Freitag, 21. November 2025

KW 47, 2025: Die luserlounge selektiert

Quelle: flaticon.com / riajulislam
(Ms) Logisch, Konzerte sind das allerschönste auf der Welt. Sich dort verlieren, in Klang und Sphären abdriften, Katharsis, Verbundenheit und Liebe. Ausrasten, Party, Rausch. Nicht unwichtig ist jedoch der richtige Rahmen dafür. Ich habe den Eindruck, dass bestuhlte Konzerte für gewisse KünstlerInnen und Bands immer mal wieder auftauchen. Mehr als noch vor ein paar Jahren. Klassische Konzerthäuser und so. Klar, tolles Ambiente. Aber. Es kann auch echt richtig träge werden. Man sitzt dann da so rum, oft darf man in die Räume keine Getränke reinbringen. Und es ist kaum möglich, auszurasten. Schunkeln - heiheihei… Wenn nun für das kommende, bereits richtig tolle Konzertjahr Spielstätten angezeigt werden, die bestuhlt sind - ich werde nicht hingehen. Das ist mir zu lahm. Oft ist es dort auch viel teurer. Ich will stehen, mich bewegen können, den Körper durchdringen lassen vom Klang, vom Beat, von den Emotionen.

Momcore
(Ms) Ich bin großer Freund unseres gesellschaftlichen Fortschritts. Trotz (oder genau wegen) aller Kräfte, die viel daran setzen, diese aufzuhalten und in ein idealisiertes Gestern zu verschieben. Welche Band hat es sich denn schon mal zur Aufgabe gemacht, Musik explizit aus Sicht von Müttern zu machen ohne nach Bastelspaß zu klingen?! Eben. Jetzt ist sie da. Sie nennen sich Momcore und machen extrem tanzbare und zugleich super raffinierte Popmusik. Johanna Amelie und Stephany von Wolf & Moon stecken dahinter, die die Zeit ihrer Elternschaft als kreativen Prozess aufgegriffen haben und daraus Musik erschufen. Stark! Oxitocyn heißt ihre erste Single, die richtig viel Spaß macht! Kommendes Jahr erscheint ihre erste Platte und im Dezember spielen sie ein paar Support-Gigs für Die Höchste Eisenbahn:

04.12.2025 – Faust, Hannover
05.12.2025 – Sputnikhalle, Münster
19.12.2025 – Huxleys Neue Welt, Berlin


Grim104
(Ms) Die Geschichte ist natürlich grandios: Grim104 bekam vor zwanzig Jahren Hausverbot beim Zeteler Markt. Zetel liegt im Nirgendwo zwischen Oldenburg und der Nordsee. Der Zeteler Markt scheint aber ein wahres Saufhighlight zu sein. Nun kam er zurück, um im Festzelt ausgebuht zu werden. Veni, vidi, vici. Nie So Cool heißt seine neuste Single, die er auf dem Volksfest zum Besten gab und die für alle anderen nun auch zu hören ist. Grim104 keift wie eh und je und zieht eine klare Grenze zwischen Ihr und Ich. Gänsehaut. Damit einher geht die Ankündigung eines neuen Albums. No Country For Old Grim wird die neue Platte heißen, die im nächsten Jahr erscheint und mit der er dann auf Tour geht. Ich sah ihn im Sommer beim Watt En Schlick, ein Steinwurf entfernt von Zetel, und möchte sagen: Geht da unbedingt hin. Es wird äußerst intensiv, den Grim104 gibt alles! Versprochen!

17.04. - Hamburg, Knust
18.04. - Leipzig, Conne Island
23.04. - Bremen, Lagerhaus
24.04. - Hannover, Faust
25.04. - Köln, Club Bahnhof Ehrenfeld
26.04. - Dortmund - JunkYard
30.04. - Nürnberg, Club Stereo
01.05. - München, Ampere
02.05. - Frankfurt, Zoom
09.05. - Berlin, SO36


Fjørt
(Ms) Die Spatzen pfiffen es schon von den Dächern und nun ist es endlich soweit! Fjørt haben nicht nur eine Tour für kommendes Jahr angekündigt, nun folgen auch die ersten neuen Töne seit ihrer letzten Platte. Rau klingt der Gesang, angekratzt - es wird nicht nur geschrien! `43 heißt die Single, die nun samt Video anzuschauen ist. Dass die Aachener Band keine Kompromisse in ihrem Sound machen, sollte allen klar sein, die es mit dieser Band halten. Doch dieses Stück weist durchaus einen neuen Grad der Härte auf. Hui, das knallt aber außerordentlich gut. Bitter der Text jedoch. „Wir leben in Harkenkreuzzeiten / La Résistance, Zeit, Euch zu zeigen / zeigt euch.“ Ja, nichts haben wir begriffen in dieser Gesellschaft, wenn eine Nazi-Partei beinahe die Umfragewerte anführt. Die Wut, die Eindeutigkeit dieses Liedes sind absolut von Nöten, um wach zu bleiben in diesen Zeiten! Am 20. Februar erscheint dann auch eine neue Platte, sie wird Belle Èpoque heißen und alle Boxen und Kopfhörer zum Beben bringen! Huiiiiii, das wird gut! 

11.03.26 München, Technikum
12.03.26 Jena, Kassablanca
13.03.26 AT - Wien, WuK
14.03.26 Leipzig, Werk 2
18.03.26 Berlin, Festsaal Kreuzberg
19.03.26 Wiesbaden, Schlachthof
20.03.26 Dortmund, FZW
21.03.26 Hamburg, Gruenspan
25.03.26 Bremen, Schlachthof
26.03.26 Hannover, Capitol
27.03.26 Stuttgart, Im Wizemann
28.03.26 Köln, E-Werk


Anna Ternheim
(Ms) Dies ist kein neuer Track, aber egal. Er ist wunderschön und verdient einen Platz hier! Der Kollege SB kennt sich wesentlich besser aus mit Anna Ternheim, ich kenne so gut wie keinen Track der schwedischen Künstlerin. Schande auf mein Haupt. Als ich am Mittwochmorgen zur Arbeit wollte, spielte Deutschlandfunk Kultur (ganz viel Liebe für diesen Radiosender) ihren Track What Have I Done und um kurz vor sieben wurde ich mit so viel musikalischer Schönheit durchströmt, dass sie mich durch einen langen, anstrengenden Tag getragen hat. Ich knie nieder vor dir, du wunderbare Kunst!

Dienstag, 18. November 2025

Nagelschmidt & Lambert - Nur Für Mitglieder

Foto: Andreas Hornoff
(Ms) Kein Hörbuch. Kein Musik-Album. Keine Buchvertonung.
Ja, was ist das hier?!

Im September hat Thorsten Nagelschmidt sein neues Buch Nur Für Mitglieder veröffentlicht. Anfang November kam dazu eine musikalische Veröffentlichung zusammen mit Lambert heraus. Und das ist wirklich ein richtig spannendes Produkt eines kreativen Schaffens. Sieben Tracks, 31 Minuten Spielzeit. Diese Eckdaten machen schon mal klar, dass das kein Hörbuch sein kann. So schnell kann keiner 230 Seiten vorlesen.

Für den Genuss dieses Hörerlebnisses ist es nicht notwendig, das Buch gelesen zu haben. Die Handlung ist schnell erklärt: Der Ich-Erzähler flieht vor Weihnachten und fliegt nach Gran Canaria, um in einem Hotel alle Staffeln von The Sopranos zu schauen. Genialer Plot! Und sicher auch ein guter Hinweis, wie die ach-so-feierlichen Tage zu begehen sein könnten. Feierstimmung auf Knopfdruck klappt halt nur bedingt. Die Geschichte ist mit viel Ironie des Zwischenmenschlichen und Allzumenschlichen gespickt.

Nun sind sieben Tracks zu hören. Doch was genau, erwartet einen da?! Was zuerst überrascht, ist, dass die Musik von Lambert keineswegs so verträumt-mystisch ist wie seine letzte Platte. Sie ist zu großen Teilen ziemlich elektronisch, viel Beat, viel Bass, viele Synthies. Weitere Überraschungen lassen nicht lange auf sich warten. Thorsten Nagelschmidt schafft es, (sicher) prägnante Stellen des Buches - ich habe es (noch) nicht gelesen - auszuwählen und als Spoken Word vorzutragen. Das heißt, er liest nicht nur, sondern spielt durchaus mit Melodie in seiner Stimme. Er spickt sogar einzelne Zeilen raus, um sie als Refrains umzubauen. Das ist super genial und eine ganz großartige, selten zu betrachtende Kunstschleife. Mir ist wirklich kein Pendant bekannt, das nur ansatzweise so erschaffen wurde. Es macht äußerst viel Spaß, diesem Hörerlebnis zu lauschen. Es macht auch Lust auf das Buch, da ja einige Stellen fehlen. Aus meiner Sicht macht es auch am meisten Sinn, diese halbe Stunde am Stück zu genießen, damit der rote Faden ersichtlich ist. Einzelne Songs in eine Playlist zu packen, finde ich aus Gesamtkunstperspektive gesehen, wenig verlockend, klappt aber auch.

