringen? Einzelne zerstörerische Tendenzen lassen sich mittlerweile auch schon statistisch erweisen. Kleine Kinder wissen zum Teil nicht mehr, dass sie mit einem Blickkontakt angesprochen sind, wenn die Eltern oder Bezugspersonen ständig an ihrem Handy hängen. Kleine Kinder wissen zum Teil nicht mehr, wie es ist, in einer Kleingruppe zu spielen. Sie wissen durch Augenkontakt nicht mehr, wann sie dran sind. Sie haben es nie gelernt, da die Erwachsenen ständig nur auf den Bildschirm glotzen. Das ist krank und macht uns kaputt. Ich finde das im höchsten Maße besorgeniserregend, doch eine Debatte darüber findet nur am Rande statt (oder ich habe sie nicht gefunden). 
Das Digitale, das Algorithmus-Basierte, das nicht mehr von Menschenhand Gemachte nimmt einen erheblichen Raum in unserem Leben ein. Überall Bildschirme. Letztens beim Spanier und auch im Wartezimmer beim Arzt. Weg damit, bitte, bitte weg damit! 

Was ist das Menschliche? Was macht uns zu Menschen? Diese Frage treibt auch Teneil Throssell um. In ihrem künstlerischen Dasein nennt sie sich HAAi und veröffentlicht am 10. Oktober ihr neues Album, das den passenden Titel HUMANiSE tragen wird. Knapp 58 Minuten lang erklingt dieses Werk, das nicht nur mit vielen anderen KünstlerInnen entstanden ist, sondern auch mit allerhand elektronischen Instrumenten. Das Analoge und Digitale gehen hier auf großartige Weise Hand in Hand und es lohnt sich sehr, in diese Stunde Sounderlebnis einzutauchen, auch wenn elektronische Musik nicht so das eigene Faible ist!

Manches ist tanzbar, anderes sphärisch und genau da liegt der Reiz dieser Platte! Richtig spannend ist die Zusammenarbeit mit dem Chor Trans Voices, der auf drei Tracks für ganz viel Tiefe sorgt. Auch beim ersten Stück Satellite sind ihre Stimmen zu hören. Über sechseinhalb Minuten elektronische Träumerei zu Beginn, was für ein Auftakt! Gar poppig geht es auf Stitches zu, wo satter Bass und klare Stimme zum in-die-Ferne-Schweifen anhalten. Mit seichten, elektronischen Tönen kitzelt HAAi an menschlichen Regungen, ein tolles Erlebnis! Etwas schneller, aber in die gleiche emotionale Kerbe schlagend, erklingt Can‘t Stand To Lose daher. Es bleibt einem fast nichts anderes übrig, als dazu die Augen zu schließen, den Körper der Musik zu übergeben und einfach den Moment voll auszukosten. Dabei ist diese Musik sehr elegant, sehr schön einfach. Hier knarzt es zwar an einigen, gewollten Stellen, doch meistens schwebt sie in ihrer Klarheit in luftigen Höhen so wie auf Voices. Dass Teneil Throssell zumeist ihre Musik als DJ präsentiert, macht sich immer wieder stark bemerkbar. Insbesondere auf Hey! Schneller Beat, elektrisierende Drops und sofort findet man sich in dicht besuchten Clubs wieder, dicht aber angenehm aneinander gedrängt und der Musik völlig hingegeben. Das Highlight dieses Albums ist (für mich) Rushing, bei dem ILĀ und Trans Voices auftauchen. Die Schönheit der menschlichen Stimme und Dynamik elektronischer Musik gehen hier auf ganz großartige Weise Hand in Hand!

Man kann Teneil Throssell nur dankbar sein für dieses Werk. HUMANiSE besticht durch seine Vielfältigkeit, seine Tiefe und seine Energie. Auch die Spieldauer ist kein Hindernis für intensiven Genuss. Es ist eher geboten dieses Album in Gänze zu erleben. Es lädt zum Innehalten, Tanzen und Staunen ein. Und macht und das nicht zu Menschen?!


