Freitag, 1. April 2022

KW 13, 2022: Die luserlounge selektiert

Quelle: spreadshirt.de
(sb/ms) Es sind harte Zeiten. Zweifelsohne. Doch, dass es so weit kommen konnte, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausdenken können. Dass diese Tage und Wochen das scheinbar Unmögliche möglich machen. Es dauerte zwar nur sehr kurz, dennoch war ich von meinem eigenen Handeln zutiefst erschrocken.
Es geschah am Dienstagabend und ich bin wenigstens ein wenig erleichtert zu wissen, woran es lag. Eine zweite Covid-Infektion (trotz maximalem Impfschutz) rafft mich dahin, ist punktuell intensiver als letztes Frühjahr. Ja, das darf keine Entschuldigung sein, muss aber herhalten. Dienstagabend also. Nachdem der Tag mit Vegetieren, Berieseln und viel Heißgetränkeaufnahme gestaltet wurde, geschah es am Abend. Es war viertel nach neun. Es gab noch einen kleinen, frischen Snack, um den Frischemangel auszugleichen. Ja, in Quarantäne kann man sich wahnsinnig ungesund ernähren, aber egal. Von Zauberhand muss es geschehen sein. Das Undenkbare. Das Grauen zog anheim. Plötzlich flackerte auf meinem Bildschirm eine orangene gegen eine schwarze Mannschaft. Da habe ich die ganze EM letztes Jahr sehr erfolgreich boykottiert, und nun ziehe ich mir das für 13 Minuten rein. Ein Trauerfall. Tiefpunkt 1: Die Szene an sich. Tiefpunkt 2: Der Kommentator meint, es sei ein Freundschaftsspiel. Die Scham vor mir selbst steigt. Tiefpunkt 3: Ein gewisser Thomas M. schießt ein Tor. Man sollte es ihm direkt wieder aberkennen. Aus Dummheit. Und das Spiel 10:0 für den Gegner werten. Wer so etwas von sich gibt, sollte nicht im Profisport agieren. Nein, Profisportler müssen keine Intellektuellen sein, wie auch?! Doch diese abartig überbezahlten Menschen haben ja wirklich ausreichend Zeit, um sich zu informieren. Und dann kommt der mit Whataboutism... Zum Glück war Halbzeit und das 13-Minuten-Experiment fix wieder beendet...

Dieses Experiment hier dauert schon recht lang an. Und es geht auf. Oder?

Luksan Wunder
(ms) Internethumor ist ja so eine Sache. Memes zum Beispiel verstehe ich zum Großteil gar nicht. Also sie sind oft wenig witzig und auch wenig originell. Für so Seiten wie 9gag (gibt's das noch?) fehlte mir auch immer schon das Verständnis. Bei wirklich gutem Spaß, der (lange Zeit) nur im Netz zu sehen war, landete ich immer wieder auf dem YouTube-Kanal Luksan Wunder. Also echt, das finde ich extrem witzig. Es fing an mi den Clips zu 'Korrekte Aussprache', wo ich lachend auf dem Boden lag, es folgten die super guten 'Literal Videos' und wenn der Nussknacker zum Bauschaumausfuger bei den 'Life Hacks' wird, bin ich platt. Das ist mein Humor. Dass das Kollektiv mit dem Supernamen auch einen Podcast war mir unbekannt, aber auch wenig verwunderlich. Darin gibt es immer wieder eigene Lieder zu hören. Die werden nun auf einem Album zu hören sein. Von 0 Bis 18 heißt es und Ich Hab Sie Gern kann ab heute gehört werden. Das ist natürlich herrlich klamaukig und könnte sogar musikalisch eine wundervolle Kurzweil sein!


