Freitag, 19. Mai 2023

KW 20, 2023: Die luserlounge selektiert

Quelle: Wikimedia.org
(Sb/ms) Minimalismus. Es ist und bleibt eine hartnäckige Mode in allen Einrichtungsfragen. Je übersichtlicher es ist, desto mehr spricht es an. Und desto wohler fühlen sich alle, die sich darin aufhalten. Oder? Es ist halt auch oft verdammt chic. Damit geht aber auch eine radikale Art einher. Denn Minimalismus kann nur entstehen, wenn ganz bewusst Dinge entsorgt werden. Denn Geschenke oder Erinnerungen häufen sich ja von ganz allein an. Also: Aufbewahren oder Wegwerfen? Dabei ist Aufbewahren oft gleichzusetzen mit hinstellen. Die wichtigste Frage dabei lautet schließlich: Ist es das wert? Muss das gesehen werden? Von mir und allen anderen. Und diese Frage stellte sich mir diese Woche auch in puncto Musik. Ja, jede Woche erscheint wirklich viel Neues und es gibt unzählige gute Menschen, die uns das schmackhaft machen wollen, damit wir berichten. Doch es muss schon irgendwie Klick! machen, damit Worte aus dem Hirn purzeln, die die Musik beschreiben. Für diese Ausgabe der Selektion standen unter anderem noch Daft Punk und Madsen auf dem Plan. Aber beides ödete mich enorm an. Also: minimalistisch bleiben. Hier sind zwei wunderbare Lieder, hört sie euch an:

Chrucchi Gang
(Ms) Kann eine Stimme perfekt zu einer Sprache passen? Also eine besonders Tiefe, Hohe, Eindringliche? Vielleicht ist eine besonders ins Mark gehende Stimme in allen Sprachen besonders beeindruckend. Doch wenn Tristan Brusch auf Italienisch singt, dann geht ein Zucken durch den Körper. Oder? Für (oder mit?! - egal!) der Crucchi Gang hat er sein Lied Am Wahn neu und selbstredend auf Italienisch eingesungen. Es heißt und L‘Altra Metà und klingt noch mal viel schöner als sein eigenes Original, oder? Genau das ist es, was dieses wundersame Musikprojekt von und um Francesco Wilking doch ausmacht: Bestehende Lieder durch den scheinbar einfachen Kniff, sie zu übersetzen und ein wenig anders zu arrangieren, noch besser zu machen. Dies hier ist das Paradebeispiel, dass diese Idee eine Brillante ist! Und bald gibt es das wieder auf Albumlänge. Am 26. Mai erscheint Fellini, die neue Platte der Gang! Noch nie war Vorfreude schöner!


Hania Rani
(Ms) Was wir als Hörende zu Ohren bekommen ist ja oft nur ein kleiner Ausschnitt der Stücke, die Künstler je erarbeiten. Wie viele unzählige Lieder hat Woche jede Band noch im Schreibtisch liegen?! Das müsste doch Material für zig Alben sein. Doch all diese Stücke werden für die Musiker genügend Gründe vorzeigen, warum sie genau dort liegen und keinen Platz auf der letzten Platte bekommen haben. Manchmal bekommen genau diese Lieder später aber doch eine zweite Chance, dass ihnen ein wenig mehr Leben eingehaucht wird. Genau das ist Hania Rani passiert. Die polnische Pianistin hatte Hello schon länger herumliegen und nun endlich die zündende Idee, wie dieses Stück schlussendlich klingen soll. Witzigerweise ist dies ein Lied über den Zustand, wenn die Nacht mal wieder keine Ruhe gibt. Vielleicht weil die Musikerin mit einer Liedidee einfach nicht fertig wurde. Das grüßende Hello geht an sich selbst zurück, eine kleine Versicherung, dass man immer noch da und noch nicht komplett durchgedreht ist, da der blöde Kopf einfach keine Ruhe gibt. In vielerlei Hinsicht ist dies ein wundervolles Stück Musik. Zudem eines auf dem die Entwicklung von Hania Rani sehr gut zu hören ist. Auf ihrem ersten Album hat sie ausschließlich Klavier gespielt, wurde als Neo-Klassik-Hoffnung tituliert. Hier bewegt sie sich immer stärker Richtung sphärischem Pop oder Ambient. Toll, solch einem Schritt lauschend beizuwohnen.



