Donnerstag, 26. Januar 2023

Pascow - Sieben

Schweißtreibend: Pascow. Foto: Andreas Langfeld
(Ms) Um dieses Album passend zu erleben, sei eine sinnvolle Nebentätigkeit empfohlen. Doch Obacht bei der Auswahl! Sie sollte wenig auditive Ablenkung mit sich bringen und genügend Raum bieten, um Energie loszuwerden. Da ich nicht der geborene Jogger bin, aber letztens abends nochmal Bewegung brauchte, griff ich zu folgendem Mittel: Kopfhörer aufsetzen, um wenig Störgeräusche zuzulassen und dann losgehen. Ohne Richtung und ohne Plan und der Möglichkeit, immer weiter die Lautstärke aufzudrehen. Ein genauer zeitlicher Rahmen ist auch nicht notwendig, doch es sollten mindestens sechsunddreißig Minuten und fünfundzwanzig Sekunden zur Verfügung stehen. Dass es dunkel war, kam mir auch zugute, denn dann war noch mehr Hirnkapazität frei, um sich auf Sieben einzulassen, das neue Album von Pascow, das am 27. Januar erscheint. Bewegung ist gut beim Hören dieser Platte. Denn sie sucht sich automatisch ihren Weg. Es ist schwer, Sieben im Sitzen, Liegen, Sitzliegen zu hören. Denn die Energie, die Kraft, die Dynamik, der Druck, die Dichte und die unbedingt notwendige Lautstärke brauchen einen Kanal. Diese Platte muss erlebt werden.

Der enorme Sound geht bei der Band aus dem asozialen Saarland gepaart mit dem Text noch stärker durch Mark und Bein! Ganz neue thematische Akzente setzt diese Platte nicht. Muss sie auch gar nicht, da sich die Band seit vielen Jahren an Sachverhalten (im besten Sinne) abarbeitet, die immer wieder Wut, Zorn und Fassungslosigkeit auflodern lassen. Nur klarer sind sie im Songwriting geworden. Schneller verständlich. Doch nie und nimmer eingängig oder platt. Ganz grob würde ich die Lieder in zwei Kategorien einteilen. 1. Vor Zorn und Wut nach oben treten. 2. Aus Treue, Verzweiflung und Liebe mit denen ganz weit unten zusammen stehen. Und beides hängt sicherlich miteinander zusammen. Mich persönlich kickt die wutentbrannte Zerstörungslust der Eliten immer ein wenig mehr - bekanntlich aber alles Geschmackssache. Und insbesondere die gesellschaftspolitischen Lieder, sie sind unglaublich aktuell. Und sie sind ein Fingerzeig, dass harter, schneller Punkrock noch lange nicht tot ist und diese Band ist der Beweis, dass er es auch noch nie war.

Den Beginn macht ein treibender Bass, den nicht nur Flo spielt, sondern der sicher auch genauso von Kurt Ebelhäuser geplant war, der als Produzent die Stärken dieser Band herausragend kristallisiert hat. Himmelhunde ist der erste Track und ja, Sieben beginnt tatsächlich mit einem Liebeslied! Pascow würde ich nun nicht als Beispiel einer Storytellingband nennen. Doch Königreiche Im Winter ist ein tolles Beispiel, wie sie mit einer Geschichte eine Aussage verpacken. Die Flucht aus der von außen als ach-so-tolle Idylle wahrgenommene Zeit auf dem Land, wenn auf den Höfen und romantisch aussehenden Häusern das reine Familiengrauen lauert. Dann hilft es nur noch, einen Bund zu schließen und abzuhauen. Und dann wieder Gentrifizierung. Die Themen wechseln sich fast im Sekundentakt ab. Monde ist ein energisches Plädoyer für die widersprüchliche Stadtplanung. Es soll glatt und ranzig gleichzeitig sein. Das Ranzige soll in sein, irgendwie auf geile Art kaputt, doch vom Elend will man möglichst nichts sehen. So und nicht anders ist es. Man will schön unter sich bleiben und die, die es erbaut haben, sollen zusehen, sich dort nicht mehr zu zeigen.
Am liebsten würde ich über jedes Lied ausführlich berichten. Doch es lohnt ich so enorm, selber das Album lautstark mit den Texten daneben liegend zu erfassen. Ein paar Songs müssen aber noch erwähnt werden. Gottes Werk Und Teufels Beitrag ist ein schonungsloses Offenlegen, dass uns eigentlich kein globales Problem überraschen sollte. Wir haben von alledem gewusst. Seit 40 Jahren wird vorm Klimawandel gewarnt. Vor 30 Jahren haben sich Gemeinden vom Erdgas unabhängig gemacht und stehen momentan gut dar. Und, ach ja, Nazis sitzen ja auch bei uns im Parlament. Auch das keine Überraschung! Die Unsichtbaren behandelt die bitte Realität von Flüchtenden. Sie müssen gehen, da ihre Heimat bombardiert wird, Deutschland als lohnenswertes Ziel propagiert und wenn es halt schlecht läuft, landet man auf der Straße. Tja.
Klar. Das ist schonungsloser Punkrock. Doch ein paar Elemente sind auch neu. Wie die Geigen auf Mailand, die den letzten Anarchisten zum Geleit spielen, um den Kapitalismus und Nationalismus endlich glorreich zu begraben. Und bis zum Ende des Albums verbrüdert man sich mit denen, die die Eliten anzählen! Die letzten Worte von Vierzehn Colakracher sind nicht umsonst Fickt Die Elite.

Dann erstmal durchschnaufen. Sieben verlangt mir einiges ab. Weil es so kraftvoll und dicht ist. Die Wut bleibt, wenn sie nicht sogar steigt. Doch irgendwie lässt mich dieses Album auch glücklich zurück, da ich so viel davon unterschreibe. Als ob diese Band Gedanken und Gefühle von mir ausdrückt, die ich so noch gar nicht formulieren konnte. Kein Wunder, dass das live abgefeiert werden muss. Ihre Konzerte sind ein irres Erlebnis. Auch danach wird man fertig sein. Und glücklich. Was für eine überragende Platte!

01.02. Marburg, KFZ*
02.02. Jena, Kassablanca*
03.02. Erlangen, E-Werk*
04.02. Saarbrücken, Garage (ausverkauft)+
15.02. Reutlingen, Franz K (ausverkauft)°
16.02. Leipzig, Conne Island (ausverkauft)°
17.02. Hannover, Faust (ausverkauft)°
18.02. Hamburg, Markthalle (ausverkauft)°
19.02. Hamburg, Markthalle°°
25.02. Saarbrücken, Garage++
30.03. Bremen, Schlachthof^
31.03. Düsseldorf, Zakk (ausverkauft)^
01.04. München, Technikum^
02.04. Zürich (CH), Dynamo^
04.04. Karlsruhe, Substage^
05.04. Köln, Gloria^
06.04. Dresden, Tante Ju (ausverkauft)°°°
08.04. Berlin, SO36 (Zusatzkonzert) °°°
09.04. Berlin, SO36 (ausverkauft)+++













 

Dienstag, 24. Januar 2023

Live in Bremen: Fjørt

Nicht nur was für die Ohren. Foto: luserlounge
(Ms) Es hätte gut sein können, dass der große Turm am Bremer Schlachthof am Samstagabend eingestürzt wäre. Hätte. Denn die Gruppe Fjørt hat alles dafür getan! Was für ein irrer Ritt! Was für eine glückselige Dauerbelastung der Ohren und Augen. 