Nur Für Mitglieder ist definitiv eine außergewöhnliche Veröffentlichung im Zwischenbereich von Literatur und Musik - oder ein genial verbindendes Element. Im Dezember gehen die beiden damit auf Tour und es dürfte sehr spannend werden, wie sie einen Abend füllen werden. Liest Thorsten Nagelschmidt noch etwas? Gibt es Muff Potter-Stücke zu hören? Legt Lambert noch ein Set ein? Werden kollektiv Lebkuchenhäuser gebastelt oder Urlaubspläne geschmiedet?! Dies kann nur hier erlebt werden und ein Besuch sollte sich lohnen:

08.12.2025 Köln, Gloria
09.12.2025 Hamburg, Kampnagel
10.12.2025 Bremen, Schlachthof
11.12.2025 Dortmund, Domicil
12.12.2025 Wiebaden, Museum
13.12.2025 Darmstadt, Centralstation
14.12.2025 Neunkirchen (Saar), Stummsche Reithalle
15.12.2025 Münster, LWL Museum
16.12.2025 Erfurt, Haus Dacheröden
17.12.2025 Berlin, Peter Edel
20.12.2025 München, Deutsches Theater
21.12.2025 Leipzig, Conne Island


Sonntag, 16. November 2025

KW 46, 2025: Die luserlounge selektiert nochmal

Quelle: flaticon.com / rialjulislam
(Ms) Es ist doch kein Wunder, warum unsere aktuelle Bundesregierung noch unbeliebter ist als die vorherige, oder? Allein das ist ja schon eine erschreckende Aussage. Klar, Reformen sind gut und notwendig. Aber doch bitte die richtigen. Wer das Deutschlandticket auf 63 Euro erhöhen lässt und gleichzeitig die Flugticketsteuer senkt, der hat einfach nichts begriffen. Oder nichts begreifen wollen. Vielleicht sind das ja auch ganz gezielte Entscheidungen: Sollen die großen Flugunternehmen ein klein wenig mehr verdienen und die Menschen entweder sich kein Zugticket mehr leisten können oder… ja, sollen sie halt fliegen statt die Bahn zu nehmen. Oh, man. Von der CDU habe ich eh nichts anderes erwartet als ein nicht unerhebliches Maß an Klientelpolitik. Aber dass die SPD da so mitmacht, ist gruselig. Muss sich keiner wundern, wenn deren Beliebtsheitswerte so niedrig sind. Die Suppe haben sie sich selbst eingelöffelt. Hoffen wir, dass es noch besser wird… 

A.S. Fanning
(Ms) Eine tolle Stimme macht noch lange keine gute Musik. Sie muss im besten Sinne in Szene gesetzt werden, ihre Kraft ausgeschöpft, ihr Glanz zum klingen gebracht werden. Nicht nur melodiös - auch wenn das eines der wichtigsten Dinge ist - sondern auch textlich. Dann ist Gänsehaut garantiert, dann ist es leicht, alles links und rechts um einen herum zu vergessen. Dann läuft A.S. Fanning mit seiner neuen Single Today Is For Forgetting. Dieser tiefe, durchdringende Bariton ist perfekt eingesetzt in all der Melancholie und Schwere des Tracks. Kein besonders aufbauendes Thema, das der Titel mit sich bringt, aber das Arrangement bringt auch einen Hoffnungsschimmer mit sich. Ein insgesamt eher langsamer Song, der durch die Synthies viel Lebendigkeit erfährt. Das ist einfach phantastisch gemacht vom irischen Musiker. Am 6. Februar erscheint seine neue Platte Take Me Back To Nowhere und wird sicherlich hervorragend!

16.03.26 Langenberg – KGB
28.03.26 Altenkichen – KulturSalon Stadthalle
21.04.26 Hamburg – Knust
23.04.26 Dresden – Ostpol
25.04.26 Oberhausen – Gdanska
29.04.26 Wien – Rhiz
30.04.26 Salzburg – Rockhouse
02.05.26 Berlin – Neue Zukunft


Feige Flittchen
(Ms) Konzerte sind nicht nur die Essenz der Musik, die sich so viele Menschen ausdenken, sondern auch immer der beste Ort, um Neues kennenzulernen, das einem nicht zwingend über den Weg laufen würde. Nicht aus Ignoranz, sondern weil es einfach so unfassbar viel gibt. Gut, dass Bands selten allein auf Tour gehen. So haben Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen letztes Jahr im Zwischendenjahrenkonzert in Bremen Feige Flittchen mitgenommen. Und das hat richtig gut gezündet. Humor, Punkrock, Alles-egal-Haltung, Rafinesse, Unterhaltung. Das Hamburger Trio hat viel gespielt dieses Jahr und nun ihre erste EP draußen. Live In der Pyramide heißt die Sammlung der vier Tracks. Und weil sie halt so viel live spielen ist es nur sinnvoll, dass es wirklich Live-Aufnahmen sind. Wie cool, so eine Band als erstes zu hören. Pur, roh, direkt, ungefiltert. Das macht richtig viel Spaß, ist mal verträumt und schrammelt genau im richtigen Level!


Tom Smith
(Ms) Na Herbst, da bist du ja. Und schlägst an diesem Wochenende auch recht gewaltig zu. Ein ewiges Grau da draußen, dazu Wind und Regen. Bilderbuchherbst. Leichte Melancholie in der Luft, Energieauftanken auf dem Sofa. Tee und Spekulatius - das ganze Programm. Und dann kommt dieser Sänger mit diesem Lied daher - frech! Haut einfach noch richtig in diese eh verletzliche Kerbe. Tom Smith, Sänger der Editors, bringt Anfang Dezember sein erstes Solo-Album raus und mit Broken Time ist die neuste Single zu hören. Akustik-Gitarre, Cello, Stimme, Gänsehaut. Das ist wunderschön, zutiefst traurig aber auch aufbauend. Das sind doch Charakterzüge, die nur die Musik schaffen kann. Was für ein großer Zauber. Am 5. Dezember erscheint There Is Nothing In The Dark Which Isn't There In The Light und bringt den großen Glanz der Editors-Tracks in einem ganz gedimmten Arrangement! Wow!

11.03.26 Köln - Kulturkirche
13.03.26 Schorndorf - Manufaktur
19.03.26 Wien - Simm City
25.03.26 Berlin - Passionkirche
26.03.26 Hamburg - Christiankirche


Vlimmer
(Ms) Es gibt Musik, die einfach zu einhundert Prozent in eine ganz spezifische Stimmung passt. Letzte Woche auf dem Weg zur Arbeit: Es war ungeheuer nebelig. Die Sichtweite betrug maximal 50 bis 70 Meter. Das verlangt viel Konzentration, hat aber natürlich auch etwas herrlich mysteriöses. Manchmal fühlt es sich dann an wie im Film. Hätte dann Cystacanca von Vlimmer im Auto ertönt, wäre die Szenie perfekt. Alexander Donat geht mit jedem Track seines Hauptprojekts einen Schritt weiter, es macht sehr viel Spaß, dabei zuzuhören. Auf dieser Single zeigt er sich programmatischer im Textaufbau und noch etwas anspruchsvoller, reifer im Sound. Ein paar mehr Elemente, die den Klang bilden und einen immer klareren Gesang. Das tut seiner Musik sehr gut. Und irgendwie passen diese Zeilen hervorragend in den morgendlichen Nebel: „Nimm das Übel mit /Wasch die Erde rein / Lass uns zusammen sein.“ Doch kein neuer Vlimmer-Track ohne einen kleinen Bonus. So ist zugleich ein deutsches Cover von Arcade Fires No Cars Go erschienen. Dieser Tausendsassa…


Jo The Man The Music
(Ms) Immer wieder versuche ich hier in dieser wöchentlichen Rubrik Perlentaucherarbeit. Die Suche nach dem Besonderen, Ungewöhnlichen, Kunstvollen oder gar Avantgardistischen. Doch mal kurz innehalten ist auch nicht verkehrt. Denn immer nur nach dem außerordentlich Speziellen zu suchen, ist ja auch langweilig. Jo The Man The Music aus Österreich hat letztens ihre neue Single Shoulders veröffentlicht. Das soll nun nicht dispektierlich klingen: Aber das ist einfach ein ganz wunderbarer, warmer, gitarrenpoppiger Song, der wie eine kleine Streicheleinheit daher kommt. Das Stück ist nicht kompliziert, nicht außerordentlich wild arrangiert. Und genau in dieser wunderbaren Schlichtheit liegt die Stärke und Schönheit. Eine Ballade, die mitsamt viel Wärme daher kommt und zu dieser Zeit, in der viel Kälte zu spüren ist, genau richtig ist. Am 16. Januar erscheint ihre erste EP Soft Skin

Freitag, 14. November 2025

KW 46, 2025: Die luserlounge selektiert

Quelle: Gästebuch.com / arnikahossain
(Ms) Brennt die Funkmasten nieder! Hinfort mit den Handys und Smartphones. Weg mit diesem Mist! Nervosität auf Stand-By. Pseudo-Erreichbarkeit. Zeitfresser-Programme überall. Niemand braucht das.

Derzeit lese ich Momo von Michael Ende. Das Buch ist aus den 70er Jahren. Wahnsinn! Ich wusste, dass es eine zauberhafte Geschichte sein wird, aber diese Aktualität habe ich im Vorhinein unterschätzt. Was die Grauen Herren von der Zeit-Spar-Kasse von vor fünfzig Jahren waren, sind die mobilen Endgeräte der Jetztzeit. Sie klauen uns ganz bewusst das wertvollste, was wir haben: unsere Zeit! Und wir füttern riesige Konzerne mit Daten und leeren Augen. Es braucht eine Herrschar an Momos unserer Zeit, die uns darauf aufmerksam machen, wie unfassbar viel Zeit wir an diesen Teilen verschwenden. Wir haben nichts davon außer gestörte Hirnareale, verminderte Konzentrationsfähigkeit und fehlende Geduld. 

Imarhan
(Ms) Wenn Pop auf Politik stößt, dann wird es meist sehr spannend. Insbesondere weil Musik die Kraft hat, über Grenzen hinweg zu klingen und zu wirken. Bands, die Lieder aus anderen Gegenden der Welt singen, können uns die Augen öffnen. Denn viele Konflikte bleiben uns verborgen oder sind schnell vergessen. Zudem bringen sie eventuell einen Klang mit, der für uns ungewohnt ist, aber ganz viel Schönheit mit sich bringt. Imarhan kommen aus Algerien und machen extrem melodiöse Musik. Schlagzeug spielt eine untergeordnete Rolle, der Rhythmus wird meist durch Gitarren vorgegeben - aber klar, hier und da wird auch getrommelt. Tellalt heißt ihre aktuelle Single und das Wort bezeichnet eine seltene Akazienart aus der Sahara. Wenn sie verbrannt wird, soll sie wunderbar riechen und das Knistern des Feuers scheint unvergleichlich, so Sänger Sadam. Zudem erzählen sie von Geschichten der algerisch-malischen Grenze. Von Menschen, die aus Mali fliehen. Schicksale, die hier selten Aufmerksamkeit bekommen. Imarhan gibt diesen Menschen eine Stimme. Und am 16. Januar erscheint ihre neue Platte Essam bei CitySlang und könnte ganz zauberhaft werden!