Dienstag, 7. Oktober 2025

Pogendroblem - Great Resignation

Foto: Marie Poulain
(Ms) Na, Punkrock, wo stehst du im Jahre 2025? Bist du verzweifelt? Bist du immer noch wütend? Trittst du nach oben? Bist du schnell und wild? Entwickelst du dich weiter oder bist du oldschool? Geballte Faust oder ausgestreckter Mittelfinger oder gar beides? Kannst du auch unterhalten oder schrammeln die Gitarren nur so aus allen Boxen? Ist dir musikalische Raffinesse wichtig oder Hauptsache ballern? Alte Parolen oder wacher Geist?

Dass Punk nicht tot ist, wissen wir alle. Genauso klar ist, dass er nicht stillsteht. Doch worum geht es in einer Zeit, in der die alten Garden vielleicht langsam zurücktreten und ein paar Fußstapfen leer bleiben? Verabschieden sich die Hosen kommendes Jahr oder spielen sie bis in alle Ewigkeit? Werden die immer gleichen Namen die Festivals anführen oder wer rückt da nach?

Ein Glück, dass es Bands wie Pogendroblem gibt. Ein Name, bei der die Finger an der Tastatur immer anders wollen. Manchmal auch die Aussprache. Das Quartett liefert am 10. Oktober ihre neue Platte Namens Great Resignation und sie könnte eine der kräftigsten Punkplatten des Jahres werden, da diese Band wirklich alle Facetten des Punkrock bedient. Sie sind schlau und wütend. Sie analysieren und können unterhalten. Sie sind laut und wild. Sie sind schnörkellos und ganz klar. 12 neue Tracks sind auf Great Resignation enthalten und dauern alle genauso lange, wie sie müssen, maximal zweieinhalb Minuten. Hier wird nichts künstlich in die Länge gezogen. Hier wird Punkrock abgerissen und das in beeindruckender Manier!

Mit dem Titeltrack geht es los. Great Resignation - die große Kündigungswelle von Nonsensejobs während Corona. Doch auch ein Mittelfinger an die Arbeit! Lieber Zeit mit der Liebe als mit dem Schreibtisch verbringen. Wem geht das nicht so? Dass das nicht nur plumpe Polemik ist, zeigt die Dringlichkeit im Gesang! Und, wo steht Punk heute? Unser Jahrzehnt weist den Weg mit den wichtigsten Themen, gesellschaftspolitisch und auch emotional. Klimakrise und Traurigkeit, „ist nicht leicht mit dieser Zukunft umgehen zu müssen.“ Verdammt, ja! Dabei scheppern die Gitarren nach vorn, ohne Pause - wozu auch? Das Bittere dabei: Entscheiden wir, beziehungsweise die Generation der Band wirklich, wie es ausgeht oder sitzen da andere Altersklassen an den Schalthebeln? Dass Punk auch wehtun kann, also am eigenen Körper, ist auf Kruste nachhör- und fühlbar: „Ich kratz‘ mir diese Kruste weg / Um zu sehen, was darunter steckt.“ Musik, die unter die Haut geht?! Irgendwie schon!
Punk ist auch Rebellion und Unterhaltung. Self Checkout ist die Parole dazu! Was für ein Track. Klar, an den Selbstbezahlkassen wird fleißig geklaut, wieso auch nicht?! Ein kleiner Akt der Revolte an der Kasse, der umso pointiert durch das Wort Inflationsausgleich am Ende ist. Punkrock heißt immer noch: selber machen! Sowieso - wieso alles komplizierter machen als es ist? Praxis Ohne Theorie bietet Handlungsanweisungen mit woohoohooo-Gesängen. 
Apropos Generationen! Chillig Chillig ist nicht nur ein knallharter Ballertrack von 82 Sekunden Spieldauer, sondern auch ein höchst unterhaltsamer Abriss darüber, welche Generation wie ihre Zeit verbringt - samt Feature von The Toten Crackhuren Im Kofferraum.

