Sonntag, 28. August 2022

KW 34, 2022: Die luserlounge selektiert

Quelle: foxracingshox.de
(Sb/ms) Letztens durch die Lüneburger Heide gewandert. Dafür muss man ja auch mal eine Lanze brechen. Es ist einfach super schön dort. Was für ein enorm großes Gebiet. Das geht mit Kids, mit dem Rad, für Normalos, für alle eigentlich. Schade, dass da so viele Seniorengruppen unterwegs sind. Auf Pferdekutschen sogar (bah!). Also nichts gegen die Senioren… vielleicht haben die einfach nur erkannt, wie toll es da ist. Also, Aufruf an „uns“ Junge: Hin da! Ich schweife aber schon wieder ab. Wir tingelten da also so entlang, durch die eher braune, verdorrte Heide statt durch die lila Pracht, über Felder und Wiesen mit ungeheurer Weite und durch den Wald. Und da ist es dann passiert. Nur ganz kurz war ein überraschtes Lachen, weil man den Anblick leider nicht gewohnt ist. Ein nackter Mann ging dort spazieren. Wir grüßten uns. Herrlich. Nacktheit in der Öffentlichkeit ist ungewohnt. Dabei ist sie so natürlich wie wenig andere Dinge. Nacktheit im Privaten ist für viele sicher auch ungewohnt. Schade. Wir sehen halt aus, wie wir aussehen. Punkt. Nach dem kurzen Überraschungsmoment dachten wir dann aber: „Stark, finde ich gut, der ist ja völlig mit sich im Reinen“. Sollten wir vielleicht auch mal sein.

Sarah Davachi
(ms) Dies ist eine anmaßende Aufforderung. Eine Aufforderung, von der auf jeden Fall profitiert werden kann. Dafür müssen aber strikt alle Regeln befolgt werden! Schritt 1: Sehr viel Zeit nehmen. Das sollten mehrere Stunden sein, um - Schritt 2 - erstmal einen geeigneten Ort zu finden. Dieser Ort sollte sehr Reizdarm, still und vielleicht auch etwas abgedunkelt zu sein. Vielleicht auch ein Draußenort. Schritt 3: Gute Kopfhörer oder eine gute Anlage im Gepäck haben. Schritt 4: Dies alles sorgfältig planen, um es in zwei Wochen auch durchziehen zu können. Denn dann erscheint das neue Album von Sarah Davachi. Two Sisters heißt es und geht wirklich eineinhalb Stunden lang. 90 Minuten Zeit also, um allem zu entfliehen. Nicht nur dem Stress, sondern auch allen sinnlichen Eindrücken - bis auf das Gehört, versteht sich. Sarah Davachi präsentiert uns ein Werk, das als Basis die Orgel mit sich bringt und sehr gut an das feine, toll austarierte Cantus Descant anschließt. Dieses Album ist eine irre meditative Reise. Und ein Beweis. Ein Beweis, wie wirkmächtig Musik im Stillen sein kann. Wenn nur die Orgelpfeifen, ein sanfter Chor und ein paar Streicher erklingen. Der Chor singt noch nicht mal erkennbare Texte, viel mehr sind es Harmonien. Eine tragende Wolke, auf der ich Platz nehme und nur noch bin. Was für eine beeindruckende Paltte!

Tom Waits
(ms) Der Kerl ist einfach ein Mysterium. Da muss man nicht lange drum herum lavieren. Die Frage „Gibt es Tom Waits eigentlich?“ wäre fast angemessen, so schemenhaft tritt er nur noch in der Öffentlichkeit auf. Tja. Beweisen muss er gar nichts mehr. Weder als Schauspieler noch als Musiker. Dafür sind die Spuren, die er hinterlassen hat, viel zu markant. Das Eine ist selbstredend diese herrlich abgefuckt-lässige Musik, die irgendwo aus dem Jazz stammt und einen Grad der Zurückgelehntheit aufweist, die schon frech ist. So lächelt sie uns wohlwissend ins Gesicht und sagt: „Tja, da wärst du wohl selbst gern drauf gekommen. Echt gehabt.“ Das Andere ist klar. Diese Stimme. Diese ungeheure Stimme. Ich bezweifle, dass es vorher etwas Vergleichbares gab und kommen wird sowas garantiert nicht mehr. So viel Whiskey ertragen ja keine Stimmbänder. Gleichzeitig schmiegt sich so viel Wohlvollen und Güte in seinen Gesangstönen, dass das Staunen perfekt ist. Nun gut. Worum es geht. Vor zwanzig Jahren veröffentlichte er die Alben Alice und Blood Money. Die gibt es ab dem 7. Oktober wieder als Vinyl. Mehr muss man dazu wahrlich nicht sagen.

Gretel Hänlyn
(ms) „Hey you‘re not being  loud  enough!“ Das ist eine Aufforderung, der wir uns gerne hingeben. Ja, allzu viel von Gretel Hänyln kenne ich gar nicht, aber es gab da eine tolle Begegnung. Letztes Wochenende war ich auf dem Dockville Festival. Nach dem Versuch einer Orientierung über die zig Bühnen schallte mir etwas entgegen und es hat mich extrem neugierig gemacht, also schnell hin da und diese Musikerin mit ihrer Band gesehen. Bei einem Lied ist sie zum Ende hin so sphärisch ausgebrochen, dass ich das auch ganz schnell erleben wollte. Musste! Leider spielte sie danach nur noch zwei Lieder, sodass mir ein gänzliches Urteil gar nicht möglich war. Doch dieser eine kleine Ausschnitt genügte mir, dass sich ein großes, breites, zufriedenes Lächeln über mein Gesicht zog. Das, was ich danach so im Netz gefunden habe, kickte mich gar nicht so sehr. Es scheint also auch einige Bands zu geben, die live wesentlich intensiver sind als auf Platte. Diese hier scheint eine zu sein!

Fortuna Ehrenfeld
(ms) Es ist vollkommen berechtigt, das hier als eine der wundersamsten und schönsten Geschichten in der hiesigen Musikwelt zu beschreiben. Fortuna Ehrenfeld ist nicht einfach nur ein Trio aus Köln, das schöne deutschsprachige Lieder singt. Nein, beileibe nicht. Was Martin, Jannis und Jenny an den Tasten, Trommeln, Saiten und den Mikros erschaffen, ist eine verrückte Wohltat. Die Texte sind zum Staunen, Wundern und tagelangem Kopfzermartern gemacht, die Beats so eingängig wie heilsam und die Melodien öffnen die Herzen und füllen sie mit dem Scha-la-la der Musikanten. Ein irres Output hat diese Band und vor allem Bechler selbst. Soloalbum, Kinderbuch, Erwachsenenbuch, tausend Sachen und natürlich immer wieder Wein, Puschelschuhe und Schlafanzug. Stark! Diese Gruppe hat wirklich schon an tollen Orten gespielt. Doch die Kölner Philharmonie ist ein ganz Spezieller. Ein tolles Konzerthaus in der Bandheimat mit reichlich Sitzplatzkapazitäten und einer hervorragenden Akustik! Letztes Jahr spielten sie dort und haben einfach noch Gisbert zu Knyphausen mitgebracht. Eher spontan als geplant wurde das alles in Bild und Ton aufgenommen. So einen Abend darf man nicht vergessen. Eine irre Wundertüte. Die es ab dem 7. Oktober auf Platte gibt: Das Letzte Kommando - Live in der Kölner Philharmonie. Kauf- und Ausrastpflicht!

Donnerstag, 25. August 2022

Oehl - Keine Blumen

Foto: Tim Cavadini
(ms) Okay, es mag abgedroschen klingen, ist dadurch aber nicht weniger wahr: Musik kann eine ungeheure Kraft entwickeln. Sie kann bestärken, verzaubern, abheben lassen, das Herz umhüllen, den Kopf leeren, den Körper in Bewegung setzen. Und muss dafür nichts weiter tun, als zu erklingen. Faszinierend dabei ist, dass es nicht erklärt werden muss. Ein gewisser geheimnisvoller Aspekt wohnt in den Tönen, Texten und Harmonien, der für sich steht, unsichtbar wirkt und ungeahnt kraftvoll sein kann. Das hängt natürlich vom Genre und der Intensität ab, welche Auswirkungen sie haben. Was mir beim mehrmaligen Hören von Keine Blumen, dem neuen Album von Oehl, irgendwann bewusst wurde: Es tröstet. Dabei bin ich noch nicht mal traurig. Wie wunderschön ist das denn?! Dieses Album, das diesen Freitag (26. August) erscheint, nimmt mich von hinten ganz sanft und behutsam in den Arm, stützt meinen geneigten Kopf, streift mir zart über den Nacken, die Arme. Es beruhigt mich, berührt mich. Dazu könnte ich weinen und lächeln gleichzeitig, weil es schlicht und einfach ungeheuer gut tut. Wenn man möchte, könnte man der zweiten Platte von Oehl therapeutische Wirkung assistieren. Und dafür möchte ich Ariel und seiner Band von tiefstem Herzen danken. 
Das schöne ist, ich wusste, dass dieses Werk so sanft wird. Es hätte gar nicht anders sein können. Seitdem es dieses Projekt gibt, bin ich unglaublich begeistert davon. Selten zuvor habe ich solch poetische Texte wahrgenommen. Das ist eine ganz andere Haltung, eine andere Sphäre als Jochen Distelmeyer, Martin Bechler, Alin Coen. Ich behaupte fug und fest, dass Ariel Oehl eine ganz eigene Art des Textens für sich beanspruchen kann. Diese Lyrik untermalt er mit einer basslastig-kunstvollen Musik, in der der Beat wichtig ist und immer wieder einzelne Töne und Instrumente in den Vordergrund der Melodie dringen. Ja, dieses Zusammenspiel tröstet mich, ohne dass ich traurig bin. Nimmt mich in den Arm, ohne etwas zu sagen. Die Musik von Oehl gibt Geborgenheit und atmet tief durch.