14.04.26 - Knust, Hamburg,
15.04.26 - Gretchen, Berlin


Dry Cleaning
(Ms) Ein Bullshit-Job ist eine Tätigkeit, der jeglicher Sinn fehlt. Diese ist dann manchmal auch noch recht gut bezahlt. Ihr gesellschaftlicher Nutzen ist gleich Null. Aber vielleicht haben einige der ArbeiterInnen, die so einen Job haben, dennoch Spaß daran. Darum geht es im neuen Track Cruise Ship Designer von Dry Cleaning. Der Titel verrät es schon: Sängerin und Texterin Florence Shaw berichtet darin über einen Designer für Hotels und Kreuzfahrtschiffe, der seinen Job richtig gut erledigt, aber immer wieder am Sinn seiner Tätigkeit zweifelt. Wie genial ist das denn?! So viel Tragik und Komik in einem Track habe ich lange nicht mitbekommen. Musikalisch wird die Geschichte von groovigen Klängen, die zwischen frühem Punk und Krautrock angesiedelt sind. Obendrein serviert die Band ein großartiges Mittanzvideo! Mehr solcher tollen Klänge und Storys gibt‘s auf ihrem neuen Album Secret Love, das am 9. Januar erscheinen wird! Könnte geil werden!

07.04.26 Berlin, Festsaal Kreuzberg
10.04.26 Hamburg, Mojo



Frau Lehmann
(Ms) Gut Ding hat Weile. Mit etwas Abstand gesehen, ist ja an den meisten Sprichworten doch eine Menge dran. Die Alte Leier heißt die neue Single der Leipziger Band Frau Lehmann. Wobei so neu der Track gar nicht ist. Vor 10 Jahren schrieb Sängerin Fiona Lehmann diesen Text und nun hat er seine Form gefunden - was für eine schöne Geschichte! Das Thema: Liebeskummer und der Kampf dagegen. Zuhören? Ach nein, lieber in die Kneipe gehen und dann stark abdriften. Und der Kummer pocht immer noch genauso stark wie vorher. Manchmal sind Wunsch und Realität zwei verschiedene Dinge, davon handelt das Lied auch. In herrlich melancholischer Manier mit Xylophon und wunderbarer Eingänigkeit. Ein Song, der zum sonst punkigen Sound der Band gar nicht so passt, umso besser ergänzt er ihr Schaffen. Am 30. Januar erscheint ihre neue Platte Trost & Trotz und könnte vielschichtig, unterhaltsam, den-Finger-in-die-Wunde-legend werden!


Amanda Bergman
(Ms) Stutzig werden. Wenn Musik das schafft, dann ist sie wirkmächtig. Wenn sie einen irritiert zurück lässt. Wenn man gerne noch etwas mehr darüber wissen möchte. Wenn der Song dann nochmal läuft. So geschehen beim neuen Track von Amanda Bergman. Die schwedische Künstlerin hat mit Grasp einen wunderbar, saften neuen Song herausgebracht. Zu dem Stück gibt es ein kleines, schönes Video, das mal unterhaltsam, mal niedlich, mal einfach nur schön ist. Doch etwas stimmt hier nicht. Und das ist Folgendes: Text und Musik passen nicht zusammen. Die Musik ist wahnsinnig zurück gelehnt. Zart, ruhig, unaufgeregt. Der Text ist das ziemliche Gegenteil davon. Kein Wunder: Er ist in der Nacht entstanden, als Donald Trump und Elon Musk das Weiße Haus übernommen haben. Eine Schaudergeschichte. Wie der Text des Liedes. Doch kein Grusel ohne Hoffnung. Und das sind ganz am Ende folgende Worte: „Making peace seem like some madness that has no time.“ Da bleibt nur zu sagen: Bring back the madness!

Mittwoch, 12. November 2025

Naked Lunch - Lights (And A Slight Taste Of Death)

Foto: Appolonia T. Britzan
(Ms) Zerbrechlichkeit und Schönheit. Kaum eine Band steht für beide Attribute so stark wie Naked Lunch. Die Schönheit der Zerbrechlichkeit hat diese Gruppe so gut wie perfektioniert. Und es hat zwölf Jahre gedauert, bis sie uns wieder mit neuen Liedern beschenkt. Am 7. November erschien Lights (And A Slight Taste Of Death) und ist sicher die Platte der Österreicher, die am schwersten ins Ohr geht. Wenn sie da aber erstmal angekommen ist, dann offenbart sich ihr ganzer Glanz.

Zerbrechlich waren ihre Lieder immer schon. Die ruhigen und die wuchtigen. Und das lag nicht immer nur am oftmals recht melancholischen Arrangement. Vielmehr gelingt es Oliver Welter seit vielen Jahren mit seiner Stimme den Geist seiner Musik zu 100% rüberzubringen. Man könnte sich bestimmt darüber streiten, ob Oliver Welter ein guter Sänger ist. Da gibt es viele Fürs und Widers, die sich ins Feld führen lassen. Doch eventuell ist das für die Musik, die Naked Lunch seit Jahren so großartig macht, gar nicht mal so wichtig. Immer wieder bricht seine Stimme. Das muss sie auch. Sonst kommt der Inhalt, die Atmosphäre, die Tiefe und das Menschliche aus all ihren Liedern gar nicht so zur Geltung. Das Wacklige ist Programm. Und - machen wir uns mal nichts vor - auch ein großer Teil dessen, was uns zum Menschen macht. Das Berührt- und Verletztwerdenkönnen, die Zweifel. Und bei all der Tragik, die sich immer wieder in ihren Songs ausbreitet, bleibt eines immer unterm Strich: Hoffnung. Liebe. Zusammenhalt. Dankbarkeit. Das ist ein irrer Spagat. Er ist nicht leicht. Aber sie nehmen die Herausforderung an. Mit der neuen Platte ist es ein weiteres Mal geglückt - man muss sich nur drauf einlassen.

43 Minuten Spielzeit hat die neue Platte. 14 Tracks sind darauf enthalten. Einige haben etwa eine Minute Länge, dafür wirken andere umso ausgiebiger. To All And Everyone I Love ist der Opener. Zudem war es die erste Single, die in all ihrer Schönheit brilliert. Ein Kniefall vor allen, die das Leben schöner machen. Eine Danksagung an all die leuchtenden Momente, die ein Leben begleiten. Dies ist ein großes Beispiel, wie wunderbar Musik sein kann! Doch wie der Albumtitel schon vermuten lässt, ist es eine Sammlung an Texten, die zwischen ganz hoch und ganz tief schwankt. Licht und Dunkel. Positiv und negativ. Auf und ab. 12 Jahre hat es gedauert, bis diese Platte ans Tageslicht kam. Oliver Welter zweifelte oft, ob es Naked Lunch überhaupt noch braucht. Dann eine Krebserkrankung und die Geburt seines dritten Kindes. Wow - wie heftig kann es nur zugehen?! Diese Platte ist das Ergebnis genau dieser Zeit.
Das Melancholische und Fröhliche ist teils in einem Stück zu hören. Schleppend und dunkel beginnt We Could Be Beautiful. Nach drei Minuten, ziemlich genau nach der Hälfte, wird Moll zu Dur, wird aus beinahe zäh Lebendigkeit. Wird aus einem Tiefpunkt ein Hoffnugsschimmer und ein ganz wunderbares Lied, an dessen Ende noch Bläser erklingen - hui!
Blackbird ist noch so ein Stück, das ganz viele Ebenen einfängt. Eines, das in meinen Ohren schleichend zum Highlight geworden ist. Trotz (oder gerade wegen?) der immer wieder brüchigen Stimme. Auch wenn es kurios klingen mag, aber die Zeile „Maybe I‘m punished for being a rude man / maybe I did things wrong when I was much younger“ wird so unglaublich schön dargeboten. Anschließend tanzen die Syntheziser und Bläser bringen erneut viel Wärme ins Spiel. Es bleibt zwischendurch festzuhalten - diese neuen Stücke sind enorm stark arrangiert! So vielschichtige Musik gab es von Naked Lunch lange nicht! Auch scheinbar disharmonische Stücke wie If This Is The Last Song You Can Hear offenbaren in ihrem ganzen Soundgewitter viel Sinn für Ästhetik.
Eine weitere Stärke dieser Platte ist, dass es nie langweilig wird. Ich bin erstaunt, wie unfassbar gut die Lieder aneinandergereiht sind! Das ist ja auch eine Art der Kunst. I Saw, auch wieder etwas deftiger aufgebaut, besticht durch die prägnante Gitarre und dem großen musikalischen Lichtblick. Wer bei diesem Album nicht baff staunt, ist ein Banause! So ist auch kurz vor Schluss ein zartes Stück wie Love Don‘t Love Him Anymore purer Glanz! Dieses Chor-Arrangement… wundervoll!

