(Ms) Eineinhalb Stunden Auszeit in einer wuseligen Zeit, deren Nachrichten und Entwicklungen einen oft in die Enge treiben. Eineinhalb Stunden einfach mal rauskommen. Zuhören. Mitgenommen und unterhalten werden. Eineinhalb Stunden träumen und schwelgen in Bildern, die mit ganz wenigen Worten erzeugt werden. Eineinhalb Stunden Niels Frevert und seinen Liedern zuhören.
Das ist derzeit möglich, denn er befindet sich auf kleiner Trio-Tour. Kein Schlagzeug, alles ein wenig heruntergefahren, leiser, direkter, unmittelbarer. Wenn dann noch der Rahmen passt, stehen alle Ampeln auf grün, dass das ein toller Abend wird. So gestern in Oldenburg. Bis auf die Umbaubar hat Oldenburg in meinen Augen kaum eine richtig schöne Konzertlocation für einen kleinen Abend. Also einen Ort, wo es auch gemütlich werden kann, zum Wohlfühlen gewissermaßen. Da muss man schon ein wenig nach links und rechts gucken. Und das tat Niels Frevert wohl schon seit vier, fünf Jahren. So lange wollte er schon im Theater Laboratorium spielen. Eine ausgezeichnete Wahl - ein kleines, privates Theater, das für seine exzellenten (und hier spreche ich aus Erfahrung) Puppenthaterstücke bekannt ist. Ein urgemütliches Gebäude, bestuhlt. Eineinhalb Stunden Auszeit.
Dafür sind seine Texte wie gemacht! Oft braucht er nur ganz wenige Worte, um die Situation einer Geschichte sofort zu eröffnen. Dazu passt auch oft die Harmonie und man befindet sich entweder direkt am Abgrund oder auf den höchsten Höhen. Mit Rachmaninow ging es los, eine Autofahrt mit entsprechender musikalischer Untermalung. Die zarte Instrumentierung des Abends machte sich direkt bezahlt - es klang ganz wunderbar! Weitere Stücke seines aktuellen Albums Pseudopoesie folgten: Weite Landschaft, Waschbeckenrand, Klappern Von Geschirr, später auch das tolle Fremd In Der Welt. Doch auch „Klassiker“ waren dabei wie Wann Kommst Du Vorbei, Du Kannst Mich An Der Ecke Rauslassen oder Ich Würde Dir Helfen Eine Leiche Zu Verscharren. Für den Genuss des Abends hat auch das Publikum gesorgt, das sehr aufmerksam war, sehr still. Ich saß ganz vorne und so hörte man das Anschlagen des Plektrums, das Klackern der Pedale, den Anschlag des Keyboards. Das war schon sehr nah, sehr direkt. Niels Frevert selbst war gut drauf, erzählte ein paar kleine Geschichten, die Stimmung war gut. Eineinhalb Stunden Auszeit. Sie tat richtig gut. Wunderbar sanfte Musik an einem wunderbar gemütlichen Ort. Vielen Dank!
PS: Ich hoffe, dass die Keyboardsoundprobleme an den kommenden Abenden nicht mehr auftreten!
(Ms) Sind Zuhause und Heimat das Gleiche? Das hängt meines Erachtens ganz davon ab, ob man immer noch in dem Ort wohnt, wo man groß geworden ist oder halt nicht. Für mich ist die Heimat der Ort, wo ich als Kind war, wo ich zur Schule gegangen bin, meine Jugend verbracht habe. An unterschiedlichen anderen Orten war ich schon zu Hause. Da bleibt eine ganz sonderbare Verbindung. Zum Einen bin ich sehr froh, nicht mehr dort zu leben. Dort war halt nie so viel los. Zum Anderen ist es halt die Gegend meiner Kindheit. Wie prägend sie ist, wissen wir alle. Also: Seltsames Verhältnis. Meistens lässt sie sich so zusammenfassen: Ich bin gerne da, aber auch gerne wieder weg. Ich unterstelle jetzt einfach mal ganz vielen Menschen, dass es denen ähnlich geht. Da bleibt ein ganz starkes, oft bizarres emotionales Band.
Wie genau es Ben Lukas Boysen in Altrip ging, weiß ich natürlich nicht. Ob er Berlin nun als Heimat oder auch „nur“ als Zuhause sieht, weiß ich auch nicht. Aber es scheint ein wenig ähnlich zu sein. Denn dem Ort, in dem er aufgewachsen ist, widmet er seine neue Platte. Sie trägt den alten, lateinischen Namen Alta Ripa. Altrip liegt südlich von Mannheim, direkt am Rhein und ist von viel Wasser umgeben. Knapp 8000 Menschen wohnen da, also auch nicht besonders viel los. Doch Ben Lukas Boysen erinnert sich an eine Jugend, die elektronisch geprägt war. Sampler- und Synthie-Musik war damals schon ein enormer Bestandteil seiner Jugendkultur. Heute ist es ihm möglich, die Musik zu machen, die er damals gerne gehört hätte. Was für eine unglaubliche Entwicklung. Was für eine tolle Aussage! Die zehn neuen Tracks haben eine Spielzeit von einer Dreiviertelstunde und sind diesem Ort gewidmet.
