Dienstag, 17. März 2020

Pöbel MC - Bildungsbürgerprolls

Pöbel cum lauda. Foto: David Henselder
(ms) Als ich in der Uni mal eine eher so mäßige Note zurück bekommen habe, wusste ich zuerst nicht, wie ich mit der Enttäuschung umgehen soll. Vermutlich habe ich es einfach so lange verschwiegen und ignoriert, bis es sich aus meinem Fokus verabschiedet hat.
So lange mich eine Enttäuschung nicht direkt betrifft, ist es einfacher damit umzugehen. Man könnte es auch geflissentlich übergehen. Oder drüber schreiben.

Denn das erste Album von Pöbel MC enttäuscht mich leider. Und das ist umso herber, wenn die Vorzeichen so extrem gut standen. Enttäuschung hängt halt immer mit einer gut begründeten Erwartungshaltung zusammen. Einiges habe ich erwartet auf Bildungsbürgerprolls. Allein schon der saugeile Name der Platte hat gebockt. Die Doppel-Single-Auskopplung mit Patchworkwendekids und dem Albumtitel gebenden Track hat diese Einstellung noch befeuert, zwei gute Tracks zu einem Video fusioniert. Einige Male durfte ich Pöbel live genießen und es war eine wunderbare Rap-Offenbarung. Die Aggressivität, der Asi-Faktor und der nie endende Humor. Diese Mischung spricht mich an und seine enormen Fähigkeiten am Mikrophon haben beispielsweise den Gig letztes Jahr im Hamburger Hafenklang zu einem feinen Erlebnis gemacht. Ein voll gepackter Club mit schönem Bierlevel und astreiner Stimmung. Herrlich!
Zu dem Zeitpunkt ist gerade das Pöbel Sports Tape erschienen. Und das ist jetzt, nach mehrmaligem Hören des Albums, auch der Ausgangspunkt der Enttäuschung. Denn das Tape ist überragend. Die acht Songs sind die Quintessenz von Pöbel MCs Stil. Schön prollig, klare, linke Kante und extrem schlau getextet und gerappt. Klar, das sind die Stücke auf Bildungsbürgerprolls auch zumeist. Doch bei weitem nicht so prägnant, nicht so knackig, nicht so pointiert. Zusätzlich fehlen der Platte einige richtig catchyige Beats, irgendwas, das neben stinknormalem Battle-Rap auf die Zwölf haut.
Logisch, man muss auch relativieren. Ich bin kein Rap-Fachmann; merkt man ja am Musikstil, den wir auf diesem Blog im Fokus haben. Um Geschmack geht es immer.

Die zwölf Songs erstrecken sich über sehr gute 41 Minuten. Eine feine Zeit, um ein Album zu hören. Der Ton aus Schlau und Aggressiv wird auch beim Track Bildungsbürgerprolls getroffen: offensive Proklamation, dass der linke Rap beides ist: schön asozial und bestens gebildet. Das muss man Pöbel MC stets zu gute halten. Man merkt es - und muss es zwingend anerkennen -, dass hier trotz jedem Image ein wirklich kluger Typ am Mikrophon ist: "Grübeln wie Philosophen / Feiern wie Idioten."
Und nochmal zu Patchworkwendekids: Ich muss wider besseren Wissens fragen. Gibt's einen anderen Rapper, der Einsicht in die Welt derjenigen gibt, die nach dem Mauerfall in den neuen Bundesländern groß geworden sind? Ein Thema das meines Erachtens überhaupt nicht stattfindet, nicht im Punk, Rock, Pop. Offensichtlich gibt es im Osten nämlich keinen Fortschritt: "Bei dir wird geerbt / Bei uns repariert."
Der aktuelle politische Alarmzustand wird auch in Kalkül beleuchtet. Der Stand der Ding ist: freitags raus für die Zukunft, samstags saufen. Ein probates Mittel der Alltagsbewältigung. Auf das Feature mit Milli Dance (Waving The Guns) habe ich mich auch riesig gefreut. Doch auf Keine Rolle spulen sie nur beliebigen Battle Rap runter, der mich wahnsinnig langweilt. In vielen Texten über Pöbel MC wird erwähnt, dass er pausenlos austeilt. Das stimmt so nicht. Dopamindealer ist eher Selbsttherapie und ein Song an dem die Längen des Albums offensichtlich werden. Klar, die Sprachdichte ist enorm und es ist eine beeindruckende Rap-Fähigkeit. Doch ohne ausreichend Wumms. Bei einigen Tracks denke ich, dass ein bisschen weniger 4Blocks soundtechnisch der Platte gut getan hätte.
Dass Pöbel MC überhaupt über ein äußerst differenziertes und kluges Bild von Sexualität rappt ist stark. Gefällt mir gut. Doch Sexsexsex bleibt, trotz inhaltlich anderer Seite, weit hinter Rammeln zurück.
Richtig fein ist nochmal Kommunikationsgenie. Ein schöner Asi-Trap-Beat. "Ich rede laut, weil ich recht habe / Ich habe recht, weil ich laut rede." Das fiel mir die Tage bei der Beobachtung von Hamerkäufern auf, die das dem ganzen Supermarkt kundtun wollten. Aber die Frage, wie wir miteinander sprechen, ist eine essentiell Wichtige; privat und auch im Bundestag. Mit der Zeile "Dinge werden wahr, weil ich sie wiederhole" hat er mir-nichts-dir-nichts die Diskurstheorie von Judith Butler zusammengefasst. Hut ab.

Ja, es ist ein pendelndes Gefühl. Unterm Strich überzeugt mich das Album nicht. Es gibt immer weider Sternstunden, doch die Quintessenz ist mau. Insbesondere mit dem Wissen, dass er es viel besser kann. Für meinen Geschmack steht das Pöbel Sports Tape aus dem letzten Jahr weit über Bildungsbürgerprolls. Aber glücklicherweise ist Musik dafür da, dass jeder sich ein eigenes Bild machen kann. Also: Los!

Natürlich soll das noch live dargeboten werden.
Ob das zu diesen Daten stattfindet, darf bezweifelt werden:

02.04.2020 Frankfurt - Zoom
03.04.2020 Saarbrücken - Studio30
04.04.2020 Münster - Gleis 22
08.04.2020 Leipzig - Conne Island
09.04.2020 Düsseldorf - zakk Düsseldorf
16.04.2020 München - Rote Sonne
17.04.2020 Wien - Arena
18.04.2020 Augsburg - Kantine
23.04.2020 Dresden - Chemiefabrik
24.04.2020 Nürnberg - Desi
25.04.2020 Stuttgart - Schräglage

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