Freitag, 2. Juli 2021

KW 26, 2021: Die luserlounge selektiert!

Quelle: station26brewing.co
(sb/ms) Warum sind Bahnhofsgegenden eigentlich immer so ein bisschen schäbig und verrucht? Der Bahnhof an sich ist schon häufig ein Ort, wo sich zwielichtige Personen sammeln und an den Straßenzügen, die sich direkt daran angrenzen, auch. Oder? Ich weiß nicht woran es liegt. Sind die Mieten dort günstig für allerhand Geschäfterei? Hm. Worauf ich hinaus will: Ich pendel täglich in die Arbeitsstadt und fahre früh morgens dort hindurch mit dem Rad. In der direkt ersten Straße nach/vor dem Bahnhof tummeln sich Imbisse, Friseure, Kramläden und seit neustem ein Bubbletea-Laden. Warum das denn in 2021?! Egal. Schräg gegenüber vom Bubbletea-Geschäft ist ein Imbiss. Drin war ich leider noch nicht, aber das sollte ich dringend mal machen, denn es scheint mir sehr sympathisch zu sein. Ehrliche Arbeit, wie man so schön zu sagen pflegt, wird da eventuell verrichtet. Morgens um kurz vor sieben fahre ich dort entlang. Drinnen, in diesem Imbiss auf der rechten Straßenseite, ist logischerweise noch kein Betrieb. Doch! Der Inhaber, Chef, Schichtleiter, whatever sitzt jeden Morgen zu dieser stillen Uhrzeit dort an einem Tischchen, das zur Straße hin gewendet ist und trinkt in aller Ruhe einen Kaffee. Irgendwie ist das schön. Wer weiß, was ihn an diesem Tag noch alles ereilen wird?! Hektik, ausbleibende Lieferungen, übergeperltes Frittenfett, ein defekter Kühlschrank. Aber der Herr sitzt morgens dort in aller Ruhe und schaut sich das Treiben vor seinem Fenster an. Sehr schön.

Unser Fenster ist die Musikbranche. Die Lauscher waren offen, wir haben selektiert! Voilà!

An Early Bird
(sb) Stefano De Stefano - was für ein großartiger Name, oder? Dennoch hat sich der Italiener ein Alias zugelegt und beglückt die Musikwelt am 02.07. als An Early Bird mit seinem neuen Album Diviner. Er ist ein Meister der leisen Töne, des gemäßigten Tempos, zum gewohnten Folk gesellen sich jedoch immer häufiger Pop-Elemente - und doch bleibt sich der Künstler aus Neapel treu. Diviner ist eine betörende Mischung aus verträumten langsamen und etwas schnelleren Liedern, die mit wunderschönen Harmonien, Leidenschaft, berührenden und bedeutungsvollen Texten und unglaublichen Emotionen aufwarten. Besonders beeindruckend ist dabei natürlich die Stimme des Musikers, die gelegentlich auch Gendergrenzen verwischt. Ganz stark!


Parcels
(ms) Oft ist zu lesen, dass das zweite Album das schwierigste sei. Das ist natürlich Quatsch. Es geht mal wieder um Erwartungen. Die Gruppe Parcels habe ich vor einigen Jahren beim wunderbaren Traumzeit Festival in Duisburg gesehen. Es war phantastisch, großartig, ein Fest der Leichtigkeit und des Tanzens. Ihre erste Platte war noch gar nicht erschienen, glaube ich. Kurze Zeit später habe ich sie mir gekauft und war heillos enttäuscht. Was für ein plattes Debut! Wo ist die Liveenergie hin?! Schade. Nun gibt es eine neue Single und ein neues Album wird auch kommen, Name und Datum stehen aus. Erst wollte ich es mir gar nicht erst anhören, weil keine Lust. Jetzt läuft Free entspannt nebenher und tut nicht weh. Das kann auch als 'schlecht' interpretiert gelten. Ist hier aber nicht der Fall. Das ist ein solider Song. Er plätschert angenehm, wird niemanden umhauen, ihm fehlt aber auch der Drive, oder? Nun, was also damit anfangen? Im Hintergrund für den Sommer laufen lassen? Okay, darauf würde ich mich einlassen. Musik ab:


Mano Le Tough
(ms) Wo liegt das Geniale, das uns beim Musikhören so gerne vom Hocker haut? Klar, viele Erklärungen. Eine könnte sein: Mut zur radikalen Sturheit! Im allerbesten Sinne. Ist ein catchy Beat erstmal gefunden, darf man ihn so schnell nicht ziehen lassen. Bumm-zack-bumm-zack! Einfach und clever. Ein bisschen Synthie-Spielerei, der ein oder andere sehr smoothe Gitarrenriff, abwechselnde Melodien, die sich die Klinke in die Hand geben und ein Gesang, der mit seiner Art und Weise ein wenig an Damon Albarn erinnert: so abgefuckt monoton, dass es schon wieder brillant ist. Die Rede ist hier von Mano Le Tough und seinem neuen Track Aye Aye Mi Mi. Funky Poprock, um die Landschaften an sich vorbei ziehen zu lassen. Das schwer Greifbare ist es erneut, was hier durchleuchtet. Wir sind sehr gespannt, was die Platte At The Moment bringt, die am 20. August erscheinen wird. Dieser Track ist schon mal vielversprechend!