Um diesen Text zu schreiben, hörte ich Alta Ripa auf einem Spaziergang durch den Ort. Und es ploppten direkt viele Bilder und Assoziationen auf. Klar, was der Künstler selbst damit meint, bleibt im Verborgenen. Aber ich kann mir dieses Album aneignen und meine eigene Geschichte damit weben. Und das hat unglaublich viel Spaß gemacht! Im Gegensatz zu seinen vorherigen Projekten schrieb und spielte Ben Lukas Boysen alle Tracks alleine ein, keine Gäste, ganz pur. Ours, so heißt der erste Track. Könnte eine Musik sein, die im Elternhaus lief, oder? Eine satte Bassfläche, ein paar tänzelnde Töne darüber, es klingt sehr rund, sehr ausgewogen, harmonisch. Was lief wohl damals im Hause Boysen? Kraftwerk? Cluster? Can? Die Stärke dieses Tracks ist, dass die Töne immer intensiver werden, ein sehr kräftiges Crescendo, ein toller Start in diese Platte. Mass ist viel schneller, viel verwobener, antreibender. Sofort ist eine Bewegung da. Altrips Sportverein? Eine Tartanbahn? Ein hektischer Lauf aus Mannheim zurück nach Hause? Zwischendurch wird kurz durchgeatmet und dann geht‘s weiter! Abends rasen die Lichter an einem vorbei. Der Titeltrack ist sehr ausdrucksstark und untermauert eventuell meine Annahmen. Denn Alta Ripa ist sehr ruhig, sehr bedächtig, fast ein bisschen düster. Die Straßen sind leer, ein bisschen Sehnsucht liegt in den Menschen, aber es ist auch alles gut so wie es ist. Wie ein warmer Mantel umhüllt einen dieser Song. Aber nur so lange, bis Nox erklingt. Die Nacht. Sie ist wuchtig, dunkel, aber auch voller Energie. Ein Track, den ich sofort lauter stelle, da die Dynamik ansteckend ist. Hier wird getanzt, vielleicht ist es auch ein bisschen rau. Satter Bass donnert durch die Boxen. Vielleicht geht da doch was in dem kleinen Ort?! Ein tolles Stück! Vineta klingt sehr weltraumig. Es erinnert stark an die elektronischen Spielereien der 70er und 80er Jahre. Ist es ein Blick in die Sterne? Es klingt sehr offen, sehr freundlich, obwohl etwas Unbekanntes in den Melodien liegt. Wer mit solchen Tönen solche Bilder erzeugen kann, ist ein ausdrucksstarker Künstler. Auf der Hälfte des Tracks ist tatsächlich auch ein Summen zu hören. Herrlich mystisch, großartig arrangiert! Fama hingegen arbeitet mit vielen verschiedenen Klangebenen. Es ist viel direkter, griffiger, präsenter, unaufhaltsamer. Nach knapp fünf Minuten ist eine Pause zum Innehalten da. Sie tut gut, doch der Track könnte auch endlos weiter gehen, so viel Schönheit liegt darin.
Wie schön, dass der letzte Track Ours Forever heißt und die Melodie vom Anfang wieder aufnimmt. Das rahmt dieses großartige Album auf ganz phantastische, wenn auch einfache Weise. Alta Ripa ist ein umwerfendes Werk, es spricht mich enorm an. Die Arrangements sind zum großen Teil sehr weich, ja, gefühlvoll. Ben Lukas Boysen kann enorm gut mit Energie und Dynamik umgehen und diese Platte ist ein beeindruckendes Zeugnis davon!
(ms) Jeden Tag eine gute Tat - das Motto der Pfadfinder.
Freitagmorgen, 7.20 Uhr auf der Arbeit. Auf dem Weg mir einen Tee zu kochen, vernahm ich ein ungewöhnliches Geräusch auf den Fluren. Es flatterte und raschelte: Ein Rotkehlchen saß dort. Wie es dahin kam, ist nicht klar, aber nun war es da. Es versuchte wohl schon öfter, raus zu kommen, landete aber immer wieder vor Fenster und Türen, es gab kein Entkommen. Also versuchte ich dem armen, kleinen Ding zu helfen. Doch keins der Fester auf den Fluren ließ sich komplett öffnen, Brandschutz sei dank. Also: Wo kann es raus? Ganz am Ende, da war es! Das einzige Fenster, das sich komplett öffnen ließ. Aber der Vogel muss da ja auch erstmal hin. Also trieb ich ihn ein wenig, ein Kollege hielt das Fenster offen. Das Rotkehlchen folgte unserem Plan und saß dann, schon total erschöpft und mehrmals leidvoll gegen Glasscheiben geknallt, auf der richtigen Fensterbank. Es schaute raus, ganz romantisch stelle ich mir vor, dass es sich kurz bei uns bedankt. Dann flog es in den dunklen Morgen. Hinein in die Freiheit. Gute Reiser, kleiner Federfreund.
KMT
(Ms) Kunst, du große Faszination! Wie unterschiedlich wir doch auf den gleichen Text blicken können. Hier ein kraftvolles Beispiel. Die Welt Ist Weit ist ein Gedicht von Ingeborg Bachmann, das sie 1952 geschrieben hat. Vor über siebzig Jahren. Letztes Jahr war ihr fünfzigster Todestag. Katarina Maria Trenk, die sich einfach nur KMT nennt, hat dieses Gedicht vertont und mit einem tollen Video gestalten lassen. Dabei ist ihre und meine Sicht auf Bachmanns Zeilen ganz unterschiedlich. Ist es nicht schön, welche Gedanken Kunst freisetzen kann, wie viele Blickwinkel sie ermöglicht?! Ich sehe in Ingeborg Bachmanns Zeilen eine Vorbereitung auf den Tod, ein Abschluss des Lebens. Sie blickt zurück und schaut, wo sie war, wie die Welt sie durchaus bereichert hat, aber auch viel Energie gekostet hat, überall ist ein Stück von ihr geblieben. Und nun, als letzter Blick voraus, steht dort ein Baum „hinter der Welt“. Nun ist die Frage, wie man diesen Text anschaut. Als abgeschlossen oder vielleicht ist ja auch ein Schritt in den Text möglich, sodass man den Prozess des Weltentdeckens einnimmt. Darum geht es (so sehe ich das zumindest) Katarina Maria Trenk. Sie sieht den Text als Möglichkeit, die Welt zu erweitern - auch mit den Folgekosten. Das fasziniert mich. Und noch eindrücklicher ist die Vertonung des Ganzen. Viel Synthies-Fläche, tolle Bläser und eine kräftige Stimme. Das hier ist Kunst auf einem ganz neuen Level. Sehr beeindruckend, wunderschön und leicht düster. Film ab:
Squid
(Ms) Bleiben wir beim Thema Musik und Literatur. Und auch dieses Beispiel ist gar nicht mal so erhellend, so hoffnungsbringend. Im Gegenteil. Die britische Band Squid bringt am 7. Februar ihr neues Album raus, es wird Cowards heißen. Neun Geschichten des Bösen sind darauf enthalten. Zum Teil gibt es Adaptionen aus Büchern, manche Lieder erzählen über Sekten. Harter Stoff also. Die erste Single Crispy Skin klingt musikalisch gar nicht mal so gruselig, aber mir ist beim Textlesen und darüber nachdenken fast schlecht geworden. Es geht darum, dass Sänger Ollie Judge ein Buch las, in dem Kannibalismus normal ist. So könne man darin Menschenteile ganz einfach im Supermarkt kaufen. Bah, ist das ekelig! Aber halt auch irgendwie Kunst. Sie darf durchaus verstörend sein. Tanzende Keyboardparts im ersten Teil des Liedes strahlen sogar eine gewisse Fröhlichkeit aus, später ufert der Track aber immer mehr aus. Inhaltlich nur mehr als verständlich. Man darf sehr gespannt sein, wie die anderen acht Songs so drauf sind.