14 Tracks gibt es auf Keine Blumen. Drei davon sind kürzere Snippets und die übrigen elf strotzen nur so von Schönheit im Klang und Text. Also aufgelauscht! Ein gewisser Teil der Lieder befasst sich mit dem Thema Abschied nehmen oder Trennung. Der Auszug von zu Hause (Wie Motten Das Licht) war auch schon früher Gegenstand seiner Lieder. Zum Einen ist es der Blick auf die eigene Kindheit. Zum Anderen werden die eigenen Kinder auch eines Tages ausziehen. Wie wird sich das wohl anfühlen? Freiheit (wenn ja, für alle Beteiligten?) oder ein anderer Grad der Sorge? Perspektiven tun sich auf. Ähnlich wie in Ruh. Ein kraftvoller und trauriger Track über einen anderen Aspekt der Trennung. Was tun, wenn wir unsere Eltern beerdigen werden? Werden müssen? Herrlich, dass das Thema „Tod“ immer wieder aus Österreich so schön und feinfühlig aufgegriffen wird. In diesem Lied macht sich die lyrische Qualität seiner Zeilen so sehr bemerkbar. So richtig kann ich das gar nicht beschreiben. Die Gabe in Ariels Feder liegt darin, dieses Lied nicht so zerschmetternd, sondern durchaus hoffnungsvoll zu gestalten. Dass der Tod einer lieben, näherstehenden Person irgendwann allen Ruhe geben kann. Vom Leben und von der Trauer. Weitergehen ist noch ein Trennungslied. Vielleicht ist es Hjörtur gewidmet (die ersten Sekunden im Video könnten ein Anhaltspunkt sein), seinem Bandpartner, der das Projekt verlassen hat und vorher für die Musik verantwortlich war. Ja, jetzt fehlt ihr ein bisschen die feine Struktur, doch ein Schwenk ins Basslastige hat das hervorragend aufgefangen. Was für ein schönes Lied! Es zeigt so deutlich, dass Trennung immer körperliche Schmerzen mit sich bringt. Und das auf so unglaublich sanfte und dennoch präzise Weise. Genial! Der Titeltrack des Albums ist der nächste Trennungssong. Und wieder geht es um den Tod. Inspiriert durch einen Todesfall in der Familie, wo die Person im Totenbett meinte, dass bitte niemand Blumen mitbringen solle, das bringe nichts mehr. So schön, so wahr, so traurig. Ein Lied, das unterschwellig durch einen tollen Gitarrenlauf getragen wird und immer kraftvoller wird, ehe es zum Ende hin beinahe explodiert. Und in den ganzen Abschiedszeilen und -takten herrscht so viel Trost vor. Es ist beinahe eine körperliche Erfahrung.  
Doch auch all die anderen Lieder wissen zu überzeugen. Ja, alle. Zwei möchte ich hier noch würdigen. Satt Werden ist das eine. Hier stellt sich die Frage, wie wörtlich Ariels Texte zu nehmen sind. Das schwankt gewaltig, meines Erachtens. Dies ist eher ein metaphorisches Stück. Denn das Album hat noch eine andere, gesellschaftspolitische Seite. Eine, die erlaubt, zu träumen. Eine, die auch zugesteht, dass diese Träume helfen können, die Krisen der Nachrichten, des Lebens, des Alltags zu meistern. Es sind ja beileibe genügend da. „Jedem Anfang ein Ende, so halten wir unsere Hände“, so wird in dem Stück am Ende chorisch gesungen. Zusammenhalten. Solidarität. Gemeinsam können wir uns halten, anstatt alleine zu verzweifeln, vor die Hunde zu gehen. Ja, die Frage stellt sich, wie wir den düsteren Aussichten Herr werden können. Die meisten Probleme sind seit Jahren, Jahrzehnten bekannt, doch - so meine Sicht - schlägt Profit der wenigen Mächtigen oft eine adäquate Lösung für alle. Also mal eben fliehen. Eine kleine Traumwelt bauen und aus dieser Kraft für die Realität schöpfen. Kein wirklicher Eskapismus. Und wenn, dann einer auf Zeit. Kein Schneckenhaus. Ein Schönland. Ein durchaus tanzbares Stück. Es half, dass Ariel es auf dem Appletree erklärt hat, denn vorher dachte ich, dass es eher nostalgisch sei. Nein. Keineswegs. Vielmehr eine hoffnungschnenkende Welt, die nicht kapituliert im Angesicht der vielen, fast unlösbaren Herausforderungen. Im Schönland ist das kein Problem! Nehmen wir alle ein bisschen Schönland mit. Es tröstet.

Auch die anderen Lieder, die hier jetzt keinen Platz hatten, sind unglaublich fein. Nicht nur deshalb sollten sich alle Menschen dieses Album kaufen. Sondern auch wegen der großen lyrischen Strahlkraft. Wegen der vielseitigen Instrumentierung. Wegen eines Gefühls, das transportiert wird. Zum Glück gibt es das auch bald auf Tour!

27.08.2022 - Hard, Schafferei Festival
29.09.2022 - Wien, WUK
30.09.2022 - Salzburg, ARGE
06.10.2022 - Basel, Gannet
07.10.2022 - Zürich, Bogen F
08.10.2022 - Dornbirn, Spielboden
13.10.2022 - St. Pölten, Cinema Paradise
14.10.2022 - Innsbruck, Treibhaus
03.11.2022 - Graz, Dom im Berg
04.11.2022 - Linz, Posthof
27.11.2022 - München, Ampere
28.11.2022 - Leipzig, Naumanns
29.11.2022 - Berlin, Frannz Club
30.11.2022 - Hamburg, Bahnhof Pauli
01.12.2022 - Köln, Yuca

Sonntag, 21. August 2022

KW 33, 2022: Die luserlounge selektiert

Quelle: flat33.com

(Sb/ms) Und jeden Sommer ist es wieder soweit. Die solventen Kids und jungen Akademiker und junggebliebenen Kulturfreaks geben sich im Sommer die Klinke bei den Festivals in die Hand. Die sind alle schön unter sich und ballern ihr Geld raus, als ob es kein Morgen gäbe. Klar, ich übertreibe hier und bin ja auch Teil des Ganzen. Doch mir fällt insbesondere dieses Jahr auf, wie ausgrenzend die Szene ist. Und das aus einem ziemlich einfachen Grund: Der ganze Spaß ist irre teuer! Damit will ich nicht sagen, dass ich Festivals günstig haben möchte, denn all die Menschen, die dahinter stehen von den Organisatoren, den Bühnenarbeitern oder Leuten, die sich um die Toiletten kümmern, müssen anständig bezahlt werden. Die Musiker und Bands natürlich auch. Doch mir fällt auf, dass die Fixkosten als Besucher immer höher werden und das kann sich halt nicht jeder leisten. Ein Ticket fürs Appletree hat 125€ gekostet. Das hat nicht jeder für ein lustiges Wochenende übrig. Auf der gleichen Veranstaltung gab es kein Essen auf dem Gelände unter 7€! Ein 0,4l-Bier auf dem Dockville hat 5€ gekostet. Und dafür hat man leider auch nur Jever bekommen. So läppert sich das und so ein Wochenende kostet gut und gerne mal ein paar hundert Euros. Die, die da sind, können es sich leisten, das aus dem Fenster zu ballern. Aus dem Bauch heraus würde ich behaupten, dass die meisten Leute dort sehr offen und für den Zusammenhalt der Gesellschaft plädieren. Repräsentiert bei Besucherzahlen bis zu mehreren zehntausend Leuten ist diese Gesellschaft jedoch dort nicht. Die solventen, weißen Hedonisten sind unter sich. Damit sich das ändern könnte, verlange ich keine Senkung der Eintrittspreise, vielleicht aber beim Bier und den Essensständen. Und am allerwichtigten: die Möglichkeit, mit einem Solidaritsbeitrag denen die Chance des Beiseins zu eröffnen, die sonst nicht hingehen könnten, einfach, weil es zu teuer ist.

Kommen wir zu spätesten Selektion der Geschichte. Schön am Sonntag mal was weglesen und -hören!