Freitag, 12. Mai 2023

KW 19, 2023: Die luserlounge selektiert

Quelle: sportzforless.com
(Sb/ms) Vielleicht hätten wir es früher wissen können. Aber: Wer tut das schon?! Also: Vor zwei Wochen gab es im Oldenburger Staatstheater eine scheinbar spannende Veranstaltung. Maja Göpel, die umsichtige Zukunftsforscherin, hat mit allerhand anderen guten Köpfen die Doku-Reihe „Wir können auch anders“ für die ARD produziert und mit Hilfe des Nachhaltigkeitsvereins Save The World ist die Crew auf eine kleine Tour gegangen, um von ihren Erlebnissen zu berichten. Um das alles ein wenig abwechslungsreicher zu gestalten, hat das Team sich musikalische Unterstützung ins Boot geholt. In Oldenburg niemand anders als Thees Uhlmann. Wow! Klar, das ist um die Ecke. Also hin da. Aber seltsam war das trotzdem alles, denn im Vorhinein gab es keine wirklichen Infos, wie der Abend ablaufen soll. In meinem Kopf sah es so aus: Es gibt einen Gesprächskreis von Menschen, die berichten, wie wir die Zukunft so wuppen können, ohne unsere liebe Erde komplett vor die Wand zu fahren, dann gibt es ein wenig Musik, dann vielleicht noch ein paar Gespräche über nach wie vor große Probleme und dann geht man mit noch einem Push Musik fröhlich in den Abend. So, oder so ähnlich halt. Wie es lief: Im Foyer des Theaters hatten ein paar gute Vereine und Initiativen aus der Region Stände aufgebaut, an denen man sich informieren konnte, wie man vor Ort die Erde besser behandeln kann. Da konnte man stöbern. Dann ging es los und es wurde angekündigt, dass der Abend drei Stunden gehen würde. Oha! Viel! Dann hat Thees Uhlmann drei wunderbare Lieder gespielt und mir standen mal wieder die Tränen in den Augen, weil dieser Typ einfach der Knaller ist. Super Lieder und super Geschichten. Ein echt aufrichtiger Mensch! Und - ungelogen - danach wurde eine Folge der Doku im Theater gezeigt. Fernsehen also. Eine Dreiviertel Stunde. Für etwas, dass es in der ARD Mediathek gibt. What?! Das war wohl ein schlechter Scherz. Und danach konnte man sich nochmal bei den Ständen informieren. Wozu denn das bitte?! Vorher wurden auch alle Vereine in gähnender Länge vorgestellt. Also, echt. Hier wurde man einfach nur für dumm verkauft. Und das lag nicht am Grundgedanken der Menschen, die sich hier zeigten. Sondern an miserabler Organisation. Es hatte den reinen Anschein, als ob die Menschen hinter diesem Abend selbst nicht wussten, was sie den Leuten, die immerhin 25€ Eintritt gezahlt haben, berichten wollten. Vielleicht hätten wir es früher wissen können. Ob Uhlmann wusste, worauf er sich einließ…?!

Schwarz
(Ms) Vor zwei Jahren erschien die überaus bemerkenswerte Serie Wie Ein Fremder. Sie ist eine beeindruckende Langzeitdokumentation über das Musizieren, Wirken und Leben von Roland Meyer de Voltaire, der früh als Wunderknabe tituliert war, aber nie so wirklich durchbrach. Seine frühere Band Voltaire sah ich ein paar Mal live, dann verschwand er ein wenig von der Bildfläche und kam langsam, nach mehreren auch privaten Tiefs, zurück. Erst als Ideengeber und Mitmusiker vieler anderer und dann mit seinem eigenen neuen Projekt: Schwarz. Die mitunter scheppernde Gitarre, die er früher spielte, hat er gegen Synthies ausgetauscht, vom Indierock zur Elektronik. Nun gibt es wieder neue Töne von ihm und er bleibt seinen vorherigen Wegen treu: Kräftige Stimme und stimmungsvoller elektronischer Unterbau samt clever eingesetzter akustischer Elemente. Die Single Time To Sleep ist nicht nur ein Track, der Lust auf mehr macht, sondern auch der Titeltrack der Serie Two Sides Of The Abyss ist, die nun irgendwo laufen wird. In allererster Linie wünsche ich Roland von Herzen den Erfolg, den er seit langer Zeit verdient. Ich muss auch gestehen: Ja, das ist schon sehr schön und dynamisch, aber packen tut es mich persönlich nicht. Aber vielleicht kommt dieses Jahr ja noch mehr…