Turbostaat
(Ms) Die Energie bei Turbostaat-Konzerten ist enorm. Dort herrscht eine irre Verbundenheit zwischen Band und Publikum. Jan Windmeier müsste nicht mal singen, das übernehmen die Menschen vor der Bühne. Seit 25 Jahren sind sie enorm textsicher, das ist sehr beeindruckend. Dabei sind die Verse der Flensburger oft gar nicht mal so leicht zu verstehen. Doch genau darin liegt auch ganz viel Reiz. Andere Stücke sind aber viel klarer. Nicht unbedingt beim ersten Hören, aber beim dritten oder vierten. Scheissauge ist die neue Single vom kommenden Album Alter Zorn. Ein Lied, das eine Szenerie der Verbitterung und des Stillstandes malt. Musikalisch ist es ein klassischer Turbostaat-Track, der gut ist aber wenig Überraschungen in sich birgt. Eindrücklicher ist der Text. Ich lese ihn so: Es wird viel gemeckert, an vielen Orten tut sich nichts, einer erzählt eine Geschichte, die die anderen glauben. Was daraus wird, sagt das Lied nicht. Es ist eine Momentaufnahme. Es geht nicht um so etwas wie Wahlverhalten oder Gesellschaftsanalyse. Viel mehr es ist es unglaublich empathisch. Ja, so geht es vielen Menschen. Hören wir lieber hin als uns vorschnell ein Urteil zu erlauben. Die Platte kommt am 17. Januar!
26.02.2025 Münster, Sputnikhalle 27.02.2025 Wolfsburg, Hallenbad 28.02.2025 Marburg, KFZ 01.03.2025 Magdeburg, Factory 02.03.2025 Rostock, Peter Weiss Haus 12.03.2025 Köln, Kantine 13.03.2025 Hannover, Faust 14.03.2025 Leer, Zollhaus 15.03.2025 Wiesbaden, Schlachthof 16.03.2025 Bochum, Bahnhof Langendreer 02.04.2025 Dresden, Tante Ju 03.04.2025 AT-Wien, Das Werk 04.04.2025 Erlangen, E-Werk 05.04.2025 Leipzig, Conne Island 16.04.2025 Jena, Kassablanca 17.04.2025 CH-Winterthur, Salzhaus 18.04.2025 CH-Bern, ISC 19.04.2025 München, Feierwerk 20.04.2025 Karlsruhe, P8 15.05.2025 Berlin, SO36 22.05.2025 Hamburg, Markthalle
Kettcar
(Ms) Kommen wir nochmal zum Thema Literatur zurück. Werk und Autor trennen - diese Diskussion ist mir im Frühjahr erst so richtig bewusst geworden, als Kettcar ihr neues Album veröffentlicht haben. Kanye In Bayreuth war anfangs ein Stück, das ich gar nicht mal so gut verstanden habe. Dann las ich mich durch unterschiedliche Berichte und habe sogar mal einen Podcast gehört (was sonst nie vorkommt). Die Auseinandersetzung ist wichtig und sollte stets im Bewusstsein sein. Kann ich beide trennen? Kann ein Kunstwerk größer sein als der Künstler? Auch wenn er noch so antisemitisch, sexistisch, vorbestraft, rassistisch oder sonst wie große Grenzen überschreitet?! Wenn ich das für mich trenne, muss ich mich auf die Konfrontation einlassen. Wenn ich sie beisammen lasse, muss ich Bücher, Filme, Serien und Alben aussortieren. Was ist glaubwürdig? Was tut weh? Kettcar gehen diesem Prozess im Lied durch und kommen zu dem Schluss: „Werk und Autor bleiben schön zusammen.“ Also, den harten Weg gehen. Dazu gibt es jetzt ein Video. Dunkel ist es, ist ja auch kein fröhliches Thema. Mal wieder arbeitet die Band mit der Hochschule OWL zusammen, wie schon zu Sommer `89. Liebe Grüße in die lippische Heimat, das ist gut geworden! Kettcar gehen im Januar wieder auf Tour. Wir sehen uns, oder?!
(Ms) Druck. Energiefreisetzung. Brodelnde Dynamiken. Einen neuralgischen Punkt erreichen. Explosion. Wucht. Das geplante Chaos.
Das sind Faktoren, die, wenn Musik sie erschafft, richtig viel Wumms haben. Wenn der Krach so gut geplant ist, dass es zwar ungeheuer laut ist, aber den Genuss nicht verdrängt. Da ist auf der einen Seite die Musik, die nach vorne treibt. Das ist völlig genreunabhängig. Der Rausch kann auch beim Techno entstehen. Doch wird sind hier ja seit jeher der Gitarrenmusik verfallen. Und so sind es wieder Schlagzeug, Bass, Stimme und Gitarre, die hier in ungeahntem Maße und in ungeheurer Intensität zuschlagen. Denn neben den sehr gut arrangierten Melodien und Riffs agieren hier auch noch Texte, die den Rausch noch weiter intensivieren. Die dazugehörigen Gruppe heißt Das Format und am Freitag (22. November) veröffentlichen sie ihr selbstbetiteltes Debütalbum! Es sind 34 Minuten und 34 Sekunden, die nur eine Richtung kennen: Im wilden Wirbel nach vorn, vorn, vorn!
Die drei Herren sind dabei keine Neulinge auf diesem Gebiet. Bruno Tenschert ist als Der Herr Polaris bekannt, Maximilian Stephan ist Sänger und Gitarrist von Carpet, Maximilian Wörle ist unter anderem Produzent. Ich mag es sehr, wenn so viel Know-How mit im Spiel ist. Denn die Explosionen, die ihre neun Tracks immer wieder abfeuern, können ja musikalisch geplant werden. Auch wenn es oft schrammelt und zerrt, hier gibt es sicher wenig Zufälle.
Dieses Album hat zwei Kerne. Der eine ist auf jeden Fall der satte Sound. Intensive Rockgitarren, tiefer Bass und hämmerndes Schlagzeug haben hier das Sagen. Der andere Kern sind die Texte. Denn sie sind Kunst. Oft sind sie so unkonkret, dass den doppelten Böden der Interpretation freies Spiel gelassen wird. Dann gibt es wieder Verse, die in dem geordneten Krach die Faust heben lässt und die mitgegrölt werden wollen.