Voodoo Jürgens 
(ms) Ach, Österreich, ich weiß genau, warum ich so gern bei dir Urlaub mache. Natürlich wegen der wahnsinnigen Landschaft, dem klasse Essen und auch wegen einer gewissen Art der Gemütlichkeit und des Humors. Das finde ich alles so in dieser Form in Norddeutschland nicht. Dazu gehört die Musik und neben den großen Namen (u.a. s.u.) allen voran Voodoo Jürgens. Dieses aus der Zeit gefallenes Unikat, das so derbe Dialekt spricht, das ich kaum direkt etwas verstehe. Bei mir dauert das alles immer ein wenig, bis ich das auch nur ansatzweise verinnerlicht habe. Richtig geil: Am 2. Dezember kommt mit Wie Die Nacht Noch Jung Wor ein neues Album raus. Ich freu mir einen Ast ab! Supersupersuper! Dieser Ösi-Polka mit den verschmitzten Texten... es sagt mir einfach unglaublich zu! Es Geht Ma Ned Ei ist das erste Stück, das nun zu hören ist und das Dilemma bleibt: gute Frage, worum es genau geht, aber ich bin voll dabei! Okay, okay... Es ist im weitesten Sinne eine Liebesgeschichte, die für einen oder mehrere nicht gut ausgeht. Ein herrliches Video gibt's auch dazu und selbstredend in diesem und im kommenden Jahr auch eine Tour und ich freue mich schon sehr auf einen brutalen Abriss in Bremen!

02.12.2022 Feldkirchen, Kulturforum Amthof 
03.12.2022 Großwaradsdorf, KUGA 
04.12.2022 Salzburg, Rockhouse 
07.12.2022 Wien, Konzerthaus 
09.12.2022 Dornbirn, Spielboden 
10.12.2022 Innsbruck, Treibhaus 
11.12.2022 Innsbruck, Treibhaus 
14.12.2022 Graz, Orpheum 
15.12.2022 Linz, Posthof 
16.12.2022 Ebensee, Kino 
12.01.2023 Wr Neustadt Kasematten 
13.01.2023 St. Pölten, Festspielhaus 
08.02.2023 Erlangen, E-Werk 
09.02.2023 Berlin, Festsaal Kreuzberg 
10.02.2023 Leipzig, Conne Island 
11.02.2023 Hamburg, Knust 
12.02.2023 Rostock, Peter-Weiss-Haus 
14.02.2023 Lüneburg, Salon Hansen 
15.02.2023 Bremen, Lagerhaus 
16.02.2023 Dortmund, FZW 
17.02.2023 Düsseldorf, Zakk 
18.02.2023 Kassel, Schlachthof
20.02.2023 Hannover, LUX 
21.02.2023 Wiesbaden, Schlachthof 
22.02.2023 Köln, Gebäude 9 
23.02.2023 Freiburg, E-Werk 
24.02.2023 Reutlingen, Franz.K 
25.02.2023 München, Backstage Werk 
04.05.2023 Augsburg, Kantine 
05.05.2023 Mannheim, Capitol 
27.07.2023 Landsberg, Stadttheater 
30.07.2023 Lindau, Zeughaus

Deichkind
(ms) Diese Band ist aus vielerlei Gründen ein absolutes Phänomen. Natürlich durch den Wandel vom ziemlich gradlinigen Rap zum Partytechno hin zum Elektrorap mit sozialkritischen Phasen. Und immer, wenn man denkt: Ach, Deichkind... das ist doch auch irgendwie vorbei. Dann hauen sie wieder ungeahnt was raus, das wie eine Rakete zündet. Bestes Beispiel nun ist die erste Single zum neuen Album Neues Vom Dauerzustand. Zudem ist mir jetzt erst aufgefallen, dass der starke Roger Rekless die Lücke von Ferris bei der Band geschlossen hat. Ein absoluter Gewinn! In Der Natur heißt das neue Deichkind-Ding also und weiß halt direkt am Anfang durch Jodel-Gejodel zu überraschen. Super gut! Und das Video ist ein sehenswerter Beweis, dass Deichkind seit vielen Jahren wesentlich mehr ist als nur die Musik. Ohne die ganze riesige Bühnenshow und insbesondere die vielen tollen Videos, würde es nicht ganz so krass kicken. Dieses Video ist eine Augenweide, die gekonnt mit ganz feiner Ironie auch mal dahin drückt, wo es weh tut. Am 17. Febraur soll die neue Platte erscheinen, genug Zeit also, um vorfreudig in den endenden Winter zu blicken!

Jenny Thiele
(ms) Das ist doch mit das Schönste an der Musik überhaupt: Geht man auf die aktuelle Tour einer bekannten und gemochten Band, weiß man in etwa, was einen erwartet. Doch vorher gibt es oft einen unbekannten Überraschungsmoment und der liegt in der Vorband. Das kann mal ganz langweilig oder schlimm sein, oder es ist die Zeit, um das nächste schöne Ding zu entdecken! Und somit beginnt eventuell die tolle Spirale Band sehen - Vorband gut finden - die Vorband auf deren Tour das nächste Mal sehen - dort wiederum eine andere Vorband sehen - die gut finden - diese wiederum auf deren Tour live sehen... Das geht auch, wenn Musikerinnen und Musiker einer Band noch ein eigenes Projekt haben. Jenny Thiele beispielsweise ist seit einigen Jahren kongeniale Partnerin von Martin Bechler bei den wunderbaren Fortuna Ehrenfeld. Nun wird sie dieses Jahr noch mit der Band touren, ehe sie sich komplett der eigenen Musik widmet. Sehr schade für Fortuni, wunderbar natürlich für Jenny! Am 14. Oktober erscheint ihr Solo-Album Killing Time und daraus ist schon der Track Juicy Beating Muscle zu hören! Direkt in den ersten Takten wird nochmal klar, dass sie eine wunderschöne Stimme hat, die sie mit zarter Begleitung erklingen lässt. Ist sie bei Fortuni auch für Blödelei und Bass zuständig, zeigt sie solo, was für eine feine Musikerin sie ist, die ein ungeheures Gespür für Melodien und der Schönheit im Kleinen hat. Sicherlich geht sie anschließend auch auf Tour. Ich freue mich sehr auf die Livedarbietung und was dann neues an Entdeckungen hinzu kommt!

Mädness
(ms) Diesen Sommer sah ich live Ausschnitte von Rap, der von jungen Typen gemacht wird. Kann man sich ja mal geben, bisschen neugierig sein schadet nicht. Doch bei den Versuchen kam ich immer schnell zu dem gleichen Urteil: Bloß weg hier! Billige Texte, okaye Beats und viel zu viel Autotune, damit jeder noch so schlechte Sänger singen kann. Gibt es da wirklich ein dezentes Generationengefälle in puncto lyrischer Raffinesse im Rap? Bei dem kleinen Rap-Ausschnitt, den ich kenne, muss ich sagen: Ja. Und eines der besten Beispiele für mich ist seit einige Zeit Mädness, den ich erst letztes Jahr so richtig für mich entdeckt habe. Es mag jetzt echt pathetisch klingen, aber mir gefällt außerordentlich, wie sehr er seine Lebenserfahrung in seine Texte integriert. Wie er über Hochs und Tiefs spricht, gar nichts muss, das gute Leben preist und sich auf seine Stärken bezieht und sich auch von niemandem etwas sagen lässt. Lass Gehen Lass Los mit dem sagenumwogeben Fatoni zusammen hat er diese Woche einen neuen Track rausgebracht, der sehr gut an Mäd Love anknüpft. Ein super entspannter Beat wummert und darauf aus zwei Perspektiven die guten und schlechten Seiten des Erwachsenenlebens zwischen Party, Bürokratie und Entschleunigung. Das gefällt mir wirklich sehr, sehr gut. Mädness bringt Ende September eine neue Platte raus, Maggo Lebt. 7 Stücke werden darauf enthalten sein, selbstredend inklusive des Fatoni-Features. Ich bin super gespannt und voller lässiger Vorfreude!

Sportfreunde Stiller
(ms) Oh, weh! Oh, weh! Oh, weh! Vor einigen Wochen habe ich mich hier schon von den Spor
tfreunden Stiller verabschiedet. Weil sie mir schlicht und einfach musikalisch und textlich nichts mehr geben. Doch so ganz los gelassen hat mich das dann auch nicht und irgendwie tat es mir auch ein wenig leid. Doch jetzt ist der definitive Zeitpunkt des Loslassens gekommen. Vor einigen Tagen erschien ein neues Lied Namens Spektakulär. Ich habe es mir nun ein Mal angehört und war dann wiederum froh, als es vorbei war. Dieses Lied könnte genauso gut auf dem Burli-Album von 2004 erschienen sein und ist damit der beste Beweis, dass diese Band eine große, sehr erfolgreiche Phase hatte, aber jetzt kaum noch von Relevanz ist. Musikalisch und textlich ist da kaum Substanz und das alles klingt enorm aufgewärmt. Morgen soll ein weiterer neuer Track erscheinen mit dem Namen Ich Scheiß Auf Schlechte Zeiten. Dem habe ich nichts entgegenzusetzen, daher höre ich mir das Lied gar nicht erst an. Lieber Peter, lieber Flo, lieber Rüde. Vielen Dank für viele schöne Musikjahre und dass ihr mir persönlich das Einfallstor der Musik ward, die ich heute immer noch leidenschaftlich höre, Indierock. Nur ihr werdet da leider nicht mehr laufen. Alles Gute!

