Freitag, 15. Oktober 2021

KW 41, 2021: Die luserlounge selektiert

Bild: stilkunst.de
(ms/sb) Es ist nett, nett zu sein. Das hat die sehr gute Gruppe Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen erfunden. Gerne wäre es aus meiner Feder gekommen. An einem gänzlich unerwarteten Ort habe ich genau diese Losung erfahren! Denn: Hotlines an sich haben irgendwie keinen guten Ruf - und total schräg, dass das auf deutsch ja heiße Leine bedeutet (klar, heißer Draht und so). Nun musste ich in den letzten Wochen sowohl öfter beim Telefonservice meines Energielieferanten anrufen und war alle Male total baff, wie unfassbar freundlichen die Leute am anderen Ende der Leitung gewesen sind. Hat mir sehr gut gefallen! Klar, sie sind Aushängeschild, aber das habe ich so nicht kommen sehen... ähh... hören! Zudem musste ich dieser Tage noch den Kundendienst meines Finanzpartners erreichen, was erfolgreich geschah. Die scheinen technisch ziemlich auf Zack zu sein - das hat mir sehr imponiert. Außerdem war auch hier die Person in meinem Ohr super nett. Also: extrem freundlich! Also: Das habe ich so nicht erwartet. Dabei ist es ja so leicht, nett zu sein. Nicht immer, nein, das muss ich auch zugeben. Aber in Situationen, wo nichts groß zur Debatte steht, kann man einfach so ja mal freundlich sein. Das finde ich gut.

Auch Musik finden wir hier sehr gut. Daher schreiben wir auch leidenschaftlich drüber. Selektiert!

Sluff
(ms) Lange Zeit war relativ klar, wenn eine Musik einen bestimmten Klang hat, dann weiß man automatisch, woher sie stammt. Aber diese Ära ist rum. Seit langer Zeit. Sluff aus Wien klingen so hart nach Gitarrenpop aus UK, dass es kaum zu glauben ist, dass das Quartett mit Kaiserschmarrn statt Vinegar Chips genährt wurde. Heute erscheint ihr neues Album World Wide Worries und es nicht nur eine extrem gelungene klangliche Zeit- und Raumreise. Konzeptuell und auch auf ihren Liedern vereinen sie Humor, Tragik und natürlich die große Liebe, die auch in nicht-heteronormativen Verbindungen gerne gedeihen darf. Die eigenen Probleme als so universell darstellen, dass sie alles dominieren, kommt einem ja oft dämlich vor. Ein bisschen mehr Demut fordern Sluff mit einem Augenzwinkern. Stets dabei ein Bier in der Band, das sich hervorragend zu dieser leichten, beschwingten, teils angenehm melancholischen Musik trinken lässt! Empfehlung!


rokotak
(ms) Beim ersten Hören klang mir Geh Raus zu sehr nach erhobenem Zeigefinger. Die Tipps und Tricks für einen vermeintlich gelingenden Alltag waren mir so umfangreich, dass es mich überfordert: Was soll ich denn nun anfangen mit diesem Text? Soll ich mein Leben ändern? Nein, das wäre ja wirklich zu viel verlangt. Das möchte rokotak von den Hörenden sicherlich auch gar nicht. Das wirklich Schöne an Musik ist ja auch, dass ich mir das rauspicken kann, was ich brauche. Oft ist es die Energie aus dem Klang, die mich beglückt. Manchmal dann wieder nur einzelne Zeilen. Für diese Vorgehensweise entscheide ich mich bei diesem Lied. Die erste lautet "Red' nicht mit denen, die das alles schon wussten / Denn das könnten die Falschen sein" und eine weitere "Sei nie klarer im Kopf als wirklich nötig".
Das gefällt mir gut. Es verlangt nicht zu viel von mir. Wenn Musik moralisiert, halte ich Abstand. Wenn sie durch einen sanften Klang mir etwas Gutes tun will, lasse ich sie an mich heran. rokotak lasse ich an mich heran. Dieses schönes Lied ist auf dem aktuellen Album Riech An Blumen Und Merk Dir Ihre Namen zu finden. 

 
Lygo
(sb) Holla, was ist das denn? Selten so viele kluge und aussagekräftige Texte am Stück auf einem Album gehört wie hier bei Lygo. Die deutsche Sprache kann ja schnell mal holprig klingen, wenn man versucht, sie gewinnbringend in Musik (in diesem Fall: Punkrock) zu verpacken, doch genau das Gegenteil ist auf Lygophobie (VÖ: 29.10.) der Fall. Klar, die Stimme ist nicht jedermanns Sache und a bisserl gewöhnungsbedürftig, passt dann aber doch ganz gut zum Rest und man möchte sich gar keine andere vorstellen. Ganz stark, was das Trio aus Bonn da raushaut. Eine Zitatesammlung vom Feinsten und jeder Track (ja, verdammt: jeder einzelne!) bietet mindestens eine Zeile, die man sich ohne Bedenken auf ein Shirt drucken könnte. Schwerste Begeisterung, weil: geil.

