Foto: Tim Cavadini |
Und die Menschen dahinter auch. Wer Oehl live gesehen hat, weiß sofort, wie ursympathisch und unterhaltsam sie sind. Bei der verträumten und nun ernsthafter gewordenen Musik auf den erster Lauscher eventuell schwer vorstellbar.
2. Radikale Positivität. Nicht nur die vergangenen eineinhalb Jahre gaben reichlich Anlass, den Status Quo unserer Gesellschaft zu analysieren und hinterfragen. Schlecht bezahltes Personal in Pflege, Einzelhandel, medizinischer Versorgung. Eine gruselige Infrastruktur des Bildungssystems, das langsam und träge ist (ich weiß es, bin Teil davon). Eine vollkommen kranke und abartige Wirtschaftsweise. Mir wird regelmäßig schlecht, wenn ich das Wort 'Wirtschaftswachstumsgesetz' höre. Bah! Dazu: Kriege, Rassismus, Vertreibung, Hass, Ausgrenzung, Inhumanität. Doch! Das darf uns nie im Leben unterkriegen, nicht auf die Knie zwingen. Dann können wir uns ruckzuck in einem Schneckenhaus verkriechen und uns wieder hinaus schleichen, wenn die Katastrophe alles vernichtet hat. Bloß nie, nie, nie den Kopf in den Sand stecken. Auch wenn es kleine Schritte sind, sie bewirken etwas. Einkauf, Mobilität, Recycling, Ernährung, Urlaub. Wir müssen einfach nur anfangen und ein bisschen naiv bleiben. Und bitte das Wort 'Komfortzone' vermeiden - das ist doch selbstherrlicher Quatsch. Machen! Jetzt!
3. Die neue EP - oder das neue Mini-Album - von Oehl verbindet beides. Ein Beweis der Kunst und radikale Positivität. Daher auch der Titel: 100% Hoffnung! Ja, man! Zugegebenermaßen sind die fünf Tracks keine aufbauenden Seelenstreichler. Sie sind ebenso hart und gewissermaßen melancholisch. Doch sie richten den Blick nach vorne. Wenn sie über Arbeit singen, klingt es vom Titel her nach verstaubtem SPD-Parteitag. Mitnichten! Es ist eine Analyse des Daseins auf ihrem eigenen Klanggewand. Hinzu kommt das eigene Selbstverständnis von Kunst im Video. Denn trotz der Tragik unterstreicht es den menschlichen Puls in uns. Das Credo: Die Arbeit nicht zu wichtig nehmen, nicht so grau werden wie die Gebäude, in denen wir sitzen, denn dann würgt sie uns langsam (Arbeit II). Auch Keine Angst schwingt behände. Denn auch wenn die Zukunft sich ändern mag: Kopf hoch. Ja, dieses 'Kopf hoch' und 'nicht auf die Knie zwingen lassen' klingt wahnsinnig abgegriffen. Wenn wir uns von der Plattitüde lösen, finden wir vielleicht wieder den Sinn darin. Vollkommen neu sind Oehl auf 300.000 zu hören und erneut zu sehen! Vielleicht ist es das Lied, bei dem Ariel sich am weitesten von seinem Nuschelstil löst und klar spricht (sein Gesang ist ein weiteres dieser herausstechenden Elemente). Richten sich die anderen Themen eher aufs Große und Ganze, ist dieses Stück sehr konkret. Ariel erzählt einen Bankenskandal aus der österreichischen Provinz nach. So nah, verständnisvoll, lieb und aufrichtig. Siehe ich ihm im Video die Träne wegwischen, glaube ich ihm alles. Hart und so warm und rund zugleich.
4. Stop, mag mancher sagen. Das sind doch sechs statt fünf Stücke auf dem Minialbum. Ja, das ist korrekt. Doch der letzte Beitrag ist kein Lied. Auf 20 Minuten haben Oehl Sprachnachrichten vieler Fans und Weggefährten gesammelt und zusammen geschnitten. Zumeist junge Menschen sind zu hören, die auf ihr Leben, Arbeit, Zukunft, Familie blicken. Dabei bleibt mit die Kinnlade weit offen stehen. Darin sind derart viele kluge und berührende Worte zu hören, dass es mich sehr rührt. Das hier ist sehr gut, sehr klug, sehr nah am menschlichen Herz.
5. Oehl! Ein Album und nun zwei EPs. Sehr reif, erstaunlich gut! Derartige Texte und ein solcher Sound sind mir noch nie zu Ohren gekommen und ich lasse mich gerne von ihnen beschallen. Und nein, das hier ist kein Austropop, nur weil sie aus Österreich kommen. Das hat nichts mit Wanda, Bilderbuch, Olympique oder gar Voodoo Jürgens zu tun. Das ist mehr.
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