Wanda
(ms) Am letzten Tag des kommenden Monats ist es endlich soweit: Wanda veröffentlichen mit ihrem selbstbetiteltem Album ein neues Werk. Ich bin außerordentlich gespannt, da ich die Band so intensiv gar nicht mehr verfolge. Bei Ciao bin ich irgendwie ausgestiegen. Also gebe ich mir nochmal einen Ruck und das geht natürlich am allerbesten mit einer neuen Single. Die ist seit dieser Woche draußen und heißt Wir Sind Verloren. Herrlich, da gefällt mir schon direkt der Titel, das schwermütige Herz öffnet sich! Hach, und es ist genau der Geist, den diese Band schon seit so vielen Jahren verströmt. Das richtige Leben im Flaschen, aber mit Überzeugung und dem Wissen des Untergangs, zu leben. Ja, so sieht es nun mal aus. Dieses Lied ist ein weiterer Beweis, dass es nicht immer viele Worte braucht, um ein Gefühl, eine Lebenslage auszudrücken, es müssen halt nur die richtigen sein. Inhaltlich auf jeden Fall eine tolle Wanda-Nummer. Klanglich ist es kein großer Kracher, so ehrlich muss man auch sein, aber davon hat die Band ja ohnehin mehr als genug! Die Vorfreude auf die neue Platte bleibt also hoch! 

Mittwoch, 17. August 2022

Muff Potter - Bei Aller Liebe

Quelle: Facebook.com/muffpotterofficial
(Ms) 1. Nein, ich kann den großen bandhistorischen Rahmen nicht ziehen. Auch zu der musikhistorischen Bedeutung der Band kann ich aus eigener Erfahrung nichts berichten. Beides aus einem ganz profanen Grund: Als die Band so richtig drin war im Spiel, in den frühen 00er Jahren, da war ich schlichtweg zu jung. Meine Eltern haben ja schon 2004 erst stirnrunzelnd und dann bereitwillig den kleinen Jungen zu den Sportfreunden Stiller gefahren. Der Sprung zu Muff Potter war zu dieser Zeit in der Kleinstadt noch zu groß. So richtig kennengelernt habe ich die Band dann erst, als sie sich aufgelöst hat. Blöd gelaufen also. Aber auch später habe ich die Band aus Rheine nie so wirklich verfolgt. Im Hinterkopf wummerte aber immer schon die leise Ahnung: Die sind geil.

2. Dann gab es eine kleine Abbiegung im Muff Potter-Kosmos, die ich wenigstens zum Teil mitgegangen bin. Denn Thorsten Nagelschmidt ist einer der Künstler, din es fertigbringen, sowohl tolle Lieder als auch sehr schöne Bücher zu schreiben. Als 2018 sein Buch Wo Die Wilden Maden Graben herauskam, hab ich es recht schnell verschlungen. Vielleicht auch, um mich vor den letzten Metern der Uni zu retten. Wie er das Leben in der Kleinstadt einfängt, hat mir sehr zugesagt. Zum Einen, weil ich selbst in einer groß wurde (s.o.), zum Anderen, da ich durch die Uni-Wahlheimat Münster auch das nahe Rheine kennengelernt habe.

3. Memo an mich: Eine Rezension zu einem Musikalbum zu schreiben, funktioniert nie ohne Rückkopplung zum Schreibenden. Wer neutral über Musik schreibt, ist entweder herzlos oder sehr professionell. 

4. Bei Aller Liebe heißt die Platte, die am 26. August auf dem eigenen Label Hucks Plattenkiste erscheinen wird. Und mir gefällt sie außerordentlich gut. Aus Punkt Nummer 1 folgt auch, dass ich die alten Platte der Band nicht kenne. Hier wird kein Vergleich stattfinden, sondern das Album recht isoliert betrachtet. 

5. Dazu ein kleiner, sehr, sehr subjektiver Stand der Dinge zu deutschsprachiger Pop/Rock-Musik, die neu ist. Da gibt es so einiges, was ich ziemlich drüber finde. Blond zum Beispiel. Kann aus meinen Augen weg. Düsseldorf Düsterboys finde ich auf Platte charmant, live aber lahm. Da ist zum Teil viel Gewolltes dabei, viel Wannabe-Feuilleton. Im Rap oder Punk passieren viel spannendere Dinge. Viel mehr Wut und Druck und Tempo und Dichte. Ansonsten sind es in meinem Wahrnehmungskreis die Altbekannten wie Gisbert oder Die Sterne oder Thees oder Wiebusch oder Fortuni, die Raffinesse und Tiefe im Text zeigen. Bei Muff Potter ist das auch deutlich zu hören. Es ist zu hören, ja, zu spüren, was in diesen Texten steckt. Sie brauchen keine Verzerrung oder Verkleidung. Sie stehen durch ihre Prägnanz für sich. Es ist Kunst, die durch das Herz, den Bauch und den Puls ans Tageslicht kommt. Und schlussendlich aus der Lunge. Wer auf diese Platte Nagel singen, krächzen, sprechen, voranreden hört, weiß genau, woher diese Worte, diese Geschichten, diese Aufnahmen kommen. Mit wachen Augen, einem hellen Gespür und einer feinen Füllfeder (um ein bisschen romantisch zu bleiben). Hinzu kommen wuchtige Gitarren, die einen Klang ins Jahr 2022 bringt, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn vermisse.

6. Die Platte also. Sie beginnt mit verzerrten Gitarrenriffs und Nagels unperfekt geiler Stimme. Herrlich. Ich bin sofort drin, habe sofort Bock. Es wird eine Szenerie aufgebaut. Eine Siedlung, die etwas trostlos erscheint zwischen Mietwucher, Nostalgie und Lethargie. Und dann eine Brühwürfel-Zeile, die mich umhaut. Wie kommt man nur darauf?! Absolut genial. Wäre ich Musiker, wünschte ich mir, dass es mir eingefallen wäre. Killer ist eine perfekte Startnummer, sogar mit Chorgesang. Und dann wird aber bitte Fahrt aufgenommen. Gitarren, Schlagzeug, Bass, Stimme, LOS! Ich Will Nicht Mehr Mein Sklave sein ist genau die Hymne meines neuen, privaten Vorhabens: Weniger Handy, weniger ferngesteuert werden durch diese doofe kleine Kiste mit dem schwarzen Display. Ja, hol mich raus und zeig mir das Draußen! Los, Muff Potter, ich bin dabei! Flitter & Tand danach. Richtig Bock durch die Arrangements. Super Stakkato im Schlagzeug, viel Wärme und dennoch Energie im Bass, starke Hook im Gitarrenriff! Augenzwinkernd werden Kalendersprüche und Spruchbildchen aus den Medienplattformen seziert. Dann beginnt Nagel zu erzählen. Ein Gestohlener Tag ist eine wahnsinnige Nummer. Es ist pointiert das, was Jochen Distelmeyer auch macht, aber viel, viel zu sperrig dabei bleibt. Nagel ist klar, mit ihm kann ich mitgehen. Bei Distelmeyer bin ich eingeschlafen. Die Strophen gesprochen, der Refrain gesungen und eine große Hymne auf die oft mühseligen Wege zur ungeliebten Arbeit. Oder wie Pascow singen: „Die Zeit, die mir fehlt, ist das Geld, das ich krieg.“ Das Gute bei dem Lied ist, dass der Kosmos klein, überschaubar bleibt. Es geht nicht um Selbstverwirklichung oder Work-Life-Balance oder so einen Schrott. Es geht einfach um Arbeit, die ich brauche zum Leben, aber an genügend Tagen wenig verlockend ist. Über fast 8 Minuten erstreckt sich das Lied. Nein, ziehen tut er sich nicht. Nicht in einem Takt. Erst wird die Grundlage dargelegt, dann kommt die Wut. Ich bin mit geballter Faust komplett dabei! Stark, Muff Potter! Das Erwachsenenthema Arbeit dehnt sich noch ein wenig weiter aus. Das mag sicher auch damit zusammenhängen, dass Nagels Buch von 2020 so heißt. Zudem ist Hammerschläge, Hinterköpfe natürlich ein astreines Wortspiel. Außerdem geht es auf dem Stück über eine Lebensrealität, die den Namen nicht verdient hat, da sie oft nur auf irgendwelchen oberflächlichen Plattformen hashtagversehen zu bestaunen ist. Alles nur fürs Hamsterrad, um schlussendlich ausgebrannt nicht mehr mit zu kommen?! Nein danke! Hier wird die Lanze für ein humanistisches Miteinander schon recht deutlich mit leichtem Schaum vorm Mund hoch gehalten. Da packe ich mit an! Zum Ende hin erstrahlt das Album in ungeahnten Höhen. Nottbeck City Limits ist ein Werk, das mich beim ersten Hören direkt komplett umgehauen hat. Zwischen Oelde und Rheda liegt das kleine Kulturgut Haus Nottbeck, wo dieses Album entstanden ist. Eine Parallelwelt im Nirgendwo. Richtig abschalten ist da möglich. Doch neben der Idylle lauert die Hölle. Da liegt das Schlachthaus von Tönnies. Dort werden nicht nur sekündlich Schweine getötet, sondern auch Menschen ausgenommen. Diese ausweglose Spirale zwischen Sub-Sub-Unternehmen und billigem Fleisch bringt die Band auf extreme Weise nah. Gänsehaut und Grummeln im Magen inklusive. Blumfeld -Zitat inklusive. Zum letzten Lied, Schöne Tage, möchte ich gar nicht mehr so viel schreiben. Es lohnt viel mehr, dies zu erleben. Darin stecken nicht nur Zeilen und Stimmungen, die an ein Früher erinnern, sondern auch ganz viel musikalische Raffinesse, die schnell in den Körper übergeht. Was ist das bitte für eine Platte. Ich wusste nicht, dass es eine Lücke gibt. Aber nun ist die geschlossen.