Violet Cheri
(ms) Diese zwei Minuten und achtunddreißig Sekunden klingen so locker, leicht. Ja, fast ein bisschen beliebig, darauf würde ich mich auch einlassen. Aber dieser Tage hatte ich ein großes Bedürfnis nach gut zugänglicher Musik. Großes, Breites, Komplexes wäre mir momentan zu viel und da kamen Violet Cheri aus Stockholm gerade recht. Angenehm plätschert ihr Song I'm Fine nebenher. Doch dann kam irgendwann der Gedanke auf, warum der Typ einfach nur darüber singt, dass es ihm gut geht. Auf der einen Seite natürlich eine super Sache, aber auf der Anderen doch recht verwunderlich. Liest man sich den Text und das was Sänger Daniel Hoff dazu zu sagen hat, hört sich der Track direkt ganz anders an. Denn beileibe, hier geht es niemandem gut. Er wurde zu Schulzeiten übel gemobbt und hat wirklich stark darunter gelitten. Um die Tage, Wochen, Monate zu bewältigen, redete er sich halt immer wieder ein, dass es ihm schon gut ginge. Da bekommt dieses lockere Lied doch direkt eine harte Note. Es wird auf der Platte Sölvesborg zu hören sein, die am 26. November erscheint. 

 
Marius
(sb) Man überlegt sich in der Regel vorher, was man schreibt und was man ausdrücken will - so auch in diesem Fall. Dennoch musste ich diese Kurzrezension mehrmals aufsetzen, weil sie am Ende stets negativer klang als sie tatsächlich beabsichtigt war. Und das hat die Alles Neu EP (VÖ: 01.10.) von Marius gar nicht verdient, denn sie vereint vier locker-flockige Tracks, die ins Ohr gehen und auch dort bleiben. Nichts Außergewöhnliches, nichts Besonderes, aber halt doch unterhaltsam und vor allem 30 Tage auf Tour bietet einen schönen Einblick ins Tourleben eines Musikers mit beziehungsbedingtem Heimweh. Schön, das! Weniger schön (und vor allem unnötig!) hingegen sind die Experimente mit Autotune. Phasenweise klingt das nach astreinem Raop und lässt den Kollegen Cro vor Neid erblassen. Ob das nun gut oder schlecht ist, muss jeder für sich entscheiden. Mich hats in erster Linie irritiert, da der Künstler sonst bei der Rockband Heisskalt an den Drums sitzt, also völlig andere Musik macht. Dass seine Band einst bei Chimperator (dem Cro-Label) gesigned war, ist dabei wohl nur Zufall.
 

Dooms Children
(sb) Dooms Children? Tönt düster. Death Metal oder Ähnliches? Mitnichten. Hinter dem Projekt steckt Wade MacNeil, bekannt von Alexisonfire und Gallows, kehrt dabei sein Innerstes nach außen. Entstanden ist sein selbsbetiteltes Album (VÖ: 20.10.) in Zeiten des Entzugs und der Depression. Beim Anhören fühlte ich mich unweigerlich an Mark Lanegan erinnert, dessen Biographie ich kürzlich gelesen hatte. Partymucke geht anders, aber wer sich die Zeit nimmt und die Geduld aufbringt, sich mit dem Werk auseinanderzusetzen, der wird dafür belohnt. Das ist mitunter schon richtig harter Tobak, aber halt auch schonungslos ehrlich und ungeschminkt.


Tristesse
(ms) Neue deutschsprachige Musik sofort gut zu finden; damit tue ich mich seit einiger Zeit relativ schwer, weil mich viele Namen, Auftritte, Darstellungen bereits abschrecken. Isolation Berlin ist der beste Beweis dafür, wie sehr Musik auch nerven kann. Ihre (pseudo-)intellektuelle Selbstgefälligkeit geht mir gegen den Strich. Tristesse ist mir auch schon fast vom Namen her zu programmatisch. Aber das Reinhören wird belohnt! Denn hier dominiert eher die Musik, es ist direkt zu vernehmen, dass der Text durch den leicht modifizierten Gesang etwas in den Hintergrund tritt, aber dennoch viele gute Zeilen beherbergt. Kreis ist der erste Track, den das Berliner Quintett veröffentlicht und es klingt schon enorm reif, rund und teils rotzig. Melancholie trifft auf einen klaren, optimistischen Blick nach vorne. Dann gefällt mir neue deutschsprachige Musik!

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