Im vergangenen Jahr hat das Aachener Trio sein neues Album nichts herausgebracht. Vorher hatte ich die Band gar nicht so auf dem Schirm. Finde es aber überaus sympathisch, sich auf Albumlänge deftig anschreien zu lassen. Hardcore kann auch ganz schön beruhigend sein. In den Charts sind sie sogar bis Rang acht geklettert und einige Shows ihrer aktuellen Tour sind zurecht ausverkauft. In den Bremer Schlachthof, praktischerweise direkt in Bahnhofsnähe gelegen, passen gut 1000 Leute. Es gab zwar noch Tickets an der Abendkasse, viele dürften es allerdings nicht gewesen sein, so gut wie das gefüllt war.
Den Auftakt macht das britische Duo ARXX. Die beiden ungeheuer sympathischen Damen spielen Alternative Rock und das ohne Scheu. Ein Cover von Cher beispielsweise?! Gar kein Problem! Kurzweilig war ihr Auftritt. Hanni an der Gitarre spielte mit allerhand Verzerrern, und Clara gab am Schlagzeug den Rhythmus vor. Das hat richtig Spaß gemacht und die Band wird sicher nicht das letzte Mal hierzulande getourt sein!
Und dann wurden gut 100 Minuten die Wände erschüttert! Fjørt sah ich zuvor noch nicht live. Ich mag an dieser Stelle schon festhalten, dass es sicher zu einer Wiederholung kommen wird. Da ich auch nur das aktuelle Album kenne, kann ich zu allen Liedern nicht sooo viel sagen. Das mag auch daran liegen, dass aufgrund massiven Brüllens nicht alles glasklar zu verstehen war. Doch das Publikum, insbesondere in den ersten Reihen war sehr textsicher. Eine enorme Energie, speziell zwischen dem Trio und den Leuten ganz vorne. Denn entweder singt ja Chris oder David. Wenn Chris singt, schreit, brüllt und David muss für ein paar Take mal nicht auf seinen Bass eindreschen, dann packt er sich die Menschen, geht mit ihnen eine Verbindung ein, sie schreien sich an, sind beieinander, Band und Fans werden eins. Ja, ich musste mal wieder feststellen: Je härter die Musik ist, desto lieber sind die anwesenden Menschen. Neben mir stand ein Kerl, irgendwas über vierzig, schleuderte sein Haar durch die Gegend und schaute immer wieder auf sein Handy, das ein zuckersüßes Bild seiner jungen Töchter zeigte. Hach, herrlich. Und vorne bebte die Bühne. Und nicht nur das. Die Band hat sich offensichtlich für diese Tour eine nachhaltig wirkende Lichtshow ausgedacht. Strobo, grelle Leuchten, Blitze überall. Das war kurz davor, anstrengend zu werden.
Irgendwie war ich zuletzt auf mehreren Konzerten von Bands, die ich gar nicht so gut kenne. Umso schöner, um ihren puren Kern, der live auftritt, wahrzunehmen. Fjørt sind doll, laut, grell, massiv, bebend, eine Macht. Und zeigen, dass da drei ganz normale Kerle auf der Bühne stehen, die einfach gerne mal rumschreien, wie scheiße sie Nazis finden beispielsweise. Gute Menschen! So kam kurz vor Ende eine Danksagung, die lieber und sanfter nicht hätte sein können. Das kam wirklich von Herzen. Dass da drei Typen stehen, die nie ihr Instrument gelernt haben und irgendwie auf Bühnen respektabler Größe gelandet sind, die Läden voll machen und zu den Fans eine intensive Bindung gestalten. Einfach schön!

Achtja: Der Turm am Schlachthof steht noch.

Samstag, 21. Januar 2023

KW 3, 2023: Die luserlounge selektiert

Bild: pngwing.com
(ms/sb) Ich könnte schon wieder kotzen! „RWE fordert Schadensersatz von Lützerath-Aktivisten“ heißt es heute in vielen Medienberichten. Wie widerwärtig kann ein Konzern eigentlich nur agieren?! Es gäbe leichte Sachbeschädigungen an Brunnen, Fahrzeugen und Schaltanlagen. Na und?! Das sollte für den Gierkonzern doch wirklich kein Problem sein, das eben aus der Portokasse zu bezahlen! Zudem steht im Raum, dass dem Bürgermeister der Ortschaft ein Disziplinarverfahren drohe, da er kein (!) Betretungsverbot für die Zone aussprach. Die FDP will das so. RWE und FDP. Da haben sich auch wieder zwei gefunden, die zusammen gehören. Von der Pflicht des Bürgers zum zivilen Ungehorsam spricht hier keiner. Die wollen sich alle nur gegenseitig ans Bein pinkeln, um am Ende des Tages mit erhobenem Haupt und Zeigefinger da zu stehen und sich die Taschen voll zu machen.
Und wirklich: Schachbeschädigung an einem Auto oder so. Darüber regen die sich echt auf?! Das ist doch nur ein oller Gebrauchsgegenstand und nichts, was wirklich wichtig ist. Eigentlich müsste man da nun mit tausenden antreten und aufgrund dieser Widerwärtigkeit denen die Rückspiegel abdrehen.

Genug aufgeregt. Es ist Wochenende. Es gibt tolle neue Musik! Lauscher auf hier für:
 
Schrottgrenze
(sb) Als ich Schrottgrenze Mitte der 90er kennenlernte, spielten sie ambitionierten Pop-Punk und punkteten vor allem durch die tolle Stimme von Sänger Alex Tsitsigias. So wirklich festgesetzt hat sich die Band in meiner Wahrnehmung aber nicht und so verlor ich sie komplett aus den Augen (und Ohren). Dadurch verpasste ich einige einschneidende Veränderungen: Aus Alex wurde Saskia, aus Pop-Punk wurde Indie-Rock und nun Power-Pop und aus einer Band wurde eine Ex-Band, die sich 2016 dann aber doch wieder zusammenraufte und seitdem wieder aktiv ist.

Das Universum ist nicht binär (VÖ: 10.02.) heißt das neue Album der Band, die seit 20 Jahren in Hamburg ansäßig ist und mit ihrem neuen Werk ihre "queere Trilogie" abschließt. Wie vorhin beschrieben, fehlen mir einige Dekaden in der Weiterentwicklung der Band, sodass ich etwas ganz anderes erwartet hatte. Mein erster Gedanke war folglich: Oida, muaß des sei? Wie weichgespült kann man werden?
 
Versteht mich nicht falsch: Wenn man dem Album unvoreingenommen entgegen tritt, dann ist es absolut hörbar, vereint durchaus einige Tracks mit Hit-Potential und wird auch live sehr gut funktionieren. Ich war nur nicht darauf vorbereitet...
 
