Foto: Fiona Garden |
Wie genau es Ben Lukas Boysen in Altrip ging, weiß ich natürlich nicht. Ob er Berlin nun als Heimat oder auch „nur“ als Zuhause sieht, weiß ich auch nicht. Aber es scheint ein wenig ähnlich zu sein. Denn dem Ort, in dem er aufgewachsen ist, widmet er seine neue Platte. Sie trägt den alten, lateinischen Namen Alta Ripa. Altrip liegt südlich von Mannheim, direkt am Rhein und ist von viel Wasser umgeben. Knapp 8000 Menschen wohnen da, also auch nicht besonders viel los. Doch Ben Lukas Boysen erinnert sich an eine Jugend, die elektronisch geprägt war. Sampler- und Synthie-Musik war damals schon ein enormer Bestandteil seiner Jugendkultur. Heute ist es ihm möglich, die Musik zu machen, die er damals gerne gehört hätte. Was für eine unglaubliche Entwicklung. Was für eine tolle Aussage! Die zehn neuen Tracks haben eine Spielzeit von einer Dreiviertelstunde und sind diesem Ort gewidmet.
Um diesen Text zu schreiben, hörte ich Alta Ripa auf einem Spaziergang durch den Ort. Und es ploppten direkt viele Bilder und Assoziationen auf. Klar, was der Künstler selbst damit meint, bleibt im Verborgenen. Aber ich kann mir dieses Album aneignen und meine eigene Geschichte damit weben. Und das hat unglaublich viel Spaß gemacht! Im Gegensatz zu seinen vorherigen Projekten schrieb und spielte Ben Lukas Boysen alle Tracks alleine ein, keine Gäste, ganz pur. Ours, so heißt der erste Track. Könnte eine Musik sein, die im Elternhaus lief, oder? Eine satte Bassfläche, ein paar tänzelnde Töne darüber, es klingt sehr rund, sehr ausgewogen, harmonisch. Was lief wohl damals im Hause Boysen? Kraftwerk? Cluster? Can? Die Stärke dieses Tracks ist, dass die Töne immer intensiver werden, ein sehr kräftiges Crescendo, ein toller Start in diese Platte. Mass ist viel schneller, viel verwobener, antreibender. Sofort ist eine Bewegung da. Altrips Sportverein? Eine Tartanbahn? Ein hektischer Lauf aus Mannheim zurück nach Hause? Zwischendurch wird kurz durchgeatmet und dann geht‘s weiter! Abends rasen die Lichter an einem vorbei. Der Titeltrack ist sehr ausdrucksstark und untermauert eventuell meine Annahmen. Denn Alta Ripa ist sehr ruhig, sehr bedächtig, fast ein bisschen düster. Die Straßen sind leer, ein bisschen Sehnsucht liegt in den Menschen, aber es ist auch alles gut so wie es ist. Wie ein warmer Mantel umhüllt einen dieser Song. Aber nur so lange, bis Nox erklingt. Die Nacht. Sie ist wuchtig, dunkel, aber auch voller Energie. Ein Track, den ich sofort lauter stelle, da die Dynamik ansteckend ist. Hier wird getanzt, vielleicht ist es auch ein bisschen rau. Satter Bass donnert durch die Boxen. Vielleicht geht da doch was in dem kleinen Ort?! Ein tolles Stück! Vineta klingt sehr weltraumig. Es erinnert stark an die elektronischen Spielereien der 70er und 80er Jahre. Ist es ein Blick in die Sterne? Es klingt sehr offen, sehr freundlich, obwohl etwas Unbekanntes in den Melodien liegt. Wer mit solchen Tönen solche Bilder erzeugen kann, ist ein ausdrucksstarker Künstler. Auf der Hälfte des Tracks ist tatsächlich auch ein Summen zu hören. Herrlich mystisch, großartig arrangiert! Fama hingegen arbeitet mit vielen verschiedenen Klangebenen. Es ist viel direkter, griffiger, präsenter, unaufhaltsamer. Nach knapp fünf Minuten ist eine Pause zum Innehalten da. Sie tut gut, doch der Track könnte auch endlos weiter gehen, so viel Schönheit liegt darin.
Wie schön, dass der letzte Track Ours Forever heißt und die Melodie vom Anfang wieder aufnimmt. Das rahmt dieses großartige Album auf ganz phantastische, wenn auch einfache Weise. Alta Ripa ist ein umwerfendes Werk, es spricht mich enorm an. Die Arrangements sind zum großen Teil sehr weich, ja, gefühlvoll. Ben Lukas Boysen kann enorm gut mit Energie und Dynamik umgehen und diese Platte ist ein beeindruckendes Zeugnis davon!
21. Februar - München, Backstage
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