(Ms) Wenn sich abends leichter Nebel über die Felder legt und dichter wird, dann schimmern die Laternen dahinter nur noch schemenhaft hindurch. Ein diffuses Bild entsteht, eine mystische Stimmung, die einengend sein kann. Lauert da eine Gefahr? Oder ist eigentlich alles wie immer nur nebulöser? Leichte Ungewissheit liegt im Raum, diesem Szenario ist nicht ganz zu trauen.
In diese Situation passen die acht neuen Stücke von Me And My Two Horses. Am 26. September erschien ihr neues Werk And The Prople - Ah, The People. Schon in diesem Titel steckt etwas aus dem oberen Moment. Den Menschen ist genauso oft wenig zu trauen. Was stellen sie schon wieder an? Haben sie schon wieder nicht nachgedacht? Wie kommen sie nur auf die nächste Idee, die sich im Grunde genommen gegen sie wendet? Ja, Kristin Drechsler, die hinter diesem teils schaurigen Projekt steckt, seufzt auf diesem Album oft - was haben die Menschen nur alles an Dämlichkeiten angestellt? Doch sie steckt den Kopf nicht in den Sand. Wie soll es denn besser werden, wenn uns niemand zeigt, was aktuell schief läuft? Das passiert (unter anderem) auf diesem tollen Werk!
Der Vorgänger No Man‘s Land von vor sechs Jahren wurde noch mit einer Band aufgenommen und war sehr wuchtig, düster und teils angenehm bedrückend. Diese neue Platte hat die Hamburger Musikerin ganz allein aufgenommen, gemischt und gemastert. Das hier ist Kunst auf ganz hohem Niveau. Und sie ist düster, erinnert an Amanda Palmer oder einer gedimmten Version von Anna von Hausswolff.
Im Vordergrund steht das Klavier und Kristin Drechslers Stimme. Dazu gesellten sich unterschiedlichste Instrumente und Sounds. Mal knallt eine E-Gitarre, dann kommt ein Beat, dann zeigt das unterschätzte Akkordeon, was in ihm steckt. Doch vor allem steckt ganz viel Tiefe in dieser Musik, hörbare Aufrichtigkeit, die niemandem gefallen muss. Doch in diesem dunklen Tagtraum namens And The People - Ah, The People steckt auch wahnsinnig viel Schönheit!
Die große Kunst dieses Albums liegt nicht nur in der herrlich schaurigen Musik. Sondern logischerweise auch in den Texten. Da zeigt die Musikerin, was sie beeinflusst und vertont zu Beginn der Platte das Gedicht Alone von Edgar Allan Poe. Auf Waltz verschmelzt das Private mit dem Politisch-Gesellschaftlichen, wenn das lyrische Ich bemerkt, wie dunkel es geworden ist, doch: „You thought you could be a king / And I should be your Queen / but that was just a Dream.“ Das Arrangement ist ab der zweiten Hälfte so großartig, wenn ihre Stimme durch den Raum schwebt, eine Violine dazu umhergeistert, ein Cello Tiefe mitbringt und ganz viel Kraft in der Luft liegt - wow! Auf Masquerade überzeugt dunkler Kammer-Pop mit einer ähnlichen Sprache, wir Menschen seien wenig human, sondern viel mehr Ghouls „and their King is who tolls“. Ja, Recht hat sie. Und der Schauder zieht über den Rücken, wenn am Ende ein kleines Glockenspiel erklingt. Dass die Kraft der Veränderung in uns allen liegt, wird auf There Is Not Enough Space To Dance klar. Nicht nur die Worte von Simone de Beauvoir zu Beginn des Stücks zeigen auf, was falsch läuft, doch hier zeigt Kristin Drechsler, dass das eigene Tun alles in Bewegung setzen kann. Eben, hier ist keine Resignation. In der ganzen Verzweiflung steckt doch immer eine Aufforderung zum Handeln. Zudem ist dieses Stück in seinem düsteren Schwindel sicher ein Highlight des Albums. Auf People schreit sie sich ihre Zweifel an der Menschheit aus dem Leib. Weniger opulent im Sound, dafür in seiner Feinheit gänsehautmachend.
Zum Ende dieses kunstvollen Werks singt sie sogar zum ersten Mal auf Deutsch. Knochen heißt das letzte Stück. Da schnürt es einem fast den Hals zu bei der Geschichte, die sie uns ins Ohr säuselt.
Ja, das hier ist kein eingängiger Pop, der schnell in die Beine geht. Das will diese Musik auch gar nicht. Die Düsternis in diesem Sound, in diesen Texten ist großartig, der Schauder faszinierend, die Instrumentierung feinsinnig, wuchtig und sehr rund. Dieses Album ist ein dunkler Stern, der aber hell leuchtet!
(Ms) Diese halbe Stunde Musik ist wie ein wunderbares Labyrinth. Ein lyrischer Garten mit weniger Irrungen als viel mehr einigen tollen Verwunderungen. An jeder Ecke wimmelt es von Zwei-, Drei-, Vierzeilern, die zum Schmunzeln, Grübeln, Freuen, Nachdenken anhalten. Überall Worte, Gedanken und Möglichkeiten. Manchmal stellt sich beim herumlabyrinthieren die Frage: Worum geht es hier denn gleich nochmal und wo ist denn der rote Faden? Gibt es überhaupt einen? Muss es einen geben? Oder ist dieser musikalische Weg nicht viel mehr ein tolles Sammelsurium an Versen und Interpretationsdarbietungen. Ich kann aufnehmen, was ich mag und bastel mir meine eigene Geschichte daraus. Auf dem neuen Album von Das Paradies, das den tollen Namen Überall, Wo Menschen Sind, trägt, geht es in etwa so zu. Florian Sievers, der dahinter steckt, hat neun neue Lieder im Gepäck, die für eine halbe Stunde einfach mal so drauflos wirken. Insgesamt ist der lyrische Teil der Platte wenig konkret, aber dafür umso schöner. Denn es lauern überall wunderbare Worte, die wir mitnehmen können.
Beim ersten Track Florian Gibt Auf könnte man dem Musiker glatt Programmatik unterstellen, doch zum Glück sind wir bei dieser Platte weit davon entfernt. „Der Staub schaut mir beim Liegen zu“ - das sind doch wahnsinnige Worte, oder? Hat da wirklich jemand aufgegeben? Wohl kaum, so angenehm startet dieses Album, auf dessen Opener er durchaus zugibt, Glück gehabt zu haben. Der paradiesische Indie-Sound hat immer wieder elektronische Elemente, die auf Alles Schmeckt Nach Abschied zu vernehmen sind. Ein Lied über Unverbindlichkeiten. Über das, was eh nur auf Dauer geplant war. Oder gibt man das nur vor, um sich das Scheitern zu erklären?
Doch was machen wir uns hier eigentlich vor? Die Neue Illusion Ist Da ist das passende Lied dazu: „Was gestern traurig war, ist, was ich heute mag.“ Die Fahne in den nächst besten Wind hängen, so kann man halt auch leben. Nur: Wie lange nur? Erstmal ganz beschwingt - dazu flötet eine Flöte gute Laune in diesen Track. Schneller ertönt dann An Einem Kirschbaum In Einem Sommer - ein wunderwunderbares Lied: „Und dann denken wir uns eine Liebe aus / einen Hass, oder was auch immer.“ Ja. Okay. In der lyrischen Pause Entspannung mit Saxophon. Wirklich: Keine Ahnung, worum es genau geht, aber es ist faszinierend schön! Und genau das ist das Großartige an dieser Platte: Es leuchtet an allen Ecken und Enden, doch wo die Lichtquelle ist, ist nicht bekannt. Es ist einfach toll so.
Mein Highlight ist Der Spuk, Der Uns Verbindet. „Ja, ich fürchte mich, vor dir und dir und dir, weil du nichts befürchten musst.“ Toll, oder? Warum muss das Gegenüber, während so wunderbar säuselnd die Gitarre dahin wandert, keine Angst haben? Beschütze ich? Gibt es keinen Grund zur Sorge? Steht es über allen Dingen? Was werden uns hier im Minutentakt für Ideen hingelegt - wir können sie alle aufnehmen!
Ganz brutalen Ohrwurmcharakter hat dann Brand Neu Second Hand: Dii daa daa, didi daa daa…
Aufgenommen hat Florian Sievers die Platte in seinem Leipziger Studio. Wer seine Musik verfolgt, weiß, dass er gern auch mal an einigen Reglern dreht und Effekte spielen lässt. Das Leben Fühlt Sich EndlosAn ist seine kleine musikalische Spielwiese dieses Albums. Aus dem schönen lyrischen Nebel tritt man hier plötzlich auf die Tanzfläche.