Liegen Lernen ist das erste Stück dieser Platte, startet mit dominantem Bass. In den übersichtlichen Versen - nicht wertend gemeint - ist sofort zu sehen und hören, dass Sprache hier auch ein Spielzeug ist. Wenn Worte verschoben werden, verschiebt sich auch die Bedeutung. Mal nur um wenige Plätze im Satz. „Die Kunst einfach zu sein und einfach einfach zu bleiben.“ Ja, Recht haben sie! Der Satz, der der Seele gut tut, scheppert mit ordentlich Wumms! Deine Mutter ist keine Aneinanderreihung dämlicher Sprüche, sondern eine kleine Geschichte, die davon erzählt, wer denn die Verantwortung haben soll und sie nicht erfüllt. Wir Wären Nicht Wir ist einfach nur ein Brecher, 1:16 Minute Vollgas! Bäm! Lichtmaschine verhandelt mit wiederholenden Versen und aufgedrehten Boxen, wem wir was noch glauben können. Uns oder jemand anderem? Und war das nicht mal alles anders als und versprochen wurde?! Ja, oder?
14:30 ist eine textliche und musikalische Pause in der Mitte. Einmal kurz hinsetzen und den Hut vor Rio Reiser ziehen. Den Kern der Doppeldeutigkeiten bietet Unzufrieden mit einem einfachen, aber so vielfältig einsetzbaren Satz: „Ich bin unzufrieden mit meiner Zufriedenheit.“ Tja, wann sind wir denn endlich satt?! Und wann sollten wir es nicht sein?! Spannende Zeiten! Therapiestunden tut weh und ich denke, dass soll der Song auch! Er ist großartig arrangiert. Ich mag diese mäandernden Teile, die sich langsam aufbauen und ergänzen. Insbesondere der Bass sticht auf dieser Platte immer wieder als ungeheuer gut eingesetzt heraus!
Am Ende knallt dieses Album nochmal in all seiner Stärke. Die Stücke bis hierher waren schon wirklich genial. Musikalisch, textlich, offen und schroff. Das letzte Lied heißt Lösung und zeigt nochmal eine ganz andere Herangehensweise ans Texteschreiben. Auch hier mangelt es nicht an Wiederholungen und ihrer Varianz aber die inhaltliche Ebene wird extrem gut damit zugespitzt! Es geht um die Probleme einer Beziehung (so mein Deutungsansatz) und dass das schnelle Infragestellen eben dieser eine plumpe, feige Strategie ist. Denn wenn das Gegenüber gar nicht erst gefragt wird, ist dieser Satz mehr als gerechtfertigt: „Wenn das deine Lösung ist, will ich mein Problem zurück.“
Ja, auf deutsch zu texten ist eine große Herausforderung, wenn die Sprache kunstvoll sein soll. Das ist hier überaus gut gelungen. Die mächtige, mitunter krachende Musik ist die perfekte Begleitung dafür. Das Format! Was für eine Band, was für ein Album! Wow!
(Sb/ms) Eine Lanze für die Behörden. Was komisch klingt, ist auch komisch, weil man selten davon hört. Aber umso eher muss es raus in die Welt.
Niemand möchte gerne mit dem Finanzamt zu tun haben und das geht mir genauso. Leider muss man ja aber manchmal. Und dann kommt Post. Und dann muss man zahlen. Und das ist manchmal gar nicht mal so cool. Aber so sind die Regeln. Doch dann entdeckte ich einen Fehler im Finanzamtbrief und dachte mir: Och, nöö, jetzt muss ich mich ja beim ollen Amt melden. Doch in einer freien Minute am Montagmorgen ging ein super freundlicher Kerl dort ans Telefon und meinte: Jau, das ist alles gar kein Problem, das können Sie direkt ändern, da reicht eine Mail und dann senden wir Ihnen das korrigiert zu. Wow, dachte ich. Das ging ja schnell und entspannt! Zahlen muss ich denen immer noch. Aber es ist auch schön zu wissen, dass in einem verrufenen Amt wie dem Finanzamt ganz normale, nette Menschen arbeiten!
Friska Viljor
(Ms) Über einige Bands in diesem Jahr zu schreiben, fühlt sich komisch an. Gut und seltsam gleichzeitig. Friska Viljor gehören dazu. In den 00er-Jahren waren die beiden Schweden ganz große Indie-Könige. Mit ihrem Album Broken von 2019 habe ich sie tatsächlich auch nochmal live gesehen und war total angetan, dass die gleiche Energie von früher noch so viel Kraft hat. Doch irgendwie ist es auch eine Band, die schon lange nicht mehr bei mir läuft. Warum eigentlich?! Vielleicht brauche ich keine euphorischen lalala-Gesänge mehr, vielleicht haben sich die Musikhörbedürfnisse ein wenig geändert. Doch ein bisschen Nostalgie ist immer okay. Oder? Ja, auf jeden Fall! Insbesondere wenn die Band ihre alten Stücke in ein leises, schönes, leicht schwerfälliges aber tolles Gewand packen. Inbreeds zum Beispiel. Mit Blaseklavier, gezupften Gitarren, Trompete, ohne Verstärkung. Das hat schon viel Heimeligkeit und eine schöne Intensität. Vielleicht brauche ich ja doch mehr lalala-Gesänge als gedacht Mitte dreißig…
100blumen
(Ms) Es ist ja nicht nur die letzte Woche. Es sind insgesamt völlig verrückte Zeiten, oder?! Zum Einen gab es noch nie so viele progressive, innovative Ideen zur Gesellschaftsgestaltung. Klimarettung, fluide Geschlechterbilder, eine andere Art des Zusammenlebens, die auf den Menschen und nicht auf seine Herkunft oder sein Aussehen oder sein gesellschaftlichen Stand achtet. Gleichzeitig ist die Rechte sehr mächtig, nutzt sicher auch diese Bestrebungen, um sie in ihr Gegenteil zu verkehren und völlig irre Sündenböcke zu erschaffen. Man kann sich ja nur noch an den Kopf fassen! Oder laut sein! Wie intensiv das geht, erfuhr ich vor wenigen Wochen, als 100blumen in Hamburg beim Rookie Fest spielten. Die Düsseldorfer Band kannte ich vorher gar nicht, hat aber energiemäßig aus dem Vollen geschöpft! Was war das bitte für ein unerbittlicher Abriss! Pausenlos peitschten Gitarre, Bass, Schlagzeug und allerhand elektronische Spielereien nach vorn. Insbesondere der Einsatz der Synthies hatte mächtig Wumms! Nun haben sie auch das Herz auf der richtigen Seite, teilen ordentlich aus und analysieren sehr genau. Die Kinder heißt ihre aktuelle Single, die anlässlich des 9. November erschien. Sie stellen die Fragen: Wie wird es denn weitergehen, wenn die AfD so punktet und Merz Positionen aus dem 18. Jahrhundert salonfähig macht und Söder so unglaublich dämlich gegen die Grünen wettert? „Die Kinder auf dem Feld, sie preisen die Faschisten / Für den Dreck in dem sie graben.“ Laut sein, Rückgrat zeigen, dagegen halten, Liebe schenken, wissen, dass Humanismus nicht verhandelbar ist. Wer diese Band demnächst sehen kann - tut es! Wir sehen uns in Bremen!
