Samstag, 14. September 2024

KW 37, 2024: Die luserlounge selektiert

Quelle: pixabay.com
(Ms) Werbung! Ein guter Werbeslogan, der kann mir wochenlang im Kopf hängen bleiben. Dabei ist es meist nicht mal die TV- oder Handy-Werbung. Oft gilt ja auch der Leitsatz: Je dämlicher, desto einprägsamer. So verkauft Seitenbacher seit Jahren Müsli zu horrenden Preisen. Mjammjammjam! Am Donnerstagmorgen fuhr ein kleiner Laster mit Bremer Kennzeichen an mir vorbei und ich dachte: Genial! Ich würde es zwar nie essen, aber der Spruch ist so blöd wie super. Es ließ sich lesen: Immer eine Wurst voraus. Ja, wieso denn nicht?! Immer eine Wurst voraus. Da darf man nicht ins Hintertreffen geraten. So wurstlos. Sollte ich irgendwann mal wieder anfangen, Fleisch zu essen, rufe ich da an. 

Juse Ju
(Ms) Back to the Watt? Im August sah ich Juse Ju beim Watt En Schlick und es war ein kompletter Abriss und genau darauf angelegt! Hui, was hat der Jusmeister den Bass aufgedreht! Und dann noch in dieser schicken Möwenjacke! Jau, das hat richtig viel Spaß gemacht! Doch mit Spaß ist gerade nicht mehr viel. Dazu musste in Thüringen und Sachsen nichtmal gewählt werden. Schlimm ist es genug. Da lässt sich die Bundesregierung echt von den Parolen der AfD und Union treiben und will Grenzkontrollen einführen?! Hallo, was haben wir in Europa denn noch mal geschafft?! Das ist doch völlig krank und wirklich kein Grund mehr für Zynismus. Davon rappt Juse Ju ungewöhnlich aggressiv auf Das Ende Des Zynismus mit niemand geringerem als Wolf Biermann zusammen! Das geht nicht nur ab, sondern auch tief. Tief in die Magengrube, denn Recht haben die beiden auf jeden Fall! Und für dieses Video… ist er zurück nach Dangast gefahren?! Vom Schlicklevel könnte es passen.


Amanda Bergman
(Ms) Eine Tour abzusagen muss für KünstlerInnen ein ganz übler, harter Schritt sein. Ich kann es mir nur so vorstellen: Da hast du mitunter jahrelang an neuen Liedern gearbeitet, gefeilt, Ideen verworfen, andere konkretisiert und an den richtigen Akkorden geknobelt. Dann ist endlich alles so fertig, wie du es haben wolltest, ein Veröffentlichungsdatum steht fest, die Platten sind fertig gepresst, der Tourbus gebucht, die Städte schon mal ausgecheckt, die Crew heiß gemacht. Und dann - peng! Dann hat dein Partner einen schlimmen Unfall und die Prioritäten verschieben sich natürlich sofort in eine ganz andere Richtung. So geschehen bei Amanda Bergman, die erst vor Kurzem ihr Album Your Hands Forever Checking On My Fever veröffentlicht hat, was ganz großartig geworden ist. Nun muss sie aus diesem Grund ihre Tour absagen. Gute Besserung an ihren Partner! Dennoch (oder genau deswegen) hat sie vor ein paar Tagen ein neues Stück veröffentlicht, All Over Town. Ein Track, der wundervoll leichtfüßig ist, leicht wippen lässt und die Hoffnungen schürt, dass ihr Partner sich bald vollständig erholt und sie dann die Konzerte so richtig genießen kann!


Mine & Nicola Rost
(Ms) Was hat das zu bedeuten? Warum hat er das genau so gesagt? Was wollte sie mit dieser Geste ausdrücken? Warum hat er mir jetzt dieses Buch hier her gelegt? Warum will sie lieber mit ihren Leuten den Abend verbringen? Warum hat er mich gestern nicht in den Arm genommen, als ich das doch so offensichtlich brauchte?!
Puh, Fragen über Fragen. Unsicherheiten begleiten viele Beziehungen. Warum macht er/sie das jetzt auf genau diese Art und Weise und was will er/sie mir damit sagen? Vielleicht hat die Handlung des Gegenübers ja auch gar nichts mit mir zu tun. Alles ist möglich. Und so fängt man an zu rätseln wie ein Detektiv. Sucht Anhaltspunkte, Beweise, Indizien. So tun es Mine und Nicola Rost auf Was Hab Ich Nur Getan? Hier wird alles auseinandergebastelt. Diese Spurensuche kommt bestimmt vielen Menschen bekannt vor. Mine und Nicola Rost verpacken diese Schnitzeljagd in einen äußerst tanzbaren Popsong, auf dem die Synthies Pingpong spielen! Yeah!