Bei Den Regendrops beendet diese Platte. Leise und melancholisch schmeißt uns Florian Sievers noch einige schöne Worte entgegen: „Aus dem grauen Grell fallen wir zurück in die selbe alte Welt.“ Ja, so ist das, oder? Auch nach einer halben Stunde nebulösem Traumwandeln heißt es wieder Wäsche waschen, Tisch abräumen. Doch diese halbe Stunde Musik ist wahrer Glanz. Ja, die neun Lieder sind unkonkret und erzählen keine linearen Geschichten. Müssen sie ja auch nicht. Viel mehr besticht dieses Album durch das Ungreifbare. Was für große Kunst!
(Ms) Wenn diese Töne erklingen, beginnt die Zeitmaschine zu arbeiten. 2005 und 2006 erschienen die ersten Alben von Kevin Hamann alias ClickClickDecker und der Name prägte sich in mein jugendliches Gehirn schnell ein. Seine Musik lief ab sofort oft, laut und zu vielen verschiedenen Begebenheiten. Wenn diese Töne erklingen, kommen sehr viele Bilder aus dieser Zeit zurück. Das erste Mal mit der Bahn nach Münster, da ClickClickDecker dort bei der Visions Party im Gleis22 gespielt hat. Zu dem Zeitpunkt war mir noch unklar, dass ich später gut acht Jahre in dieser Stadt leben sollte. Später Fahrten aufs letzte Dorf: Stemweder Openair. Heute ein etabliertes Festival, 2007 noch in den Kinderschuhen. Damals spielte Audiolith-Kopf Lars Lewerenz noch Bass. Noch später verlor ich ein wenig den Bezug zu Kevin Hamanns Musik. Wieso und warum ist mir völlig schleierhaft. Und dann trat eine ClickClickDecker-Pause ein, bei der (mir) nicht ganz klar war, ob sie jemals enden oder eine auf Dauer sein wird.
In diesem Frühjahr gab es mit Am Ende eine eindeutige Antwort drauf: Pause vorbei, neues Album und Tour. Da hüpfte mein Herz und die ganzen Bilder von oben ploppten auf. Das sind Zeitpunkte, an denen klar wird, welche Bedeutung Musik für einen als Mensch hat. Wenn mit einer Art des Indiepop eine Phase des Lebens verbunden ist, mag ich nur noch von Zauber sprechen.
Wir Waren Schon Immer Da heißt das neue Album, das diesen Freitag (26. September) erscheinen wird und besser kann ein Titel ja gar nicht passen. Verrückt: Kevin Hamann macht von seiner Art und Weise des Textens einfach dort weiter, wo er zuletzt aufgehört hat. Wobei sein Name ja nicht mehr das Alias der Band ist. Seit Langem sind Sebastian Cleemann und Oliver Stangl mit ihm zusammen diese Gruppe. Ein Großbuchstabe für jedes Mitglied quasi.
ClickClickDecker-Texte sind stets ein großes Labyrinth gewesen. Worum geht es nochmal? Wo war nochmal der rote Faden? Und warum packt mich das so? Wie passen diese ganzen tollen Verse nur auf ein einziges Lied? Oft bleiben Bilder offen oder im Unklaren. Aber gerade das macht ja einen großen Reiz aus. Ich muss hier nicht alles verstehen. Hier herrscht kein klassisches stringentes Storytelling vor, sondern eher ein Bewusstseinsstrom (wenn ich mich interpretatorisch mal so weit aus dem Fenster legen darf).
Dass der erste Track Am Ende heißt, ist auch ein wenig der Beweis, dass dieses Trio eine gewisse Unterhaltungsader hat. Diese hoch gespielte Akustikgitarre - peng! Ein Signature Move! „Das hier ist ein Aufwind / Alle Lampen an“ - los geht‘s! Dass Songtitel und inhaltliche Struktur Hand in Hand gehen, ist bei Die Permanente Gleichzeitigkeit der Dinge wundervoll umgesetzt. Ein Text, der pickepackevoll ist mit Momenten, Situationen und Gefühlen. Die Überforderung des Alltags und dem ganzen Mist, den das Erwachsenenleben so mit sich bringt, aber: „Halte deine Arme wenn es sein muss / Ich weiß du, du machst das auch“. Hier schenkt jemand Trost in Zeiten, wenn alles zu viel wird. Hach, wie schön ist das denn bitte?! Manche seiner Worte erzeugen auch einfach nur ein gutes, beruhigendes Gefühl. Worum es genau in Breitmaul geht, habe ich nicht durchdrungen. Aber vielleicht ist das auch manchmal gar nicht so wichtig. Wenn er „Meine Gedanken gehören dir“ singt, dann tut das einfach nur gut. Und eine seichte Instrumentierung im Hintergrund streichelt sanft die Seele. Musik als Heilmittel, deren Wirkung manchmal schleierhaft ist. Ohnehin: Trost. Davon (und sicherlich von noch viel mehr) erzählt auch Auf Dem Grund / Am Apparat. „Vielleicht geht‘s nicht / Vielleicht reicht‘s nicht“. Ja, manchmal stimmt das. Dann ist man am Grund angekommen, aber „Da ist doch noch viel mehr“. Ja, eventuell ist da noch mehr Schmerz oder vielleicht ist das Loch manchmal noch größer, aber wenn das Ich auf dem Lied singt, dass es das nicht leid ist, weder gestern noch morgen, dann zeig mir mal jemand anders, was denn nun Liebe bedeutet. Oder?
Die zehn neuen Stücke haben eine angenehme Spieldauer von 30 Minuten. Vielleicht ist der Kopf auch nicht dafür gemacht, um noch mehr ClickClickDecker-Verse aufzunehmen. Geschweige denn, sie alle zu verstehen. Muss ja auch wirklich nicht sein. Wir täten gut daran, Musik nicht zu verkomplizieren. Manchmal erzeugt sie ein Gefühl, spendet Trost, unterhält oder ist Selbstzweck. Wir Waren Schon Immer Da ist ganz viel davon. Aber in erster Linie ist es ein ganz phantastisches Werk, lyrisch klug und voll, musikalisch herrlich unaufgeregt. Ein Glück, dass diese drei Typen immer noch Musik machen, mögen sie nie aufhören und immer da bleiben.
(Ms) Ist es notwendig, sich mit dieser immer unmittelbareren Realität auseinanderzusetzen? Ja, auf jeden Fall! Selten war es so wichtig, standhaft zu bleiben und Quatsch entgegen zu wirken. Können wir es uns da überhaupt leisten, für eine gewisse Zeit dieser Realität zu entschwinden? Ich sage: Es ist genauso zwingend nötig. Denn sonst werden wir noch alle verrückt und man kann auch nicht den ganzen Tag nur ernst sein. Kunst verbindet und macht uns Menschen glücklicher. Für einige Zeit gedanklich woanders zu sein - das erfordert auch eine gewisse Art der Magie. Ein Zauber, der seine Kraft entwickelt und uns den Flow schenkt, zum Einen im Hier und Jetzt zu sein und zum Anderen diesem Ort auch radikal zu entfliehen. Wie funktioniert das? Durchs Eintauchen in andere Sphären.
Diese anderen Sphären, diese anderen Welten servieren die Grandbrothers mit ihrem neuen Album Elswhere wie auf dem Silbertablett. Erol Sarp und Lukas Vogel haben erneut Melodien und Rhythmen erschaffen, die es einem ganz leicht machen, tief Luft zu holen und darin zu versinken. Aufgefangen wird man in einem warmen, ummantelnden Licht, das rein, wunderschön und pulsierend ist. Die neuen 10 Tracks bieten eine Dreiviertelstunde Eskapismus.
Dabei bleiben sich die beiden Musiktüftler treu, doch verharren konzeptionell nicht auf der Stelle. Lange Zeit war die Devise der beiden, alle Sounds aus dem Klavier zu holen. Auf der neuen Platte wird dieser Raum zum ersten Mal erweitert. Sie nutzen Drum-Samples, analoge Sythies und tieffrequente Bässe. Ja, es ist durchaus zu hören, dass die neuen Stücke ein wenig mehr Tiefe haben, aber es ist eine durch und durch typische Grandbrothers-Platte.
