Freitag, 5. November 2021

KW 44, 2021: Die luserlounge selektiert

Quelle: facebook.com/thefortyfourpage
 (sb/ms) Skepsis. Die erschlich mich diese Woche bei dem selben Thema aus ähnlichen Kreisen direkt doppelt. Skepsis in dem Sinne von: Ist das was? Wird das gut? Kann ich das genießen? Ist das rund und gut lesbar?
Gleich zwei Akteure aus meinem Musikhörkreis haben diese Woche angekündigt, dass bald ein Buch von ihnen erscheinen wird. Puh. Das ist immer ein sehr, sehr schmaler Grat. MusikerInnen, die Bücher schreiben. Wird das tatsächlich gut oder eher gruselig? Sven Regener kann das. Bei Frank Spilker bin ich nicht warm geworden. Heinz Strunk kann das auch. Thees Uhlmann hat mich positiv überrascht. Nun zwei Typen anderen Alters und mit ganz anderen, lebensnahen Themen! Der erste ist Monchi, der andere Testo.
Monchi, der Sänger von Feine Sahne Fischfilet, wird ein Buch namens Niemals Satt bei KiWi veröffentlichen. Es geht wohl zum Großteil darüber, wie er in den letzten Jahren mit seinem Körpergewicht zu kämpfen hatte. Es erscheint im April und ich glaube nicht, dass ich es mir kaufen werde. Es macht mich überhaupt nicht neugierig, auch wenn Monchi selbstredend ein wunderbarer Typ ist. Ehrlich gesagt habe ich auch Sorge, dass es einfach schlecht geschrieben ist. Mein Gefühl.
Bei Testo bin ich da wesentlich hoffnungsvoller. Vielleicht liegt es auch am Rap, dass eine andere Art des Textens zugrunde liegt. Der eine Teil von Zugezogen Maskulin, bürgerlich Hendrik Bolz, schreibt übers Großwerden in MeckPomm in den Jahren nach der Wende. Nulllerjahre heißt das Ding passenderweise. Da Bolz nur zwei Jahre älter als ich ist und an einem gänzlich anderen Ort Deutschlands mit gänzlich anderen Problemen konfrontiert war, reizt mich die Lektüre doch sehr stark!

Doch zum Schluss bleibt alles beim gleichen Grundsatz: Alles Geschmackssache. Selektiert. Hier:

Jónsi
(ms) Lese ich irgendwo etwas von 'XY veröffentlicht über Nacht überraschendes, neues Album' ist erneut Skepsis angebracht. Was soll die Geheimniskrämerei? Lohnte es sich nicht, die Platte ausgiebig zu promoten? War das dann doch nicht so wichtig? Coldplay haben auch vorsichtshalber mal eine Platte unter anderem Namen veröffentlicht, weil es so mies war. Egal. Anderes Thema. Solch Bekanntmachung fand in der letzten Woche von Jónsi statt. Und ja, bei allem, was diesen Künstler angelangt, bin ich maßlos subjektiv - Sigur Rós über allem! Obsidian heißt das Album, was nun zu hören ist. So bald man es hört, ist auch zu erahnen, warum nicht ganz so viel Gewese darum gemacht wird. So ereignisreich ist es nicht. Teils sind Sounds zu hören, die irgendwie bekannt sind. Einen ähnlichen Klang hat er schon auf vorherigen Remixen und den Liminal-Samplern ausgebreitet. Das ist natürlich alles schön sphärisch und verträumt und fein verwinkelt, teils auch mit Hitpotential (u.a. Pyralone). Doch so richtig packt mich das halt nicht. Dafür reihen sich für meine Hörgewohnheiten zu viele Klangschnipsel aneinander, die in meinen Ohren nur grob ein Ganzes, Genießbares ergeben. Klar, das ist schon schöne Musik, doch seine 'richtige' letzte Platte sprach mich wesentlich stärker an. So wie ich es las, ist dieses Werk die klangliche Begleitung einer Kunstausstellung, die er selbst erschuf - soweit ich das richtig verstehe... In New York lässt sich das bestaunen und ich kann mir gut vorstellen, dass dort dann Licht und Musik sehr, sehr gut in Einklang erlebbar sind.
 
