Mittwoch, 3. September 2025

Ghostwoman - Welcome To The Civilizied World

Foto: Andrin Fretz
(Ms) Viele Erzählungen für einzelne Stücke oder ganze Alben funktionieren nach diesem Schema: Die Welt ist dem Untergang geweiht. Wir haben sie erfolgreich gegen die Wand gefahren. Klima hinüber, der gesellschaftliche Zusammenhalt droht zu zerrütten, ein politischer Rückschritt in eine Zeit, die es nie gab. Viele MusikerInnen bleiben an diesem Punkt der Resignation nicht stehen, sondern appellieren an das Gute in uns und an die Hoffnung, dass wir das mit genug Liebe und Zuversicht schon schaffen werden (und ich finde die Erzählung auch ganz gut, weil sie mir auch viel Positives schenkt). Für Evan Uschenko und Ille Van Dessel gibt es diesen frohgemuten Blick in die Zukunft nicht. Und aus diesem Standpunkt der absoluten Resignation erwachte ihr neues Album Welcome To The Civilized World, das am 5. September erscheint. Es ist das vierte Ghostwoman-Album und das zweite, dass die beiden zusammen schreiben.
Allein dieser Schreibprozess ist faszinierend. Ein paar Tracks gingen von der einmalig aufgenommenen Testversion direkt auf die Platte. Zum Anderen haben sie sich extra für die Aufnahmen gebrauchte Instrumente gekauft, sie aufgearbeitet und nach der Benutzung wieder weiter verkauft. Alles für den einzelnen Track, alles für den Moment. Denn diese Platte, deren Titel ja schon keine Hoffnung mehr übrig lässt, wurde an vielen verschiedenen Orten aufgenommen. Sowohl in Uschenkos kanadischer Heimat als auch in den Bergen Belgiens, wo Ille van Dessel herkommt. Dieses Duo harmoniert so wahnsinnig gut, dass es fast schon beängstigend ist.

Hört man die neuen 38 Minuten von Ghostwoman, fällt auf, dass die Tracks weniger derbe sind. Auf dem Vorgänger Hindsight Is 50/50 war mehr Dampf drauf. Gut ist, dass sie ja nicht das gleiche nochmal machen. Welcome To The Civilized World erscheint eher wie ein Roadtrip durch verlassene, verödete Städte und Landschaften, wo einst Leben herrschte und nun nur noch ein paar Übriggebliebene hausen (später mehr dazu). Allein dieser Vibe der Lost Places macht dieses Album richtig spannend!
Sich mit den Texten auseinander zu setzen, ergibt keinen Sinn. Denn der Text ist laut Evan Uschenko nur Mittel zum Zweck, Inhalt ist so gut wie egal, er ist die Begleitung zum Sound. Daher wird er hier auch ausgeklammert.

Mit dem zum Album gleichnamigen Track eröffnet die Platte. Ein paar verlorene Klavierklänge und nach einer halben Minute rollen Schlagzeug und Gitarre los und werden auch nicht mehr aufhören. Ja, dieses Album ist cineastisch, da die düsteren Bilder von ganz alleine kommen. Wie gut Sound und Bild zueinanderpassen, ist in einigen der Singles auf großartige Weise zu sehen. Alive wird im Video mit zusammengeschnittenen Tourerlebnissen eingefangen. Nirgendwo zu Hause, überall Beton und Straße. Tatsächlich ist der Track recht melodisch. Doch die Melodien erinnern eher an einen nostalgischen Blick ins vergangene Gute. Noch eindrücklicher wird es bei Levon. Das Video passt so derart perfekt zum Sound, dass es beinahe schon gruselt. Verlassenheit in einer Trailer-Siedlung, die Langeweile der jungen Erwachsenen dort und die gesammelte Trostlosigkeit drumherum. Dazu scheppern Evan Uschenkos Gitarren und Ille van Dessel treibt und treibt und treibt die Resignation nach vorn.
Richtig schrammelig kommt 5 Gold Pieces daher und zwischen E-Gitarren-Ausbrüchen flüstert uns Uschenko in Endlosschleife die Wörter des Titels ins Ohr. Doch die Hoffnungslosigkeit ist nicht immer nur derbe, sondern entfacht im Stillen vielleicht noch mehr Kraft. Dafür steht Dime A Dozen exemplarisch und eindrucksvoll. Mein Highlight ist When You All Where Young, weil es roh, direkt und unmissverständlich ist und genau daher richtig viel Wucht entwickelt. Ja, beinahe geht es hier schon hypnotisch zu.

Welcome To The Civilized World ist nicht unbedingt ein Album, das durch einzelne Tracks lebt. Vielmehr ist es ein Gesamtkunstwerk, das eine Stimmung transportiert. Dies sollte jeder mal live erlebt haben. Und unbedingt dafür Gehörschutz mitnehmen, auch wenn die Platte nicht zwingend brutal rüber kommt. Doch wenn Evan Uschenko live seine Gitarre bearbeitet und Ille van Dessel dazu auf die Trommeln haut, wird es einfach nur unfassbar laut und wild und auch sehr beeindruckend. Diesen Trip in die Resignation sollte sich niemand entgehen lassen!

10.11. Gebäude 9 - Köln
11.11. Molotow - Hamburg
12.11. Festsaal Kreuzberg - Berlin
13.11. Moritzbastei - Leipzig
17.11. Live/Evil - München
18.11. Manufaktur - Schorndorf