Sanft nehmen Erol Sarp und Lukas Vogel uns Hörende zu Beginn des Albums an die Hand. Famara Dust ist ein leichter, leicht nebulöser, kurzweiliger Einstieg. Auf Fable wird dann klar, woher die Drums kommen. Doch im Mittelpunkt ist und bleibt das Klavier, das auf wundersame Weise immer wieder zarte Töne durchblicken lässt, während ein entspannter Rhythmus das Lied trägt. Nach gut zwei Dritteln taucht der Song in mehr Tiefe ein, doch es scheint, als ob diese Platte behutsam aufgebaut wird und noch nicht alle Körner zu Beginn verschossen werden. Auf We Collide sind Melodien zu hören, die schon vorher im Hintergrund durchschimmerten. Das ist natürlich wahnsinnig raffiniert gemacht und ein sehr großes Kunstverständnis der beiden Musiker. Dieses Album hat einen eindeutigen roten Faden ohne je nach Konzept zu schreien. Where Else ist vielleicht das markanteste Stück des Albums, denn es treibt eindeutig und unverkennbar voran, tiefer in den Sog, die elektronischen Tanzelemente häufen sich. Man mag die Augen schließen und dieses Lied nie verlassen. Klar: Wo auch sonst sollte man beim Blick auf den Titel verweilen?! Doch die beiden machen es ja sehr geschickt. Die Energie bleibt nicht auf der gleichen Welle. Sondern verdichtet sich etwas in einem zarteren Korsett. Liminal nimmt etwas den Schwung raus, ohne einen Deut an Dynamik zu verlieren. Wow, ist das unglaublich gut gemacht! Richtig euphorisch wird es gar auf Cypress. Ja, dieses Album ist nicht dunkel, auch wenn es ein wenig mystisch anmuten mag. Die zehn Lieder haben einen eindeutigen aufbauenden Charakter. Und auch hier finden sich die gleichen Elemente wie zu Beginn der Platte wieder - hach, ich komme aus dem Schwelgen kaum raus! Zum Schluss auf N O W H E R E drosseln die Musiker das Tempo, drehen den Bass auf und lassen uns sanften Fußes wieder im Hier und Jetzt auftreten. Obwohl man eventuell gar nicht will.
31.10.2025 - Botschaft, Osnabrück
01.11.2025 - Stadthalle, Köln 02.11.2025 - Schlachthof, Bremen 05.11.2025 - Gruenspan, Hamburg 06.11.2025 - Huxleys, Berlin 07.11.2025 - UT Connewitz, Leipzig 19.11.2025 - Konzerthaus, Wien 19.11.2025 - Muffathalle, München 01.03.2026 - Theater, Münster
(Ms) Wie wird eine richtig gute Band langsam älter? Gibt es einen guten Punkt, irgendwann aufzuhören? Oder immer weiter machen? Ab wann wird es anstrengend oder gar peinlich? Oder wie knallen die Gitarren Ende fünfzig, Anfang sechszig immer noch kraftvoll? Oder, nochmal anders: Sind das eventuell alles völlig unberechtigte Fragen eines Mittdreißigers?
Ira Elliot ist 62, Daniel Lorca und Matthew Caws sind beide 58, das Alter von Louie Lino konnte ich nicht herausfinden. Doch spätestens nach deren Gig in Worpswede, spielt die Kategorie Alter in der Rockmusik wirklich keine Rolle mehr. Aber, wie deutlich zu merken in diesen Zeilen, treibt mich diese Frage doch stärker um als gedacht. Die New Yorker Band Nada Surf hat alle möglichen Alters-Gedanken einfach mit einer energiegeladenen Performance in Luft zerschlagen.
Diese Band gehört für mich zum innersten Kreis an Gruppen, die ich sehr lange schon höre, oft gesehen habe und die mir über all die Jahre viel Kraft gibt, mich aufbaut und ich vielleicht wage zu behaupten, diese Musik zu verstehen. Nada Surf müssen niemandem mehr etwas beweisen. Seit über 30 Jahren sind sie mit dabei und haben sich in den Staaten und Europa eine sehr große Fanschar erspielt. Die fahren auch am Sonntagabend nach Worpswede. Das kleine Künstlerstädchen nördlich von Bremen ist wirklich sehr beschaulich. Mitten im Nirgendwo ploppt eine Ortschaft mit geballter Kulturkonzentration auf. Und die Music Hall ist der Ort, wo - logischerweise - die Musik spielt.
Die befreundete Band The Cle Elum eröffnete um Punkt 20 Uhr den Abend. Puh, ja. Der Sänger und Bassist war wirklich ein super netter Kerl, konnte gut unterhalten und hatte einen tollen roten Overall an. Aber deren Musik war erschreckend langweilig. Trotz Louie Linos Keyboardspiel und Matthew Caws‘ Mitsingpart.
Daher direkt zum Hauptact des Abends! Es ist einfach so: Wenn Matthew Caws auf der Bühne steht und anfängt zu singen, dann passiert etwas im Raum. Diesem Menschen umgibt eine so große Aura an Das-Gute-Im-Menschen und Hoffnungsvoll-Nach-Vorne-Blicken, das ist unfassbar. Mit Stücken vom aktuellen Album Moon Mirror ging es los und sie haben live eine fast noch größere Wucht als auf Platte. Acht Tracks der Platte haben sie gespielt und insbesondere Intel And Dreams hat gezeigt: Hier knallen die Gitarren aber immer noch kräftig durch die Luft! Das hat, trotz den ganzen Gedanken oben, nichts mit Altherrenrock zu tun. Das ist Indie, das ist Liebe, das ist Energie! Und natürlich folgten einige Klassiker wie Inside Of Love und Cold To See Clear. Ganz zum Schluss logischerweise auch Popular, Always Love und Blizzard Of `77.
Die Energie war durchweg auf einem hohen Level. In welcher Beziehung Daniel Lorca mit seinem Bass steht, ist gewissermaßen geheimnisvoll, aber auch schön anzusehen. Louie Lino spielt so seinen Stiefel runter und Ira Elliot zieht an den Drums noch eine kleine One-Man-Show ab. So viel Harmonie, so viel Gutes im Menschen. Und dann zückt Matthew Caws sein Handy und liest auf Deutsch vor, dass seine Uroma mal in Worpswede als Malerin tätig war und er sich tierisch gefreut hat, an diesem Tag mit einem Stück Familiengeschichte verbunden zu sein.
Hach, ich komme aus dem Schwärmen ja gar nicht mehr raus. Vielleicht sehe ich auch mehr in dieser Band und ihrer Musik als viele andere. Aber egal. Dieses Konzert hat mich ganz doll aufgetankt, auch wenn die anschließende Nacht kurz war. Und es hat mich bestärkt, dass alle Menschen mit einem guten, liebenden Herzen zusammen stehen müssen, um dem Wahnsinn da draußen begegnen zu können. Always Love!
(Ms) Dieser September ist so pickepackevoll mit neuer Musik - Wahnsinn! Wer kommt da denn hinterher? Wer kann sich denn all die neuen tollen Platten und Singles in Ruhe anhören? Oft sind es ja nur zwei, drei Durchläufe für eine Meldung am Freitag und dann ist vieles auch wieder verschwunden. Ist das ein fairer Umgang mit Kunst? Mitnichten! Ist es einfach zu viel? Nein, das natürlich auch nicht. Wie also damit umgehen? Wann sich auch die ganze Zeit nehmen? Und dann stehen ja schon die ganzen großartigen Konzerte im Herbst an. Freizeitstress ohne Ende! Ich für meinen Teil komme gar nicht hinterher. Zum Glück habe ich für kommende Woche schon zwei Reviews fertig. Zwei stehen noch aus - richtig tolle Platten! Seid also gespannt…
Flamingo Sun
(Ms) Der Bildschirm flackert schon wieder viel zu lang vor der Nase und klaut Zeit ohne Ende. Doch ab und zu spült der Algorithmus ja auch was Feines ins Haus. Heutiges Beispiel: Flamingo Sun. Ehrlich, keine Ahnung wer dahinter steckt und es ist vielleicht auch ganz gut, wenn die MusikerInnen anonym bleiben. Dann bleibt der Sound der Band nämlich auch so unglaublich entspannt und steht für sich. Auf ihrem neusten Track Welcome Song schwappen Urlaubsfeelings aus allen Ecken und Enden der Lautsprecher heraus und strömen durch den Körper. Frech, sowas zu machen. Irgendwo zwischen Dope Lemon und dieser richtig coolen Seite von Portugal. The Man. Herbstblues, du kannst gleich wieder abbiegen!
Rafiq Bhatia
(Ms) Aufgepasst, diese zwölfeinhalb Minuten solltet ihr unbedingt nutzen! Ich wollte schon opfern schreiben, aber das wird eher ein Hinzugewinn sein. Denn hier werden gleich die Grenzen von Musik ein wenig nach links und rechts verschoben. Ja, was auf Aviary I Sunrise passiert, klingt erstmal ungewöhnlich, weil es mit Popmusik im weitesten Sinne nichts zu tun hat. Auch Jazz wäre das falsche Genre. Was Rafiq Bhatia zusammen mit Riley Mulherkar (Trompete) und Ian Chang (Schlagzeug) an Klang erschafft, hat eher mit einem sanften Erwachen draußen im Garten oder gar im Wald zu tun. Diese Musik klingt fast genauso wie in echt, also reine Naturgeräusche. Natürlich passiert auch ein wenig mehr, der Wald erwacht, seine Bewohner und alle Pflanzen. Und das in einem herrlich langsamen Tempo. Endlich wieder durchatmen in dieser hektischen Welt. Ist das also Meditationsmusik? Oder kann man hier einfach drei sehr, sehr guten Musikern dabei zuhören, wie sie versuchen die Geräusche von draußen nach drinnen zu bringen?! Wie dem auch sei, Rafiq Bathias neues Album Environments, das letzte Woche erschien, ist eine großartige Ausnahmeerscheinung!
