Freitagmorgen, 7.20 Uhr auf der Arbeit. Auf dem Weg mir einen Tee zu kochen, vernahm ich ein ungewöhnliches Geräusch auf den Fluren. Es flatterte und raschelte: Ein Rotkehlchen saß dort. Wie es dahin kam, ist nicht klar, aber nun war es da. Es versuchte wohl schon öfter, raus zu kommen, landete aber immer wieder vor Fenster und Türen, es gab kein Entkommen. Also versuchte ich dem armen, kleinen Ding zu helfen. Doch keins der Fester auf den Fluren ließ sich komplett öffnen, Brandschutz sei dank. Also: Wo kann es raus? Ganz am Ende, da war es! Das einzige Fenster, das sich komplett öffnen ließ. Aber der Vogel muss da ja auch erstmal hin. Also trieb ich ihn ein wenig, ein Kollege hielt das Fenster offen. Das Rotkehlchen folgte unserem Plan und saß dann, schon total erschöpft und mehrmals leidvoll gegen Glasscheiben geknallt, auf der richtigen Fensterbank. Es schaute raus, ganz romantisch stelle ich mir vor, dass es sich kurz bei uns bedankt. Dann flog es in den dunklen Morgen. Hinein in die Freiheit. Gute Reiser, kleiner Federfreund.
(Ms) Kunst, du große Faszination! Wie unterschiedlich wir doch auf den gleichen Text blicken können. Hier ein kraftvolles Beispiel. Die Welt Ist Weit ist ein Gedicht von Ingeborg Bachmann, das sie 1952 geschrieben hat. Vor über siebzig Jahren. Letztes Jahr war ihr fünfzigster Todestag. Katarina Maria Trenk, die sich einfach nur KMT nennt, hat dieses Gedicht vertont und mit einem tollen Video gestalten lassen. Dabei ist ihre und meine Sicht auf Bachmanns Zeilen ganz unterschiedlich. Ist es nicht schön, welche Gedanken Kunst freisetzen kann, wie viele Blickwinkel sie ermöglicht?! Ich sehe in Ingeborg Bachmanns Zeilen eine Vorbereitung auf den Tod, ein Abschluss des Lebens. Sie blickt zurück und schaut, wo sie war, wie die Welt sie durchaus bereichert hat, aber auch viel Energie gekostet hat, überall ist ein Stück von ihr geblieben. Und nun, als letzter Blick voraus, steht dort ein Baum „hinter der Welt“. Nun ist die Frage, wie man diesen Text anschaut. Als abgeschlossen oder vielleicht ist ja auch ein Schritt in den Text möglich, sodass man den Prozess des Weltentdeckens einnimmt. Darum geht es (so sehe ich das zumindest) Katarina Maria Trenk. Sie sieht den Text als Möglichkeit, die Welt zu erweitern - auch mit den Folgekosten. Das fasziniert mich. Und noch eindrücklicher ist die Vertonung des Ganzen. Viel Synthies-Fläche, tolle Bläser und eine kräftige Stimme. Das hier ist Kunst auf einem ganz neuen Level. Sehr beeindruckend, wunderschön und leicht düster. Film ab:
Squid
(Ms) Bleiben wir beim Thema Musik und Literatur. Und auch dieses Beispiel ist gar nicht mal so erhellend, so hoffnungsbringend. Im Gegenteil. Die britische Band Squid bringt am 7. Februar ihr neues Album raus, es wird Cowards heißen. Neun Geschichten des Bösen sind darauf enthalten. Zum Teil gibt es Adaptionen aus Büchern, manche Lieder erzählen über Sekten. Harter Stoff also. Die erste Single Crispy Skin klingt musikalisch gar nicht mal so gruselig, aber mir ist beim Textlesen und darüber nachdenken fast schlecht geworden. Es geht darum, dass Sänger Ollie Judge ein Buch las, in dem Kannibalismus normal ist. So könne man darin Menschenteile ganz einfach im Supermarkt kaufen. Bah, ist das ekelig! Aber halt auch irgendwie Kunst. Sie darf durchaus verstörend sein. Tanzende Keyboardparts im ersten Teil des Liedes strahlen sogar eine gewisse Fröhlichkeit aus, später ufert der Track aber immer mehr aus. Inhaltlich nur mehr als verständlich. Man darf sehr gespannt sein, wie die anderen acht Songs so drauf sind.