(Ms) Dieser Moment, wenn ein neues Lied läuft, womöglich von einer bis dato unbekannten Band, und es macht direkt: Yes! Da schwingt etwas, das mich anspricht. Da ist etwas drin, was ich sofort in Gänze hören will. In diesem Fall ist es eine spannende Art der Sanftheit. Verträumte Melodien wechseln sich ab, überlagern sich, weiche Synthie-Töne verbreiten einen tanzbaren Groove. Genauso lässt es sich herrlich auf dem Sofa dahin schwelgen. Das ist schon sehr vielschichtig, was Fazerdaze da macht. Mein Kopf zumindest fängt sofort zu wippen an, die Atmosphäre spricht mich an, ich tauche ab. Amelia Murray aus Neuseeland steckt dahinter und ihr musikalischer Zauber zieht mich schnell in den Bann. Es ist ein wenig 80er-Retro, aber viel klarer abgemischt. Dazu verströmt beispielsweise Cherry Pie eine unglaubliche Größe. Nicht nur musikalisch durch die breit angelegten Synthie-Flächen, sondern auch von der Haltung hinter dem Song. Das ist unglaublich gut arrangiert, das hat richtig viel Kraft, ganz viele Menschen zusammen zu bringen. Pop, Indie, Elektronika. Hier können sich sicherlich viele einigen. Und das, ohne dass die Musik beliebig erscheint. Heute erscheint ihr neues Album Soft Power und selten war ein Albumtitel derart treffend gewählt, um die eigene Musik zu beschreiben! Ja, Fazerdaze, schlag zu mit der sanften Kraft!
(Ms) Was ist Kunst, wenn wir über Musik sprechen? In meinen Augen kann diese Frage in zwei weitere aufgesplittet werden. Zum Einen geht es dabei um das musikalische Arrangement, die Instrumentierung. Wie klingt das Stück wenn der Text weg ist? Wie fein werden die Instrumente gespielt? Wie viel Können steckt darin? Wie werden Dynamiken aufgebaut? Wie entsteht Energie? Was bringt mich dazu, dass ich mitschwinge, den Kopf wippen lasse oder sogar tanzen will?!
Auf der anderen Seite steht für mich die Kunst des Texteschreibens. Immer wenn ich über nicht-deutschsprachige Musik hier schreibe, fällt mir das leider etwas schwerer. Klar, ich verstehe und spreche englisch, aber manchmal kann ich gar nicht so gut durch die Kunst des englischen Dichtens durchsteigen. Auf Deutsch fällt es mir bedeutend leichter.
Einen guten Text schreiben - das ist Kunst. Doch was bedeutet das? Was ist ein guter deutscher Song? Er muss mich packen. Egal, auf welcher Ebene. Er kann lustig, unterhaltend sein wie Carsten Friedrichs es oft macht. Da schwinge ich schnell mit, schmunzle, fühle mich wohl. Wenn Judith Holfernes tief aus dem Leben schöpft, denke ich auch nur: Nein, das ist kein Kitsch, so ist es in echt. Wenn Markus Wiebusch und Reimer Bustorff wieder das Storytelling in Perfektion darbieten und auf Probleme aufmerksam machen, dann packt mich das ebenso. Und dann ist da Katharina Kollmann. Sie nennt sich Nichtseattle und macht seit einigen Jahren Musik.
In diesem Jahr erschien ihr neues Album Haus. Noch nie wurde ich direkt beim ersten Hören vom ersten Stück derart angesprochen. Das klingt ganz weich, ganz sanft und zugleich zum Wohlfühlen dicht. Das ist also musikalisch wirklich gut, fein und geschickt gemacht. Und dann schlägt sie auf der Textebene in noch krasserem Maße zu. Denn sie beherrscht eine große Kunstform, hat sicher auch viel Talent dafür. Sie schreibt ihre Lieder auch aus dem Leben, über das Leben, ist also thematisch sehr breit aufgestellt. Ob sie tatsächlich ihr Innerstes nach außen kehrt, weiß ich nicht. Wenn ihre Texte im weitesten Sinne autobiographisch sind: Hut ab, dass sie das so stabil live darbieten kann. Denn es tut oft auch ganz schön weh.
Am Mittwochabend spielte sie in Bremen ein Konzert. Es wurde vom Radiosender Bremen2 organisiert und aufgenommen. Das heißt, wir haben das große Glück, das demnächst nachhören zu können. Zudem war der Schlachthof bestuhlt. Sicher eine gute Idee, ich fühlte mich so sehr wohl. Ohnehin: Diese Location ist enorm - ich bin richtig gerne da, dieses Arrangement an Orten, wo man stehen oder sitzen kann, ist wunderbar!
Um kurz nach acht kam Katharina Kollmann mit ihrer vierköpfigen Band auf die Bühne und hat gut zwei Stunden inklusive Pause ihre Kunst gezeigt. Oft im guten alten Indie-Gitarrenpop-Arrangement. Doch es wurde oft genug leiser oder lauter. Viel Varianz, viel Können. Doch auch hier: Im Mittelpunkt standen ihre Texte. Und die haben mir direkt ab dem ersten Stück voller Glanz und Klarheit in die Magengrube gehauen. Es war gleichzeitig wunderschön und auch richtig hart. Denn eines schafft Kollmann wie ich es noch nie gehört hat. Für das Schwere und Schöne findet sie gleichsam ganz einfache Worte, Bilder, Situationen, Geschichten. Manchmal sind es nur ganz wenige und sie hallen enorm nach in mir. Wie viel Kraft eine Beziehung erfordert. Was es heißt, zusammen zu leben. Ihr Bild vom Frau sein oder halt genau das, was sie damit nicht erfüllen will. Es ist vielfältig und unglaublich menschlich. Insbesondere habe ich mich auf Unterstand (Schirmpilz) gefreut, es läuft ganz oft bei mir zu Hause. Wow - mir fehlen echt die Worte. War das schön und nah. Es wäre so, so cool gewesen, wenn dabei wer Blockflöte gespielt hätte, aber hey… es gab ja zum Glück eine Trompete!