Thorsten Nagelschmidt & Lambert
(Ms) Das Buch ist draußen, die Platte darf noch ein wenig warten. Aber dass die Supermärkte voller Lebkuchen und Spekulatius ist, dürfte Thorsten Nagelschmidt sicher ein wenig freuen. Nur Für Mitglieder heißt sein neues Werk und am 7. November erscheint die gleichnamige Platte, die er zusammen mit dem großartigen Lambert erarbeitet hat - und endlich können wir reinhören! Nie Wieder Weihnachten heißt das erste Stück und niemand geringeres als die tolle Sofia Portanet sprach mit Thorsten Nagelschmidt Textzeilen für diesen Song ein. Aufgepasst - hier wird es richtig genial. Im Hintergrund hat der maskierte Pianist einen wahnsinnigen Beat erschaffen und im Vordergrund der Text. Das ist kein Hörbuch, das ist Kunst! Hier wird nicht gelesen, aber auch nicht gesungen - Spoken Word heißt diese melodische Art der Textdarbietung. Sie ist schwer zu beschreiben, aber fantastisch zu erleben! Diese Platte wird ein außergewöhnliches Ereignis!
08.12.2025 Köln, Gloria 09.12.2025 Hamburg, Kampnagel 10.12.2025 Bremen, Schlachthof 11.12.2025 Dortmund, Domicil 12.12.2025 Wiebaden, Museum 13.12.2025 Darmstadt, Centralstation 14.12.2025 Neunkirchen (Saar), Stummsche Reithalle 15.12.2025 Münster, LWL Museum 16.12.2025 Erfurt, Haus Dacheröden 17.12.2025 Berlin, Peter Edel 20.12.2025 München, Deutsches Theater 21.12.2025 Leipzig, Conne Island
Tristan Brusch
(Ms) Das literarische Genre Coming Of Age war nie mein Fall. Oder das passende Buch ist mir noch nicht über den Weg gelaufen. Aber dass das auch musikalisch geht, war mir bislang unbekannt. Logisch, Lieder über die Kindheit und Jugend gibt es unzählige. Doch so eine ganz genaue Stimmung dieser Zeit zu transportieren, das gelingt halt nicht vielen. Und nun kommt Tristan Brusch mit seiner neuen Single Vierzehn um die Ecke und mir bleibt ein mittelgroßer Kloß im Halse stecken. Es ist mir ein Rätsel, wie er diese Atmosphäre aufbauen kann. Klar, es sind die klug gewählten Worte und das tolle Arrangement. Doch ich finde Entzauberung doof, deshalb gebe ich mich gern der Magie hin und staune einfach nur ob dieses großartigen Liedes. Denn ich bin davon überzeugt, dass viele der Momente und Gefühle, die er auf diesem Stück unterbringt, in jedem von uns mal da war. Das ist eine tolle Stärke, eine ganz einfache Identifikation und schon dreht man langsam lauter… Wahnsinn, dieser Typ!
Das neue Album Am Anfang erscheint am 24. Oktober.
10.03.2026 Göttingen, MUSA 11.03.2026 Köln, Club Bahnhof Ehrenfeld 12.03.2026 Essen, Zeche Carl 13.03.2026 Bremen, Lagerhaus 14.03.2026 Hamburg, Mojo Club 18.03.2026 Dresden, Beatpol 19.03.2026 Erlangen, E-Werk 20.03.2026 München, Ampere 21.03.2026 Stuttgart, Im Wizemann 22.03.2026 Wiesbaden, Schlachthof 26.03.2026 Magdeburg, Moritzhof 27.03.2026 Leipzig, UT Connewitz
Rauchen
(Ms) Faszination. Anfang Juni fand das erste Fair Weather Fest in Bremen statt und es war ein irrer Rausch von vielen verschiedenen Gitarrensphären. Unter anderem spielte die Band Rauchen. Ihre eyecatchigen Shirts sind ja schon hier und da zu sehen, doch die Musik war mir gänzlich unbekannt. Das änderte sich schnell, als ich gut eine halbe Stunde angeschrien worden bin. Verrückt, wie gut die Stimmung dabei auf der Bühne war, obwohl so derbe. Faszination. Irgendwie war das geil. Keine Ahnung, warum genau, denn die Seele hat auch ein wenig gelitten. Egal. Die Band bringt kommende Woche (!!!) ihr neues Album Fallen Und Schweben über Zeitstrafe raus. Und wenn es dann abends wieder etwas muggeliger wird und die Teetassen angenehm dampfen, erschallt mit (Das) Brennen ab heute ihre neue Single. Aus Erfahrung kann ich sagen: Drauf einlassen lohnt sich sehr - was für eine Band!
02.10. Hamburg, Hafenklang 03.10. Leipzig, Conne Island 04.10. Dresden, Hearbreak 30.10. Bochum, Die Trompete 31.10. Darmstadt, Oetinger Villa 01.11. Köln, Castell
(Ms) Mittwochabend, Hansestadt Bremen, Nieselregen, der Herbst beginnt. Kein Anflug jedoch für Trübsal oder gedämpfte Stimmung. Denn im Tower kommt derart viel gute Musik zusammen, dass es kaum auszuhalten ist. Dabei hätten locker doppelt so viele Leute hineingepasst - schade drum. Man könnte aber auch sagen: Sehr viele Leute haben einen großartigen Abend verpasst. Denn die fast vergessene Band Young Rebel Set ist wieder zurück. Vor sechs Jahren starb ihr Sänger Matty, sicher stand die Band an sich kurz vorm Aus. Doch wenn man die anderen fünf Musiker sieht, wie viel Energie sie versprühen können, ist klar, dass sie einfach zusammen weiter machen müssen. Für den Gesangspart haben sie Tom Blackwell gefunden, der astrein ins Gesamtbild hineinpasst!
Mit seinen eigenen Stücken an der Akustikgitarre und mit Mundharmonika um den Hals hat er selbst den Abend eröffnet. Etwas Pub-Atmosphäre strömte durch die Tower-Räumlichkeiten und eine erste Ahnung von: Hui, das ist aber ein richtig feiner Kerl. Gesang und Entertainment liegen ihm. Mal musste dabei die Gitarre ein wenig hoch, dann wieder runter geregelt werden.
Dann folgte ein kleines (persönliches) Highlight, als Sönke Torpus auf die Bühne kam. Seine damalige Band gib es (auch) nicht mehr, dafür spielt er bei Nichtseattle an der Gitarre und hat das Low Key Orchestra gegründet, um eigene musikalische Wege weiter zu gehen. Drei Singles sind schon zu hören, hier im Blog darüber zu lesen - viel Begeisterung von meiner Seite. Ich mochte seine Musik immer schon und die neuen Stücke funktionieren richtig gut nur mit der Akustikgitarre und ganz viel Timbre in der Stimme - wow! Da wird nächstes Jahr eine ganz tolle Platte folgen, auf dem das kräftige Dido-Cover leider nicht enthalten sein wird.
Zugegebenermaßen war ich auch vor zehn oder zwölf Jahren auch nicht der riesengroße Young Rebel Set-Fan, aber seit gestern Abend auf jeden Fall! Um 21.15 Uhr betraten die sechs Herren die Bühne und je länger sie spielten, desto öfter dachte ich: melodiöser Indierock mit Klavier ist vielleicht einer der schönsten Dinge, die es live zu erleben gibt. Diese Band kann Stimmungen aufbauen, verändern, das Schöne im Leisen und Lauten zeigen. Krass natürlich, dass sie mit Anchorange, der ersten Single seit der langen Pause, starteten und danach ihren großen Hit Lion‘s Mouth hinterher ballerten. Es folgte eine großartige Reise durch die eigene Diskographie. Währenddessen war deutlich zu spüren, dass diese wundersame Energie von der Bühne deutlich aufs Publikum übersprang und sie die Songs freudvoll feierten! Hat man in die Gesichter der Bandmitglieder geschaut, war eines sofort klar: Diese Gruppe muss leben, sie muss spielen, es macht so unfassbar viel Spaß, diese Musik zu machen. So viel Spaß, dass Sönke Torpus später auch noch mit auf die Bühne kam.
Wow - das war ein wunderbarer Abend! Viel Energie, aber noch viel mehr Liebe zur Musik, die in ganz verschiedener Form auf der Bühne zu bestaunen war. Wer diese Band in der Nähe sehen kann: Geht da hin, es lohnt sich sehr. Und auch wenn ihr denkt: Ach, nee, zu müde, Mittwoch und Regen und morgen früh raus: Egal!
(Ms) So langsam kann man sich auf den Herbst vorbereiten. Die Sonne geht immer früher unter, vielleicht schon mal die Jacken waschen, bevor sie bald wieder regelmäßig genutzt werden. Spaziergänge werden mehr, Draußenabende weniger. Auch wenn die vielfältigen Sommeraktivitäten immer eine Menge Spaß machen, heißt es ja nicht, dass nun mit dem Herbst plötzlich automatisch die Melancholie einzieht. Aber ja, es wird eventuell ein wenig stiller und ein klein wenig Wehmut um der Sommertage ist nicht zu leugnen.