Klebe
(Ms) Deutschsprachige Popmusik hat ja irgendwie ein kleines Problem, oder?! Entweder sie bleibt klein und brillant. Oder sie wird groß und brillant. Oder ist mittelgroß und mitreißend. Oder sie ist sanft und wie eine Streicheleinheit. Oder sie versinkt irgendwo im Radio, auf YouTube oder einer Playliste. Bei Klebe habe ich fast die Befürchtung, dass das passieren wird, die Versenkung. Wieso genau, kann ich aber nur so schwer sagen. Vielleicht, weil die Musik ein wenig beliebig klingt. Aber halt auch nur fast. Denn darin ist eine eigene Handschrift schon klar erkennbar. Und auch ein wirklich gutes Gefühl, dass ihre neue Single Hell Hier verströmt. Denn das, was mir dabei so gut gefällt, ist der Wink auf die schönen Seiten im Leben. Ja, das erwachsene Dasein bringt so unendlich viel lästigen Kram mit sich, vom Badputzen über Steuererklärung hin zum verzweifelten Versuch alle Freundschaften aufrecht zu halten. Es ist so leicht, dann im Dunkel zu versinken. Aber das ist gar nicht nötig. Klebe sagt uns, dass es schon immer so viele helle, schöne, tolle Momente gibt. Wir müssen sie nur anschauen und wertschätzen! Also: Los! Dann hat auch deutschsprachige Popmusik kein Problem mehr, wenn sie so lieb ist wie dieses Lied!


Daniel Blumberg
(Ms) Wie überwindet man eigentlich eine Krise? Für die kleinen aus dem Alltag hat sicher jeder selbst sein Werkzeug, um an den richtigen Schrauben zu drehen. Das ist dann schnell repariert. Aber was ist mit den großen Sachen? Die, die wirklich richtig runter ziehen, wo man unten kleben bleibt? Die einem die Energie aussaugen? Trauerfälle, Schicksale, schlimme Krankheiten?! Wie kommt man dann wieder auf die Beine? Wissen tue ich es auch nicht, aber Ende diesen Monats wird eine Platte zu hören sein, die genau das beinhaltet. Daniel Blumberg hatte wirklich große gesundheitliche Schwierigkeiten. Der Darm war krank und hat den Menschen erschöpft. Das Album GUT, das am 26. Mai erscheinen wird, ist eine Reise durch den Körper. Krankheit, überwundene Krankheit kann ja auch einen sehr klaren, nüchternen Blick auf die Dinge ermöglichen. So ist dieses Werk. Sehr klar, sehr reduziert. Es sagt nur das aus, was wirklich ausgedrückt werden will. Es braucht nicht mehr als die halbe Stunde. Es braucht nicht mehr als eine klare, helle, feste Stimme, die mich sehr an SOHN erinnert. Dazu eine überraschende Percussion, verschiedene Bläser und Streicher und eine Bass-Mundharmonika, die vielen Momenten den satten Boden schenkt, auf dem diese wunderbaren Lieder erklingen! Es wird ein dunkles Album sein, das irgendwie ruhig macht, aber das auch viel Aufmerksamkeit braucht, um wirklich zu erstrahlen. Das es ist es so, so, so wert. Denn das ist groß Kunst hier!


Dino Paris & Der Chor Der Finsternis
(Ms) Kann Trash, Sozialkritik, Ironie und Lyrik guten Gewissens miteinander schwingen?! Klar, die Frage ist blöd, da solche Fragen im Nachgang immer bejaht werden. Klar, alles das ist möglich. Es braucht nur einen verrückten Kopf, der sich das ausdenkt und dann auch in die Tat umsetzt. Und das ist an dieser Stelle (mal wieder) Dino Paris & Der Chor Der Finsternis, der eine weitere Single im Gepäck hat. Vor einem Monat erst besang er die Ballade Vom Sterbenden Mann und nun geht es thematisch auf vergleichbarer Linie weiter mit Sodomie. Es geht auch wieder um Männerbünde, die vollkommen anachronistisch agieren, die aber immer wieder die Schlagzeilen beherrschen und viel mehr Macht haben, als wir uns wünschen würde. Die gute alte Kirche und ihre seltsamen Brauchtümer mit seltsamen Herrn in seltsamen Verkleidungen. Wenn es um dringende Probleme in der Kirche geht, dann sitzt ein Haufen alter Herren unter sich und klärt das, oft sogar mit eigenen Rechtssprechungen. Verrückt genug, dass das überhaupt geht. Ich wünsche denen allen, dass sie nach ihren Treffen gemütlich miteinander kuscheln, um auch etwas Wärme abzubekommen, aber lieber hetzen sie gegen gleichgeschlechtliche Liebe, ja, alles wird in bösen, großen, überlegenen Worten abgekanzelt. Aber Dino Paris ballert zurück mit einem trashigen Elektrohit:


