Montag, 21. Oktober 2019

No King. No Crown. & Eamon McGrath - Live im Treppenhaus

(sb) Samstag Abend, die Sonne geht langsam unter, die Fähre liegt bereit und ein Konzertabend, auf den ich mich schon lange freue, steht bevor. Bereits das ganze Jahr läuft Smoke Signals, das aktuelle Album von No King. No Crown. immer wieder zuhause und im Auto und ist mit Sicherheit eine der positivsten Überraschungen der vergangenen Monate. Ich muss ja gestehen: bis Dezember letzten Jahres waren mir René Ahlig und seine Mitmusiker völlig unbekannt, seit der ersten Singleankündigung jedoch ständig präsent und ich möchte die Musik nicht mehr missen. Klar, das ist alles andere als Partymucke und freudige Euphorie wird dadurch nicht gerade gefördert, aber wenn es darum geht, (Selbst-)Zweifel und Melancholie in Worte und Melodien zu packen, macht den Dresdnern kaum jemand etwas vor. Und wer hat sie nicht, diese Phasen, in denen man mit sich und der Welt unzufrieden ist, in denen nichts zu klappen scheint und in denen man sich am liebsten in eine dunkle Höhle verkriechen möchte?

So, hab ich Euch jetzt genug mit Psychomüll abgeschreckt? Ich hoffe ja nicht... Zurück zu Samstag: Natürlich hätte ich auch einmal um den Bodensee rumfahren können, aber wann hat man schon mal die Möglichkeit, mit dem Schiff zum Konzert zu fahren? Also mal eben 27 Euro gelöhnt, den Sonnenuntergang genossen, die ca. 40-minütige Überfahrt mit Musik überbrückt und sich den Wind um die Ohren pusten lassen. Doch ganz schön frisch an so einem Oktoberabend. Als die Fähre in Romanshorn anlegt, kommt mir die glorreiche Idee, noch schnell zu checken, ob man irgendwo Fußball mitnehmen kann und siehe da: ein Siebtligakick liegt auf dem Weg. Träumchen! Dass das dann ein müdes 0:0 werden würde, war ja nicht zu ahnen... Leicht durchgefroren also wieder ins Auto und endlich weiter nach Rorschach ins Treppenhaus. Zuletzt war ich vor fünf Jahren hier, als Wanda noch vor ihrem großen Durchbruch Station am Bodensee-Ufer machten, die Location ordentlich zum Schwitzen brachte und den Club mit 120 Leuten komplett ausverkaufte. Leider ist schon recht früh erkennbar, dass sich diesmal deutlich weniger Leute einfinden würden, denn als ich kurz vor 21 Uhr im Treppenhaus einfedere, sitzen die Musiker noch gemütlich beim Catering, draußen stehen kleinere Rauchergrüppchen und der Eingang zur Halle ist noch gar nicht geöffnet. Hm, schade eigentlich, aber der Vorfreude tut dies keinen Abbruch, zumal mit Eamon McGrath ein Künstler als Support dabei sein wird, den ich kürzlich auch musikalisch kennenlernen durfte und dessen aktuelles Album Guts wirklich klasse ist.

Ich hatte ja erwartet, dass der Kanadier solo und akustisch performen würde, aber falsch gedacht: Vier Musiker samt Instrumentenarsenal machen sich auf der kleinen Bühne des Treppenhauses breit und geben ordentlich Gas. Die doch eher gemächlichen und folk-lastigen Studioversionen werden ordentlich aufgepeppt und mitunter deutlich rockiger interpretiert. Sowas gefällt mir ja sehr gut, weil man dann erkennt, was wirklich in einem Song steckt. Schon krass: Der Typ hat über 300 Songs geschrieben, acht Alben veröffentlicht, verfasst beeindruckende Lyrics und spielt jetzt hier fernab der Heimat in Mini-Clubs in Schaan (Liechtenstein), Bad Ragaz (Schweiz) und Bremerhaven. Muss man auch mögen. Das klingt erstmal leicht deprimierend und wenn man jetzt noch bedenkt, dass an diesem Abend nur rund 30 Leute den Weg ins Treppenhaus gefunden haben, könnte sich fast sowas wie Mitleid breitmachen. Aber nein! McGrath haut alles raus und legt ein zwar kurzes, aber umso intensiveres Set hin, das sein komplettes musikalisches Spektrum perfekt abbildet. Besonders beeindruckend sind die Live-Versionen von Guts und Yellow Sticker On An Empty Fridge vom aktuellen Album. Hört Euch das unbedingt mal an.

