Freitag, 28. Januar 2022

KW 4, 2022: Die luserlounge selektiert

Quelle: wikipedia.org/wiki/France_4
(sb/ms) Weinproben. Bierproben. Ginproben. Whiskeyproben. Kaffeeproben. Teeproben. Getränkeproben. Oder halt auch: Tastings, wenn es denn sein muss. Ja, ich habe auch schon mal dran teilgenommen. Ja, es ist ganz nett. Aber jetzt mal Hand aufs Herz: Das ist auch ganz großer Quatsch. Alle gehen zwar schön besoffen aus dem Abend, vielleicht werden auch neue Lieblingsgetränke gefunden. Möglich. Aber es ist auch eine etwas scheinheilige Veranstaltung. Der erzählende Mensch erzählt. Die anderen hören zu oder tun zumindest so. So sitzt man beieinander. Geschmacksnerven, Anbaugebiete, Abgang, Nosing, Verarbeitung. Toll, toll, toll. Da hat die akademische Avantgarde ein super Hobby gefunden. Ich wiederhole: war selbst schon mal dabei. Passt also. Nun: worum es hier gehen soll. Samstagabend. Wir waren auf dem Weg zurück und mussten gezwungenermaßen beim Kiosk halten. Der Grund: Biermangel. Und dann weiter. Bei einem Weinhandel Zwecks schöner Kunst ins Fenster geschaut. Und da saßen sie brav am Tisch: Zuhörende, die über Korken, Trauben und Tannine sich berieseln ließen. Wir an der Scheibe klebend mit der Pulle in der Hand. Sie schauen. Wir schauen. Wir zeigen aufs Bier und sahen sehnsüchtige, amüsierte Augen, die auch gern ballern, aber zuhören mussten. So ist das nun mal. 

Herzlich willkommen in Ihrem Onlinemusiktastingraum des Vertrauens. Lassen Sie sich einschenken:

The Baboon Show
(ms) Das soll nun echt nicht böse klingen, aber: Ich kann mir bei einigen Bands nicht so ganz vorstellen, dass das von jemandem wirklich die absolut liebste Gruppe ist, die theoretisch 24/7 durch die Wohnung ballert. Für mich gibt es einige Bands, die insbesondere auf Festivals sehr gut funktionieren, weil sie teils bestechend eingängige Melodien haben, so leicht zugänglich sind und mit einem Bier in der Hand in der prallen Sommersonne einfach bestens aufgehen. The Baboon Show könnte eine dieser Gruppen sein. Persönlich höre ich sie jedoch viel zu selten, um darüber gewissenhaft urteilen zu können. Klar, super Band, tolle Lieder, herrlicher skandinavischer Schweinerock! Macht immer wieder extrem gute Laune. Das und meine kleine Unterstellung kann dadurch erhärtet werden, dass sie mit Have A Party With Me einen simplen aber ebenso effizienten Saufsong veröffentlicht haben. Ach komm... was soll die Rummeckerei?! Dann saufen wir halt mit!


The Weather Station
(ms) Eine der (!) Entdeckungen für mich im letzten Jahr ist Tamara Lindeman mit ihrem Projekt The Weather Station. Das ist wirklich kunstvolle Musik. In jedem Takt, jeder Melodie, jedem Instrument ist enorm viel musikalisches Know-How zu hören, ein Talent für Atmosphäre und Liebe zum Klang. Ignorance, das Album aus dem letzten Jahr, läuft nicht umsonst regelmäßig bei mir daheim. Nun erscheint am 4. März eine neue Platte. Sie heißt How Is It that I Should Look At The Stars und fährt mit 12 Liedern auf. Es ist explizit nicht das nächste Album. Vielmehr ergänzt es die Platte aus dem letzten Jahr. Die Lieder, die nun zu hören sein werden, sind zur gleichen Zeit entstanden, kommen aber wesentlich weniger opulent daher. Kein Schlagzeug, keine Percussion auf diesem Album. Alles ruhiger, sanfter, eindringlicher, persönlicher. Lieder für einen Kerzenscheinabend oder einem melancholischen Blick in die Ferne. Bei solchen Projekten komme ich nicht umhin, da manchmal eine schräge kommerzielle Strategie zu vermuten. Hier nicht. Insbesondere, da sie dieses schöne Bild malt: "Ich stellte es mir nicht als Nachfolger von Ignorance vor, sondern eher als Begleitstück; der Mond zu seiner Sonne." 