 
Team Scheiße
(Ms) Ja, ich bin Fan geworden. Und das in einem rasanten Tempo. Vielleicht hat es nur eine Minute gedauert. Vielleicht auch weniger. Egal. Es hat mich direkt gepackt, die Kinnlade stand offen und ich hab es auch irgendwie nicht so ganz glauben wollen, als Team Scheiße im Sommer auf dem Appletree Garden spielte und alles zerlegt hat, was nur ging. Was für eine bekloppte Show. Was für eine wahnsinnige Band. Was für irre Texte und was für eine Heftigness (hab ich mir direkt mal vom Sänger geklaut). Endlich mal wieder ein richtig geiler, bescheuerter Hype. Der aber aufgehen könnte und mehr als eine Eintagsfliege ist. Der Erfolg gibt ihnen recht. Ihr zweites Album 042124192799 (Ja, das ist der einprägsame Titel) ist noch nicht mal draußen und zahlreiche Shows der kommenden Tour sind bereits ausverkauft. Falls noch wer zwei Tickets für den Gig in Bremen hat, nehme ich sie gerne ab! Das ist Punkrock mit Gaga und Haltung, der komplett in die Magengrube geht. Kompromisslos, stabil, unzerstörbar. Über Schmetterling muss man gar nichts schreiben, dieses Lied steht für sich, dauert eine Minute und vierundvierzig Sekunden und wer danach nicht auch Blütenstaub am Mund haben will, dem ist wirklich nicht zu helfen:


Niklas Paschburg
(Ms) Ja, oft haben wir hier propagiert, dass es keine Genregrenzen für uns gibt. Bis auf, das was eh ausgeschlossen ist (Schlager oder so ein Schmarn). Mit einem Stil hadere ich jedoch auch ein wenig. Er catcht mich nur bedingt und ich habe die leise Vermutung, dass die Hochzeit des Techno auch länger vorbei ist, wissen tue ich es jedoch nicht. Nun wird mir eine Spielart, die den Techno nutzt, immer zugänglicher. Weil sie in meinen Ohren genialer ist. Ausgetüftelter. Überlegter. Nicht so brachial. Melodischer. Raffinierter. Es geht um die Verbindung von analoger und elektronischer Musik. Beispiel Grandbrothers: Aus dem Klavier extrem basslastige und tanzbare Musik machen. Unfassbar genial! Vergleichbar dazu ist die Musik von Niklas Paschburg. Auch hier steht das Klavier im Vordergrund, dazu gesellen sich allerhand Rhythmen. Und immer wieder holt er sich Gastsängerinnen dazu. Für die erste Single seines neuen Albums Pantha Rei (17. März) unterstützt ihn lùisa. Dark Side Of The Hill entwickelt sich ganz ganz großartig. Es schleicht sich erst dezent an, doch im Grundtempo steckt schon viel Drive. Und dann geht es über die gut viereinhalb Minuten immer dichter zur Sache. Es wird extrem tanzbar und sehr harmonisch. Eine ungeheuer gute Kombination und Komposition! Insbesondere live kann ich mir das sehr gut vorstellen, da kribbelt es in den Füßen und diese Spielart des Techno packt mich ordentlich! 


Accidental Bird
(Ms) Was für eine Reise. Was für Wege, die sich drehen, kurvig, manchmal vielleicht sogar steinig und schwer zu passieren sind. Wege enden oft und das ist dann tragisch. Doch manchmal tut sich dann ein neuer auf, auf dem es frohen Mutes weiter geht. Vielleicht nicht genauso wie zuvor, aber es geht weiter. Und das ist gut. Muss es ja auch. Welche Entscheidungen und Gründe für Stefan Honig wichtig waren, dass es das Projekt, das auf seinen Nachnamen hörte, nicht mehr gibt, weiß ich nicht. Aber ich habe es sehr gemocht, oft live gesehen und die Energie auf der Bühne immer bewundert. Das war oft ganz schön groß. Ebenso wie die Tour Of Tours, die ich mir endlich wieder herwünsche! Nun hat Stefan Honig eine neue Band, oder eher ein Soloprojekt, das Accidental Bird heißt. Ah, vielleicht kamen hier einige Zufälle zusammen. Am 21. April erscheint beim Grand Hotel Van Cleef seine erste Platte Namens The Old News Shrug. Große Änderungen zum vorherigen Klang gibt es nicht. Es bleibt melodischer Indiepop mit großen Tönen und herrlichen Zeilen, die immer wieder zum mitsingen einladen. Das könnte ganz schön schön werden! Und ich wünsche ihm sehr, dass es mindestens so lang wie Honig bestehen bleibt! Im Mai geht es auf Tour, die Daten kommen sicher demnächst!


Donnerstag, 19. Januar 2023

Live in Oldenburg: AB Syndrom

 

Schlechtes Bild, super Abend. Foto: luserlounge
(Ms) Einfach mal auf Konzerte gehen. Nicht zu hundert Prozent wissen, was einen erwartet. Nur mit einer groben Ahnung, ein bisschen Offenheit, was den Klang angeht und der Bereitschaft, sich fallen zu lassen. Und schon steht man bei AB Syndrom in der Oldenburger Umbaubar und genießt einen energiegeladenen Abend! So geschehen am vergangenen Freitag.

Okay. Der persönliche Plan war ein bisschen anders. Oder: Ganz anders. Eigentlich war nämlich angedacht, übers Wochenende nach Hamburg zu fahren, um Staring Girl live zu sehen. Klar, komplett andere Musik. Aber es war aus diversen Gründen einfach nicht möglich. So begann die Suche nach einem kleinen Trostpflaster und das tat sich auf. Und am Ende des Abends war es gar nicht mehr „nur“ die Alternative aus lauter Musiknarrei, sondern ein beeindruckendes Ereignis! Okay. Gänzlich unbekannt war mir AB Syndrom auch nicht. Zum Einen ist da das irre Spiegelbild mit Mine und zum Anderen habe ich damals in der 2020er Album Frontalcrash aufmerksam reingehört. Doch wirklich verfolgt habe ich das Duo leider nie.

Oldenburg am Freitagabend also. Es hat in Strömen geregnet, doch egal. Das Ziel war die Umbaubar, die zum Glück wieder geöffnet hat. Sie fiel einem Brand fast zum Opfer, doch es ist ein toller Pilgerort fürs Nachtleben der Stadt! Ein kleiner Laden, der in einer kleinen Großstadt das Livegeschehen gehörig nach vorne bringt.
Jacke abgegeben und gemerkt: Mist, da läuft ja schon was. Ja, Bastice saß auf der Bühne und sag bereits. Ein Freund der Band, der seit kurzer Zeit erst selbst musiziert und den geschätzten 70 bis 80 Besuchenden ein paar Lieder auf der Gitarre vorspielte. Wunderbare Stimme, ein harmonischer Mix aus Englisch und Deutsch, viel Herz und ein ganz weicher Klang. Ich mag es, wenn die Vorband sich klar vom Act danach abgrenzt, es muss ja keine Kopie vorher aufspielen.
Die Bühne ist nicht nur klein, sondern auch wahnsinnig niedrig, der Draht zum Punklikum unmittelbar. Das Konzert sollte schon Ende letzten Jahres stattfinden, jetzt war es endlich soweit und Bennet Seuss und Anton Bruch spielen! Und wie! Sie spielen elektronischen Pop mit und ohne Autotune. Damit sprechen sie ein junges, studentisches, weibliches Publikum an, die auch die Mehrheit der Gäste bildete und zum Teil beeindruckend textsicher war! Es tut mir leid, dass ich zu den einzelnen Liedern so wenig schreiben kann, da ich sie nicht kenne. Aber sie haben mich tanzen lassen. Sie haben den Schalter so umgelegt, dass ich mich hab fallen lassen können. Hach, tat das gut! Hach, sind die unfassbar sympathisch! Klar, als erstes schaut man Seuss ohne Unterlass auf seine geilen in orange leuchtenden Augenbrauen und Haare! Doch viel wilder war, was Bruch am Schlagzeug hinlegte. Diverse Drumkit-Elektro-Elemente bediente er gleichzeitig zum analogen Rhythmus! Und wie tiefenentspannt er dabei aussah! Irre! Rampensau und Metronom haben sich extrem gut ergänzt. Von den poppigen Tanznummern bis zum basslastigen Geschepper! Das ging extrem gut auf, hat sehr, sehr viel Spaß gemacht!
Wuchtig ging es daher, auf jeden Fall. Unterstützt wurde dies durch einen ganz penetranten Trick! Hinter den beiden stand auf der Bühne ein großer, weißer Quader, der wohl mit den Sounds gekoppelt war und irre hell aufleuchtete. Das flackerte erst die Bindehaut weg, dann hat es super Spaß gemacht! Noch genialer: AB Syndrom nutzen keine vorgefertigten Samples, sondern spielen alles live! Das ist Kunst! Das geht auf! Der spontane Ausflug hat sich irre gelohnt! Große Empfehlung! 

