Mittwoch, 27. April 2022

Psychedelic Porn Crumpets - Night Gnomes

Foto: Tristan McKenzie
 (ms) Eskapismus klingt immer danach, als ob alles so schlimm und furchtbar und belastend ist im Alltag. Klar, vieles nervt. Der ganze bürokratische Mist der Steuererklärung oder wenn man was von der Krankenkasse oder dem Geldinstitut will. Da geht Lebenszeit bei drauf, die gerne woanders hätte landen können. Für viele Menschen ist auch Arbeit eine lästige Angelegenheit. Klar, mein Job nervt mich auch oft ganz extrem, muss unterm Strich aber sagen, dass ich es gerne mache. Pascow sagen: "Denn die Zeit, die mir fehlt, ist das Geld, das ich krieg'." Ja, so kann es auch wahrgenommen werden, keine Frage. Es gibt sicher auch Menschen, dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen, die kommen derart beschwingt und vergnügt durch die Tage, dass sie keine Auszeit brauchen, da sie vollkommen ausgeglichen sind. Es sind nicht viele, aber es gibt sie. Sicher.
Für alle anderen gibt es dieser Tage wieder erfreuliche Nachrichten, wenn die Frage beantwortet werden muss, wie ich denn bei dem ganzen Scheiß mal ein wenig abschalten, abdriften, ja vielleicht auch ein bisschen high sein kann. Denn die Psychedelic Porn Crumpets haben ein neues Album am Start, das phasenweise wieder derart berauschend ist, dass sie ihrem Namen erneut alle Ehre machen. Dabei kommt es jedoch auf die Art und Weise des Rausches an. Will ich in einem lautstarken Farbgewimmel ballern oder einfach nur schwerelos über den Dingen gleiten mit einem vergnügten Grinsen im Gesicht? Zugegebenermaßen bedient das Quintett eher den ersteren Weg, doch auch der Zweite ist immer wieder zu hören. Denn auf Night Gnomes herrscht viel lautes, unbändiges, schrilles, irres Explodieren, aber auch Pausen sind dabei. Genau dieser Mix macht es etwas unvorhersehbar und damit hörenswert! Wenn es denn zu genießen ist vor lauter intensiver, 38-minütiger Energie!

Diffuse Laute, schwer verständliche Stimmen, mechanische Geräusche. So startet die Platte mit Terminus The Creator über die ersten knapp 90 Sekunden, bis dann ein Beat und der typische Sound der Australier erklingt: Ein sehr breiter Teppich aus extrem verzerrten Gitarren mit ebenso verzerrtem Gesang. Erstaunlicherweise ballert diese Platte nicht ab dem ersten Moment beziehungsweise Lied. Wollen sie uns noch ein wenig verschonen und durchatmen lassen?
Ja! Das muss und kann nur die einzig richtige Antwort sein. Hier beginnt der Rausch, hier setzen die Transmitter im Hirn aus, hier kommt die völlige Überforderung mit Lava Lamp Disco. Aber in geil! Mein persönlicher Tipp: Auf jeden Fall über Kopfhörer hören, oder so laut über eine gute Anlage, dass die Musik fühlbar wird. Lautes Gewitter, das Bock macht. Die Gitarren greifen die Ohren an, es ist herrlich. Dabei muss ich bei dieser Band leider (mal wieder) sagen, dass mir vollkommen egal ist, worum es in den Texten geht. Mir geht es allein um den Klang.
Mit Dread & Butter kommt hier die angekündigte Pause (später auf Sherbert Straws auch). Akustikgitarrenklänge machen sich ab und an breit, selbst Streicher spielen sich in den Vordergrund und beruhigen das angefixte Nervenkostüm. 
Trotz meiner Nicht-Bereitschaft, mich intensiv mit den Texten auseinander zu setzen, sprechen die Titel der Lieder oft absolut für sich. Beispiel: Bubblegum Infinity. Für ein gigantisches, irres, beklopptes Feuerwerk, das zwischen den Ohren stattfinden kann. Beeindruckend ist, wie sie immer wieder mit dem Tempo und der Intensität spielen. Klar, beides braucht es, um diese rauschhaften Effekte überhaupt zu generieren, den Fünfen aus der Südhalbkugel gelingt es spielerisch und scheinbar mit genügend wahnhafter Leichtigkeit. 
Erstaunlicherweise ist der Titeltrack gar nicht mal so mitreißend. Hat aber ganz andere Stärken. Denn er zeigt im Kleinen, wie filigran die Band arbeitet. Das geht sicher bei aller überbordenden Energie ein wenig abhanden, dass das knallhartes Können ist, um erstmal solche Effekte musikalisch zu generieren! Dafür geht es direkt danach mit Bob Holiday wieder in die Vollen! Ja, vielleicht ist der psychedelische Charakter der Musik schon nach einem Baukastensystem zu erstellen und könnte vielleicht ein wenig an Zauber verlieren. Doch genau das ist (in meinen Ohren) nicht der Fall. Tempo, Wucht, ordentlich aufgedrehte Gitarren und der bedingungslose Wille nach vorn zu treiben, geht halt immer wieder vollkommen auf! Und seit gefühlten Ewigkeiten habe ich kein Fade-out mehr bei einem Lied gehört. 
Microwave Dave ist wie eine Interlude über knapp eineinhalb Minuten. Und notwendig, denn Acid Dent kloppt dann nochmal mit komplettem Wahn auf alle Hirnzellen, die bis zu diesem Punkt des Albums noch nicht mutiert sind. Wie genial, diesen bockstarken Track relativ weit hinten zu platzieren. Das ist einfach genial gemacht. Da kommt zwischendurch ganz leicht der Gedanke, dass das Album an Wucht verlieren könnte (Konjunktiv wohlbemerkt) und dann hauen die so was raus. Unfassbar!

Ja, mit den beiden folgenden Liedern trudelt Night Gnomes ein wenig aus. Und das ist dann der Beweis, dass die Band beide Arten des Rausches meisterhaft beherrschen. Vielleicht war noch keine Platte der Psychedelic Porn Crumpets so ausgewogen im weitesten Sinne, dass leichtes Schweben und völlige Ekstase so sehr Hand in Hand gehen. Irre. Was für eine Wucht. 

Wird hier live zu sehen sein:
11.08.2022 - Hole 44, Berlin
12.08.2022 - Molotow, Hamburg


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