Element Of Crime
(Ms) Letzte Woche habe ich noch das Musikvideo als leicht anachronistisch dargestellt. Was für ein fataler Fehler, wenn man das Gegenteil serviert bekommt. Verantwortlich dafür ist die Gruppe Element Of Crime, die zu ihrem Lied Das Leben Ohne Liebe einen tollen kleinen Film gedreht hat. Maßgeblich tragen Lina Beckmann und Charly Hübner dazu bei, die auf der Theaterbühne den Swing diesen Stückes in ihren Gesichtern tragen. Dass es auch ohne Liebe gehe, ist natürlich ein wahnsinniger Trugschluss. Und sie steckt halt in so vielen kleinen Momenten drin. Im Polizisten, der die Tür aufhält. Bei sonderbaren Marktangeboten oder guten Nachrichten aus der Familie. Trotzig sagt der ein oder andere - oft nach großer Enttäuschung oder Trennung oder nach großem Schmerz -, dass es jetzt ohne Liebe weitergeht. Ganz richtig resümieren Sven Regener und Co, die später auch die Bühne entern, dass so ein Leben dann wohl nicht viel taugen würde. So einfach, so bitter, so hart, so ein schönes Video!

Mittwoch, 10. Mai 2023

A.S. Fanning - Mushroom Cloud

(Ms) Es ist die Schönheit, die verführt. Das habe ich mir in einer kleinen Kladde vor Jahren mal aufgeschrieben und ich finde das gut. Auch, weil Schönheit so wahnsinnig viele Seiten haben kann. Logisch, es ist die faszinierende Schönheit von Menschen, die ablenkt und glücklich macht. Die Schönheit vom Gefühl, dass alles im Privaten läuft, ohne zu stolpern. Die Schönheit der reinen Natur. Ich habe erlebt, dass Landschaften so schön waren, dass ich lachen musste, weil ich es nicht begriffen habe, dass es das gibt. Klar, Musik, die die Seele sanft streichelt und beruhigt, ist schön. Auch jene, zu der ausgelassenes Tanzen möglich ist. Doch ich bin auch davon überzeugt, dass recht andächtige, ernste, melancholische, düstere Musik nur so von Schönheit strotzen kann. Und da sind wir beim neuen Album von A.S. Fanning. Wir haben letztens schon kurz drüber berichtet, doch es verdient noch mehr Aufmerksamkeit, weil dies eine schier unglaubliche Platte ist. Sie heißt Mushroom Cloud und erscheint am 26. Mai.

Zu allererst ist es die Stimme des Iren, der in Berlin seine aktuelle Heimat gefunden hat, die mich in den Bann reißt. Er reiht sich ein neben Konstantin Gropper und Sivert Høyem. Ein warmer, eindringlicher Bariton breitet sich aus. Die Musik ist das Silbertablett, das uns die Stimme serviert. Sie ist passgenau und die perfekte Begleitung. Die drängt sich nicht in den Vordergrund, unterstützt die Stimme derart gut, dass sie zur idealen Einheit verschmelzen. Denn Fanning singt nicht nur mit einer wunderschönen Stimme, sondern auch so unendlich eindringlich, dass die Dynamik der Instrumente diese packende Atmosphäre noch weiter verdichtet. Und das gerade mal auf acht Liedern, die insgesamt gut 40 Minuten erklingen.