Lights (And A Slight Taste Of Death) ist nichts anderes als ein Meisterwerk. Meine Ohren brauchten etwas Anlaufzeit, um all diese Schönheit auch wahrzunehmen. Ja, es bricht oft. Ja, es quietscht hier und da. Es ist nicht alles perfekt, schon gar nicht rund und glatt produziert. Und genau das ist der große Trumpf. In all dem Zerbrechlichen liegt so, so viel Menschliches. So ist diese Platte eine große Wohltat und hoffentlich noch lange nicht das Ende dieser Band. Sie spielt hier live:

17.01.26 Ebensee - Kino
22.01.26 Wien - Arena
23.01.26 Graz - PPC
29.01.26 Innsbruck - Treibhaus
30.01.26 Dornbirn - Spielboden
31.01 26 Salzburg - ARGEkultur
05.02.26 Leipzig - Naumanns
06.02.26 Berlin - Berghain Kantine
07.02.26 Hamburg - MS Stubnitz
04.03.26 München - Milla
05.03.26 Stuttgart - Merlin
06.03.26 Steyr - Röda
28.05.26 Klagenfurt Festival


Montag, 10. November 2025

Live in Hamburg: The Notwist

Foto: luserlounge
(Ms) Back to the roots. Manchmal ist es sehr sinnig, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Oder auf die eigenen Anfänge. Beides steckt in diesem kleinen Sprichwort. Das denken sich auch die Mitglieder von The Notwist, die immer mal wieder die ganz alten Stücke spielen und dann als Pocketband auf Tour sind. So dieser Tage und dann direkt in den jeweiligen Städten zwei Abende hintereinander in kleineren Läden.
Am Samstag und Sonntag spielten sie im Hamburger Knust und das war mal wieder eine Reise an die Elbe wert.

Wir waren am Samstag früh vor Ort und konnten der feinen Musikauswahl von Markus Acher lauschen, die er im Barbereich auflegte. Dazu lief irgendein Oliver Hardy und Stan Laurel-Film und draußen war tiefster Herbst. Perfekt!
Ab 20 Uhr wurde es auf der Bühne richtig spannend, denn Sinem spielten zur Einstimmung ein kleines Set. Und seitdem denke ich darüber nach, warum ich nicht mehr Indie/Rock-Musik mit türkischer Sprache höre. Es gibt sicher wesentlich mehr als diese Band, die atmosphärisch diese Sprache einsetzen. Ungefähr eine halbe Stunde hat das Trio gespielt und mich ab dem ersten Takt direkt angesprochen! Insbesondere die für mich ungewohnten Harmonien im Gesang ließen mich neugierig lauschen. Zudem war das Schlagzeugspiel absolut mitreißend! Das hat richtig Spaß gemacht und mal andere Töne auf die Bühne gezaubert als alles andere, was sonst so im Pop/Rock-Bereich zu hören ist.

Kurze Umbaupause. Als The Notwist Pocketband spielen Markus und Micha Acher zusammen mit Andi Haberl und für ein paar Stücke mit Christoph Beck. Es ging direkt roh und wuchtig mit den alten Stücken los, als die ganze Soundtüftelei noch keine so große Rolle für die Band spielte. Tatsächlich kenne ich nicht ein Stück aus dieser Phase. Genau das hat den Reiz für den Abend ausgemacht. Denn auch in den durchvolleren, E-Gitarren-lastigeren Stücken lauern viele mitreißende Elemente. Nicht die sphärisch-träumerischen, aber durchaus eine Menge, die auch den Körper durchdringt. Doch auch verhältnismäßig neuere Songs wie Kong fanden in die Tracklist des Abends.
Gerade mal 80 Minuten dauerte der Gig der Weilheimer Musiker. Es war für dieses Set, für diese Zusammenstellung an Liedern genau der richtige Rahmen. Der kleinere Laden - im Frühjahr spielen sie in der Großen Freiheit 36 -, die tolle Vorband und die genau richtige Dauer.
Back to the roots - es hat sich gelohnt!
 

Montag, 3. November 2025

Live in Bremen: Grandbrothers

Foto: luserlounge
(Ms) Sonntagabend, der Herbst hat volle Fahrt aufgenommen und am Bremer Bahnhof ist es rappelvoll. Der letzte Tag des Freimarkts ließ nochmal einige Leute aus ihren Häusern kommen. Und auch der Weg zum Schlachthof führte direkt an Buden und Fahrgeschäften entlang. Dort war es aber erstaunlich ruhig. Seltsam, dass es so luftig in der Kesselhalle gewesen ist. Immerhin kamen die Grandbrothers mit ihrem aktuellen Album Elsewhere vorbei, um die Menschen in den Klavierbann zu ziehen. War es das große Überangebot am Wochenende in Bremen? H-Blockx, Freimarkt, Nina Chuba, Anda Morts, Mental Tracks? Brauchten die musikaffinen Menschen eine Pause? Lag es am Sonntag? Oder ist die Musik von den beiden Klangtüftlern dann doch ein wenig zu speziell? Viele Fragen, wenig Antworten.

So stand niemand vor der Bühne, alle saßen, als Keshavara den Abend eröffneten. Allein das ist schon krass, das habe ich im Schlachthof noch nie gesehen. Dabei ließen sich viele Leute einfach einen großartigen Abend entgehen. Der Einstieg war extrem stark! Keshavara eröffnen viele der aktuellen Konzerte der Grandbrothers als Duo und wissen sehr schnell zu überzeugen. Sie erinnern an Oum Shatt, nur mit indischen statt orientalischen Klängen. Etwas psychedelisch, sehr unterhaltsam und einfach auch extrem sympathisch! Wenn sie in Bandbesetzung im April wieder in den Magazinkeller kommen, sind sicher einige Menschen, die am Sonntag da war, auch vor Ort!

Kurze Umbaupause, die schon einiges entdecken ließ. Die Bühne, wenn Lukas Vogel und Erol Sarp spielen, ist ein Hingucker. Auf der linken Seite der Flügel mit offenem Korpus aus dem allerhand Kabel und Gerätschaften herausschauen. Die Kabel suchen sich den Weg zum Tisch von Lukas Vogel, wo sie in verschiedensten elektronischen Soundboxen landen. Zusammen werden sie einen Klang erzeugen, der viel Sog entfachen wird, aber auch viel Schönheit. Dahinter zwei große Lichtleinwände, die die optische Ebene beschwören. Klar, das ist alles wahnsinnig ausgetüftelt, die Musik der Grandbrothers lässt sicher auch wenig Spiel für Improvisation, aber das Konzept geht voll auf.
Es ist 21 Uhr als die beiden Musiker die Bühne betreten, ein paar mehr Menschen wagen sich direkt in den Raum davor, um mittanzen zu können. Denn das kann sehr schnell passieren. Die eineinhalb Stunden danach waren ein reiner Rausch. Wie ein Live-DJ-Set. Die Lieder gingen ineinander über. Die Melodien und Rhythmen schwebten nur so durch den Raum. Und wenn man sich dort umschaut, sind viele glückliche, versunkene Gesichter zu sehen. Kaum jemand, der sich nicht anstecken lässt von der Energie, die die beiden auf der Bühne erzeugen. Das ist Wahnsinn, sehr intensiv, aber auch nicht zu doll. Viel Schönheit, viele große Melodien und dann immer wieder starker Bass, viel Takt, viele Möglichkeiten, um sich weg zu träumen. In ihren wenigen Ansagen zeigten sie sich nicht nur als passionierte Kirmesbesucher, sondern auch als äußerst dankbare Künstler. Das zollte das aufmerksame Publikum durch viel leises Zuhören, wenig quatschen und viel warmem Applaus zurück. 

Wer kann, sollte dieses Duo auf ihrer aktuellen Tour auf jeden Fall besuchen und unterstützen. Das ist außerordentlich stark, was die beiden aus dem Flügel rausholen und ihren ZuschauerInnen schenken!


 

Freitag, 31. Oktober 2025

KW 44, 2025: Die luserlounge selektiert

Quelle: commons.wikipedia.org
(Sb/ms) Diese Stadtbild-Sache hat Potential. Zum Einen zeigt sie recht ungefiltert ein zumindest in Ansätzen rassistisches Weltbild unseres Kanzlers. Zum Anderen finde ich es keine sinnlose Debatte, wie in der Heute Show gesagt wurde. Über die Menschen in unseren Städten, dazu gehören wir alle, müssen wir wirklich nicht sprechen. Wir gehören alle dazu. Und wir gehören alle dazu, dass sie so aussehen, wie sie aussehen. Und hier muss doch die politische Debatte beginnen. Warum gibt es so viel Leerstand?! Warum sehen die Städte alle gleich aus? Warum sind überall die gleichen Ketten? Warum sind sonst so viele Nagelstudios, Frisöre und Bars mit dunkel verklebten Fensterscheiben zu sehen? Weil wir alle es zulassen. Weil wir wie doof im Internet bestellen. Weil wir angeblich keine Zeit haben. Oder vielmehr weil wir sie uns nicht nehmen?! Weil wir alles gleichzeitig haben wollen. Wir sind doch selbst Schuld dran, dass die Städte so aussehen. Da braucht es doch politischen Willen, etwas dagegen zu tun. Förderungen. Weniger Bürokratie. Orte, wo alle zusammen kommen. Das bringt uns die teils etwas ferne Politik wieder mehr zu uns. Oder habe ich da unrecht?! 

Crim
(sb) Futur Medieval heißt das neue Werk der Punkrock-Band Crim aus Tarragona und schließt nahtlos an den Vorgänger Cançons de mort an. Trotz der Hardcore-Anklänge kommen die Katalonier gewohnt melodisch daher, die Riffs sitzen und die Gesangsharmonien reißen mit. Zugegebenermaßen verstehe ich kaum ein Wort, aber das ist mir ausnahmsweise ziemlich egal. Crim haben etwas an sich, das mich ungemein anspricht und begeistert. Ist diese Kombination aus Brutalität und Verspieltheit? Ich weiß es nicht, aber Tracks wie Festa d'una Persona oder Nihilisme Pop gehen einfach immer. Hoffentlich auch bald mal live zu sehen!