Mitten in diese Stimmung veröffentlicht Chantal Acda mit The Whale ein unglaubliches Album! Für überschwänglich gute Laune ist die niederländische Musikerin, die mittlerweile in Belgien lebt, nicht unbedingt bekannt. Aber die Stimmungslage auf dem neuen Album ist deutlich gedämpft. Dass ihre Wurzeln im Jazz liegen, ist auf jeden Fall (wieder mehr) zu hören. Mystisch und dunkel geht es auf den acht neuen Stücken zu. Die Gitarre bekommt einen prominenteren Platz und die Arrangements sind insgesamt dichter gestrickt.
The Whale heißt auch der erste Track des Albums und es beginnt überaus jazzig, lässig, aber nicht unbedingt fröhlich. Ein andächtiger Klang bahnt sich seinen Weg, auf dem sich ihre Stimme breit macht. Je weiter das Lied voran schreitet, desto mehr Details sind zu vernehmen: Bläser und unterstützender Gesang im Hintergrund. Zusammen entfacht dies ein Sound, der warm und weich ist, eine gewisse Geborgenheit ausstrahlt. Safety dringt immer weiter vor in eine dunkle Sphäre. Ein Stück, das klar vom Rhythmus dominiert ist. Durchs Hören stelle ich es mir wahnsinnig schwer vor, das Schlagzeug zu diesem Stück zu spielen. Doch mitten in dieser Dunkelheit machen sich Melodien breit, die von großer Schönheit strotzen. Und das ist das große Geheimnis dieser herausragenden Platte. Das Nebulöse ist wunderschön und verströmt große Faszination - zumindest bei mir. Auf Heads kumuliert dies aufs Beste zusammen. Die Gesangslinien fließen durch meinen Körper und sind auf seltsame Weise erbaulich. Die vielschichtigen Gitarren halten dieses Lied zusammen, das Schlagzeug bricht immer wieder mal aus. Fast sieben Minuten erstreckt sich dieser Track und in meinen Ohren könnte er endlos weiter gehen, weil die Magie so groß ist. Das Stück hat so eine große Kraft, dass danach eine kleine Pause tatsächlich ganz gut tut. Hit The Verge ist leichtfüßiger im Arrangement und weniger mystisch. Das Klavier spielt ein paar frohgemute Töne an und der Puls fährt ein wenig runter. Ah, das tut gut. Und wenn sich zu ihren wunderbaren Gesangsmelodien noch Bläser gesellen, erfährt die Seele auch ein wenig Heilung. Richtig viel Jazz steckt in Togetherness - das ist schon fast frech, wie dieser Song aufgebaut ist. Hier gibt es ganz viele, verschachtelte Ebenen, die zusammen richtig viel Spaß machen! Der Bass, der zu Beginn recht präsent ist, schleicht sich zwischendurch immer wieder in den Hintergrund und das Klavier verbreitet wohlige Klänge. Hier sind wirklich herausragende MusikerInnen am Werk!
Im letzten Stück, Make It Work, steckt noch mal richtig viel Energie. Mehr rockige Gitarre, auch ein wenig mehr Popattitüde. In den Momenten, wenn ihre Band beim Gesang einsteigt, wird die Stimmung groß. Und am Ende dieses eher düsteren Albums findet es einen wahrlich versöhnlichen, aufbauenden Abschluss. Selbst der Bass tanzt zwischendurch in den Takten. Das ist einfach ganz große Kunst, was hier passiert!
Ja, in diesem Text geht es nicht ansatzweise um die Texte. Da mich der Sound von The Whale sofort ganz stark angesprochen hat und etwas in mir auslöst, was nur wenigen MusikerInnen gelingt, ist mir so gut wie egal, worüber sie singt. Das wird der Kunst von Chantal Acda überhaupt nicht gerecht, aber ich gehe davon aus, dass es andere Texte gibt, die sich damit stärker auseinandersetzen. Ihre beiden Deutschlandkonzerte sind mir zu weit weg, aber ich empfehle allen Menschen, diese Musikerin mit ihrer phantastischen Band mal live zu sehen!
(Ms) Sie sind schon seit mindestens zwei Wochen zu sehen, doch es ist immer noch eindeutig zu früh! Draußen ist es ja eher durchwachsen, anstatt dass der krasse Kälte- und Dunkelheitseinbruch begonnen hat. Auch liegen die dicken Jacken noch gut verstaut im Keller. Da dürfen sie gerne auch noch ein paar Wochen bleiben. Auch brauche ich morgens noch kein Licht am Rad, wenn ich los fahre, aber es wird zugegebenermaßen knapp. Doch die ganzen Weihnachtssüßigkeiten in den Supermärkten können doch nochmal abgeholt und zwischengelagert werden, oder? Ich wäre sehr dankbar drüber, denn die Sonne hat noch lange nicht das Feld überlasse.
Die Sterne
(Ms) Es gibt sie, diese Menschen, die zu allem eine Meinung haben. Sie ist in vielen Fällen recht schlecht begründet oder halt durch die BILD geformt. Ein Pärchen aus der Straße ist so. Viel Meinung und dadurch viel Düsternis im eigenen Weltbild. Vor zwei Jahren meinten sie tatsächlich, dass sie auswandern würden, wenn das mit den Grünen so weiter geht. Puh. Ja. Die Grünen waren und sind die größte Gefahr hierzulande. Klar.
Ja, aber was sind denn die ganzen Gründe, warum wer was sagt und tut und macht und kommentiert?! Darüber hat sich wohl auch Frank Spilker Gedanken gemacht und ein Lied geschrieben. Wenn Es Liebe Ist heißt der neue Song von Die Sterne. Ganz oldschool-Sterne-mäßig nimmt er uns auf diesem Track auf eine Gedankenreise mit, die so auch nur aus dieser Feder stammen können. Gut, dass Frank Spilker dieses Projekt so eifrig am Leben hält. Wir brauchen diese Band ganz dringend immer noch!
Carebender
(Ms) Interesse an ein wenig Gänsehaut? Kommt gleich, versprochen!
Wenn Bands erweiterte Versionen ihrer Alben veröffentlichen, sind da meist Akustikversionen dabei. Spannende Einblicke, wie ein Track ohne Verstärker, Kabel, Elektronik funktionieren kann. Und vielleicht ein Einblick wie die Idee eines Songs mal begann. Was aber, wenn alle Instrumente weg sind? Dann bleibt eines: Die Stimme. Welch Kraft sie auslösen kann, sollte allen klar sein. Es braucht eine ruhige, leise, entschleunigte Umgebung, dass sie ihre Kraft entfalten kann. Aber dann so richtig. Carebender ist ein Chor, der im Leisen wirkt. Die Summe seiner einzelnen Teile ist das Geheimnis seiner Kraft. Nicht mal zweieinhalb Minuten geht Sun In und doch ist es leicht, sehr tief in ihren Klang einzutauchen, durchzuatmen, klar zu werden. Wie wunderschön, wenn Musik ganz pur wird. Am 10. Oktober erscheint mit Bags ihr neues Album und wie schon ein Chor selbst aus vielen Parts besteht, wirken dabei vier Labels mit. Da kommt etwas Tolles, Leises, Großes!
Black Sea Dahu
(Ms) Stecke die größte Kraft, die stärkste Umarmung, das kräftigste Aufbauen in den sanften Stücken? Ich bin fest davon überzeugt. Denn wenn im Kopf etwas spukt, das Energie saugt, dann braucht es eine starke, aber leise ausgestreckte Hand, die einen dort wieder heraus holen kann. So auch im neuen Stück von Black Sea Dahu. Superpower hat es und wie viel Superpower in diesen Minuten steckt, ist kaum in Worte zu fassen, so viel sanfte Kraft steckt in dieser Musik. Dieses Lied ist ein Weg, die eigene Vergangenheit zu packen und mir ihr umzugehen. Wahrscheinlich hat jeder ein vergangenes Ich, das immer wieder mal anklopft und Energie saugt. Wenn die ersten Worte dieses Liedes „Don‘t live in fear“ sind, dann ist alles klar, oder?! So viel Schönheit in Musik verpackt, so viel Menschlichkeit, so viel Staunen und sich sanft fallen lassen. Hui! Im kommenden Jahr folgt ein neues Album und ich glaube, das wird ganz, ganz großartig!
Sophia Kennedy
(Ms) Geiler Effekt, wenn ein Festivals auch einige Wochen später nachwirkt. Auf dem Watt En Schlick sah ich dieses Jahr fast nur Acts, die mir unbekannt waren oder die ich zumindest noch nie live sah. Es gab also viel Überraschungspotential. Am stärksten hallt Sophia Kennedy bei mir nach, weil ihr Auftritt sehr beeindruckend war. Die Abwechslung in der Intensität, ihre Energie, die sie ins Publikum brüllt. Da spielte der ganze Regen keine Rolle. Diesen Freitag veröffentlichte sie eine neue 3-Track-EP. Very Far Away heißt sie und zeigt erneut, wie talentiert und einfach gut diese Musikerin ist. Da steckt so viel Gespür für Arrangements und Dynamiken drin. Wie kann man sich dem nur entziehen? Ich bin dem Sound machtlos ausgeliefert.
