Mittwoch, 28. Februar 2024

Everything Everything - Mointainhead

(Ms) Musik eine zweite Chance geben. Auf der Suche sein nach dem hoffentlich (!) genialen Kern, der beim ersten Mal nicht ersichtlich ist. Und auch die mögliche Sorge, enttäuscht zu werden, ad acta legen zu wollen.
Normalerweise geht es mir grundlegend anders beim Musikhören. Ein Stück muss mich schon direkt packen, damit ein Feuer entfacht wird. Oder die Gruppe muss mir nah genug am Herzen liegen, sodass ich gern die Zeit hergebe, um auch für eher Mittelmäßiges Worte zu finden.
Genau in diesem Spannungsraum, genau dazwischen liegen für mich Everything Everything. Ihre Musik mag ich richtig doll, finde es ganz schön genial, was die Briten seit Jahren machen. Insbesondere ihr Album A Fever Dream hat bei mir für großes Staunen gesorgt. Wie sie Energien, Dynamiken, Tempo, jede Menge Können, Dringlichkeit aufbauen, anhalten und zum explodieren bringen können. Das ist in meinen Augen schon die Königsklasse an Indierock. Und das noch so herrlich elektronisch verspielt. Aber sie laufen halt eher unregelmäßig bei mir. Als ich zum ersten Mal ihre neue Platte Mountainhead hörte, spürte ich nur wenig von dieser (erhofften) Begeisterung. 
Was tun?! Nun gut, ich wollte die Platte irgendwie gut finden und hab sie dann so lange gehört, bis die Überzeugung tatsächlich eintrat. Das klingt sehr gewollt und überbemüht, aber hat geklappt. Zum Glück!

14 Stücke sind auf Mountainhead, 55 Minuten Spielzeit! Und dazu reichlich Sozialphilosophie. Denn der Mountainhead ist eine Idee von Gesellschaft, dass diese aus einem großen Berg bestünde. Der Gedanke: Der Berg muss immer wachsen, dafür muss er tiefer in den Grund gebohrt werden. Er muss wachsen - komme was wolle! Genährt wird der Glaube durch eine Angst aus der Tiefe, eine Schlange treibt dort ihr Unwesen. Die, die oben sind, bleiben oben, der Rest ackert aus Überzeugung und in das eigene Schicksal hinein.
Tatsächlich ist mir die Tiefe der Texte und die Implementierung dieses Gedankens in die Musik und die einzelnen Songs ein wenig egal, da mich die Musik als solche viel mehr fasziniert. Getragen wird die ganze Platte natürlich von dem markanten Gesang Johnathan Higgs`, der nicht nur Tempo kann sondern auch Tonumfang. Wild Guess ist der erste Track. Und verhältnismäßig unaufgeregt. Das sei vorweg gesagt: Das Album besticht durch viel Schönheit in den kleinen Melodien, anstatt immer wieder überbordend zu sein. End Of The Contender besticht durch viel Groove und den Eindruck, dass die elektronischen Melodien sehr organisch klingen. Es wird nicht laut, wild, markant. Aber genau das packt mich, eine sehr dezente Spielweise, die viel Schönheit in sich trägt. Cold Reactor war die erste Single und schon Ende vergangenen Jahres zu hören. Eine typische Everything Everything-Nummer in meinen Ohren. Higgs Gesang vor allem hier, wie er hoch und runter geht, wie schnell er singt und doch ruhig dabei bliebt. Das tolle Ah-Ah im Hintergrund, der treibende Bass, da wippt der Kopf ganz automatisch mit, geht nicht anders. Auch wenn ich Buddy, Come Over höre, finde ich darin kein klares Anzeichen für einen richtig starken Track, aber mein Körper will sich dazu ganz von selbst bewegen. Das zeigt für mich, dass der Zauber der Musik hier gehörig am Werk ist und ich gebe mich dem gern hin ohne zu wissen, woran es liegen mag. The Mad Stone überzeugt auch nicht über die 3:45 Minuten, aber halt immer wieder zwischendurch: beim irre schnellen Gesang, in geschickter Instrumentierung, in einer schönen und vor allem stoischen Art. Die Platte weist immer wieder einige Gegensätzlichkeiten auf. In Canary sind sie sogar auf einem Track: sanft und doller, reduziert und viel, energisch und zurückhaltend. Zusätzlich steigert sich das Lied von Takt zu Takt, ohne jedoch dabei krass auszubrechen. Apropos Gegensätze: Don‘t Ask Me To Beg ist sowohl melancholisch als auch tanzbar. Immer wieder schallt hindurch, dass die Briten ihre Kunst studiert haben. Selbstredend gehört viel Gespür dafür, wann es Lied knallt, aber das Know-How für musikalische Funktionsweisen machen sie sich schon zu eigen.
Im letzten Dritten fragte ich mich lange Zeit, ob das alles nur noch Filler sind. Aber kam zu folgender Erkenntnis: Dieses Album funktioniert ganz anders als vorherige Platten. Die Schönheit liegt ganz eindeutig in den kleinen, feinen Melodien anstatt im großen soundtechnischen Brimborium. Das Xylophon und der chorische Gesang auf Your Money, My Summer zum Beispiel. Die zweite Hälfte von Dagger‘s Egde ist so fein und klug ausbalanciert, dass sie mir immer wieder einen Ohrwurm verpasst. Voller Schönheit entwickelt sich dieses Lied und bleibt haften! 

Ja, vielleicht wäre es im Endeffekt sinniger (und professioneller), wenn ich mich den Texten gewidmet hätte. Dann wäre in den leisen Melodien sicher noch viel mehr zu holen. Für mich bleibt ein sehr ausgewogenes Album übrig, das immer wieder glänzt und deren anfängliche Längen sich nur getarnt haben, bis ihre Schönheit zum Vorschein kommt.


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