Montag, 14. Oktober 2019

Enno Bunger - Live in München

(sb) Was berührt, das bleibt - und zwar in Erinnerung. So auch das gestrige Konzert von Enno Bunger im Münchner Ampere, das zwar nicht ganz ausverkauft war, aber den würdigen Rahmen für einen intimen Gig schuf und quasi jedem Besucher die Möglichkeit bot, ganz nah am Künstler und seiner Band dran zu sein. Rund 100 Minuten unterhielt der Ostfriese sein Publikum auf jede nur erdenkliche Weise: von tiefer Trauer bis hin zur Euphorie, von politischem Engagement bis hin zu witzigen Anekdoten. Enno Bunger ist dabei der Prototyp eines Antihelden und so dermaßen uncool, dass man sich sofort mit ihm verbunden fühlt und auf Anhieb spürt, dass da einer wie Du und ich auf der Bühne steht, der das, was man denkt und fühlt, einfach deutlich besser in Worte und Melodien packen kann als man selbst. Wie oft passiert es schon, dass man aufgrund der melancholischen und nachdenklichen Texte (und vor allem auch wegen der realen Hintergründe der Songs) die Hälfte des Konzertes heulen möchte und am Ende dennoch einfach nur glücklich die Halle verlässt?

Den Auftakt des Abends bestritten jedoch Sarah Muldoon und ihr Bruder Julian, der die Songwriterin instrumental begleitete. Auch wenn der Name noch nicht so geläufig ist, so ist sie für die Fans von Enno Bunger keine ganz Unbekannte, ist Sarah doch die Freundin des Sängers und als solche Thema des ein oder anderes Songs. Fast zeitgleich erkrankten Muldoon und Lena, die Freundin bzw. später
Ehefrau des Bunger-Drummers Nils Dietrich vor einigen Jahren an Krebs, die Ausweg- und Hilflosigkeit verarbeitete der Künstler beeindruckend und ergreifend im Track Stark sein. Während Lena ihren tapferen Kampf gegen die Leukämie leider verlor und Enno und seinen besten Freund in eine tiefe Sinnkrise stürzte, konnte Sarah die schwerste Zeit ihres Lebens erfolgreich hinter sich lassen. Endlich kann sie wieder ihre Liebe zur Musik ausleben und machte dies auch auf der Bühne des Ampere spürbar. Muldoon bevorzugt die leisen Töne, ihre facettenreiche Stimme wird durch die zumeist sachte Instrumentierung umspielt und darf zeigen, wozu sie in der Lage ist. Ein ganz toller und stimmungsvoller Auftritt der Sängerin, die sicher einige neue Fans dazugewonnen hat. Ihr Set, das Enno Bunger übrigens aufmerksam im Publikum verfolgte, beendeten die Muldoon-Geschwister mit dem Tom Petty-Klassiker Learning to fly, den sie äußerst gefühlvoll und individuell interpretierten. Dass dieser Track nicht der Höhepunkt ihres halbstündigen Auftritts war, spricht natürlich sehr für die Qualität von Muldoons Songwriting. Ich freue mich auf mehr!

Nach einer kurzen Umbaupause - Sarah und Julian waren inzwischen inmitten der wartenden Menschenmenge angekommen - enterte Enno Bungers Band die Bühne, der Sänger folgte wenige Sekunden später unter großem Jubel des Publikums. Schon früh war erkennbar, dass die Chemie passen würde und das bestätigte sich im Laufe des Konzerts immer wieder von Neuem. Den Künstlern wurde reichlich Empathie entgegengebracht und Enno und seine Band bedankten sich mit einem Top-Auftritt, der berührte. Dass der Ostfriese im mitunter krassen Kontrast zu seinen melancholischen Texten auch ein hervorragender Entertainer ist, bewies er gleich mehrfach. In meiner Rezension zum Album schrieb ich ja, dass "Enno" bei uns im Süden jetzt nicht soooooooooooooo der geläufige Name ist; das griff er direkt auf und erklärte, dass der Name natürlich im Norden durchaus öfter vorkomme, in seinem speziellen Fall aber daherrühre, dass seine Eltern sich beim Rodeln auf der höchsten Erhebung Ostfriesland, einer Mülldeponie, kennengelernt haben und sich dann bei der Marvin Gaye-Schnulze Enno Mountain High Enough näher kamen. Da können wir ja froh sein, dass sein Album nicht Enno Sunshine When She's Gone heißt...

Logischerweise nahm Bungers aktuelles Werk - Was berührt, das bleibt - den Großteil der Setlist ein, wobei mich Wofür hältst Du Dich besonders positiv überraschte, das die bekanntermaßen bockstarken Songs Bucketlist, One-Life-Stand und Konfetti in der Live-Version in den Schatten stellte. Natürlich kamen aber auch die drei Vorgängeralben nicht zu kurz: Wie sollte das auch gehen, wenn man so Weltklasse-Tracks wie Regen, Renn, Abspann und Neonlicht im Repertoire hat? Den längsten Applaus indes erhielt Wo bleiben die Beschwerden?, Bungers Abrechnung mit Gesellschaft und Politik, die immer weiter nach rechts driftet und sich auch in der Klimafrage für keine Dummheit zu schade ist. Ein eindeutiges Statement eines starken Menschen und Künstlers.

Den ersten Zugabenblock bestritt Bunger dann alleine auf der Bühne: seiner wohl traurigsten Nummer (Glaube an die Welt) folgte der teil-humoristische Aufs-Maul-Song Am Ende des Tunnels, der dann auch die Rückkehr seiner Mit-Musiker einleitete. Mit der überragenden Ode an die Freundschaft namens Ponyhof fiel der Vorhang und hinterließ massenhaft strahlende Gesichter. Ich bin mir sicher, dass nicht einziger Besucher den Weg ins Ampere bereut hat und diesen Abend so schnell vergessen wird.

Der Mann ist schon ein Phänomen: Haut da mal so eben das beste Album des Jahres raus und ahnt, glaube ich, noch nicht mal ansatzweise, wie super er wirklich ist. Und ich nehme ihm jede einzelne Silbe ab, wenn er behauptet, dass er lieber im kleinen Ampere vor Leuten spielt, die wegen ihm und seiner Musik gekommen sind, als nebenan in der Muffathalle vor dreimal so vielen Personen, die das eigentlich gar nicht interessiert. Lieber Enno Bunger, danke für den wundervollen Abend gestern in München und bis bald. Ganz sicher!





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