Samstag, 14. Januar 2023

KW 2, 2023: Die luserlounge selektiert

Quelle: pngegg.com
(sb/ms) Endlich wieder auf Konzerte gehen. Ich habe so Bock, es tut mir so gut, ich mag es so extrem, mich im Moment zu verlieren, zu spüren, was wie wann und wo passiert, wie die Band mit dem Publikum interagiert, welche Stimmung aufkommt und Gefühle entstehen. Es ist meine allerliebste Freizeitbeschäftigung! Na klar, sie hat einen Preis. Und der ist ziemlich klar zu benennen. Und er steigt. Er steigt für einige Menschen so, dass eventuell auf Kurz oder Lang Kultur ein Luxusgut wird. Und das darf es nicht sein. Es geht um Kunst und Gefühle und die darf man nicht monetär ausbeuten. Und genau das passiert auf exorbitante Weise, wie diese kleine und sehr gute Reportage von Arte zeigt. Dabei geht es insbesondere um den Konzern Ticketmaster und wie er den KundInnen das Geld aus der Tasche zieht. Das Stichwort lautet „Dynamic prizing“. Heißt: Je höher das Interesse einer Veranstaltung ist, desto höher steigt der Preis beim Vorverkauf. Und dieser Preis kann sich sehr schnell, dynamisch also, ändern. Diese Menschen gehen an die Schmerzgrenze und weit darüber hinaus, schaut euch das an. Und ein Punkt, ganz am Ende ist entscheidend. Die Bands haben ein Mitspracherecht. Wenn Coldplay, Taylor Swift und Bruce Springsteen sagen, dass das so okay ist, dann machen die das auch. Die KünstlerInnen könnten auch vertraglich festhalten, dass das Ticket 50€ kostet und fertig. Tun sie aber nicht.

Nodfeld
(Ms) Das sind zähe Tage, wenn man nach draußen guckt, oder? Ich wollte bei diesen absurd milden Temperaturen für diese Jahreszeit schon mein Rennrad wieder fit machen und Runden drehen. Doch dieser bescheidene, anhaltende Nieselregen macht mir einen Strich durch die Rechnung. Hier im Norden stürmt es auch ohne Unterlass. Was tun also? Klar: Große Teekanne aufgießen und es sich zu Hause gemütlich machen. Ich lese momentan wieder viel, das passt alles sehr gut zusammen. Und für die absolute Ruhe, Entspannung und für einen gewissen Grad an Andacht gehört die passende Musik. Die liefert Nodfeld. Das ist das aktuelle Projekt von Alex Dittmer, der eigentlich seit langer Zeit im Techno unterwegs ist. Doch (ich prognostizierte es letzte Woche) Corona machte alles anders. Er zog Ideen aus dem Klavier, dem ganz sanften Synthesizer und dem Kontrabass (wow!). Dabei herausgekommen sind zehn kleine Stücke, die irgendwo zwischen Hania Rani und Martin Kohlstedt angesiedelt sind. Teilweise sehr ruhig und dann wieder auflebend, durchaus treibend. Off ist ein kleines, immens schönes Album geworden, das nicht zu lange dauert, um es ständig hören zu können. In Gänze natürlich, anders ergibt diese Musik für mich keinen Sinn. Die ruhige Kraft der Musik, sie glänzt hier ganz wunderbar!


Gaz Coombes
(sb) Da schau her! Nun hat Gaz Coombes solo endlich geschafft, was ihm mit seiner ehemaligen Band Supergrass nie gelungen war: mich über eine komplette Albumlänge hin zu überzeugen! Zwar ist Turn The Car Around (VÖ: gestern!) bereits seine vierte Solo-Scheibe, doch erst jetzt dringt der Brite so richtig zu mir durch und berührt mich über einen längeren Zeitraum mit seiner Musik.
 
Sein neues Album fängt das moderne Leben mit all seinen Höhen und Tiefen ein - klingt anstrengend, muss es aber nicht sein. Im Gegenteil: Es kann tanzbar sein, zum Nachdenken anregen, aber auch Freude verursachen. Ein wundervoller musikalischer Jahresauftakt!


Rantanplan
(sb) Nach dem ersten, oberflächlichen Anhören dachte ich mir: "Scheiße, was ist nur aus denen geworden? Die waren doch mal so geil und jetzt so ein mieser Klangbrei..." Gott sei Dank habe ich mir tags darauf noch 2-3 Durchläufe genehmigt, diesmal mit deutlich mehr Aufmerksamkeit und siehe da: Das Resümee ist ein komplett anderes! Rantanplan knüpfen mit Ahoi (VÖ: 24.02.) an ihre Anfangszeiten an und veröffentlichen ihr bestes Album seit Samba - und das ist schlanke 23 Jahre her...
 
Nachdem der ursprüngliche Entwurf der Scheibe deutlich düsterer und negativer ausgefallen war als geplant, machten sich Torben Meissner und Konsorten nochmal an die Arbeit und das Ergebnis lässt sich sehen und vor allem hören. Wunderbarer Ska-Punk, pointierte Texte und die Aussicht auf schweißtreibende Konzerte - was will man mehr?

Live:
 
13.01. Frankfurt, Nachtleben
14.01. München, Backstage
23.02. Berlin, SO36
24.02. Essen, Don't Panic
25.02. Hamburg, Markthalle
24.03. Weinheim, Café Central
25.03. Köln, Live Music Hall
21.04. Göttingen, Musa
29.04. Wien (AT), Arena


Pascow
(Ms) Es dauert nicht mehr lange. Dann ist es so weit. Ende des Monats. Zwei Wochen noch. Ich bin so unverschämt heiß auf diese Platte. Ich darf auch schon reinhören, verrate aber erst in den kommenden Tagen mehr. Gott, macht das Bock! Seitdem ich Pascow für mich entdeckt habe, lässt mich diese Band nicht mehr los. Im Gegenteil. Ihre Lieder laufen bei mir rauf und runter und bringen mich stets enorm nach vorne. Dieser Tage bin ich morgens gar nicht aus dem Bett gekommen, habe fast die ganze Woche schlecht geschlafen, doch wenn morgens beispielsweise Mailand läuft, bin ich wach. Noch vor dem ersten Kaffee. Selten war die Band so klar wie auf den aktuellen Liedern. Und das macht es mir noch reizvoller, denn die Dynamik ist noch viel dichter, noch viel geballter. Wenn sie vom Niedergang der der Staaten und dem Aufbäumen der letzten Anarchisten sprechen, und in Lützrath werden die Häuser niedergerissen, damit sich ein Konzern die Taschen füllen kann, dann machen Pascow genau die Musik, die es aktuell braucht. Ende Januar erscheint ihr Album Sieben und es wird eine Wucht. Versprochen!

