Mittwoch, 11. September 2024

Live in Bremen: Hellseatic

Ef in der Kesselhalle. Foto: luserlounge 
(Ms) Das war so nicht zu erwarten. Was war das bitte für ein Spektakel?! Was hier folgt, ist der Versuch, den Besuch des Hellseatic im Bremer Schlachthof in Worte zu fassen.

Keine Erwartungen zu haben, ist oft die beste Voraussetzung, positiv überrascht zu werden. So geschehen am Wochenende. Für den Genuss waren zwei Dinge im Vorfeld notwendig. 1. Dass ich überhaupt drauf aufmerksam geworden bin. Denn ich kannte vorher tatsächlich nur eine einzige Band, Ef aus Schweden, die am Freitag spielten. Der Rest war mit komplett unbekannt und mit Heavy Music habe ich eher wenig Berührungspunkte. Aber ich dachte mir: Ach, komm - neue Musik kennenlernen, das ist doch voll mein Ding. Und live geht es am allerbesten! 2. Dass das Festival überhaupt stattfinden konnte. Lange stand alles auf der Kippe. Zu wenig Tickets wurden verkauft, um irgendwie bei Null rauszukommen. Es war die Rede von Gehaltsverzicht und Gagenreduzierung, um mit Leidenschaft ein einzigartiges Ereignis stattfinden zu lassen. Ich bin gespannt, wie sich die Veranstalter über die wirtschaftliche Situation nach dem Festival äußern werden. Aus vollem Herzen hoffe ich, dass Spenden, Merch-Erlöse und viel Mut das Hellseatic weiter am Leben lassen. Die Stadt Bremen hat nichts dazu gegeben. Was für ein Hohn! Dann halt selber machen…

Das Festival fand im Schlachthof statt. Vielleicht ist es die beste Location für ein Indoor-Event dieser Größe. Drei Bühnen, ein tolles Außengelände, viel Möglichkeit, dass es sich verläuft, unfassbar nette Menschen an allen Ecken und Enden. Und Rücksichtsvolle noch dazu! Selten habe ich erlebt, dass Besucher so freundlich schauen, dass auch jeder freie Sicht hat. Es kommen Entschuldigungen, wenn wem aus Versehen auf den Fuß gelatscht ist. Die Leute stellen sich entspannt beim Bier, Merch, Kaffee oder Pommes an. Wow - was für ein gelassenes Publikum! 

Eine Wucht, Rotor. Foto: luserlounge
Das erste, was ich sah, waren MMTH (Mammut ausgesprochen) in der Kesselhalle. Draußen war es heiß, drinnen war es heiß, überall war es heiß. Aber die schweren Gitarren waren eine Wohltat für die Seele. Park & Riot haben anschließend den Magazinkeller zerlegt. Zum Ende ihres energiegeladenen Stets, wollten die beiden unbedingt noch die Grenze zwischen Publikum und Band auflösen und bauten das Schlagzeug inmitten der Besucher an mit der wunderbaren Ansage: „Jemand muss sich auf die Bassdrum setzen, die rutscht sonst.“ Gesagt - getan, kompletter Abrissirrsinn! Moor waren mir etwas zu schleppend, Außerwelt etwas zu wild. Dann endlich zu Ef - eh eff ausgesprochen - und es war ein Auftritt wie aus einer anderen Welt. Ein paar Jahre schon verfolge ich diese Band und was sie live darbieten, ist enorm. So dicht, so atmosphärisch und melodisch und so voller Druck. Das war sehr, sehr gut. Musikalisch und vom Ambiente. Agriculture konnten sehr gut schreien, bei Ultha war nichts außer roter Nebel zu sehen. Eine wahre Offenbarung waren 24/7 Diva Heaven. Denn es ging nicht nur um schwere, tragende Musik am Wochenende. Auch rotzig, alternativ, rockig war möglich. Seitdem ich Amyl & The Sniffers für mich entdeckt habe, war 24/7 Diva Heaven genau der richtige Impuls! Die Bandbreite an Bands der reinste Wahn! Die drei Damen haben im Keller alles gegeben. Es war stickig - egal! Das Bassdrumpedal riss vor lauter Energie - egal!  Hier ist eine Gruppe am Start, die es noch sehr weit bringen kann! Ehrlich. Und dann war ich voll. Voll von Eindrücken. Bei Monkey3 noch eben reingeschaut, doch dann sagte mir mein Verstand: Mehr geht nicht rein, auch wenn das da gerade wirklich gut ist. Ja, das musste erstmal sacken.