So sind es, bis auf diese eine Ausnahme, nicht einzelne Lieder, die mich tief beeindruckt haben. Es ist das Gesamterlebnis. Auf der einen Seite habe ich zwei Stunden über die Kunst des Texteschreibens, und was diese in mir bewirkt, gestaunt. Zum Anderen war es auch musikalisch sehr, sehr rund. Mir fällt nichts Vergleichbares ein, was ich je live gesehen habe. An dieser stelle mag ich nicht prahlen, aber ich sah sicher über 500 Konzerte bislang. Vielen Dank, liebe Katharina Kollmann!
Sie ist jetzt auf Tour. Das sollte sich niemand entgehen lassen.
(Ms) Die Bürste unten am Staubsauger ist abgebrochen. Das ist natürlich sehr ärgerlich, da es das staubsaugen an sich verkompliziert. Ständig fliegt das Ding ab, ich stülp es wieder über, es fällt wieder ab, die Nerven liegen blank. Klar, erste Idee: Gaffatape und alles ist wieder gut. Aber das sieht ja oft auch ein bisschen schäbig aus. Also: Rein in den Onlineshop vom Staubsaugerhersteller. Das jedoch ist ein Labyrinth sondergleichen. Denn ständig bietet es sich an, die korrekte Artikelnummer des Geräts vorliegen zu haben. Das ist natürlich nicht die Modellnummer und auch nicht die Seriennummer. Nein, nein. Aber: Gesucht und gefunden mit der Erkenntnis es gibt unzählige Bürsten mit vielen verschiedenen Anstecksystemen. Natürlich gibt es zu allem auch noch einen Adapter! Nach 20 Minuten fand ich das korrekte Modell, ab in den Warenkorb, alles angegeben und dann auf den Zauberbutton Zahlungspflichtig Bestellen geklickt. Und. Es. Passiert. Nichts. Gar nichts. Ich klicke sieben mal darauf in der Hoffnung, durch einen blöden Oberflächenfehler nicht sieben Bürsten gekauft zu haben. Aber: Nichts. Doch immerhin habe ich nun das korrekte Modell. Dann halt zur Konkurrenz!
Rikas
(Ms) Nah Am Wasser. Ausnahmsweise ist damit kein Gemütszustand gemeint sondern ein Festival, das es mal in Münster gab. Der Coconut Beach ist eigentlich kein Ort, an dem Indiemusik läuft. Doch für ein paar Male war das der Fall. Dort stießen schon ein paar Welten aufeinander, aber es war richtig gut. Gut kann ich mich auch daran erinnern, dass die Band Rikas dort gespielt hat. 2018 war das. Nun, sechs Jahre später, sind sie Teil dieser großen Musikfamilie und spielen in gut gefüllten Clubs! Hängen blieb mir auf jeden Fall, dass es die perfekte Musik für den Sommer war - entspannt, locker, leichtfüßig! Nun bringen sie ein neues Album raus: Soundtrack For A Movie That Has Not Been Written Yet. Klingt richtig gut, oder? Mit Opposite Opinions erschien dieser Tage eine neue Single. Das Video im besten Sommersportdress. Doch der Track ist inhaltlich von dieser Lockerheit weit entfernt. Trotz des entspannten musikalischen Korsetts. Das finde ich richtig raffiniert gemacht: Es geht ums Auseinanderleben und Aushalten und es klingt wie ein Tag am See. Solch gestaltete Gegensätze sind in meinen Augen große Kunst! Am 7. Februar kommt dann mehr davon!
Masha Qrella
(Ms) Coverversionen sind ja immer ein heikles Thema, oder?! Einige sind brillant, andere einfach nur platt. Und in meiner Wahrnehmung überwiegen die platten, die einfach nur nachgespielten und kopierten Lieder. Doch dem ist ja gar nicht immer so. Muss man sich auch mal klar machen! Das Lied eines anderen Künstlers zu spielen kann ja viele Gründe haben. Ehrerbietung gegenüber dieser Person. Eine persönliche Verbindung. Oder einfach die tolle Einsicht, dass dieser Beat so genial ist, dass ich ihn auch spielen will. Masha Qrella hat schon viele andere Lieder gespielt und viele andere Texte vertont. In ihrer Solokarriere ist das ein ganz großer Bestandteil. Am 28. März veröffentlicht sie ein neues Album mit dem Titel Songbook. Auch darauf werden sich Lieder aus fremden Federn finden. Doch hier wird nichts einfach nachgespielt. Vieles bekommt ein ganz neues Gewand. Oder es klingt halt viel, viel frischer. Die erste Single ist Cool Breeze von der Jeremy Spencer Band. Spencer gehörte mal zu Fleetwood Mac dazu! Das Stück ist von 1979! 45 Jahre ist das her. Und Masha Qrella macht daraus ein Stück, das schnell den Kopf wackeln lässt, der genialen Basslinie sei Dank! Zwischendurch schleicht sich eine leichte Melancholie ein, doch die Grundstimmung ist nach vorn gerichtet. Passt derzeit richtig gut, oder?! Bald folgen neue Tourdaten, denn das sollte man sich live nicht entgehen lassen!
Tocotronic
(Ms) Denn Sie Wissen, Was Sie Tun. Diese neue Single von Tocotronic ist ein richtig gutes Stück. Musikalisch tatsächlich überhaupt nicht, aber der Text ist so treffend! Er bringt Politik und Liebe zusammen. Etwas, was sonst unvorstellbar ist (und auch ein bisschen schade). Auf der einen Seite steht das unsagbare Kalkül von großen Entscheidungsträgern, Staatsmenschen, Präsidenten, Leuten, die Regierungen zerbrechen lassen. Ja, sie wissen ganz genau, was sie tun. Es ist alles geplant, es gibt kaum Zufälle. Wie gehen wir damit um? Mit Zorn und Wut? Tocotronic sagen: Nein, wir müssen sie auf die Münder küssen. Wachküssen. Überwältigen mit Zärtlichkeit, Sanftheit, Menschlichkeit. Das wäre doch was, oder?! Was für eine schöne Rebellion! Es ist die erste Single ihres neuen Albums, es wird in der tocotronischen Dramatik Golden Years heißen und am 14. Februar 2024 erscheinen. Es ist die vierzehnte Platte dieser Band - Wahnsinn! Logischerweise gehen sie dann auch wieder auf Tour und das seit sehr langer Zeit wieder als Trio! Sind wir dabei? Logisch!