Er selbst sagt über seine Platte, dass es keinen logischen Grund dafür gäbe, ein so düsteres Album wie dieses zu schreiben. Hm, das mag sein. Aber ich kann es nicht nachvollziehen. Denn während ich es höre, auch in seiner ganzen Düsternis und melancholischen Dichte, ich finde es einfach nur wunderschön. Es packt und berührt mich. Weil es genial ist. Die Melodien sind so meisterhaft in Szene gesetzt, dass ich in diesem Sound verschwinden möchte. Ich will, dass Fanning mich singend durch den Tag begleitet. Aus dieser Musik lässt sich doch wahnsinnig viel Kraft schöpfen, oder? Wenn er live spielt, möchte ich ganz nah dabei sein. Ich stelle mir einen kleinen Club vor, das Licht stark gedämmt, die Band unscheinbar auf der Bühne, der Klang astrein eingestellt, genug Platz, um schwingen zu können, vielleicht ein kleiner Rausch, keine Möglichkeit, dass ich abgelenkt werde. Dann schließe ich die Augen und lasse mich einsaugen, verliere mich in diesen dunklen, wundervollen Stücken. Nein, sie reißt mich nicht runter, sonder hat sonderbarerweise den gegenteiligen Effekt: Sie richtet mich auf, ich strahle, wenn ich diesen Klängen lausche und bin heilfroh, dieses Album gefunden zu haben, denn Vergleichbares habe ich seit Jahren nicht gehört. Das ist Kunst! Das ist Schönheit!

26.05. Berlin - Kantine am Berghain
28.05. Beverungen - Orange Blossom Special Festival
30.05. Köln - Die Wohngemeinschaft
31.05. München - Feierwerk (Sunny Red)
02.06. Hamburg - Headcrash
03.06. Rostock - Circus Fantasia
08.07. Leipzig - Ancient Echoes-Festival / Kirchenruine Wachau

Freitag, 5. Mai 2023

KW 18, 2023 - Die luserlounge selektiert

Quelle: partydeko.de
(Sb/ms) Im Dezember hat sie geschlossen, die wunderbare, kleine Buchhandlung um die Ecke. 27 Jahre wurde da mit umsichtigem fachlichem Rat verkauft. Die Leute waren immer unfassbar nett und ich schrieb schon drüber. Lange wurde renoviert und die Schaufenster wurden von diesem pappfarbenen Papier von innen behangen. Nun ist alles klar und ich bin direkt noch ein kleines bisschen trauriger geworden. Es könnte ja echt alles werden. Ein kleiner Feinkostladen wäre toll. Oder eine richtig kleine Kneipe. Aber nein… es ist ein beschissener Friseursalon geworden. Als ob man sich nicht alle hundertfünfzig Meter die Haare machen lassen könnte. Das ist so bitter. Da tut jeder Weg daran vorbei doppelt weh. Ach, da fällt mir gar nichts mehr zu ein, als betrübt zu sein.
Daher mal schnell aufgedreht hier!

Fatoni
(Ms) Musikhören und das zu verarbeiten ist ein völlig irrationaler Akt, oder? Warum ich was gut oder schlecht finde, kann ich manchmal gar nicht richtig in Worte fassen. Wenn ich an Andorra, das letzte Album von Fatoni denke, kann ich nicht genau ausdrücken, warum ich gar nichts (mehr?) damit anfangen kann. Null Ahnung. Daher hat mich anfangs die Nachricht, dass in zwei Wochen eine neue Platte kommt auch gar nicht so umgehauen. Obwohl er doch der Beste ist. Argh. Zwiespalt, Zwiespalt. Wunderbare Welt heißt die neue Scheibe und könnte gut werden. Wie ich darauf komme?! Ich darf schon reinhören und heute gibt es ein neues Video. Du Wartest ist vielleicht nicht nur der poppigste Track, den Fatoni je gemacht hat, sondern auch ein großartiges Feature mit dem völlig verrückten Tristan Brusch. Das ist eine saugte Kombination. Groovig und catchy. Und ja, es geht ganz simpel um genau den Inhalt, der vom Track verraten wird. Mein Gott… warten wir viel in unserem Leben. Es gibt ja kaum eine Situation, bei der es nicht denkbar ist. Da kommt immer die große Frage auf: Ist es verschenkte Zeit oder nicht. Das muss jeder selbst für sich beantworten. Aber bei diesem Song gibt es keine zwei Meinungen, als dass das großartig ist!