Sofia Portanet
(Ms) Die große Welt des Pop! Was für eine große Musikrichtung! Eine, die immer wieder die großen gemeinsamen Nenner schafft. Die Lieder, mit denen wirklich viele Menschen zu begeistern und mitzureißen sind. Manchmal ist das der große Glitzerpop, manchmal der im kleineren Rahmen, der aber die gleichen Emotionen erschafft. Das allerbeste, schönste, tanzbarste, soghafteste Beispiel für den großen Pop im kleinen Rahmen ist Sofia Portanet, die seit vielen Jahren extrem gute Musik abliefert! Sie ist eine Künstlerin, die gerne und ganz toll mit anderen zusammen arbeitet. Verfolgt man ihr Schaffen ein wenig, ist sie stetig unterwegs, an den verschiedensten Orten, mit vielen kreativen Köpfen. Es kommen immer phantastischer Lieder dabei heraus. Moi Pour Toi heißt ihr neuster Streich, den sie zusammen mit der französischen Künstlerin Sainte Nicole geschrieben und aufgenommen hat. Nicht nur ein toller Tanztrack, der einen leicht melancholisch-dunklen Touch hat, sondern auch ein weiterer Beweis, dass sich dafür die französische Sprache großartig eignet!


Oehl
(Ms) Fansein ist ja so eine Sache. Vielleicht bin ich mit Mitte Dreißig nicht mehr in dem Alter, in dem ich dieses Vokabular wählen würde. Aber bei bestimmten KünstlerInnen oder Bands ist die eigene Leidenschaft, wie dieses Schaffen verfolgt wird, ja im Grunde genommen genau das. Die Musik seit Langem hören, etwas über die Menschen wissen, sich freuen, wenn es Neues gibt, die Konzerte besuchen. Seit dem Tag, an dem Oehl Wolken veröffentlichte, höre ich sehr gerne und aufmerksam zu und bin immer wieder überrascht, was er alles schafft. Am 12. Dezember erscheint sein erstes Weihnachtsalbum, das gar nicht mal so typisch-weihnachtlich klingen wird, wenn man der Ankündigung glaubt. Es wird oehlig-melancholisch und andächtig sein. Verliebt und verträumt. Schwebend und luftig-leicht. Dunkle Magie wird die Platte heißen und mit Als Wir Uns Liebten ist seit heute die erste Single zu hören. Der Text ist nicht neu, er ist schon auf Amazon/Signout zu hören, doch er hat ein neues musikalisches Gewand bekommen und einen lächelnden Ariel Oehl, der im passenden Video dazu die Balance sucht. Was für ein Künstler!


Lankum
(Ms) Manch Track kommt auf ganz ungewöhnliche Weise zu einer Band. Dies ist die Geschichte von Ghost Town und der irischen Band Lankum. Die befreundete Künstlerin Oona Doherty kam auf das Trio zu und hatte den Wunsch, dass die Band ein Cover vom Original der Specials machen würde. Es passe zu ihrer aktuellen Tanzarbeit. Die Band reagierte erst verhalten, da solch eine Auftragsarbeit nicht deren sonstigem Schaffen entsprechen würde. Doch die Idee nahm Fahrt auf und wurde immer konkreter. Das Ergebnis ist eine immense Wucht! Acht Minuten geht der Song und es lohnt sich mal wieder, sich die Zeit dafür zu nehmen! Was als Dark Pop anfängt, entwickelt sich immer weiter und zieht Kreise und Kreise. Dafür sorgt ein extrem stimmungsreiches Video für den cineastischen Verve, den dieses Lied einfach verdient. Wow - das ist auf so vielen Ebenen Kunst! Und die ist wirklich entdeckenswert!  


Kraków Loves Adana
(Ms) Was bedeutet es, wenn man einander liebt? Neben allen romantischen, wunderbaren Seiten der Verbundenheit ist Liebe oft auch eine Menge Arbeit. Stets muss man einen Konsens finden. Ein Leben zu zweit oder mit noch mehreren zu organisieren, stellt immer wieder kleinere und größere Hindernisse in den Weg. Wie damit umgehen? Am besten so, wie Deniz Çiçek in ihrem Projekt Kraków Loves Adana singt. Help Me heißt ihr neuster Track, der wunderbar dunkel aber auch hoffnungsvoll daher kommt. Dazu ihre wunderbare Stimme, die schnell einen zauberhaften Sog entfacht und mit der sie singt, dass sich helfen der Schlüssel ist. Du hilfst mir, ich lade dich ein, ich führe dich. Und wenn wir zurück schauen, dann sehen wir, dass viele Sorgen unbegründet waren. Ist das nicht toll?! Ja - inhaltlich und musikalisch ganz großartig!

Sonntag, 26. Oktober 2025

Live in Hamburg: Rookie Fest

Foto: luserlounge
(Ms) Tief Joshua zog am Wochenende kräftig über den Norden und machte auch vor Hamburg keinen Halt. Fast jeder Zug hatte Verspätung und auch der Fischmarkt war überflutet. Eigentlich ein ganz normaler Herbsttag an der Elbe.
Normal war das, was am Freitagabend im Knust stattfand, aber auf keinen Fall. Es war schlichtweg überragend! Denn Jürgen und Anne ließen das 29. Rookie Fest über die Bühne gehen. Den eigenen Labelgeburtstag in solch einem Rahmen stattfinden zu lassen - was für ein Geschenk! Und es kamen einige Leute zum gratulieren, doch komischerweise war es nicht ausverkauft. Was ging da denn schief?! Im Sinne von: Warum haben sich Leute das entgehen lassen? Tja, selbst Schuld!

Surreal Fatal haben den Abend eröffnet, eine Band, die mir noch neu war. Ob es am Sound oder an meiner Position im Raum lag: vom Gesang habe ich leider recht wenig verstanden. Die Musik war aber so dicht und energiegeladen, dass es dennoch Spaß gemacht hat! Ob Spaß jetzt das richtige Wort für SAFIs Auftritt ist, mag ich ein wenig bezweifeln. Klar, was sie mit ihren beiden Mitmusikern auf der Bühne veranstaltet hat, war einfach nur genial und sie hatten sicher auch Freude. Aber es war eher Wucht! Es war eher Lautstärke! Es war eher Brechen mit Erwartungen. Was macht diese Band für Musik? Rookie Records betitelt sie selbst mit Avantgarde und das passt in meiner Wahrnehmung auch sehr gut. Musik, die sich keinen Regeln unterwirft, die von ihrer Präsenz lebt, ihrer ungefesselten Energie. Das war vielleicht nicht etwas für alle, aber die, die da waren, konnten sich von großer Kunst mitreißen lassen - wow!

Dann wurde es in der vorderen Hälfte zunehmend dichter, denn niemand geringeres als Love A hatten die Ehre, diesem Fest die Krönung zu verpassen. Eine Band, die nicht so viel live unterwegs ist. Aber wenn, dann knallt es halt richtig! Das lag zum einen am wesentlich verbesserten Sound und dem wahnsinnig präzisen Spiel an allen Instrumenten! Insbesondere Stefan Weyer an der Gitarre muss großer Respekt gezollt werden! Wie er den gesamten Klang der Band formt, ist einfach nur große Klasse! Logisch, ohne so eine Naturgewalt wie Jörkk Mechenbier wäre die Band auch nicht, was sie ist. Was hat er nur für eine Ausstrahlung?! Sobald er das Mikro in die Hand nimmt und ihre großartigen Lieder singt, ist der ganze Raum dabei, gibt es nur noch das Hier und Jetzt! Und das mit einem phantastischen Best Of der eigenen Diskographie. Dass er nach Achterbahn keine Halsschmerzen hat, kann mir aber auch keiner glaubhaft erzählen - immens! Love A - eine gewaltige Erscheinung!

So war gegen Mitternacht, als es draußen sternenklar war und der Wind etwas abgeebbt ist, ein großartiger Abend zu Ende und Jan von Jan & Jan übernahm für den Tanzpart des Abends. Immer weiter so, Jürgen und Anne - die Musikwelt braucht Eure Arbeit ganz dringend. Bis spätestens nächstes Jahr!



Freitag, 24. Oktober 2025

KW 43, 2025: Die luserlounge selektiert

Quelle: de.wikipedia.org
(Ms) Auch wenn andere das sicher viel besser und pointierter aufschreiben können, es muss Platz bekommen. Friedrich Merz muss gewusst haben, was er sagt bezüglicher der ganzen Stadtbild- und Töchter-Diskussion. Er muss es gewusst haben. Und hat es in Kauf genommen. Oder einfach nur recht unverhohlen seinen eigenen Rassismus zur Schau gestellt, denn etwas anderes ist es nunmal nicht. Und wieso diese blödsinnige Diskussion? Weil die CDU sich von der AfD gängeln lässt. Wieso übernimmt sie Migration als Thema? Es ist ein völlig irrelevanter gesellschaftlicher Punkt. Nur 4-5% der Bevölkerung sehen es in ihrem eigenen Leben als relevantes politisches Thema an. Vollkommen zu vernachlässigen. Aber alle springen auf den Zug auf, weil die AfD das Thema pusht. Diese Partei ist nur so erfolgreich, weil andere sie erfolgreich machen, nicht aus eigener Kraft. Wieso wird seit Jahren nicht über Bildung gesprochen? Nicht über bezahlbares Wohnen? Nicht über die Inflationsrate? Nicht mehr über den Klimawandel? Nicht über nachhaltige Energien? Nicht über die Finanzierung von Renten in einigen Jahren? Nicht über Tierhaltungsformen? Das sind so wichtige, große Themen. Damit lassen sich doch zahlreiche Menschen ins Boot holen. Damit lässt sich doch Politik machen, die die Menschen hier betrifft. Ahhhh, ich check es nicht! 