Cave to Cosmos
(Ms) Das Gefühl der Einsamkeit in der großen Masse. Überall lachen die Menschen, nehmen sich in den Arm, stoßen an, erzählen sich Geschichten von früher oder jetzt, sind offensichtlich glücklich. Und ich stehe daneben und will dazugehören, Teil dieser Freude sein, doch es kommt einfach nicht an. Davon handelt Lament, die neue Single von Cave To Cosmos, die auf der letztjährigen EP Truth Waits In Deepest Nights erschienen ist. Dazu gibt es ein Video, das wie gemacht ist für den Inhalt des Tracks. Man sieht die Band über den Jahrmarkt schlendern, Emanuel Winkler, Kopf und Texter der Gruppe, singt seine Zeilen in die Nacht. Lange scheint die Dringlichkeit des Textes musikalisch gar nicht durchzuscheinen. Doch im letzten Dritten wird alles so dicht, wie man es zum Beispiel sehr gut von Get Well Soon kennt. Hui, was sich da für eine wunderbare Gänsehaut über meine Arme streift…


Pöbel MC
(Ms) Es wird wieder geballert! Jawoll! Prolliger Rap ist im Grunde genommen das allerletzte, was ich höre und hören will. Doch keine Regel ohne Ausnahme, denn Pöbel MC der beste Proll mit doppeltem Boden. Über zwinkernde Augen muss man beim Rostocker gar nicht mehr berichten, das ist längst klar. Die prolligen Tracks wie Afterworkrapper sind in meinen Augen umso stärker, weil er auch noch eine ganz andere Seite hat wie auf 90s OST. Doch die neue Single lässt mich einfach nur grinsend zurück, denn: „Kunst ist Kacken, nicht Arschkriechen.“ Kann man erstmal so stehen lassen und vielleicht sage ich das irgendwann mal meinen KollegInnen ins Gesicht, wenn mal wieder über sinnlose Dinge auf Konferenzen debattiert wird. Am 18. Oktober erscheint dann das neue Album Dr. Pöbel und könnte die Messlatte im deutschen Rap mal wieder ein wenig weiter nach oben schrauben.


The Deadnotes
(Ms) Nach der ersten Minute, die ich Reservoir von The Deadnotes hörte, dachte ich mir: Ja, ist echt richtig nett, aber packt mich nicht so. Ich hätte den Track abschalten können. Aber! Aber ich ließ das Video laufen, in dem Darius Lohmüller und Jakob Walheim irgendwo durchs Weserbergland (oderoderoder…) fahren. Und je länger ich den beiden dabei zuschaute und diese irre Freude in ihren Gesichtern sah, kam der Gedanke auf: Da steckt doch was drin. In diesem Track steckt doch eine Magie, die mich elektrisiert. Der Gitarrenriff, die hüpfenden Keyboardsounds, der Klang, der nach Sommer und einem großen Leben klingt. Im weitesten Sinne geht es auch darum, es (endlich) schaffen, mit einem Ex-Partner in Kontakt zu bleiben ohne Vorwürfe, ohne Schmerz, ohne Trauer und im besten Fall nur mit der Einsicht, dass es halt nicht geklappt hat, aber die Basis so gut ist, dass durchzechte Nächte kein Problem darstellen. Die beiden haben jüngst einen Vertrag beim Grand Hotel van Cleef unterschrieben und spielen ein paar Shows hierzulande, bei denen man sich überzeugen lassen kann, dass da was Großes schlummert, denn mit 600 Konzerten in ganz Europa haben The Deadnotes reichlich Rock‘n‘Roll-Erfahrung im Gepäck!

23.09. Berlin, Monarch
25.09. Bremen, Bürgerhaus Weserterassen
26.09. Cologne, Stereo Wonderland (ausverkauft)
29.09. NL – Utrecht, ACU

Freitag, 13. September 2024

ischia - Leave Me To The Future

Foto: Franziska Barcsay
(Ms) Erst letzte Woche ist das neue Album von Blush Always erschienen und im Zuge dessen ließ ich mich ein wenig darüber aus, dass ich neu veröffentlichte Musik zuletzt als immer komplizierter oder arg bedetungsschwanger erlebt habe. Blush Always ist da die wunderbare Ausnahme aus Leipzig. Dass der gute alte, leichtfüßige, teils verspielte Indierock aber auch noch woanders richtig kurzweilig funktioniert, beweisen ischia auf ihrem Debut, das sie am 13. September veröffentlichen werden. Ja, die Band wird mit einem kleinen i geschrieben - wichtig. 11 Songs schenkt uns das Wiener Quartett, 34 Minuten Spielzeit - perfekt! Dass in Wien gerade viel spannende Musik geschrieben wird, zeigt, dass alle Bandmitglieder noch in einer anderen Gruppe spielen. Doch alle vier legen großen Wert darauf, dass ischia kein Nebenprojekt ist, das nur mal eben ein Album veröffentlichen will, kurz auf Tour geht und dann nur halbherzig betrieben wird. Nein, nein. Dafür ist die Platte auch viel zu gut! Leave Me To The Future heißt sie, was für ein guter Titel! Etwas aufgeben, um weiterzugehen. Adele Ischia (daher der Bandname) und Hjörtur Hjörleifson spielen auch zusammen bei Endless Wellness. Hinzu kommen Lena Kauntz und Philipp Hackl. Zusammen entfachen sie eine richtig starke Energie! Irgendwie ist die Zeit vorbei, in der ich auf Indiepartys die Nächte durchtanze. Hätte ischia diese Platte in meiner Studentenzeit veröffentlicht, hätte ich den DJ (liebe Grüße an Eavo) richtig übel damit genervt, dass er die Österreicher auflegen soll.

