Mittwoch, 17. Juli 2019

Enno Bunger - Was berührt, das bleibt

Bild: ennobunger.de
(sb) So, ich muss gleich mal gaaaaaaaanz weit ausholen: Ich komme ja aus dem Süden Deutschlands und da heißt man nicht Enno. Mohammed vielleicht. Oder Giuseppe, Oleg und Slobodan. Aber sicher nicht Enno. Als ich vor ein paar Jahren erstmals von einem Sänger namens Enno Bunger hörte, habe ich folglich ernsthaft gegoogelt, ob das tatsächlich ein Name ist und woher der kommt. Und siehe da: Wikipedia hatte eine Antwort parat und ich war wieder ein bisschen schlauer. Besagter Musiker begleitet mich seitdem jedoch in regelmäßigen Abständen, wobei es bislang meist einzelne Tracks waren, die mich ansprachen, teilweise begeisterten. Regen, Renn, Neonlicht - fantastische Songs, großartige Texte, starke Arrangements! Auch die überaus sehens- und hörenswerten Auftritte bei TV Noir habe ich mir immer wieder reingezogen, doch erst jetzt, mit seinem neuen Album Was berührt, das bleibt (VÖ: 26.07.), steigt der Ostfriese bei mir in den Bewusstseins-Olymp auf. Dafür aber umso beeindruckender und nachhaltiger...

Nachdem über die letzten Wochen hinweg bereits mehrere Singles samt Video ausgekoppelt worden waren, erreichte uns kürzlich die erlösende Mail mit dem Download zum Album. Ganz ehrlich: so viel Vorfreude auf Musik hatte ich schon sehr lange nicht mehr verspürt. Also CD gebrannt, mich für ne Stunde von der Familie verabschiedet und ab ins Musikzimmer. Einsamkeit. Ruhe. Konzentration.

Ist Kalifornien noch ein überdurchschnittlicher, aber doch radiotauglicher Song, der in erster Linie unterhält, holt mich Bucketlist direkt mal an einem Punkt im Leben ab, an dem man ganz hart zwischen Verantwortungsbewusstsein, Unternehmungslust, Freiheitsdrang und Familie abwägen muss, an dem man gezwungenermaßen Kompromisse schließen muss, um seine Geliebten nicht vor den Kopf zu stoßen und nicht immer das tun kann, was man möchte. Kann man wirklich nicht? Ist die Bucketlist wirklich die richtige Lösung? Oder muss man doch manchmal (oder öfter?!) das tun, was einen selber glücklich macht und erfüllt, um auch anderen gegenüber zufriedener aufzutreten ohne einen Groll zu hegen, der nur in einem selber begründet liegt? Noch habe ich die Antwort für mich nicht definiert, der Track hat mich aber sehr zum Nachdenken angeregt.

Bild: goeticket.de
Bei Track 3 fließen dann erstmals Tränen. Tränen der Rührung für diese Hymne an die Freundschaft, an das Leben. Ponyhof ist die Hochzeitsrede in Liedform von Enno Bunger an seinen besten Freund und Schlagzeuger Nils Dietrich, eine Reminiszenz an die gemeinsame Jugend, an alles, was die beiden zusammen er- und durchlebt haben. Eine Liebeserklärung von unvergleichlicher Intensität und ein Loslassen, weil der Sänger genau weiß, dass er es wegen der Richtigen tut. Was für wunderschöne Worte, welch überwältigende Gefühle.

Fade out, fade in: Stark sein. Eben noch der schönste Tag des Lebens, im nächsten Moment der Augenblick, in dem ein geliebter Mensch die Nachricht einer schweren Krankheit erhält. Ein Schlag in die Magengrube. Wieder Tränen, diesmal Trauer, Niedergeschlagenheit. Wer sowas selber schon mal erleben musste, wird unweigerlich daran erinnert und das Leiden kehrt zurück. Der Moment, der alles ändert, der den Anfang vom Ende darstellen könnte. Traurigkeit, Kampfgeist, Verletzlichkeit, aufkeimende Hoffnung, Rückschläge, Zusammenhalt - 3 Minuten 49 Sekunden pures Gefühlschaos mit Gänsehautgarantie.

Und Enno Bunger hört einfach nicht auf. Nochmal tief schlucken bei Die Bäume streuen Konfetti, nochmal Kampf mit den Tränen, nochmal verloren. Der Song an sich ist schon beklemmend, seine volle Wirkung entfaltet er aber erst in Verbindung mit dem dazugehörigen Video (siehe unten). Darin zu sehen: der Sänger, seine Freundin und sein bester Freund Nils, wie sie dessen verstorbener Ehefrau gedenken. So schauderhaft und doch so schön, dass jemand diese Gefühle so authentisch und völlig frei von Kitsch in Worte und Melodien verpacken kann.

Die gut zwei Minuten des ebenfalls sehr starken Glaube an die Welt gehen wie im Flug und viel zu schnell vorbei, zu sehr steckt man noch im Trauermodus und verarbeitet das zuvor Gehörte.

Bild: facebook.com/ennobunger

Wofür hältst Du Dich und Wolken aus Beton sind beide für sich ebenfalls tolle Songs mit herausragenden Texten und stecken problemlos die meisten anderen deutschsprachigen Songwriter in die Tasche. Nach den ersten paar Tracks des Albums erscheinen sie aber mehr wie eine Verschnaufpause und Regenerationsmaßnahme für die geschundene Seele. Mit Niemand wird Dich retten kommt dann tatsächlich ein Lied, das mich zwar unterhält, aber nicht persönlich anspricht. Es wird das einzige auf diesem überragenden Album bleiben.

Es folgt One-Life Stand, der Song, den ich wahnsinnig gerne meiner Frau geschrieben hätte. Wie schön kann man seine Liebe eigentlich zum Ausdruck bringen? Wie gefühlvoll kann man seinem geliebten Menschen mitteilen, dass man nie mehr ohne ihn sein möchte und dass alleine der Gedanke an den Partner einen mit so einem wohligen Schauer erfüllt, dass man vor Glück fast übersprudelt?

Nach all den traurigen Passagen auf diesem Album erscheint ein Track namens Weichzeichnungsfilter zum Abschluss zunächst mal wie blanker Hohn. Wenn man sich das Lied dann jedoch anhört, mit dem Protagonisten die Kindheit, die Jugend und das Erwachsenwerden erlebt, Freude, Enttäuschungen, Trauer und Euphorie teilt, erkennt man recht schnell, dass der Künstler hierfür keinen besseren Titel hätte wählen können.

Enno Bunger hat ein Album über den Tod geschrieben. Und über das Leben. Über Verlust und über Mut. Mit Was berührt, das bleibt setzt er sich auf die Pole Position im Rennen ums Album des Jahres und legt die Messlatte für alle kommenden Releases des Jahres extrem hoch.







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