08.10. - Köln, Gebäude 9
09.10. - Offenbach, Hafen 2
10.10. - Stuttgart, Merlin
11.10. - St. Gallen, Palace
13.10. - München, Kranhalle
14.10. - Wien, Flucc
15.10. - Dresden, Tonne
16.10. - Leipzig, Conne Island
19.10. - Berlin, Lido
25.10. - Hamburg, Knust
26.10. - Husum, Speicher
19.11. - London, Shacklewell Arms
17.02. - Kiel, Hansa48
18.02. - Hannover, Pavillon
19.02. - Bremen, Schlachthof
20.02. - Münster, Gleis22
DJ Koze & Dirk von Lowtzow
(Ms) Wenn Tocotronic läuft, dann drehe ich meist die Lieder etwas lauter, in denen Dirk von Lowtzows Bariton noch ein bisschen mehr zur Geltung kommt als in den anderen Tracks. Dann ist Gänsehaut angesagt. Dass seine Stimme nicht nur im Rockgewand hervorragend funktioniert, wird auf einer gemeinsamen Single mit DJ Koze deutlich. Beide kennen sich länger, daher war es nur eine Frage der Zeit, bis da etwas Hörbares herauskommt. Nur Um Liebe heißt der Track, den sie in einer tanzbaren und in einer sanften Version aufgenommen haben. Von Romantik ist aber wenig zu spüren, vielmehr zeigt dieses Stück die dunklen Seite der Liebe auf. Hui, das wirkt an so einem verregneten Wochenende wie hier im Norden doppelt stark. Kopfhörer auf und Augen zu:
Kapa Tult
(Ms) Komplett verzettelt. Die Liste ist voll. Die Bemühungen im Beruf und privat riesengroß. Aber was kommt dabei herum?! Oft wesentlich weniger als erhofft. Oft wesentlich weniger, als Energie dafür drauf gegangen ist. Es Bringt Mir Nichts singen KapaTult auf ihrer neuen Single und liefern die Hymne der Resignation im beginnenden Herbst. Der Track ist natürlich super gut gemacht, weil der Text ganz schön direkt den Kopf in den Sand steckt, aber die Musik eben zum Tanzen einlädt. Die Dualität der Dinge. Wie also mit den ganzen Mühen und der verschwendeten Energie umgehen? Versumpfen oder doch irgendwie das beste draus machen? Der zweite Weg scheint mit diesem Track geebnet zu sein. Am allerbesten funktioniert das, wenn viele Menschen zusammen kommen, am allerbesten bei Kapa Tult-Konzerten. Ein Glück, dass die Leipziger Band im kommenden Jahr weiter fleißig tourt und ich bin sehr, sehr froh, dass sie nach Bremen kommen, um sie endlich live zu sehen. Große Vorfreude!
(Ms) Wuchtige Gitarren, düstere Stimmung, knarzige Riffs, Energie. All das sind doch die Zutaten, die wir Rockfans doch so lieben, oder? Eine der Bands, die das aus meiner Sicht am stärksten verinnerlicht haben, ist The Joy Formidable aus Wales. Eine Gruppe, die hierzulande eher seltener zu hören ist. Ich sage euch: Es lohnt sich sehr! Das Trio legt als Trio eine kleine Pause ein und Bassist Rhydian Dafydd geht ein paar Solopfade. Vor Kurzem ist seine erste Single Make The Sign herausgekommen und sie ballert richtig gut! Ein Track, der genau auf die richtige Art unangenehm ist, wenn es quietscht und knattert und die hohen Gitarrenriffs sich mit einzelnen Synthies-Sounds verbinden. Insbesondere das Video dazu lohnt sehr und zeigt ziemlich gut auf, in was für einer Welt wir leben und in welcher wir gerne leben würden.
(Ms) Ein Text über die Liebe zur Musik, Pausen, die passende Venue und Rock‘n‘Roll.
Dass ein Abend mit Thees Uhlmann in Bremen nur großartig sein kann, ist klar, oder? Insbesondere wenn er über zwei Stunden Uhliwitsch-Geschichten, Tomte-Klassiker und Solo-Hits performt. Er ist ja nicht nur eine hervorragende Rampensau, sondern ja mindestens auch mit einem Beim (dem rechten wohl, weil das linke beim singen immer so hin- und herzappelt) ganz brutal auf dem Boden stehen geblieben. Die Anerkennung von anderen berührt ihn wirklich, das ist nicht nur eine gute Story. Diese emotionale Offenheit macht ihn nahbar, auch wenn man in der Glocke eventuell etwas weiter weg sitzt (siehe Foto).
Da kommen die nächsten Themen daher: Rock‘n‘Roll ist ja mittlerweile auch, wenn in einem klassischen Konzerthaus wie der Glocke in der Pause das Bier leergetrunken ist. Erschreckend oder genial? Rock‘n‘Roll ist auch, wenn aus dem Publikum jemand den Mundharmonikapart erstaunlich gut performt. Rock‘n‘Roll ist erst recht, wenn Thees Uhlmanns Mama mit im Publikum sitzt und sicher ganz doll stolz daher grinst.
Doch ist diese Location für so einen Abend die richtige? Insbesondere wenn es ein Akustikgitarren-Solo-Set ist?! Da geht der Rock‘n‘Roll ein wenig flöten. Denn am Mittwoch stieg die verbrauchte Luft doch merklich an im großen Saal und staute sich. Will sagen: Es war ganz schön warm. Wenn man dann zweieinhalb Stunden zum Sitzen angehalten ist, wird es zäh. Da kann auch die E-Gitarre zu Avicii noch so geil ertönen, irgendwie passt das alles nicht zusammen. Bei einem Thees Uhlmann-Konzert will ich nicht sitzen und kein Bier trinken können. Da möchte ich in einem Club oder einer Halle oder einer Kneipe (liebe Grüße an Nando) stehen, ein erfrischendes Getränk dabei haben und aus voller Kehle mitgröhlen, wie viel Bock ich denn gerade aufs Schwören in der Kirche habe. Das schickt sich im Konzertsaal nicht so sehr. Und dann muss da immer eine Pause sein. Herrje, wieso denn?! Das hätte man sich wirklich schenken können. Ich denke, das sind die Regeln im Hause. So kommt halt wenig Stimmung auf, auch wenn das Herz super glücklich ist, diesen wunderbaren Zeilen zu lauschen und jedes Mal etwas Neues drin zu entdecken.
Natürlich war das künstlerisch toll. Natürlich haben die Lacher gesessen. Natürlich ist es gut und richtig, dass Thees Uhlmann darauf aufmerksam macht, dass Therapie gut und hilfreich ist. Das wird niemand je bestreiten. Doch es knallt halt viel geiler, wenn der Ort diese Energie zum bersten bringt. Die Glocke ist da leider der falsche für gewesen.
PS: Aber er hat ja „Ich muss mal eine Woche nur in Bremen spielen“ angekündigt…
(Ms) Das Schöne an der Liebe sind ja diese wunderbaren Gefühle. Das Schwelgen im Perfekten, das Wohlige, das durch den Körper strömt und viel Zärtlichkeit. Das Doofe an der Liebe ist, dass sie ganz schön weh tun kann. Nicht nur wenn sie vorbei ist, sondern auch, wenn auf einmal viele Dinge zu verhandeln sind, die vorher, alleine, halt ganz normal waren. Das Schöne am Alltag ist seine Vorhersehbar- und Planbarkeit. Alles läuft immer in den gleichen Bahnen, die gleichen Termine ebnen den Weg. Der Kaffee läuft morgens durch und Abends steht das Brot auf dem Tisch. Das Doofe am Alltag sind diese ganzen kleinen, blöden Aufgaben, die halt erledigt werden wollen. Wäsche, Steuer, saubermachen, einkaufen, aufräumen. Das Schöne an der Unterhaltung ist die Kurzweil. Genau deshalb lassen wir uns doch so gern berieseln, oder? Für ein paar Stunden Sorglosigkeit, neue Impulse, das gemeinsame Lachen. Das Doofe an der Unterhaltung ist, dass sie auch mal schnell sehr platt sein kann oder einem gerade noch einen müden Lacher abverlangt.
Damit landen wir bei Die Höchste Eisenbahn und ihrem neuen Album Wenn Wir Uns Wieder Sehen Schreien Wir Uns Wieder An, das schon mindestens für den besten Titel einen Preis verdient. Was Fancesco Wilking, Felix Weigt, Max Schröder und Moritz Krämer mit ihrer Band seit vielen Jahren machen ist von den drei oben genannten Punkten die schönen Seiten in Lieder zu verwandeln. Okay, manche doofe Schattenseiten lassen sich auch finden. Aber diese großartige Band weiß, wie das Selbstverständliche zu vertonen ist ohne banal zu werden. Was für eine große Kunst!