Was macht aber nun den Zauber dieses Albums aus? Zum Einen ist es ein Indierock, wie ich ihn lange einfach nicht mehr gehört habe, kleiner nostalgischer Faktor. Zum Anderen - und das wiegt schwerer - ist die Platte sehr abwechslungsreich. Immer wieder knallt die Gitarre richtig, dann kommen ein paar sehnsüchtige Parts, die Gesangslinien sind toll aufgebaut, das Schlagzeug peitscht regelmäßig nach vorn und dann werden die Verstärker wieder und wieder aufgedreht, sodass es herrlich scheppert! Neben diese guten Arrangements gesellt sich ein bestechendes Gespür in der Band für Groove. Das, was uns mitwippen lässt. Das, was schnell dazu führt, neugierig weiter hören zu wollen.

Mit Sides geht es los und die Gitarre gibt die Hookline vor - yes, so soll eine Platte beginnen! Ein super ausgewogener Track, der uns daran erinnert, dass wir uns in vielen Momenten einfach entscheiden müssen, statt weiter zu lavieren. Um Unsicherheiten geht es auch auf Is It Gonna Last, wie der Titel schon verrät. Was bleibt, wenn alles so schnell an uns vorbei zieht? Dazu schleppt sich das Schlagzeug in bester Manier durch den Track und die Gitarre beweist sich ein weiteres Mal als Melodiegeber! Die Lyrics von Sorry Mama sind recht kurz, aber unsagbar prägnant! Sie sprechen mir total aus dem Herzen. Da hat man es gerade geschafft, ein erwachsenes Leben auf die Beine zu stellen, wird man gefragt, wann denn die Kinder kommen. Nee, Mama (oder wer auch immer), darüber will ich wirklich nicht reden. Wow, was für ein tolles Lied! Sleep ist auch so eine Nummer, die mich ganz schnell in ein Musikhörfeeling der 00er Jahre versetzt. Ist es die Orgel? Sind es die Texte, die darum schwirren, einfach mal in Ruhe gelassen zu werden? Vielleicht ein guter Mix in einem herrlichen Track! Während All The Weight eine kleine Pause einlegt, geht es mit Fake so richtig ab! Dabei beginnt dieser Song als sanfte Feelgood-Nummer, ehe die Gitarren ein weiteres Mal mit dem Refrain so richtig Fahrt aufnehmen! Für mich ist es der Höhepunkt der Platte und klingt sogar richtig gesellschaftskritisch: „You think you are the victim / While you are the source / Of every fucking tragedy.“ Klar, das lässt sich auf auf privater Ebene deuten, aber dass das Private politisch ist, wissen wir ja schon lang! Auf People lass ich mich wiederum vom retardierenden Moment der Gitarrenriffs einlullen und finde es gut! Darüber, wie sorglos manch Leute ihr Vokabular nutzen, geht es auf Intention. Wenn einem tagelang Äußerungen eines Gegenübers nachhängen und man einfach nicht weiß, was es zu bedeuten hat…

Was Leave Me To The Future zu bedeuten hat, ist hoffentlich klar geworden: Hier wartet eine Indierockplatte auf uns, die es in sich hat. So viele gute Lieder, so viel Groove, so viele starke Gitarrenmelodien, so viele prägnante und vor allem sehr klare Texte. So viel Leichtigkeit, so viel spürbare Freude am Musikmachen. Wow, das ist sehr beeindruckend. Und ich bin mir sicher, dass dieses Album ganz weit oben in meinem Best Of des Jahres landen wird!

27.09. Wien - B72
13.10. Leipzig - Naumanns
14.10. Wiesbaden - Kesselhaus
16.10. München - Ampere
24.10. Innsbruck - Mariatheresia
30.10. Graz - Dom im Berg
31.10. Villach - Kulturkeller
01.11. Dornbirn - Spielboden


Donnerstag, 12. September 2024

Nada Surf - Moon Mirror

Foto: Paloa Bomé
(Ms) Von sich auf andere schließen war schon immer eine dumme Idee. Es funktioniert einfach nicht. So viele Gründe sprechen dagegen. Doch ich möchte es gleich dennoch tun. Aus einem - hoffentlich - guten Grund. Doch vorher muss gesagt werden, dass die Welt nun wirklich nicht auf ein neues Nada Surf-Album gewartet hat. So objektiv muss ich es an dieser Stelle schreiben. Seit knapp 30 Jahren machen Matthew Caws, Ira Elliot, Daniel Lorca und nun Louie Lino Musik, haben große, ja wirklich große Hits geschrieben. Und unter die Top 10 würde ich nicht mal Popular packen. Neun Alben haben die New Yorker mittlerweile schon geschrieben. Unendlich wunderschöne Lieder lassen sich darauf finden. Doch eines ist klar, auch auf Album Nummer 10 werden sie den Rock nicht neu erfinden. Das haben sie vorher auch nicht getan. Daher: Die Welt hat auf Moon Mirror, so der Name der neuen Platte, sicher nicht gewartet.

Aber. Aber an dieser Stelle muss ich von mir auf andere schließen. In der allerbesten Hoffnung. Denn Nada Surf ist eine Band, die zu 100 Prozent übers Herz funktioniert. Seit The Weight Is A Gift begleitet mich diese Gruppe und hat mich schon unzählige Male aufgebaut. So oft getröstet. So oft Tränen in die Augen getrieben. So oft gezeigt: Die Welt ist wirklich schön. Es ist kein Problem, schwach zu sein. Glaub an deine Liebe. Und glaub bitte an all die Menschen. Denn sie sind gut. Insbesondere die letzte Einsicht fühle ich besonders stark, wenn ich Nada Surf live sehe. Wenn Matthew Caws singt und seine Ansagen macht, steht da wirklich ein besonderer Mensch. Mir fällt kein anderer Musiker ein, der so viel Güte ausstrahlt, so viel Glaube an das Gute in uns hat, so viel Sanftheit und Mitmenschlichkeit. Daher ist ein neues Nada Surf-Album für jemanden wie mich ein pures Highlight des Jahres. Und ich hoffe einfach auch, dass es anderen Menschen wie mir geht. Es ist so: Ein Teil dieser Welt hat sehnsüchtig auf Moon Mirror gewartet und am 13. September ist es dann endlich soweit!