Portugal. The Man
(Ms) Es ist nun 16 Jahre her. Am 4. Oktober 2008 spielten Portugal. The Man im Rahmen der Visions Partys im Bielefelder Forum und seitdem sind mein Freund C. und ich fest davon überzeugt, dass wir sie für den gesamten europäischen Kontinent entdeckt haben. Wer dem nicht glaubt, ist selbst schuld. Censored Colors hieß ihre damals aktuelle Platte und klang anders als die Tracks, für die die Band später weltweit bekannt wurde insbesondere Feel It Still. Logo, ein geiler Track. Doch was die Band aus Alaska stets ausgemacht hat, war eine große Vielseitigkeit. In der Intensität, im Rhythmus, in der Energie. Die ersten Platten hatten vielleicht nicht so viel Groove, aber ungeheuer viel Druck. Am 7. November erscheint ihr neues Album SHISH und ich muss gestehen, die Band vorher ein wenig aus den Augen verloren zu haben. Doch die neuen Stücke wie Angoon oder Mush lassen Großes erhoffen für die neue Veröffentlichung! Schnell, wuchtig, mitunter wild. Geil. 


Clara Lucia
(Ms) Wiedererkennungswert. Wenn er schnell ist, liegt das ja in erster Linie an einer ganz charakteristischen Art des Musizierens. Mal ist es die Stimme, dann wieder ein bestimmter Rhythmus, der aufhorchen lässt. Oder das Spiel der Gitarre oder oder oder. Bei Clara Luzia ist es die Art, wie sie die Gesangsmelodien arrangiert. Sie mäandern auf ganz wundersame Art und Weise. Hoch und runter, aber in einem klar umrissenen Rahmen, sodass es beinahe schon hypnotisch ist. Das lässt sich staunend beobachten auf ihrer aktuellen Single Matter Of The Heart, die seit drei Wochen draußen ist und einen ganz schnell in den Bann reißt. Wow, dieser Track ist ganz dicht, sehr kompakt und voller Schönheit! Ihr neues Album Horelia erscheint am 21. November!


Anda Morts
(Ms) Fast Ende Oktober und immer noch gibt es frische Alben aus diesem September, die bislang keinen Platz hier hatten. Der September war einfach viel zu voll mit neuer, guter Musik! Anda Morts gehört dazu, der letzten Monat seinen Erstling ANS veröffentlicht hat. Ist das LoFi-Punk oder Homemade-Indie? Ach, egal, oder? Es ist ganz herausragend, was der Österreicher macht. Zudem super aufrichtig! Und das ist sogar hörbar, wie geil kann es eigentlich sein?! Auf den 12 neuen Tracks, die eine angenehme Spieldauer von einer guten halben Stunde haben, singt er von eigenen Perspektiven auf das Leben. Politik, Liebe, Geschichten aus dem Hier und Jetzt. Super charmant ist dabei natürlich seine markante Stimme und er macht mit seiner Band Platz für die Orgel im Indie-Rock. Hallo, alter Freund, du hast viel Energie dabei und viel Tanzbarkeit!

24.10. Wien, Arena
26.10. München, Strom (ausverkauft)
27.10. Heidelberg, HalleO2
28.10. Köln, Gebäude 9
29.10. Koblenz, Circus Maximus
31.10. Kassel, Schlachthof
01.11. Bremen, Lagerhaus
02.11. Dortmund, Junkyard
03.11. Hannover, Bei Chez Heinz
05.11. Bielefeld, Nummer zu Platz
06.11. Hamburg, Knust
07.11. Rostock, Peter Weis Haus
12.11. Berlin, SO36 (ausverkauft)
13.11. Jena, Kassablanca
14.11. Mainz, Schon Schön
15.11. Konstanz, Kulturladen


Black Sea Dahu
(Ms) Je öfter sich ein Sprichwort wiederholt, desto leerer wird es. Carpe Diem ist doch nichts anderes mehr als ein platter Werbespruch, oder? Doch ist das Nutzen des Augenblicks nicht eine wunderbare Sicht auf die Dinge? Was liegt alles darin? Manch Trauriges, manch Schönes und was bleibt eigentlich davon mal übrig? Die Frage stellten sich auch Black Sea Dahu, als sie auf der letzten Tour eine verletzte Taube fanden, die später starb und der sie ein Grab geschaufelt haben. Sie gaben ihr den Namen Ruth und so heißt auch die neuste Single aus ihrem kommenden Album Everything (Februar 2026). Ein Lied, das über das Lebenswerte in unserem Dasein nachdenkt. Und das mit unglaublich viel Charme, feinsten Arrangements (hört mal auf die Klarinette im Hintergrund!) und doch ganz viel Entspannung. Wow - wie schön Musik doch einfach sein kann! Kurioserweise kannte ich die Klänge dieser Band vorher gar nicht so intensiv - so sind sie das Schönste, was ich zuletzt entdeckt habe!


Fjørt
(Ms) Meine Güte, haben da beim letzten Mal die Wände gewackelt, als Fjørt im Bremer Schlachthof gespielt haben. Ich war leider etwas knapp in der Zeit und musste oben in der Ecke in der zweiten Reihe Platz nehmen - diesen Fehler werde ich nicht nochmal machen! Ein Glück, dass im nächsten Frühling eine gute Gelegenheit kommt. Denn das Aachener Trio geht auf Tour! Sie wird unter dem ominösen Titel „Bé Fjørt“ stattfinden und man sollte sich fix ein Ticket besorgen.
Nein, ich habe keine geheimen Insiderinformationen, aber der Mechanismus im Geschäft sollte doch recht offensichtlich sein, oder? Da kommt doch noch ein Album und vor Weihnachten bestimmt noch mindestens eine Single. Oder? Oder? Oder? Ich hoffe sehr!

11.03.26 München, Technikum
12.03.26 Jena, Kassablanca
13.03.26 Wien, WuK
14.03.26 Leipzig, Werk 2
18.03.26 Berlin, Festsaal Kreuzberg
19.03.26 Wiesbaden, Schlachthof
20.03.26 Dortmund, FZW
21.03.26 Hamburg, Gruenspan
25.03.26 Bremen, Schlachthof
26.03.26 Hannover, Capitol
27.03.26 Stuttgart, Im Wizemann
28.03.26 Köln, E-Werk


Urlaub in Polen
(Ms) Kopfhörer auf, ein bisschen lauter drehen und sich kurzum in einer anderen Welt wiederfinden. Einer Welt, in der Mechanisches und Körperliches zusammengefügt werden. Wo analog und digital sich ergänzen und nicht ausschließen. Eine Welt des erhöhten Tempos. Eine Welt voller Groove und des Eintauchens. Herzlich willkommen bei Urlaub In Polen und ihrer neuen Single. Abacus heißt der Track und er kündigt ihr neues Album Objects, Beings And Parrots an, das am 23. Januar bei Tapete erscheinen wird. Wo man am Anfang noch denken könnte: Geil, Krautrock in modernem Gewandt, da wird klar, dass im Laufe des Stücks immer eine neue Ebene dazu kommt. Dann knallen die Gitarren ein wenig mehr, da wird die Drum Machine vom Schlagzeug abgelöst und Gesang tritt ein. Das hat nicht nur wahnsinnig viel Sogkraft, sondern macht auch ungeheuer viel Spaß. Da lauert zu Beginn des neuen Jahres direkt ein Highlight!

Mittwoch, 22. Oktober 2025

Live in Oldenburg: Team Scheisse

Foto: Luserlounge 
(Ms) Dienstagabend in Oldenburg. Es ist dunkel und beschaulich. So wie an den meisten anderen Herbstabenden im Nordwesten auch. Nur an der Bahnhofstraße tummelten sich nicht wenige Leute. Denn dort, in der Kulturetage, bat niemand geringeres als Team Scheisse zum Tanz!
Mit ihrer aktuellen Platte 20 Jahre Drehorgel sind sie diesen Herbst unterwegs und heizen überall ordentlich ein. Ich bin ganz ehrlich: Ich dachte, dass das Phänomen Team Scheisse schon ein wenig durch sei. Korrekte Ansagen, witzige Texte, gute Menschen - alles wirklich wunderbar. Aber so wenig Innovation. Dachte ich. Bis ich gestern eines besseren belehrt wurde.

Gut 1000 Leute passen in die Kulturetage, es war nicht ausverkauft, aber zumindest unten recht voll ohne dass einem wer auf den Schuhen gestanden hätte. Um halb neun ging es dann mit dem Support los und darauf habe ich mich tierisch gefreut, da ich die neue Platte von Pogendroblem, Great Resignation, wirklich ganz stark abfeiere. Über eine halbe Stunde spielte das Kölner Quartett und zeigte recht klar, was sie zu bieten haben: Eine Menge! Nicht nur sehr kurze, wuchtige Songs. Sondern drei der vier MusikerInnen singen auch. Das ist geil, sorgt für sehr viel Abwechslung und verschiedene Wesenszüge der Musik. Und auch wenn die Monitorboxen auf der Bühne nicht so richtig mitgemacht haben, beim Publikum ist der Funke definitiv angekommen. Nicht wenige werden sicher den Weg ins Bremer Lageraus am 31. Januar antreten, wenn sie auf eigener Tour sind - große Empfehlung!

Kurze Umbaupause, weiterhin sehr entspannte, gute Stimmung im Publikum bis es um halb zehn dunkel wurde, der Hauptact des Abends auftrat und direkt mit Schmetterling losbretterte! Und da verflogen schon alle meine Zweifel: Hier wird es abgehen und das wird richtig Spaß machen - das war mir klar. Und das trat dann auch ein. Weil ihre Songs ja auch oft nicht so lang sind, können sie in normaler Konzertlänge halt auch richtig was abfeuern. Ob das jetzt FA, Lok, Altbauwohnung, Erfurt, EDK, Disko, Cobratattoo, Pluto oder Mittelfinger sind… die Energie war sehr hoch. Nicht nur im Publikum, wo es viele fröhliche und schwitzende Gesichter gab, sondern auch auf der Bühne. Kaum auszuhalten, wie viel Spaß Simon an den Drums hatte - der war ja nur am Strahlen! Ebenso Thomas am Bass - einfach nur Freude, das machen zu dürfen, was sie tun wollen. Mello, die Coolness in Person, schnabuliert dann noch ein Apfel zwischen zwei Stücken und Timo treibt eine Menge Sport. Ob nun auf der Bühne liegend oder auf der Stelle laufend. Viel, viel Energie. Zudem spielt seit wenigen Tagen Kat von 24/7 Diva Heaven bei Team Scheisse Gitarre - passt richtig gut! Zudem sind sie ja dafür bekannt, dass sie die richtigen Ansagen in so gut wie alle Richtungen machen. So wurde immer wieder ein FLINTA-Pit geformt, der sehr gut angenommen wurde. Das ist nicht nur Pose bei dieser Band - sie leben es. Geil. Wer da nicht glücklich nach Hause geht, dem ist nicht mehr zu helfen.