Sonntag, 8. Januar 2023

Staring Girl - Schräg Fällt Das Licht

Foto: Sebastian Madej
(Ms) Auf keinen Fall sollte man diese Band unterschätzen. Man sollte nicht sagen: „Ach, das ist ja ganz nette Indiegitarrenmusik, aber das habe ich ja schon zulänglich gehört. Die schreiben über das Leben, den Herzschmerz, die großen Themen. Ja, das kennt man ja schon seit elendig langer Zeit.“

Und genau das stimmt nicht. Klar, die Themen sind größtenteils bekannt, das ist ja auch mehr als legitim, da sich manche Geschichten auch gar nicht auserzählen lassen. Doch bei dem, was Staring Girl machen, gibt es einen großen Unterschied. Und das zeigt sich schon im Namen der dritten Platte: Schräg Fällt Das Licht. Woher und wohin, mag man sich fragen. Was ist in dem Bereich zu sehen, der nun ausgeleuchtet wird? Und was ist daneben, in der Finsternis? Was Steffen Nibbe - Sänger, Texter und Kopf der Gruppe - schon in den Liedern zuvor extrem gut gelang, und wo er nahtlos dran anknüpft, ist, dass er dem Hörenden Perspektiven anbietet. Mal den eigenen Standpunkt, den eigenen Blickwinkel verlassen und die gleiche Szene schräg verschoben begutachten. Das ist ein Charakteristikum, das sich schon durch viele Texte zieht. Und das Wunderbare daran ist, dass es nie aufdringlich oder gar programmatisch ist. Es ist ein leichtes an-die-Hand-Nehmen mit einer Einladung versehen, doch mal kurz die Perspektive zu ändern. Aber nicht im Sinne dieses raus-aus-der-Komfortzone-Quatsch.

Wenn Steffen Nibbe über Menschen singt, aus der Ich-Perspektive oder als Erzähler, dann sind es oft scheinbar gewöhnliche Geschichten, die sich auftun. Scheinbar. Denn dann dreht sich der Betrachtungswinkel leicht und das Licht fällt schräg und so beginnt diese tolle Platte! Menschen In Geschichtsbüchern ist das erste Lied und es geht unsagbar sanft und harmonisch los. Ein Lied, in dessen Melodie man sich reinlegen will. Genau wie die Protagonistin, der Zeit völlig egal ist. Einfach im Moment sein. Und gar nicht aus Entschleunigungsgründen oder sonst einem Antistressprogramm. Sondern einfach nur, um das zu genießen, was sich einem auftut. So einfach, so herrlich kann es sein. Titel wie Die Liebe Ist Von Allem Das Größte ziehen aus meiner Sicht wenig Aufmerksamkeit auf sich. Es klingt doch ein bisschen beliebig. Doch genau da kann man sich täuschen. Denn wenn nach diese Zeile „und wenn sie endet auch“ kommt, dann wird es eben hart. Und genau das unterstreicht auch die Musik dieses Liedes. Ein Song, der beharrlich nach vorne treibt, dem die Dramatik ab dem ersten Takt anzumerken ist. Genial gemacht. Ein Lied, auf dem der Klang der Gruppe sehr gut zu erfühlen ist, ist der Titeltrack. Entspanntes Schlagzeug, tanzende Gitarre, warmer Bass, sehr dichter Klang und darüber die nächste schöne Geschichte. Es ist ein Stück, das auf ganz unterschwellige Weise mitreißt, auch mit einzelnen Zeilen („Ach ist das schön“, „Ich will ab jetzt immer nur mutig sein - und verliebt“). Das, was mich immer an Musik so fasziniert ist, dass es oft das Unaussprechliche ist, was in den Bann zieht. Dieses Stück brilliert in diesem Punkt. Viele Texte sind eine klare Geschichte. Andere ein bisschen fragmentarischer, wie Weiter Geradeaus. Ein Stück, das gar nicht viel will, nur halt nicht einen Abend beenden. Auch wenn der Weg heim noch so lang ist, einfach weiter gehen, zusammen bleiben, genießen, was ist. Dazu gesellen sich Marimbaphon und Posaune. Herrlich! Das ist ungeheuer gut arrangiert und macht sehr viel Freude! Auch Schweben ist musikalisch so klasse gemacht. Es beginnt schleppend und ernst, dann erhellen Streicher die Stimmung und drehen somit erneut die Perspektive. Das Fragmentarische einiger Lieder hat einen tollen Vorteil, denn dann bleibt oft alles ein wenig im Unklaren. Das heißt, uns Hörenden wird die Möglichkeit gegeben, das Lied anzueignen. So beispielsweise beim gitarrendominanten Licht Im Flur. Ja, diese Band darf auf keinen Fall unterschätzt werden. Neben den aufgeführten Punkten der textlichen Perspektive, sind es auch die musikalischen Facetten. Klar, hart wird diese Band nicht, aber sie kann durchaus einen Zahn zulegen. Von den sanftesten Akustikgitarrentakten geht es bis zum wummernden Sound. Um dies zu entdecken, braucht man auch ein wenig Zeit, gut 52 Minuten Spielzeit hat das Album und immer wieder gibt es etwas Neues zu entdecken! Und so hat jedes der 13 Lieder nicht nur seinen ganz eigenen Charme, seine eigene Wärme und seine eigene Geschichte. Sondern halt auch die eigene Perspektive, durch die eine Situation gesehen wird. Im Grunde genommen alles Gegebenheiten aus dem Alltag, nur schräg verschoben.

Das ist nicht nur der Verdienst von Texter Nibbe, sondern die ganze Band trägt dieses wundervolle Unterfangen. Lennart Wohlt am Schlagzeug, Frency Suhr am Bass, Gunnar Ennen an der Gitarre, genauso wie Jens Fricke. Staring Girl ist eine kleine Band, die viel zu sagen hat! Da sie selten live spielen, sollte man die Möglichkeit ergreifen. Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen: Hin da!