11 neue Lieder gilt es zu genießen. Sie kommen mal näher ans Herz ran, mal weniger. Einige hauen echt nochmal die Gitarre raus, es gibt sogar wirklich musikalische Überraschungen. Doch das Herzstück sind seit jeher die Texte. Second Skin ist der erste Track auf dieser Platte. Und es geht in diesem typischen Nada Surf-Song um Selbstbetrug, vorgeben zu wollen, jemand anders zu sein. Dass das auf Kurz oder Lang zum Scheitern verurteilt ist, weiß auch das lyrische Ich hier und freut sich, dass diese zweite Haut endlich abgelegt wird. Es sind die kleinen Einsichten, die Matthew Caws und zusingt. Genauso In Front Of Me Now, der ersten Single, die veröffentlicht wurde. Es geht um nicht viel anderes, als sich endlich mal auf das einzulassen, was direkt vor uns ist. Singletasking ist vielleicht die größte Herausforderung unseres Seins. Wie oft habe ich beim Schreiben dieser Zeilen schon aufs Handy geguckt?! Puh… schwer zu zählen. Moon Mirror heißt die Platte und hat selbstredend auch einen Song, der den gleichen Titel trägt. Beim ersten Hören dachte ich, dass das aber ein wenig lahm sei, mich wenig packt. Doch mit jedem Hören ging dieses Stück mehr ans Herz, der Ort, an dem diese Band am wirkungsvollsten ist. Ein Lied darüber, wenn man nicht weiter weiß. Wenn die Sehnsucht groß ist, irgendwo dazu gehören zu wollen. Dann schauen wir hoch, sehen ihn am Firmament leuchten und vielleicht gibt es von oben ein paar Erkenntnisse und Wege, die wir einschreiten sollten. Ja, es sind auf jeden Fall die einfachen Erkenntnisse, die uns auch zu Menschen machen. Und Nada Surf ist die Gruppe, die sie uns zusingt. Die mir davon erzählt, wie schlimm es ist, wenn das Gefühl groß wird, dass alles durch die Hände zu rinnen scheint. Beziehungen, Job, Festigung in der Welt, Zeit, Liebe. Losing ist der passende Titel mit der wunderbaren Einsicht: „But this is just today / it will go away.“ Ja, es klingt super leicht. Aber halt auch wahr. Wie einfach ist es, im Elend immer weiter zu versinken. Wie schwer ist es, das als Ausnahme zu betrachten. Danke für dieses Lied! Dass die New Yorker immer noch wissen, wie die E-Gitarre zu bedienen ist, zeigen sie auf Intel And Dreams, einem Track, der herrlich scheppernd nach vorne pusht!

Zwischendurch stelle ich mir bei aller Begeisterung und Umschmeichelung meines Herzens doch, was die Band eigentlich von mir will. Will sie mir aufzeigen, wie ein Leben zu führen ist? Stellen sie sich oberlehrerhaft aus all der Lebenserfahrung vor mich hin und sagen: Tja, du Mittdreißiger, da solltest du nochmal drüber nachdenken?! Nein, wirklich nicht! Ich glaube, dass die vier Herren im besten Sinne gar nichts von uns Hörenden wollen. Außer. Außer einen sanften Appell an das Gute in uns, an das Unerschütterliche, an das Menschliche und den Zusammenhalt, den wir brauchen, um nicht auseinanderzudriften. Ja, die Herausforderungen da draußen sind immens. Einige Themen und Entwicklungen auf der großen und kleinen Politikbühne lassen mir auch den Kopf zerbrechen. Auch die Frage, wohin die KI-Reise denn gehen wird. Davon singen sie auf New Propeller und raunen uns sanft zu: „Don‘t be afraid / you won‘t be replaced.“ Ja, ist es so einfach?! Vielleicht nicht, aber ein Trost ist es alle Male. Und den kann jeder gut gebrauchen!

Zum Ende des Albums erklingt noch ein richtig tanzbares Stück, das so wirklich nicht zu erwarten war. Von wegen den Rock nicht neu erfinden. X Is You macht richtig Spaß! Gut, dass sie Louie Lino mit in die Band geholt haben, der dann live den frischen Klavierbeat reinhauen kann! So ist Moon Mirror ein klassisches Nada Surf-Album aus den letzten Jahren: Musikalisch an einigen stellen erstaunlich frisch und textlich genau das, was wir in einer immer komplexeren Welt brauchen. Ein Glück, dass sie demnächst bei uns vorbeischauen werden:

27. November 2024 - Köln - Carlswerk Victoria
01. Dezember 2024 - Hamburg - Markthalle
02. Dezember 2024 - Berlin - Metropol
03. Dezember 2024 - München - Backstage Werk
04. Dezember 2024 - Wien - Arena
06. Dezember 2024 - Zürich - Dynamo







Mittwoch, 11. September 2024

Live in Bremen: Hellseatic

Ef in der Kesselhalle. Foto: luserlounge 
(Ms) Das war so nicht zu erwarten. Was war das bitte für ein Spektakel?! Was hier folgt, ist der Versuch, den Besuch des Hellseatic im Bremer Schlachthof in Worte zu fassen.

