Donnerstag, 18. April 2024

Dino Brandão - Self-Inclusion

Foto: Flavio Leone
(Ms) Diese 42 Minuten sind ein ganz großer Genuss. Eine knappe Dreiviertelstunde, die klangtechnisch ganz große Kunst sind. Textlich und geschichtlich auch.
Doch ich brauchte einige Zeit, um in Self-Inclusion, dem ersten Solo-Album von Dino Brandão einzutauchen. Denn nebenbei lässt es sich (meines Erachtens) nur schwer hören. Am besten kapselt man sich dafür ein wenig ab, schallisoliert und entspannt. Dann eröffnet sich nämlich ein ungeahnt spannender und vor allem vielschichtiger Klangraum. Es ist vergleichbar mit den frühen Liedern von Bayuk. Aber noch umtriebiger. Was Brandão alles miteinander mischt und verbindet, ist genial! Ich würde es as Art Pop bezeichnen, da der künstlerische, also der geniale, Moment so oft durchschimmert. Es ist nicht nur Strophe/Refrain/Strophe/Bridge/Refrain und aus. Nein, hier ist Jazz, Bossa Nova, Samba, Alt-J, Damon Albarn, die ganze Welt zu hören.

Ausgangspunkt für die Texte der zehn Lieder ist eine Multiple-Sklerose-Diagnose und ein längerer Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. Ja, manchmal lassen die tiefsten Tiefen die größte Kunst erschaffen. In dem wahnsinnig breitgefächerten Ansatz, Musikstile miteinander zu kreuzen, nebeneinander zu stellen, zu verbinden, in Eins zu gießen sehe ich den Genie-Moment, der mich an Damon Albarn erinnert. Dass sich in manch Liedern enorm viele Parts abwechseln und gleichzeitig nie ein Durcheinander entwickelt, ist für mich der Alt-J-Moment dieser Scheibe. Das sind ja aber nur meine Assoziationen. Über allem steht seine unverwechselbare Stimme, die zart, hart und so verdammt einprägsam sein kann. Trotz dem durchaus hohen musikalischen Anspruch, hat die Platte einen krassen Ohrwurmfaktor.

Total hängen bleibt zum Beispiel der Rhythmus auf Bouncy Castle. Wenn er dann mit einer etwas erhöhten Stimme in den Refrain geht, bin ich komplett ergriffen! Catchy ist zudem das enorm entspannte Gitarrenspiel Zu hören ist eine Einlieferung in die Klinik. Hui! Keine leichte Kost, textlich. Musikalisch umso mehr! Die Trompete spielt hin und wieder eine brillante Rolle auf den Stücken. Denn sie wird in genau den richtigen Momenten eingesetzt, um Spannung abzubauen und wieder ein wenig Harmonie in die teils verschachtelten Parts zu streuen. Auf Coma geling dies richtig, richtig gut! Coconut hingegen ist nicht unbedingt eines der Lieder, die direkt herausstechen, aber der lässig, tiefe Bass, der sich durch das ganze Lied erstreckt, ist göttlich! Das präsenteste Stück der Platte ist in jedem Fall Progress! Wie viele geile, packende Elemente kann man nur auf ein einzelnes Lied packen? Dino Brandão beantwortet es auf 3:45 Minuten. Das ist eine schier unglaubliche Klangreise und ein Zeugnis von richtig starker, großer Kunst! Hier lohnt es sehr, den Text auf dem Schirm zu haben. Denn auf diesem tanzbaren Track fragt er woher denn unser Wohlstand käme. Die bittere Antwort im Lied: „Colonial love. Nothing to be proud of.“ Da ist einem plötzlich gar nicht mehr nach Tanzen zumute.

Das, was auf diesen 42 Minuten passiert, ist wahnsinnig beeindruckend und spricht mich sehr an. Wem das beim ersten Hören zu wild und sperrig ist, dem rate ich: Hör nochmal rein. Es lohnt sich so sehr. Klanglich und textlich wird man hier reich beschenkt. Self-Inclusion ist ein Album, das ist gar nicht so auf dem Schirm hatte, aber in kurzer Zeit zu einem der Top-Platten diesen Jahres gehört! Große Empfehlung!

19. April - Manufaktur, Schorndorf, DE
20. April - Fri-Son, Fribourg, CH


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