Donnerstag, 27. August 2020

Calman - Kann Grad Nich

Bild: facebook.com/calmanmusik
(sb) Gerade einmal 209 Follower hatte Calman Anfang Juli 2020 auf Facebook. 209! Sogar unser Kuschelblog luserlounge weist da schon über 700 Likes auf und selbst das ist, wenn man ehrlich ist, eine sehr kleine Anzahl, wenn man bedenkt, wie viel Zeit und Herzblut wir hier reinstecken. Aber zurück zur Kunst: Trotz der sehr überschaubaren Reichweite in den Sozialen Medien ist der Berliner Rapper kein ganz Unbekannter und konnte bereits 2018 den Kollegen Fatoni für ein Duett gewinnen - mein persönlicher Lieblingstrack des Jahres! Jetzt folgt endlich das dazugehörige Album und es ist von A bis Z großartig.

Was aber macht Kann Grad Nich (VÖ: 28.08.) so besonders? In erster Linie sind es - natürlich - die Texte, die das Album aus der Masse hervorheben und den Fokus gezielt auf das Thema "Verantwortung" lenken. Verantwortung für seine Mitmenschen, seine Kinder, sein direktes Umfeld und nicht zuletzt für sich selbst.

Calman scheut sich nicht, selbst die härtesten Themen wie Suizid aufzugreifen, das "Warum" anzusprechen und sich selbst und sein Verhalten in Frage zu stellen. Hätte ich es wissen müssen? Gab es Anzeichen, die ich hätte erkennen können? Das Schuldbewusstsein ist in Jan hat sich das Leben genommen geradezu greifbar und ungemein beklemmend. Gänsehaut.

Auch Manchmal lüg ich meinen Arzt an, besagter Track mit Fatoni, lädt aufgrund der beschriebenen Selbstverleugnung keineswegs zum Partymachen ein, dürfte vielen Menschen jedoch aus der Seele sprechen. "Es ist nur ein kleines "d" zwischen "sorglos und glücklich" und "sorglos unglücklich"" - geht's noch treffender? Mir lief es bereits beim ersten Hören des Songs eiskalt den Buckel runter und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Bild: facebook.com/calmanmusik
Generell bleibt festzuhalten, dass der Künstler zu keiner Zeit versucht, unbedingt gefallen zu müssen. Die Texte sind sehr persönlich, der Rap-Stil klingt meist beiläufig, ist tatsächlich jedoch sehr eindringlich und intensiv. Wenn Calman in Schwimmer von seiner Kindheit erzählt, sieht man den kleinen, verschüchterten Jungen in seiner Badehose bildlich vor sich und empfindet auf der Stelle Mitleid. Und fühlt sich mitunter selbst an unangenehme Situationen mit übersteigerter Erwartungshaltung seitens der Eltern erinnert. Schön ist das nicht, aber ungemein heilsam, wenn man erkennt, dass man damit nicht allein ist.

Während Laura tanzt ein flammendes (und zwingend notwendiges) Plädoyer gegen Sexismus und die Reduzierung der Frau als Objekt darstellt (aber auch Missverständnisse thematisiert!), beschreibt Weg/Hier eine toxische Beziehung, wie sie - zumindest ansatzweise - jeder schon mal erlebt hat. Wünsche, Lebenseinstellungen, Erwartungen und Träume passen nicht immer zusammen, obwohl die Voraussetzungen eigentlich stimmen. Was bleibt, sind unerfüllte Hoffnungen und Enttäuschung.

Alles andere als enttäuschend - und damit kommen wir zum Fazit - ist hingegen Kann Grad Nich. Das Album vereint 14 bockstarke Tracks, die das gesamte Gefühlsspektrum ansprechen und die ohne negativen Ausreißer auskommen. Für mich das bislang beste deutschsprachige Rap-Album des Jahres mit den Höhepunkten Tour de France, Taifun und Weg/Hier.




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