Also: Geht auf die kommenden Konzerte von Team Scheisse, entweder auf der aktuellen Tour oder zum FLINTA-WINTA ab Februar. Eskapismus, Dada-Texte, gute Laune, Wohlfühlen und Schwitzen inbegriffen.



Dienstag, 21. Oktober 2025

Tristan Brusch - Am Anfang

Foto: Tim Cavadini
(Ms) Wenn seine Lieder erklingen, dann bleibt die Zeit kurz stehen. Denn dann gilt es, in eine parallele Gegenwart einzutauchen. Eine Welt, wie sie auch sein könnte. Eine Welt, wie sie bei jemand anderem ist. Eine Welt, wie sie mal war. Eine Welt, die beginnt und endet. In jedem Fall ist es eine Welt, in der vielfältigste Emotionen herrschen. Sie sind nicht immer alle von der aufbauenden Sorte, aber sie sind alle wahnsinnig intensiv.
Am 24. Oktober veröffentlicht Tristan Brusch sein neues Album Am Anfang und beendet damit die Am-Triologie. Nach dem Rest und dem Wahn nun der Anfang.

Wenn Tristan Brusch singt, dann passiert etwas. Dann verändert sich das Koordinatensystem. Dann verschieben sich die Erdplatten. Dinge wechseln den Aggregatzustand. Das liegt an mindestens drei Dingen. Das Erste ist das Arrangement seiner Musik. Chanson? Kammer-Pop? Wie man es auch nennen mag, seine Klangwelten gehen nah, sind toll aufgebaut. Keine klassische Pop-Besetzung, das wird spätestens klar, wenn er live auftritt. Dann fehlt da unter Umständen ein Schlagzeug, dafür tauchen aber mehrere Bläser auf, ein Kontrabass, Klavier. Insbesondere die Streicher sorgen auf den neuen Stücken immer wieder für viel Tiefe. Das Zweite ist natürlich seine Stimme. Mein Gott, Gänsehaut pur, wenn sie so angenehm tief erklingt. Dazu hat sie ein unverkennbares Timbre! Das dritte Element: Seine Art zu texten. Mit wenigen Worten schafft es Tristan Brusch eine Szenerie zu eröffnen. Zudem schafft er es immer wieder mit ungewohnten Wortkombinationen erstaunlich große Präzision zu entfachen!

Grundsolider Schläger, die erste Single dieser Platte, ist der Opener des Albums und obendrein ein ganz phantastischer Track! Hier entfachen die Streicher schon die typische Tiefe der Brusch-Lieder. Hier erzählt ein Gegenüber des lyrischen Ichs, dass Tristan sich doch keine Sorgen machen müsse, er komme schon zurecht - zur Not auch mit den eigenen Fäusten. Vierzehn kommt dann früh als das Highlight seines neuen Werks daher. Ein Stück, auf dem der Musiker beweist, wie wenig Worte er braucht, um die Szenerie der Jugend zu eröffnen. Eine Zeit der Langeweile, des Verliebtseins, des über-den-Dingen-Stehens, der ungeheuren Wichtigkeit in allem. Hiermit katapultiert er alle Hörenden im eigenen Leben zurück, ob sie wollen oder nicht. Die unaussprechliche Macht der Musik schlägt hier eiskalt zu - wie wunderbar! Dazu ein Arrangement, das die große Welt, in der man sich damals sah, ganz phantastisch zeichnet.
Tristan Brusch ist ja auch einer der Musiker, bei denen man sich schnell fragt: Wie viel vom Menschen, der diese Musik macht, steckt auch in den Texten? Ich vermute - einfach aus Bauchgefühl - dass die Stücke, in denen keine private Handschrift mitschwingt, verschwindend gering sind. Lyrisches Ich und Texter sind eine Person. Und wenn er auf Wasser Und Licht - so heißt sein eigenes Label nun auch - „Ich möchte nie wieder ans Ufer zurück“ singt, dann glaube ich ihm das. Dass das Wasser der Ort ist, wo er sich von allem zurückzieht.
Auf diesem Album geht es wieder viel um die Liebe und all ihre Formen. Danke, Dass Du Mich Nicht Aufhörst Zu Lieben… da spricht der Titel ja schon für sich. Ein Lied über das Geben und Nehmen in einer Beziehung, über die Frage, ob die Liebe des anderen verdient sei oder eben nicht. Fragen, die weh tun können. Ein Lied über Demut und Dank und der Frage: Warum liebst du mich, wenn ich immer wieder so mies bin zu dir? Vielleicht weil es der Sinn des Lebens ist: Lieben und geliebt zu werden. Zumindest singt er davon auf Geboren Um Zu Sterben. Ja, vielleicht ist es so leicht und so schmerzhaft und so schön. So schön, dass die Liebe uns stets beschützt. Und hier ist kein Kitsch in Sicht, sondern nur Aufrichtigkeit. Wer oder was rettet uns denn, wenn die dunkle Nacht beginnt?! Eben. Genauso besingt er es in Die Lange Nacht. Hier zieht er sehr geschickt rote Fäden durch das eigene Schaffen.

So ist Am Anfang ein weiteres Album, auf dem Tristan Brusch großes Fingerpritzengefühl beweist, wenn es ums Arrangieren großer Melodien ohne viel Gewese geht. Ein Album, für das die Zeit wieder stehen bleibt, weil es so schön ist, zuzuhören. Auch wenn es manchmal zwickt. Er schenkt uns neue Lieder, in denen die Liebe viel Raum einnimmt, in all ihren Facetten und all ihrer Wichtigkeit für uns menschliche Menschen. Das klingt nicht nur auf Platte wahnsinnig nah und direkt, sondern das wird es live auch wieder tun, wenn er kommendes Jahr auf Tour geht:

10.03.2026 Göttingen, MUSA
11.03.2026 Köln, Club Bahnhof Ehrenfeld
12.03.2026 Essen, Zeche Carl
13.03.2026 Bremen, Lagerhaus
14.03.2026 Hamburg, Mojo Club
18.03.2026 Dresden, Beatpol
19.03.2026 Erlangen, E-Werk
20.03.2026 München, Ampere
21.03.2026 Stuttgart, Im Wizemann
22.03.2026 Wiesbaden, Schlachthof
26.03.2026 Magdeburg, Moritzhof
27.03.2026 Leipzig, UT Connewitz
28.03.2026 Berlin, Huxleys


Freitag, 17. Oktober 2025

KW 42, 2025: Die luserlounge selektiert

Quelle: de.wikipedia.org
(Ms) Wie möchte ich sein, wenn ich alt bin? Wozu treibe ich Sport? Warum achten auf eine ausgewogene Ernährung? Wozu der Urlaub in den Bergen? Klar, gesund sein und viel gesehen und erlebt zu haben und immer für seine Lieben da zu sein… das wünschen sich bestimmt die meisten. Doch bei einem verregneten Spaziergang diese Woche sah ich einen älteren Mann, den ich mir nun auch als Vorbild nehme. So wie er will ich später auch sein. Natürlich mit der klassischen Ältere-Menschen-Armposition: Hinterm Rücken so angeordnet, dass die eine Hand den anderen Arm festhält und man automatisch etwas vornüber gebeugt geht. Das ist aber gar nicht der Punkt. Als ich ihn überholte, sah ich in seiner linken Jackentasche eine kleine Süßigkeitenpackung! Wie geil ist das denn?! Er hat sich für einen Spaziergang einen Snack mitgenommen, an dem er sich ständig bedienen kann. Das ist wahnsinnig clever und auch ein kleines bisschen süß! So möchte ich später auch gern unterwegs sein!

The Hirsch Effekt
(Ms) Erscheint eine neue Platte einer Band, stellt sich ja immer die Frage: Wie wird sie klingen, welche Texte berühren mich, was lässt mich tanzen, wo wird vielleicht ein bisschen experimentiert? Der Erwartungshorizont ist meist recht klar umrissen und auch das, was dann zu hören ist, bewegt sich in erwartbaren Kreisen. Sondaschule werden keinen Schlager machen, Scooter keine Indie-Platte. Doch bei The Hirsch Effekt weiß man wirklich nie, was passieren wird. Sie haben keine Regeln, keinen Stil, den sie verfolgen, manchmal sogar nichtmal auf dem gleichen Track. Bei diesem Trio ist völlig unvorhersehbar, was passiert. Man kann also immer nur überrascht werden - auch geil! Der Brauch ist ihre neue Single, die seit dieser Woche zu hören ist und natürlich klingt sie wenig nach dem, was sie vorher gemacht haben. Getragener im Sound, direkter im Text. Ein Gefühl des Eingeschnürtseins, ein verzweifelter Hilferuf, der sich über fünf Minuten erstreckt. Selbstredend sind auch satte Gitarren und ein breites Arrangement Teil des Spektakels. Hui, das kann wieder wild werden, wenn am 31. Januar das zur Single gleichnamige Album erscheinen wird.

