Donnerstag, 31. Dezember 2020

Conny Frischauf - Die Drift

Cover der Platte
 (ms) Drift als Begriff kenne ich nur aus so Autospielen am PC damals, Need For Speed. Das war eine spezielle Disziplin, wo man versuchen musste, die Autoreifen in den Kurven möglichst gut durchdrehen zu lassen und dass die Karre sich schön dreht. Eigentlich ja völlig bekloppt. Also zum Einen das Spielen eines solchen Spiels. Aber noch dämlicher ist ja, dass man so was Affiges aus der Realität nachahmt. Naja, egal.
Nun schaut man einmal in ein großes Online-Lexikon und sieht, dass es noch allerhand andere Bedeutungen gibt, die sich hinter dem Wort Drift verbergen. Aus der Linguistik, dem Wetter, dem Pflanzenschutz oder der Genforschung.
Die junge Österreicherin Conny Frischauf hat dieses Wort genommen, um ihrem ersten Album einen Namen zu geben. Welchen dieser Bedeutungshorizonte sie gewählt hat, bleibt ihr Geheimnis. Es könnte Richtung Linguistik gehen, aber das ist reine Vermutung. Die Drift ist ein Album voller Raffinesse, teils wunderbarer Schlichtheit, Andenken an Krautmusik, modernem Minimalismus und stets auftretendem Gaga (oder intellektuellem Brainfuck, je nachdem...).

Worauf stellt man sich ein, wenn man sich eine dreiviertel Stunde Zeit nimmt und in dieses kleine, feine Universum eintaucht? Elektronische Klänge, verspielte Melodien und ausgewählte Texte, die zwischen tiefem Scharfsinn und sprachspielerischer Blödelei pendeln.
Mit Rauf beginnt die Platte. Und es geht nie runter, nie. Worum geht es in dem schönen Synthiesong? Vielleicht um eine Schilderung eines Fluges und das herrliche Staunen, wenn man abhebt und aus dem Fenster schaut. Das 'Ahhh' könnte ein Beleg sein. Man hebt am Anfang des Albums ab... was für eine schöne Metapher?! Mit Parapiri geht der Flug, die Drift in die (sprachliche) Höhe weiter. Mit diesem Nonsens-Wort wird eine schöne Melodie gesungen, sonst gibt es hier keinen Text, braucht es aber auch nicht. Der Klang ist eine leicht ins Hypnotisch gehende Elektronik, die herrlich unaufgeregt ist, aber nie (!) langweilig wird, da immer ein kleines, feines Element hinzukommt. Wenn man den Begriff Kraut hier als Genre einfließen lassen möchte, kann dieses Stück eine schöne Hommage an Kraftwerk sein. Auch Fenster Zur Straße ist ein Lied, das wundervoll viele Bedeutungsräume öffnet. Die Kunst in Frischaufs Texten - wenn die Lieder einen haben - ist, dass sie vieles offen lassen und man sich im Hören hineindenken kann. Hier wird uns ein Blick aus dem Fenster vermittelt; unvermeidlich ist er, wenn man drinnen ist: Helle Lichter am Abend, verschwommene Grenzen zwischen draußen und drinnen. Dazu trumpft das Lied mit poppigem Sprechgesang auf. 'Alles Runde fällt runter / Fällt weiter und weiter.'
Wie ging Conny Frischauf ans Liederschreiben ran? Keine Ahnung! Doch eine Vermutung, die in Sonntag zu hören sein kann: Ein Lied, das mit Weltallgeräuschen startet; irgendwie bewegt sich ihre Musik nicht auf unserem Boden. Es klingt wie eine Improvisation und ergibt eine fast dreiminütige Interlude.
Es folgt: Der Höhepunkt des Albums! Auf Wiedersehen ist klar das poppigste und tanzbarste Lied des Albums. Klar, auch ein wenig beliebiger, aber halt auch ungemein catchy. Sollte man bald mal wieder tanzen gehen können, wünsche ich mir von den DJs und DJanes dieses Landes den Mut dieses Lied auf voller Lautstärke und voller Bass abzuspielen. Knarzig geht es los. Selten wurde das Ende einer Beziehung so poppig und stimmungsvoll angekündigt wie hier. Erst stellt Frischauf die großen Fragen einer Beziehung, dem folgt ein musikalischer Break, dann nimmt das Lied an verspielt-tanzbarer Fahrt auf. Wann beendet man am besten eine Beziehung? Ganz einfach: 'Tust du mir weh / Sag ich Adé.' Indem danach auch ein 'baba' kommt, offenbart sie ihre Herkunft. Ansonsten spricht, singt Conny Frischauf auf ihrer tollen Platte recht akzentfrei. Ja, das hier ist wirklich ein erfrischender, ausgeklügelter Track voller Groove!
Man erwischt sich beim verträumt-aufmerksamen Zuhören unter anderem bei Zeit Verdrehen, dass die Texte nicht immer so konkret sind, aber Kopf und Fuß unvermittelt anfangen zu wippen. Auf Roulette wird es wieder spürbar poppiger, auch aufgrund des umfangreicheren Textes. Auch (oder weil?) es nicht so klar zu erkennen ist, was die Musikerin mit ihren Zeilen meint. Gute Gelegenheit also, um sich selbst ein paar Gedanken dazu zu machen. 'Endlosschleife der Gedanken': Ja, das kann einen verrückt machen, lauter Gedankenspiralen, die zermürbend wirken. Doch was ist der Roulette-Gewinn beim Denken? Eine gute Idee? Ein pfiffiger Song? Alles kann, nichts muss.
Auch auf Eingaben Und Ausnahmen überzeugt sie mit großem Können im Wortspiel. Der Titel spricht für sich. Sowieso. Conny Frischauf spielt eine Menge auf ihrem musikalischen Werk: der spielende Mensch, homo ludens. Mit kleinen, fröhlichen, labyrinthhaften Klängen und Worten sowieso. Das muss gar kein Ziel haben, kann einfach nur sein und für sich strahlen. Da muss man auch nicht kafka'esk Hintergründe und Ebenen reininterpretieren für ein pseudointellektuelles Geschwurbel. Das hier ist einfach gut. Punkt. Zeigt sich auch auf Private Geheimsache: Texte wie bei PeterLicht, so verschachtelt, gaga und verschroben.
Enden tut Die Drift mit über zehnminütiger Freundschaft. Eine weitere Ehrerbietung an die große Zeit der elektronischen Musik der 70/80er Jahre. Langsam schleicht sich dieses herrliche Album aus. Es wartet mit zehn extrem überzeugenden Liedern auf. Jedes mit eigenem Charakter. Es drosselt das Tempo des Alltags (klar, momentan passiert eh nicht viel, aber das ändert sich ja zum Glück auch wieder), das aufmerksame Hinhören lohnt sich sehr. Es ist Conny Frischauf zu gönnen, dass sie weiträumigen Anklang damit findet. Sollte sie bald live auftreten und ihre Lieder präsentieren.... ich freue mich wahnsinnig drauf!

Die Drift erscheint am 15. Januar bei Tapete Records!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (siehe Blog-Startseite unten) und in der Datenschutzerklärung von Google.