Keine Erwartungen zu haben, ist oft die beste Voraussetzung, positiv überrascht zu werden. So geschehen am Wochenende. Für den Genuss waren zwei Dinge im Vorfeld notwendig. 1. Dass ich überhaupt drauf aufmerksam geworden bin. Denn ich kannte vorher tatsächlich nur eine einzige Band, Ef aus Schweden, die am Freitag spielten. Der Rest war mit komplett unbekannt und mit Heavy Music habe ich eher wenig Berührungspunkte. Aber ich dachte mir: Ach, komm - neue Musik kennenlernen, das ist doch voll mein Ding. Und live geht es am allerbesten! 2. Dass das Festival überhaupt stattfinden konnte. Lange stand alles auf der Kippe. Zu wenig Tickets wurden verkauft, um irgendwie bei Null rauszukommen. Es war die Rede von Gehaltsverzicht und Gagenreduzierung, um mit Leidenschaft ein einzigartiges Ereignis stattfinden zu lassen. Ich bin gespannt, wie sich die Veranstalter über die wirtschaftliche Situation nach dem Festival äußern werden. Aus vollem Herzen hoffe ich, dass Spenden, Merch-Erlöse und viel Mut das Hellseatic weiter am Leben lassen. Die Stadt Bremen hat nichts dazu gegeben. Was für ein Hohn! Dann halt selber machen…

Das Festival fand im Schlachthof statt. Vielleicht ist es die beste Location für ein Indoor-Event dieser Größe. Drei Bühnen, ein tolles Außengelände, viel Möglichkeit, dass es sich verläuft, unfassbar nette Menschen an allen Ecken und Enden. Und Rücksichtsvolle noch dazu! Selten habe ich erlebt, dass Besucher so freundlich schauen, dass auch jeder freie Sicht hat. Es kommen Entschuldigungen, wenn wem aus Versehen auf den Fuß gelatscht ist. Die Leute stellen sich entspannt beim Bier, Merch, Kaffee oder Pommes an. Wow - was für ein gelassenes Publikum! 

Eine Wucht, Rotor. Foto: luserlounge
Das erste, was ich sah, waren MMTH (Mammut ausgesprochen) in der Kesselhalle. Draußen war es heiß, drinnen war es heiß, überall war es heiß. Aber die schweren Gitarren waren eine Wohltat für die Seele. Park & Riot haben anschließend den Magazinkeller zerlegt. Zum Ende ihres energiegeladenen Stets, wollten die beiden unbedingt noch die Grenze zwischen Publikum und Band auflösen und bauten das Schlagzeug inmitten der Besucher an mit der wunderbaren Ansage: „Jemand muss sich auf die Bassdrum setzen, die rutscht sonst.“ Gesagt - getan, kompletter Abrissirrsinn! Moor waren mir etwas zu schleppend, Außerwelt etwas zu wild. Dann endlich zu Ef - eh eff ausgesprochen - und es war ein Auftritt wie aus einer anderen Welt. Ein paar Jahre schon verfolge ich diese Band und was sie live darbieten, ist enorm. So dicht, so atmosphärisch und melodisch und so voller Druck. Das war sehr, sehr gut. Musikalisch und vom Ambiente. Agriculture konnten sehr gut schreien, bei Ultha war nichts außer roter Nebel zu sehen. Eine wahre Offenbarung waren 24/7 Diva Heaven. Denn es ging nicht nur um schwere, tragende Musik am Wochenende. Auch rotzig, alternativ, rockig war möglich. Seitdem ich Amyl & The Sniffers für mich entdeckt habe, war 24/7 Diva Heaven genau der richtige Impuls! Die Bandbreite an Bands der reinste Wahn! Die drei Damen haben im Keller alles gegeben. Es war stickig - egal! Das Bassdrumpedal riss vor lauter Energie - egal!  Hier ist eine Gruppe am Start, die es noch sehr weit bringen kann! Ehrlich. Und dann war ich voll. Voll von Eindrücken. Bei Monkey3 noch eben reingeschaut, doch dann sagte mir mein Verstand: Mehr geht nicht rein, auch wenn das da gerade wirklich gut ist. Ja, das musste erstmal sacken.

Pedal gerissen - egal, 24/7 Diva Heaven. Foto: luserlounge
Eine Nacht schlafen, dankbar sein, dass ich den Gehörschutz dabei hatte. Insbesondere im Keller war es teils richtig laut. Doch die Ohren haben das Wochenende sehr gut überstanden. Am Samstag also wieder los, als erstes sah ich A Swarm Of The Sun und habe mich geärgert, dass ich nicht schon früher gekommen bin - das war stark! Doch noch ein paar Schippen drauf legten ELR im Anschluss. Zwei riesige Traumfänger an den Bühnenseiten, zwei Damen am Mikro und los ging die okkulte Messe. So fühlte es sich zumindest an. Was war das denn?! Tief beeindruckt blieb ich zurück. Wahnsinnsbooking! Surgical Strike waren mir zu männlich. Predatory Void eine weitere Schreitherapie. Und dann ging es nochmal richtig rund. Im Keller spielten Monosphere aus Mainz. Metalcore vom Allerfeinsten! Wow, das hat richtig gescheppert. Und die Dame in der ersten Reihe war vielleicht die schlauste Person am ganzen Wochenende. Mit Fächer und Ventilator war sie ausgerüstet. Das war wirklich, wirklich schlau! Anschließend wieder in die Kesselhalle. Eine Band Namens Rotor spielt. Irgendwie gefiel mit der Name direkt. Gut besucht war es obendrein! Und was ist dann passiert?! Die Definition von Stonerrock. So, wie ich es mir zumindest vorstelle. Schwer, satt, sehr genau, voller Dichte und Dringlichkeit. Was für ein Auftritt, was für eine Band - direkt abgespeichert.