13.01 - Kiel, Hansa48

14.01 - Hamburg, Knust

04.02 - Langenberg, KGB



Live in Wilhelmshaven: Sarah Walk, Adam Barnes und Joe Hicks

Alle drei spielen zusammen. Foto: luserlounge
(Ms) Das Jahr ist zwar neu, aber ein paar alte Probleme bleiben halt. Und dazu gehören die schleppenden Kartenvorverkäufe, insbesondere für kleine Bands oder KünstlerInnen. Einige denken bestimmt mehrmals nach, ob es sich lohnt, auf Tour zu gehen. Das Nullsummenspiel ist fast schon Standard, aber draufzahlen aus der eigenen Tasche muss ja nicht zwingend sein.
Was also tun, um dennoch der eigenen Leidenschaft nachzugehen und anderen Leuten die eigenen Lieder vorzuspielen? Vielleicht ist die Lösung ganz einfach: Man tut sich zusammen und bespielt gemeinsam die Bühnen! Umso besser, wenn diese Idee nicht aus Not, sondern aus freundschaftlichen Gründen entspringt. Dann macht alles halt auch umso mehr Freude! Vielleicht war das der Grund, wieso Sarah Walk aus den Staaten und die beiden Engländer Adam Barnes und Joe Hicks momentan auf kleiner Deutschlandtour sind. Egal, was ihre Motivation ist, es geht ganz hervorragend auf.
Für einige Termine sind sie hierzulande unterwegs. Nach Gigs in Berlin und Hamburg landeten sie am Samstag in Wilhelmshaven. Zugegebenermaßen ein etwas ungewöhnlicher Ort auf so einer Reise. Umso besser jedoch, dass nicht immer dieselben Städte bespielt werden. Abgesehen von Bremen gibt es auch nicht so viele Orte im Nordwesten, die regelmäßig auf Tourkalendern erscheinen, manchmal sind dort noch Emden, Leer oder Oldenburg zu finden. Wilhelmshaven ist trotz der schönen Lage direkt am Wasser gar nicht mal so schön, umso besser, dass die drei ganz feine Musik an diesen Ort gebracht haben. Ins Pumpwerk. Was für ein toller Laden! Ein Kulturzentrum, das seit fast 50 Jahren betrieben wird. Der industrielle Charme ist immer noch vorhanden, hervorragend. Gut 50 Leute kamen dort hin, um einen nahen, unterhaltsamen, schwungvollen Abend zu erleben.
Den Anfang machte Sarah Walk am Klavier. Sie spielte vor allem zarte, sehr persönliche Lieder. Und während sie so alleine an den Tasten saß, fiel mir mal wieder auf, die nackt sich KünstlerInnen auf der Bühne machen, wenn sie solche Lieder singen. Dann stehen völlig fremde Menschen vor ihnen und lauschen in ihr tiefstes Inneres. Dazu gehört verdammt viel Mut, um emotional so offen zu sein. Wenn Sarah Walk davon singt, wie sehr sie eine Liebe belastet hat. Oder wenn sie sich nach einem Ich sehnt, dass sie sich für sich wünscht aber nicht ganz im Klaren ist, ob es erreichbar ist. Das ist schon bemerkenswert. Und vor allem sehr schön, sehr harmonisch sind ihre Lieder, sanft aber dennoch von ungeahnter Kraft! Und da sie den Abend nicht alleine gestaltete, gesellten sich für ein paar Lieder Joe Hicks und Adam Burnes mit hinzu.
Letzterer spielte danach seine eigenen Lieder. So lief der Abend. Jeder kam zur Geltung, spielte die Eigenkompositionen und ließ sich immer wieder von den anderen unterstützen. So wie Freude das halt machen. Der bärtige Gitarrist hat den emotionalen Aspekt ein wenig hinter sich gelassen und einige durchaus unterhaltsame Lieder gespielt. Über den Hund seiner Freundin oder wie schwer es ist, in Frankreich ein Haus zu kaufen. Er präsentierte einen unfassbar sympathisches Set mit feinem Gitarrenspiel und einer tollen, markanten Stimme. Auch er spielte dann wieder mit Hilfe der anderen und sie entwickelten gemeinsam viel Spannung, tolle Konzertmomente.
Als letztes des rund zweieinhalbstündigen Abends spielte Joe Hicks seine Lieder. Er nutze dazu ein paar Bandsounds auf Knopfdruck, die die sehr aufmerksamen Besucher zum schwingen brachten. Das muss festgehalten werden: Das Publikum war toll! Es war zwischenzeitlich so still, dass alle Lieder tatsächlich einen Raum bekamen, in dem sie wirken konnten. Das ist nicht immer zu finden. Am Samstag jedoch in Wilhelmshaven! 

Das war ein wirklich toller Abend. Sehr stimmungsvoll. Drei MusikerInnen, die ihren eigenen Stil haben, klar voneinander zu trennen sind und sich gegenseitig phantastisch ergänzt und unterstützt haben! Ja, ich kannte alle drei vorher nicht und vielleicht geht es Euch ja auch so. Ganz egal. Geht da unbedingt hin, es wird ein enorm lohnenswerter Abend sein!

08.01.23 - Hannover, Kirche Alt-Garbsen
10.01.23 - Göttingen, Nörgelbuff
11.01.23 - Bielefeld, Die Hechelei
12.01.23 - Köln, Die Wohngemeinschaft
13.01.23 - Karlsruhe, Nun Café
14.01.23 - Kassel, Goethe´s PostamD






Freitag, 6. Januar 2023

KW 1, 2023: Die luserlounge selektiert

Quelle: pngwing.com
(Sb/ms) Frohes und gesundes Neues allerseits! Ein neues musikalisches Jahr beginnt und es beginnt schon mal ein wenig besser als das Letzte. Da ging um diese Zeit gar nichts, da waren Konzerte noch sehr weit entfernt. Viele MusikerInnen waren jedoch recht aktiv und haben die „freie“ Zeit genutzt, um an Neuem zu arbeiten. Einiges durften wir davon bereits hören. Ich gehe mal davon aus, dass es noch Corona-Lieder gibt, die uns noch erfreuen werden. Ja, Konzerte und Festivals sind wieder möglich. Doch es ist immer noch keine große Leichtigkeit für kleine oder mittlere Bands gegeben, guten Gewissens eine Tour zu buchen. Natürlich werden Rammstein, Die Ärzte und Die Toten Hosen auch in diesem Jahr vor ausverkauften Häusern oder Arenen stehen. Doch die kleine Neugründung aus Buxtehude wird es immer noch sehr schwer haben. Nein, ich nehme mir für neue Jahre nie was vor, es läuft ja alles ganz gut. Aber vielleicht mal das ein oder andere Ticket einer Combo holen, die man nicht kennt. Einfach hingehen. Könnte ja durchaus gut werden. Doch bevor wir auf neue Musik schauen, sind hier drei Platten, die letztes Jahr erschienen sind, bei uns aber (meist aus Zeitgründen) nicht zur Geltung kamen. Das holen wir hiermit nach. Ab geht‘s!

Fortuna Ehrenfeld
(Ms) Man muss es so glasklar festhalten: Diese Band hat trotz Coronabeschränkungen sicherlich alles an Auftritten mitgenommen, was geht. Denen ist kein Kilometer zu weit, keine Spelunke zu suspekt. Hauptsache die Menschen vor und hinter und neben der Bühne sind gut drauf und man kann sich wohlfühlen. Selbst ein Strandkorbkonzert von Fortuna Ehrenfeld in Wilhelmshaven, wo sonst wirklich nicht viel los ist, habe ich mitgenommen. 2021 kam ein neues Fortuni-Album raus und dennoch gab es reichlich Ideen in Martin Bechlers Kopf. Also saß er am Klavier und haute raus. Eigentlich so wie immer nur halt alleine. Solo I hieß dementsprechend auch die Platte, die er ganz alleine veröffentlichte. Und ja, sie klingt ganz anders als die Bandalben. Viel zarter, viel zerbrechlicher, ich würde auch sagen, dass es bisher die persönlichste Scheibe ist, die Martin Bechler aufgenommen hat. Das liegt auf der einen Seite an der sehr reduzierten Instrumentierung. Manchmal nur Gitarre oder Klavier. Manchmal alles mit ganz, ganz sanftem Rhythmus dazu. Ansonsten ist daneben nur seine Stimme zu hören. Woher seine Ideen kommen, bleibt für Außenstehende natürlich nur Spekulation, aber ich vermute einfach mal, dass die Inspiration für diese Lieder ein wenig näher am Herzen lag als von vorherigen Stücken. Es sind Geschichten aus Köln, aus der Nacht, vom Alleinesein, Geschichten, die aus dem Unterwegssein aufploppen und ein musikalisches Gewandt suchten. Das ist wirklich wunderschön, nicht ganz so gaga und drüber wie die letzte Fortuna-Scheibe, sondern ein wenig klarer, phasenweise einfacher zu durchdringen. Doch die Zartheit und Zerbrechlichkeit darf selbstredend nicht die Überhand gewinnen. Ein bisschen Bescheuertheit muss sein, der beste Beweis ist Bohemian Rhapsodie. Herrlich, Bekloppt. Wunderschön!