Es folgt die obligatorische Umbaupause und hier packen die Künstler noch selber an. Nach gut 20 Minuten gehts weiter und als No King. No Crown. die ersten Töne ihres Hits Smoke Signals erklingen lassen, stehen sie quasi alleine in der Halle. Eine kurze Ansage wäre vielleicht gar nicht so falsch gewesen. Nach ein paar Takten aber setzt sich das Publikum in Bewegung und siedelt vom Café wieder über in den Club. Klar, auch die Dresdner hätten sich nach ihrem ausverkauften Tourauftakt abends zuvor in Würzburg ein paar Zuschauer mehr erhofft, aber auch so spielen sie ein unfassbar schönes Konzert. Gesang, Gitarre, Percussion, Keyboard, Banjo, Geige - und ganz viele Emotionen. Es ist wirklich eine Schande, dass No King. No Crown. maximal als Geheimtipp durchgehen, denn was René Ahlig da zu Papier bringt und später mit seinen Kollegen vertont, ist einfach nur wunderschön. Wenn in Unwritten Letter das bessere Ich zur Feder greift und einem aufzeigt, was man alles an sich ändern und verbessern könnte, geht man automatisch in sich, schließt die Augen und kommt ins Grübeln. Und dann öffnet man die Augen wieder, sieht einen fast zwei Meter großen Mann und hört dessen sanfte Stimme, die einem so oft aus dem Herzen und aus der Seele spricht.

No King. No Crown. springen gekonnt zwischen ihren beiden bisherigen Alben hin und her, wir erfahren, dass Ahlig schon zum dritten Mal im Treppenhaus auftritt und dass ihn selbst 1,4 Millionen Streams des Tracks Without Yesterday auf Spotify - wen wunderts? - nicht reich gemacht haben. Das Publikum ist zwar nicht immer ganz aufmerksam und redet meines Erachtens während des Konzerts etwas zu viel, ist jedoch auch dankbar für so viel Einsatz der Band und honoriert den Auftritt mit reichlich Applaus. Die Dresdner nutzen die doch sehr intime Atmosphäre, um ihren Songs eine besondere Intensität zu verleihen, sodass sich jeder Zuhörer persönlich angesprochen fühlen kann. Ob Dear Doubt, Ahligs Ode an das mangelnde Selbstvertrauen, oder die Zeile "You just drowned the optimist in me" in Gold And Silver - es mangelt nicht an Momenten, in denen man ganz tief schlucken muss, um eine Träne zu verdrücken. Für mich als Nicht-Musiker ist das immer sehr schwer nachzuvollziehen, wie man es schafft, solche Gedanken, solche persönlichen Emotionen, so ausdrücken zu können und diesen Seelenstriptease dann nicht nur auf Platte hinzulegen, sondern später auch noch vor anderen, im Regelfall unbekannten, Menschen. Und so sehr ich mich in vielen Songs bei No King. No Crown. wiederfinde, so sehr ich es schätze, in ihrer Musik aufzugehen, so sehr wünsche ich dem sympathischen Songwriter doch, dass er es schafft, seine Selbstzweifel hinter sich zu lassen, denn was er da an Musik schafft, ist ganz großartig und verdient es, gehört zu werden. Wer es in den kommenden Tagen nicht zu einem der noch bevorstehenden Konzerte schafft, dem seien die beiden Alben ans Herz gelegt und - hurra! - der nächste Release ist schon für Anfang 2020 angekündigt. Es handelt sich dabei um die Devon Island Session, in der René zusammen mit seinem Violonisten und Banjo-Spieler Ole sechs bekannte NKNC-Songs neu arrangiert und akustisch eingespielt hat. Jetzt schon auf Tour erhältlich (und Kaufpflicht!), demnächst dann auch vorbestellbar. Wir halten Euch auf dem Laufenden.

Hm, jetzt bin ich aber ganz schön abgedriftet... Um halb Zwölf ist ein sehr schöner und emotionaler Konzertabend leider viel zu früh zu Ende, die Zugaben sind nochmal richtige Highlights und dank der gekauften CDs vergeht auch die Heimfahrt (diesmal mangels Fährverbindung tatsächlich auf dem Landweg) wie im Flug, sodass ich um 1 zuhause aufschlage und mir erstmal ein Craft vom Rorschacher Kornhaus Bräu aufmache, um runterzukommen. Schön wars. Sehr sogar. Kommt bald wieder!




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