Great Resignation ist ein unglaublich dichtes, wahnsinnig starkes, wütendes, prägnantes, schlaues und kritikvolles Album! Es macht wahnsinnig viel Spaß, der Kölner Band bei ihrem Blick auf die Realität zuzuhören. Sie haben einige gute Ideen, wie mit dem ganzen Wahnsinn da draußen umzugehen ist. Auf den Punkt, schnell, laut. Punkrock halt. Eine Band, die lauert, große Fußstapfen zu betreten. 
Wie das live erst klingen wird, ist hier sicher eindrucksvoll zu erleben:

07.11. - Köln, Geböude 9
08.11. - Bielefeld, Nr. z.P.
12.12. - Rostock, Peter-Weiss-Haus
13.12. - Hamburg, Knust
19.12. - Mainz, Schon Schön
20.12. - Stuttgart, Helene P.
15.01. - Würzburg, Cairo
16.01. - Salzburg, MARK
17.01. - Wien, B72
30.01. - Hannover, Faust
31.01. - Bremen, Lagerhaus
05.02. - Berlin, Cassiopeia
06.02. - Leipzig, Conne Island
27.02. - Karlsruhe, Alte Hackerei
28.02. - Kassel, Goldgrube


Freitag, 3. Oktober 2025

KW 40, 2025: Die luserlounge selektiert

Quelle: de.wikipedia.org
(Ms) Die etwas jüngere Generation ist wesentlich schlauer, als das Internet so annimmt. Als ich letztens von „Pudding mit Gabel“ las, musste ich intuitiv den Kopf schütteln. Dann nochmal drüber nachgedacht und zu dem Schluss gekommen: Wie geil ist das denn?! Denn die Menschen, die das initiieren oder daran teilnehmen, haben eines ganz deutlich verstanden, was allen über 25 (oder so) unklar ist. Was braucht es, damit Menschen zusammen kommen? Diese recht simple Frage haben sie mit einem recht simplen Mittel total gut erreicht. Es braucht nichts anderes als einen Pudding und eine Gabel und den öffentlichen Raum. Kein Gewese, keine endlosen Diskussionen, einfach beieinander sein, mit anderen ins Gespräch kommen, anstatt den digitalen Orbit mit irgendeinem Müll vollzustopfen. Wie schlau ist das denn bitte?!


Jo The Man The Music
(Ms) Was fordert uns diese schnelle Welt nicht alles ab? Filtern, was gerade wichtig ist und was nicht. Analysieren, wer gerade Mist erzählt und wer nicht. Aufmerksam sein, wo gerade die guten Geschichten sind zwischen all dem Wahn. Ein kollektives dickes Fell sollten wir haben, könnte man meinen. Was aber, wenn dem nicht so ist? Was, wenn die Gefühle stärker sind wirken wollen? Das ist ja auch ein großer Vorteil, feinfühlig zu sein. So lassen sich Schwingungen und Stimmungen erahnen, auf die es neben dem Großen auch ankommt. Ein bisschen mehr Sensibilität täte uns allen sicher ganz gut. Darüber hat Jo The Man The Music ein neues Stück am Start! Soft Skin heißt es und ist seit Kurzem zu hören. Ein entspannter, unaufgeregter und wunderschöner Gitarrenpopsong! Hinter dem ganz schön coolen Namen steckt Johanna Gußmagg, die ihre musikalischen Fühler damit immer weiter ausstreckt. Anfang kommenden Jahres erscheint ihre erste EP mit dem gleichen Namen. Solch feine, verträumt-bodenständige Musik tut in diesen Zeiten doch wahnsinnig gut, oder?


Mola
(Ms) Wenn kluge Texte und Tanzbarkeit zusammen gehen, sind wir ganz schnell bei Mola! Die Münchner Musikerin hat letzte Woche ihr neues Album Liebe Brutal veröffentlicht und erneut gezeigt, wie stark sie textet und wie locker die gute Musik dabei rauscht! Ja, diese Platte kann man durchaus als Konzeptalbum beschreiben. Die Facetten der Liebe, die Heftigkeit und die Tragik stehen hier in den verschiedenen Songs nebeneinander, lassen lachen, mal andächtig drein schauen. Aber vor allem machen die neuen Tracks unglaublich viel Spaß, mal gesungen, mal eher gesprochen, doch immer sehr aufrichtig. Und wenn dann noch Fatoni als Feature-Gast auftritt, ist alles richtig gut gelaufen! Doch auch Saló, Resi Reiner und MC Windhund treten auf den 14 Liedern auf. Was für eine abwechslungsreiche Platte!