Turbostaat
(Ms) Die Energie bei Turbostaat-Konzerten ist enorm. Dort herrscht eine irre Verbundenheit zwischen Band und Publikum. Jan Windmeier müsste nicht mal singen, das übernehmen die Menschen vor der Bühne. Seit 25 Jahren sind sie enorm textsicher, das ist sehr beeindruckend. Dabei sind die Verse der Flensburger oft gar nicht mal so leicht zu verstehen. Doch genau darin liegt auch ganz viel Reiz. Andere Stücke sind aber viel klarer. Nicht unbedingt beim ersten Hören, aber beim dritten oder vierten. Scheissauge ist die neue Single vom kommenden Album Alter Zorn. Ein Lied, das eine Szenerie der Verbitterung und des Stillstandes malt. Musikalisch ist es ein klassischer Turbostaat-Track, der gut ist aber wenig Überraschungen in sich birgt. Eindrücklicher ist der Text. Ich lese ihn so: Es wird viel gemeckert, an vielen Orten tut sich nichts, einer erzählt eine Geschichte, die die anderen glauben. Was daraus wird, sagt das Lied nicht. Es ist eine Momentaufnahme. Es geht nicht um so etwas wie Wahlverhalten oder Gesellschaftsanalyse. Viel mehr es ist es unglaublich empathisch. Ja, so geht es vielen Menschen. Hören wir lieber hin als uns vorschnell ein Urteil zu erlauben. Die Platte kommt am 17. Januar!
27.02.2025 Wolfsburg, Hallenbad
28.02.2025 Marburg, KFZ
01.03.2025 Magdeburg, Factory
02.03.2025 Rostock, Peter Weiss Haus
12.03.2025 Köln, Kantine
13.03.2025 Hannover, Faust
14.03.2025 Leer, Zollhaus
15.03.2025 Wiesbaden, Schlachthof
16.03.2025 Bochum, Bahnhof Langendreer
02.04.2025 Dresden, Tante Ju
03.04.2025 AT-Wien, Das Werk
04.04.2025 Erlangen, E-Werk
05.04.2025 Leipzig, Conne Island
16.04.2025 Jena, Kassablanca
17.04.2025 CH-Winterthur, Salzhaus
18.04.2025 CH-Bern, ISC
19.04.2025 München, Feierwerk
20.04.2025 Karlsruhe, P8
15.05.2025 Berlin, SO36
22.05.2025 Hamburg, Markthalle
Kettcar
(Ms) Kommen wir nochmal zum Thema Literatur zurück. Werk und Autor trennen - diese Diskussion ist mir im Frühjahr erst so richtig bewusst geworden, als Kettcar ihr neues Album veröffentlicht haben. Kanye In Bayreuth war anfangs ein Stück, das ich gar nicht mal so gut verstanden habe. Dann las ich mich durch unterschiedliche Berichte und habe sogar mal einen Podcast gehört (was sonst nie vorkommt). Die Auseinandersetzung ist wichtig und sollte stets im Bewusstsein sein. Kann ich beide trennen? Kann ein Kunstwerk größer sein als der Künstler? Auch wenn er noch so antisemitisch, sexistisch, vorbestraft, rassistisch oder sonst wie große Grenzen überschreitet?! Wenn ich das für mich trenne, muss ich mich auf die Konfrontation einlassen. Wenn ich sie beisammen lasse, muss ich Bücher, Filme, Serien und Alben aussortieren. Was ist glaubwürdig? Was tut weh? Kettcar gehen diesem Prozess im Lied durch und kommen zu dem Schluss: „Werk und Autor bleiben schön zusammen.“ Also, den harten Weg gehen. Dazu gibt es jetzt ein Video. Dunkel ist es, ist ja auch kein fröhliches Thema. Mal wieder arbeitet die Band mit der Hochschule OWL zusammen, wie schon zu Sommer `89. Liebe Grüße in die lippische Heimat, das ist gut geworden! Kettcar gehen im Januar wieder auf Tour. Wir sehen uns, oder?!
18.01.25 Osnabrück, Botschaft
19.01.25 Aurich, Stadthalle
21.01.25 Ulm, Roxy
22.01.25 CH - Zürich, Kaufleuten
23.01.25 CH - Bern, Bierhübeli
24.01.25 Heidelberg, Halle 02
25.01.25 Frankfurt, Batschkapp
26.01.25 A - Graz, Orpheum
28.01.25 Potsdam, Waschhaus
29.01.25 Magdeburg, Factory
30.01.25 Rostock, Mau Club
31.01.25 Hamburg, Georg Elser Halle (Ausverkauft)
01.02.25 Hamburg, Georg Elser Halle (Zusatzshow)
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