Laut, laut, wild, wild, schwer, schwer. Doch nicht ganz. Denn die im besten Sinne komplett verrückten Veranstalter haben auch noch den Dachboden des Schlachthofs bespielen lassen. Was dort passierte, hatte mir dem Rest gar nichts mehr zu tun. Mutig oder genial. Wahrscheinlich beides. Am Samstag spielten dort Bubble Wrap Trap, eine Jazzkombo aus Israel. Warum nicht ein wenig Tanzen zwischen dem ganzen Geschrei?! Sehr gut! Doch mein heimliches Highlight nach Ef, ELR und Rotor waren Ill Raketen Und Die Weidenmeisen. Natürlich in erster Linie des Namens wegen. Die musikalische Darbietung des Trios war irre! Percussion, Fieldrecordings, Flöten, zig Instrumente und jede Menge Rausch. Die gut 40 Leute, die sich dorthin am Samstag verirrt haben, wurden klanglich reich belohnt!

Puh, erstmal durchatmen. So kam ich Samstag zu Hause an. Den Kopf voller Eindrücke. Eindrücke, die ich so niemals erwartet hätte. Und die tolle Erkenntnis: Noch nie habe ich so viel spannende Musik an einem Wochenende kennengelernt. Selten war ich unter so viel entspannten Menschen. Tatsächlich habe ich auch noch nie so einen guten Kaffee auf einem Festival getrunken! Und selten ging ich glücklicher nach Haus.

Vielen Dank, dass das Hellseatic stattfinden konnte. Als Typ, der eher aus der Indie-Ecke kommt, war es eine Offenbarung, was musikalisch so möglich ist. Grenzen wurden ausgelotet. Scheinbar Unvereinbares spielte nacheinander. Danke für den Wahn und die Leidenschaft! Ich hoffe, beim nächsten Mal wieder dabei sein zu können!



Freitag, 6. September 2024

KW 36, 2024: Die luserlounge selektiert

Quelle: pixabay.com
(Sb/Ms) „Ich mag den Gedanken, an etwas zu glauben, aber ich bin nicht gläubig“ - Kettcar
Die Apotheke war letztens so voll, dass ich in der Tür, die sich immer wieder schloss und öffnete, stand. Die Fußgängerzone war voll, ein paar Parteien machten Werbung, es war Markttag. In Hörweite war auch ein Typ, um die vierzig vielleicht, hielt einen Flyer in der Hand und hatte einen richtig fröhlichen, überzeugten, wohligen Ton in seiner Stimme. Einen direkten Gegenüber gab es nicht, es waren alle gemeint. Und er erzählte euphorisch darüber, wie sehr der Glaube an Jesus ihn gerettet habe. Zig Menschen gingen an ihm vorbei, ignorierten ihn. Ging mir nicht anders. Aber genervt war ich nicht - im Gegenteil. Es war super spannend, wie er - nimmermüde - dort stand und die Menschen davon überzeugen wollte, wie toll es ist, an Jesus zu glauben. Wenn das solch eine Energie entfachen kann, finde ich das auch gut. Ob das nun Jesus ist oder nicht. Seine Überzeugung hat mir imponiert!

La Femme
(Ms) Klar, komplettes Hitpotential! Doch mal ganz anders angefangen: Vor drei Jahren war ich eine Woche in Kopenhagen und jeden Abend auf einem Konzert, als hierzulande alles dicht war. Es war mir vollkommen egal, was es war, Hauptsache Livemusik. Also sah ich das erste Mal eine Dark Wave-Band live. Und das ging unsagbar gut ab, hat sehr viel Spaß gemacht. Seitdem bin ich dem Genre immer wieder verfallen. Klar, dass ich La Femme dann automatisch gut finde. Doch das ist nicht nur dunkle Synthies-Zauberei, ist auch die richtig große Rockpose, die in ihrer etwas übertriebenen Weise sicher genauso gemeint ist. Why not?! Geht richtig gut ab, was das französische Sextett da macht. Clover Paradise ist ihre aktuelle Single, die das neue Album Rock Machine ankündigt, das am 11. Oktober veröffentlicht wird. Elektronische Spielerei, viel Bass, viel Hall, viel viel viel! Viel Hitpotential!