No King. No Crown.
(sb) Juhu, da kommt Freude auf! Endlich wieder ein Lebenszeichen von unseren Lieblingsmelancholikern No King. No Crown.! Die Dresdner melden sich mit ihrer Single Never Taught To Treasure zurück und machen das, was sie am besten können: leise Töne anschlagen und in ihrer typischen Unaufdringlichkeit brillieren. Garniert wird der Track durch ein sehenswertes Retro-Video, das sich nahtlos in den Hörgenuss einfügt. Hach, was ist das schön... Bitte mehr davon!
 

 
Bipolar Feminin
(ms) Darauf habe ich mich richtig doll gefreut! Es ist so leidenschaftlich, überzeugend und schön. Ehrlich, aufrecht, wütend und nochmal leidenschaftlich. Das mag ja immer etwas pathetisch klingen, aber wenn Leni Ulrich ins Mikro singt, brüllt, schwelgt, skandiert, dann muss da genauso viel Herz wie Wut und Können drin stecken. Ihre Band Bipolar Feminin veröffentlicht heute ihre erste EP Piccolo Family. Der Titel ein wunderbarer Verhörer auf den Bandnamen in bester Axel Hacke-Manier. Über zwei Jahre hinweg sammelten sich Ideen, Melodien und Texte zu Liedern zusammen, die nun erstmalig gemeinsam zu hören sind. Das ist von der Einstellung her auf jeden Fall Punk, es könnte gar nichts anderes sein. Klanglich ist es Gitarrenrock mit mal melancholischen und poppigen Nuancen. In allen sechs Stücken steckt ganz viel Kraft. Kraft in Liederform die ganz nah am Menschen sind. Und dadurch super gut zugänglich. Würde ich nicht im hohen Norden, sondern in Österreich wohnen, würde ich sofort versuchen, alle dieser Tourtermine wahrzunehmen. Das müssten beeindruckende Abende werden! Davon bin ich fest überzeugt! Ich wünsche mir und der Band sehr, dass diese EP erst der Beginn einer ziemlich atemberaubenden Reise wird. So wie Bipolar Feminin Musik machen, schließen sie genau die Lücke, die die (neue) österreichische Musik noch hat. Prollig (Bilderbuch), süffig (Wanda), poppig (Olympique) und schräg (Voodoo Jürgens) gibt's schon, jetzt kommt direkt und zornig dazu! Stark!

 
Damokles
(sb) Es gibt ja so Tracks, die wahnsinnig oft gecovert werden. Dazu gehört auch A Forest von The Cure. Und tatsächlich taugt mir jede einzelne Version des Songs, die ich bisher gehört habe, u.a. von Waltari und British Sea Power. Nun haben sich Damokles des Klassikers angenommen und verleihen ihm einen neuen Anstrich. Die Norweger sind im Bereich Indie bzw. Post-Hardcore verankert und geben ordentlich Gas. Leider hat es das Cover nicht aufs Album Nights Come Alive (VÖ: 31.03.) geschafft - es wäre dem dennoch hörenwerten Longplayer bestens zu Gesicht gestanden!