7. Repeat. Repeat. Repeat.


Samstag, 13. August 2022

KW 32, 2022: Die luserlounge selektiert

Bild: sarahscoop.com
(sb/ms) Wahrscheinlich ist es eine Generationenfrage. Das rede ich mir zumindest seit Mittwochabend ein. Meine Einschätzung mag falsch und unfair sein, aber so ist das halt. Autotune. Was soll die Scheiße? Es klingt in erster Linie total bescheuert, billig und befremdlich. Zudem beschleicht mich immer mehr der Anschein, dass es ja das einfachste Mittel ist, mit dem jeder noch so schlechte Sänger (bewusst nicht gegendert, da mir da hoc und zum Glück keine weibliche Rapperin mit Autotune einfällt) seine Musik irgendwie hörbar machen kann und seinen Rotz dann in den Äther schießt. Mittwochabend wurde mir das zwei Mal hintereinander bewusst. Erst bei einem Emms, danach bei Ennio. Beide spielten beim Einfach Kultur-Festival in Oldenburg im Vorprogramm von Audio88 & Yassin. So stand ich da mit dem Blick gen Bühne gerichtet und fand es nur schlimm. Dann schwenkte ich meinen Fokus und sah insbesondere viele jüngere Mädels (also um die 20), die das leidenschaftlich mitgesungen haben. Es gab zwei Mal billige Texte in billiger Musik verpackt und die nächste Frage war: Woher kann man die kennen? Auf meinem Hörradar erscheinen sie nicht. Vielleicht haben Spotify und Instagram was damit zu tun, beides nutze ich nicht. Tja, vielleicht ist es wirklich eine Generationenfrage. Das hoffe ich zumindest. 
Danach haben Audio88 & Yassin ordentlich abgefackelt. Das hat richtig Spaß gemacht. Und mir ist bewusst geworden, dass es kein zynischer, harter Rap ist. Sondern harter Rap, der mit Änderungen des Blickwinkels ziemlich schlimm den Finger in die Wunde bohrt!

The Streets
(Ms) Was für eine wunderschöne, wenn auch traurige Überraschung. Die bestimmt zehn letzten jeweils neuen Lieder von Mike Skinner aka The Streets fand ich durch die Bank weg alle großen Mist. Da musste ich echt skippen, weil mir sowohl die Beats als auch die teils recht platten Texte überhaupt nicht zusagten. Daher war ich auch mehr als skeptisch, als eine Mail reinflog, die Neues aus London präsentierte. Draufdrücken oder nicht? Play oder Pause? Klar, reinhören ist bei Mike Skinner immer ein Muss und dieses Mal ging es wieder auf. Die Traurigkeit, die in Bexit At Tiffany‘s durchscheint ist sehr verwandt mit einer Klangstruktur, wie sie bei ihm vor vielen, vielen Jahren schon zu hören war. Eine Melancholie, die man so echt nur bei The Streets hört, wenn er über das Ende einer Beziehung berichtet, das man so vielleicht gar nicht wollte. Wie die Briten mit ihrem Brexit, die diese dämliche Entscheidung nun ausbaden müssen. Ach, Mike, ich bin etwas beruhigt und heilfroh, dass die alte Liebe zur Musik immer noch lodert!


KeKe
(ms) Nochmal schnell ein paar Worte zum groooßen Thema Genrebezeichnungen. House-Wave. Trap. Boom-Bap. Ey, ich komme echt nicht mehr mit. Was soll das alles?! Schon wieder kurz vorm Aufregen. Wenn ich KeKes Musik nun mit Techno-Rap bezeichnen würde, bin ich ja auch nicht besser. Also schnell mal einen Punkt machen und sich auf das Wesentliche besinnen: Satten, eingängigen Bass, der schnell zum Kopfnicker wird und Bock macht. Es wird immer besser, wenn die Wienerin noch ordentlich Inhalt mitbringt. Bodypositivity. Mit dem eigenen Körper, egal wie er auch geformt ist, zufrieden zu sein, scheint mir oft eine der größten Herausforderungen dieser Zeit. Thick ermutigt all jene, die diesen Schritt noch nicht ganz geschafft haben. Daher: Mach mal laut das Ding!

 
Sinnfrei
(sb) Würde Farin Urlaub dieses Album zusammen mit seinem Racing Team veröffentlichen, läge ihm die Fachpresse vermutlich einmal mehr zu Füßen. Tut er aber nicht. Stattdessen stammt der Release Erotik des Zerfalls (VÖ: 19.08.) von der Düsseldorfer Band Sinnfrei und ich verneige mich tief. A bisserl Punk, a bisserl Ska, wunderbare Bläser-Passagen und Texte, die zwischen Sozialkritik und sehr viel Humor schwanken machen das Hören zum Erlebnis. Klar, nicht jeder Track ist ein Banger, aber bei welchem Album ist das schon der Fall? Ich bin auf jeden Fall sehr positiv überrascht und freue mich, diese Band kennengelernt zu haben. Lieblingssong: Ansatzlos Gestrichen!

 

Lambchop
(ms) Oh nein! Voll erwischt! Oben noch schön über Autotune abgehatet, so ist hier eine Band, die seit einigen Jahren ausgiebig damit arbeitet. Na gut, mittlerweile wird es wieder weniger, was ich begrüße, aber dem kann ich mich nun nicht entziehen. Lambchop also. Ein Phänomen seit vielen, vielen Jahren. Die Experimentierfreude nimmt einfach nicht ab. Das finde ich erfrischend und genial. Kurt Wagner ist auch schon über sechzig, ein Beweis, dass Alter im Musikbusiness überhaupt nichts zu bedeuten hat. Dann kann man auch irgendwann ein Album rausbringen, das The Bible heißt. Mit So There ist nun ein weiterer Song zu hören und der mich direkt ganz ruhig macht. Oh, wunderbarer Zauber der Musik. Das gefällt mir sehr. Und erneut wird geduldiges Hören belohnt. Wenn später im Lied ein leichter Rhythmus einsetzt, ist das im Lambchop -Universum schon ein bewegender Moment. Ich freue mich sehr auf die neue Platte, das kann nur gut werden!


And You Will Know Us By The Trail Of Dead
(ms) Geduld haben. Das ist eine Tugend. Vieles lohnt sich so, so sehr, wenn man nur ausreichend wartet, schaut, Dingen eine Chance gibt, abwägt und dann knallt es. Der Knall kann manchmal laut und mal zart sein. Mal fetzt er, dann sorgt er für Gänsehaut. Alles ist möglich. Bei And You Will Know Us By The Trail Of Dead sowieso. Ich finde es irgendwie charmant, dass sie ihre Alben durchnummerieren. So ist dieses Jahr XI: Bleed Here Now erschienen. Ist irgendwie komplett an mir vorbei gegangen. Zwei Ohren sind begrenzt in ihrer Aufnahmefähigkeit. Contra Mundum ist ein so typischer Track der Band mit dem endlosen Namen. Unvorhersehbar, was passiert. Ich wäre nicht verwundert, wenn er fünf Minuten so klingt wie am Anfang. Doch ich war heilfroh, dass er zum Ende hin Fahrt aufnimmt. Alles in einem bescheidenen, gediegenen Gewand, und dennoch (trotzdem?) wunderschön. Geduld wird belohnt. Punkt.

Donnerstag, 11. August 2022

Live in Feldkirch: Jose Gonzalez

Jose Gonzalez auf dem Poolbar Festival in Feldkirch (04.08.2022)
 
(sb) Wie lange kenn ich die Musik von Jose Gonzalez schon? Knapp 20 Jahre? Das 2003er-Album Veneer habe ich auf jeden Fall gefeiert und das steht seitdem in meinem Plattenschrank. Mit der Betonung auf "stehen", denn so wirklich anhören tu ich es selten, auch wenn ich insgesamt eine sehr hohe Meinung vom Künstler habe und weiß, dass da ein paar absolute Perlen drauf sind. Und ja, ich hatte schon sehr viele Jahre den Wunsch, den Schweden mit argentinischen Wurzeln mal live zu sehen. Am vergangenen Donnerstag hats endlich geklappt...
 
Dass ich das Poolbar Festival in Feldkirch unheimlich gerne mag, ist ja kein großes Geheimnis. Was hab ich da schon für tolle Konzerte erlebt? Maximo Park, Irie Revoltes, Faber, William Fitzsimmons, Olympique und viele mehr. Dieses Jahr hat mich das Progamm nicht ganz so gekickt, Jose Gonzalez wollte ich mir jedoch nicht entgehen lassen und hoffte natürlich auf sommerliches Wetter, denn der Gig sollte unter freiem Himmel stattfinden.
 
Open Air auf dem Poolbar
 
Über die Vorband breite ich weitestgehend den Mantel des Schweigens. Einfach nur fad und eintönig. Wie kann einem sowas ernsthaft gefallen und wer hört sich sowas freiwillig an? Das war sowas wie vertonte eingeschlafene Füße. Aber gut, ich wollte ja eigentlich schweigen...

Nach der Umbauphase kam Jose Gonzalez auf die Bühne. Alleine. Nur mit Gitarre. Demütig, bescheiden, sympathisch. In den folgenden 90 Minuten bezauberte er mit leisen Tönen, großen Gefühlen und seiner einzigartigen Stimme, die einfach immer den Ton und Nerv trifft. Unverkennbar und wunderschön.