Sechs Jahre stand die Eisenbahn im Pausebahnhof. Die neue Platte haben sie selbst produziert und verschiedene Mischer herangezogen. Zudem stand für jeden Track ein Bandmitglied Pate. Eine richtig schöne Idee, die von Vertrauen und Freiheit zeugt. Auch wenn so ein Prozess sicher von vielen Diskussionen und auch mal aus-dem-Weg-gehen gesäumt ist.
14 neue Lieder sind auf dem Album versammelt und sie sind ausnahmslos schön. Seit Du Weg Bist ist das erste davon und direkt ein Herzschmerzlied. Über das Ende einer Liebe und wie sehr man sich darüber ärgern kann. Dazu leicht verspielter Eisenbahn-Indiepop-Sound, der das erste Mal über ein eigenes Label veröffentlicht wird. Dass die Band vorher noch keinen Track hatte, der Die Bahn heißt, ist auch ein großes Wunder - jetzt ist es soweit. Ein Lied über die Versprengten, die nachts unterwegs sind und mit einem zauberhaften Text. Denn eine Zeile lautet „Ich tausche Leeres in Volles um“ und diese sechs Worte entfachen große Faszination bei mir. Was genau das Magische daran kann, weiß ich gar nicht mal, aber ich freue mich über diesen Effekt. Bürotage, die erste Single, ist unterhaltsame Kurzweil über die Arbeitsseiten des MusikerInnendaseins. Was Francesco Wilking und Moritz Krämer da dichten ist eine Form des Schmunzelns, die bei anderen Bands selten auftaucht. Das lustig-banale des Alltags. Das Tragische und Unterhaltsame nebeneinander zu stellen, das scheint auf diesem Album die große Stärke der Band zu sein. Ein weiteres gutes Beispiel: Hotpants. Locker-tanzbar kommt dieser Track daher. Doch durch die Augen eines Kindes kann die Welt manchmal ganz schön kompliziert sein. Was zerbricht man sich nicht den Kopf, wie die anderen einen sehen?! Herrje, wer kennt es nicht!?
Einfach nur wunderschön kommt Ich Seh Dich An Und Seh Mich daher. Zum einen der Blick auf das Komische des Alltags („Hunde gehen mit Menschen raus“) und auf der anderen Seite die Geborgenheit, wenn neben einem jemand liegt, der zauberhafte Ruhe verströmt und „der Krampf sich löst“. Das sind doch Lieder, die Worte für das finden, was uns oft verborgen bleibt.
Und bevor die Dreiviertelstunde neuer Eisenbahn-Musik vorbei ist, schenkt uns die Band noch eine tolle Perspektive: Vor Jedem Anfang heißt das letzte Stück ist nicht unbedingt ein Trennungsstück, sondern (meines Erachtens) ein schöner Gedankenanstoß: Was passiert vor jedem Anfang? „Nichts fängt von vorne an“ singt die Band hier. Auch beim Kommen und Gehen von Menschen im eigenen Leben gibt es einfach viel, was ineinander fließt.
Genau das ist doch ganz großartig, oder? Das Leben ist keine Abfolge von Kapiteln, sondern stets ineinander verwoben. Arbeit, Alltag, Liebe, Schmunzeln. Wer mag das denn alles voneinander trennen? So ist Wenn Wir Uns Wieder Sehen Schreien Wir Uns Wieder An ein insgesamt vielleicht ein eher unscheinbares Album, das jedoch so viele Feinheiten und kluge Gedanken in sich trägt, dass das mehrfache Hören uns reich beschenkt. Und das ist Kunst!
(Ms) Schräge Welt: Wenn man im Internet Dinge erfährt, die es ohne das Internet nicht geben würde. Und das auch nur durch Zufall. Es ist doch nur schwer verdaulich, dass es tatsächlich Menschen gibt, die sich über das neue Design der Milram-Käseverpackungen aufregen, oder? Haben diese Menschen wirklich nichts anderes zu tun? Ganz ehrlich. Wem ist denn so langweilig, dass das ein Thema wird? Oder: Wer ist denn so seltsam verdrahtet, dass einem das Nerven kosten kann? Eine Plastikverpackung eines Käses. Ich glaube, diese ganzen armen Willis müssen dringend mal geknuddelt werden. So richtig dolle. Und ein Schmatzer drauf. Oder wie TOcotronic singen: „Darum muss man sie bekämpfen / Aber niemals mit Gewalt / Wenn Wir sie auf die Münder Küssen / Machen wir sie schneller kalt.“ Amen.
Steiner & Madlaina
(Ms) Ach, du wunderbare Liebe. Was wäre die Kunst nicht ohne die Liebe und all den Zuständen, die sie uns beschert: Die Großen, die Kleinen, die Schwebenden, die Rosaroten, die Niederschmetternden, die Verträumten. Auf Du Kannst Nicht Gut Allein Sein, der neuen Single von Steiner & Madlaina wird viel geträumt. Da ist diese neue, aufregende Person, die man kennengelernt hat und sie verschwindet nicht aus den Gedanken. So viele Wünsche, dass sie immer da ist, noch ein Getränk an der Bar zusammen genießen und bitte nicht von der Seite weichen. Mal ist dies alles real, mal ist dies aber auch alles nur im Kopf. Und aus dieser letzteren Perspektive singen uns die beiden Schweizerinnen ein wunderbares Lied, das zugleich die erste Single ihres neuen Albums Nah Dran ist, das am 7. November erscheint. Oh, das wird ganz wunderbar!
(Ms) Electric Guitar - was hast du uns nicht alles schon für wahnsinnige Momente geschenkt?! Ja, mir gefallen auch einige Genreweiterentwicklungen wie dieser moderne 80er-New-Wave-Kram (siehe unten), aber es gibt auch Momente, so die pure E-Gitarren-Power einfach unsagbar glücklich macht. Wenn die Regler aufgedreht sind und die Boxen scheppern. Dass Laura Lee dieses Handwerk außerordentlich gut beherrscht, ist seit einiger Zeit längst klar. Nicht nur mit Gurr war sie sehr erfolgreich, sondern auch ihre weitere Band Laura Lee & The Jetts weiß sehr zu gefallen. Heute veröffentlichen sie ihr zweites Album. Zehn frische Tracks, die wuchtig nach vorn preschen, mal das Tempo rausnehmen und nie langweilig werden. Das gelingt ja auch nicht allen. Mal liegt es am vielschichtigen Gesang, mal an den starken Arrangements, manchmal an der Wucht, die viel Spaß macht. Laura Lee weiß, wie es geht und hat die Platte obendrein selbst produziert. Tough Love Paradigm sollte bitte laut durch die Nachbarschaften zu hören sein!
Die Benjamins
(Ms) Wie geil - Musik, die sehr direkt ist, macht viel Spaß, weil man nicht viel über Interpretation nachdenken muss. Zeilen, die unmissverständlich sind und dazu von einer berauschenden Energie begleitet wird. Gemeint ist die Band Die Benjamins, nichts weniger als eine grandiose Supergroup. Dort, wo sonst bekannte Gesichter aus verschiedenen Gruppen zusammen kommen, wird es manchmal zu gewollt kommerziell oder es geht nach hinten los. Hier geht alles nach vorn, nach oben, es knallt in die richtige Richtung, wenn Annette Benjamin, Max Gruber, Charlotte Brandi, Thomas Götz und Julian Knoth zusammen spielen. Vor zwei Jahren haben sie eine EP zusammen veröffentlicht, jetzt geht die Reise weiter und heute veröffentlichen sie zwei Singles. In 10 Jahren stellt die einfache Frage, was von einem in nicht allzu ferner Zukunft bleibt - „Heute underground / morgen schlecht gelaunt“. Knallt enorm gut. Genauso Pas De Deux, der andere Track. Der ist so schnell, dass er fast schon aus den Boxen herauswill mit einem Sound, der den Puls anziehen lässt. Ein Geist der 80er gepaart mit modernem New Wave heißt die Geheimrezeptur, die hier unablässig nach vorne prescht und wahnsinnig viel Spaß macht! Wow!
ENDE
(Ms) Als ich die neuen Tracks von Drangsal gehört habe, war ich wenig angetan vom neuen Geist. Jeder Musikgeschmack ist anders. Gut aber, dass die österreichische Band ENDE ziemlich genau in die gleiche Kerbe haut, die Max Gruber vor einigen Jahren bearbeitet hat. Das Duo aus Linz und Wien schenkt uns heute einen Track, der uns an Orte transportiert, die besser sind als der jetzige, wenn es da mal wieder knallt oder eine große Frustration und Unzufriedenheit herrscht. Laufen heißt der Song, auf dem der Bass rollt und die Gitarren eine herrliche Energie heraufbeschwören. Ich prognostiziere, dass spätestens im Herbst auf ihrer Tour oder nächstes Jahr auf diversen Festivals hunderte Hände zu diesem unglaublichen Stück abgehen werden! Weg, weg, weg, lauf, lauf, lauf, flieh, flieh, flieh!