Pedal gerissen - egal, 24/7 Diva Heaven. Foto: luserlounge
Eine Nacht schlafen, dankbar sein, dass ich den Gehörschutz dabei hatte. Insbesondere im Keller war es teils richtig laut. Doch die Ohren haben das Wochenende sehr gut überstanden. Am Samstag also wieder los, als erstes sah ich A Swarm Of The Sun und habe mich geärgert, dass ich nicht schon früher gekommen bin - das war stark! Doch noch ein paar Schippen drauf legten ELR im Anschluss. Zwei riesige Traumfänger an den Bühnenseiten, zwei Damen am Mikro und los ging die okkulte Messe. So fühlte es sich zumindest an. Was war das denn?! Tief beeindruckt blieb ich zurück. Wahnsinnsbooking! Surgical Strike waren mir zu männlich. Predatory Void eine weitere Schreitherapie. Und dann ging es nochmal richtig rund. Im Keller spielten Monosphere aus Mainz. Metalcore vom Allerfeinsten! Wow, das hat richtig gescheppert. Und die Dame in der ersten Reihe war vielleicht die schlauste Person am ganzen Wochenende. Mit Fächer und Ventilator war sie ausgerüstet. Das war wirklich, wirklich schlau! Anschließend wieder in die Kesselhalle. Eine Band Namens Rotor spielt. Irgendwie gefiel mit der Name direkt. Gut besucht war es obendrein! Und was ist dann passiert?! Die Definition von Stonerrock. So, wie ich es mir zumindest vorstelle. Schwer, satt, sehr genau, voller Dichte und Dringlichkeit. Was für ein Auftritt, was für eine Band - direkt abgespeichert.

Laut, laut, wild, wild, schwer, schwer. Doch nicht ganz. Denn die im besten Sinne komplett verrückten Veranstalter haben auch noch den Dachboden des Schlachthofs bespielen lassen. Was dort passierte, hatte mir dem Rest gar nichts mehr zu tun. Mutig oder genial. Wahrscheinlich beides. Am Samstag spielten dort Bubble Wrap Trap, eine Jazzkombo aus Israel. Warum nicht ein wenig Tanzen zwischen dem ganzen Geschrei?! Sehr gut! Doch mein heimliches Highlight nach Ef, ELR und Rotor waren Ill Raketen Und Die Weidenmeisen. Natürlich in erster Linie des Namens wegen. Die musikalische Darbietung des Trios war irre! Percussion, Fieldrecordings, Flöten, zig Instrumente und jede Menge Rausch. Die gut 40 Leute, die sich dorthin am Samstag verirrt haben, wurden klanglich reich belohnt!

Puh, erstmal durchatmen. So kam ich Samstag zu Hause an. Den Kopf voller Eindrücke. Eindrücke, die ich so niemals erwartet hätte. Und die tolle Erkenntnis: Noch nie habe ich so viel spannende Musik an einem Wochenende kennengelernt. Selten war ich unter so viel entspannten Menschen. Tatsächlich habe ich auch noch nie so einen guten Kaffee auf einem Festival getrunken! Und selten ging ich glücklicher nach Haus.

Vielen Dank, dass das Hellseatic stattfinden konnte. Als Typ, der eher aus der Indie-Ecke kommt, war es eine Offenbarung, was musikalisch so möglich ist. Grenzen wurden ausgelotet. Scheinbar Unvereinbares spielte nacheinander. Danke für den Wahn und die Leidenschaft! Ich hoffe, beim nächsten Mal wieder dabei sein zu können!



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