Ich bewundere es ja eh, wenn jemand alleine auf der Bühne steht (oder in diesem Fall: sitzt) und dort sein Innerstes nach Außen kehrt. Wenn das aber so perfekt geschieht wie bei Jose Gonzalez, dann komm ich aus dem Staunen nicht mehr raus und frage mich, wie so etwas möglich ist. Wie wird man so selbstbewusst und bleibt dabei trotzdem so sympathisch und demütig? 
 
Jose Gonzalez spielte neben seinen Solostücken auch Songs seiner Band Junip

 
Neben seinen Solostücken gab der Schwede auch einige Songs seiner Band Junip zum Besten und überzeugte das Publikum vollends. Dass es zahlreiche Besucher dennoch für nötig hielten, das ganze Konzert über zu quatschen, kann ich einfach nicht verstehen. Habt Ihr kein Zuhause? Wieso müsst Ihr mit Eurem Dauergelaber andere Besucher stören? Das ist ja schließlich auch eine Frage des Respekts dem Künstler gegenüber...

Wie dem auch sei: Die Zeit verging wie im Flug und das trotz keinerlei Action auf der Bühne. Jose Gonzalez saß da, sang, spielte Gitarre und war einfach nur fantastisch. Punkt.







Mittwoch, 10. August 2022

Appletree 2022, Teil 2: Die Musik

Los Bitchos live, geil! Quelle: facebook.com/appletreegarden
(Ms) Klar, die Überschrift des zweiten Teils vom vergangenen Appletree-Wochenende hätte auch „Das Programm“ lauten können. Denn das gab es an allen Ecken und Enden. Doch ich war halt nicht bei den Lesungen von Ilona Hartmann und Alice Hasters (kann aber ihr Buch sehr empfehlen), ich war auch nicht beim Yoga oder Rave Aerobic und ich war auch nicht beim Barista- oder Matcha-Workshop. Das hat unterschiedliche Gründe. Die letzten vier Punkte der kleinen Aufzählung finde ich persönlich fehl am Platz eines Festivals, aber wenn das Leute wahrnehmen, ist es doch fein. Dass Lesungen mittlerweile zum Status Quo von Festivals gehören, finde ich aus kultureller Sicht super, ich lese auch gerne und viel. Doch ich gehe für die Konzerte dahin.

Und davon gab es nicht nur reichlich, sondern auch reichlich Gute bis Herausragende. Ahja, eine Sache habe ich noch vergessen: An DJ-Sets bis morgens um 5 Uhr habe ich persönlich auch kein Interesse, daher kann ich dazu nichts sagen. Menschen aus unserem Camp fanden die aber äußerst gelungen. Es ist also bereits klar: Das Programm des Appletree Festivals ist wahnsinnig vielseitig. Es dürften eigentlich keine Wünsche offen bleiben. Noch schöner ist: das Booking ist enorm geschmackvoll. Es traten nicht nur viele verschiedene Stile auf, sondern die Qualität war zudem oft ganz weit oben!

Donnerstag Nachmittag also, halb fünf, große Bühne: Buntspecht aus Österreich eröffneten sie. Witzigerweise habe ich sie erst die Woche zuvor in Oldenburg live gesehen und war da schon sehr angetan. In 50 Minuten haben sie gezeigt, dass folkartiger Bläser-Tanz-Pop auf österreichisch sehr gut funktioniert. Die sechs Typen waren irre sympathisch und ich kann mich nicht daran erinnern, Trompete, Baritonsaxophon und Cello gleichzeitig auf einer Popbühne gesehen zu haben. Stark! Unter der Sonne mit einem kalten Cider in der Hand ließ es sich sehr gut aushalten. Es war die erste Band, die ich kaum oder gar nicht kannte. Und es folgten viele, viele mehr. Unter anderem Los Bitchos. Natürlich ein super Name, die Musik war noch besser. Der Kerl am Rand und die vier Mädels im Vordergrund haben instrumental berauschende Musik gemacht, die in jedem Tarantino-Film der Soundtrack hätte sein können. Das war ein rauschendes Fest und eine der Bands, von denen ich mir im Nachhinein mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Platte anschaffen werde. Curtis Harding zur Primetime haben wir eher aus dem Hintergrund verfolgt, doch sein entspannter Soul passte sehr gut zu einem lässigen Sommerabend. Den hat Dadi Freyr auf der großen Bühne beendet. Bekannt ist er als Teilnehmer des ESC für Island vor ein paar Jahren. Ein sympathischer, großer Schlacks mit einer einnehmenden Stimme hat damals eine Mittanznummer hingelegt. Und ein sympathischer, großer Schlacks mit einer einnehmenden Stimme hat am Donnerstagabend in Diepholz eine irre Popparty geschmissen. Ein ungewöhnlicher Headliner, der aber gezeigt hat, dass die Teilnahme am ESC eher ein Irrweg war. Stark!

So untypisch wie der erste Tag geendet hat, startete der zweite. Tiny Wolves spielten um 15 Uhr auf der Waldbühne (die andere große Konzertbühne, die nur durch einen Getränkestand von der großen Bühne getrennt war). „Noch nie gehört“, dachte ich mir vorher. Woher auch!? Es war ein Kinderchor, der aus der Gegend kam, gut 50 Kinder und ihr Musiklehrer, die stimmungsgeladen Hits von den Foo Fighters, Deichkind, Coldplay und Tomte schmetterten. Richtig stark! Super Idee. Direkt danach zu Sharktank, deren Sängerin und Kopf Katrin noch bis vor Kurzem Mitglied der Liveband von Oehl war. Irrungen und Wirrungen. Zu fünft spielten sie Crossover aus melodiösem Indiepop und 90er-Rap. Eine Kombination, die an einem Freitagnachmittag auf einem sommerlichen Festival sehr gut aufging. Ob mich das später noch mal packt, wage ich zu bezweifeln. Danach sahen wir The Holy. Kompromissloser Indierock mit zwei Schlagzeugern. Geil! Und dann sah ich mich in zwei Stunden gefangen, die ihresgleichen suchen. Und danach ging auch nicht mehr viel. Der erste Grund: Roy Bianco und Die Abbrunzati Boys spielten. Da ich sie abfeiere, wollte ich vorne dabei sein, hat geklappt. Ab dann wurde es aber auch immer voller und voller und die Menschen ringsum auch. Natürlich ist die Band ein Phänomen. Doch es scheint live einfach nur eine irre Sauf- und Tanzveranstaltung zu sein. Hatte ich an dem Wochenende nichts gegen, doch auf ein Solo-Konzert muss ich tatsächlich eher nicht mehr gehen. Dafür gab es aber eine knappe Stunde astreiner Musikgeschichte, südeuropäischem Charme und viel, viel, viel Schunkelei von „Maranello“ bis „Giro“. Da blieb kein Auge trocken. Doch der wilde Ritt ging direkt im Anschluss weiter und für meinen Geschmack wurde er auch noch getoppt. Denn es spielten Team Scheiße. Ja, richtig gelesen. Und was gab es zu hören? Knallharten, kompromisslosen Gaga-Punk vom Allerfeinsten. Was für eine schräge Erscheinung. Die Band, die Musik, die Texte, die mitunter sehr kurzen, aber kräftigen Lieder. Aus dem Munde des Sängers ging es viel um „Heftigness“. Passt. Zwischen Standortbestimmung als Karstadtdedektiv, Erlebnissen am Pfandautomaten oder einem eindringlichen Lied über den faschistischen Soldaten Franco A. Wo wurde diese Band denn bitte ausgegraben? Ein Sänger, der zwischen 30 und 70 hätte sein können, ein Bassist, der nicht mehr aufhören konnte, sich zu freuen und einer Karriere, die möglicherweise in kommender Zeit heftigst durch die Decke gehen könnte! Denn dafür steht das Appletree: Ein paar große Bands da zu haben und viele Kleine, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bald mal groß sein werden!