Chaoze One 
(sb) Es hat ein bisschen gedauert, bis Chaoze One mich gepackt hat und ich habe mir tatsächlich Gedanken gemacht, woran das lag. Ich kam zu dem Schluss, dass es vermutlich die Heterogenität seiner Musik ist, die mir den Zugang zu Venti (VÖ: 16.07.) erschwert hat. Dennoch spürte ich sofort, dass da durchaus Potential vorhanden ist, um mir zu gefallen. Also immer wieder angehört und irgendwann hats "klick" gemacht. Ob es der Moment war, in dem ich mich dem Album endlich mal uneingeschränkt hingegeben habe? In dem ich mich durch nichts habe ablenken lassen? In dem ich erkannte, dass mich zwar nicht jeder Track begeistert, ich aber beeindruckt war von der Wahrhaftigkeit der Texte? In dem ich mir eingestand, dass gerade die Vielfältigkeit der Musikstile das ist, was Chaoze One ausmacht, weil der Künstler eben nicht darauf bedacht ist, unbedingt gefallen zu wollen, sondern das zu transportieren, was er zu sagen hat? Venti strotzt nur so vor Persönlichkeit, vor Echtheit, Ursprünglichkeit. Da das letzte musikalische Lebenszeichen von Chaoze One satte zwölf Jahre auf dem Buckel hat, vergisst man glatt, dass der Mannheimer kein unbeschriebenes Blatt ist. Seitdem war er jedoch politisch aktiv und trat gar als Buchautor in Erscheinung. Illustre Gäste wie Torsun von Egotronic, Mal Éléve und Shana Supreme runden ein klasse Album ab, das hoffentlich die Aufmerksamkeit erhalten wird, die es verdient.
 


Zwanie Jonson
(ms) Menschen, die ein eigenes Lied gewidmet bekommen, erlangen Strahlkraft, die wohlmöglich über sie selbst hinaus geht. Tatsächlich bin ich für das Werk von Zwanie Jonson nicht alt genug, kein Hamburger und dann doch nicht so tief in der Szene drin, als das ich sein Schaffen auch nur einigermaßen einordnen könnte. Doch das weiß ich: Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen besingen ihn auf ihrem kommenden Album (Augen auf!). Und das mag was heißen. Sind sie also auf einer Ebene mit Werner Enke? Möglich. Worum es geht: Zwanie Jonson, Hamburger Produzent und Schlagzeuger und zig verschiedenen Kombos, veröffentlicht am 6. August sein neues Solo-Album, das den Namen We Like It trägt. Das stimmt. Klug gewählter Titel. Was ist zu hören? Eine verdammt zurückgelehnte Mischung aus Easy Listening (im allerbesten Sinne!) und Northern Soul abgeschmeckt mit einer Prise hanseatischer Zurückhaltung. Der titelgebende Track ist bereits zu hören und sehen. Das perfekte Stück für einen Roadtrip, bei dem morgens noch nicht klar ist, wohin es abends geht! Das wird gut!


We Were Promised Jetpacks
(ms) Wir bleiben beim Thema Roadtrip. Hier könnte man jetzt eine Playliste bauen. Doch das finde ich persönlich total doof. Ich bin Albumhörer, nutze keinen Streamingdienst - logo, bis auf YouTube, ein bisschen muss man sich ja auch belügen, oder? Denn auch beim neuen Video von We Were Promised Jetpacks steigt das Fernweh. Das liegt nicht nur an der Visualisierung. Auch aus dem Klang ihrer neuen Single strömt ein großer Drang nach Draußen, Unterwegssein, Freiheit. Dies ist die gute, alte Indierockmusik, wie wir sie vor zwanzig Jahren schon geil fanden. Ist so, kann man ja auch genau so sagen. Fat Chance ist nicht nur ein astreiner Song, sondern auch die Ankündigung zum neuen Album Enjoy The View, das am 10. September erscheinen wird. Der Soundtrack für den Herbstroadtrip!? Wahrscheinlich!


Wavves
(ms) Alt genug zu sein, um sein eigenes Leben von außen zu betrachten und zu erkennen, dass ich nur mich allein retten kann. Könnte eine Midlife-Crisis-Erfahrung sein. Meine FreundInnen und ich sind alle um die 30, also nicht im klassischen Midlife-Crisis-Stadium, doch da passiert momentan auch was. Wir sind alle privilegiert, fast alle haben studiert und sind nun langsam im Job angekommen. Tja. Ist es das jetzt? Trauern wir jetzt der wilden Studienzeit hinterher und jetzt fängt buckeln an?! Puh, ich mag mich ungern damit abfinden. Nathan Williams ist Wavves und hat ein Album geschrieben, das die Erfahrungen aus dem ersten Satz hier sammelt. Das Gute daran: lyrisch wird es schon teils bedrückend und melancholisch auf Hideaway, doch die Musik ist das Gegenteil davon. Nein, kein euphorischer Dance-Quatsch, sondern nach vorne treibende (fast LoFi-ähnliche) Gitarrenmusik! Das gefällt hier sehr!


We Are Scientists
(ms) Dass das unfair ist, ist völlig klar. Aber so läuft es nun mal, oder? Eine Musikgruppe auf einen alten, aber dafür extrem guten Song zu reduzieren, ist genau das - super unfair. Für mich ist Nobody Move... aber die allererste Assoziation zu We Are Scientists. Mitschreiber sb sah sie vor fünf Jahren in der Provinz und schrieb darüber. Contact High ist der erste Track aus dem neuen Album Huffy, das am 8. Oktober erscheinen wird. Wir haben also einen ganzen Sommer Zeit für Vorfreude. Und auch für die Erkenntnis, dass sie es immer noch können. Aber hallo! Wie etwas weiter oben bereits geschrieben: guter, alter Indierock. Auch wenn mein Geschmack immer breiter und nicht mehr so beliebig geworden ist, ist dies noch genau die Musik, die begründet, warum ich leidenschaftlich vor einer Bühne stehe, staune, schwitze, Bier und gute Menschen genieße! So sieht es aus.

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