Naked Lunch
(Ms) Das Kunstspektrum von Musik ist so wunderbar groß. Oft bleiben Musik und Text ja nicht alleine stehen. Es gibt ein Cover, eine Bühnenshow, ein Banner, Videos. Und wenn die Musik um eines (oder mehrere) dieser Facetten erweitert wird, entfacht sie manchmal noch mehr Kraft. Es gibt Musikvideos, die einem Track noch mehr Energie verleihen - ist das nicht genial?! Aktuelles Beispiel: Go Away, die neue Single von Naked Lunch. Ja, im Grunde genommen passiert nicht viel. Oliver Welter stellt im Nirgendwo sein Auto ab und lässt alles, was sich angestaut hat, auf diesem weitläufigen Feld raus. Dazu dann diese wuchtige Musik, die sowohl glänzt als auch kratzt. Was passen hier Ton und Bild gewaltig zueinander, insbesondere wenn die Szene vom Tag in die Nacht schwenkt. Wow - ich bin ganz begeistert. Zurecht, oder? Zum Glück gibt es diese Band noch und zum Glück bringt sie ein neues Album raus. Light (And A Slight Taste Of Death) erscheint am 7. November bei Tapete Records und wird ein Highlight sein - versprochen.
17.01.26 Ebensee - Kino 22.01.26 Wien - Arena 23.01.26 Graz - PPC 29.01.26 Innsbruck - Treibhaus 30.01.26 Dornbirn - Spielboden 31.01 26 Salzburg - ARGEkultur 05.02.26 Leipzig - Naumanns 06.02.26 Berlin - Berghain Kantine 07.02.26 Hamburg - MS Stubnitz 04.03.26 München - Milla 05.03.26 Stuttgart - Merlin 06.03.26 Steyr - Röda 28.05.26 Klagenfurt Festival
Lambert & Thorsten Nagelschmidt
(Ms) Diese Freitags-Rubrik auf diesem Blog baut sich immer im Laufe einer Woche auf, sodass ich im besten Fall freitags nur noch auf den Veröffentlichen-Button klicken muss. Von dieser Information hier pfiff noch kein Spatz von irgendeinem Dach, aber die Vorfreude ist enorm. Thorsten Nagelschmidt veröffentlicht kommende Woche nicht nur sein neues Buch Nur Für Mitglieder, sondern er hat mit niemand geringerem als Lambert ein gleichnamiges Album (VÖ: 7. November) dazu erarbeitet. Wow! Was für eine Kombination! Dies wird kein Hörbuch sein, zu dessen Worten der maskierte Pianist ein paar Töne beisteuert, sondern es soll ein (weitestgehend) eigenständiges Werk sein, dass auf Spoken Word setzt. Ein bisschen Geduld ist noch gefragt, denn erst kommende Woche kommt die erste Single raus, nicht dass den Lesenden etwas vorweg genommen wird. Gut, gut. Und es kommt noch besser. Zusammen gehen sie auf Tour im Dezember, um dieses Material live zu präsentieren. Hier könnten jegliche Grenzen von Konzert und Lesung gesprengt werden. Das wird ganz großartig - ehrlich!
08.12.2025 Köln, Gloria 09.12.2025 Hamburg, Kampnagel 10.12.2025 Bremen, Schlachthof 11.12.2025 Dortmund, Domicil 12.12.2025 Wiebaden, Museum 13.12.2025 Darmstadt, Centralstation 14.12.2025 Neunkirchen (Saar), Stummsche Reithalle 15.12.2025 Münster, LWL Museum 16.12.2025 Erfurt, Haus Dacheröden 17.12.2025 Berlin, Peter Edel 20.12.2025 München, Deutsches Theater 21.12.2025 Leipzig, Conne Island
(Ms) Viele Erzählungen für einzelne Stücke oder ganze Alben funktionieren nach diesem Schema: Die Welt ist dem Untergang geweiht. Wir haben sie erfolgreich gegen die Wand gefahren. Klima hinüber, der gesellschaftliche Zusammenhalt droht zu zerrütten, ein politischer Rückschritt in eine Zeit, die es nie gab. Viele MusikerInnen bleiben an diesem Punkt der Resignation nicht stehen, sondern appellieren an das Gute in uns und an die Hoffnung, dass wir das mit genug Liebe und Zuversicht schon schaffen werden (und ich finde die Erzählung auch ganz gut, weil sie mir auch viel Positives schenkt). Für Evan Uschenko und Ille Van Dessel gibt es diesen frohgemuten Blick in die Zukunft nicht. Und aus diesem Standpunkt der absoluten Resignation erwachte ihr neues Album Welcome To The Civilized World, das am 5. September erscheint. Es ist das vierte Ghostwoman-Album und das zweite, dass die beiden zusammen schreiben.
Allein dieser Schreibprozess ist faszinierend. Ein paar Tracks gingen von der einmalig aufgenommenen Testversion direkt auf die Platte. Zum Anderen haben sie sich extra für die Aufnahmen gebrauchte Instrumente gekauft, sie aufgearbeitet und nach der Benutzung wieder weiter verkauft. Alles für den einzelnen Track, alles für den Moment. Denn diese Platte, deren Titel ja schon keine Hoffnung mehr übrig lässt, wurde an vielen verschiedenen Orten aufgenommen. Sowohl in Uschenkos kanadischer Heimat als auch in den Bergen Belgiens, wo Ille van Dessel herkommt. Dieses Duo harmoniert so wahnsinnig gut, dass es fast schon beängstigend ist.
Hört man die neuen 38 Minuten von Ghostwoman, fällt auf, dass die Tracks weniger derbe sind. Auf dem Vorgänger Hindsight Is 50/50 war mehr Dampf drauf. Gut ist, dass sie ja nicht das gleiche nochmal machen. Welcome To The Civilized World erscheint eher wie ein Roadtrip durch verlassene, verödete Städte und Landschaften, wo einst Leben herrschte und nun nur noch ein paar Übriggebliebene hausen (später mehr dazu). Allein dieser Vibe der Lost Places macht dieses Album richtig spannend!
Sich mit den Texten auseinander zu setzen, ergibt keinen Sinn. Denn der Text ist laut Evan Uschenko nur Mittel zum Zweck, Inhalt ist so gut wie egal, er ist die Begleitung zum Sound. Daher wird er hier auch ausgeklammert.
Mit dem zum Album gleichnamigen Track eröffnet die Platte. Ein paar verlorene Klavierklänge und nach einer halben Minute rollen Schlagzeug und Gitarre los und werden auch nicht mehr aufhören. Ja, dieses Album ist cineastisch, da die düsteren Bilder von ganz alleine kommen. Wie gut Sound und Bild zueinanderpassen, ist in einigen der Singles auf großartige Weise zu sehen. Alive wird im Video mit zusammengeschnittenen Tourerlebnissen eingefangen. Nirgendwo zu Hause, überall Beton und Straße. Tatsächlich ist der Track recht melodisch. Doch die Melodien erinnern eher an einen nostalgischen Blick ins vergangene Gute. Noch eindrücklicher wird es bei Levon. Das Video passt so derart perfekt zum Sound, dass es beinahe schon gruselt. Verlassenheit in einer Trailer-Siedlung, die Langeweile der jungen Erwachsenen dort und die gesammelte Trostlosigkeit drumherum. Dazu scheppern Evan Uschenkos Gitarren und Ille van Dessel treibt und treibt und treibt die Resignation nach vorn.
Richtig schrammelig kommt 5 Gold Pieces daher und zwischen E-Gitarren-Ausbrüchen flüstert uns Uschenko in Endlosschleife die Wörter des Titels ins Ohr. Doch die Hoffnungslosigkeit ist nicht immer nur derbe, sondern entfacht im Stillen vielleicht noch mehr Kraft. Dafür steht DimeA Dozen exemplarisch und eindrucksvoll. Mein Highlight ist When You All Where Young, weil es roh, direkt und unmissverständlich ist und genau daher richtig viel Wucht entwickelt. Ja, beinahe geht es hier schon hypnotisch zu.
Welcome To The Civilized World ist nicht unbedingt ein Album, das durch einzelne Tracks lebt. Vielmehr ist es ein Gesamtkunstwerk, das eine Stimmung transportiert. Dies sollte jeder mal live erlebt haben. Und unbedingt dafür Gehörschutz mitnehmen, auch wenn die Platte nicht zwingend brutal rüber kommt. Doch wenn Evan Uschenko live seine Gitarre bearbeitet und Ille van Dessel dazu auf die Trommeln haut, wird es einfach nur unfassbar laut und wild und auch sehr beeindruckend. Diesen Trip in die Resignation sollte sich niemand entgehen lassen!
10.11. Gebäude 9 - Köln 11.11. Molotow - Hamburg 12.11. Festsaal Kreuzberg - Berlin 13.11. Moritzbastei - Leipzig 17.11. Live/Evil - München 18.11. Manufaktur - Schorndorf