Christine Schörkhuber & Zorka Wollny
(ms) Je länger ich mich mit Musik beschäftige, desto mehr Fragen tauchen auf. Verunsicherungen. Backgroundchecks meiner selbst. Die Grundfesten. Fast wöchentlich habe ich mich Genrebezeichnungen zu knabbern. Jetzt werden die Kreise noch größer. Und folgende Frage stellt sich: Wo sind die Grenzen von Musik? Was definiert sie? Ton? Melodie? Komposition? Der reine Gedanke, dass es Musik sein kann, ohne sie definieren zu müssen? Sind Musik und Hörspiel das gleiche? Können sie es sein? Sind Musik und Performance das gleiche? Können sie es sein? Mit Lullabies To Wake Up von Christine Schörkhuber und Zorka Wollny stellen sich mir genau diese Fragen. Anfang des Jahres veröffentlichten sie dieses Album, das aus zwei Teilen besteht, gut 28 Minuten Spielzeit hat und einem klaren Konzept zugrunde liegt. Mit 50 Personen aus mehreren Länden haben sie sich die Frage gestellt, was uns vor dem Einschlafen bewegt, welche Gedanken, Sorgen, Wünsche. Diese wurden aufgenommen. Als Spoken Word-Beiträge und als chorische Aufnahmen sind sie zu hören. Das ist schon beeindruckend, auch beengend, sehr nah und dicht. Die vielen Fragen um Ängste und Identität werden nicht beantwortet, wie soll es auch vor dem Schlafen funktionieren? Im Hintergrund sind Klänge zu hören, das meiste musikalische trägt der Chor. Oft singt er wortlose Melodien, häufig wiederholt er eben jene Fragen.
Das lässt mich irgendwie ziemlich ratlos zurück. Das ist große Kunst zwischen Philosophie und Klang. Hören kann man das nicht nebenbei, dafür ist es zu komplex. Vielmehr sind es Anregungen zum Denken. Am besten könnte ich es mir als Darstellung im Theater vorstellen. Dann würde die ganze Wucht und der kreativ-künstlerische Ansatz vielleicht am besten rüberkommen.

 
Eamon McGrath
(sb) Fangen wir mal auf der persönlichen Ebene an: Eamon McGrath ist ein super Typ! Ich hatte die Möglichkeit, den Kanadier mal am Rande eines seiner Konzerte kennenzulernen und finde es wirklich bewundernswert, wie er sein Künstlerleben trotz kommerziell überschaubaren Erfolgs durchzieht und seinen Traum lebt. Ich mein, gebt Euch das: Der Kerl macht seit 2006 Musik, Charterfolge sind weit und breit keine zu finden - und dennoch tourt er regelmäßig durch Europa und beehrt dort winzige Clubs mit seinen wunderbaren Auftritten. Demnächst ist er auch wieder unterwegs und bringt sein aktuelles Album Bells Of Hope auf die Bühne, das zwar nicht ganz an die überragende Scheibe Guts (2019) heranreicht, aber dennoch herausragende Texte zu bieten hat und musikalisch zu gefallen weiß. Schaut Euch das an, es lohnt sich!
 
07.04. Burghausen (D), Mathilda
08.04. Wien, The Loft
09.04. Salzurg (A), NarrenCastl
10.04. Feldbach (A), Café GLAM
12.04. Klagenfurt (A), Wohnzimmer
13.04. München (D), Frisches Bier
14.04. Sankt Wendel (D), JJ's Pub
16.04. Dortmund (D), Atelier Schreinerei
20.04. Bonn (D), Namenlos
21.04. Kassel (D), Mutter
22.04. Berlin (D), Artliners
25.04. Mainz (D), Kulturcafé
 

 
Philipp Makolies
(sb) Philipp Makolies? Wer ist das denn? Nie gehört? Kann gut sein, aber ein Unbekannter ist der Musiker nun wirklich nicht! Er war bei Polarkreis 18, ist Live-Gitarrist beim großartigen Enno Bunger,  musiziert in den Bands Makk und Lestat Vermon und ist zudem als Produzent (u.a. für No King. No Crown. - siehe oben!) tätig.. Sein bekanntestes Projekt sind vermutlich jedoch die Woods Of Birman und ja, wir mögen sie sehr! Nun veröffentlichte der Dresdner mit It Comes And Goes (VÖ: 25.03.) sein erstes Soloalbum und offenbart ein weitere wunderbare Facette seines Könnens. Grandioses Songwriting, eingängige Folk-Elemente, aber auch elektronische Passagen und zielsichere Samples - das Eine fügt sich ins Andere und ergibt ein stimmiges Gesamtbild, das über die gesamte Laufzeit hinweg begeistert. Philipp Makolies? Philipp Makolies! Merkt Euch den Namen gefälligst!
 