Team Scheisse
(Ms) Es begann im letzten Sommer. Da sah ich Team Scheisse das erste Mal live. Zugegebenermaßen kannte ich die Band vor ihrem Auftritt auf dem Appletree gar nicht. Was die dann aber dort auf der Bühne gemacht haben, war enorm. Oder heftig, wie sie selbst sagen. Heftigness ist das Stichwort. Was macht die Band?! Unfassbar simple Punkrocktexte mit unfassbar simplen Punkrockschrammelriffs kombinieren in genau richtiger Punkrockmusikspieldauer von zwei Minuten pro Track! Das Verrückte daran ist: Die Menge rastet komplett aus. Aus einem einfachen Grund: Die Band hat einen wirklich genialen Humor in ihre Texte integriert. Ja, das ist schon ganz schön komisch und unterhaltsam. Da kann es kaum zwei Meinungen geben. Letztens sah ich sie dann nochmal im Lagerhaus in Bremen. Heimspiel für die Band. Es war rappelvoll und sie haben alles zerlegt. Dann sind wir nach Hause und es ploppte eine Frage auf: Wie lange geht dieses Rezept noch auf?! Klar, sie haben jetzt ihre zweite Platte draußen und alle Tourtermine sind ausverkauft. Ist selbstredend auch ein irrer Aufstieg und er sei ihnen mehr als vergönnt, weil es halt so geil knallt. Doch das kann meines Erachtens gar nicht so lange halten, weil es so simpel ist. Der Zauber ist klein, aber er geht auf. Was ich sagen will: Klar, das ist richtig geil und völlig krank und ich wünsche der Band, dass der Hype möglichst lange hält. Doch ich glaube, dass das noch zwei Jahre hält und dann war es eine wunderbar schräge Randnotiz in der Musikwelt. Oder sind sie in zehn Jahren Headliner beim Hurricane?! Auch vorstellbar…


Hello Emerson
(Ms) Das Musikvideo als Kunstform ist irgendwie vollkommen anachronistisch geworden, oder? Irgendwie spielt es kaum noch eine Rolle, also der künstlerische Wert. Da Streaming so mächtig geworden ist, wird das kleine, feine Video eher zur Fußnote, die halt doch irgendwie dazu gehört. Und ja, man muss auch sagen, dass es viele platte Bewegtbilder gibt. Aber mindestens genauso viele sind da draußen, die einfach bezaubernd sind. Die nicht nur toll gemacht sind, aufwendig, cineastisch, kraftvoll und durchdacht. Sondern auch mal ein kleines Lächeln aufs Gesicht zaubern. Dazu gehört definitiv Forever Stamps von Hello Emerson. Und das aus einem unsagbar simplen Grund: Es ist eigentlich ein sogenanntes „Lyric Video“. Doch es geht im Text halt um genau das Medium, auf dem der Text steht: die Rückseite einer Briefmarkenrolle. Ha, das gefällt mir richtig gut. Das gefällt mir sogar so gut, dass mir das Lied fast ein bisschen egal ist, da diese Videoidee so genial ist! Daher gibt es nur noch eines zu sagen: Film ab!


A.S. Fanning
(Ms) Das ist ja Madrugada, dachte ich sofort! Das ist so düster und auch die Streicher-Parts waren ein klarer Hinweis darauf. Selbstredend auch die Stimme, die so schnell Gänsehaut erzeugt! Aber nein… da singt doch gar nicht Sivert Høyem. Aber wer ist das denn?! Ja, das ist A.S. Fanning, der hier am Mikrophon steht und dessen Gesang durch Mark und Bein dringt. Hui, sowas habe ich aber lange nicht mehr zu Ohren bekommen. Das ist faszinierend schön, aber auch bedrückend düster. Das sind halt richtig große Töne, die der Ire auf Mushroom Cloud (Titel der Single und des Albums zugleich) ertönen lässt. Ja, dieses Album, das Ende des Monats erscheinen wird, ist derart melancholisch und dunkel, dass es vor lauter Ernsthaftigkeit fast schon wieder strahlt. Das sind doch fantastische Melodien, die hier zu hören sind, oder? Mich packt es sofort und ich gebe mich diesem Sound ergeben hin. Wow, sehr ausgeklügelt, sehr dunkel, sehr umwerfend!