(Ms) Endlich sind sie musikalisch zurück! Das hat jetzt aber auch lange gedauert. Letztes Jahr, als Milli Dance mit Fatoni auf Tour war und ein paar Songs mit ihm zusammen performt hat, habe ich still und heimlich schon gehofft, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis es neue Musik gibt. Jetzt, ein Jahr später, ist es soweit. Gefehlt hat diese Stimme. Gefehlt hat eine klare, angriffslustige Haltung gegenüber der politischen Wirklichkeit. Und diese muss nicht mal auf der ganz großen, globalen Bühne stattfinden. Waving The Guns sind viel näher an den gruseligen Problemen des Alltags interessiert. Die Macht der Konzerne, bezahlbarer Wohnraum, über die Runden kommen, ein klein bisschen Gerechtigkeit in dieser Kapitalismuswelt. Klebrig heißt der neue Track. Und mit wie viel Wucht kommt der denn um die Ecke?! Ab dem ersten Takt schnürt sich durch die textliche Klarheit die Kehle zu, denn er ist so präzise, dass es weh tut. Und das soll er ja auch. Wenn der Bass dann im Refrain ballert, erhebt sich die Gänsehaut. Dass WTG so mächtig zurück kommen, hätte ich nicht gedacht. Und das gerade mal auf zwei Minuten und sieben Sekunden! Kommendes Jahr folgt dann die dazugehörige Tour und ich tippe mal, dass kurz vorher ein Album mit dem Namen Statement erscheint. Endlich wieder WTG!
15.03.2025 Rostock - M.A.U. Club 20.03.2025 Dresden - Tante Ju 21.03.2025 Wien (AT) - Flex 22.03.2025 Graz (AT) - p.p.c. 23.03.2025 Innsbruck (AT) - P.M.K 25.03.2025 Zürich (CH) - Dynamo 26.03.2025 Stuttgart - Lehmann Club 27.03.2025 München - Strom 28.03.2025 Nürnberg - Z-Bau 29.03.2025 Jena - Kassablanca 03.04.2025 Dortmund - Junkyard 04.04.2025 Frankfurt - Das Bett 05.04.2025 Heidelberg - Karlstorbahnhof 10.04.2025 Hannover - Kulturzentrum Faust 11.04.2025 Köln - Stollwerck 12.04.2025 Bremen - Schlachthof 17.04.2025 Hamburg - Markthalle 25.04.2025 Leipzig - Werk2 26.04.2025 Berlin - Huxleys neue Welt
(Ms) Ein Blick in die Nachrichten lässt schon grauen. Dann noch Halloween, so ein riesiger Quatsch. Es lässt sich auch ganz anders gruseln, dafür muss nicht mal ein Kostüm oder ein Schockerfilm her. Manchmal reicht auch einfach ein richtig gutes Buch! Mir wurde von einem lieben Menschen Hundswut von Daniel Alvarenga geschenkt und ich las es schnell durch. Anders ist es auch gar nicht möglich. Dieses Buch beginnt schon auf einem unterdurchschnittlichen Fröhlichkeitslevel und es wird nicht ein Mal die Kurve nach oben nehmen. Doch die Lektüre ist lohnenswert, denn sie zeigt, wie grausam Menschen sein können. Wie wenig sie einlenken und wie stark - im schlimmsten Sinne - eine Dorfgemeinschaft sein kann. Ein bisschen sollte man Bayrisch lesen können. Und dann offenbart sich eine Geschichte, die stark aber auch schrecklich zugleich ist. Lesetipp an dieser Stelle!
Oehl
(Ms) Ach, Ariel Oehl! Ich bin deiner Musik so gern verfallen. Wie schön du textest! Manchmal ein wenig verschachtelt und kryptisch. Doch in ganz vielen Fällen sehr klar und singst doch nuschelig. Die Schönheit deiner gewählten Worte, fasziniert mich. Begeistert mich. Denn die große Schwierigkeit eines guten Textes ist ja, mit einfachen, einprägsamen Worten eine gute Geschichte zu erzählen. Ein starkes Gefühl hervorzurufen. Und das gelingt dir, lieber Ariel, seit vielen Jahren sehr zuverlässig. Manchmal mit tanzbarem Wumms, dann wieder mit leisem Zauber. So auch jetzt. In Diesem Jahr Reden Wir Nur Gut Voneinander. Was für ein schöner Titel, so klar und so positiv. Natürlich ist jedes Ende einer Beziehung schlimm und erschütternd. Man muss danach nicht befreundet bleiben, aber man muss sich auch nicht hassen. Denn es gab ja mal eine große Liebe und Zuneigung. Warum nicht auch im Nachhinein, nach dem Erdbeben, genau davon reden. Es spricht doch nichts dagegen. Vielen Dank für dieses schöne Lied!
Kat Frankie / B O D I E S
(Ms) Oh, Kunst! Oh, Kraft, die von dir aus geht. Ich gebe mich dir so gerne hin, lasse mich verzaubern, hinreißen, ummanteln, einhüllen, mitnehmen, forttragen. Und vor allem eines: faszinieren und staunen! Wenn das Staunen erstmal angefangen hat, wird es schwer, Worte für die Gefühle und Gedanken zu finden, die mich gerade durchströmen. Das geschieht im größten Moment des Staunens. Dieser Moment wird intensiver, je stärker die Kunst ist. Damit sind wir bei Kat Frankie und ihrem Projekt B O D I E S! Zusammen mit Albertine Sarges, Barbara Greshake, Erika Emerson, Fama M'Boup, Liza Wolowicz, Tara Nome Doyle und Trinidad Doherty ist sie dieses Superband! Sie singen a capella und da auf einem irren Niveau! Pure Gänsehaut, pures Staunen! Hier haben sich acht Künstlerinnen zusammen getan, die ohnehin schon solo unterwegs sind. Wissen also, wie sie performen. Wissen, worauf es ankommt. Zusammen heben sie sich auf ein erstaunliches Level an Kunst! Das gleichnamige Album zum Projekt erscheint am 6. Dezember und dann gehen sie nochmal auf Tour! Wer sich mitreißen lassen will in eine andere Welt, sollte da unbedingt hingehen!