 
Tristan Brusch
(ms) Wo kommt der eigentlich her? Im Sinne von: Plötzlich war Tristan Brusch auf meinem Hörradar und geht da so schnell auch nicht weg. Das liegt vor allem an seinem Album Am Rest, das vergangenen Freitag erschien (mea culpa!). Hier tut sich eine Frage auf, die mir zuletzt bei Alin Coen untergekommen ist: Möchte ich, dass die KünstlerInnen die Texte erlebt haben, die sie schreiben? Wünsche ich mir, dass das eine erlebte Platte ist oder ist es auch okay, wenn es 'einfach' extrem flinkes Songwriting ist? Bei Brusch wird die Frage dahingehend konkret: Möchte ich, dass er der Typ ist, von dem er auf den Liedern singt? Oder genügt mir auch eine Kunstfigur, die über alldem schwebt? Ich bin ganz ehrlich: Ich will so, so sehr, dass er das alles ernst meint. Wenn er sich als Abschaum oder König der Scheiße bezeichnet. Ja, das will ich gerne. Weil es einfach unfassbar direkt und wuchtig ist. Viele Lieder haben genau den autobiographischen Bezugspunkt, die diesen Wunsch plausibel erscheinen lassen. 11 Lieder, die gut eine dreiviertel Stunde erklingen, sind zu hören. Bei weitem spricht mich nicht alles so stark an. Doch wenn Zwei Wunder Am Tag, das unfassbar pathetische und so wunderschöne So Weit Weg, Krone Der Schöpfung (!!!) oder Das Leben Ist So Schön erklingen, dann bin ich voll dabei. Was neben den erlebnisreichen Texten so hörenswert ist, ist der bearbeitete Sound im Mikrophon und die unterschiedliche Instrumentierung. Mal ist es schleppender Rock, dann deftiger Jazz, verträumte Balladen, satter Indiepop. Sehr wandelbar. Sehr ambivalent. Sehr neugierig machend. Tolle Scheibe!
 
 
Parcels
(sb) Fünf Australier in Berlin, ein Album, das in eine Tages- und eine Nacht-Hälfte unterteilt ist und satte 19 Tracks beinhaltet. Klingt vielversprechend und ist es auch. Die Parcels transportieren das Gefühl der 70er und 80er in die Neuzeit und bedienen sich dabei diverser Elektro-Pop-Elemente. Aber auch der Folk kommt (vor allem im ersten Teil) keineswegs zu kurz und verleiht Day/Night (VÖ: heute!) ein angenehmes Gesicht. Festzuhalten bleibt, dass meine Vermutung, die Day-Tracks seien eher fröhlich, während die Night-Songs sich von einer düsteren Seite zeigen, nur zum Teil ins Schwarze traf. Manch eine Sequenz des zweiten Parts schreit jedoch geradezu danach, in Horrorfilmen und Psychothrillern gefeatured zu werden. Das war von den Parcels in dieser Form nicht zu erwarten, steht der Band aber gut und macht sie unberechenbarer. So zum Nebenherhören ist das Album nicht zu empfehlen - und das ist ausdrücklich positiv zu verstehen. Nehmt Euch die Zeit, konzentriert Euch auf die Musik und gebt Euch hin.
 