 
Yann Thiersen
(ms) Manch MusikerIn lässt diese eine, ganz bestimmte Assoziation niemals los. Bei Yann Thiersen dürfte ich nicht der einzige sein, der da einen ganz bestimmten Film vor Augen hat. Zum Glück tut der Pianist alles dafür, sein Können auch auf allen anderen Ebenen zu zeigen. Wie facettenreich seine Kreativität und mutig sein innovativen Arragements sind zeigte er zuletzt im vergangenen Jahr auf seinem Album Kerber. Dass es Anfang Juni bereits ein neues Werk gibt, lässt staunen. Ähnlich wie sein Kollege Ólafur Arnalds nutzt der Franzose für 11 5 18 2 5 18, so der etwas kryptische Name der Platte, Samples, die dann fast alleine Musik erzeugen und zart bis wuchtig elektronisch zuschlagen. Die Leichtigkeit seiner Kreativität ist dabei schon vorab in jedem Takt zu hören und beschwingt, während es draußen unerwartet friert und schneit.


Angel Olsen
(ms) Es sind bestimmt die härtesten Zeiten, die die größte kreative Energie freisetzen kann. Wenn Freude auf Schicksalsschläge auf Talent trifft, gibt es ungeheuer viel zu verarbeiten, aufzuschreiben, loszuwerden. So geschehen bei Angel Olsen. Kaum hat sie die ganze Facette ihres Begehrens kennengelernt und den Mut aufgebracht, dies ihren Eltern zu berichten, sind beide nacheinander verstorben. Komplett verliebt und am Boden zerstört. Was für ein grauenhafter Mix. Ein Glück, dass die Musikerin genau das richtige Ventil dafür hat: Musik machen, Texte schreiben, Melodien festhalten und umsetzen. So erscheint am 3. Juni ihr neues Album Big Time. Treffend ausgedrückt. Selbstredend gibt es dazu den passenden Vorboten. All The Good Times ist seit dieser Woche zu hören und sehen. Vor all den schönen neuen Liebeskapiteln musste sie die alten erstmal verarbeiten und schließen. Das tut sie mir diesem Stück recht umfänglich und sanft mit der Frage: Wie wollen wir uns am Ende einer Beziehung aneinander erinnern? Es könnte also wieder ein ziemlich tolles Album der Amerikanerin geben im Sommer. Später im Jahr kommt sie für drei Konzerte hier vorbei:

04.10.2022 - München, Freiheitshalle
07.10.2022 - Berlin, Huxleys
13.10.2022 - Köln, Gloria


Sofia Portanet & Chilly Gonzales
(ms) Für gute Veröffentlichungsstrategien habe ich eine Schwäche. Denn ich bin immer wieder ziemlich überrascht, wie viele Lieder einzelne Bands oder MusikerInnen weit vor Release raushauen. Wo bleibt der Zauber der Überraschung? Wo bleibt die Neugier, ein Album als komplettes Kunstwerk zu entdecken, wenn ich Monate vorher schon die Hälfte der Lieder kenne?! Ob sich Sofia Portanet das auch dachte, weiß ich nicht. Dieses Jahr soll es ein neues Album geben, Zeitpunkt und Name unbekannt. Sehr gut. Bislang gibt es auch nur einen neuen Song zu hören. Auch sehr gut. Bereits im November erschien Real Face und ich habe mich direkt verliebt. Zurecht, meines Erachtens. Und statt jetzt weiter Neues raus zu hauen, gibt es erstmal eine neue Version dieses Stücks. Zusammen mit dem wohl bekanntesten Pianisten der popkulutrellen Sphäre, Chilly Gonzales, hat sie in einem One Take das Lied mit Klavierbegleitung aufgenommen! Diese Reduzierung bringt den Kern des Stücks auf ein ganz neues, pures Level. Das ist super gelungen. Klar, das Original besticht durch sein sehr gutes poppiges Arrangement, diese Neubearbeitung zeigt das wahre Gesicht von Real Face, die Zerbrechlichkeit und das alles okay ist, wie wir sind.

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