Donnerstag, 29. August 2024

Lambert - Actually Good

Foto: Murray Ballard
(Ms) Es gibt so unglaublich viel tolle instrumentale Musik. Das Genre Neoklassik oder alles, was so in den letzten Jahren bezeichnet wurde und wird, wird immer größer und größer. Das klassische Klavier ist Pop geworden, mal tanzbar, mal andächtig. Doch wenn die weißen und schwarzen Tasten den Rhythmus und die Melodie singen, wird es für manch Rezensenten - und hier schließe ich mich direkt ein - schwer, gute Worte dafür zu finden. Denn mir zum Beispiel fehlt total das klaviertechnische Know-How. Wie das Instrument grob funktioniert, weiß ich schon. In meiner Jugend habe ich auch Unterricht genommen, zwar für das Saxphon, aber das reicht ja, um Harmonien und Arrangements zu verstehen. Dennoch liegen mir keine Noten vor, wenn ich über neoklassische Alben schreibe. Die Musik an sich muss reichen und die Kreativität und das Wissen des Schreibenden auch, um ihr gerecht zu werden. Puh, ganz schön schwierig das alles. Da ist Abhilfe ja sehr willkommen. Und bei instrumentaler Musik kommen halt viel schneller Bilder in den Kopf, als wenn ich mich mit Versen und Texten befassen kann. Also dienen Bilder über Landschaften, Gefühle, Filme, Situationen des Alltags als Anhaltspunkt. Sie sind nur eine Hilfe für fehlendes Fachwissen.

Das ist ja nicht schlimm, wird aber der Musik nicht so richtig gerecht. Nun gibt es hier „leider“ eine Geschichte, wo es genau anders herum läuft. Am 30. August erscheint das neue Album von Lambert, Actually Good. Es ist tatsächlich der Soundtrack einer Serie, doch die gibt es gar nicht. Die Geschichte, die dahinter steckt, ist wahnwitzig! Denn Lambert wurde von einem englischen Regisseur angefragt, nicht nur die Musik zu einer Krimiserie zu schreiben, sondern auch die Hauptrolle zu spielen - mit Maske! Warum nicht, dachte der Pianist, und sagte zu. Die Musik hat er vor dem ersten Drehtag fertig geschrieben. Im Nachhinein betrachtet das Beste, was ihm passieren konnte. Denn vor Ort ging alles schief. Der Regisseur muss ein irrer Typ gewesen sein, launisch, laut, unangenehm. Er brüllte rum, wann es nur ging und verscherzte sich so natürlich die Gunst all der Leute, die dabei waren. Es kam so, wie es kommen musste: Es wurde alles eingestampft. The Stranger nie zu Ende gedreht. Lambert kam wieder zurück nach Deutschland, wurde dafür nie entlohnt. Was für ein krummes Ding?!

Doch hier ist die glückliche Fügung: Der Pianist hat es geschafft, die Rechte an seiner Musik zu behalten. Sogar Teile des gedrehten Materials kann er für die Videos nutzen. Aus dem Fremden wurde das, was schlussendlich gut ist. Doch gut ist gar kein Wort, um die Lieder der neuen Platte zu beschreiben. Sie sind facettenreich, sanft, tief, einnehmend, teils mysteriös. Und vor allem wunderschön!

Mit sanften Tastentönen beginnt die Platte. Ein stetiges Auf und Ab im Hintergrund, ein hauchendes Saxophon dazu und gezupfte Gitarrensaiten. Ja, das musste das Erkennungsmerkmal des Lambert-Kommissars sein. Geheimnisvoll, vielversprechend, undurchsichtig. Auch auf The Move wird schnell deutlich, dass nicht nur das Klavier hier im Mittelpunkt steht, sondern einige andere Instrumente zum sehr runden Hörgenuss beitragen. Ob es Percussion oder ein wenig elektronische Spielerei ist, ist egal. Denn so klein der Einsatz auch ist, der Effekt ist groß, lässt das Tasteninstrument mal in den Hinter- dann wieder in den Vordergrund treten. Das ist genauso einfach wie clever. Dieses Album ist nicht laut und in seiner Feinheit sehr ausgewogen. Und je größer die instrumentale Vielfalt ist, desto prominenter kann das Klavier auftreten. Die Neugier beim Hören ist ja sehr groß, herausfinden zu wollen, zu welcher Szene dieses oder jenes Stück denn gedacht war. Das titelgebende Stück ist zum Beispiel recht euphorisch, Marie-Claire Schlameus spielt darauf Cello. Begleitet es einen kleinen Nebenschauplatz über eine private Szene des Ermittlers?! Wir werden es nie wissen. Auch auf Don‘t Know Anyone holt sich Lambert Musiker hinzu. Ralph Heidel spielt darauf Saxophon. Und das so sanft, klar und mäandernd - wunderschön! Ja, es sind oft die kleinen, feinen Arrangements, die das Album so hörenswert machen. Denn sie kommen genau an den richtigen Stellen. Oder in bester Kombination wie auf Pressure And Room. Streicher, Bass, ein wenig Getrommel. Dazu ist dieses Stück noch herrlich verspielt, geht rauf und runter und steigt so in seiner Komplexität. Für mich der Kern dieser Platte, da es verhältnismäßig wild wird am Ende! The Others mit Robin Scherpen an der Gitarre klingt wie eine einfache Etüde. Etwas einfacher klingen zu lassen, als es ist, ist Kunst! 

48 Minuten nimmt Lambert uns mit auf eine unvorstellbare Reise. Ist die Geschichte hinter Acutally Good die absolute Legitimation, sich dazu Bilder einfallen zu lassen?! Oder verbietet es sich erst recht?! Schwer zu sagen, beides nachvollziehbar. Unabhängig davon ist dies eine wunderbare Platte geworden. Die leisen, mysteriösen, fein aufgebauten Stücke lassen schnell das Hier und Jetzt beiseite, egal ob der Alltag gerade mal wieder ein Krimi war oder nicht. Live bestaunen kann man ihn bald hier:

17.11. Bielefeld, Johanniskirche
18.11. Hamburg, Christianskirche Altona
20.11. NL-Groningen, Lutherse Kerk
21.11. NL-Den Bosch, Toonzaal
22.11. Kassel, Theaterstübchen
23.11. Jena, Trafo
24.11. Freiburg, Jazzhaus
25.11. Nürnberg, Marthakirche
27.11. Köln, Stadtgarten
28.11. Karlsruhe, Tempel
29.11. Berlin, Fotografiska
30.11. Dresden, Club Tonne
01.12. Frankfurt, Brotfabrik


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