03.11.2025 Freiburg, Waldsee
04.11.2025 Karlsruhe, Jubez
05.11.2025 Wiesbaden, Schlachthof
07.11.2025 Köln, Stadtgarten
08.11.2025 Augsburg, Kantine
09.11.2025 Stuttgart, Im Wizemann
12.11.2025 Hannover, Faust
13.11.2025 Hamburg, Knust
14.11.2025 Berlin, Lido
15.11.2025 Leipzig, Werk 2
17.11.2025 Nürnberg, Z-Bau
18.11.2025 Regensburg, Alte Mälzerei
20.11.2025 Wien, Szene
21.11.2025 Graz. PPC
22.11.2025 München, Muffathalle


Berliner Doom
(Ms) Die Dreieinhalbminutentracks gibt es wegen der Bespielbarkeit von Platten und der Radiostruktur. Die Zweiminutentracks gibt es wegen des Spotify-Algorithmus‘. Und wieso gibt es Eineinhalbminutentracks?! Sicher nicht aus marktwirtschaftlicher Strategie. Das kann ich mir bei Berliner Doom wirklich nicht vorstellen. Vor zwei Wochen ist ihre neue Platte Notre Doom erschienen. Zehn Tracks auf 19 Minuten! Ein schneller, punktgenauer Rausch. Manche Tracks brauchen halt keine Bridge. Manche Tracks sind in ihrer Kürze so prägnant und in dieser kurzen Zeit ist alles gesagt, dass es auch unsinnig ist, sie in die Länge zu ziehen, nur „weil man das halt so macht“. Notre Doom ist schnell, dunkel, verträumt, tanzbar, direkt und holt das beste aus den 80ern in unsere Zeit! Was für eine Platte!

28.10. Berlin, Badehaus
29.10. Stuttgart, Werkstatthaus


Christin Nichols
(Ms) Wann ist die Suche nach sich selbst und dem eigenen Stil eigentlich beendet? Endet sie überhaupt irgendwann? Zum Einen ist ja stets alles im Wandel und Stillstand ist der Tod, doch eine gewisse Art des Sichgefundenhabens ist bei vielen KünstlerInnen hörbar. Wenn die Experimente weniger werden und die eigene Essenz im Klang klar erkennende sind. So extrem gut zu erkennen bei Christin Nichols, die im März nächsten Jahres ihr neues Album veröffentlichen wird, das selbstbewusst nach ihr selbst benannt ist. Die Gedanken, die diesem Prozess zugrunde liegen, sind auf ihrer aktuellen Single Cheerleader extrem gut zu hören. Kraftvoller Neo-NDW-Indie-Pop, der die Schönheit ihrer Stimme und ihrer Verse toll in den Vordergrund stellt! Hier ist jemand ganz doll bei sich angekommen - so klingt es zumindest. Und das klingt ganz großartig!

15.04. - Hannover, Faust
16.04. - Köln, Jaki
17.04. - Hamburg, Molotow
22.04. - München, Milla
23.04. - Stuttgart, Werkstatthaus
24.04. - Mainz, Schon Schön
06.05. - Leipzig, Neues Schauspiel
07.05. - Berlin, Lido


Rosa Anschütz
(Ms) Die Menge an neuer, großartiger Musik im September war immens. Da ging für diesen kleinen Blog einiges unter, was hundertpro eine Erwähnung wert gewesen wäre. Auch über die neue Musik von Rosa Anschütz habe ich hinweggelesen - keine Kapazitäten. Doch letztens hörte ich beim Autofahren Deutschlandradio Kultur - den mit Abstand besten Radiosender überhaupt - und dort schwärmte wer in den größten Tönen von ihrer neuen Platte Sabbatical. Dann wurden ein paar Töne abgespielt und es hat direkt gezündet bei mir. Hier erklingt ein dunkler, darkwaviger Electropop, der so viel Dynamik und Tiefe in sich trägt, dass es unmöglich ist, sich diesem Sog zu entziehen. Und in diesem düsteren Sog steckt ganz viel Glanz, ganz viel musikalische Großartigkeit. Welten, in die es sich lohnt, einzutauchen. Hier lauert eine Dreiviertel Stunde kunstvolle Extraklasse und ich bin der Redaktion des DLF Kultur sehr dankbar, dass sie dieser Musik Raum gegeben haben. Es lohnt so, so sehr!