15.11.25 Hof, Hoftex
13.12.25 Hannover, Musikzentrum
25.02.26 Schweinfurt, Kulturhaus Stattbahnhof
26.02.26 Aarau, KIFF
27.02.26 Karlsruhe, Jubez
28.02.26 Ulm, Roxy
05.03.26 Berlin, Badehaus
06.03.26 Hamburg, Logo
07.03.26 Düsseldorf, Ratinger Hof
12.03.26 Wiesbaden, Schlachthof
13.03.26 Kassel, Goldgrube
14.03.26 Erfurt, Museumskeller
19.03.26 Bremen, Tower
20.03.26 Oberhausen, Druckluft
21.03.26 Leipzig, Naumanns
21.05.26 Saarbrücken, Garage
22.05.26 Münster, Sputnikhalle
23.05.26 Köln, Helios 37


Andreas Vey
(Ms) Dankbar müssen wir sein für den gesellschaftlichen Fortschritt, den wir erlangt haben. Auch wenn da immer wieder böse Mächte auftreten, die ihn eindämmen wollen. Ich glaube immer noch, dass die Menschen mit dem guten Herzen in der Mehrzahl sind und gewinnen werden. Beispielsweise die Bewusstwerdung für seelische Krankheiten. Zustände, die von außen nicht zu sehen sind. Einige Dinge lassen sich halt gut kaschieren. Davon singt uns Andreas Vey ein Lied. Und das ist keineswegs traurig und in sich gekehrt, bei weitem nicht! Es beginnt zwar zart und zerbrechlich, doch es gibt halt ganz viel Hoffnung. Und ob es jetzt eine Phase der Trauer, Selbstzweifel oder gar eine Diagnose ist: Wann, wenn nicht heute, gibt es Räume, um darüber zu sprechen. Under The Radar kling wie der deutsche Tom Odell, markantes Klavier und große Melodien - yes!


ORT
(Ms) Ja, der Musikbranche geht es nicht gut. Immer weniger neue Clubs werden eröffnet, hieß es diese Woche. Auch Labels haben zu kämpfen. Bands erst recht. Die Kosten steigen überall und (zu) oft werden den großen Acts die Hallen oder gar Stadien eingerannt. Wie gut aber, dass es genug Herzen gibt, die für die Kunst schlagen und quasi den Bodensatz am Leben halten. Die Band ORT aus Dortmund zum Beispiel hat drei 7“-Singles, die frische Sperrwerk-10“-Vinyl und zwei Alben auf Schallplatte veröffentlicht als einen Klangkosmos. Dazu gehen die Cover der verschiedenen Veröffentlichungen Hand in Hand. Da steckt also richtig viel Arbeit drin, richtig viel Leidenschaft. Und auch richtig viel Krach, wenn deren Musik erstmal läuft. Instrumental, mächtig, dunkel. Eine Musik, die zu den riesigen Hallen und Gebäudekomplexen des Ruhrgebiets wie angegossen passt. Und auch Musik, zu der man sich Zeit nehmen sollte. Bodden Dub dauert schlanke 12 Minuten und 53 Sekunden. Nur mies, wenn mitten im Video Ralf Schuhmacher reingrätscht. Wie dem auch sei: Lasst die Kunst leben!


Die Sterne
(Ms) Kommendes Jahr werden Die Sterne 35 Jahre alt. Oder jung? Was für ein irres Schaffen! Wer ist denn noch so relevant und nimmermüde im deutschen Rock? Die vergleichbare Riege ist nicht groß. Unerlässlich textet Frank Spilker. Mal das leicht Verrückte, mal die knackigen Parolen, dann wieder wache Realitätsbegleitung. All das schlägt sich in den Liedern der Band wieder. Wenn Es Liebe Ist heißt die neue Platte, die am 9. Januar via PIAS erscheinen wird und heute kommt die zweite Single raus. Ich Nehme Das Amt Nicht An ist überraschend kurz, aber nicht minder prägnant. „Ich fühl‘ mich überfordert“ singt er zwischendrin - und genau darum geht‘s in diesem ganzen Wahnsinn da draußen. Müssen wir zu allem eine Position besetzen? Müssen wir uns überall zu auskennen? Müssen wir immer top informiert sein? Die Antwort der Sterne ist klar! Genauso klar ist, dass auch das 13. Sterne-Album mit vielen Überraschungen daher kommen wird - wir werden berichten. Und empfehlen alle, auf diese Tour zu gehen:

17.10.2025 Berlin, Astra
22.11.2025 Weissenhäuser Strand - Rolling Stone Beach Festival
19.03.2026 Siegen - Vortex
20.03.2026 Hannover - Béi Chéz Heinz
21.03.2026 Dortmund - Junkyard
22.03.2026 Köln - Bürgerhaus Stollwerk
24.03.2026 Mainz - KUZ
25.03.2026 Heidelberg - Karlstorbahnhof
26.03.2026 CH-Zürich - Bogen F
27.03.2026 Stuttgart - ClubCANN
28.03.2026 AT-Rankweil - Altes Kino
29.03.2026 AT-Salzburg - Rockhouse
30.03. AT-Wien - Porgy & Bess
01.04.2026 München - Strom
02.04.2026 Leipzig - Conne Island
03.04.2026 Bremen - Lagerhaus
04.04.2026 Flensburg - Volksbad
05.04.2026 Hamburg - Uebel & Gefährlich
24.04.2026 Potsdam - Nikolaisaal – mit dem Filmorchester Babelsberg


Team Scheisse
(Ms) Ja, es tut sich viel in unserer Gesellschaft - wie schön! Und wenn Frau Klöckner es nicht schafft, eine Regenbogenfahre zu hissen, dann machen es halt alle anderen. Kein Problem! Auch gut, dass es immer öfter - insbesondere bei den letzten HipHop-Konzerten, auf denen ich war - FLINTA-Moshpits gab. Und sie werden gerne angenommen - wie wunderbar! Der nächste Schritt sind reine FLINTA-Konzerte. KIZ haben das schon gemacht. Team Scheisse haben auch schon vereinzelte Konzerte nur für FLINTA-Personen gegeben. Nun gehen die Schrammelrocker einen Schritt weiter und spielen eine ganze Tour, bei denen wir Cis-Typen draußen bleiben. Das wird bestimmt ganz großartig. Ich möchte sehr gerne ganz viel darüber lesen und hören, wie diese Konzerte gewesen sein werden, okay? Super!

04.02.2026 Bremen, Lagerhaus
05.02.2026 Hamburg, Molotow
06.02.2026 Berlin, SO36
07.02.2026 Leipzig, Conne Island
24.02.2026 München, Strom
25.02.2026 Nürnberg, Z-Bau
26.02.2026 Wiesbaden, Schlachthof
27.02.2026 Köln, Gebäude 9

Dienstag, 14. Oktober 2025

Carebender - Bags

(Ms) Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen modernen und traditionellen Chören? Klar, bis auf das Repertoire. Im Grunde genommen machen alle Formationen das Gleiche: Sie treffen sich, um gemeinsam zu singen und die Schönheit der puren Stimme zum Glanz zu bringen. Ich gehe davon aus, dass auch alle Gruppen einen gewissen Anspruch daran haben, was sie tun. Üben und Können sind schon wesentliche Bestandteile dieses Unterfangens. Ich habe auch mal im Chor gesungen und mag behaupten, dass es erst dann so richtig Spaß macht, wenn es gut wird. Davon sind Kneipen-Chöre mal ausgeschlossen, obwohl ich das Prinzip auch richtig toll und angenehm niedrigschwellig finde.
Einfach mal so in den Raum geworfen: Vielleicht ist der einzige Unterschied zwischen traditionellen und modernen Chören, dass Letztere öfter eigene Kompositionen singen. Und vielleicht etwas mutiger sind. Und sicher hängen die beiden letzten Punkte zusammen.
Genau an diesem Punkt sind wir bei Carebender und ihrem Album Bags, das am 10. Oktober erschienen ist. Carebender ist ein Chor. Doch dass ihre Musik ohne Instrumente auskommt, ist sicher das Einzige, was sie mit klassischen Chören gemeinsam haben. 11 Lieder sind auf dem Album enthalten, es hat nichtmal eine halbe Stunde Spieldauer. Und das ist perfekt so. Insbesondere, wenn alle anderen musikalische Elemente fehlen, könnte es sonst mal langatmig werden. Doch für Abwechslung sorgen die Sängerinnen und Sänger schon von ganz allein.

Mit One Or beginnt diese außergewöhnliche Platte ganz gewöhnlich und sanft. So, wie die meisten Menschen sich bestimmt einen kleinen Chor vorstellen. Stimmen, die sich übereinander legen. Stimmen, die Parts abwechseln. Lang gezogene, schöne Töne. Doch danach knallt es richtig! Enter Fast dauert gerade mal 59 Sekunden und hier schreit der Chor aus allen Lungen. Das ist Punkrock nur halt ohne Instrumente. Direkter wurde ich musikalisch noch nie angebrüllt - sehr beeindruckend! Worm With hingegen lässt sich eher im Free Jazz einordnen, so wenig Regeln gibt es in diesem Stück und es dauert auch, bis der erste Text zu hören ist. Das Spiel mit der Stimme steht hier klar im Fokus - und geht wunderschön auf! Eye On ist der Beweis, wie viel Qualität in dieser Formation steckt. Ein wunderschönes Lied, das mit tollen Elementen arbeitet. Der Text ist unerheblich, das Stück beweist, wie klar sie singen können und wie abwechslungsreich ihre eigenen Arrangements sind! Hold Open hingegen macht nochmal einen Ausflug in eigentlich ganz andere musikalische Gefilde. Wo würde man denn solch Stimmen hören? Im Techno oder gar im Metal? Es ist schön dunkel und sehr nah, es knarzt fast ein bisschen.

Auf Bags gibt es keine Regeln und keinen roten Faden, außer den Ton zu treffen. Carebender präsentieren hier ein Album, das wahre Kunst ist, das angenehm eigen ist, das schaut, was geht. Es muss nicht gefallen, tut es aber ganz automatisch, weil die Qualität so überzeugt! Wow! Egal, was man sonst so hört, dies sollte einen Platz bekommen!