Dienstag, 26. Juni 2018

Live: Das Traumzeit Festival in Duisburg

Mogwai blasen alles weg auf dem Cowperplatz. Fotos: luserlounge
(ms) Drei Tage Schwelgen, Staunen, Singen, Schweigen sind wieder mal vorbei. Drei Tage Tanzen, Überrascht werden, sich Treiben lassen, Neues kennenlernen und zu Altem zurück kehren.
All das ist das Traumzeit Festival im Landschaftspark Nord in Duisburg. Im kleinen Vorbericht haben habe ich schon meine Liebe und Begeisterung zu dieser Veranstaltung geäußert. Daher durften die gesammelten Erwartungen aus den letzten sechs Jahren durchaus hoch sein und wie bei den vergangenen Besuchen wurden sie erneut übertrumpft von den Dingen, die mich staunend zurück gelassen haben. Laut Organisatoren gab es in diesem Jahr einen neuen Besucherrekord. Das mag positiv verwundern, wenn man selbst vor Ort war. Denn nur sehr, sehr selten hatte man den Eindruck, dass es irgendwo richtig voll sei, dass man richtig warten musste, dass man irgendwo nicht durch kommt. Das liegt nicht nur am herrlich weitläufigen Gelände, sondern auch daran, dass die Besucherzahl bewusst klein gehalten wurde. Dabei dürfen sie sich durchaus den Vorwurf gefallen lassen, dass es ein Festival für Akademiker, Intellektuelle ab Mitte dreißig ist. Aber das ist vollkommen in Ordnung. Wenn man nicht mehr Student ist, Kinder hat und dennoch ein Wochenende erstklassige Unterhaltung haben möchte, dann ist das Traumzeit eine hervorragende Wahl!

Wahnsinn: Parcels
Der Freitag begann schon so, wie er beginnen musste: Mit dem Auftritt des Knappenchores Moers. Durchschnittsalter etwa Ende siebzig/Anfang achtzig. Die hohe, toll illuminierte Gebläsehalle überzeugte mit vulominöser Akustik, die Herren im Anzug mit Inbrunst. Die Idee ,die Geschichte des Ortes - ein ehemaliges Eisenhüttenwerk - so in Erinnerung zu halten und in die Gegenwart zu transportieren, ist nicht etwa kitschige Nostalgie, sondern ein einfallsreicher Clou! Lilli Among Clouds wusste die aufmerksamen Zuhörer zu halten und mit starker Stimme zu singen. Dann häuften sich die Höhepunkte im Bergwerktakt: erst erfolgt ein ungeheuer schöner, dichter und großartiger Auftritt von Gisbert zu Knyphausen, der einen Großteil seines aktuellen Albums Das Licht Dieser Welt auf dem Cowperplatz vortrug. Dann wurde ich zum ersten Mal am Wochenende komplett überrumpelt: Parcels haben in der Gießhalle gespielt und das war die Definition von Oberwahnsinn: hipper, catchiger Funk, der so dermaßen zum Tanzen animiert und die gesamte Halle in eine Diskothek verwandelt hat, dass man nur noch staunte. Das entschädigt auch die Kleidung und Frisuren der Musiker; das war richtig, richtig stark! Kurze Zeit später Faber als Hauptact des Abends. Und das komplett zurecht. Seine bissige, ehrliche Musik ist so große Unterhaltung, dass die Rhythmen in die Beine übergehen und die Texte einen zum Lachen bringen. Super Freitag!

Auch am Samstag war es angebracht, sich zwischen den leckeren Essensständen treiben zu lassen, der Magen konnte auf reichhaltige Weise genüsslich gefüllt werden, auch das trägt zur Atmosphäre bei; ein bisschen was Besonderes, ein bisschen ausgefallen und chic und absolut ins Bild passend: gut! Am späten Nachmittag ließ man sich von Luke Noa bei astreinem Soul beschallen und konnte dabei herrlich die Sonne genießen. Dass Geschmäcker verschieden sind, wurde dann bei Lotte klar: zwei Lieder genügten. Stattdessen haben Blumfeld gespielt. Sicherlich eine Band, die man gesehen haben sollte, wenn man deutschsprachige Musik mag. Sie brauchten eine gewisse Zeit, um anzukommen, doch ein textsicheres Publikum hat den Gig mit entsprechend viel Applaus honoriert. Publikumsmagnet an dem Abend waren dann die Mighty Oaks, die musikalisch überzeugten, irre sympathisch auftraten und nicht nur Brother lud zum Tanzen ein! Das Gegenprogramm war schlussendlich Mogwai. Heidewitzka. Wir waren in der Mitte des ersten Songs da, es wurde gerade ruhiger, bis urplötzlich eine massive Schallwand, Lärm und Krach über die Besucher hinweg fegte. Eine Demonstration von Lautstärke und Macht. Puh!
Glück auf: Der Knappenchor Moers

Am Sonntag um viertel vor fünf hat Malakoff Kowalski in der Gebläsehalle gespielt. Ein Pianist, der in Berlin beheimatet ist. In einer Dreiviertelstunde schuf er zwischen Bierstand, Cocktailbar und Flammkuchenofen eine Insel der absoluten Ruhe und Stille. Schade, dass zwischendurch so viele Leute gegangen sind, denn er hatte durchaus etwas zu sagen. Mit seiner leisen, minimalistischen Liedern versucht er der Musik als solcher auf den Grund zu gehen, den Kern zu erkennen. Bei seinen Ansagen war er sichtlich aufgeregt, irgendwie sympathisch. Zum Schluss sang er noch ein Lied ohne Klavier. Es war so pur und klar und nah; beeindruckend. Großartiger Auftritt, allein dafür muss man der Booking-Abteilung danken.
Es folgte ein überraschend toller Gig von Sam Fender. Der junge Brite glänzte mit erstklassigem Rock und einer Sting-ähnlichen Stimme, die man dem 22-Jährigen nicht zwingend zugetraut hätte. Danach wurde getanzt, denn Jamaram luden zur wilden Reggae-Dub-Sommer-Sause ein und ihr Animationsprogramm wurde gerne aufgenommen durch Mitsingen und Mittanzen zu einstudierten Choreographien. Als die Frage "Warum seht ihr am Festivalsonntag denn noch so unheimlich frisch aus?" erklang, musste ich schmunzeln, als meine Nachbarin sagte, dass wir ja alle zuhause schlafen würden. Das stimmt halt trotz der Möglichkeit vor Ort zu campen. Auch ohne Zahlen zu kennen, vermute ich dass die meisten nach den Konzerten ins heimische Bett gefallen sind - oder bei Freunden -, wir ja auch.
Abschließend wurde das Festival seinem Namen nochmal gerecht, als Martin Kohlstedt ein sphärisches Klavier-Beat-Set hinlegte. Mit dem Rücken zum Publikum, zwischen Flügel, Synthies, Tasteninstrumenten, Knöpfen und Drehreglern, spielte er nicht nur hervorragend mit dem Licht, sondern auch mit den klanglichen Übergängen! Fantastischer Abschluss.

Danke, liebes Traumzeit Festival.
Auch 2018 war grandios.
Wann gibt es denn Tickets fürs kommende Jahr?!
Ich werde in jedem Fall dabei sein!

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