Lambchop
(Ms) Bestimmt 15 Jahre lang verfolge ich schon diese Band. Oder besser gesagt: dieses Projekt. Man muss festhalten: Aus der Band Lambchop wurde immer mehr das Projekt Lambchop, mit dem sich Kurt Wagner ausprobiert hat. Aus dem großen Bandsound mit vielen, vielen Beteiligten wurde eine elektronische Findungsphase und jetzt ist er an einem Punkt angekommen, wo beides auf bestmögliche Art zusammen kommt. The Bible hieß die Scheibe, die vergangenes Jahr erschien. Und im Booklet ist auch zu lesen wieso: Die Anzahl an Mitmusizierenden hat schlicht biblisches Ausmaß. Ich bin ganz froh, dass die Autotune-Phasen nicht mehr so krass sind, und wenn sie auftauchen, sind sie hervorragend in das jeweilige Lied eingebettet. Ja, dieses Album ist wirklich groß, unglaublich vielseitig. Einige Lieder sind textlich gaga. Andere sind ganz, ganz zart und minimalistisch instrumentiert. Andere wiederum sind fast ausufernd. Fast. Denn die Lieder, die ein wenig opulenter arrangiert sind, sind total harmonisch. Alles ist möglich mit diesem Album. Man kann sich still zurückziehen und den feinen, sanften Melodien frönen, oder aber tanzend durch die Bude schweifen oder kopfnickend durch die Landschaften fahren. Ja, es sind viele verschiedene Facetten zu hören. Doch zu keiner Stelle kommt der Eindruck auf, dass das Stückwerk ist, keineswegs. Ein roter Faden ist in jedem Fall zu erspüren. Eine tolle, sehr warme Platte. Und ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn er mit diesen Liedern in diesem Jahr hier auf Tour gehen würde!


Voodoo Jürgens
(Ms) Erst Anfang Dezember kam diese wundervolle Platte auf dem Markt. Ab und an habe ich während der Feiertage über meine liebsten Alben des Jahres nachgedacht. Es war gar nicht mal so leicht, doch Wie Die Nocht Noch Jung Wor von Voodoo Jürgens ist auf jeden Fall dabei. Natürlich liegt das überwiegend an seinem herrlichen Ösi-Polka mit den abgefahrenen Geschichten, diesen unglaublich unterhaltsamen Erzählungen. Aber auch die sanfteren, etwas leiseren Lieder haben eine große Strahlkraft. Sie sind natürlich ein wenig weiter weg von der Tanzfläche, haben ihre Stärken ganz woanders. Oft las man schon Vergleiche von Voodoo zu Tom Waits. Das habe ich lange Zeit nicht so ganz verstanden, mit dieser Platte jedoch in vollem Ausmaß. Klar, an Tom Waits kommt niemand ran, musikalisch und vor allem stimmlich nicht. Doch ich vermute, dass der Vergleich sich um die zunehmend unkonventionelle Art des Musizierens dreht. Bei Voodoo Jürgens muss nicht alles astrein und sauber und steril eingespielt sein. Hier darf es knarzen und wackeln und verstehen muss das eh niemand. Das ist eventuell auch gewollt. Am meisten kommt der Vergleich jedoch bei den kleinen gesprochenen Stücken zur Geltung. Auf diesem Album geht es hierbei um den Mietmarkt. Auch das natürlich unterhaltsam aber eben so bitter dargelegt, wie die Realität nunmal ist. Stücke wie Twist oder Es Geht Ma Ned Ei gehen natürlich astrein ins Ohr und bleiben gegebenenfalls länger dort. Doch auch das tragische Federkleid (samt tollem Video und von Voodoo als Herzstück des Albums proklamiert) oder das unsagbar schön melodische Fost Wie Ans bestechen ganz enorm. Sein großer Vorteil ist, dass er sich mit seiner Musik ein starkes Alleinstellungsmerkmal erschaffen hat. Mit Austropop hat das nichts zu tun. Und das ist gut so, das hier ist etwas ganz eigenes. Etwas, das man selten findet. Ein Glück, dass es so brillant ist!

Mittwoch, 4. Januar 2023

Live in Bremen: Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen

Sehr nett! Foto: luserlounge
(Ms) Genauso wie die Weihnachtszeit mit vielen Traditionen behaftet ist, so ist es die Zeit danach auch. Zwischen den Jahren. Irgendwie ja ein komischer Begriff. Aber mit wird immer klarer, warum das so heißt. Oft bin ich in diesen Tagen völlig verwirrt, erzähle von Dingen aus dem aktuellen, spreche aber vom vergangenen Jahr. Herrje, man kommt ja völlig durcheinander. Da braucht der Mensch Halt. Und den findet er bei den jährlichen Konzerten von Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen, die vom 27. bis 29. Dezember in Bremen, Hamburg und Berlin spielen. Das ist Tradition. Und die macht Spaß. Insbesondere wenn das endlich wieder möglich ist. 2020 war das sowieso unmöglich. Letztes Jahr sah es noch knapp danach aus, dass das was wird. Tja. 2022 dann aber endlich wieder!

Und so kamen die Menschen in bester nachweihnachtlicher Stimmung am 27. nach Bremen gepilgert, durchs Viertel direkt zum tollen Lagerhaus. Das ist einfach ein extrem sympathischer, freundlicher, schöner Ort für Konzerte. Eine Location, die mit einem sehr vielseitigen Booking brilliert. Nur ein Manko gibt es und das liegt auch ein wenig an der Stadt. Die Bierauswahl ist mies. Entscheiden kann man sich zwischen Jever, Haake Beck oder Beck‘s. Grrr. Das macht wenig Spaß. Das sei aber egal, wenn die Stimmung gut ist. Und das war sie an diesem Abend.
Es war nicht ausverkauft, aber gut besucht und gegen halb neun betrat Carsten Friedrichs die Bühne, um die zweite Band des Abends anzukündigen. Sie hat einen sehr guten Namen: Die Zärtlichkeit. Das Quartett aus Köln bestach nicht nur durch eine sehr ungleichmäßige Haarverteilung unter den Mitgliedern, sondern auch durch sehr entspannte Indiemusik! Verspielte Gitarre, vielseitiger Bass, entspanntes Schlagzeug, direkter Gesang. Ich fand es irgendwie sehr originell, weiß aber für mich persönlich auch, dass es eher ein kurzweiliges Vergnügen war. Aber ein Schönes, so viel Nettigkeit muss sein! Das hat Spaß gemacht.

Nachdem das Publikum so ein wenig heiß gemacht wurde, trat Die Liga auf die Bühne. Die fünf Herren waren wie immer sehr gut gekleidet und strahlten allesamt sehr viel gute Laune aus, diesen Abend zu gestalten. Gunther Buskies malträtiert sein Keyboard. Carsten Friedrichs unterhält die Gäste mit Gesang, Gitarre und Ankündigungen. Tim Jürgens ist vielleicht der entspannteste Bassist der Welt. Fabio Papais ist leidenschaftlich auf den richtigen Griff konzentriert. Und hinter den vier Herren sitzt ein wilder Typ: Heiko Franz, der ohne Unterlass und schweißgetrieben der Band ihren Rhythmus vorgibt. Das sind die Zutaten für einen kurzweiligen Abend. Gekrönt wird er natürlich durch eine unsagbar gute Songauswahl. Das ist bei dieser Band natürlich sehr leicht, da es nur Killer und keine Filler gibt, aber ausgewogen soll es dennoch sein! Ein Glück, dass die Gruppe im vergangenen Jahr ein Best Of ihrer wirklich größten Hits veröffentlicht hat. Und so haben sie abgeliefert und das Publikum zum Tanzen gebracht. Hach, was war das für eine Freude. Ich mag Friedrichs Texte, da er einer der ganz wenigen hierzulande ist, der wirklich unterhaltsam schreiben kann ohne dass es platt oder peinlich wird. Das geht live auf und fertig ist die super Sause. Ob es Geschichten von Pfandflaschenautomaten, Matratzenmärkten, Vorbildern aller Art, Werner Enke, der Arbeit oder den Ferien, Barrett Strong, Spionen undundund sind… Diese Band hat den Dreh einfach raus. Es geht um nicht viel und doch um alles. Daher war die Freude aller Musiker auf der Bühne wirklich groß! Das freut mich als Konzertbesucher auch immer stark, wenn den Künstlern die Freude am Moment ins Gesicht geschrieben steht! Ich denke, dass das Bremer Publikum es ihnen gespiegelt hat, sodass alle freudig, entspannt und glücklich nach Hause gehen konnten. Wir sehen uns dann bald wieder!