(Ms) Verletzlichkeit zugeben ist eventuell eine der größten Rebellionen dieser Tage. Die großen Krakeler in den Medien schimpfen, brüllen, beleidigen, zeigen Härte und Ignoranz. Wer gibt schon einen Fehler zu? Wer sagt schon, dass einem etwas wirklich leid tut? Wer sagt schon: Nein, dafür bin ich zu schwach, das traue ich mich einfach nicht. Diesen Satz, nein, den bringe ich nicht über die Lippen. Verletzlichkeit zugeben. Schwäche. Wunde Punkte. Es ist schwer, doch eines ist klar: Man wird danach immer mit erhobenem Kopf herausgehen. Das in Musik zu transformieren ist daher doppelt zu würdigende Kunst. Wenn es dann noch textlich und musikalisch so geschickt, wunderschön, sanft gemacht wird wie von AB Syndrom, dann kann ich nur noch staunen und sie zum Lied Stabil beglückwünschen! Denn das ist wirklich toll. Ich mag die Klarheit im Text und die Zärtlichkeit der Musik. On top gibt es noch ein Feature von Roger Rekless. Am Ende steht ein großartiger Track, der die Wartezeit auf ihr neues Album noch ein wenig weiter schwinden lässt!
Konstantin Gropper
(Ms) Vor über zwei Jahren erschien mit Amen das aktuelle Album von Get Well Soon, dazu gab es meines Wissens nur eine Tour. Seitdem hat sich Konstantin Gropper noch weiter aus dem Rampenlicht zurückgezogen als zuvor. Denn davor fiel er auch mit anderen Tätigkeiten und Projekten auf. Seit vielen, vielen Jahren schreibt er Musik für Filme und Serien. Und das wohl recht erfolgreich. How To Sell Drugs Online (Fast), Pauline oder Wir Können Nichts Anders. Überall ist er dabei. Oft im Boot: Alex Mayr oder Ziggy Has Ardeur. Letzterer ist auch wieder Groppers Kompagnon für den Titeltrack zu Achtsam Morden (bei Netflix zu sehen). Dazu hat er mit Psycho Killer natürlich einen tollen Titel gewählt und ja, es ist tatsächlich ein Cover von Miley Cyrus! Warum auch nicht?! Natürlich ist seine Handschrift dabei mehr als augenscheinlich. Sein Bariton, dieses ungeheure Gefühl für cineastische Musik… kein Wunder, dass er dafür engagiert wurde!
Herrenmagazin
(Ms) Vergesst die ganzen großen Wiedervereinigungen dieses Jahres. Oder auch das neue The Cure-Album! Das ist doch alles Quatsch! Oasis, Linkin Park… pff! Da hat sich doch etwas zusammen gebraut, was viel größer ist als das! Es begann in Hamburg und wird nun auch dort fortgesetzt! Vor neun Jahren erschien das letzte Herrenmagazin-Album, danach hieß es: Wir machen Pause. Und das haben sie dann auch gemacht. Lange. Zuletzt gab es ein paar vereinzelte Konzerte und ein paar Meldungen auf Social Media-Plattformen. Und ja: Das hatte doch alles schon etwas zu bedeuten, oder?! Ja, auf jeden Fall! Denn mit Pauken und Fanfaren hieß es nun: Herrenmagazin sind wieder da! Deniz Jaspersen, Rasmus Engler, König Wilhelmsburg und Paul Konopacka haben sogar eine neue Platte im Gepäck, die im März kommenden Jahres erscheint: Du Hast Hier Nichts Verloren! Was für ein genialer Titel! Das trifft auf dieses Quartett jedoch gar nicht zu. Denn ihre Lieder strotzen seit jeher von viel Aufrichtigkeit, Menschlichkeit und einer ordentlichen Portion Indierockwumms! Am 3. Oktober 2008 - also vor 16 Jahren! - sah ich sie zum ersten Mal live. In Bielefeld, auf den legendären Visions-Partys! Es war ein großes Fest, viel Rausch, viel Energie! Ich gehe davon aus, dass diese Band nichts davon verloren hat und mit genauso viel Kraft nächstes Jahr wieder spielen wird:
11.04.25 Frankfurt, Nachtleben 12.04.25 Stuttgart, JuHa West 01.05.25 Hamburg, Uebel & Gefährlich 02.05.25 Hannover, Bei Chéz Heinz 03.05.25 Berlin, Bi Nuu 17.10.25 Dresden, GrooveStation 18.10.25 München, Kranhalle 20.10.25 Leipizg, Naumanns 21.10.25 Kassel, Goldgrube 22.10.25 Essen, Zeche Carl 23.10.25 Köln, Gebäude 9 24.10.25 Bremen, Tower
Victor Solf
(Ms) Puh, in der heutigen Selektion ist viel Schwere dabei. So kann ich doch niemanden ins Wochenende entlassen. Zum Glück gibt es auch sehr, sehr beschwingte, ja, extrem sorglose Musik. Sie ist genauso wichtig wie die Zeilen, die weh tun. Denn ich kann auch nicht nur den ganzen Tag grübeln und mir Sorgen machen. Irgendwann muss man auch mal abschalten, tanzen, das Schöne genießen. Den Soundtrack genau dafür liefert Victor Solf. Und wie er es auf Que Le Coeur macht, grenzt fast schon an maßlose Frechheit! Tatsächlich habe ich gar keine Ahnung, worum es in dem Lied geht, dafür ist mein Französisch viel zu mies. Aber ganz ehrlich: Es interessiert mich auch nicht besonders, da die Stimmung des Songs mich viel stärker anfixt! Es ist soulig, poppig, ja gospelig! Und eine Regel gilt seit immer: Bläser machen alles besser! Dieser Track ist ein weiterer Beweis dafür. Victor Solf ist kein Unbekannter, er war eine Hälfte von Her und Teil der Band The Popopopops. Mehr von dieser beschwingten Leichtigkeit gibts am 25. Januar, dann erscheint sein zweites Album Tout Peut Durer. Ganz schön pfiffig, solch Musik im tiefsten Winter zu veröffentlichen!