Samstag ging es erst später los, dafür umso schöner. Oft auf diesem Blog habe ich schon meiner großen Begeisterung Oehl gegenüber kundgetan. Und sie spielten am Nachmittag alte und neue Lieder in neuer Besetzung. Ich mag das Projekt von Ariel Oehl insbesondere, da ich derart poetische Texte auf Deutsch lange nicht oder noch nie gehört habe. Viel dabei, das ich nicht näher benennen kann, berührt mich ganz extrem, sodass ich oft Tränen in den Augen stehen hatte. Oh, wundervolle Kraft der Musik. Ende des Monats kommt das neue Album und es wird toll, das kann ich versprechen. Mit ihm auf der Bühne vier Menschen, die nicht nur sehr gut, sondern teils auch sehr begabt an ihren Instrumenten und mit ihren Stimmen waren. Phantastisch. Große Liebe. Dann einmal rüber zur großen Bühne und mal schauen, was Rikas so zu bieten haben. Nicht viel. Unglaublich eingängige, berechenbare und nichtssagende, etwas zu gewollte Pop-Folk-Musik, die der Soundtrack eines frühen Abendessens war. Auch die Düsseldorf Düsterboys, die ich beim Vorabhören ganz toll fand, haben mir live wenig gegeben, also: Kurze Pause im Camp, um schnell vor Noga Erez durchzuschneiden. Denn was die Dame dann auf die Bühne gebracht hat, bleibt lange im Gedächtnis. Viel Charisma hat die Frau und macht irre Musik. Irgendetwas zwischen riesigem Pop, Rap, Trap und so. Oft sah ich mich an die Gorillaz erinnert. Hammerhart mit brechenden Beats und durchdringendem Bass! Zudem mega sympathisch hat sie ein Konzert abgefackelt, das mich angestachelt hat. Auch hier werde ich mit hoher Wahrscheinlichkeit Platten anschaffen. Das hat mich sehr begeistert, obwohl (oder gerade weil) es sonst gar nicht meinem Hörradar entspricht. Irre. Dann rüber zu Kat Frankie. Und es tat mir etwas leid. Denn, natürlich macht sie wunderschöne, sehr feine, toll arrangierte Musik, aber der Zauber, der ihrem Klang zugrunde liegt, sprang an diesem Abend nicht auf mich über. Dennoch möchte ich alles von ihr dolle empfehlen! Kakkmaddafakka haben wir uns nicht gegeben. Das war vor zehn Jahren mal unterhaltsam, jetzt brauche ich das einfach nicht. Stattdessen sahen wir noch einiges von Altin Gün. Holla! Super geil! Nahöstlicher psychedelischer Rausch mit vielen Lichtern, ungewohnten Harmonien und Melodien, die aber herrlich schnell ins Tanzbein gingen. Super gut. Auch das direkt mal für die Nachbearbeitung abgespeichert. Doch wir haben uns dann verabschiedet, um für den Headliner des Festivals einen guten Platz zu haben. Den haben wir gefunden und Metronomy haben gezeigt, dass sie dieser Rolle perfekt entsprechen. Musikalisch. Ja, es war ein etwas unpersönlicher Auftritt, ein wenig distanziert. Das war mir aber ein wenig egal, weil das eine berauschende Stunde war, der bei weitem nicht nur von ihrem Überhit „The Look“ geprägt war, sondern von einer puren Mannigfaltigkeit im Sound. Da wurden Lieder nacheinander dargeboten, bei denen ich den Eindruck hatte, dass stets eine gänzlich neue Band auf der Bühne steht. Die alten und neuen Sachen direkt nacheinander machen diesen Effekt aus. Zwischen satten Gitarren und traumwandlerischen Melodien lag oft nur eine Applauspause. Irre. Dazu sind sie mit einer tollen Lichtshow unterwegs. Außerdem war der Sound überragend. Sehr, sehr klar, deutlich, on Point, großes Kompliment an die Leistungen an den entsprechenden Reglern.

So gingen wir dann auseinander. Mit einem großen, großen Lächeln im Gesicht. Beinen, die ein paar Tage standen und es dem Körper danach heimzahlen. Einer Leber, die das immer noch gut wegsteckt und einem eindeutigen Beschluss: Wir kommen nächstes Jahr wieder!

Dienstag, 9. August 2022

Live in Lindau: No Fun At All & MakeWar

No Fun At All im Club Vaudeville in Lindau (08.08.2022)

(sb) 26 Jahre! 26 verdammte Jahre! Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich No Fun At All nochmal live sehe, aber mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem legendären Konzert mit Bad Religion im Circus Krone in München im Juni 1996 hab ich die Schweden kürzlich im Club Vaudeville in Lindau gesehen. Es hat sofort wieder gefunkt, die Texte waren in den Tiefen des Hirns abrufbar (Körper, Du geile Sau!) und der Abend hätte nicht gelungener sein können. Heute bin ich dezent erschlagen (Körper, Du alter Sack!), aber glücklich. So muss das aber ja auch sein, oder?
 
Den Anfang machten jedoch MakeWar aus New York, die eine kleine aber sing- und tanzfreudige Fangemeinde vor die Bühne lockten eine klasse Show auf die Bühne zauberten. Das hätte ich mir gerne auch noch eine halbe Stunde länger angehört, aber da die Vorband erst um 21 Uhr startete (und das an einem Montag Abend...) war einfach zu wenig Zeit, um das Set weiter auszudehnen. Die drei Herren haben Eindruck hinterlassen und wurden mit reichlich Applaus bedacht. Auch am Merch wechselte so manch Shirt und Album den Besitzer - völlig verdient.
 
MakeWar überzeugten als Vorband
 
Um ca. 22 Uhr kamen dann No Fun At All auf die Bühne und mein Herz tat einen gewaltigen Hüpfer. Ich war mir ja gar nicht so sicher, ob mir das immer noch so zusagen würde, aber vom ersten Ton an war die Liebe wieder da, die ich vor 26 Jahren verspürt hatte. Bereits nach dem ersten Track kündigte Sänger Ingemar Jansson, ohnehin eine der coolsten Säue des Business, an, dass man das 95er-Album Out Of Bounds in Gänze zu Hören bekäme. Konnte also nur geil werden!

So wurden dann Banger wie Nothing Personal, Pleasure Is To Be Insane, Talking To Remind Me, Stranded und Perfection rausgeknüppelt, immer mal wieder was Neueres eingestreut, aber auch Klassiker aus meinem NFAA-Lieblingsalbum No Straight Angles eingebaut. Es wurde getanzt, gesungen, gestaunt und gelacht - wie schön, dass es wieder Konzerte gibt!

Nach zwei Zugabeblöcken, Catch Me Running Round und Master Celebrator war dann Schluss, die Uhr zeigte 23.37 Uhr und der Gedanke an den nächsten Arbeitstag trübte die ausgelassene Stimmung, zumal ja auch noch der Heimweg anstand. Aber egal, es war einfach nur ein wunderbarer Abend in der gewohnt angenehmen Vaudeville-Atmosphäre. Danke an alle Beteiligten!





Montag, 8. August 2022

Appletree 2022, Teil 1: Das Drumherum

Quelle: facebook.com/appletreegarden
(Ms) Wenn Träume in Erfüllung gehen, war man auf dem Appletree Festival. Das möchte ich auf jeden Fall für mich behaupten. Unzählige Male habe ich von diesem großartigen Festival gehört, viele Freunde und Freundinnen schwärmen seit Jahren davon. Eines steht fest: Vollkommen zurecht! Seit 2007 habe ich einiges an Festivals mitgenommen und nun kann ich behaupten, auf einem der Schönsten gewesen zu sein.  Da allein die Atmosphäre so toll war, gibt es zwei Texte zum Wochenende, damit es nicht zu extrem wird. Herzlich Willkommen zu Teil 1, dem Drumherum.

Anreise, Parkplatz, Camping
Zwar war ich nur Beifahrer, aber auch der kann berichten. Wir sind nur eine Stunde gefahren. Jedoch haben wir uns in dieser Stunde ins absolute Nirgendwo Niedersachsens begeben. Ziel: Diepholz. Nun gut. Vor Ort war alles super ausgeschildert und am Donnerstag um kurz vor Elf haben wir noch einen super Parkplatz gefunden. Klar, um 10 wurde das Gelände eröffnet, es waren schon viele Leute da. Entsprechend lang war die Bändchen-Schlange in der brütenden Hitze. Aber alle Beteiligten waren extrem entspannt, da wartet man gern. Uns wurde schon ein Zeltgrundstück frei gehalten und nah beim Übergang zum Festivalgelände haben wir unser Zelt aufgebaut, während die nächsten zig Liter Schweiß an uns runterflossen. Aber links und rechts: Nur entspannte Leute. Herrlich! Und das blieb so. Nachts war es so leise, dass Schlafen kein Problem war. Nirgends ballerten Cantina-24h-Mixe oder sonst ein Turboschrott. Die Menschen nahmen Rücksicht aufeinander und das hat sehr gut geklappt. Natürlich hab es auch ein paar Flunkyball- und Bierpong-Camps, doch die Halligalli-Fraktionen ließen sich an einer Hand abzählen. Das heißt auch: Es war überwiegend sehr sauber. Die Menschen wurden im Vorhinein zum Aufräumen und Mülltrennen aufgefordert. Ob das funktioniert hat und wie viel Campingschrott da gelassen wurde, können eher die Veranstaltenden als ich sagen. Doch mein Eindruck war sehr positiv.

Das Gelände
Das Staunen hörte nicht auf. Die Appletree-Wiederholer haben uns Neulingen das schon angekündigt, doch ich konnte mir das noch nicht so genau vorstellen. Klar, man muss auch sagen, dass das ein hipper, veganer Kindergeburtstagstraum war. Aber er war wunderschön. Das Gelände, auf dem die Konzerte stattfanden, wurde mit einer ungeheuren Liebe zum Detail gestaltet. Apfelbäume waren das nicht, aber das kleine Waldstückchen war zauberhaft. Überall Wimpel, Girlanden und Licht, Licht, Licht. Ganz viel warmes Licht in allen Farben und Formen. Ein Festival in einem kleinen Märchenwald. Was braucht man mehr, um möglichst schnell dem Alltagskram zu entfliehen?! Eben. An allen Ecken und Enden gab es Kleinigkeiten zu entdecken. Alles wurde sauber gehalten. Perfekt. Was mich nach kurzer Zeit noch weiter hat erstaunen lassen: Auf dem Gelände wurden Glasflaschen ausgegeben. Sicherlich aus Umweltschutzgründen. Aber Glas auf einem Festival - Wahnsinn. Mit der Übergabe der jeweiligen Flasche auf den Besucher ging ein unausgesprochener Deal einher: Hier hast du die Pulle, pass auf sie auf und gib sie gleich wieder zurück. Hat perfekt funktioniert. Nur ein einziges Mal in drei Tagen habe ich eine zerborstene Flasche gesehen. Irre. Gefiel mir sehr gut. Ich finde es auch affig, dass in Clubs beispielsweise Flaschenbier und Plastikbecher umgefüllt werden, um sie dann auszugeben. Aber nun ja… anderes Thema.