 
Elbow
(sb) Sieben Top 10-Alben, drei davon gar auf Platz 1 - im UK sind Elbow eine ganz große Nummer und wurden nicht umsonst auserkoren, um bei den Olympischen Spielen in London (2012) auf der Schlussfeier aufzutreten. Die Band aus Manchester ist seit gut 30 Jahren im Business und präsentiert auch auf ihrem neuen Album Flying Dream 1 (VÖ: 19.11.) das, was sie am besten kann: gefühlvollen und melodischen Pop-Rock, der sofort ins Ohr geht und sich dort festsetzt. Eine Schande, dass Elbow hierzulande nicht mal ansatzweise den Status erobert haben, der ihnen eigentlich zustehen sollte. Natürlich machte die Corona-Pandemie auch vor der Entstehung ihres aktuellen Werkes nicht Halt und so fasst Sänger Guy Garvey zusammen:
"There have been challenges, but through them writing together remotely was a lifeline. It’s bruised and wistful, nostalgic, and thankful. We’re so lucky that all our family and friends are safe. It’s about that love.”
Das hört man und es tut gut - wie so vieles von dieser wunderbaren Band!
 
 
Dino Brandão
(sb) Im Dezember veröffentlichte Dino Brandão zusammen mit seinen Kollegen*innen Sophie Hunger und Faber das wunderbare Album Ich liebe Dich auf Schweizerdeutsch. Ein knappes Jahr später meldet sich der Künstler auf Solopfaden zurück und legt eine EP vor. Das Format scheint aktuell wieder schwer angesagt zu sein. Anfang/Mitte der 90er war das ja gang und gäbe. Egal, zurück zum Wesentlichen. Diesmal singt Brandão auf Englisch und auch musikalisch ist ein Vergleich zur Kollaboration kaum möglich. Als Secondo in der Schweiz aufgewachsen, wandelt der Künstler seit jeher zwischen zwei Welten, der Alpenrebublik und Angola. Kontraste, Unterschiede, wie sie kaum größer sein könnten. Dino versucht nicht, ein Puzzle zusammenzusetzen - er tut es einfach! Er faltet die kleine Popmusik-Weltkarte in schiefen Proportionen auf, hat dabei ein Auge fürs Barocke, das Ornament, streicht über die Trommeln von damals, spielt die vernebelten Synthesizer, kickt den Drumcomputer an – genüsslich verstrickt nach allen Himmelsrichtungen. Das ist wirklich gute Popmusik von einem überaus talentierten Musiker! Seine EP Bouncy Castle erscheint am 12.11. und darf sehr gerne gekauft und geliebt werden.
 
 

Kat Frankie
(ms) Stimmen mit Wiedererkennungswert. Die bleiben halt haften. Logisch. Das Wort ist selbsterklärend. Doch nicht viele MusikerInnen haben diese Kraft, diesen unverwechselbaren Sound in ihrer Stimme, dass sie sofort, auf Anhieb aus einer größeren Masse heraussticht. Wenn sie dann noch geschickt musikalisch in Szene gesetzt wird, strahlt sie noch hörenswerter heraus. Kat Frankie hat diese Gabe inne und weiß sie sehr gut einzusetzen! Ihr letztes Album Bad Behaviour ist mir in extrem guter Erinnerung, sehr vielschichtig, sehr klug. Nun geht die Reise weiter, ein neues Werk steht in den Startlöchern.
Ihre Musik bezeichne ich sehr gerne als Art Pop. Und das ganz wörtlich genommen. Was sie macht ist hörbar als Kunst zu verstehen. Nicht nur Unterhaltung. In ihren Arrangements geht sie entscheidende Schritte weiter. Im ersten Stück der neuen Platte, die irgendwann im Frühjahr herauskommt, beweist sie es erneut. Shiny Things lebt von einer klug produzierten Spannung: Kleine Elemente halten diese aufrecht, sei es die Percussion, die Streicher, der feine Einsatz des Chors und der Mut, dass es das ganz große Crescendo gar nicht gibt. Hinzu kommt, dass sie visuell überrascht. Der Track kommt mit einem sehenswerten Video, nein, Kurzfilm einher. Das gilt es zu erleben. Und die Vorfreude auf die nächste Platte ist entsprechend groß!
 

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