Hania Rani
(Ms) Hallo Klavier, hallo weiße und schwarze Tasten. Hallo Harmonie, hallo Verspieltheit, hallo Leichtigkeit. Hallo Schönheit! Hallo It Comes In Waves, die neue Single von Hania Rani, die diese Woche erschienen ist. Die Geschichte der Pianistin ist richtig spannend. Seit ihrem ersten Album verfolge ich ihre Musik und es ist ein Hochgenuss, die Entwicklung hörend zu begleiten. Erst ganz zaghaft und leise. Dann ein bisschen schwungvoller. Und nun ist viel Platz neben dem Klavier eingeräumt worden. Einige elektronische Spielereien, Streicher und auch der eigene Gesang. Faszinierend! Und obwohl sich ihre Musik so sehr geändert hat, bleibt der Kern gleich. Denn der ist sehr seicht, unfassbar angenehm fürs Ohr, wohltuend. Am 27. September erscheint ihr neues Album Nostalgia. Tatsächlich habe ich nicht ganz verstanden, ob brandneue Lieder darauf enthalten sind oder es eher eine Sammlung von Livemitschnitten ist. Wie dem auch sei… die Single klingt großartig, über sieben Minuten Spielzeit! Was für eine Entwicklung, was für eine Dynamik, was für ein Crescendo! So macht Musik doch Spaß. Zu hören und sicherlich auch zu komponieren und spielen. Ja, Nostalgia könnte eine weitere großartige Platte werden!


Turbostaat
(Ms) Ja, sie sind eine große Ausnahme der hiesigen Bandlandschaft. 25 Jahre in der gleichen Besetzung. Spontan fällt mir keine andere Band ein, bei der das genauso ist. Vielleicht noch Die Ärzte. Aber Turbostaat sind auf ganz anderen Gefilden unterwegs. Ihr Punkrock hat eine entfesselnde Dringlichkeit, wer sie ein Mal live gesehen hat, wird süchtig. Dieser Druck, diese Energie, diese Dichte und die krasse Verbindung zwischen Band und Publikum. Ihr Live-Album Nachtbrot ist ein erstaunliches Dokument dieser Beziehung. Dass dieses Jubiläum gefeiert werden muss, ist klar. Viele Bands gehen dann mit einem Album-XY-ist-20-Jahre-Motto auf Tour. Aber nicht so mit den Jungs aus Flensburg. Sie gehen zwar auch auf Tour, spielen aber an jedem Abend ein anderes Album in Gänze! Hui! Das stelle ich mir als Musiker auch echt anspruchsvoll vor. Klar, die hast diese ganzen Lieder geschrieben, aber viele werden ja live nie gespielt. Und dann die gesamte Diskographie. Wie gut das ankommt, lässt sich leicht ablesen, einige Konzerte sind direkt ausverkauft. Und damit nicht genug! Alter Zorn - ein neues Album - wird kommendes Jahr erscheinen. Das ist mal eine richtige Jubiläums-Sause! Dafür sollte man sich dringend Tickets besorgen, soweit es noch möglich ist, denn es wird sicher Einzigartiges passieren!
Damit nicht genug: Alle Alben werden auch nochmal auf Vinyl veröffentlicht - WOW!

24.10.2024 Lübeck, Treibsand "Flamingo" (Ausverkauft)
25.10.2024 Bremen, Schlachthof "Schwan"
26.10.2024 Chemnitz, AJZ Talschock "Vormann Leiss"
27.10.2024 Berlin, SO36 "Das Island Manöver" (Ausverkauft)
28.10.2024 Göttingen, MUSA "Stadt der Angst"
30.10.2024 Frankfurt, Zoom "Abalonia"
31.10.2024 Nürnberg, Z-Bau "Uthlande"
08.11.2024 Husum, Speicher "Nachtbrot" (Ausverkauft)
16.01.2025 Hamburg, Markthalle "Alter Zorn" (Ausverkauft)


Red Scare Industries
(sb) Pünktlich zum 20-jährigen Jubiläum hat das Chicagoer Punk-Label Red Scare Industries eine tolle Compilations von bisher unveröffentlichen Tracks zusammengestellt. Das Album enthält u.a. brandneue Songs von The Menzingers, Laura Jane Grace, Dead To Me, The Falcon, Cobra Skulls, The Holy Mess, Nothington, No Trigger, Sam Russo, Sludgeworth, The Brokedowns, The Bollweevils, Elway und The Lippies. Bei so viel Vielfalt trifft natürlich nicht jeder Schuss ins Schwarze, einige Killer sind aber schon dabei. Veröffentlichung? Heute! Kaufen? Ja, bitte!


 
Famous
(Ms) Ja klar, das ist natürlich der Name. Sehr gut ausgewählt, sticht sofort ins Auge und macht halt neugierig! Womit wird diese Londoner Band denn berühmt? Jack Marrett steht im Fokus dieses Projekts und der Sound ist enorm vielschichtig! Das Eine ist der treibende Bass, das Andere diese markante Stimme - hui! Dazu kommt richtig viel Dringlichkeit im Gesang. Hier ist sofort klar, dass da jemand am Mikrophon leidet und sich gleichzeitig auch freut, der komplett seine Musik lebt. Dazu muss ich nichts über den Song oder die Geschichte von Famous wissen - das ist glasklar zu hören! Und dann dieses Arrangement. Alternative, New Wave, Indierock, Postrock?! Puh, schwer einzuordnen, aber ist ja auch egal. Hier geht ganz viel in die richtige Richtung, um wirklich groß zu werden. Die Krönung der Begeisterung, der Titel der aktuellen Single: What Are You Doing With The Rest Of Your Life? Tja, was denn nun?! Endlich wieder Musik, die direkt das eigene Leben in Frage stellt und mich als Hörenden dazu verleiten lässt, das zu tun, was ich mich nie getraut habe. Was für ein Fund ist das denn?! Merkt euch den 11. Oktober, dann erscheint mit Party Album ein ziemlich großes Ding! Und es ist erst das Debut…

Mittwoch, 4. September 2024

Blush Always - An Ode To?

