Mittwoch, 4. Mai 2022

Sam Vance-Law - Goodbye

Foto: Alexander Coggin
(ms) Zeitsprung in den Januar 2019. Sam Vance-Law ist mit seinem großartigen Album Homotopia auf Tour und das Gleis 22 in Münster ist gut gefüllt und beschwingt während eines sehr kurzweiligen und tollen Abends. Sam Vance-Law weiß ziemlich gut, wie er das Publikum auf seine Seite zieht. Zum Einen macht er extrem gute und sehr zugängliche Musik, zum Anderen ist er einfach irre charmant und humorvoll. Eine feine Mischung. Sein Erstling ist eine ziemlich programmatische Platte, die ein Dasein als homosexuelle Person thematisiert, unterhaltsam und eindringlich. Damals meinte er schon, dass die nächste Platte, an der er in jenem Winter schon arbeitete eine Trennungsplatte wird. 

Zeitsprung in den Mai, 2013. Gleicher Ort. Dear Reader waren auf Tour mit dem ebenfalls programmatischen Album Rivonia, auf dem es um die südafrikanischen Wurzeln von Sängerin Cherilyn MacNeil geht und einer Auseinandersetzung ihrer Herkunft. Auch auf der Bühne: Sam Vance-Law. Sowohl als Hälfte der Vorband Traded Pilots, die es nicht mehr gibt, als auch als Teil von MacNeils Band danach. Damals blieb er als singender Geigenspieler in Erinnerung, der damals schon mit seiner charakteristischen Stimme auffiel. Umtriebig war der nun in Berlin lebender Kanadier immer schon. Und immer schon auffällig gut an all seinen Instrumenten.

Zeitsprung in den Mai 2022. Sam Vance-Law hat mittlerweile einen Vertrag bei Virgin Records und bringt am 6.05.2022 sein zweites Solo-Album raus. Alles, wofür er steht und was er angekündigt hat, trifft auf Goodbye (erneut) vollkommen zu. Der Titel sagt ja alles. Wieder ist es ein konzeptionelles Album, das inhaltlich oft sehr hart und musikalisch oft sehr schwungvoll und beinahe optimistisch anmutet. Ja, es ist genau die Trennungsplatte geworden. Doch es ist kein Herzschmerzalbum, zu dem man alleine, rotweintrinkend in verschwindenden Erinnerungen suhlt und weint. Es ist ein Album, das einen klaren Schlussstrich zieht, selbstbewusst 'Hau ab!' ruft, aber natürlich auch die schweren Seiten zulässt.

Ein Klavierintro Namens 2, passend zur Anzahl seiner Alben, eröffnet sanft und recht entspannt diese Platte. Einzelne Motive des Stücks werden wieder auftauchen. Und dann eröffnet sich ein musikalisch sehr zugängliches und textlich sehr geschicktes Album mit dem Track Kiss Me. Wie er auf diese eine gewichtige Beziehung zurück schaut, ist das Motiv. Mit all den ernüchternden Erkenntnissen und nicht in Erfüllung gegangenen Wünschen. Ja, auch so scheinbar simple, selbstverständliche Dinge wie ein Kuss. Klar, Liebeskummer ist ein unschönes Gefühl. Macht schwer. Zieht runter. Verdunkelt die Freude und Perspektive. So könnte dies ein enorm melancholisches Album sein. Klar, die Texte sind schonungslos, aber auch nicht frei von Humor. Icarus ist so ein etwas betrübtes Lied übers Schlussmachen, scheiß Momente. Das Lied zeigt auch, wie fein Sam Vance-Law als Musiker arbeitet: seine prägnante Stimme brilliert, Bläser und Streicher sind genau richtig eingesetzt, unterstreichen die ernste Atmosphäre, ohne kitschig zu sein. Ja, locker sind die Arrangements auf diesem Album, und gleichzeitig ziemlich clever, wenn Someone Else mit einem tollen, kurzen Chorpart startet, der im Refrain wiederkommt. Ein Lied, das einen tollen Drive entwickelt!
Dann einer der poppigen Kracher des Albums: Klar, es geht darum, dass die mittlerweile ungeliebte Person sich verdammt nochmal verpissen soll, und genau so klar wird es auf Get Out auch gesungen. Synhies, 'Whoo-hooo' und catchy Gitarren machen dies zu einem kurzweiligen Vergnügen, logisch, dass dies als erster Part einer Doppelsingle ausgesucht worden ist. Das später auf dem Album kommende Been Drinking ist halt die verkaterte Seite, des poppig-luftigen Get Out - sowohl musikalisch als auch inhaltlich.
Ach, Liebeskummer, du elendiger Hund. Es ist ja der komplette emotionale Breakdown samt sämtlich möglicher Zweifel an sich und der Sinnhaftigkeit des Lebens. No Love ist das passende Stück dazu. Bedrückte Melancholie und hoffnungsvolle Streicherarrangements geben sich hier die Klinke in die Hand. Mit Blissful Times macht sich der Kanadier sogar an eine moderne Form des französischen Chanson ran, was wunderbar aufgeht. Ja, bei aller Monothematik von Goodbye, ist es musikalisch sehr abwechslungsreich. Es ist eindrücklich zu hören, dass hier jemand mit viel klanglichem Gefühl am Werke ist. Auf Cause I Know ist eine Sologeige zu hören, die repetitiv spielt. Später kommen noch gezupfte Elemente hinzu und ich komme ins Träumen und Wünschen für seine Liveauftritte, dass er das selbst spielt. Das wäre echt großartig! Die textliche Erkenntnis 'Cause I know that you don't love me' ist ja in dem ganzen Trennungsprozess die schlimmste, die ganze Enttäuschung kommt im Stück gut heraus. Grob zum Ende hin zeigt er mit Here You Go Again erneut großes poppiges Gespür - hach, das macht echt Spaß zu hören, wie gut die Lieder auf dieser Platte angeordnet sind. Es wird nicht langweilig! Der nächste Beweis: Too Soon weißt einige extrem lässige, beinahe abgebrühte Jazzpassagen auf!
Goodbye endet mit Thanks Again, das mit gezupfter Gitarre startet. Ja, so vehement zwischendurch 'Verpiss dich' gerufen wurde, kommt am Ende ein Dank. Ein Dank, der von Herzen kommt, so sanft und bedacht er ist. Bedanken tut sich Sam Vance-Law nicht nur bei der erloschenen Liebe, sondern auch bei seiner Familie, Freunden und unbekannten Hörenden. Fürs Zuhören.

Zeitsprung ins Jetzt: Lieber Sam Vance-Law, gerne habe ich zugehört. Das zweite Album ist extrem rund, sehr ausgewogen, facettenreich. Ja, es gibt zwar 'nur' ein Thema, doch das ist so groß und stark, dass es darüber viel zu erzählen und singen gibt. Das hat hier hervorragend geklappt! Danke.



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