Monta
(Ms) Es gibt Neuigkeiten und es gibt NEUIGKEITEN! Ja, hier unterscheiden wir doch recht deutlich zwischen toller Musik, die neu und berichtenswert ist und Künstlern, die einen wirklich hohen Stellenwert genießen! Einer dieser wenigen Menschen ist Tobias Kuhn. In den letzten Jahren wurde er wohl eher bekannt als Produzent von Thees Uhlmann oder den Toten Hosen. Auch mit den Kooks hat er jüngst zusammengearbeitet. Doch was uns seit vielen Jahren an ihm begeistert, ist sein Solo-Projekt Monta. Darin ist er der unangefochtene König des kleinen, zu tiefst melancholischen Popsongs. 2004 erschien das sagenumwobene Album Where Circles Begin, 2007 folgte The Brilliant Masses. Und danach wurde es wahnsinnig still um Monta. Also bedenklich still. Hoffnungen wurden immer wieder mal entzündet, indem die Internetseite erneuert wurde oder es vereinzelt neue Bilder online gab. Aber das war es schlussendlich auch. Doch in den letzten Jahren gab es vereinzelt neue Lieder, um die aber wenig Gewese gemacht wurde. Nun hat das alles ein Ende. Und ich habe es echt nicht kommen sehen. Dragonfly heißt das neue Stück und JA, es soll dieses Jahr auch noch ein neues Album folgen. Also jetzt wirklich. Das ist enorm, ich freue mich sehr. Auch wenn mich der neue Song gar nicht mal so packt, dafür ist er mir fast zu fröhlich. Aber soll nun egal sein, denn Monta ist wieder da und das Projekt lebt. Wow! Es gibt noch Zeichen und Wunder!

Mittwoch, 3. Mai 2023

Live in Kluftern: Matze Rossi

(sb) Endlich, endlich, endlich! Seit so vielen Jahren begleitet mich die wunderbare Musik von Matze Rossi nun schon und vergangene Woche hatte ich erstmals die Möglichkeit, den Franken live zu erleben. Und nein, es war nicht in Stuttgart, München, Ravensburg oder Bregenz, sondern in Kluftern, einer 3.600-Seelen-Gemeinde am Bodensee, keine Viertelstunde von meinem Wohnort entfernt.
 
Zu verdanken haben wir den wunderbaren A
bend im Bürgerhaus dem Veranstalter Martin Hattenberger, der seit knapp vier Jahren am Bodensee lebt und es sich zum Ziel gemacht hat, kleine (aber auch große) Kunst zum kleinen Preis in seine neue Heimat zu holen.
 
Das erste Event der geplanten Konzertreihe hatte es dann direkt auch in sich: Den Auftakt machte Bird’s Eye View aus Eriskirch, es folgte Stumfol aus Balingen, der sowohl stimmlich als auch von der Intensität seiner Darbietung zu gefallen wusste. Ganz tolle Musik!
 
Nach einer halbstündigen Pause war es dann endlich soweit. Matze Rossi betrat die Bühne des Bürgerhauses und eroberte die Herzen des Publikums im Sturm. Dieses war bunt gemischt, auch zahlreiche ältere Semester wollten sich das Kulturangebot in ihrer Heimatgemeinde nicht entgehen lassen. Vermutlich kannten von den rund 150 Zuschauern bzw. -hörern keine 20 den Schweinfurter Künstler vor seinem Antritt. Nimmt man den Andrang am Merch-Stand als Anhaltspunkt, hat er vergangene Woche zahlreiche neue Fans am Bodensee dazugewonnen.
 
Begleitet von seiner Gitarre präsentierte Matze Rossi einen Querschnitt durch seine Karriere, wobei der Fokus natürlich auf seinen beiden letzten Studioalben lag. Mit seinen Songtexten, aber auch durch seine sympathische Kommunikation zwischen den Liedern stellte er in Windeseile einen Draht zum Publikum her. Ob laut oder leise, gefühlvoll oder wütend – der Künstler zog sein Publikum in den Bann und die Zeit verflog viel zu schnell. Besonderen Anklang fand der Track „Wenn ich mal sterben muss“, denn Matze Rossi inzwischen schon auf zahlreichen Beerdigungen live spielte und damit den letzten Wunsch des Verstorbenen erfüllte.
 

 
Bemerkenswert war jedoch auch, wie begeistert das Publikum (wie gesagt: da waren reihenweise Menschen im Rentenalter anwesend) bei den Mitsing-Passagen mitmachte und Teil des Ganzen wurde. Beim letzten Track „Best Friends“, Matze Rossis Hymne an seinen verstorbenen Freund Wauz, bat er die Zuschauer aufzustehen, was dem Lied zum Einen eine besondere Bedeutung gab, dem Künstler dann aber auch gleich Standing Ovations zum Konzertende bescherte. Die hatte er sich aber auch redlich verdient.
 
Lieber Matze Rossi, herzlichen Dank für diesen wunderschönen Abend und komm bald wieder!