Das Publikum
Die Menschen vor Ort haben ein derart entspanntes Wochenende erst möglich gemacht. Wo in Scheeßel, am Ring oder bei Nordholz die großen Massen abspacken, ging man in Diepholz sehr sanft miteinander um. Unfassbar respektvoll ging es bei der Security, bei den Essens- und Getränkeständen, beim Klo, den Duschen und beim Zähneputzen zu. Alle warten, sind freundlich, ich habe nicht gesehen, dass sich jemand unwohl fühlte. Klar, es floss reichlich Alkohol, doch alles im Rahmen. Es ging halt anders zu als bei den Riesenfestivals, die in meinen Augen nur noch zu einem Asi-Rausch der Rich-Kids mutiert sind (um mal ein bisschen unreflektiert abzuhaten). Es war ein liebevoller Rausch in einem harmonischen Miteinander! Doch eines ist (leider) auch klar: Das Publikum ist sehr, sehr homogen. Sicherlich akademisch, finanziell weitestgehend sorglos (um sich den ganzen Quatsch halt auch leisten zu können), in gewisser Weise aufs Äußere bedacht und sehr weiß. Also fast wie überall sonst auch, wenn die Szene unter sich unterwegs ist im Rock, Pop, Indie, linken Rap, Alternative. Traurig, aber wahr.

Bargeldlos
Im Vorhinein war schon klar, dass das ganze Festival ohne Bargeld vonstatten gehen soll. Das Aufladen ein paar Tage vorher war schon gar kein Problem. Und jegliche Transaktion vollkommen unkompliziert. Am Bändchen war ein Chip angebracht (den man für den besseren Tragekomfort im Nachhinein auch entfernen kann, um weiter schön Bändchen zu tragen), über denn problemlos abgebucht wurde. Klar, mal hakte das Abbuchgerät, aber es ging immer schnell vonstatten. Überall konnte man fragen, wie sich das aktuelle Budget gestaltet. Auch die Pfandrückgabe war überhaupt kein Thema. Klar, an so einem Wochenende geht das Geld rasant dahin. Da sind die rich Kids doch unter sich. Insbesondere beim Essen macht sich das bemerkbar. Das war überall sehr, sehr lecker und zu knapp 95% vegetarisch. Doch es gab kaum was unter 7€. Das ist schon happig! Eine Portion Pommes kostete 4,60€, Bier zwischen 3,50€ und 4€ für 0,33l. 

Die Musik
Wir lesen uns in Teil 2…

Freitag, 5. August 2022

KW 31, 2022: Die luserlounge selektiert

Bild: vorsorge-online.de
(sb) Gestern Abend war ich auf dem Poolbar Festival und habe mir den großartigen Jose Gonzalez angeschaut. Ich hoffe ja sehr, dass ich Anfang kommender Woche noch einen ordentlichen Konzertbericht zustande bekomme. Allerdings schaut das Programm mit Konzert (No Fun At All!), Fußball (Münchens große Liebe) und Packen für den Urlaub (Bella Italia) schon pickepackevoll aus. Und die Arbeit ruft ja auch noch. Was ist das nur für 1 Life?! Zurück zu gestern: Traumwetter, ein kühles Getränk in der Hand, Open Air, Blick auf die Berge, ein unfassbar toller Künstler auf der Bühne, für den man - ganz nebenbei - auch 35 Euro Eintritt gezahlt hat und was machen die Leute? Sie quatschen! Das ganze Konzert lang waffeln sie rum und kriegen die Klappe nicht zu. Ich verstehe es einfach nicht. Geht doch in den Park, in ein Café, trefft Euch zuhause oder nehmt Euch ein Zimmer. Aber bitte haltet während des Konzerts die Fresse, wenn die Musik läuft. Gerade bei so ruhigen Tönen wie denen von Jose Gonzalez empfinde ich es als ungemein störend und respektlos, wenn da in einer Tour gequasselt wird.

So, genug rumgeheult. Musik. Und ab.
 
Love A
(sb) Eigentlich ist ja der Kollege (ms) der ausgemachte redaktionsinterne Liebhaber von Love A, diesmal darf aber ich ran. Warum? Hat sich halt so ergeben, eventuell hab ich mich vorgedrängelt. Große Vorfreude war auf jeden Fall im Spiel, denn die Band ließ uns schließlich über fünf Jahre auf ein neues Album warten. Und da isses nun, heißt Meisenstaat (VÖ: 19.08.) und trieft vor Hoffnungslosigkeit und der Verzweiflung über Stillstand. Aufgeben ist auf jeden Fall eine Option. Stimmungsmusik in Formvollendung. Deutschlands Antwort auf Joy Division. Beim ersten Anhören war ich zwar noch dezent enttäuscht, aber je öfter man sich damit auseinandersetzt und sich mit den - wieder einmal - herausragenden Lyrics befasst, desto mehr wächst das Werk. Das ist schon ganz stark, was das Quartett aus Trier da unter die Leute bringt. Kaufen!

Live hier:
 
25.12.22 Trier, Tufa

 
Spielbergs
(sb) Gerade noch rechzeitig für die heutige Selektion erreichte uns Vestli (VÖ: 19.08.), das neue Album der Spielbergs. Von dem Trio aus Oslo hatte ich bis dato nichts gehört, umso mehr hat es mich nun aber aus den Socken geblasen. Nein, die Spielbergs haben das Rad nicht neu erfunden, sondern bewegen sich auf bekannten Indie-, Punkrock- und Emo-Pfaden, entführen mich aber zurück in die (frühen) 90er, also die Zeit, in der ich gitarrenlastige Musik für mich entdeckte und zu lieben begann. Thematisch fangen die Norweger da an, wo Grunge einst aufhörte: Das Gefangensein - sei es örtlich oder emotional - steht im Zentrum des Albums, das einen (oder zumindest mich!) trotz allem staunend und äußerst zufrieden zurücklässt.

Auch live gibts das gute Stück demnächst auf die Luser:

15.09. Hamburg, Astra Stube
16.09. Berlin, Lost Evenings Fest
17.09. Nürnberg, Club Stereo
19.09. Jena, Rosenkeller


 
Lombego Surfers
(sb) Alte Schule, ganz klar. Bei den Lombego Surfers ist das kein Wunder, schließlich blickt die Band aus Basel bereits auf 33 Jahre Bandgeschichte zurück. Insofern ist es fast schon logisch, dass die Schweizer auf The High Side (VÖ: 02.09.) nach Rock und Punk der späten 70er und 80er klingen. Einmal geprägt, nie mehr verloren. Der Sound erinnert an The Stooges, mitunter auch an die Sex Pistols, definiert sich jedoch genremäßig als Garage. Von mir aus. Klingt auf jeden oldschool und das im positivsten aller möglichen Sinne. Live hier:

15.09. Isny, Eberz Musikbar
16.09. Nürnberg, Kantine
18.09. Dresden, Chemiefabrik
19.09. Wien, Arena Beisl
20.09. Wilkau-Haßlau, Restaurant Laurentius
22.09. Köln, Sonic Ballroom
23.09. Düsseldorf, Pitcher
24.09. Auggen, Raumstation Sternen
15.10. Basel, Humbug
21.10. Stuttgart, Goldmarks
22.10. Freiburg, Slow Club
11.11. Brunnen, Kult-Turm



Drei Meter Feldweg
(sb) Durchschnittswerte sind in der Musik ja in der Regel weniger gefragt. In diesem speziellen Fall komme ich aber fast zwangsläufig dazu, denn Durak (VÖ: 26.08.), das neue Album von Drei Meter Feldweg, bewegt sich zwischen den Extremen. Ein paar Tracks sind einfach nur großartig, andere hingegen sind so daneben, dass man sich fragt, ob die wirklich von der selben Band stammen können. Insofern fällt es mir schwer, das Album uneingeschränkt zu empfehlen, obwohl ich der Band durchaus zugute halte, dass sie für Abwechslung sorgt und ihre Songs nicht stumpf nach Schema 08/15 abfrühstückt. Auf Tour gehen die Herrschaften aus der Lüneburger Heide auch und sind hier anzutreffen:
 

06.08.2022 Porta Westfalica - Festivalkult

12.08.2022 Schwarmstedt - Heimatzoo Festival

20.08.2022 Karben - Karben Open Air

 

23.09.2022 Osnabrück - Westwerk

24.09.2022 Merkers - Rock am Berg Jahresabschluss Open Air

30.09.2022 Wuppertal - die boerse

01.10.2022 Kaiserslautern - Kammgarn

07.10.2022 Bremen - Tower

08.10.2022 Hannover - Lux

14.10.2022 Köln - Helios37

15.10.2022 Frankfurt - Nachtleben

21.10.2022 Berlin - Cassiopeia

22.10.2022 Jena - Rosenkeller

28.10.2022 Schweinfurt - Stattbahnhof

29.10.2022 München - Backstage

05.11.2022 Vohburg - Punkrockfest

18.11.2022 Düsseldorf - The Tube

19.11.2022 Gütersloh - Parkbad

10.12.2022 Hamburg - Knust – Das Currywurst-Konzert