Foto: Marina Monaco
(Ms) Neue Musik ist in den letzten Jahren wahnsinnig kompliziert geworden, oder? Überall steckt so wahnsinnig viel Bedeutung drin. Entweder in ziemlich verschachtelten Texten oder viel zu vielschichtigen Arrangements. Einige Tracks sind auch einfach nur noch laut, nur noch Lärm. Ich will aber Ruhe haben, zumindest im Kopf und mir nicht immer den selbigen zerbrechen, was denn nun wieder in diesen oder jenen Versen stecken könnte. Oder was dieses oder jenes instrumentales Stück nun meinen könnte.

Okay, ich kann das schon verstehen. So ein Leben an sich kann ganz schön anstrengend sein. Ein gutes, möglichst stressfreies Auskommen mit seinen Liebsten, den Job packen, ab und an mal Sport treiben, sich bei allen Menschen regelmäßig melden und dann auch noch mit der aktuellen Nachrichtenlage zurecht kommen. An einigen Tagen weiß ich dann gar nicht, was ich hören will. 

Zum Glück gibt es Katja Seiffert. Sie nennt sich Blush Always und veröffentlicht am 6. September ihr neues Album An Ode To?. Auf der musikalischen Landkarte ist sie noch gar nicht so lange verzeichnet. Letztes Jahr erst erschien ihr erstes Album, nun legt sie schon nach - wow! Die Frage der Platte lautet: Für wen macht sie Musik? Ihr Debut - You Deserve Romance - war eher an sie selbst gerichtet. Und nun?! Tja, es wird so halb beantwortet. Zum Einen kann ich mir als Hörer die Musik ja selbst aneignen und mich fragen, an wen ich beim Hören dieser Lieder denke. Zum Anderen lässt sich auch sagen: Katja Seiffert nahm die meisten Parts alleine auf, doch sie holte sie auch Unterstützung. Neue FreundInnen kamen hinzu und hinterlassen auf diesem Album ihre Spuren. Also auch eine Songsammlung für die Menschen, die sie musikalisch begleiten?!

Gut 40 Minuten neue Musik schenkt sie uns auf An Ode To?. Und ich bin ihr so, so dankbar. Denn die Stücke fliegen im allerbesten Sinne um mich herum. Es klingt alles so herrlich frisch, unbedarft, unaufdringlich, so wenig anbiedernd, so wenig gewollt, um unbedingt in einem bestimmten Sinn verstanden werden zu wollen. Im Vordergrund steht eine oft ganz gut aufgedrehte Gitarre zusammen mit Katja Seifferts Stimme. Eine sehr gute Kombination. Ohnehin wird der Amp oft aufgedreht. Indierock, Alternative? In diese Richtung geht es, und es geht stetig voran, ab dem ersten Stück My Mum‘s Birthday. Ja, es sind viele 90er-Jahre-Vibes dabei, aber die waren ja damals auch schon gut! So kann der Grund, warum man Mamas Geburtstag vergessen hat, sein, zu viel nachgedacht zu haben (s.o.). Nur Anfangs ein wenig ruhiger geht es auf Bigger Picture zu, das sie zusammen mit Brockhoff geschrieben hat. Ein schönes Liebeslied, ein tolles Freundschaftslied, das schnell wieder die Gitarren aufdreht. Sophie Lindinger von My Ugly Clementine - für die Blush Always auf deren Frühjahrstour eröffnen durfte - hat bei Enemy ihre Finger mit im Spiel. Einige Stücke sind so herrlich leicht und gut zugänglich, es ist kaum zu fassen. Time Of My Life geht um genau das, was der Titel verspricht. Gleiches gilt für You Are My Favourite Place To Stay. Wer möchte das denn nicht auch hören?! Was für ein tolles Kompliment - natürlich in bester E-Gitarrenmanier umgarnt! Und ist A Room To Myself eine Anlehnung an Virginia Woolf?! 

Es lässt sich recht einfach zusammenfassen: Diese Platte macht einfach richtig viel Spaß. Selten habe ich in letzter Zeit etwas Kurzweiligeres, Frischeres und Tolles gehört! Mögen das möglichst viele Menschen erkennen und sich An Ode To? zulegen oder zumindest tagelang streamen. Auf Tour geht Blush Always auch und das wird sicher sehr, sehr gut.

PS: Ein Glück, dass wir Hörenden mit Autoimmunity mit einem herrlichen brachialen Punkbrett entlassen werden! Bock, Bock, Bock!

06.09.2024 Hamburg, Molotow (Release Konzert)
07.09.2024 Leipzig, Neues Schauspiel (Release Konzert)
08.09.2024 Berlin, Rough Trade Berlin (Release Konzert)
20.01.2025 Würzburg, Jugendkulturhaus Cairo
21.01.2025 Mainz, Schon Schön
22.01.2025 Köln, Artheater
23.01.2025 Karlsruhe, Kohi
24.01.2025 Nürnberg, Club Stereo
25.01.2025 München, Milla
04.02.2025 Kiel, Hansa 48
06.02.2025 Bremen, Tower
07.02.2025 Münster, Gleis 22 
08.02.2025 Berlin, Neue Zukunft