Dienstag, 3. Januar 2023

Live in Köln: Fortuna Ehrenfeld

Schlechtes Bild, toller Abend!
(Ms) Einen besseren Ort und eine bessere Zeit hätte man sich für diesen Abend nicht ausdenken können. Winterliche Kälte. Vorweihnachtliche Ruhe. Kirchliche Andacht. Bedauerliches Ende. Herrliche Bescheuertheit.

Doch nach und nach mal kurz die Rahmenbedingungen geklärt. Ein weiteres unaufhaltsames Jahr für Fortuna Ehrenfeld geht zu Ende. Die Band, die fast immer und fast überall unterwegs ist, sich für keinen Rahmen, für keinen Ort zu schade ist, weil sie halt so unsagbar viel Bock hat, macht eine (kleine) Pause. Sicherlich geht es kommendes Jahr zeitig wieder los, doch die Wunden müssen erstmal geleckt werden. Hinter der Band liegen nicht nur erneut einige Wochen Tour, sondern auch der bedeutsamste Einschnitt der noch so jungen Geschichte. Mit dem Ausstieg von Jenny Thiele verliert die Band nicht nur ein markantes, prägendes Gesicht. Sondern Martin Bechler verliert damit sicher auch einen Menschen in dieser Band, der ihn verstanden hat. Ich glaube, dass Jenny Thiele Bechlers Wahn, seine Genialität, seinen Exzess, seine Zerbrechlichkeit, seine Demut und sein ungeheures Gespür für Worte und Melodien verstanden hat. Erlebt man beide zusammen auf der Bühne, harmoniert das extrem. Da reicht oft ein Augenkontakt und der nächste Einsatz, das nächste Lied, die nächste Konfettikanone, die nächste Schweigeminute ist klar.
Dass Jenny Fortuna Ehrenfeld verlässt, kann ich nur bedingt verstehen. Nur aus dem Grund, dass sie weiterziehen will, selbst mehr Zeit für ihre eigenen Lieder braucht. Ich will hier gar nicht spekulieren, daher lasse ich es auch. Und selbstredend wünsche ich ihr nur das Beste für ihre Solo-Zukunft. Doch meine Bedenken sind da. Nämlich, dass das nicht so dolle knallt. Einige Lieder von ihr sind nun zu hören, am Samstag spielte sie auch solo zu Eröffnung, doch packen tut mich das überhaupt nicht. Dennoch: Alles Gute, Jenny!
Das ist die eine Seite des Samstags. Fortuna Ehrenfeld spielte in der Kulturkirche Köln. Ein toller Ort, um Musik zu erfahren. Vor vielen Jahren sah ich dort Lambchop live, die wundervolle Atmosphäre und die Möglichkeit, in der Kirche Bier zu trinken, blieben haften. Einen besseren Ort für einen Jahresabschluss konnte es nicht geben. Die Stadt, das Ambiente, der Zeitpunkt: ideal!
Doch pochte in mir ein weiterer Zweifel ob der Stimmung an dem Abend. Vor fünf Wochen erst sah ich die Band als Trio in Bremen und war mäßig begeistert. Denn irgendwas stimmte nicht. Und das war etwas auf der Bühne. Martin Bechler ist eine irre Rampensau, er gehört auf die Bühne. Doch manchmal sind seine Auftritte ein bisschen zu ausufernd, ein bisschen drüber, es hat den Anschein, dass er sich verzettelt in den Stimmungen, Ansagen voller Abbiegungen, zwischen dankbarer Demut und Selbstabfeierei. Häufig sah ich die Band schon. Das Bremen-Konzert wollte ich schnell abhaken.

Doch das Köln-Konzert stand unter einem guten Stern. Und es war ein ereignisreicher, toller Abend. Dafür war nicht nur der Ort verantwortlich, sondern auch das Programm. Denn Martin Bechler hat dieses Jahr im Bandkosmos seine erste Solo-Platte veröffentlicht. Nur Stimme und Klavier. Und der Samstag war der Tag, als dies zum ersten Mal so richtig zur Geltung kommen konnte. Das E-Piano stand auf dem Altar bereit und logischerweise trat er aus der Sakristei in Schlafanzug und Federboa! Stil muss sein. Und auch ein paar Fortuni-Eigenarten müssen sein. Zum Beispiel auf die Bühne kommen, einen Timer stellen, warten bis er bimmelt und dann mit einem Instrumental loslegen. Eine besondere Eigenart, und dazu eine wirklich tolle Eigenart ist die Schweigeminute mitten im Programm, sodass der Krieg gegen die Ukraine niemals selbstverständlich wird.
Ja, unter dem Motto „Stillste Nacht“ wurde dieser Abend gestaltet. Und es war ungeheuer atmosphärisch, so dicht, so nah, geprägt durch die tollen, berührenden Texte und die einzigartige Kirchenstimmung. Dass Martin Bechler sich etwas einfallen lassen würde, war klar für diesen Abend. Nur das Was blieb Spekulation. Gemündet ist es in zwei Gästen, die dem Abend eine hör- und sehbare Humorebene verschafften. Leider habe ich beide Namen nicht herausgefunden. Gästin Nummer eins kam als Engel verkleidet auf die Kanzel und sang von dort Puff Von Barcelona. Herrlich. Was für eine urkomische Situation. Gast Nummer zwei kam auch auf die Kanzel, aber sprach mehrere Absätze ganz, ganz hervorragend. Sprechen als Kunst. Absätze aus Bechlers Roman Kork. Was für ein dynamischer, abwechslungsreicher, inniger Abend. Nach diesen Besuchen und den eindringlichen Solo I-Stücken am Klavier gab es selbstredend noch eine Zugabe mit Jenny, der den Abend nach etwas mehr als zwei Stunden beenden ließ.

Sehr habe ich mich gefreut, dass ich Teil des Abends sein konnte. Auch um die eigenartige Stimmung aus dem Bremen-Konzert zu tilgen. Und diese wundervolle Atmosphäre genießen zu können! Das tat gut und hat unsagbar viel Freude bereitet. Martin Bechler kann wirklich an allen Orten sein Werk so formen, dass sie immer zur Geltung kommt. So vielseitig und wenig festgelegt ist er. Das ist Kunst!

Wie es genau nun weitergeht, bleibt abzuwarten.
Für den kommenden Herbst gibt es allerdings schon Tourtermine.
Man darf neugierig sein, wer dann mit ihm auf der Bühne steht.

28.09. - Berlin, Lido
29.09. - Leipzig, Kupfersaal
30.09. - Dresden, Beatpol
12.10. - Bremen, Tower
13.10. - Hamburg, Knust
14.10. - Hannover, Musikzentrum
15.10. - Köln, Gloria
19.10. - Nürnberg, Z-Bau
20.10. - Stuttgart, Club Cann
21.10. - München, Ampere
22.10. - Frankfurt, Brotfabrik