Sonntag, 15. März 2020

Woods Of Birnam - How To Hear A Painting

Nach dem Konzert in der Dresdener Staatsoper. 
(ms) Thema Konzeptalbum: Diese Idee eine Platte zu gestalten, bedarf eines mitunter sehr langen Ideen- und Organisationsprozesses. Notwendige Voraussetzung ist natürlich ein Thema, das sich als roter Faden durch alle (!) Lieder zieht. Dieser muss präsent und spürbar sein, damit die Idee auch durch den Klang und den Text der Lieder dringt. Und es darf halt nicht zu künstlich wirken, um dem Hörgenuss keinen Abbruch zuzuführen. Die völlig legitime Idee hinter einem Konzeptalbum ist es meist, sich ein Thema auszusuchen, das man sehr sorgfältig recherchiert hat und im Stande ist, es von mehreren Seiten aus zu beleuchten. Klar, ich kann zwölf Liebeslieder schreiben, aber das ist ja noch kein Konzept. Erst, wenn es so umfassend ist, wie auf Get Well Soons Love, dann wird man dem Gedanken gerecht. Wenn man beispielsweise erwähnt, dass Liebe nicht nur heillose Romantik, sondern auch vernarrte Gewalt sein kann. Ganz zu schweigen davon, dass Konstantin Gropper es zum Thema Stoizismus (!!!) auf Vexations auch schon bewiesen hat, dass er es mühelos kann.

Mindestens auf diesem sehr hohen und extrem anspruchsvollen Level befinden sich (nun) auch Woods Of Birnam, die am Freitag (13. März) ihr viertes Album How To Hear A Painting veröffentlicht haben. Woods Of Birnam, das ist das Quartett mit Sänger Christian Friedel, der als Schauspieler unter anderem in Das Weiße Band oder Babylon Berlin (der Fotograf, der dem Kommissar despektierliches Material zusteckt und waghalsig aus dem Flugzeug heraus geknipst hat) stark überzeugte.

Ja, sie beantworten auf den 22 Tracks (12 mit Gesang, zehn orchestrale, kurze Zwischenstücke), wie man ein Gemälde hören kann. Oder zumindest ob. Dazu mussten zahlreiche Vorkehrungen getroffen und Hilfe mit ins Boot geholt werden. Die besteht aus Produzent Olaf O.P.A.L., Arrangeur Sven Helbig, der unter anderem für Rammstein gearbeitet hat, und für dieses Werk die zahlreichen Orchesterparts für die Sächsische Staatsoper Dresden schrieb. Die sind also auch dabei. Dazu kommt: Die Gemäldegalerie Alte Meister. Sie liefert mit ihren Ausstellungsstücken die Quellen zur kreativen Arbeit der Band. Sie haben sich 12 Gemälde ausgesucht, für die sie versucht haben deren innewohnende Stimmung und Atmosphäre in Musik umzusetzen! Holla! Zur Wiedereröffnung der Galerie Ende Februar wurde die Platte aufwändig aufgeführt!
Die vier haben also ein Album geschaffen, dass es erzwingt, sich auf ganz neuer Ebene mit allen Sinnen und viel intellektueller Arbeit auf Musik einzulassen. Die Band sagt auch ganz bewusst: Das hier ist keine Interpretation. Das wird weiterhin jedem Betrachter überlassen.
Geschrieben haben die Texte Ludwig Bauer und Armin Petras. Bis auf eines. Kommen wir unten zu.



Welche Bilder zu welchem Lied gehören, kann man hier nachsehen.
Bis hier her die Erklärungen, warum dieses Album und wie es funktioniert. Kümmern wir uns um den Sound.

Mit der ersten Interlude beginnt dieses enorm vielseitige, herausragende Album getragen und ruhig. Knallen tut es später. The Wind präsentiert spannende Assoziationen, ohne das Vorlagen-Gemälde zu kennen: Krimi, Thriller, Agentenfilm; in jedem Fall Hochspannung durch den dichten Klang. Die klare und sehr sichere Stimme von Friedel breitet sich hier schon im vollen Maße aus.
The Machine (s.o.) ist ein recht konventioneller und verhältnismäßig brachialer Alternative-Track, der nur bedingt nachvollziehbar als Single ausgewählt wurde; es gibt wesentlich stärkere, raffiniertere Lieder auf How To Hear A Painting. Zum Beispiel Life Is Gold Pt. 1: zuerst hat es den Anschein, dass sich dahinter eine melancholischer Ballade versteckt. Weit gefehlt; es ist ein stimmungsvolles Highlight, so wie sich dieser Track entwickelt. Denn aus dem durchaus introvertierten Beginn, der sanft, getragen und etwas nebulös ist, entwickelt sich auch durch das zauberhafte Orchester- und Chorarrangement ein musikalischer Befreiungsakt, in dem erneut der Gesang brilliert.
Die klangliche Vielfalt macht sich auch auf How Many bemerkbar, dem eine deutlich elektronisch-sphärische Handschrift zugrunde liegt. Überraschend (und auf dieser Platte gibt es viele Überraschungen) kommt ein Saxophonpart zum Schluss.
Die kleinen, meist unter einer Minute dauernden Interludes sind nicht nur schönes, orchestrales Beiwerk, sondern absolut notwendig. Denn zwischen den sehr unterschiedlichen Liedern ist eine Pause für die Ohren geboten.
Denn es kommen noch zwei Tracks, die erwähnt werden müssen. Sie sind meines Erachtens das zwingende Herzstück dieses Albums!
Nummer 1: National Anthem. Es ist der Höhepunkt! Absolut. Die epische, orchestrale Breite des Liedes wird dem Titel mehr als gerecht. Nur: Welche Nation sollte sich dieses Lied als Hymne aneignen, das so staatstragend beginnt und dann zu einem Pop-Meisterwerk à la Queen schwenkt - keine Übertreibung an dieser Stelle. Würde Freddy Mercury hier singen, dürfte sich niemand wundern. Ein irrer Track vom Arrangement über die Idee bis zur großartigen Umsetzung. Und: Der Text kommt von George Orwell. Kinder, wie künstlerisch breit kann man eigentlich agieren?!
Nummer 2: Direkt darauf folgt Dark World Down. Es ist ein super elektro-alternativer Rock-Ohrwurm, der auch von Muse hätte stammen können. Zwischen dem englischen Gesang treten dann deutschsprachige Spoken Word-Einlagen durch. Spektakulär. Und dieser Sprachenwechsel gelingt äußerst harmonisch. Hier lohnt es sich zuzuhören! Es ist ein klasse Song!

Fast eine Stunde dauert dieses Album. Eine Stunde, die man als aufmerksamer Musikkonsument so schnell nicht vergisst. Was noch toller ist: Das Konzert aus der Sempergalerie vom 28. Februar wurde von arte (von wem auch sonst?!) aufgezeichnet und man kann es sich anschauen. In Zeiten, wo der kulturelle Betrieb still steht, eine wunderbare Beschäftigung. Film ab - oder: Gemälde ab:



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