Protagonist (li.) und Filmer (r.). Foto: Thomas Rabsch |
(ms) Springen wir zurück ins Jahr 2005, in den November. Ich war 15 und las, um Neues in der Musikwelt zu erfahren, Musikzeitschriften. Gerne die Visions, sie hat mir immer gut gefallen. Gierig legte ich die beigefügten CDs in den Player daheim ein und lauschte den mir bis dato unbekannten Tönen. Auf der All Areas 67 blieben bei mir nicht Lagwagon oder Coheed And Camria hängen sondern eine bislang fast ungehörte Band, die auf den tiefgehenden Namen Voltaire hörte. Der Song heißt Flut und genauso hat er mich mitgerissen. Sanfte Gitarrenakkorde zu Beginn, das sich zu einem wilden Indie-Sound entwickelte und mit einem faszinierend anmutenden Text garniert war.
Früh habe ich meine Eltern damit belagert, mich zu Konzerten zu fahren. Sie waren so lieb und haben das getan. Im April 2006 nach Bielefeld, wo Voltaire mit Madsen gespielt haben. Im Oktober des gleichen Jahres nach Osnabrück, wo sie mit den Ohrbooten auf einer Bühne standen oder im November ein Jahr später nach Gütersloh. Sag einer, Ostwestfalen hätte nichts zu bieten.Ihr großartiges Album Heute Ist Jeder Tag war der Soundtrack eines Liebeskummers und 2009 auf dem Dockville in Hamburg sah ich sie ein letztes Mal. Denn trotz der riesigen Vorschusslorbeeren blieb ihnen der angepriesene Platz auf dem deutschen Indie-Olymp verwehrt. Zwei EPs, zwei Alben, tschüss. Sie stehen noch bei mir im Regal und wären fast in Vergessenheit geraten. Bis... Bis dieser Tage die fünfteilige Doku-Serie Wie Ein Fremder über Sänger, Texter und Kopf Roland Meyer de Voltaire erscheint!
Okay, das ist nicht ganz richtig. So ganz aus den Augen verloren habe ich Roland nie. Doch die Band schon. Es kamen Neue, die die Heavy Rotation der Bonner verdrängt haben. Dass er vor wenigen Jahren dann mit seinem Solo-Electro-Projekt Schwarz wieder richtig aufgetaucht ist, hat mich total für ihn gefreut, auch wenn mich das Album White Room nicht ganz so gepackt hat.
In den Jahren dazwischen war eine Menge los bei Roland Meyer de Voltaire. Das kann man so sagen. Von den tiefsten Tiefen bis in luftige Höhen hat er in jedem Fall alles erlebt, was ein Musikerleben so ausmachen kann. Was für ein beschissener Brotjob das ist und wie glücklich es doch machen kann.
All das erfährt man in der extrem sehenswerten Doku-Serie. Wenn neue Ideen geboren werden. Wenn er verzweifelt schaut, dass seine 250 Noteuros noch da sind.
Und der Macher, Aljoscha Pause, ist jemand, der ihm irgendwann über den Weg gelaufen ist. Sie müssen sich auf Anhieb gut verstanden haben, denn Pause bat ihn mehrere Soundtracks seiner anderen Langzeit-Dokus beizusteuern. Aljoscha Pause, Ideenumsetzer hinter der Doku, wurde bekannt durch seine in Film umgemünzte Begleitungen von Thomas Broich oder Mario Götze; kommt also aus dem Sport.
Nun Musik.
Roland hat er über sechs Jahre begleitet. Sechs Jahre. 2014 fing das an. Da war von der Band Voltaire schon keine Rede mehr. So schnell und so dreckig ist das Musikbusiness. Und Roland zwischendrin, nirgendwo verortet, tausend Ideen im Kopf, doch der war zu voll. Schaut man sich diese umwerfende Doku an - ich habe an einem Abend alle fünf Teile hintereinander geschaut -, wird einem immer wieder gesagt, was für ein irres Talent er ist. Richtig so. Ob Linus Volkmann, Ingo Schmoll oder Sebastian Madsen. Roland genoss immer eine hohe Reputation in den Kreisen. Doch das reicht halt nicht. Für das Label Universal, die das Debut veröffentlicht haben, ist Kunst halt kein Faktor. Kreativität ist egal. Egal auch, dass die Band als die neuen deutschen Radiohead umjubelt wurde. Wenn nix verkauft wird, bist du weg. Und sie waren weg.
Szenenbild aus Wie Ein Fremder |
Doch schon vor vielen Jahren - und in der Serie wiederholt Roland das - sagte er in Interviews sinngemäß: Ich muss Musik machen, ich kann nichts anderes. Der Weg vom Weglegen der Gitarre zum versierten Bedienen etlicher Synthie-Knöpfe war weit. Steinig. Auf und ab. Ein Glück, das jemand wie Steffen Gottwald an ihn geglaubt hat. Denn das ist jemand, der Roland wirklich gerettet hat. Doch wir wollen hier gar nicht allzu viel spoilern. Denn eines steht fest: Das, was Aljoscha Pause mit dieser Doku-Serie gelungen ist, ist große Klasse. Er muss es irgendwie geschafft haben, dass Roland sich komplett nackt macht. Was er alles preisgibt, ist irre. Wie ein offenes Buch legt er sich dar. Und Pause filmt mit. Dass es für Roland derzeit gut läuft und er von seiner Musik leben kann, ist kein Geheimnis der Doku. Das Geheimnis der Doku ist der Weg dahin! Dafür muss man weder Roland Meyer de Voltaire kennen, noch seine frühere Band noch sein Projekt Schwarz. Dafür muss man nur an seinen Mitmenschen interessiert sein, ein bisschen Zeit mitbringen und man wird zigfach belohnt! Mit einem ruhigen Erzähltempo. Mit tiefen Einblicken in ein Leben. Mit ganz vielen Facetten auch, wie ein Geschäft funktioniert. Und: Wie Musik entsteht. Denn das ist der Motor.
Morgen, am 5. Juni, erscheint Wie Ein Fremder auf DVD, Blu-Ray und On-Demand-Services wie Maxdome etc. Egal, für welchen Weg ihr euch entscheidet. Tut es bitte. Es ist grandios!
PS: Was wäre bloß geschehen, wenn sie nicht bei Universal sondern bei einem Label wie Tapete oder Grand Hotel van Cleef gesignt hätten?!
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