 
Kalle Wallner
(sb) Freising, Oberbayern. Heimat. Musikalisch bekannt in erster Linie für Blumentopf, aber auch für RPWL. Und da sind wir auch schon mittendrin statt nur dabei, denn das "W" im Bandnamen steht für Kalle Wallner. Als Solokünstler veröffentlicht der Multi-Instrumentalist am 25.02. sein Album Voices. Schön irreführend der Name, denn tatsächlich handelt es sich weitestgehend um ein Werk, das auf Lyrics verzichtet und die Instrumente für sich sprechen lässt. Das gelingt erwartungsgemäß vorzüglich, denn Wallner hat sich nicht umsonst über die Grenzen Deutschlands hinweg einen hervorragenden Namen als Gitarrist gemacht. Diesen unterstreicht er nun abermals, wenngleich ich persönlich das Album fast schon ein wenig zu glatt produziert finde. Das ist einfach musikalische Perfektion, jedoch ohne Ecken und Kanten. Aber das ist natürlich Jammern auf extrem hohem Niveau...
 


The Streets
(ms) Klar, Mike Skinner hat Lieder für die Ewigkeit geschrieben. Dry Your Eyes, Fit But You Know It, Turn The Page, das ganze The Escapist-Album finde ich auch noch sehr, sehr gut. Dann kam die Pause des Projektes. Klar, es ist verdammt gut, dass er The Streets wiederbelebt hat. Es freut mich ungemein für ihn, dass er die kreative Energie wiedererlangt hat und Lieder schreibt. Und natürlich ist es immer ein bisschen unfair, wenn man KünstlerInnen mit ihren glorreichen Zeiten vergleicht. Mike Skinner muss niemandem etwas beweisen. Doch Hand aufs Herz: Was er seit ein paar Jahren nun veröffentlicht, ist zum großen Teil ganz, ganz großer Schrott. Zumindest in meinen Ohren. Wo sind die großartigen Geschichten, die er erzähl? Wo sind die Beats, die immer wieder kicken? Wo ist ein Stück weit auch die Leichtigkeit geblieben, die seine Platten stets mit sich brachten? Auch Wrong Answers Only, das seit dieser Woche draußen ist, ist ein Stück, bei dem ich einfach froh war, dass es irgendwann vorbei ist. Puh. Es soll auch wieder eine neue Platte geben. Doch ganz ehrlich: Vorfreude ist was anderes...

 
Amewu
(sb) Oha, was haben wir denn hier? Amewu veröffentlicht heute sein erstes Album seit annähernd zehn Jahren und hat auf Haben oder Sein sehr viel zu erzählen. Stil, Storytelling, Beats - das ist alles aus einem Guss. Es ist einfach immer wieder großartig, einem deutschsprachigen Rapper zuzuhören, der sich fernab aller Klischees auf intelligente Art und Weise mit der Welt, ihren Eigenheiten, sich selbst und dem Leben als solches auseinandersetzt. Da steckt Herz ebenso drin wie Verstand - ganz stark!
 


Me & Reas
(sb) Wenn es das primäre Ziel von Features ist, auf sich aufmerksam zu machen, dann ist dies Me & Reas mit der Verpflichtung von luserlounge-Liebling Matze Rossi vortrefflich gelungen. Also gut, hören wir uns das Album halt auch mal an... Und siehe da: Lohnt sich! Englischsprachiger Indie-Folk aus Nürnberg, der sich mit der internationalen Konkurrenz durchaus messen darf und sich auf äußerst charmante Weise dem Thema Älterwerden widmet. Man könnte die wachsende Anzahl der Kerzen ja mit Argwohn betrachten - oder aber man wirft einen realistischen Blick auf die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Mal schüttelt man mit dem Kopf, man lacht man drüber. Oder man schreibt einfach einen Song, so wie Sänder Andreas Jäger dies seit seinem 16. Geburtstag jährlich an seinem Ehrentag tut. Leute, mit Thirty (VÖ: 04.03.) macht Ihr ganz viel richtig!
 


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